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Nicht in Zuckerwattenhausen

von

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Ein ungebetener Gast

Es war erst halb acht, als ich voller Tatendrang in die Küche trabte, wo Désirée frühstückte, schon fertig angezogen in ihrem üblichen Bürodress bestehend aus einer Bluse, Kostüm, Wollstrumpfhose und Stiefeln.

„Morgen!“ Mir rutschte die Begrüßung fröhlicher heraus als geplant – aber ich schwebte auf Wolke Sieben. Obwohl mich ungefähr tausend Fragen quälten, die alle mit David zu tun hatten. Ich umarmte sie auf ihrem Stuhl und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte sie kauend, und schaute sogar von ihrer Zeitung auf. Der Finanzteil der Tageszeitung, die sie neben diversen Magazinen im Abo hatte.

„Ich habe dir bloß Guten Morgen gesagt!“

„Na dann...“

Ich stellte mein Der-frühe-Vogel-kann-mich-mal-Frühstücksbrettchen auf meinem Platz ab, überlegte, ob ich mir statt Brot Pfannkuchen zum Frühstück machen sollte, da sah ich den Brief, der auf dem Tisch lag.

„Von Mama?“ Eindeutig, das erkannte ich schon allein an der Briefmarke. Sie hatte so viel geschrieben, dass ich den Brief erst später in Ruhe lesen würde.

Mehr als ein Jahr war sie jetzt in Namibia, hatte mitgeholfen, dort ein Krankenhaus zu errichten und war in dem fernen Land geblieben – brachte sie als Krankenschwester doch beste Voraussetzungen mit. Aus heiterem Himmel hatte sie uns damals mitgeteilt, dass sie den Mietvertrag gekündigt hatte und auswandern würde; und das, als sie schon mit einem Bein im Flugzeug war. Nichtsdestotrotz war ich sehr stolz auf meine Mutter.

„Dann bis heute Abend“, meldete sich Désirée zu Wort und faltete die Zeitung zusammen. „Ich geh noch einkaufen, und bis ich heimkomme, hast du bitte meine Blusen gebügelt, okay? Und ich esse heute Abend nicht mit, ich gehe nämlich aus.“ Oho. Meine Schwester ging seit Ewigkeiten mal wieder aus – ich wagte gar nicht zu fragen! Sie stand auf, schlüpfte in ihren Mantel und überließ es wie immer mir, ihr Geschirr abzuspülen. Das war schon eine Selbstverständlichkeit.

Bügeln. Meine Lieblingsbeschäftigung! Vor allem wenn ihre bescheuerten Blusen so knittrig waren wie hundert Jahre alte Schatzkarten.

„Ich weiß, was meine Aufgaben sind“, schnaubte ich. „Und heute Abend hab ich übrigens auch ein Date. Tschüss, Daisy.“ So durfte ich sie eigentlich nicht nennen, denn sie hasste diesen Spitznamen.

Sie drehte sich in der Tür noch einmal um. „Hoffentlich mit einem Friseur! Einen Haarschnitt könntest mal wieder gebrauchen. Muss man dir das wirklich sagen, siehst du das nicht selbst, dass das fürchterlich aussieht?“

Ich schüttelte trotzig den Kopf. „Schon bald sieht es nicht mehr fürchterlich aus, wenn sie erst mal lang genug sind.“ Nicht mehr viel, und sie wären länger als ihre Haare.

„Im Ernst jetzt? Ich glaub, dieser ganze soziale Kram tut dir gar nicht gut.“ Damit ließ sie mich endlich allein.
 

~
 

Um Punkt neun, nach der Spätschicht, stand ich vor Davids Wohnungstür, Zimmer Nummer 315 – so hoch war ungefähr mein Puls, und das nicht wegen dem Treppensteigen in den dritten Stock. Nicht nur.

„Tortilla Chips!“ Ich hielt die Tüte auf Augenhöhe, als David mir öffnete. „Und richtig scharfer Dip dazu.“

Bei diesem Blick von ihm stieg mir die Hitze in den Kopf.

Will dich so schnell wie möglich nochmal küssen. Diese SMS von ihm hatte mir sofort ein unbeschreibliches Kribbeln beschert. Und jetzt war ich endlich wieder bei ihm. Verabredet zum Filmgucken. Und vielleicht würden wir gemeinsam einschlafen.

