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»Steig auf!«

[ Otayuri ]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hey, ihr Sweeties! Da bin ich wieder ♥
Ist ja schon wieder reichlich spät geworden. Hab momentan viel zu tun, die Arbeit ist stressig und mein Geburtstag steht vor der Tür. Aber ich hab mich angestrengt und ein neues Kapitel für euch gezaubert, ich hoffe es gefällt euch.
Vielen Dank für das regelmäßige Feedback und die neuen Favos. Ihr ermutigt mich, diese FF nicht wie all die anderen enden zu lassen - unvollständig. Vielen Dank dafür.
Viel Spaß nun beim Lesen ♥
Anni Komplett anzeigen

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Teil neun: »Worst Case«

Als er in der Badewanne lag und das warme Wasser seine angespannten Muskeln lockerte; als er lautlos seufzend den Kopf in den Nacken legte und ihn die Stille im Raum umarmte; als der letzte Schmerz hinter seiner Stirn endgültig verflog, da erkannte er, dass manchmal die kleinen und trivialen Dinge viel zu wenig geschätzt wurden. Selten hatte er so entspannt im Wasser gelegen, dabei war es nicht einmal aus einem vergoldeten Hahn gekommen.

Leider war dies nur die Ruhe vor dem Sturm. Dieses Bad, seinen heute wohl einzigen privaten Moment, musste er opfern, um seine Nerven für den letzten Akt des Tages zu straffen: Das Abendessen zur Feier seiner Goldmedaille. Für Yuri gab es keinen Grund zur Freude, denn Victor und sein Katsudon waren ebenfalls geladene Gäste. Und wenn es nach Yuri gegangen wäre, hätten sie gleich in ihre eigenen vier Wände abhauen können. Das Tuscheln hinter vorgehaltener Hand, das gedämpfte Kichern und diese rein zufälligen Erwähnungen von Otabeks Namen, mit denen er sofort vielsagende Blicke erntete - all das hatte den Flug zur Tortur werden lassen. Für heute hatte er die Schnauze gestrichen voll davon, insbesondere von Victor selbst. Dennoch wusste er, dass kein Weg daran vorbeiführte – auch nicht an weiteren Kommentaren dieser Art.

Murrend sank er tiefer ins Wasser, die Nase nur noch knapp über der Oberfläche. Er verharrte mit geschlossenen Augen. Die Zeit verrann mit jedem losen Tropfen aus dem Wasserhahn. Es fühlte sich gut an. Nach all den Tagen voller Hektik schien sein Körper das gebraucht zu haben – bis ihn ein lautes Surren hochfahren ließ. Es kam aus seiner Jacke, die er unordentlich auf den Boden befördert hatte. Als versuchte sein Smartphone ihn zu erinnern, dass er jemandem noch eine Antwort schuldig war. Plötzlich tat ihm die Stille nicht mehr gut.

Er tauchte ab und durchbrach die Oberfläche erst wieder, als schwarze Punkte vor seinen Augen flimmerten.

 

Dezente Musik, Gläserklirren, warmes Licht. Mit ein wenig mehr Appetit hätte ihm das Essen wahrscheinlich geschmeckt. So stocherte er trotz seines Hungers nur darin herum und lauschte dem losen Geplänkel am Tisch. Alles drehte sich um die Vier-Kontinente-Meisterschaften und die Küren der Läufer.

»… mit Otabek im Hotelzimmer verschwunden! Sturzbesoffen!«

Fast alles. Die Sprite in seinem Mund ließ sich nur sehr schwer schlucken. Musste der wirklich immer wieder damit anfangen? Ausgerechnet vor Yakov und Lilia? Wie langweilig war ihm eigentlich? Anscheinend war das letzte Glas Wein vorhin ein wenig zu voll gewesen. Er warf ihm einen überaus finsteren Blick zu und knallte die Gabel auf den Teller.

»Yuuri hats auch gesehen! Stimmts, Yuuri?« Immerhin wusste sich das Katsudon zu benehmen, denn er nahm Victor das Glas aus der Hand und grinste dämlich entschuldigend, die Wangen hochrot.

»Naja, ist doch aber sehr nett von Otabek, dass er ihn auf sein Zimmer gebracht hat.«

»Noch viel netter wäre es gewesen, wenn er ein wenig besser auf Yuri aufgepasst hätte.« Yakovs Stimme zerschnitt Yuris Trommelfell wie Rasierklingen. Im Gegensatz zu Victor und dem Schweinchen schienen Lilia und er sich darüber nicht im Geringsten zu amüsieren. Schon während der Rückreise war ihm ihr Missfallen über den Ausgang des letzten Abends aufgefallen. Wobei er sich nicht zu hundert Prozent sicher war, worüber sie sich eigentlich genau ärgerten: Über sein ungewolltes Besäufnis oder über Otabek. Er hoffte ersteres. Bei dem Gedanken, dass sie Otabek nicht mögen könnten, brach ihm der kalte Schweiß aus und zog die Wut gleich hinter sich her.

