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Not all those who wander are lost

von

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Die göttliche Komödie

You're a diamond in the rough,

A brilliant ball of clay,

You can be a work of art,

If you just go all the way,
 

Now what would it take to break?

I believe that you can bend,

Not only do you have to fight,

But you have got to win.
 

Kung Fu Fighting - Cee-Lo
 

~*~*~*~*~*~*~*
 

1.Die göttliche Komödie
 

Aufgeregt wippte das junge Mädchen auf dem Stuhl hin und her. Sie summte eine Kindermelodie, während ihre Mutter leicht verzweifelt versuchte ihr die Haare zu kämmen. „Schatz, bitte halt still.“, mahnte sie ihre kleine Tochter schon zum wiederholten Male. Doch ähnlich wie ihre Haare war auch ihre Mutter gerade sehr uninteressant. In Gedanken war sie schon viel weiter. Heute würde sie endgültig Novizin werden und schon seit Wochen quasselte die achtjährige von nichts anderem mehr. Die Aufnahmeprüfungen waren hart gewesen, denn nicht jeder eignete sich dafür. Sie aber schon. Das einzige Mädchen in diesem Jahrgang. Es hatte aber auch nur zwei weitere Mitbewerberinnen gegeben, mahnte sie sich ständig und wusste, dass sie härter trainieren musste als alle anderen. „Serafina Michaela Morgenstern.“ Der Tonfall ihrer Mutter wurde warnend und mit einem Schlag saß sie still. Auch ihre Mutter war eine Assassine geworden und hatte erst mit der Schwangerschaft eine Pause eingelegt, die jetzt schon acht Jahre andauerte. Nach dem heutigen Tag würde sie ihren Dienst wieder antreten, den ihre Tochter würde als Novizin in die Bruderschaft eintreten und damit aus ihrer Obhut genommen werden. Ein leichtes Murren entfuhr dem Mädchen und sie verschränkte demonstrativ die Arme, ließ ihre Mutter aber endgültig gewähren. Mit geschickten Fingern bändigte diese die Haare ihrer Tochter in einem geflochtenen Zopf, ehe diese endgültig entlassen wurde und in ihr Zimmer hüpfte. Am vorangegangenen Vormittag hatte ein Bote das kleine Päckchen gebracht, das seither im Zentrum der Aufmerksamkeit ihrer Tochter gestanden hatte. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen um es zu öffnen und ganz ihrer stürmischen Art entsprechend zerlegte Serafina das Paket, anstatt es ordentlich zu öffnen.

Maria hatte es schon lange aufgegeben ihr Kind zu bändigen. Sie war wie der Ozean. Man konnte ihr Grenzen aufzeigen, aber sie einfangen oder sie zu beeinflussen war unmöglich. Wenn sie etwas wollte, dann setzte sie das auch durch. Dazu gehörte auch die Ausbildung in der Bruderschaft. Das ganze Dorf, hier inmitten der Dolomiten, war von Assassinen besiedelt, aber nicht alle waren auch wirklich welche. Von außen war es ein normales Dorf, das nicht gerne mit der Moderne in Berührung kam, einfach um nicht gefunden zu werden. Aber sie verschlossen sich auch nicht davor, denn die Templer taten es auch nicht und sie mussten immer bereit sein. Mit einem leicht wehmütigen Seufzen machte sich Maria auf den Weg in die Küche um dort noch ein einfaches Frühstück vorzubereiten. Sicher war es nicht das letzte Mal, denn zwischen ihren Aufträgen würde Serafina bei ihr wohnen, aber diese unbeschwerte Kindheit war vorbei. Obwohl – war es je eine gewesen? Denn selbst die Spiele im Kindergarten und in den Vorklassen waren darauf ausgelegt. Man musste kein Assassine sein um gejagt zu werden, also erhielten alle die gleiche Basis um sich selbst schützen zu können und dafür nutzte man die sehr aktiven Kinderköpfe.