Er begrüßte mich mit einem Kuss, nachdem ich die Tür zu gemacht hatte. Anstatt mir mal die Sachen abzunehmen, die ich vor lauter Schmetterlingen im Bauch und Kribbeln in den Fingerspitzen fast fallen ließ.

Plötzlich war ich gar nicht mehr traurig darüber, dass mein Herz sich ausgerechnet an David festgebissen hatte. Es war eine sagenhaft gute Entscheidung gewesen. Seine Küsse beförderten mich ins Paradies. Und da fiel schon die Chipstüte auf den Boden.

Wie er gegen meine Lippen grinste, schadenfroh kicherte und die Tüte aufhob.

„Wirf deine Jacke einfach da über den Stuhl.“

Ich staunte immer wieder darüber, wie viele Gegenstände in diesen fünfundzwanzig Quadratmetern Platz fanden, ohne dass es gequetscht wirkte. Das große Bücherregal in der Ecke war vollgestopft mit Literatur für sein Studium, er musste die ganze Bibliothek leer geräumt haben!

Das Bett hatte er hergerichtet mit einer Kuhfleckenwolldecke über der Matratze und kleinen Kissen. Zum Glück war er nicht ins Katholische Studentenwohnheim eingezogen, da waren die Betten bestimmt spargelschmal, damit niemand auf dumme Ideen kam…

„Worauf wartest du denn? Setz dich schon hin.“

David kam vom Kühlschrank und reichte mir eine Bionade. Cola mochte er nicht, weil ihm da zu viel Zucker drin war. Bier hatte er aus Prinzip keines da, Alkohol trank er keinen. Pfandfreie Flaschen oder Plastiktüten suchte man bei ihm auch vergebens. David war ein Ökofreak, wie er im Buche stand.

Also rutschte ich eng an die Wand, um ihm Platz zu machen. Zwar hatte ich ihn schon oft besucht, aber noch nie hatte er mich auf seinem Bett sitzen lassen. Heute war meine Premiere.

Mir gefielen die Schatten, die das schummrige warme Licht auf ihm entstehen ließ. Es stammte von der Lavalampe auf seinem Nachttisch, in der sich orangefarbenes Wachs seinen Weg nach oben bahnte und von dort wieder behäbig nach unten sank wie Eidotter. Diesem Spektakel zuzusehen, hatte eine seltsam beruhigende Wirkung auf mich.

„Schön?“, fragte David, der mir meine Begeisterung anzumerken schien.

„Ja…ein ewiger Kreis“, murmelte ich, schon ganz eingestimmt auf den Film.

David startete derweil im Schneidersitz den Film auf seinem Notebook, der auf dem Regal am Fußende des Bettes stand. Der Rand seiner dunkelblauen Boxershorts blitzte dabei auf und ließ mich in Gedanken hin greifen, sie ihm herunter ziehen und einen Kuss auf die blanke Haut geben….aber das tat ich besser nicht. Besser, ich beherrschte mich.

Und die riesige flirrende Sonne ging auf, zauberte mir eine Gänsehaut auf den Rücken und auch David hielt einige Sekunden inne, eine kindliche Begeisterung im Gesicht.

Ich schnappte mir die Tortillatüte und riss sie auf, griff rein. In Soße gedippt, ließ ich es mir nicht nehmen, David mit den Chips zu füttern. Zumindest, es zu versuchen, würde er sich nicht entschieden dagegen wehren und die Nase rümpfen.

„Nein, die stecken voller Geschmacksverstärker, das ist ungesund.“

„Ja, und was isst du dann so als Knabberzeug bei Filmen?“

„Am liebsten naturbelassene Nüsse oder getrocknete Früchte.“

„Das ist so…gesund“, murmelte ich und zog den Bauch ein.

„Ja, aber auch total lecker. Ich hole mal schnell eine Tüte.“

Mein Handy klingelte keine fünf Minuten später, musste es denn ausgerechnet jetzt klingeln?!

„Geh ran, es ist vielleicht wichtig.“ David stellte den Ton leiser und ich nahm den Anruf entgegen.

„Na. Hast du Zeit?“, fragte Mik.

