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Der erste Schnee

von

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Als ich morgens aufwache, fühle ich mich wie gerädert und völlig fertig, doch nachdem ich mich mühsam aus dem Bett gequält habe, reicht bereits ein Blick durchs Fenster, um mich meine ganze schlechte Laune auf einen Schlag vergessen zu lassen:

Es hat geschneit über Nacht, und alle Straßen und Häuser sind unter einer dicken Schicht Schnee verschwunden.

Ich liebe Schnee, ich habe ihn immer geliebt und so beeile ich mich aufgeregt, nach draußen zu kommen, bevor das weiße Paradies durch Streusalz oder Räumfahrzeuge zerstört wird. Ich stürme aus der Haustür, hüpfe ausgelassen wie ein kleines Kind über die Straße und drehe mich glücklich lachend im Kreis.

Nach einer Weile des aufgedrehten Herumtobens entscheide ich mich dafür, einen kleinen Spaziergang zu machen und schlendere beschwingt die Straße hinunter.

Es ist ein kalter und klarer Wintermorgen und eine frostige Brise weht mir entgegen. So früh ist noch niemand unterwegs, kein Fußgänger und kein Auto dringt mit seinem Lärm durch die allgegenwärtige Stille, die sich mit dem Schnee über die Stadt gelegt hat wie eine schützende Glocke. Daher erschrecke ich mich fast, als plötzlich ein junger Mann mit Bommelmütze und Smartphone um die nächste Häuserecke biegt und schnellen Schrittes auf mich zukommt. Unter seinen Sohlen knirscht protestierend der zusammengepresste Schnee.

"Guten Morgen!", grüße ich ihn fröhlich, als er näher kommt, doch er nimmt überhaupt keine Notiz von mir. Er verringert nicht sein Tempo, hebt noch nicht einmal den Kopf, stattdessen rauscht er grußlos an mir vorbei, weiter auf sein Smartphone starrend.

Einen Moment lang sehe ich ihm verblüfft und auch ein wenig verärgert hinterher, doch dann entschließe ich mich dazu, mir davon nicht die Laune verderben zu lassen.

Um mich abzulenken, nehme ich den Weg Richtung Park. Ich genieße das warme Kitzeln der Sonne auf meiner Haut, während ich die Parkalleen durchstreife und bewundere die kahlen, rauhreifbedeckten Äste der Bäume, die im Morgenlicht glitzern.

An den Armlehnen der Parkbänke haben sich außerdem dicke Eiszapfen gebildet, einer ist fast so lang wie mein Unterarm. Aus Spaß versuche ich, ihn abzubrechen, muss mich jedoch schon nach wenigen Sekunden geschlagen geben: Ich habe keine Handschuhe dabei und meine bloßen Hände rutschen an seiner glatten Oberfläche nur ab.

So spaziere ich gemütlich weiter durch den Park, die kalten Hände in den Jackentaschen und "Let It Snow" vor mich hinsummend.

Wie jedes Jahr bleibe ich schließlich an der Aussichtsplattform stehen und genieße den fantastischen Ausblick, der sich mit bietet. Unter einem fast wolkenlosen blauen Himmel liegt meine Heimatstadt schlummernd unter einer Schneedecke. Von hier oben sieht sie so aus, als hätte jemand einen gigantischen Puderzuckerstreuer genommen und ihn kräftig über all den Häuserdächern ausgeschüttelt.

Ein paar Momente bleibe ich noch stehen und lasse meinen Blick über die Puderzuckerstadt schweifen, sauge all die Friedlichkeit und Ruhe, die mich bei ihrem Anblick durchströmt, in mich auf. Dann drehe ich mich um und mache mich gestärkt auf den Heimweg.

Einige der Eiszapfen haben schon angefangen zu tropfen, aber der Schnee auf den Rasenflächen und Kieswegen liegt immer noch weiß und unberührt da.

Erst nach ein paar Momenten begreife ich, was das heißt.

Mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen und ich bleibe abrupt stehen, als mich die Erkenntnis trifft wie ein harter Schlag ins Gesicht:

Ich habe keine Spuren im Schnee hinterlassen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  SamAzo
2016-12-25T00:04:21+00:00 25.12.2016 01:04
So ein schöner Tag und dann sowas.
Das kann einem schon irgendwie alles versauen.
Antwort von:  AtriaClara
25.12.2016 10:37
Ist schon doof, wenn man plötzlich entdeckt, dass man keinen stofflichen Körper mehr hat.
Antwort von:  SamAzo
25.12.2016 12:50
Ja aber sowas von.
Antwort von:  AtriaClara
26.12.2016 09:17
:D


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