Schon machte er Anstalten aufzustehen, warf dabei beinahe den Stuhl um.

»Wo willst du hin?«

Allein die Tatsache, dass Lilia diese Frage stellte, ließ ihn ruhig antworten. »… Ich bin … satt.« Nur mit zusammengepressten Zähnen brachte er überhaupt etwas hervor. Doch satt war der falsche Ausdruck. Genervt, angekotzt, verdrossen – das traf es schon viel eher. Die Entspannung, während er in der Badewanne lag, hatte sich längst aus dem Staub gemacht.

»Dann geh.«

Ihre Worte waren Erlösung und Schmach zugleich. Sie trieben ihm Schamesröte ins Gesicht. Es dauerte keine fünf Sekunden, bis er den weiträumigen Flur durchquert und die Zimmertür hinter sich zugezogen hatte. Schnaufend lehnte er sich gegen das schwere Holz und verbarg seine zitternden Hände vor sich selbst hinter dem Rücken. Mit hängenden Kopf stand er da, die Augen zusammengekniffen.

»Scheiße!«

Wütend kickte er seinen Rucksack in die nächste Ecke – und ein schlechtes Gewissen durchfuhr ihn, als er realisierte, dass er den noch immer daran befestigten Helm gleich mit weggeschleudert hatte. Sein Aufprall knallte zwischen seinen Ohren, wie ein Peitschenhieb. Schnell kniete er sich hin und nahm ihn in die Hände, drehte ihn hin und her, fuhr über den Aufkleber. Nichts kaputt. Er atmete auf, ohne sich besser zu fühlen. Vorsichtig löste er den Helm vom Rucksack, ging zu seinem Schreibtisch und platzierte ihn auf dem Regal darüber, ließ sich dann auf den Stuhl fallen und warf den Kopf in den Nacken. Potya sprang auf seinen Schoß, offenbar nicht im Geringsten von seinem Wutausbruch beeindruckt. Schnurrend rollte er sich zusammen, steifte mit seinem Schweif Yuris Handgelenk. Abwesend kraulte er ihn hinter den Ohren. Seine Nähe tat gut und beruhigte ihn.

»Ich muss ihm zurückschreiben … oder?« Potya sah ihn nur mit großen Augen an. Es war ihm Antwort genug, also griff er in die Tasche seiner Jacke, die er vorhin über die Lehne seines Stuhls geworfen hatte und angelte sein Smartphone heraus.

 

Otabek Altin – 05.03 13:21

»Ganz schön ruhig in meiner Wohnung.«

 

Otabek Altin – 05.03 17:58

»Ich hoffe du hattest einen guten Flug.«

 

»Pah, wenn du wüsstest!« Der Frust in seiner Stimme schäumte über. Aber so wie es momentan aussah, war der Flug tatsächlich noch am angenehmsten gewesen. Das Essen hätte furchtbarer nicht laufen können und an das anrollende Donnerwetter von Yakov und Lilia wollte er gar nicht erst denken. Doch egal, was sie sagen würden: Yuri dachte nicht im Traum daran, sich für irgendetwas zu rechtfertigen. Nicht für seinen Ausrutscher beim Bankett und schon gar nicht für seine Freundschaft zu Otabek. Denn auch, wenn sie es nicht ausgesprochen hatten, stand es ihnen doch ins Gesicht geschrieben: Sie mochten ihn nicht. Und dieser Gedanke tat weh. Wütend ballte er seine Hand zur Faust. Mit Victor, diesem Vollidioten, würde er auch noch ein ernstes Wörtchen sprechen. Doch vorher hatte er noch ein paar freundschaftliche Pflichten zu erfüllen. Sein Daumen schwebte über der Tastatur.

 

Yuri Plisetsky – 05.03 20:23

»Der Flug war beschissen! Alle haben mich die ganze Zeit vollgenölt -.- Und ich werd noch richtig Ärger von Yakov und Lilia kriegen, weil ich einen sitzen hatte«

 

Otabek Altin – 05.03 20:24

»Klingt übel. Ich drück die Daumen, dass sie dich heile lassen.«

 

Yuri Plisetsky – 05.03 20:24

»Wahrscheinlich drücken sie mir Hausarrest auf oder drehen mir das Internet ab! Blöde Arschgeigen!«

 

Otabek Altin – 05.03. 20:26

»Entspann dich. Auch das wirst du überleben.«

 

Das sagte er so leicht. Wenn sie ihm das Internet abdrehten – und das taten sie mit Vorliebe in solchen Situationen – wie würde er dann noch mit Otabek schreiben können, ohne horrende Gebühren zu zahlen? Wo nahm der nur immer diese Gelassenheit her? Sein Smartphone vibrierte erneut.