„Nein“, sagte ich erhobenen Hauptes. „Ich habe ein Date.“ Davids Finger stach mich schmerzhaft in die Seite und ich schaute irritiert zu ihm. Er schüttelte bestürzt den Kopf. Was? Sollte das bedeuten, dass ich sagen soll: Aber nicht mit David, keine Sorge?

„Dann hättest du ja nicht rangehen-…“, begann er, wurde aber von mir abgewürgt. Memo an mich: Wenn Mik im falschen Moment anrief, war es niemals wichtig.

„Mik hat Langeweile?“, fragte David alarmiert nach. „Na toll. Ich mach mein Handy lieber aus, für den Fall, dass er mich auch noch anruft! Ich wüsste echt nicht, was ich sagen soll…“ Er erhob sich und eilte ans Fensterbrett, wo sein Handy an der Steckdose zum Laden angeschlossen war.

„Dass du auch ein Date hast?“, schlug ich vor.

„Bist du verrückt?“

Ich lachte. David war wirklich paranoid.

„Der checkt das nie, der kann nicht eins und eins zusammenzählen, allerhöchstens eins und null“, sagte ich, um mich selbst zu beruhigen.

„Du bist so fies.“ David schüttelte den Kopf, versuchte dabei vergeblich das Grinsen abzuschütteln, und kam wieder ins Bett. „Wie du immer über ihn redest…Aber keine Sorge, er redet genauso über dich, wenn du nicht dabei bist.“

„Ach ja? Erzähl mal. Was erzählt er denn Böses über mich?“

David erhob den Zeigefinger. Mit einem „psssst“ versiegelte er meine Lippen.

Der Film bekam unsere Aufmerksamkeit zurück. Genauer gesagt, das Löwenbaby, das von Rafiki in den Himmel gehoben wurde.
 

Die Türklingel schellte keine Viertelstunde später und David schreckte von meiner Schulter hoch, an die er sich angelehnt hatte. Wir hatten darüber noch keine Worte verloren, aber ich war alles andere als beunruhigt über diese neue Form von Nähe zwischen uns.

Musste ausgerechnet jetzt jemand klingeln, wo Scar seinem Lieblingsneffen gegenüber ausplauderte, was sich hinter dem nördlichsten Ende und hinter den Hügeln verbarg? Wie zwei Fragezeichen schauten wir uns an.

„Wenn du jetzt aufmachst, David, dann sorge ich dafür, dass du die scharfe Soße auslöffelst!“, drohte ich ihm an. Doch es half nichts. Nichts half gegen Davids krankhaftes Helfersyndrom, nicht mal ein Bad in scharfer Soße.

David drückte auf Pause. „Warte kurz.“ Er erhob sich äußerst widerwillig, knipste das große Licht an und ging zur Tür.

Eine Stimme, die ich unter Tausenden erkennen würde. Zweifelsohne, das war Mik! Oh Mann, wieso blieb mir denn auch nichts erspart heute! Ich hatte ihm doch gesagt, dass er die Tür nicht aufmachen soll, wieso hatte er nicht auf mich gehört!

„Wie geil! Und weißt du was? Unser Sternekoch hat heute ein Date!“, lästerte er.

„Und was verschlägt dich hierher?“, fragte David hörbar nervös. Genau, was war es, das nicht bis morgen warten konnte?

„Ich habe dir deinen MP3-Player wiederhergestellt, da hast du ihn wieder!“

Am liebsten wollte ich aufspringen und ihn eigenhändig aus der Wohnung befördern. Auch wenn es Mik war, mein bester Freund. Der laut eigener Aussage eigentlich nichts gegen Schwule hatte...eigentlich. Trotzdem war es taktisch klüger, wenn er uns heute nicht gemeinsam sah. Um David zu schützen. Für dessen Zukunft sah ich rabenschwarz, falls zu den falschen Leuten durchsickerte, dass er mit mir zusammen war. Und Mik war eine Labertasche. Sein Wort, sein Schwur, etwas für sich zu behalten, konnte man getrost vergessen. Er brauchte nicht mal betrunken zu sein, um etwas auszuplappern.

Durch die Wand jedoch konnte Mik mich nicht sehen. Ich blieb erst mal sitzen und hoffte darauf, dass David es trotz seiner gutmütigen Art fertig bringen würde, unseren anhänglichen Kumpel abzuwimmeln.

