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Götterdämmerung

von

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Blutmond

Wie hatte Joey innerhalb von nur einem Wimpernschlag verschwinden können? Er war doch dicht vor ihr gewesen, bis sie einen Moment ins Straucheln geraten war. Mana presste sich flach gegen die Wand des engen Flures und sah sich um. Panik pulsierte in ihren Adern. „Joey...?“ Ihre Stimme war so brüchig, dass sie trotz der Stille kaum zu hören war. Mana zögerte, doch dann holte sie tief Luft und tastete sich zaghaft durch die diffuse Schummrigkeit.

Nach wenigen Schritten hörte sie es. Ein lautes, regelmäßiges Pochen; ähnlich dem eines riesigen, schlagenden Herzens. Mana fröstelte, kratzte aber dennoch allen Mut zusammen und schob sich um eine Ecke.

Mit dem Rücken zu Mana gewandt, die Schwingen weit ausgebreitet, stand die Sphinx.

Mana glaubte zu ersticken. Ein panischer Laut brach über ihre Lippen und sie schlug sich die Hand vor den Mund.

Die Flügel der Sphinx zuckten.

Mana wich zurück, in der Hoffnung, lautlos in der Dunkelheit verschwinden zu können, doch als sich die Sphinx zu ihr umwandte, entfuhr ihr ein entsetzter Schrei. Aus dem Brustkorb des Wesens ragte ein menschlicher Körper hervor. Es war Joey, das Gesicht grau, die Augen starr und leblos, den unteren Teil seines Körpers schon gänzlich mit der Wächterin verschmolzen. Mit jedem Pulsieren ihres Körpers, verschlang die Sphinx ihn weiter. Mana vergaß ihre Angst. Sie stürzte nach vorne, wich ungelenk der Schwinge aus, die nach ihr schlug und griff nach Joeys Händen. „Joey! Joey! Gib nicht auf, bitte! Das sind nur Visionen! Du musst…“
 

Ihre Stimme brach in einen dumpfen Schmerzenslaut, als sich eine Pranke in ihre Seite bohrte und sie gegen die nächste Mauer schleuderte. Über das markerschütternde Brüllen der Sphinx hinweg konnte Mana dennoch hören, wie ihre Knochen brachen. Lodernder Schmerz explodierte in ihrem Arm; in ihrem Sichtfeld tanzten schwarze Punkte. Sie hörte, wie sich die Sphinx näherte, das schleifende Geräusch von Joeys Armen auf dem staubigen Boden ließ Mana würgen. „Joey…“ Ihre Stimme klang so schwach, dass sie selbst erschauderte. „Joey, du musst dich wehren… wenn du … wenn du nicht kämpfst wirst du verschwinden. Du wirst … auf ewig in diesem Alptraum gefangen sein. Wehr dich! Bitte!“ Die Sphinx stand vor ihr. Mana wusste, dass sie nicht aufsehen durfte. Sie wusste, dass die Sphinx auch sie verschlingen würde. Und doch hob sie wie ferngesteuert den Kopf und sah der Wächterin in die seelenlosen Augen.
 

Blut. Überall war Blut. Sie glaubte es auf ihrer Zunge schmecken zu können; kalt, metallisch. Als Mana den Kopf wandte, sah sie Atemu. Seine weiße Tunika war blutbesudelt, sein Umhang schwer und nass. Seine violetten Augen starrten in die Ewigkeit, beachteten weder Mana, noch die vielen Toten, die ihn umringten. Mana keuchte. „Atemu…“, ihre Stimme bebte. „Was hast du getan… bei allen Göttern, was hast du … getan?“ Die rechte Hand des Pharao öffnete sich und unter metallischem Klappern fiel ein reich verzierter Dolch zu Boden, die Klinge rot von getrocknetem Blut. Mana spürte die Tränen in ihren Augen aufsteigen.
 

Ein wunderbarer Anblick.

Als plötzlich jemand hinter ihr sprach, fuhr Mana erschrocken aus ihrer Starre. Das Erste was sie erblickte, als sie sich umwandte, waren rote, glühende Augen, so alt wie die Welt und durchdringend wie Gift. Mana öffnete den Mund, doch sie brachte nicht einmal einen Schrei zustande, als ihr bewusst wurde, wer ihr gegenüberstand.

Seth’s Schakalsohren zuckten leicht, als er nähertrat, er schien diese Situation mit jeder Faser seines Körpers zu genießen. Sieh ihn dir an, Menschenkind. Der große Pharao, Sohn der Götter, Bewahrer der Ordnung, hier, auf den Knien, umgeben von all jenen, deren Leben er mit eigener Hand ausgelöscht hat.