Keine fünf Minuten später hüpfte Serafina in der schneeweißen Tracht mit dem roten Bauchtuch in die Küche. „Schau Mama!“, rief sie aufgeregt und präsentierte sich wie eine Prinzessin „Sie steht dir perfekt.“ Und das war auch so. Der Knoten war richtig gebunden und auf der rechten Seite. Auch das Halstuch stand genau in der perfekten Höhe aus dem Überwurf heraus, der natürlich ausgezeichnet saß. Als hätte man sie aus einem Bilderbuch ausgeschnitten. Viele Eltern halfen ihren Kindern in den ersten Tagen, doch ihre Tochter wäre beleidigt gewesen, hätte Maria es auch nur angeboten. Das Mädchen war stur und sehr stolz. Letzteres war zwar sehr ungesund, doch sie kannte die Ausbildung und wusste, dass die Bruderschaft sie dazu zwingen würde. Vielleicht lag es an der Namenswahl? Aber sie hatte einfach nicht widerstehen können. Christopher, ihr Ehemann, hatte damals gelacht und den Kopf geschüttelt. Schon immer hatte Maria Anspielungen geliebt und so hatte es ihn nicht gewundert, dass auch ihr Kind nicht davon verschont blieb. Selbstverständlich waren die Namen typisch italienisch, hatten aber auch den deutschen Einschlag für den Nachnamen Morgenstern. Serafina von Seraphim, was nichts anderes als „der Feurige“ bedeutet und Michaela natürlich für den Erzengel der dafür stand. Stark, mächtig, ein Krieger. Der Erzengel Michael, der auch „der Feurige“ genannt wurde sollte ihr Schutzpatron sein, besonders weil Maria ihre Tochter angesehen hatte – direkt nach der Geburt und mit den Worten begrüßt hatte: „Du bist eine von uns.“ Damit meinte sie nicht den Familienverbund sondern die Bruderschaft. Die lateinische Bezeichnung des Morgensterns war Lucifer, Michaels ewiger Gegenspieler. Vielleicht war sie deswegen so stolz, stark und stur. War der gefallene Erzengel auch nicht von seinem Pfad abgewichen, ebenso wenig wie Michael.

„Ich hab es geschafft!“, die Türe wurde aufgerissen und ein atemloser Christopher war herein gestürmt. Er trug noch seine volle Montur, wirkte mitgenommen und übermüdet. Serafina mochte den dunklen Augenringen keine Beachtung schenken, doch auf Marias Gesicht bildeten sich Sorgenfalten. Er musste sich ganze Nächte um die Ohren geschlagen haben um den Auftrag so schnell wie möglich zu beenden um die Aufnahmezeremonie seiner einzigen Tochter nicht zu verpassen. „Papà!“, quietschte die Kleine und sprang ihn voller Freude an. Nur kurz verzog er das Gesicht schmerzvoll, doch sofort war er wieder ganz der Papa und zeigte eine stolze und freudige Miene. Maria hatte ihn selbstverständlich sofort durchschaut und nach dem er seiner Tochter gestanden hatte, wie gut sie in ihrer Tracht aussah entschuldigte er sich um zu duschen. So konnte er unter gar keinen Umständen an der Zeremonie teilnehmen. Schließlich hatte auch Maria ihre Galauniform an. Schnell machte diese die Brote für Serafina fertig und stellte sie auf den Tisch. „Hier. Ich sehe noch schnell nach deinem Vater. Du weißt doch, er zieht doch immer irgendetwas falsch an.“, mit einem frechen Zwinkern verschwand sie nach oben.

