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»Steig auf!«

[ Otayuri ]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hey, ihr Lieben! I'm still alive!
Ich hoffe es geht euch gut.

Wohl die längste Pause, die ich jemals hatte und im Normalfall wäre bei mir jetzt der Punkt erreicht, bei dem ich angefangene FF's abbreche und nie wieder anrühre. War leider bis jetzt immer so.
Gut, dass es bis jetzt allerdings noch keine FF gegeben hat, die mir so sehr am Herzen liegt, wie diese. Deswegen: I'm back!

Ich habe einfach gemerkt, dass ich mich vielleicht ein wenig übernommen habe. Seit April letzten Jahres habe ich wöchentlich, beinahe täglich an dieser Geschichte geschrieben und irgendwie wurde die "Pause" von einer Woche länger und länger und länger. In der Zeit habe ich viel gezeichnet und gezockt (und das übliche Privatleben mit Freunden/Familie generell). Viele Sachen, die ich irgendwie während des Schreibens komplett liegen gelassen habe. Scheinbar hatte meine Seele dort ein wenig Nachholbedarf, (was nicht heißen soll, dass das Schreiben mir keinen Spaß gemacht hätte, im Gegenteil), dazwischen noch Weihnachten/Neujahr, Erkältungen und genereller Arbeitsstress. Nun ja.
Aber hier bin ich wieder und ich bin erneut sehr dankbar, dass selbst in meiner Abwesenheit neue Favoriten und generell neues Feedback gekommen ist.
An dieser Stelle ein herzliches Danke an Lucianah und Palmira für eure riesengroßen Kommentare. Das hat mich wirklich wahnsinnig gefreut.
Danke auch an Claire und Sere für euer stetiges Feedback und ein Special-Thanks an Tanschn für deine Unterstützung und Motivation dran zu bleiben!

Zum Kapitel generell werde ich erst mal nichts sagen, das dann im Nachwort. :) Komplett anzeigen

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Teil siebzehn: »Wahrheit«

Otabek Altin – 19.06 21:59

»Also Samstag. Klingt gut, aber ich weiß noch nicht wann genau. Wahrscheinlich gegen Abend, je nachdem, wie lang das Training dauert.«

 

Yuris Magen rumorte, aber nicht des Hungers wegen. Eher war ihm schlecht, als er sich in seinem Bett auf den Rücken drehte, das Smartphone mit beiden Händen über das Gesicht balancierend.

 

Yuri Plisetsky – 19.06 22:00

»Kein Ding, ich warte dann einfach. Hab ja am nächsten Tag frei :D«

 

So fröhlich wie seine Antwort klang, wäre er gern wirklich gewesen. Aber da war so viel Angst, die sein aufgesetztes Lächeln verdunkelte.

 

Otabek Altin – 19.06 22:02

»Also bis spätestens Samstag. Ich freu mich ;)«

 

Das glaubte Yuri ihm aufs Wort. Wer freute sich auch nicht darauf, jemandem von seiner frisch aufgeblühten Beziehung zu erzählen? Er schloss die Augen und ließ das Smartphone neben sich auf die Matratze fallen. Er wollte sich so sehr für Otabek freuen. Aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er noch keine großen Schritte in die gewünschte Richtung getan. Er stand noch immer an demselben Punkt, wie vor einigen Wochen in Hasetsu – nur ohne Wellen, die ihre schäumende Gischt um seine Füße trieben. Außer Unbehagen und Eifersucht, wenn er an die beiden dachte, regte sich nichts in seinem Inneren und er wusste, dass ein gefälschtes Lächeln nicht ausreichte, um darüber hinweg zu täuschen. Bisher war das auch nie nötig gewesen. Yuris Ruf eilte ihm voraus und jeder wusste, dass er seine Meinung gern ungefiltert in unschuldige Gesichter schleuderte. In dem Fall sah die Sache allerdings anders aus. Zu seinem eigenen Wohl würde er sich verstellen müssen. Aber wie reagierte man korrekt auf so eine Nachricht? Bei ihrem letzten Telefonat hatte Yuri nicht gerade durch seine grandiose Schauspielerei geglänzt. Viel eher verdankte er es einer gehörigen Portion Glück, dass er den Chat hatte beenden können, ohne sich verdächtig zu machen.

Ein tiefer Seufzer verließ seine Brust. Noch blieb ein wenig Zeit. Fünf Tage. Fünf Tage, um sich darauf vorzubereiten. Das Ticken der Uhr in seinem Zimmer klang lauter, als jemals zuvor. In der Hoffnung Schlaf zu finden löschte er das Licht und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Fünf Tage. Er schloss die Augen, versuchte gleichmäßig zu atmen und sich nicht mehr zu bewegen. Er musste optimistisch sein. Vielleicht käme er besser damit klar, wenn er es endlich von Otabek persönlich hörte. Und vielleicht bestand doch noch ein Funken Hoffnung, dass es nicht so schwer werden würde.

 

 

»Keine Chance.«

»Gar keine?«

Ein Kopfschütteln. »Nope. Sorry.«

Yuri stieß die angehaltene Luft aus, seine Schultern fielen enttäuscht nach unten. Nicht einmal zwei Minuten der Begutachtung und zum Scheitern verurteiltes Herumdrücken auf den wenigen noch vorhandenen Knöpfen - und das sollte das Ergebnis sein.

Zwar mochte er damit gerechnet haben, aber die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Ein ungutes Gefühl waberte seine Beine hinauf. »Scheiße!«

»Nichts für ungut, aber was haste auch erwartet? Das Teil ist reif für die Schrottpresse. Was’n damit passiert?«

Nicht im Traum würde er ernsthaft auf diese Frage antworten. Dass er seinen Laptop aus Wut und Verzweiflung vom Schreibtisch gefegt hatte, musste niemand wissen, außer er selbst. Er biss sich auf die Lippe, schloss kurz die Augen.

»Da … sind noch Schulsachen von mir drauf. Referate und so weiter …« Von den ganzen Fotos und seiner Musik mal abgesehen. Außerdem lief ihm die Zeit davon. In der Spirale aus Stress und Nervosität war die Zeit schneller verflogen, als Yuri so manches Piroschki verdrücken konnte. Sein Trainingsplan war straffer denn je und er hatte sich auch – unbewusst – davor gedrückt, seinen Laptop endlich reparieren zu lassen, als würde er so dem anstehenden Telefonat entkommen können. Natürlich absoluter Unsinn, ebenso die Tatsache, dass er wirklich Wert auf seine Daten legte. Jedoch bot sich das gerade als perfekte Ausrede, um nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten, ohne als verrückt abgestempelt zu werden. »Man, ich brauch das Zeug!« Ausnahmsweise war ihm sein trotziger Ton direkt peinlich. »Kann man da denn gar nichts machen?«

»Hm.« Skeptisch drehte der Mitarbeiter den zerstörten Laptop herum, um die Rückseite zu begutachten. Das verzogene Plastik knirschte beunruhigend laut in Yuris Ohren. »Naja. Mit’n bisschen Glück ist die Festplatte noch zu retten. Ich kann versuchen sie auszubauen und dann schauen was noch geht.« Während er überlegte, fuhr er sich durch die schwarzen Haare, dann fixierte er Yuri mit seinen dunklen Augen. Die dichten Brauen zogen sich zusammen.