Mana bebte am ganzen Leib. Sie schlug sich die Hände vor die Ohren, doch Seths grausame Stimme drang dennoch zu ihr vor. Er, dessen Seele in der Duat verschlungen werden wird, er, dessen Herz die Prüfung der Reinheit nicht bestehen wird. Nicht einmal Isis wird ihn schützen können, wenn er vor dem Totengericht beurteilt wird.

Mana wimmerte.

Was hast du, Menschenkind? Der Wüstengott trat einen Schritt nach vorne und Mana stöhnte gequält. Seine Anwesenheit bereitete ihr Schmerzen. Hast du etwa Mitleid? In der Stimme des Gottes lag pure Verachtung, aber auch eine entwürdigende Belustigung. Er ging an Mana vorbei, trat neben Atemu und vergrub seine krallenbesetzte Hand in dessen Haar. Mana entkam ein ersticktes Keuchen, als Seth Atemus Kopf in einer brutalen Geste hochriss, so dass der Pharao gezwungen war, Mana direkt ins Gesicht zu blicken.

„Hör … hör auf…“, Manas Stimme war nur ein leises Flüstern, ihr Blick lag gebannt auf den starren Augen ihres besten Freundes, in denen kein Hauch von Menschlichkeit mehr zu finden war. Seth lachte grollend.

Weichherziges Menschenkind, er spie ihr die Worte entgegen, lockerte aber tatsächlich den Griff. In seinen roten Augen blitzte es. Was bist du bereit zu tun, um diese Seele zu retten? Zeig mir, wie groß menschliche Schwäche ist. Er hob eine Hand und plötzlich erschien neben Atemu eine weitere Person.

Mana taumelte wie unter einem Schlag. „Joey!“

Ein Reisender, der hier nicht hingehört. Einer, der sich über die Ordnung der Maat setzt und die Zeit aus dem Gleichgewicht bringt. Seths Stimme schien aus allen Richtungen zu hallen, kein Muskel bewegte sich in seinem Gesicht, während er sprach. Plötzlich trat er einen Schritt nach vorne und trat mit einem Fuß gegen den blutbefleckten Dolch, sodass er über den steinernen Boden schlitterte und vor Mana zum Liegen kam.
 

Wähle, Menschenkind.

Manas Kehle schmerzte „W-was?“

Seths Gestalt schien zu wachsen und mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Wen willst du retten? Den Reisenden? Den gefallenen König? Die roten Augen loderten.

Manas ganzer Körper zitterte vor Anspannung. Ihr Herz schlug so hart in ihrer Brust, dass sie glaubte, wahnsinnig zu werden.

Wähle!

Sie öffnete den Mund und brachte doch keinen Ton heraus.

Wähle, Menschenkind!
 

Ihre Gedanken setzten aus. Alles was zurückblieb, waren Angst und Verzweiflung. Ihr Blick senkte sich auf den Dolch in ihrer Hand. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn aufgehoben zu haben. Wie in Zeitlupe trat auf die beiden Männer zu, die reglos vor ihr knieten. Die Klinge blitzte, als sie den Dolch langsam hob, bereit zum tödlichen Stoß. Sie konnte Seths heißen Atem in ihrem Nacken fühlen, seine erwartungsvolle Begierde nach frischem Blut – und plötzlich zerriss etwas in ihr. Sie konnte ihr Herz schlagen spüren, so bewusst wie nie zuvor. Ihre freie Hand glitt in die kleine Tasche ihrer Tunika und umschloss das Artefakt, das dort drin ruhte. Das Auge des Re glühte. Sanfte Wärme stieg durch Manas Fingerspitzen und durchfloss ihren gesamten Körper, beruhigte ihre panischen Gedanken.
 

„Nein.“ Der Dolch fiel laut zu Boden, als sie ihre klammen Finger öffnete. Bebend und doch entschlossen hob sie den Kopf und sah direkt in die hasserfüllten Augen des Wüstengottes. „Du bist nicht real. Das alles ist nicht real. Du bist nur die Ausgeburt meiner Ängste.“ Langsam trat sie einen Schritt zurück, die Arme vor der Brust überkreuzt, während ihre Seele nach ihrem Ka rief. „Ich werde nicht wählen. Niemals.“ Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie fühlen, wie ihr Ruf beantwortet wurde. Ihr Ka pulsierte, durchflutete ihren Geist mit einer endlosen Ruhe. „Verschwinde.“ Das Ka brach heraus. Gleißendes Licht fraß sich durch die Dunkelheit, zerschmetterte Seths Antlitz und ließ die Vision zerbersten.