„Und sonst, alles klar bei dir?“

„Ich habe heute nicht wirklich Bock, Mik. Wir sehen wir uns ja morgen.“ Wow, heute so konsequent, David! Innerlich spendete ich ihm Applaus.

„Ach, du willst jetzt doch mitkommen? Find ich geil, Alter!“

Ich atmete erleichtert auf. David hatte es nicht nur geschafft, den Abend zu retten, er hatte auch zum ersten Mal Nein zu Mik gesagt. Gleichzeitig kam der nächste Gedanke: Morgen im Kopfstand nochmal das gleiche Versteckspiel.

„Hey, warte“, meldete sich Mik noch einmal, „ist das nicht Domes Jacke?“ In diesem Moment setzte mein Herzschlag aus. „War er bei dir?“

„Äh… J-ja, weil…äh…“, begann David. Warum redete er denn nicht weiter?

Ich holte tief Luft. Das konnte ich jetzt unmöglich ihm alleine überlassen. Mutig rappelte ich mich auf, ging um den Tisch der am Fußende des Bettes stand herum, bis ich ihm gegenüber stand. Eine Hand legte ich auf die Lehne des Stuhls, die andere lässig auf Davids Schulter ab. Er zuckte zusammen, als wäre ich ein Gespenst. Und genauso schaute mich Mik auch an.

„Du sollst mich nicht immer Dome nennen!“

Natürlich sah er aus wie immer, dieser Strich in der Landschaft. Bloß dass ihm jetzt die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand. Er trug seinen verchromten Kettenanhänger an einer langen Lederkette, die irgendwo zwischen Brust und Bauchnabel aufhörte; in zweiter Funktion ein USB-Stick, den ich ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Dieses Accessoire war an ihm nicht mehr wegzudenken. Genauso wie sein vertrauter Bürstenhaarschnitt, der seine hohe Stirn noch unvorteilhafter betonte, aber auf meine Tipps hörte er nie. Mit Veränderung kam er irgendwie nicht so gut klar. Außer es betraf Computerprogramme, da war er vor allen anderen auf dem neuesten Stand.

Er rückte sich die Brille zurecht. „Dome! Was machst du denn hier? Ist dein Date geplatzt?“

„Sozusagen!“ Nämlich just in dem Moment, als David ihn herein gelassen hatte.

„Warum?“, fragte Mik so naiv nach, dass man ihn durchschütteln wollte. Was für ein Glück, dass ich gut im Improvisieren war und schon auf Hochtouren nach einer Ausrede suchte, zum Beispiel, dass ich David geholfen hatte, eine DVD zum Laufen zu bringen, doch die würde nicht zünden, weil es unrealistisch war, dass David bei einem technischen Problem zuerst mich und nicht Mik konsultieren würde, denn ich hatte davon keine Ahnung. Ach, scheiße.

David rettete mich. „Ich wollte Amor spielen und ihn verkuppeln.“

„Genau“, fing ich den Ball auf, den David mir zuspielte, „aber die war zu feige herzukommen.“

Mik nahm uns die Geschichte sogar ab. „So? Kenn ich sie?“

„Nein“, sagte David flink, „eine aus meinem Kurs.“

Ein Prusten. „Tja. Die Theologen halt, was erwartest du von denen…“ Er rollte mit den Augen und ließ dann den Blick durch den Raum schweifen, ging ein paar Schritte, um einen Blick um die Ecke herum auf das Bett erhaschen zu können.

„Boah! Tortillas?“ Gierig ging er auf den Nachtschrank zu. „Ihr habt es euch aber ganz schön gemütlich gemacht, muss ich schon sagen!“

Aber nicht zu gemütlich, immerhin hatten wir alle unsere Klamotten noch an. Ich bedachte David mit einem strengen Ich-hab-dir-gesagt-dass-du-nicht-aufmachen-sollst-Blick, und er antwortete mit einem schuldbewussten Aber-jetzt-ist-es-leider-zu-spät-Blick.

Mik machte sich derweil über die Chips her ohne zu fragen – war ja eh nur David, in dessen Wortschatz existierte das Wort Nein praktisch nicht, also brauchte man ihn eh nicht zu fragen? Einige Krümel fielen dabei auf den Boden.