»Alles klar bei dir?«

Er schien irritiert. Yuri starrte ihn an, als würde er ihn jetzt erst richtig wahrnehmen und der plötzliche Blickkontakt holte ihn schnell zurück ins Fachgeschäft für Elektrowaren, zurück zu dem künstlichen Licht und dem Piepen der Geräte - und weg von der Illusion, dass der Mitarbeiter einer gewissen Person erstaunlich ähnlichsah.

»Hmpf.«

Schnell verschränkte er die Arme, darauf hoffend, dass sein Gesicht seine natürliche Farbe behielt.

»Ja, alles gut. Also … wäre sehr cool, wenn das klappen könnte.«

Falls er schräg rüberkam, ließ sich der Mitarbeiter nichts anmerken und bewahrte seine berufliche Kompetenz. Dessen Blick glättete sich wieder und plötzlich war sein Gesicht weit weniger markant, der Unterkiefer kaum definiert, die Augen heller und die Haare nicht so dicht, wie die von …

Alter, spinnst du völlig?

Schnell schüttelte Yuri den Kopf, froh, dass sein Gegenüber sich währenddessen wieder dem Laptop zugewandt hatte und nichts bemerkte. Wenn er jetzt schon anfing, in jedem Mann mit schwarzen Haaren und braunen Augen Otabek zu sehen, dann stand es wirklich schlecht um ihn.

»Wird ‘ne Weile dauern, aber wenn‘s klappt, baue ich die gleich in ein neues Gerät ein.«

Yuri nickte. Das hörte sich zwar nicht perfekt an, aber wenigstens einigermaßen optimistisch.

»Komm mal übermorgen wieder vorbei, dann weiß ich Genaueres. Du kannst in der Zeit ein Leihgerät haben, kostet hier fast nichts.«

»Okay.« Er nickte und schon wenige Minuten später verließ er das Geschäft, im Rucksack einen MAC aus einer früheren Generation - zwar älter, als sein Zerstörter, aber wenigstens funktionstüchtig. Somit war die einzige Ausrede, sein Telefonat mit Otabek zu verschieben, vernichtet. Mit zittrigen Knien lehnte er sich wartend an die nächste Haltestelle und sog die milde Luft ein, den Kopf in den Nacken gelegt.

Er öffnete seine Augen erst wieder, als sich ratternd und klingelnd die heranrollende Straßenbahn ankündigte. Dem allgemeinen Schwung der Masse folgend setzte er sich auf den letzten freien Platz und lehnte seinen Kopf gegen die Fensterscheibe. Das Computerfachgeschäft - offenbar ein Geheitipp - lag am anderen Ende der Stadt und so stand ihm eine recht lange Fahrt bevor. Sicherlich hätte er in jedes x-beliebige Geschäft spazieren können, doch lieber war er der Empfehlung des Schweinchens gefolgt, der selbst schon einmal Probleme mit seinem PC hatte bewältigen müssen und dabei auf diesen Laden gestoßen war. Tatsächlich hatte er mit den günstigen Preisen und der … Freundlichkeit des Personals nicht zu viel versprochen.

Seine Zähne mahlten. Gott sei Dank hielt ihn die Vibration seines Smartphones davon ab, erneut die dunklen Augen des Mitarbeiters mit denen von Otabek zu vergleichen.

 

Otabek Altin - 23.06 15:11

»Das Training dauert länger heute, also wundere dich nicht.«

 

Hätte es doch nur nicht geklingelt.

 

Yuri Plisetsky - 24.06 15:12

»Jo, passt. Kein Thema«

 

Er stieß einen frustrierten Seufzer aus und stopfte das Smartphone zurück in die Jackentasche. Sein Blick glitt aus dem Fenster, vorbei an Menschen, die Sommerhüte und Sonnenbrillen trugen, über herumtollende Kinder und händchenhaltende Pärchen, die ihre Hunde spazieren führten. Sorglose Gesichter, zum strahlenden Himmel gewandt. Sein Smartphone vibrierte abermals und unterbrach ihn bei einem erneuten Seufzer. Etwas verdutzt holte er es hervor. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als er auf eine allzu bekannte und trotzdem unerwartete Nummer sah.

 

Opa – 23.06 15:20

»Yurachka

wir telefonieren eindeutig zu wenig und yakov hat mir geraten dass ich dir vielleicht schreiben sollte  wie geht es dir  mmelde dich doch mal wieder bei deinem alten herrn

ps diese neumodernen telefone sind grauenvoll  es hat mich eine halbe stunde gekostet das hier zu schreiben  und ich finde weder satzzeichen noch irgendeinen befehl für grosse buchstaben«

 

Yuri prustete los. Feine Speicheltropfen regneten auf das Display. Er hatte jeden erwartet, aber nicht seinen Großvater. Und diese unbeholfene Nachricht, die selbst seine eigene grammatikalische Ignoranz bei weitem übertraf, vertrieb kurzzeitig die trüben Wolken aus seinen Gedanken. Es rührte Yuri, dass sich sein Opa für ihn auf so unbekanntes, modernes Terrain begab. Gleichzeitig rutsche ihm das Herz in die Hose. Ihr letztes Telefonat lag wirklich schon eine lange Zeit zurück und augenblicklich schämte er sich dafür, ihn so lang vernachlässigt zu haben.

Ungeniert wischte er sein Smartphone mit dem Ärmel trocken, bevor er fahrig eine Antwort tippte.

 

Yuri Plisetsky – 23.06 15:22

»Opa?!?! Hast du dir nur wegen mir ein Smartphone zugelegt!?!? :‘D :‘D :‘D Das ist ja zum Totlachen! :D :D :D Mir geht es so weit gut, das Training nervt momentan nur. Warte, ich schick dir ein paar Bilder«

 

Daraufhin versandte er eine ganze Wagenladung Fotos. In der Eishalle beim Training, Selfies, Fotos von Potya, Yakov und Lilia. Sogar welche von Victor und seinem Katsudon – von dem Tag, als sie den Junona-Rynok besucht und tonnenweise Platten und CD’s gekauft hatten.