 

Otabek Altin – 05.03. 20:29

»Hier, vielleicht lenkt dich das ab.«

 

Im Anhang war ein Bild. Kurz zögerte er, sich fragend, was ihn denn jetzt bitte ablenken könnte. Aber er öffnete es und blickte auf einen kleinen weißen Zettel, auf dem unter einem Link noch irgendwelche Zahlen standen. Schnaubend las er eine weitere Nachricht.

 

Otabek Altin – 05.03 20:29

»Das ist der Downloadcode für die Platte, die du so mochtest. Ich brauche ihn nicht und du musst dich nicht strafbar machen.«

 

»Oh wow. Das rettet mir gerade den Abend!«

Schnell klappte er seinen Laptop auf und fuhr ihn hoch. Ungeduldig tippelte er mit dem Fuß, nur das leise arbeitende Rauschen erfüllte den Raum. Endlich war er startbereit. Sofort öffnete Yuri den Browser, tippte erst den Link und dann den Code ein. Zufrieden sah er kurz beim Download zu, schrieb dann eine Antwort.

 

Yuri Plisetsky – 05.03 20:34

»Alter, fett! Danke! Habs instant runtergeladen und ziehs mir gleich auf mein Phone! :O«

 

Otabek Altin – 05.03 20:35

»Gern geschehen. Manchmal hilft nur Musik, wenn man schlecht drauf ist.«

 

Er hatte Recht. Entschlossen startete er das Album, sobald der Download beendet war. Kaum hörte er die ersten Riffs, entspannten sich seine Schultern. Er schloss die Augen und lauschte den ersten zwei Songs voller Genuss.

 

Yuri Plisetsky – 05.03 20:43

»Mir geht’s besser! Danke! Das hab ich gerade echt gebraucht«

 

Otabek Altin – 05.03 20:44

»Immer zur Stelle. ;)«

 

Seine Brust schnürte sich augenblicklich wieder zusammen. »Schön wärs, wenn du immer zur Stelle sein könntest. Aber du hockst in Kasachstan … und ich in Sankt Petersburg.« Das wenige hereingezwungene Essen verursachte ein stumpfes Gefühl in seinem Bauch. Obwohl er sich freute wieder in seinen privaten vier Wänden und bei Potya zu sein, fühlte er eine große Unzufriedenheit in seinem Inneren. Als hätte eine Zeit begonnen, die es nun abzusitzen galt. Das Gefühl hier zu sein, nicht weil er es wollte, sondern weil er musste. Ähnlich wie die Pflicht zur Schule zu gehen. Er tat es, aber gleichzeitig hoffte er, dass es schnell zu Ende ging. Nur, wie lange würde er jetzt warten müssen? Und auf was?

Schwer atmend warf er sich aufs Bett. Freundschaft war wirklich kompliziert. Entfernung konnte ihn mal und Zeit war ein Arschloch. Würde es immer sein. Sein Lieblingslied der Platte stimmte an. Obwohl er im Flugzeug ein wenig geschlafen hatte, fühlte er sich schrecklich müde. Es war diese Art von Müdigkeit, die sich wie eine kalte Hand um sein Inneres schloss. Er wollte zurück.

 

Yuri Plisetsky – 05.03 20:48

»Ich glaub ich geh schlafen. War ein komischer Tag heute«

 

Otabeks Antwort ließ auf sich warten. Das Album klang aus, wurde von Stille abgelöst. Kraftlos schälte er sich aus seiner Kleidung, stand auf und löschte das Licht im Zimmer, bevor er zu seinem Bett zurückkehrte und sich unter der Decke verkroch. Potya kam lautlos zu ihm und schmiegte sich in der Dunkelheit an sein Gesicht. Trotz seiner schweren Lider fand er keinen Schlaf, dämmerte eher vor sich hin. Leise drangen die Stimmen der anderen durch die geschlossene Zimmertür. Die ach so nette Runde verabschiedete sich voneinander. Eine Tür schloss sich leise, Schritte entfernten sich und Ruhe kehrte ein. Yuris Smartphone vibrierte und riss ihn aus seiner Schwebe.