Das nächste, was Mana sah, war das ausdruckslose Gesicht der zur Stein zurückgewandelten Sphinx, die reglos auf der Seite lag. Über ihrem zerbrochenen Körper schwebte ein Magiermädchen, den Stab noch immer angriffsbereit ausgestreckt und lächelte Mana aufmunternd zu. Und direkt zu ihren Füßen lag, benommen, aber lebendig, Joey.

Sein Blick flackerte, als er aufsah. Mana streckte zögerlich eine Hand nach ihm aus und biss sich verzweifelt auf die Unterlippe, als sie sah, dass er erschrocken zurückzuckte. „Joey…“, murmelte sie mit belegter Stimme. „Es ist vorbei. Es war nur ein Traum. Es war…“
 

Sie unterbrach sich, als Joeys Hand plötzlich nach vorne zuckte, ihr Handgelenk umklammerte und sie an sich heran zog. Sie öffnete ihren Mund, doch ihr halbherziger Protest verklang an Joeys Lippen, die sich auf die ihren legten. Sein Kuss war hungrig; hungrig nach ihr, hungrig nach Leben. Seine Hände drängten sie nach hinten, bis sie die Kälte des Steinbodens an ihrem Rücken fühlte. Mit einem leisen Keuchen löste Joey sich plötzlich von ihr, jedoch nur soweit, dass sie seinen Atem noch fühlen konnte. „Es tut mir leid… es tut mir so leid…“ Immer wieder fing er ihre Lippen ein, bis Mana sich schwindelig fühlte. Sie versuchte zu antworten, aber Joey ließ ihr keine Möglichkeit. „Bleib bei mir“, raunte er heiser. „Bleib an meiner Seite.“ Seine freie Hand fuhr beständig durch ihre langen Haare; strich über ihre Wange und hinterließ eine Gänsehaut auf ihrem Weg. Sein Körper drängte sich so warm gegen den ihren, dass Mana die Kälte ihrer Umgebung nicht mehr wahrnahm. Sie schloss die Augen, schlang die Arme um ihn – und stöhnte erstickt auf, als der Schmerz in ihrem Arm explodierte. Erschrocken fuhr Joey zurück und musterte sie; erst jetzt schien er ihren Zustand wahrzunehmen. „Wir müssen hier raus“, murmelte er plötzlich entschlossen und zog Mana vorsichtig vom Boden hoch.

„Nur eine kleine Pause“, bat Mana erschöpft, doch Joey schüttelte den Kopf.

„Nein. Wir sind schon zu lange hier. Wir werden jetzt diesen Ausgang finden.“ Plötzlich zog er sie an sich und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. „Wenn du nicht mehr weiter kannst, werde ich dich tragen.“

Das Licht flackerte und erlosch, als Manas Ka seine Gestalt aufgab und zu ihr zurückfloss. Die Dunkelheit kehrte zurück. Doch die Angst hatte endlich keine Macht mehr.

 

~ oOo~
 

Er hatte den Pfeil nicht kommen sehen. Gerade, als Atemu sich ein kleines Stück vorneigte, um die Zügel besser fassen zu können, konnte er einen Luftzug in seinem Nacken spüren. Er wandte den Kopf und sah, wie der Bogenschütze im Streitwagen neben ihm taumelte. In seinem Hals steckte der gefiederte Schaft des Pfeiles, der Atemu um wenige Millimeter verfehlt hatte. Wie in Zeitlupe kippte der junge Ägypter nach hinten, fiel zu Boden und verschwand unter den Hufen der nachpreschenden Pferde. In Atemu regte sich weder Entsetzen, noch Angst. Die Stadttore Memphis‘ waren greifbar nah und schlossen sich gerade hinter den verbliebenen Soldaten, die noch am Leben waren und flüchten konnten. Die wenigen, die jetzt auf beiden Seiten noch starben, bezeugten das letzte Aufbäumen einer vernichteten Armee. Atemus Lippen verzogen sich zu einem triumphalen Lächeln. Er hatte gesiegt. Es war ein teuer erkaufter Sieg. Doch es war ein Sieg.