 

Yuri Plisetsky – 23.06 15:25

»So, jetzt hast du was zum angucken! :D Wie geht es dir denn sonst so??

PS: Die Satzzeichen sind in der Regel ganz unten in der Leiste und wenn du auf den Pfeil ganz links drückst, werden die Buchstaben groß!«

 

Wartend starrte er auf sein Telefon, während die Straßenbahn Station um Station passierte und hinter sich ließ. Es dauerte und dauerte. Aber die App zeigte an, dass sein Opa eine Nachricht schrieb. Die Antwort trudelte ein, als Yuri gerade ausstieg und auf dem Heimweg den Park durchquerte.

 

Opa – 23.06 15:40

»Wenn ich dann wenigstens das Gesicht meines Enkels sehe, nehme ich auch neumodernen Schwachsinn auf mich. Hauptsache du vernachlässigst dein Training nicht wenn du so viele Fotos machst. Aber wenn du welche machst, dann schick sie mir.

Mir geht es gut. Werde jetzt einkaufen gehen und dann kochen.«

 

»Ach, Opa …«

Wann hatte er das letzte Mal auch für Yuri gekocht und nicht nur für sich selbst? Der Gedanke, dass er allein in seiner kleinen Wohnung saß und still seine Mahlzeit zu sich nahm, stimmte ihn traurig.

 

Yuri Plisetsky – 23.06 15:42

»Ich muss dich dringend mal wieder besuchen kommen. Oder du kommst zu Lilia. Ist schon wieder viel zu lang her. :(«

 

Opa – 23.06 15:53

»Das stimmt. Aber wir finden schon einen Weg. Wenn ich gebraucht werde dann bin ich da.«

 

Eine seltsam kryptische Nachricht, so als ahnte er etwas. Aber wie? Hatte er sich irgendwann verraten? Unwirsch schüttelte er den Kopf und versuchte nicht in Schweiß auszubrechen. Sein Großvater mochte zwar ein gutes Gespür für derartige Dinge haben, aber das konnte er einfach nicht wissen. Er verabschiedete sich noch von ihm, dann steckte er sein Smartphone zurück in die Jackentasche, um seinen Schlüssel hervor zu holen, während er die Stufen zur Eingangstür seines Zuhauses nahm.

Stille begrüßte ihn, Yakov und Lilia waren vermutlich noch in der Eishalle. Schnell betrat er sein Zimmer, packte den geliehenen MAC aus und platzierte ihn – möglichst weit vom Rand entfernt – auf seinem Schreibtisch und schloss das Netzteil an der Steckdose an. Mit einem leisen Surren fuhr das Gerät hoch. Erstaunt stellte Yuri fest, dass Skype bereits installiert war. Seine Finger bebten, als er sich einloggte und sein Blick suchend über die Kontaktliste fuhr. Otabeks Status zeigte ihn als offline an. Unbewusst stieß er seinen angehaltenen Atem aus, bevor er auf die Uhr sah. Früher Nachmittag. Allein den Chat zu öffnen brachte ihn an den Rand seiner Contenance. Dabei wusste er doch, dass sie erst gegen Abend verabredet waren und es bei Otabek sogar später werden würde.

Yuri fürchtete sich – und das nicht nur vor ihrem Gespräch. Zwar hatte ihn die Unterhaltung mit dem Katsudon einigermaßen beruhigt, trotzdem überrollten ihn seine Gefühle regelmäßig in den unpassendsten Momenten. Der Gedanke in einen Mann verliebt zu sein, zerfraß ihn beinahe noch mehr, als die Tatsache, dass es sein bester Freund war. Zwar stritt er es nicht mehr ab, aber es zu akzeptieren war ein Berg, dessen Aufstieg unmöglich erschien. Nun, er gab zu, es bis jetzt auch nicht besonders konsequent versucht zu haben. Ihm schien die nötige Ausrüstung zu fehlen. Doch den Berg einfach zu umrunden, stellte sich als aussichtslos dar. Egal wie weit er ging, er fand keinen Winkel, durch den er schlüpfen konnte. Und jeden Morgen verschwitzt aufzuwachen, mit Otabeks Geruch in der Nase und eindeutig zu viel Blut in seiner Lendengegend, verbesserte die Situation nicht. Im Gegenteil. Es fühlte sich grässlich an, als würde er ihre Freundschaft mit unzüchtigen Gedanken beschmutzen – obwohl Yuri wusste, dass er nichts dafürkonnte. Die Reaktion seines Körpers überforderte ihn schlichtweg, niemals zuvor hatte er Gedanken in solche Richtungen gehegt, egal ob an Mann oder Frau. Beziehungen und sexuelles Interesse waren ein Buch mit sieben Siegeln und für ihn uninteressant. Dachte er. Seit ein paar Tagen sah das jedoch anders aus. Eine verbotene Neugierde hatte ihn gepackt und gierte nach Aufmerksamkeit. Jeden Abend ging er auf Entdeckungsreise, begab sich gedanklich in fremde Arme und schmeckte Lippen, die nicht ihm gehörten. Das Gefühl, wie es sein könnte schwebte vor ihm, zum Greifen nah und entzog sich seinen Händen doch immer wieder, als wäre es ein lebendiges Wesen. Zurück blieb nur Frustration und die Frage nach dem was wäre, wenn.

Unschlüssig grub er seine Zähne in die Unterlippe. Er war allein und hatte Zeit. Vielleicht genug, um sich aktiv auf die Suche zu begeben. Nicht, um sich selbst zu finden – das war eine Reise, die im Worst Case Jahre beanspruchte – aber vielleicht taten ihm Erfahrungen gut. Berichte von anderen, die sich ein Boot mit ihm teilten und ebenfalls nicht untergehen wollten.

Er öffnete den Browser und tippte, anfangs zögerlich, doch dann mit plötzlich aufflammender Energie, Worte in die Suchmaschine ein. Worte und Fragen, die Unbehagen auslösten und doch tausende Antworten ausspuckten. Ein ganzer Schwall an Ergebnissen präsentierte sich vor ihm. Seine Augen glitten über Foreneinträge, die nicht enden wollten, suchten Links ab und überflogen Webseiten, die Austausch und Hilfe anboten. Schnell stellte sich ein Gefühl der Erleichterung ein, denn so allein, wie er sich in den letzten Tagen gefühlt hatte, war er nicht. Im Gegenteil. Dieser See war voller Boote, mit Menschen jeden Alters und in den verschiedensten Phasen ihres Lebens. Einige jünger, als Yuri selbst, andere weit über vierzig und verheiratet.

Sein Rücken schmerzte und irgendwann brannten ihm die Augen, als sich Dunkelheit in seinem Zimmer ausbreitete und das helle Licht des MACs anstrengend wurde. Yuri ignorierte es. Lieber saugte er die Antworten mit einem Interesse auf, dass er sich auch für die Stunden in der Schule wünschte.