 

Otabek Altin – 05.03 21:32

»Dann gute Erholung. Du machst das schon, zehn Minuten zu Kreuze kriechen und dann beruhigen die sich schon wieder. Und wenn nicht komm ich mal vorbei und spreche ein Machtwort.«

 

Otabek Altin – 05.03. 21:32

»;)«

 

»Hmpf. Idiot. Sowas Kitschiges schreibt man doch nicht!« Er starrte den Smiley an und versuchte das Kribbeln seiner Eingeweide zu verdrängen. Auch wenn er vor sich selbst so tat, als ließe er keines seiner Worte an sich heran, hatte er genau das doch irgendwie gebraucht. Jemandem mit positiver Energie, der ihm sagte, dass alles schon irgendwie gut werden würde. Einen Freund. Einen besten Freund. Er schmunzelte in sein riesiges Kissen und rückte es so zurecht, dass er es eher umarmte, als seinen Kopf darauf zu betten. Seine Arme und Beine schlangen sich um den weichen Stoff, während er das Gesicht in einer Ecke vergrub, als wäre es eine starke Schulter, die ihm Schutz spendete.

 

Nach einer halbwegs erholsamen Nacht und einer heißen Dusche am frühen Morgen fühlte er sich direkt besser. Er saß mit Yakov und Lilia beim Frühstück, seine Haare waren noch nass, ein Handtuch lag um seine Schultern. Normalerweise duldete Lilia einen derartigen Aufzug am Esstisch nicht, allerdings kam heute keine Anweisung, dass er sich gefälligst umzuziehen hatte. Genauer gesagt … kam gar nichts. Yuri hatte den Shitstorm seines Lebens erwartet, doch sie gingen normal mit ihm um, freundlich, reichten ihm Brötchen, wenn er fragte und verlangten im Gegenzug Marmelade. So wie immer, als wäre niemals etwas vorgefallen. Er stutzte darüber nicht nur, es irritierte ihn regelrecht. Eine Viertelstunde lang rutschte er unruhig auf dem Stuhl herum, bis er das kaum angerührte Brötchen auf den Teller fallen ließ und den Blick hob.

»Was soll dieser Käse eigentlich?«

Lila sah von ihrer Kaffeetasse auf, während Yakov die Zeitung sinken ließ. Keiner erwiderte etwas, aber immerhin stand er nun im Scheinwerferlicht ihrer Aufmerksamkeit. »Was zieht ihr hier für ‘ne Nummer ab? Häh? Wo bleibt mein Anschiss?«

Sie warfen sich gegenseitig einen Blick zu, als hätte Yuri irgendeine Erwartung erfüllt, bis Yakov das Wort ergriff.

»Wir wollten sehen, ob du den Mist, den du gebaut hast, von alleine zugibst.«

Yuri schnaubte. Meinten die das ernst? »Sowas Bescheuertes! Und was, wenn ich gar nix mehr dazu gesagt hätte?«

»Das hättest du niemals ausgehalten. Der Beweis dafür hat keine zwanzig Minuten auf sich warten lassen.«

»Hmpf.« Ertappt verschränkte er die Arme. Manchmal unterschätzte er, wie gut Yakov – und auch Lilia – ihn mittlerweile kannten. Wahrscheinlich war diese Idee auf ihrem Mist gewachsen. Yakov hätte ihn schon am selben Abend noch zur Sau gemacht. Er hätte es wissen müssen.

»Also?«

Beide sahen ihn gespannt an. Yuris Finger verknoteten sich, sein Blick senkte sich auf den Teller. Wie sehr er solche Momente hasste. Otabeks Begriff zu Kreuze kriechen traf es ziemlich genau. Jedoch interessierte ihn nicht, was sie von seinem Patzer hielten, viel mehr wollte er Otabek wieder in das Licht rücken, dass ihm zustand. Um jeden Preis.

»Es ist wirklich seltsam, dass einem Yuri Plisetsky tatsächlich die Worte fehlen.« Lilias Stimme jagte Schauder durch ihn hindurch. Er ballte eine Hand zur Faust, bevor es aus ihm herausplatzte.

»Es geht mir am Arsch vorbei, was ihr von meiner Aktion denkt! Ich hab Scheiße gebaut und stehe dazu, aber ich würds immer wieder so machen! Brummt mir Hausarrest auf, dreht mir das Internet ab, macht was ihr wollt! Es kümmert mich nicht die Bohne! Aber –« Verlegen strich er sich eine Strähne hinters Ohr, zwirbelte sie. Es beruhigte ihn. »­verbietet mir nicht den Kontakt zu Otabek.«

Yakovs eckiger Unterkiefer mahlte. Yuri erkannte daran, dass seine offensichtlich aufgesetzte Gelassenheit langsam verschwand. Doch irgendwas in Lilias Blick ließ ihn nicht explodieren. »Er hat versprochen auf dich aufzupassen!« Seine Stimme knirschte in Yuris Ohren, doch er hielt stramm dagegen.