Die Stadttore fielen donnernd zusammen, versperrten Atemu den Einzug in die unterworfene Stadt. Mit einem scharfen Ruck an den Zügeln brachte der Pharao seinen Streitwagen zum Halt. Die wenigen gegnerischen Soldaten, die zu erschöpft oder verletzt waren, um es hinter die sicheren Stadtmauern zu schaffen, fielen unter den Chepesch von Setos nachrückenden Söldnern. Atemu hielt sie nicht auf.
 

„Mein Pharao, der Feind ist geschlagen.“ Aus dem Gewühl des Heeres, trat plötzlich Mahad neben ihn, die weiße Tunika blutig und voll Schlamm, doch augenscheinlich unverletzt. „Stoppt dieses Massaker. Es ist nicht mehr nötig.“

Atemus Fingerspitzen zuckten. Er wusste es selbst. Aber etwas in ihm schrie vor Blutdurst, etwas, das ihn gleichsam berauschte und ängstigte. „Es ist bald vorbei.“ Er hörte sich sprechen, kühl und beherrscht und wusste nicht, wo die Stärke herkam, die in seiner Stimme lag. Alles war so fern. So fremd. Als erkenne er seinen eigenen Körper nicht mehr. „Es wird Neferabu dazu zwingen, zu handeln. Sein Volk wird es ihm nie verzeihen, dass er ihre Söhne, Männer und Brüder vor den verschlossenen Toren der Stadt sterben ließ, weil er nicht Manns genug war, sich seiner Niederlage zu stellen.“

Mahads Blick traf ihn tief. In den Augen des Hohepriesters lag etwas, das Atemu nicht greifen konnte, als wäre er nicht mehr in der Lage, Emotionen zu verstehen. Doch er spürte, wie eine Gänsehaut über seine Arme kroch. Sein Atem beschleunigte sich und wurde flacher, sein Geist begann sich in das einzige Gefühl zu retten, das er noch in der Lage war zu empfinden: Wut. Doch im letzten Moment, bevor der Zorn ihn überrannte, zog eine Bewegung am Stadttor die Aufmerksamkeit aller auf sich. Ein unbewaffneter Bote trat heraus, überquerte das Schlachtfeld unbehelligt und verneigte sich tief, als er Atemu erreichte. Der Pharao nahm einen tiefen Atemzug – Neferabu handelte endlich.

„Pharao Neferabu sendet mich, um Euch eine Nachricht zu überbringen.“ Der Ägypter war jung, aber selbstsicher und stolz. Atemu verfluchte einen kurzen Moment den Ehrenkodex, der Boten Sicherheit gewährte. „Pharao Neferabu lässt Euch daran erinnern, dass die Mauern Memphis‘ schon viele Schlachten überstanden haben. Ihr könnt weiterhin unter seinen Soldaten wüten wie ein Berserker, doch die Mauern werdet Ihr nicht zum Einsturz bringen.“

Atemus Hand zuckte ohne sein Zutun an den Griff seiner Chepesch. Langsam und bedächtig stieg er von seinem Streitwagen, genauso langsam und bedächtig, wie er die Waffe zog. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Mahad zuckte, doch der Hohepriester wagte nicht sich tatsächlich einzumischen. Die Klinge der Chepesch beschrieb einen sirrenden Halbkreis, als Atemu auf den Boten zutrat und ihm die Waffe plötzlich gegen den ungeschützten Hals presste. Zum ersten Mal blitzte in den dunklen Augen des Ägypters Angst auf, eine Todesangst, die das Dunkle in Atemus Seele mit Befriedigung nährte. „Überbringe Neferabu folgende Nachricht“, sprach Atemu leise. „Ich gewähre ihm Zeit bis Sonnenuntergang. Sobald der Mond am Himmel steht, erwarte ich, dass die Stadttore geöffnet werden. Und ich erwarte, dass er vor mir auf die Knie geht und seine Hinrichtung akzeptiert. Seine Zeit als Pharao ist abgelaufen.“ In einer plötzlichen Bewegung zog er die Waffe zurück und beobachtete den einzelnen Blutstropfen, der aus dem oberflächlichen Schnitt quoll. Auf einen Wink hin traten zwei Sklaven heran, die unter dem Gewicht weißer Leinenbanner ächzten. „Als Zeichen seiner Niederlage, wird Neferabu seine roten Banner einholen und die meinen hissen lassen.“ Sein Blick hob sich, bohrte sich in die geweiteten Augen des Boten. „Sollte er sich weigern, wird Memphis brennen. Und mit ihr jede Ratte, die sich dort drin verbirgt.“
 

Er sah dem Boten nicht nach, als dieser, gefolgt von den schwer bepackten Sklaven, in die belagerte Stadt zurückkehrte. Er achtete auch nicht darauf, ob seine Sklaven die Stadt wieder lebend verließen. Es war ihm gleichgültig. Sein Herz schlug heftig in seiner Brust, jeder Schlag sprengte die Ketten, die einen Teil seiner Seele festzuhalten schienen. Die Sonne versank langsam und unaufhaltsam, beugte sich der Dunkelheit, wie Atemu es tat. Das Millenniumspuzzle begann zu vibrieren, brannte sich glühend in seine Brust.