Kein Eintrag glich dem anderen und trotzdem war die Kernaussage der Beiträge gleich: Gleichgeschlechtliches Interesse war nicht unnormal oder unanständig. Etwas nicht Kontrollierbares, nichts worüber man sich schämen oder gar verstecken musste. Homosexuelle Liebe barg Schwierigkeiten und schöne Momente, so wie jede andere Liebe auch. Beinahe dieselben Worte, wie sie auch schon Yuuri an ihn gerichtet hatte.

Die Zahlen seines Weckers sprangen auf zweiundzwanzig Uhr. Yuri lehnte sich zurück und schloss die Augen. Seine Glieder waren schwer und er fühlte sich matt und übersättigt, erschlagen von den Stunden, in denen er nichts anderes getan hatte, als zu lesen. Gleichzeitig durchströmte ihn eine seltsame Empfindung, eine ungewohnte Wärme und Schwerelosigkeit, als hätte er eine riesengroße Last abgeworfen. Es mochte noch ein weiter Weg sein, doch der erschien ihm nun weit weniger steinig, der Berg flacher und ohne hinterlistige Klippen, in die er stürzen könnte. Es würde nicht alles von heute auf morgen gut werden und sicherlich versteckten sich irgendwo Stolperfallen, doch Yuri war ein Kämpfer. Er würde aufstehen und weiterlaufen.

Die Eingangstür öffnete und schloss sich wieder. Mit einem Ruck saß er kerzengerade da und als stünde er kurz davor bei einer Peinlichkeit erwischt zu werden, klappte er den Laptop zu und sprang auf die Beine. Im Stillen ohrfeigte er sich dafür, immerhin tat er nichts Unanständiges. Er nahm es als Beweis dafür, dass er noch viel Arbeit vor sich hatte und schlich zur Tür seines Zimmers, um sie einen Spalt breit zu öffnen.

Im schwachen Schein des Flurlichtes sah er Yakov und Lilia, die gerade unverhältnismäßig spät das Haus betraten. Leise Worte wehten zu ihm herüber. Yakovs Hand ruhte auf ihrem Rücken und sie hatte ihm ihr Gesicht zugewandt, die feinen Lippen zeigten ein sanftes Lächeln. Es war ein Moment, so unscheinbar und doch so eindeutig, dass Yuri nach Luft schnappte und ruckartig die Tür komplett aufriss. Von der plötzlichen Bewegung überrascht hielten beide inne – und nun sahen sie plötzlich so aus, als wären sie bei einer Heimlichtuerei erwischt worden.

Yakov ergriff als Erster das Wort. »Du bist noch wach.«

Yuri verschränkte mit gerunzelter Stirn die Arme vor der Brust und dachte gar nicht erst daran, auf diese Feststellung einzugehen. »Wo wart ihr denn so lange?«

Sie warfen sich einen Blick zu, seltsam unschlüssig und doch wirkte es, als hätten sie sich auf irgendetwas vorbereitet.

»Wir waren etwas essen und ein wenig spazieren.« Dieses Mal antwortete Lilia.

»Hmpf.« Yuri beobachtete die beiden mit Argusaugen, suchte nach einer Bestätigung für das, was er sich gerade zusammenreimte. »So lang, ja? So so.«

»Wir sind dir keine Rechenschaft schuldig, Bursche!« Yakovs Keifen war Aussage genug. Er bellte ihn an, wie ein getroffener Hund. Amüsiert zog Yuri die Augenbrauen nach oben. Seltsamerweise war er nicht einmal sauer.

»Ja, ja, schon klar. Ihr seid die Erwachsenen und könnt machen, was ihr wollt. Weiß ich.« Bemüht ein zugegeben leicht schadenfrohes Grinsen zu unterdrücken, ließ er die Arme sinken. »Aber wann wolltet ihr mir, naja« Er machte eine allumfassende Geste in der Luft »das denn mal erzählen?«

Siegessicher sah er Lilias Gesicht um ein paar Nuancen blasser werden und nur mit großer Mühe konnte er seine Unschuldsmiene aufrechterhalten. »Oder wolltet ihr das gar nicht?«

Seine Worte hingen in der Luft und schweigsame Sekunden dehnten den Raum. Schließlich zog Yakov resigniert seine Jacke aus und nahm auch Lilia ihren Mantel ab. »Irgendwann hätten wir mit dir darüber gesprochen.«

»Hmpf, bestimmt. Spätestens kurz vor den zweiten Flitterwochen, was?« Seine Mundwinkel zuckten verräterisch.

»Wir haben auf den passenden Moment gewartet.«

»Ah ja. So wie der heute Morgen am Frühstückstisch? Oder gestern auf dem Weg nach Hause?«

»Yuri!«

Lilia legte Yakov eine Hand auf den Arm und dieser verstummte sofort, obwohl ihm bereits der Mund für eine weitere Zurechtweisung offenstand. Sie räusperte sich und ihr Gesicht nahm den geschäftigen Ausdruck an, den Yuri schon so gut kannte. »Das ist für uns alle eine neue Situation, an die wir uns gewöhnen müssen.«

Yuri schnaubte. Das wäre momentan nicht die erste für ihn.

»Und seit wann läuft das?«

Sie tauschten Blicke aus, Yakov ruckte nur mit dem Kopf in Lilias Richtung – ein Zeichen, dass er sich ergeben hatte. »Ungefähr seit deinem Urlaub in Hasetsu.«

»Hmpf.« Das war länger, als vermutet. »Unfassbar, dass ihr so lang nicht die Zähne auseinandergekriegt habt.«

»Yakov und ich haben lange darüber gesprochen. Du musst dir keine Sorgen machen, wir werden uns nicht anders verhalten als sonst auch.«

»Kein Stress, ich mach‘ mir keine Sorgen. Aber ich werd‘ mich ja wohl für euch freuen dürfen, oder?«

Beide starrten ihn an. Yuri wusste nicht, welches Szenario sie sich ausgemalt hatten, doch seine Reaktion schien sie zu überraschen. Er verdrehte die Augen. Anscheinend trauten sie ihm solche Laster wie Empathie nicht zu. Dabei freute er sich wirklich. Sie mochten sich streiten und immer so tun, als ginge es ihnen nur ums Geschäft, doch tief in ihrem Inneren mochten sie sich eben doch noch so, wie vor einigen Jahren. Was auch immer der Grund für ihre Scheidung gewesen sein mochte, wenn die beiden der Meinung waren, es noch einmal versuchen zu wollen, wäre Yuri der letzte, der sich querstellte. Immerhin war er kein Richter, der über das Glück anderer entschied. Der Gedanke sickerte plötzlich wie klares Wasser in sein Bewusstsein: Auch nicht über das Glück von Otabek und diesem Mädchen. Selbst wenn es weh tat.

