All the small things.
Wir sind allein.
Einer der wenigen Momente, in denen keiner unserer Bandkollegen, kein Techniker, kein Manager, keine Nora, einfach niemand um uns herumwuselt. Und dennoch sitzt du auf der anderen Seite des Raumes. Weit weg von mir, vertieft in einen deiner Texte, versunken in deiner eigenen kleinen Welt. Du hast dein Knie an den Körper gezogen, streichst mit dem Daumen unablässig über deine Unterlippe und knabberst ab und an abwesend an deinem Fingernagel, ohne ihn jedoch abzubrechen. Eine deiner Angewohnheiten.
Wie gerne würde ich jetzt zu dir hinüber gehen, dich in meinen Arm ziehen, dir in die tiefen, dunklen Augen sehen, in denen ich so viel lesen kann, wenn du es zulässt. Wie gerne würde ich deine weichen Lippen küssen, dir sagen, wie sehr ich dich liebe...
Doch wir haben eine Übereinkunft getroffen, die mich daran hindert, dies einfach zu tun. Keine Nähe, außer wir sind in deinen oder meinen vier Wänden. Keine Küsse, keine Berührungen, ja nicht einmal ein kleines Gespräch. Es sei denn, es geht um die Band. Offiziell sind wir Kollegen. Mehr nicht.
Ich seufze leise und wende den Blick ab von dir, krame mein Handy aus der Hosentasche und checke ein paar E-Mails. Auch von dir sind welche dabei. Mails, die du mir vor einiger Zeit geschickt hast, als du in Europa mit Sukekiyo auf Tour warst und ich allein in Japan, viel zu beschäftigt mit Interviewterminen oder Fotoshootings, mit Treffen von Musikerkollegen, oder schlicht dem Üben unserer neuen Songs, als das ich dich hätte begleiten können und vor allen Dingen dürfen. Leider. Doch du hast mich immer wissen lassen, dass es dir gut geht. Sogar das ein oder andere Telefonat war möglich gewesen. Immer dann, wenn du das Glück hattest, allein in einem Hotelzimmer zu sein. Und immer dann konnte ich deine Stimme hören, die so viel sanfter klingt, wenn du mit mir sprichst und weißt, dass uns keiner zuhört, konnte das leichte Lächeln auf deinen Lippen hören, wenn du mir sagtest, dass du dich auf mich freust, dass du es kaum erwarten kannst, wieder bei mir zu sein.
Ich öffne eine der E-Mails, in der jedoch nichts verräterisches steht. Ich grinse.
"Es könnte ja sein, dass du dein Handy mal verlierst", war deine Antwort auf meine etwas enttäuschte Aussage gewesen, dass du mir nicht einmal liebe Worte schickst, während du doch so weit weg bist. "Und dann, Die, sind wir am Arsch."
Ich hatte gelacht über deine Formulierung und dir schließlich zugestimmt. Du hattest ja Recht. Es reichte schon völlig, dass ich einmal meinen MP3 - Player irgendwo liegen gelassen hatte, auf dem Entwürfe, Ideen für neue Songs gewesen waren. Gott, das hatte Ärger gegeben.
Doch auch, wenn du so oft an alles denkst und so oft alles planst, aufpasst, dass niemand auch nur irgendetwas mitbekommt, so lässt du dir doch manches nicht nehmen.
Wieder muss ich grinsen.
Als wir die bisher neueste, endlich fertig geschnittene und zum Verkauf bereitstehende DVD vom Management ausgehändigt bekommen hatten, taten wir das, was wir in solchen Momenten immer tun. Wir machten es uns gemütlich auf meiner Couch, ich mit einem Bier, du mit der Decke über deinen Beinen und sahen uns die komplette DVD an. Mit sämtlichem Bonusmaterial. Und eine Szene davon, geht mir seither nicht mehr aus dem Kopf.
Wir stehen zusammen. Da bin ich, mir gegenüber Kaoru, links von mir Shinya und Toshiya. Du sitzt rechts an der Wand auf einer Bank, richtest deinen Handschuh, ziehst ihn gerade mehr nach oben. Kaoru hält die Hand in die Mitte unseres recht unförmigen Kreises als Zeichen, dass wir uns gegenseitig Glück wünschen würden für das bevorstehende Konzert. Unser Ritual seit Jahren. Ich lege meine Hand auf seine, während du aufspringst, halb nach vorne hechtest und deine Hand auf meine legst. Sogar Shinyas Hand verscheuchst du, obwohl er viel eher da war.
Mein Grinsen wird breiter als ich daran denke.
"Was war das denn?", hatte ich dich lachend gefragt und schon die Fernbedienung gegriffen und zurückgespult und mir das Ganze noch einmal angesehen, erneut gelacht.
"Oho, da wollte sich aber einer nicht nehmen lassen, meine Hand anzufassen!", hatte ich gescherzt und mir dafür einen Schlag auf meinen Oberarm von dir eingefangen. Mit der Faust.
Trotzdem hatte ich wieder zurückgespult. Dreimal noch. Bis du verlegen die Decke über deinen Kopf gezogen und vor dich hingegrummelt hattest. "Kann mir ja nicht alles verbieten. Meine Hand gehört nun einmal auf deine."
Ich hebe meinen Blick wieder und sehe dich an.
Du bist immer noch ganz vertieft, sprichst die Worte lautlos vor dich hin, die du liest, um sie dir einzuprägen. Damit du sie später fehlerfrei singen kannst. Du bist ein Perfektionist. Schon immer gewesen. Und auch das liebe ich an dir. Auch, wenn es manchmal anstrengend ist, wie du etwas immer und immer wieder tust, solange, bis es wirklich perfekt ist. Dabei war es vorher schon mehr als nur gut.
Noch immer sind wir allein und ich erhebe mich von meinem Platz, schleiche zur Tür, ohne jedoch durch sie hindurch zu gehen, sondern ich drehe den Schlüssel.
Das leise Klicken zeigt mir, dass sie abgeschlossen ist und endlich siehst du mich an, fragend, warnend sogar. Doch ich ignoriere dies ausnahmsweise, mache zwei große Schritte, bis ich endlich bei dir bin. Meine Hand findet den Weg auf dein Knie, die andere lege ich an deine Wange, streiche sacht mit dem Daumen über deine weiche Haut.
Du rührst dich nicht.
"Das ist gegen die Regeln", sagst du lediglich mit fester Stimme und versuchst so, mich einzuschüchtern.
"Ich liebe dich, Sonnenschein", flüstere ich jedoch stattdessen, ohne auf deine Worte einzugehen, beuge mich nach unten und verschließe unsere Lippen zu einem zärtlichen, nur kurz währenden Kuss. Und plötzlich wird dein Blick sanfter und du erlaubst dir, mich mit all deiner Zuneigung, all deiner Liebe zu mir anzusehen, schmiegst dich sogar etwas an meine Hand und schließt für wenige Sekunden deine Augen.
"Ich liebe dich auch, Die", antwortest du leise, liebevoll, bevor dein Blick sich wieder wandelt und du mit einem Nicken zur Tür deutest.
"Und jetzt mach wieder auf. Sonst war das der letzte Kuss, den du bekommen hast." Deine Stimme ist so fest wie zuvor.
Schauspieler.
Ich grinse leicht, stelle mich aber wieder aufrecht hin und wackele mit einem angenehmen Kribbeln im Bauch zur Tür. Wieder das leise Klicken und gerade, als ich den Raum verlasse, kommt mir schon Nora entgegengestapft und drängt sich an mir vorbei. Perfektes Timing...