»Hat er doch auch getan!«

»Dabei zuzusehen wie du dich volllaufen lässt und das auszunutzen ist nicht auf dich aufpassen!«

Yuri hörte zwischen den Zeilen einen Vorwurf, der sein Gesicht in Flammen aufgehen ließ. Yakovs und Lilias Interpretation schien noch viel delikater zu sein, als die von Victor. Unbeherrscht sprang er auf, dieses Mal ging der Stuhl tatsächlich zu Boden. Das Handtuch segelte von seinen Schultern. Einen Moment sah er sie schnaufend an, bevor sich sein Inneres krampfartig zusammenzog, um dann einer Explosion gleichend aus ihm herauszubrechen.

»Sag mal, ziehts bei euch? Hat euch der Schnee in Kasachstan das Hirn verhagelt, oder was?« Er konnte sich nicht zurückhalten, obwohl er sich geschworen hatte, niemals vor Lilia solch einen Ausbruch zu haben. Doch nun warf er alle Prinzipien über Bord und brüllte seine Trainer an, wie niemals zuvor.

»SPINNT IHR EIGENTLICH? Warum denkt ihr so von mir? Warum denkt ihr so von ihm? Was hat er euch getan, häh? Warum erlaubt ihr euch so ein Urteil über ihn? IHR HABT ÜBERHAUPT KEINE AHNUNG!« Seine Stimme hallte einem wütenden Fauchen gleich durch das Esszimmer. »Acht Stunden Training, tagein, tagaus! Massenweise Medaillen, Ballett bis meine Füße bluten und Disziplin das ganze verfickte Jahr über und ihr dankt es mir so! Zum ersten Mal in meinem Leben hab ich einen richtigen Freund und ihr … anstatt euch ein bisschen zu freuen, oder mir wenigstens zu vertrauen, reimt ihr euch so eine dumme Scheiße zusammen! Das ist –« Die Wut brannte lodernd in seinen Organen und bahnte sich in Form von Tränen nach außen, die eine glühende Spur über seine Wangen zogen. Grob wischte er sie weg, ärgerte sich jetzt auch noch über sich selbst. »–  unfair. So verdammt unfair! Wie soll ich euch vertrauen, wenn ihr das bei mir nicht mal schafft? Schämt euch!«

Mit diesen Worten drehte er sich um und entfloh der plötzlich drückenden Stille des Esszimmers. Einen Moment überlegte er sich einfach in seinem Zimmer zu verschanzen, doch die Wände von Lilias Haus, die er schon seit über einem Jahr sein Heim nannte, schienen zu schrumpfen und lösten Fluchtinstinkte in ihm aus. Ohne wirklich zu überlegen stieg er in seine Schuhe, griff sich eine seiner Jacken und verließ mit noch halbnassen Haaren das Haus.

 

Eisiger Wind krallte sich in den dünnen Stoff seiner spärlichen Bekleidung. Am liebsten wäre er sofort wieder umgekehrt, doch dann würde ein noch größeres Unglück geschehen. Außerdem gönnte er ihnen diesen Triumph nicht. Wut und Kälte schüttelten ihn. Die ersten zehn Meter legte er unkontrolliert rennend zurück, bis er an einer roten Ampel gezwungen zum Stehen kam. Schnaufend schloss er den Reisverschluss seiner Jacke, band sich die Haare zusammen. Auch jetzt siegte die Disziplin. Er war in Rage, doch die galt es konstruktiver abzubauen. Er zwang sich zur ruhiger Atmung und als die Ampel auf Grün sprang, setzte er sich joggend in Bewegung. Seine Füße trugen ihn zum Stadtpark. Hier gab es einen See, nicht annähernd so groß und schön wie der in Almaty, aber geeignet genug, um ein paar Runden zu drehen. Es war früh am Morgen und kaum jemand war unterwegs. Er war mit sich selbst allein, achtete nur auf seine federleichten Schritte und darauf, wie sein Pferdeschwanz in dessen Takt auf und ab wippte. Es wirkte nur bedingt, dämpfte seine Verletzung zwar, löste sie allerdings nicht auf.