»Also … natürlich ist es schön, dass es für dich in Ordnung ist.« Lilias Lächeln war getränkt in freudiger Erleichterung. »Aber wenn dich etwas stört, dann -«

»Ja, ja, schon gut, man!« Abwehrend riss er die Arme nach oben. »Dann kann ich mit euch reden, ich bin ja nicht blöd! Und jetzt lassen wir diese schmierige Schnulzenparade, ich hab‘ noch was zu tun!« Damit wandte er sich wieder seiner Zimmertür zu. »Gute Nacht!«

Die Antwort wartete er gar nicht erst ab.

Kopfschüttelnd fiel er zurück auf den Stuhl, gähnte einmal kräftig und streckte grinsend seine müden Glieder. Yakov und Lilia mussten erleichtert sein, dass es nun raus war. Es war ja nicht so, als hätte Yuri in den letzten Tagen nichts bemerkt. Es stimmte schon, dass er sich nicht mit Wissen über Liebe und Beziehungen schmücken konnte, aber blind war er nicht. Und er gönnte es den beiden wirklich, sollten sie doch machen was sie wollten.

»Wenn sich doch alles so einfach lösen würde …«

Wie zur Bestätigung hallte plötzlich ein nervtötendes Klingeln durch sein Zimmer. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Wie gut er diesen Ton doch kannte – und seit dem letzten Mal verband er keine positiven Gefühle damit. Der Bildschirm des Laptops leuchtete auf und unten rechts verkündete ein dezentes Blinken, dass jemand versuchte ihn via Skype zu erreichen. Augenblicklich wurde ihm schlecht. Für einen Moment unschlüssig was er tun wollte, saß er wie eine Statue da und starrte ins Leere. Erst als das Klingeln verstummte, kam er wieder zu sich. Benommen ging er zum Fenster, öffnete es und atmete tief durch. Dann schlich er in die Küche, holte sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und ließ sich dann, plötzlich wieder müde und ausgelaugt, auf den Stuhl sinken. Der Anruf war verstummt, doch Otabek blieb online.

Yuris Herz schlug wie wild. Ihm war heiß. Schnell nahm er einen tiefen Zug aus der Flasche, um seine verklebte Kehle zu befeuchten.

»Mach schon, es führt doch eh kein Weg daran vorbei. Bring‘s endlich hinter dich!«

Noch während er Otabek zurückrief, wiederholte er diese Worte wie ein Mantra, versuchte sich selbst Mut zu machen, wo dieser eigentlich schon längst verpufft war. Es dauerte gefühlte Stunden, bis er endlich den Anruf annahm und ihn erlöste – oder ihn noch tiefer ins Verderben riss.

»Yuri.«

Otabek grinste ihn an und ihm wurde schwindelig. Er sah so gut aus, wie er da auf seiner Couch saß, in seinem ausgewaschenem Tanktop und der zerrissenen Jeans. Auf dem Tisch stand eine geöffnete Flasche Bier und seine Lederjacke lag zusammengeknüllt auf der Couch neben ihm. Er wirkte, als wäre er gerade erst zur Tür hereingekommen.

»Hey …«

Gott sei Dank war Yuris Stimme ruhig und schon fast gelassen. Er biss die Zähne zusammen und erwiderte das Lächeln, möglichst ohne das Gesicht dabei zu verziehen. »Na, ‘nen harten Tag gehabt?«

Otabek fuhr sich über das Gesicht und trank aus der Bierflasche. »Das kann man wohl sagen. Mein Trainer ist der Meinung, dass mir ein paar mehr Vierfachsprünge in der Choreografie guttun würden. Mir tut alles weh.«

»Na dann sei froh, dass du nicht arbeiten musst! Aber ich kenn’s. Hab letztens ziemlich abgekackt beim Training und jetzt werd‘ ich richtig hart rangenommen.«

Augenblicklich wurde Otabeks Blick wachsam, er richtete sich auf. »Alles okay?«

Nein, nicht wirklich.

»Joah, ich war nur nicht so ganz bei der Sache.«

»Ist irgendetwas vorgefallen?«

Ach, er machte sich ja keine Vorstellung. Momentan war bei Yuri wirklich eine Menge los.

»Nein, eigentlich nicht.«

»Dann ist es ja gut.« Otabek sah erleichtert aus, Yuri hingegen fühlte sich schlechter als jemals zuvor. Immerhin konnte sein bester Freund nichts für seine Lage und war trotzdem irgendwie schuld daran.

»Ist echt lange her, dass wir mal so richtig miteinander geredet haben.«

Unhörbar seufzte Yuri, bevor er bestätigend mit dem Kopf nickte. »Mhm. Stimmt.«

Das darauffolgende Schweigen zwischen ihnen bewegte sich irgendwo zwischen erleichtert und unangenehm.

»Ich hatte verdammt viel um die Ohren in den letzten Wochen. Es ist eine Menge passiert und -«

Irgendwo hinter ihm krachte es. Ein Geräusch, als hätte jemand Geschirr fallen lassen. Beide zuckten zusammen und Otabek wandte schuldbewusst seinen Kopf nach hinten, dorthin, wo sich, Yuris Erinnerungen nach, die Küche befand. »Alles okay?«

Er klang belustigt, während etwas in Yuris Innerem zu Eis erstarrte. Er war nicht allein in seiner Wohnung. Irgendjemand war bei ihm. Und er brauchte nicht lang zu überlegen, wer es war.

Scheiße!

Aus der Küche kam eine Antwort, durch die Internetverbindung kaum zu hören und dennoch erkannte Yuri sofort eine weibliche Stimme. Es klang verdächtig nach einer peinlich berührten Entschuldigung.

Sie ist hier! Sie ist schon da!

Es zog Yuri den Boden unter den Füßen weg. Bis jetzt war sie nur eine Illusion gewesen, lediglich existent in Form von Instagram-Selfies. Bis jetzt hatte Yuri sie immer irgendwie … ausblenden können. Sie nun aber in seiner Nähe zu wissen und sie sogar gehört zu haben, machte sie unverhofft erschütternd real und greifbar. Und es schmerzte. Eine heiße Kluft schien seine Brust zu spalten und Panik verteilte ihre Lava in seinen Blutgefäßen. Er war auf alles vorbereitet gewesen, jedenfalls halbwegs – aber darauf nicht.