Aus dem tiefen Nebel seiner Gedanken, bemerkte Atemu, dass Mahad nähergetreten war. „Es ist bald soweit, Pharao“, sagte der Hohepriester mit einer seltsamen Härte in der Stimme. „Was werdet Ihr tun, wenn Neferabu nicht reagiert?“

Atemus Antwort bestand daraus, dass er seine Hände um das Millenniumspuzzle schloss. Er glaubte, ein Lächeln auf seinen Lippen zu spüren. Mahad fuhr deutlich sichtbar zusammen, in seinen blauen Augen stieg Entsetzen auf. „Das … ist nicht Euer Ernst. Ihr könnt Euer Ka nicht gegen Zivilisten einsetzen! In dieser Stadt sind nur noch wenige Soldaten, der Rest sind Frauen, Kinder und Alte. Ich bitte Euch, tut das ni-“

Eine harsche Handbewegung von Atemu brachte ihn zum Schweigen. Nach einem langen Moment des Zögerns, fuhr der Hohepriester auf der Ferse herum und verschwand in der hereinbrechenden Dunkelheit. Der Mond, der langsam über den Nachthimmel zog, erschien Atemu heute blass und farblos. Nach einem tiefen Atemzug wandte der Pharao sich um. Memphis leuchtete im Schein hunderter Fackeln. Der sanft aufbrandende Wind verfing sich in den roten Bannern Neferabus, die stolz und unbeugsam von den Stadttoren wehten. Die Ketten in Atemu rissen. Seine Finger krallten sich so tief in das Millenniumspuzzle, dass seine Adern hervortraten. Wut loderte in ihm auf, wurde verzehrt von tiefem Hass und der unstillbaren Gier nach Rache. Sein Geist bäumte sich auf und schrie, bis das Ka in ihm bebend antwortete. Hitze wallte durch Atemus Körper, zwang ein ersticktes Stöhnen auf seine Lippen, als sein Ka in ungezähmter Heftigkeit aus ihm hervorschoss und sich über ihm ballte. Er konnte entsetzte Schreie hören und die Panik fühlen, die sich verbreitete.

Es war das Letzte was er wahrnahm, bevor seine Gedanken im Nichts versanken.
 

~oOo~

 

Mana wusste nicht mehr, wie sie aus dem Labyrinth entkommen waren. Sie wusste nur noch, dass Joey sein Versprechen wahrgemacht und sie getragen hatte, als ihr Körper vor Erschöpfung aufgab. Sie spürte, wie kraftlos und ausgelaugt seine Bewegungen waren, aber er hatte nicht ein einziges Mal innegehalten. Und endlich … endlich konnten sie den Wind wieder spüren, der sanft und kühl um sie strich und auch die letzten Überreste des modrigen Altertums verscheuchte, der sie so lange umfangen hatte. Mana sah über ihre Schulter zurück zu der Felsspalte, aus der sie hervorgetreten waren. Sie glaubte, noch einmal dieses diffuse, grüne Leuchten zu sehen, doch als sie blinzelte, war es verschwunden. Die Felsspalte lag unberührt da, die Mauern so dicht und massiv, dass nicht einmal eine Schlange Durchlass finden würde. Mana schluckte. Sie waren wieder zurück. Nicht zurück an der Oberfläche. Sondern zurück in dieser Welt.
 