Von all den Möglichkeiten, wie dieses Gespräch hätte ausgehen können, musste er den absoluten Worst-Case abbekommen. Sie warfen Otabek nicht nur Unachtsamkeit vor, sie unterstellten ihm dazu auch noch das Ausleben irgendwelcher Triebe, die er mit Sicherheit nicht hatte. Als wäre er ein verdammter Lüstling, der nur auf diese Chance gewartet hatte. Noch dazu gingen sie wohl davon aus, dass Yuri sich im ersten günstigen Moment verführen ließ. Wie verblödet sie waren, wie abgrundtief dumm. Diese ungerechtfertigte Anklage ätzte wie Batteriesäure durch seine Lungen. Warum zum Teufel sollte Otabek sich ausgerechnet dieser Gelegenheit bedienen, bei der potenziellen Gefahr, dass jeder es mitbekam? Während der drei Tage bei ihm zuhause hätte er ihn viel wahrscheinlicher, viel besser „ausnutzen“ können, wie Yakov so schön sagte. Und nichts war passiert. Sie waren Freunde, beste Freunde. Nie hatte Otabek je etwas anderes behauptet oder ihm ein anderes Gefühl vermittelt. Dass er Interesse an Yuri haben könnte, das über Freundschaft hinausging, war mehr als absurd. Ein Utopia. Er kniff die Augen zusammen. Seine Lungen schmerzten und in seiner Brust stach es. Es ließ ihn nicht so kalt, wie er es sich wünschte. Ruckartig blieb er stehen, stützte sich keuchend mit beiden Händen auf den Knien ab. Die Augen noch immer geschlossen horchte er in sich hinein. Überraschte ihn diese Empfindung? Nein, tat sie nicht. Es glich eher Resignation, ähnlich als akzeptiere er etwas, das er eh nicht ändern konnte. Selbst wenn er wollte.  Es war wie ein Funke, der Fragen beantwortete und neue aufwarf. Wie die Frage nach dem Warum. Wo endete Freundschaft und wo begann etwas völlig anderes? Er glaubte die Antwort zu kennen und sie knotete seine Gedärme zusammen. In Kasachstan.

Eine erste Schneeflocke landete auf seinen Arm und rann als kalter Tropfen über seine Haut. Als er den Blick hob, landeten weitere in seinem Gesicht. Der trübe Himmel weinte und seine Tränen gefroren im eisigen März. Yuri verstand es. Ihm war ähnlich zumute.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Deadline für das nächste Kapitel ist der 10.07 - ich gebe mein Bestes!
Knutscha ♥ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  m0nstellar
2018-08-31T20:14:24+00:00 31.08.2018 22:14
Hello little dark fairy! ~ ♥
*Brille aufsetzt*
Es ist wieder Zeit für ein paar Kommentaaare! :3

Das Tuscheln hinter vorgehaltener Hand, das gedämpfte Kichern und diese rein zufälligen Erwähnungen von Otabeks Namen, mit denen er sofort vielsagende Blicke erntete - all das hatte den Flug zur Tortur werden lassen.
Gooott, würde mir das auf den Sack gehen. Ich kann Yuris Empfinden total nachvollziehen, mir würde es bestimmt genauso gehen.

»… mit Otabek im Hotelzimmer verschwunden! Sturzbesoffen!«
Fast alles.

Ach ja. Du weißt, ich mag Victor, aber er ist echt so sensibel wie eine Motorsäge im Schweinestall. =~=

Bei dem Gedanken, dass sie Otabek nicht mögen könnten, brach ihm der kalte Schweiß aus und zog die Wut gleich hinter sich her.
Oh ja. Wem würde es nicht so gehen? Ist ja auch der pure Horror, wenn die Eltern oder "Zieheltern" deinen Kumpel oder Freund nicht mögen?

Otabek Altin – 05.03 13:21
»Ganz schön ruhig in meiner Wohnung.«

Immer noch heartbreaking Q~Q

Wütend ballte er seine Hand zur Faust. Mit Victor, diesem Vollidioten, würde er auch noch ein ernstes Wörtchen sprechen.
Ja man! Victor, ich hab dich lieb, Sweetheart, aber das war ne Kackanummer von dir. >.>

Wo nahm der nur immer diese Gelassenheit her?
Ja, manchmal frag ich mich das auch xD

Otabek Altin – 05.03 20:29
»Das ist der Downloadcode für die Platte, die du so mochtest. Ich brauche ihn nicht und du musst dich nicht strafbar machen.«

BEKA, DU SUPERHELD! ♥ UND DU KLINGST GENAUSO WIE ICH IMMER XD

Yuri Plisetsky – 05.03 20:43
»Mir geht’s besser! Danke! Das hab ich gerade echt gebraucht«

Otabek Altin – 05.03 20:44
»Immer zur Stelle. ;)«

Ja, ja Beka ... ;D

Obwohl er sich freute wieder in seinen privaten vier Wänden und bei Potya zu sein, fühlte er eine große Unzufriedenheit in seinem Inneren. Als hätte eine Zeit begonnen, die es nun abzusitzen galt. Das Gefühl hier zu sein, nicht weil er es wollte, sondern weil er musste. Ähnlich wie die Pflicht zur Schule zu gehen. Er tat es, aber gleichzeitig hoffte er, dass es schnell zu Ende ging. Nur, wie lange würde er jetzt warten müssen?
Armer Yuri. Sehnsucht zu haben ist eben ein zweischneidiges Schwert. Es ist schön und schmerzhaft zugleich. </3

Otabek Altin – 05.03 21:32
»Dann gute Erholung. Du machst das schon, zehn Minuten zu Kreuze kriechen und dann beruhigen die sich schon wieder. Und wenn nicht komm ich mal vorbei und spreche ein Machtwort.«

Otabek Altin – 05.03. 21:32
»;)«

SUPER-O! Ich sag ja, der Superheld des Tages. ;D

Normalerweise duldete Lilia einen derartigen Aufzug am Esstisch nicht, allerdings kam heute keine Anweisung, dass er sich gefälligst umzuziehen hatte. Genauer gesagt … kam gar nichts.
Oh-oh. Yuri, Obacht ... Das klingt nach mordsmäßigem Ärger.