Das Lächeln verschwand aber, als sie die Treppen nach oben stieg und ohne zu klopfen ins Bad eintrat. Dort stand er auch schon, halb entkleidet. Die Waffen lagen auf dem Boden verstreut und gerade jetzt versuchte er das Hemd auszuziehen, konnte aber ein schmerzhaftes Stöhnen nicht unterdrücken. Ohne zu zögern trat sie auf ihn zu und half ihm. „Du gehörst auf die Krankenstation.“, darin lag kein Vorwurf, sondern es war rein informativ. Wäre sie an seiner Stelle, dann würde sie auch nicht die Zeremonie verpassen wollen – also konnte sie ihm auch keinen machen. Nein, so stimmte das nicht, ihr Blick war tadelnd und sie war eine Frau. Sie durfte ihn kritisieren, auch wenn sie es nicht anders machen würde. Als Antwort murrte Christopher nur und ließ sich weiter beim entkleiden helfen. Das Thema war durch, faktisch besprochen ohne darüber geredet zu haben. Während er duschte sammelte sie Kleidung und Waffen ein, die einen landeten in der Wäsche, die anderen im Arbeitszimmer. Sie suchte die Galauniform ihres Mannes heraus und legte alles ins Bad, ehe sie ging und wieder nach ihrer Tochter sah, die bereits fertig war mit dem Frühstück. Dass sie nichts von ihr hörte, wunderte Maria kein bisschen, denn als Assassine durfte man nicht gesehen werden und das war ein Spiel, das ihr Kind nur zu gerne spielte. Zum Glück war sie zu lange Mutter und zu lange Assassine um nicht sämtliche Verstecke zu kennen und ihr Instinkt sagte ihr, das heute keines davon im Haus war. Geschmeidig wie eine Raubkatze verließ sie das Haus und ging in den Garten, der nicht umzäunt war. Es gab keine wirklichen Beete, obwohl sie einige Blumen gepflanzt hatte und auch Gemüse anbaute. Sie überlies es der Natur dort zu wachsen, wo sie wollte und es wirkte fast so, als hätte diese eine eigene Symmetrie entwickelt. Das kleine Haus stand auf einer Anhöhe und man konnte einen Großteil des Dorfes von hier aus sehen. Der Garten endete an einem natürlichen Hang, der zu steil war um ihn außerhalb des Weges zu besteigen. An einigen Stellen ragten spitze Felskanten heraus, sodass es sehr gefährlich war, dort hinab zu stürzen.

Nahe der Kante stand die alte Eiche, welche schon seit Bau des Dorfes hier war. Einige Wurzeln ragten über den Abhang hinaus, doch sie krallte sich mit einer uralten Macht in den Berg. Serafina selbst stand in der Baumkrone und starrte hinab, auf die Welt unter ihr. Maria konnte sie nicht sehen, aber sie wusste es nun mal, denn sie kannte ihre Tochter, die alles liebte was hoch war. Höhenangst schien das Kind nicht zu kennen, nicht einmal im Angesicht der Tatsache, dass sie einen Sturz nicht überleben würde. Wahrscheinlich schon, sie war zu stur um an so etwas zu sterben und schon gar nicht bevor sie eine Assassine war. Manchmal, da hätte sie ihr gerne verboten so ein gefährliches Leben zu leben. Da hätte Maria sie vom Baum gescheucht und ihr befohlen einen normalen Beruf zu erlernen. Einen in dem es nicht um einen jahrtausendalten Krieg ging. Doch das war so sinnlos wie die Erde anzuhalten. Serafina würde sie hassen und sich abwenden. Vermutlich wäre sie weggelaufen und trotzdem Assassine geworden. Irgendwie. Dem Feuer in ihrem Namen machte sie alle Ehre. Schweigend stand sie neben dem Baum, dessen Blätter im Wind raschelten, und legte eine Hand auf dessen Rinde. Tief waren die Falten der alten Eiche und irgendwie hatte es etwas Beruhigendes mit den Fingern die Konturen nachzufahren. Vollkommen lautlos tauchte, einige Zeit später, Christopher an ihrer Seite auf.

Wie Statuen aus Stein standen sie dort und starrten auf das Dorf hinab und in die weite der Berge. Über zerklüftete Felswände, schneebedeckte Gipfel und grüne Täler, die so fern waren und dennoch zum greifen Nahe. Die frische Brise der Berge brachte den Duft von Freiheit mit sich. Obwohl sie still standen, so konnte Maria doch die Aufregung fühlen, den Drang zu rennen bis ihre Muskeln vor Anstrengung schmerzten und ihre Lunge brannte.