Das Felsplateau und die Sphinx waren verschwunden. Sie waren umgeben von Sand. Scheinbar endlosen, weißem Wüstensand. „Lass mich runter, Joey“, murmelte Mana heiser, als sie das Zittern spürte, das durch seinen Körper zog. Im ersten Moment, schien er protestieren zu wollen, doch auch dafür fehlte ihm mittlerweile die Kraft. Mana rutschte vorsichtig von seinem Rücken und verbiss sich einen Schmerzlaut, als sie dabei ihren gebrochenen Arm bewegte. „Bleib hier und ruhe dich etwas aus“, sprach sie hastig und deutete auf die Sanddüne, die vor ihnen aufragte. „Ich werde nur noch diese paar Meter weitergehen, von dort oben kann ich mich umsehen und vielleicht herausfinden, wo wir sind.“

Joey antwortete nicht. Er war bereits rücklings in den weichen Sand gefallen und hatte die Augen geschlossen. Ein müdes Lächeln flog über Manas Züge, doch dann straffte sie sich und erkämpfte sich ihren Weg auf die Sanddüne. Sie sah erst auf, als sie die Spitze erreicht hatte – und erstarrte.

Einen Augenblick lang weigerte sie sich zu akzeptieren, was sie sah. Vor ihr lag Memphis. Schön, majestätisch und vom Krieg scheinbar unberührt. Doch das einzige, was Mana wirklich sah, war die weißgekleidete Gestalt Atemus, der im silbernen Licht des Mondes zu strahlen schien und über ihm schwebend, groß und grausam schön, Obelisk der Peiniger.
 

Einen Moment lang lag eine vollkommene Stille über allem. Einen Moment lang hatte Mana die Hoffnung, dass sich alles noch zum Guten wenden würde. Dann hob Atemu die Hand. Mana taumelte. Sie waren zu spät. Sie hatten alles riskiert, ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Und waren um wenige Augenblicke zu spät. Ihr verzweifeltes Schluchzen ging in Obelisks ohrenbetäubendem Brüllen unter, als er sich zum Angriff spannte. Doch kurz bevor er in die Höhe stieg um Memphis niederzubrennen, preschte ein Streitwagen heran. Manas Tränen versiegten in purem Schock, als sie dabei zusah, wie Hohepriester Mahad seinen Wagen zwischen Atemu und die Stadt führte, die Arme überkreuzte und sein Ka rief. Obelisks rote Augen glühten, als ihm bewusst wurde, dass zwischen ihm und der totgeweihten Stadt ein schwarzer Magier schwebte, bereit, das größtmögliche Opfer zu erbringen.

Mana sank auf die Knie.

Sie schrie, bis ihre Stimme vor Heiserkeit schwand.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: ShioChan
2016-12-12T08:21:09+00:00 12.12.2016 09:21
Klasse Kapitel. Diese Spannung und Dramatik. Ich will weiter lesen. >_______< Bitte schreib schnell weiter. :D
Ich freu mich schon aufs nächste Kapitel.
Von:  RandaleEiko
2016-12-07T21:35:41+00:00 07.12.2016 22:35
Usaria hat schon alles gesagt was es zu sagen gibt xD. Aber ich wiederhole es gerne noch mal. Das war wieder ein tolles Kapitel. Hat viel Spaß gemacht es zu lesen, freue mich auf das nächste spannende Kapi von dir. BOMBE!! ^^
Von:  Usaria
2016-12-07T18:52:19+00:00 07.12.2016 19:52
Dramma pur! Miez du bist gemein! kannst doch nicht an dieser Stelle abbrechen! Mich und andere Leser wieder sooooo laaaaangeeee warten lassen! Hallo die Waldfee! Das darf doch nicht wahr sein! Wie wollen, Yugi, Joey und Mana da noch was ausrichten. Ich sehe es schon einer geht drauf!
Toll und spannend geschrieben! Nur bitte, bitte, bring möglichst bald das nächste Kapitel! Gut das wir Advendt haben, Nervennahrung ist gesichert!
Antwort von:  Mieziliger
07.12.2016 22:14
Ehrlich gesagt, hatte ich beinah noch eine weitere Szene angefügt, weil ich irgendwie Angst hatte, dass das Kapitel zu langweilig wäre. Keine Ahnung was mich da geritten hatte. :D
Aber habe mich nun doch entschieden, die Szene in das nächste Kapitel zu schieben - macht auch mehr Sinn. Ich hoffe, ich schaffe das neue Kapitel noch vor Weihnachten, aber versprechen kann ich es nicht, da ich in der Vorweihnachtszeit immer ein wenig Stress habe.
Aber ich werde mich dahinter klemmen! :D

Tjaaaaa... die Situation scheint sehr aussichtslos für Mana, Yugi und Joey, was? ^^
Ich sage mal nichts dazu und blättere freundlich lächelnd durch meine Notizen, in denen mein Handlungsverlauf steht. Hach, ich freue mich auf die kommenden Kapitel. XD

Liebe Grüße und ein paar weihnachtliche Streusterne,

Miez


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