»Dabei zuzusehen wie du dich volllaufen lässt und das auszunutzen ist nicht auf dich aufpassen!«
:OOO Dafaaaq ... Yakov, du schlimmer Finger! Du übertreibst es manchmal echt krass!

Ohne wirklich zu überlegen stieg er in seine Schuhe, griff sich eine seiner Jacken und verließ mit noch halbnassen Haaren das Haus.
Ich warte draußen auf dich! *Schal umschmeißt*

Sie warfen Otabek nicht nur Unachtsamkeit vor, sie unterstellten ihm dazu auch noch das Ausleben irgendwelcher Triebe, die er mit Sicherheit nicht hatte. Als wäre er ein verdammter Lüstling, der nur auf diese Chance gewartet hatte.
Nee, Yakov. Damit hast du dir definitiv keine Freunde gemacht. Schämen solltest du dich, jawohl! Schämen! Ich weiß gar nicht, wen ich mehr trösten soll, Otabek oder Yuri Dx

Eine erste Schneeflocke landete auf seinen Arm und rann als kalter Tropfen über seine Haut. Als er den Blick hob, landeten weitere in seinem Gesicht. Der trübe Himmel weinte und seine Tränen gefroren im eisigen März. Yuri verstand es. Ihm war ähnlich zumute.
Das schönste Schlusswort, das ich je gelesen hab. ♥

Fazit: Ach Yuri. Manchmal kann man sooo gut verstehen, warum du Menschen nicht leiden kannst und kaum Freunde hast. Bei der Auslese an Personen hätte ich auch oft schlechte Laune und den ein oder anderen Kraftausdruck auf der Zunge liegen. Und Yakov - Mein lieber Scholli. Du magst ja sein Trainer sein, aber DU bist für Yuri verantwortlich und diese Verantwortung kannst du nicht irgendwem zuschieben, um ihn dann wüste Dinge zu unterstellen! Wenn überhaupt hast DU den Fehler gemacht, als du jemandem blind vertraut hast, der - deiner Meinung nach - nicht vertrauenswürdig ist! Und Otabek ist ein toller Aufpasser, mehr als du! XP
So. Heute mal ein direkteres Fazit.

Und zum Schluss der Assi-Vermerk:
SCHREIB SCHNELL WEITER! ♥
Von: abgemeldet
2018-06-27T20:26:42+00:00 27.06.2018 22:26
Oha, das Ganze nimmt ja noch stärker Fahrt auf, als ich angenommen hatte... Ich bin ein Stück weit enttäuscht von Yakovs Interpretation - sie zeigt davon, wie wenig er (und die anderen) Yuri wirklich kennen. Dementsprechend kommt es eigentlich auch nicht überraschend, dass Yuri die Nerven verliert und meiner Ansicht nach berechtigte Kritik an ihrer aller Verhalten äußert.
Dass der eigene engste Umkreis den besten Freund falsch einschätzt und nicht wertschätzt ist eine echt schlimme Erfahrung, die ich vor allem Yuri lieber erspart hätte. Der Kerl tut mir gerade wirklich leid, sein gerade gefundenes Glück den Bach heruntergehen zu sehen. Ich hoffe, es besteht irgendeine Möglichkeit, dass er sich aus dieser Schlinge befreit - wir hoffen wohl alle auf ein Happy End ;)
Antwort von:  Gmork
28.06.2018 22:19
Claire ♥ Huhu
Sorry für die späte Antwort, hab echt ne Menge um die Ohren.
Vielen Dank erneut für dein Kommi. Das macht mich glücklich.
Ja, Yakovs Reaktion ist heftig und auch ziemlich übertrieben. Aber das kann Yakov nicht wissen. Der macht sich nur Sorgen um seinen Schützling und war noch nie ein Meister der Feinfühligkeit :) Yuri wird es überleben ^^'
Tut mir schon ein wenig leid, dass ich es ihm so schwer mache. Das wird leider nicht die letzte Hürde gewesen sein. Aber Yuri wäre nicht Yuri, wenn er nicht auch durch solche Zeiten kommt :)
Bis hoffentlich bald,
Anni ♥
Antwort von: abgemeldet
28.06.2018 22:39
Alles gut, nur kein Stress! Das hatten wir ja schon, und alles ist perfekt, auch mit den verzögerten Uploads. Im Gegenteil, wir sind alle froh, dass du die Geschichte trotz deines Stresses nicht dran gibst, dafür ist sie viel zu toll *.*
Danke für das Lob! Es freut mich, dass ich mit meinen Worten etwas bewirken kann (*^^*)
Ja, so kennen wir Yakov. Da kommt wohl auch das Generationenproblem mit durch: Unverständnis vor allem von großväter/-mütterlicher Ebene ist ja nichts ungewöhnliches.
Ja, Yuri ist ein Beißer, sonst wäre er nicht da, wo er karrieretechnisch schon ist. Aber zu leiden ist nie schön... Trotzdem, wir bleiben dran und wünschen ihm alles Gute! :)
Auf jeden Fall bis bald (:
Von:  Ookami-no-Tenshi
2018-06-26T20:51:19+00:00 26.06.2018 22:51
Wow, das Kapitel ist echt mega toll geschrieben worden!
Warum nur müssen die Beiden so schlecht von Otabek denken. T-T
Immerhin kennen sie ihn ja nicht einmal so gut. Yuri sollte mehr Vertrauen von ihnen bekommen, immerhin ist er kein kleines Kind mehr. >.<
Ich hoffe die Situation wird sich bald bessern, nun wo Yuri allen ins Gesicht geschrien hat, was genau passiert ist.
Bin gespannt :)