Otabek erwiderte nur ein knappes »Dann ist ja gut« und wandte sich wieder dem Gespräch zu. »Sorry dafür. Aber jetzt ist die Katze ja eh aus dem Sack. Ich wollte eigentlich sagen, dass ich nicht mehr alleine wohne, aber sie hat sich gerade eben schon von selbst vorgestellt.«

Yuri erwiderte nichts. Er starrte einfach nur auf den Bildschirm.

Falls Otabek etwas mitbekam, sagte er nichts dazu. Stattdessen wandte er den Kopf wieder nach hinten. »Lina, kommst du mal kurz zu mir?«

Lina.

Machtlos beobachtete Yuri, wie eine schlanke Gestalt zögerlich das Wohnzimmer betrat, in den Händen Feger und Schippe. Scheinbar war sie gerade dabei gewesen, die verursachte Unordnung zu beseitigen. Diese stellte sie nun beiseite, bevor sie sich von hinten über die Lehne der Couch beugte und einen schüchternen Blick in die Kamera warf.

Sie ist es.

Yuri erkannte sie sofort, obwohl sie doch irgendwie anders aussah. Erwachsener und reifer, als man von ihren Bildern schließen konnte.

»Wird Zeit, dass ich euch mal vorstelle. Das ist Yuri, mein bester Freund.«

Sofort erhellte Neugierde ihren Blick. Sie lehnte sich noch weiter nach vorn und legte, wie nebenbei, ihre Hände auf Otabeks Schultern ab. Ihre Augen waren in Wahrheit größer, das Haar, lang und glänzend, fiel ihr geschmeidig bis zur Taille. Ihr Lächeln war seltsam einnehmend – vielleicht auch, weil es ein ehrliches war.

»Hey, Yuri! Ich wusste gar nicht, dass ihr heute verabredet wart! Das freut mich jetzt aber, nachdem Beka schon so viel von dir erzählt hat!«

Sie klang nett, obwohl sie ihn Beka nannte. Vor seinen Augen flimmerte es.

»Äh … Hi …«

Er hob eine Hand zum Gruß und klopfte sich im Stillen auf die Schulter, dass er überhaupt einen Ton hervorbrachte. Er konnte nur hoffen, dass man ihm seinen Schock nicht an den zitternden Fingern ablesen konnte.

»Ist ja schön, dich mal „live“ zu sehen, statt immer nur auf Fotos!« Ein Lachen, glockenhell und klar, wie ihre Stimme. Sie schien gerne viel zu reden. »Vielleicht kommst du Beka mal wieder besuchen, dann können wir uns mal richtig kennen lernen!«

Ihre Zähne blitzten in der künstlichen Beleuchtung des Bildschirmes. »Das wäre wirklich toll.«

Seine herausgewürgte Erwiderung bog seine Mundwinkel unnatürlich weit nach oben. So ähnlich fühlte er sich immer, wenn sein bescheuerter Fanclub, die Yuris-Angels, ihn zu Selfies zwangen. Oder wenn JJ seinen gewünschten Abstand von zwanzig Metern durchbrach. Nur – das hier, das war schlimmer. Das Schlimmste überhaupt. Er wollte weg. Nur weg.

Du musst ihr antworten!

»Ja, das … Toll.« Seine Stimme klang trockener, als ein Eimer Sand.

Dieser Tag würde wohl in die Geschichte des unangenehmen Schweigens eingehen. Die beiden sahen ihn an, als schienen sie genau zu wissen, was in ihm vorging. Schweiß glitt mit kalten Fingern über seinen Rücken, als er unruhig auf dem Stuhl herumrutschte.

»Oh, sorry.« Sie ließ von Otabeks Schultern ab und richtete sich auf. »Ich wollte gar nicht so drauf los reden, entschuldige. Ich lass euch mal wieder. Aber hat mich gefreut!«

Die Erwiderung blieb Yuri im Halse stecken. Erneut lächelte sie ihn so furchtbar ehrlich an, bevor sie wieder in der Küche und aus seinem Blickfeld verschwand.

Otabeks Blick ruhte noch immer auf ihm, mit diesem abschätzenden Ausdruck, wenn er Situationen analysierte.

Okay, von einer Skala von hundert bis tausend: Wie sehr hatte er es versaut?

»Du siehst überrumpelt aus. Das war wohl ein bisschen taktlos von uns.«

Ertappt riss Yuri die Arme nach oben, überspielte mit wedelnden Händen die Tatsache, dass ihr Auftauchen ihn mehr als nur ein wenig aus dem Konzept gebracht hatte. »Neee, schon gut! Alles cool!« Seine Stimme überschlug sich ein wenig zu sehr, um nicht verdächtig zu wirken. Überstürzt plapperte er einfach weiter. »Das ist nicht die erste frohe Botschaft heute! Mich schockt gar nichts mehr!« Schnell griff er zu seiner Wasserflasche, um endlich das unangemessene Herumgefuchtel zu unterbinden.

»Aha. Was gibt’s denn sonst so für tolle Neuigkeiten? Wollen Nikiforov und Katsuki endlich heiraten?« Oabeks Augenbraue zuckte, vermutlich amüsierte er sich darüber, wusste er doch ganz genau wie begeistert Yuri davon wäre.

Yuri verzog das Gesicht bei dem bloßen Gedanken daran, schüttelte den Kopf und trank, nur um etwas zu tun. Mit Erleichterung stellte er fest, dass er sich tatsächlich ein wenig beruhigte. Das Adrenalin schäumte nicht mehr in seinem Magen und seine Finger schlossen den Deckel der Flasche überraschend ruhig. Er wollte es nicht darauf schieben, dass sich dieses Mädchen nicht mehr im Wohnzimmer aufhielt, aber insgeheim wusste er es doch besser.

»Ne, hau mir ab damit. Die planen das wirklich schon.« Er schnaufte. »Ich hab ‘ne viel bessere Nachricht. Meine Trainer sind der Meinung einen auf Romanze zu machen und wieder miteinander gehen zu müssen.«

Otabek pfiff überrascht durch die Zähne. »Nicht schlecht.«

»Ja, wirklich ganz toll. Ich hab‘ totale Lust, die beiden beim Knutschen zu beobachten.« Allein die Vorstellung schüttelte ihn. »Hab ja nicht schon genug Kitsch um mich herum.«

Und IN mir, wenn ich an dich denke.

»Victor und das Schweinchen reichen ja nicht, jetzt müssen Yakov und Lilia auch noch damit ankommen. Selbst Georgi sülzt seit ‘ner Woche alles und jeden wegen seiner neuen Ische zu und verteilt den Schmalz in der ganzen Eishalle. Vielen Dank auch …«

»Ach, jetzt zier dich nicht so.« Otabek schmunzelte und war natürlich die personifizierte Gelassenheit, die das alles selbstverständlich gar nicht so furchtbar fand. »Lass sie doch und freu dich für sie mit. Liebe kann echt was Schönes sein.«

Es klang wie die Bestätigung aller seiner bösen Vorahnungen. Und es schmerzte Yuri, als er den passenden Moment erkannte, um auf das eigentliche Thema zurück zu lenken. Sich wappnend richtete er sich auf, versuchte so ausgeglichen wie möglich zu klingen und vielleicht noch eine Prise Neugierde in seine Stimme zu packen.