„Aber dass ihr so oft zusammen gluckt, dürfte sie vielleicht auch abgeschreckt haben…“, murmelte er mit vollem Mund. „Ihr seid wie Watson und Holmes, bei denen weiß man auch nicht, ob sie nicht doch heimlich schwul waren.“ Er lachte allein über seinen Witz, während David und ich unauffällig voneinander abrückten. Also bitte. So oft unternahmen wir doch auch wieder nichts gemeinsam.

„Ihr schaut euch König der Löwen an?“

Mik schaute prüfend zwischen David und mir hin und her, schien sich zu fragen: Wieso hab ich den Eindruck, ihr beide verscheißert mich gerade so richtig?

Das Blut war David in den Kopf geschossen, dieses Mal flächendeckend. Und mir fiel auch nichts ein.

„Ich würde ja fragen, ob ich mitgucken darf, aber zu dritt ist es weniger romantisch!“ Mik brüllte vor Lachen.

„Klar kannst du mitgucken“, entgegnete David blitzschnell bei diesem Reizwort.

„Apropos romantisch. Du sagst, du warst gerade in der Nähe? Hast du Titus besucht oder was?“, zog ich ihn auf, um von diesem Schlamassel hier abzulenken. Schon bei der Vorstellung musste ich losprusten.

„Bestimmt nicht!“, fauchte Mik und warf seine Jacke über meine. Shi(f)t Happens stand passenderweise auf seinem schwarzen T-Shirt gedruckt, dessen Ärmel ihm bis über die spitzen Ellbogen reichten. Sein Kleiderschrank bestand fast einzig und allein aus solchen peinlichen Nerd-Shirts, die ihm drei Nummern zu weit waren. Nie machte er was aus sich. Und dann wunderte er sich noch, wieso ihn die Mädchen nicht beachteten.

„Wir sehen uns morgen, ich gehe. Hab keinen Bock drauf, dass du dauernd an der Bildqualität rummäkelst, weil Davids Laptop nicht mit deinem Bluetooth-Player mithalten kann.“

„Das tue ich schon nicht, keine Sorge, außerdem heißt das Blu-ray, nicht Bluetooth. Kehr nicht immer deinen Neid auf anderer Leute Besitztümer raus.“

„Kehr du nicht immer du den Nerd raus“, fauchte ich vor Wut, aber das war es nicht, worauf ich eigentlich sauer war.

„Hört jetzt auf zu streiten und setzt euch!“, fuhr David dazwischen.

Mir war die Lust vergangen, denn Mik brauchte ich im Moment so dringend wie einen Furunkel am Arsch. Für mich war es nämlich viel mehr als irgendein DVD-Abend. Eben ein Abend, den ich exklusiv mit David hatte genießen wollen. Aber sein Blick! Sein stummes Flehen, dem ich nichts entgegenzusetzen hatte. Brav rutschte ich erneut an die Wand.
 

So hatte ich mir den Abend wahrlich nicht vorgestellt: Neben Mik, der einen neuen Weltrekord im Tortillaessen aufgestellt hatte, auf dem Bett gequetscht; die Decke übersät von seinen Krümeln. David, der Gastgeber, ganz bescheiden neben dem Bett, auf seinem Schreibtischstuhl sitzend, aber auf dem Gesicht einen friedlichen Ausdruck und auf dem Schoß eine Tüte Cashewkerne, von denen er naschte. Während ich Mik geradezu ermorden könnte, denn es gab nichts Schlimmeres als einen Laktoseintoleranten, der die Luft verpestete, weil er seine Pillen vergessen und zuvor noch einen riesigen Milchshake getrunken hatte. Danke, Mik! Bei Gelegenheit würde ich mich revanchieren.

„Das ist meine Lieblingsstelle…“, sagte David leise. „Simba, du hast mich vergessen….“, sprach er mit dem Löwen mit. „Nein! Das könnte ich nicht! – Du hast vergessen, wer du bist und somit auch mich. Hör auf dein Herz, Simba, du bist zu etwas anderem bestimmt. Du musst deinen Platz im Ewigen Kreis einnehmen…“

„Der geborene Synchronsprecher“, johlte Mik und griff abermals in die Tüte, aber jetzt war sie leer. Er seufzte enttäuscht, knüllte sie zusammen und warf sie achtlos auf den Boden, als wäre er bei sich zuhause. Wo seine Mutter für ihn kochte, seine Wäsche wusch und sogar sein Zimmer aufräumte, ja, das musste man sich mal vorstellen – mit neunzehn Jahren! Das wäre meiner Mutter nicht im Traum eingefallen. Und heute war ich ihr dankbar dafür.