Das Läuten der Glocke, außerhalb der festen Zeiten, riss sie alle aus ihrer Gedankenwelt. Im stillen Einklang kletterte Serafina vom Baum, während ihre Eltern langsam zu dem schmalen Weg gingen, der sie nach unten führen würde. Schnell holte ihre Tochter den Vorsprung zu ihnen auf, ehe sie exakt zwei Schritte vor ihnen ging. Maria selbst hatte nach der Hand ihres Mannes gegriffen und lächelte zufrieden, gerade jetzt war sie einfach nur glücklich über ihre kleine, aber feine Familie. Obwohl sie alle ihre Eigenarten hatten, sowie die übertriebene Disziplin von Serafina, aber sie wollte perfekt sein und genau den Eindruck erwecken. Anscheinend dachte Christopher das Gleiche, denn er lachte leise, als ihm auffiel, dass sein kleines Mädchen ganz schön steif war und am liebsten hüpfend zum Haupthaus gelaufen wäre. Wie anstrengend es wohl war, sie so dermaßen zu zügeln? Und das alles nur um den Anschein zu wahren. Noch bevor er den Mund aufmachen konnte fing er den Blick seiner Frau ein, der stumm, aber sehr eindeutig sagte: „Sei still. Mach ihr den Moment nicht kaputt.“

Die Straßen des Dorfes waren voll von Menschen, die ebenfalls zur Zeremonie wollten, jedoch nur zusahen, da dieses Jahr nur acht Kinder die Aufnahmeprüfung bestanden hatte und das der wohl schwächste Jahrgang seit einem Jahrzehnt war. Dennoch war es ein wichtiges Ereignis und die Anwesenheit war eine Sache der Ehre, besonders für die Mitglieder der Bruderschaft. Auf dem Vorplatz standen bereits die Novizin der vorherigen Jahrgänge. Alle in ihrer typischen Tracht, die jedes Jahr etwas aufwendiger wurde, als Zeichen ihres Ranges und der bestandenen Prüfungen. Auch die vollwertigen Mitglieder waren anwesend, jedoch standen die meisten davon auf Dächern um einen besseren Überblick zu haben und weil sie es konnten. Es war nicht ungewöhnlich, wenn einer die Wände hoch kletterte wie eine Spinne, ebenso wenig wie ein Schuh, der nach ihm geworfen wurde, weil es immer noch unhöflich war. Der heutige Tag war aber eine Ausnahme und das wussten sie alle. Morgen würde es wieder wüste Beschimpfungen für den Frevel geben. Serafina stellte sich in die erste Reihe und direkt dahinter ihre Eltern, sowie alle anderen Novizen, die heute in die Bruderschaft aufgenommen wurden. Einen kurzen verunsicherten Blick warf sie ihren Eltern noch zu, die beide aufmunternd Lächelten. Danach obsiegte schon wieder der Stolz und sie ließ sich nichts mehr anmerken. Ihr Blick lag auf den Großmeister ihres Dorfes, Valentin Colucci, der bereits schlohweiße Haare hatte. Dennoch lag in seinen Augen die unbändige Kraft der Assassinen und die Weisheit eines ganzen Lebens.

Die Ansprache war kurz und knapp, wie jedes Jahr und Maria hatte nur Augen für ihre Tochter, die die komplette Rede auswendig kannte. Danach folgte die Einteilung. Jeder Assassine bekam einen Partner mit dem er vorrangig alle Missionen ausführen würde. Die Teams konnten vergrößert werden, falls nötig, aber zwei bildeten immer die Grundlage. Außerdem wurde so das Erlernen von Teamfähigkeiten erzwungen. Alle Strafen für Fehlverhalten würde beide treffen, die Hälfte aller Prüfungen konnte nur in Teamarbeit erledigt werden und das ein Jahrzehnt lang. Am Ende würden beide so aufeinander geeicht sein, dass sie synchron dachten und handelten, aber charakterlich wohl vollkommen unterschiedlich waren. Sicherlich würde Serafina einen ruhigen Gegenpol erhalten, der ihr Temperament ausglich, aber ebenso eine harte Nuss war um sie in Schach zu halten. Mit größter Anspannung verfolgten sie die Aufzählung der Namen, bis gegen Ende der von ihrer Tochter fiel. Zittrig trat das junge Mädchen hervor und wartete auf die Auswahl ihres Partners. „Della Mea, Dante Niccolo.“, schwang die kraftvolle Stimme des Großmeisters über den Platz. Im Gleichschritt nahmen die beiden ihren Platz an der Seite von Colucci und den anderen Novizen ein. Sie wagte nicht ihn anzusehen, erst als sie stehen blieben. Der braunhaarige Junge mit den feinen Gesichtszügen musterte sie ebenso abschätzig, wie alle anderen männlichen Novizen. Einige davon grinsten dümmlich. Dante hatte das Mädchen abbekommen und die Schadenfreude war groß. Sie musste nichts sagen, aber Serafina konnte ihre Blicke wie Nadeln auf ihrer Haut fühlen und das machte sie wütend. So lange schon hatte sie sich auf diesen Tag gefreut, trainiert und an sich gearbeitet, aber diese Jungen machten ihr alles kaputt. Wütend ballte sie die Fäuste während sich kleine Zornespunkte auf ihren Wangen bildeten.