Tief durchatmen.

»Ja, ich merk schon. Du kannst da jetzt ja auch ein Liedchen davon singen, was?«

Oh Gott, es fühlte sich so falsch an. Ohne, dass Otabek es mitbekam, knibbelte er unter dem Tisch an seinen Fingernägeln.

»Hm.« Seine braunen Augen durchbohrten ihn, doch anstatt Offenbarung fand Yuri darin nur … Verwirrung. »Wovon redest du genau?«

Konsterniert zog Yuri die Brauen zusammen. Wie jetzt?

»Naaaaaja, also – ähm.« In der Hoffnung, dass Otabek den Wink verstand, hob er sein Kinn und machte eine unwirsche Bewegung in Richtung der Küche, wo sie sich vermutlich noch aufhielt. »Lina.« Der Name hinterließ einen modrigen Geschmack auf seiner Zunge, aber er redete weiter. »Ich meine, ich dachte, äh, naja, dass sie … und du …«

Jetzt hielt er doch inne. Er brachte den alles entscheidenden Satz nicht über die Lippen. War Otabek wirklich so schwer von Begriff?

Anscheinend ja, denn für einige Sekunde schwebte Ratlosigkeit zwischen ihnen – bis sich Otabeks Wangen plötzlich blähten und der Versuch sein Lachen zurückzuhalten jämmerlich scheiterte. Es brach so plötzlich aus ihm hervor, dass Yuri einen erschrockenen Satz nach hinten tat. Seine Schultern bebten, er prustete erst, doch dann konnte er nicht mehr an sich halten und warf den Kopf in den Nacken. Das tiefe Timbre vibrierte in Yuris Brust, es klang dunkel und grollend und barg all das Kindliche, das Otabek sonst mit Bravour unterdrückte. Ein Lachen, dass man im Normalfall sofort erwiderte, doch diese Situation war eben alles andere, als normal. Hitze schoss ihm in die Wangen und völlig hilflos konnte er nur abwarten, bis er sich wieder fing, während er nun selbst das Gefühl hatte, absolut und komplett verrückt zu werden. Was sollte das?

Im Licht der Küche nahm er eine Bewegung wahr. Lina beugte sich nach hinten und sah zu ihnen, die Augenbrauen skeptisch verzogen.

»Gott, Hilfe …« Endlich schien sein bester Freund sich zu besinnen und wieder ansprechbar zu werden – auch wenn seine Brust noch immer vibrierte und Tränen in seinen Augenwinkeln standen. »Bitte nicht! Ich glaube, da hast du etwas völlig falsch verstanden, Yuri.«

Falsch. Er verstand überhaupt nichts mehr und mittlerweile war er so durch den Wind, dass er für einen Moment seine Missgunst Lina gegenüber abwarf und in ihren braunen Augen nach Hilfe suchte.

Ihre braunen Augen.

Plötzlich regte sich etwas in ihm. Ein Gefühl, als würde eine riesige imaginäre Hand mit rasender Geschwindigkeit gegen seine Stirn prallen. Eine riesige Hand aus Stein.

Wahrscheinlich hörte man den Groschen sogar in Kasachstan fallen.

Nicht Otabek war schwer von Begriff.

Sondern Yuri selbst.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, ihr habt es geschafft.
Wahrscheinlich ist Linas Identität für euch jetzt ganz klar.
Die Endgültige Auflösung kommt im nächsten Kapitel.

Eine Deadline möchte ich nur sehr ungern setzen, weil ich mich die letzten Male schon kaum daran gehalten habe. Aber ich bin wieder sehr motiviert und werde natürlich versuchen wieder regelmäßig ein neues Kapitel zu schaffen.

Danke für eure Treue. ♥
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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Maravillosa
2019-03-07T17:48:48+00:00 07.03.2019 18:48
Hallo :-)
Ich liebe deine Geschichte!! Und Yurio! :-D
Habe sie jetzt zum zweiten Mal gelesen und warte dringend auf ein neues Kapitel ;-) (aber no pressure und so :-P)
Du schreibst so anschaulich und Yurios Gefühle kann man immer so gut nachvollziehen... der arme Kerl hat ja ganz schön viele davon!
Bin sooooo gespannt wie der VideoChat weiter geht :-D
Viele Grüße!
Von:  Lucianah
2019-02-16T10:26:42+00:00 16.02.2019 11:26
Hallöchen! ^-^

Juhu, es geht weiter! Wie sehr ich mich doch freue. ^o^

Oh mein Gott, ich werde in einem Vorwort. Da werde ich ja glatt rot. ^///^ Wenn mir eine Geschichte besonders gut gefällt, dann hat sie auch einen Kommentar verdient. Doch über die Länge ich selber erstaunt. xD Okay, dann wollen wir mal starten! Also...

Endlich steht der lang ehrsehnte Videochat an. Ich glaube, ich war fast genauso aufgeregt, wie Yuri. ^^" Doch du hast es ja meisterhaft verstanden, den Anruf nach hinten zu schieben. Und zu schieben und zu schieben und zu schieben. Voll fies. So viele Dinge, die vorher noch passiert sind. Ich wurde beinah schon verrückt, weil ich endlich wissen wollte, was Otabek nun zu sagen hat. So gemein von dir! xD

Der Besuch bei der PC-Reparatur war - zumindest für mich, bestimmt nicht für Yuri - witzig. Ich kann mir nur zu gut den skeptischen Blick von dem Angestellten vorstellen, gemäß dem Motto "Wat hat er denn gemacht? o.O". Und Sachen auf die lange Bank zu schieben, kann ich genauso gut. Erst nimmt man sich vor, etwas ganz schnell zu erledigen und dann ziehen die Tage an einem vorüber. Ich verstehe dich, Yuri.
Und dann diese Illusion, die sich im Kopf des Kleinen ausgebreitet hat. ^o^ Wie süß. Sieht seine große Liebe in jedem Gesicht, klassische Szene für einen Liebesfilm, sehr schön. ^^ Und seine eigene Reaktion "Alter, spinnst du völlig?", genial! xD