„Den Gedanken, dass alles ein wiederkehrender Kreis ist, finde ich so tröstlich“, sagte David.

„Vielleicht solltest du zum Buddhismus konvertieren? Sicher, dass du das Richtige studierst?“

„Klappe, sonst mach ich das gleiche mit dir wie Scar mit Mufasa, du Stinker-Pumbaa!“, fuhr ich ihn an, stellvertretend für David.

„Hast du mich gerade Pumbaa genannt?!“ Kampfeslustig schaute er auf mich herab.

Meine ganze Seite presste ich gegen seine, unter dem Einsatz meiner ganzen Körperkraft, um ihn vom Felsen, oder eher aus dem Bett zu befördern, doch Mik, der ungeahnte Kräfte aufbrachte, verteidigte vehement seine Position, und es gelang mir nicht.

„Hört auf!“, sprach David ein Machtwort, „oder soll ich euch beide rausschmeißen?“
 

Das letzte Viertel des Filmes verlief schweigend. Was den Abend aber restlos versaute war Miks Angebot, mich nach Hause zu fahren, das ich schwerlich ablehnen konnte, wenn ich uns nicht verraten wollte. Kein gemeinsames Einschlafen und Aufwachen bei David.
 

Mik fuhr besonnen mit seinem schwarzen Corsa durch die Stadt und war ganz still dabei. Sogar die Musik hatte er mal weggelassen, was selten vorkam.

Dieser Abend… er hatte irgendwie so einen faden Beigeschmack. Mir schien es, als wolle David nicht mit mir alleine sein. Würde es nicht total paranoid klingen, so würde ich ihn beschuldigen, dass er Mik absichtlich her bestellt hatte…

Schon waren wir im Wohngebiet angelangt und nicht mehr weit weg von meinem Zuhause, als Mik plötzlich fragte:

„Sag mal. Weswegen warst du jetzt wirklich bei David?“

Für einen Moment schauten wir uns in die Augen und ich war mir sicher, dass er darin die Wahrheit lesen konnte. Schließlich war er nicht dumm. Doch ich blieb eisern und hielt den Mund.

Jetzt schürzte er die Lippen und tat beleidigt, als ich nichts sagte.

„Naja. Du musst mir nicht alles erzählen, wir sind ja nicht verheiratet.“ Sein metallischer Anhänger blitzte auf. Das Zeichen unserer Freundschaft. Wie sehr er sich über dieses Geschenk gefreut hatte.

Er fuhr in meine Straße und hielt genau vor dem Eingang des Mehrfamilienhauses, wo nicht mehr allzu viel Lichter brannten.

„Ach ja, wegen dem Tag der Offenen Tür bei euch im März… Ja, ich werde doch kommen. Ich schau mir das mal an… Mama meint es jetzt wirklich ernst mit Oma, sie packt es einfach nicht mehr. Sie denkt jetzt ernsthaft darüber nach, ihr einen Platz im Heim zu suchen.“

„Das finde ich gut, dass du es dir anschauen willst. Deine beste Entscheidung dieses Jahr!“, lobte ich ihn. Ich kannte die Situation von Miks Großmutter, die von seiner Mutter zu Hause gepflegt wurde – zusätzlich zu Haushalt und Teilzeitarbeit. Mit ihr hatte ich mal ein längeres Gespräch geführt, in dem sie indirekt über diese Doppelbelastung geklagt hatte.

„Tja, irgendwann geht es halt zu Ende…“, murmelte er. „Erst Oma, dann meine Alten, die sind ja auch nicht mehr die Jüngsten, dann ich. Aber… bis es so weit ist, genieße ich mein Leben!“

Ich haute ihm gegen die Schulter. „Genau. Solche Depri-Gedanken passen eh nicht zu dir! Danke fürs Heimbringen!“ Damit stieg ich aus.

Das war Mik. Er war kindisch und fast schon naiv, ließ oft den Nerd raushängen und verpasste mir Spitznamen, die ich nicht mochte. Aber er war trotzdem mein bester Freund.



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