Lg. Ookami-chan
Antwort von:  Gmork
28.06.2018 22:22
Ookami-chan ♥
Vielen Dank für dein Kommi, schön wieder von dir zu hören! :3
Freut mich sehr, dass dir das Kapitel gefällt!
Ja, Yuri wird sich durchbeißen müssen aber der macht das schon. Zur Not fährt er einfach wieder seine Krallen aus. :DD
Bis hoffentlich bald,
Anni ♥
Von:  Seredhiel
2018-06-26T20:49:27+00:00 26.06.2018 22:49
Hey Gmork,

erstmal lass dich nicht stressen von der Arbeit ;)
Wir verstehen alle wenn dann alles andere zu kurz kommt.
Geburtstage sind wichtig, deshalb freu dich darauf und lass dich dann verwöhnen *kichert*

so nun zum Kapitel:
Ich find es einfach zu geil XD der Chatverlauf mit Ota ist echt süß ^^
klar versucht Yura da 'sachlich' zu bleiben und Ota ist nun mal Ota XDDD

Yuras Ausbruch gegenüber Yakov und Lilia ist göttlich, so typisch er XDD
find aber auch wie Yura, dass sie Ota nichts vorwerfen können.
Wenn dieser Yura ausnutzen wollen würde, hätte er die drei Tage genutzt <.< Ich hoffe es war nur falsch ausgedrückt von Yakov ...

Armer Yura-Schatz *ganz doll knuffeln muss* (ja da musst du durch)
der leidet echt wie ein geprügelter Hund unter seinen Gefühlen, die sich zu mehr entwickeln als Freundschaft *g*
Gib niemals auf! Kämpfe für das was du willst, dann schaffst du es *Yura aufmuntert*

freu mich auf das nächste Kapitel ^.^
fühl dich geknuddelt und bis zum nächsten Mal *Knuddel*
Lieber Gruß Seredhiel
*Kekse und Eistee da lass*
Antwort von:  Gmork
28.06.2018 22:26
Sere ♥ Huhu!
Vielen Dank für dein Kommi! <3 Freut mich sehr.
Jaaa, momentan ists echt ein wenig hektisch bei mir, deswegen kommt meine Antwort auch so spät ._. Aber bald ists vorbei und ich kann aufatmen :))
Eben, Otabek hätte tausend andere Möglichkeiten gehabt, um irgendwas zu versuchen und keine genutzt. Wenn Yakov und Lilia genauer drüber nachdächten, würden sie darauf auch von allein kommen.
Ja, Yuri hats gerade irgendwie nicht leicht. Mir als Autor tuts ein bisschen leid, dass ich ihn so ärgere. Aber es kommen irgendwann auch wieder bessere Zeiten :)
Bis hoffentlich bald *Kekse mampf* *Eistee schlürf*
Anni ♥♥
Antwort von:  Seredhiel
28.06.2018 23:19
aloa ^-^
lass dich nicht stressen und vor allem ruh dich auch mal aus *das Sofa bequem herrichtet*
Wir können alle warten ;)

Ja, das Autorherz blutet und leidet mit, aber ich bin mir sicher es lohnt sich alles ^-^
Ich freu mich schon auf die besseren Zeiten *kichert*

*Tee und Kekse auf den Tisch stell*
fühl dich geknuddelt ;)


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