Die Szene im Bus war auch überaus amüsant. ^o^ Sein Opa hat sich tatsächlich ein Smartphone gekauft, um mit ihm in Kontakt zu bleiben und kämpft sich durch die Technik. Meine Großeltern haben zwar kein Smartphone, aber ich kann mich nur zu gut daran erinnern, als mir meine Mama - vor Urzeiten - ihre erste SMS geschickt hatte. Sie hatte mir zum Geburtstag gratuliert und gefühlt den ganzen Abend für ein paar Wörter gebraucht. Wie sie geschimpft hat, wurde mir berichtet. ^^ Von daher kann ich mir sehr gut vorstellen, wie sich der alte Mann quält, aber ich bin stolz auf ihn. ^^b Und klar, erst mal den Opa mit Bildern erschlagen. xD

Zurück in der Wohnung, dachte ich natürlich, dass das Gespräch nicht mehr fern ist. Von wegen! xD Aber irgendwie ist es auch schön zu lesen, dass sich Yuri mit "seiner Situation" auseinandersetzt und herausfindet, dass das gar nicht "schlimm" ist, was und wie er empfindet. Ich finde deine Beschreibung zum Schluss sehr schön. ^^ Der Berg ist flacher und die Klippen weniger steil. Sehr poetisch ausgedrückt. ^^

Yakov und Lilia, da hätte mich ja wegwerfen können vor Lachen. ^o^ Erwischt, als wären sie Jugendliche, die von ihrem ersten Date kommen. So süß. Mir gefällt Yakovs Reaktion, er ist so schön bissig, weil es ihm irgendwie doch peinlich ist und Yuri scheint es äußerst Spaß zu machen, ihn zu ärgern. Richtig so, Junge! Können die Herrschaft mal sehen, wie das so ist! xD Lilia hingegen blieb wieder einmal ruhig und sachlich. Yuri freut sich für die beiden, womit wir dann mal wieder beim Ausgangspunkt sind: Er hat eingesehen, dass er in seinen besten Freund verliebt ist und zwingt sich dazu, sein Glück hinten anzustellen und sich auch für ihn und seine Beziehung zu freuen. Dieser Gedanke zieht nicht nur ihn jedes mal runter. -.- Du beschreibst seine Gefühlswelt immer so lebensnah, da muss man einfach mit ihm mitfühlen. T^T

Und endlich ist es soweit!! Der Videochat! O.O
Beim ersten Anruf dachte ich auch: Herrgott, nimm doch endlich ab, dass kann doch nicht so schwer sein! >.< Ich kann ja nachvollziehen, dass es ihm schlecht geht, aber hey, ich bin egoistisch, ich will wissen, was nun Sache ist. xD
Der Beginn ihres Gespräches ist ja recht unverfänglich und dann geht etwas zu Bruch... Äh... o.O Wort wörtlich. Wie, Lina ist in seiner Wohnung? Und Otabek kann mit ihr im Hintergrund einfach seelenruhig erzählen? Häh?? Ò.Ó Yuri ist vor Angst erstarrt und ich war empört. Ja, ja... ^^" Und dann gehen die auch noch so vertraut miteinander um, ist ja kein Wunder, dass der Kleine fast am durchdrehen ist. Ehrlich gesagt war ich erstaunt, dass nicht auch der geliehene Laptop zu Bruch ging oder er wieder auflegt. ^^" Insgeheim hatte ich mit so einer Wendung gerechnet, nur, damit du deine Leser weiter foltern kannst vor Spannung. xD
Jedenfalls... Ich hätte auch nicht gewusst, wie ich reagiert hätte, wenn dieses Mädel plötzlich in der Kamera auftaucht und dann auch noch so nett und freundlich ist und eben raus ist, dass sie bei Otabek wohnt. Wäre wohl genauso sprachlos gewesen...
Und dann kommen wir zum entscheidenden Punkt in diesem Kapitel! O.O Mit Spannung bin ich durch die letzten Zeilen geflogen und dann... "Wahrscheinlich hörte man den Groschen sogar in Kasachstan fallen." ^o^ Genial, wirklich genial diese Formulierung. xD Jetzt weiß man zwar immer noch nicht, wer genau Lina ist (im Sinne eines wohl verwandtschaftlichen Verhältnisses), aber sie ist nicht - NICHT! - Otabeks Freundin. Gottseidank. u.u Auch wenn das schön wieder eine voll fiese Stelle ist, um aufzuhören. Du bist so gemein! xD

Insgesamt möchte ich dir wieder ein großes Lob für deine Arbeit aussprechen. Du hast es erneut geschafft, den Leser durch Yuris Gefühlswelt zu ziehen und einen mit fiebern zu lassen. Ich war froh zu lesen, dass du diese Geschichte nicht abbrichst. Wenn sehr lange nichts neues hochgeladen wird, ist diese Befürchtung immer sehr groß und sehr schade. Natürlich ist es genauso verständlich, dass sich das Leben nicht nur ums Schreiben dreht, sondern man auch andere Dinge machen möchte. Trotzdem würde ich mich riesig freuen, wenn es bald wieder etwas von dir zu hören und lesen gibt. ^-^ Ich wünsche dir ein schönes Wochenende und viel Sonnenschein.

Liebe Grüße! ^o^
Von:  Renesmee25
2019-02-02T17:01:32+00:00 02.02.2019 18:01
Schön das du wieder da bist.
Es war wieder ein tolles Kapitel. Ich hab total mit gefiebert.
Nur weiter so. Bin schon auf das nächste Kapitel gespannt.
Von:  Lexischlumpf183
2019-02-02T12:34:57+00:00 02.02.2019 13:34
Uf, ich hatte das schlimmste für Yurio befürchtet 😵 aber nu kann es glücklich weitergehen ( hoffentlich 😨 )
Von:  Seredhiel
2019-02-02T11:55:38+00:00 02.02.2019 12:55
*freut sich über ein neues Kapitel*
Hallo liebe Gmork,
schön was von dir zu lesen *Kekssteller abstell*

Ich liebe deinen Yuri so sehr *kichert* er ist und bleibt einfach zu genial und diese Gefühle, die du aufzeigst einfach hammer.
wtf O.O Yakov und Lilia probieren es nochmal zusammen O.O geile Reaktion von Yuri *weglacht* einfach herrlich :D

oh gott... Yuri du darfst doch kein Angshase sein, Ota will dir sicher nichts böses xD
oh man XD hoffe der Groschen ist wirklich hörbar überall gefallen *weglacht*
armer Yuri *pat pat* aber sowas passiert nun mal, wenn man nicht nachfragt >.<

Ich bin mir sicher Lina ist eine Verwandte von Ota, die bei ihm unterkommt *kichert*

bin gespannt wie es da weiterläuft *Kekse knabbert und noch ein paar da lass*

P.S. setzt dich selbst nicht unter Druck, dann klappt alles auch super, und ich warte auch mal länger, wenn die Kapitel so toll werden ^-^ *großen Kakao reich und Teekanne für später*


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