Schon von weitem konnte Maria sehen, dass ihre Tochter vor einem Wutanfall stand, doch sie musste stehen bleiben, um nicht die Familie zu blamieren. „Na toll, wieso kriege ich das Mädchen?“, schnaubte Dante abfällig und so leise, dass nur die Novizen es hören konnten. Das leise Lachen der anderen wurde zwar vom Großmeister ignoriert, aber zur Kenntnis genommen und nicht nur das. Die Feurige drehte sich in einer geschmeidigen Bewegung um und schlug zu, noch ehe sie selbst registrierte, dass ihr der Geduldsfaden gerissen war. Geschockt stolperte Dante zur Seite, gegen das andere Novizenduo. Sofort verstummten alle, das leise Gelächter und auch der Meister Colucci hatte sich umgedreht. Das Bild das sich ihm bot ließ ihn eine Augenbraue nach oben ziehen. Della Mea hielt sich eine Wange und starrte vollkommen überrascht seine Partnerin an, welche ein hochrotes Gesicht hatte, das sogar ihren Haaren Konkurrenz machte.

Maria hingegen hielt sich scheinbar geschockt die Hand vor den Mund, versteckte aber ihr Grinsen und versuchte nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Ihr Mann war ebenso amüsiert. „Dein Temperament.“, raunte er und bekam ein „Deine Rechte.“, als Antwort.

New Eden

The sound of iron shocks is stuck in my head,

The thunder of the drums dictates

The rhythm of the falls, the number of dead's

The rising of the horns, ahead
 

This deadly burst of snow is burning my hands,

I'm frozen to the bones, I am

A million mile from home, I'm walking away

I can't remind your eyes, your face
 

Iron - Woodkid
 

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1. New Eden
 

Schwer atmend schloss sie die Augen. Das war surreal. Ein Traum? Eine Halluzination? Das letzte was sie nehmen würde waren irgendwelche Mittel um ihr Bewusstsein zu erweitern. Sie brauchte einen klaren Verstand für ihre Arbeit, keinen benebelten. Doch genau der sagte ihr gerade, dass sie immer noch in einem fensterlosen Raum war mit nichts weiter als einem Bett, wobei Bett noch etwas zu luxuriös klang. Eine Matratze traf es eher. Die Toilette an der Wand war fest verschraubt und ließ ihr die bittere Galle hoch steigen. Außerdem war da noch die verwaiste Glühbirne an der Decke, die nur spärliches Licht von sich gab und den Raum in ein Halbdunkel warf. Ab und zu flackerte sie, aber erloschen war sie bisher noch nicht. Die Türe als einziger Fluchtweg war verschlossen und sowohl die großen Nieten, als auch nahezu perfekten Schweißnähte sagten ihr: Es gab keinen Ausweg. Logischer Weise konnte man die Türe nur von außen öffnen. Hier gab es nicht einmal ein Schlüsselloch, eine Luke, ein vergittertes Fenster. Am eigenen Leib trug sie lediglich ihr verschmutztes Tanktop, das bereits grau war, anstatt ursprünglich der ursprünglichen weißen Färbung. Eigentlich hatte sie darüber noch eine Lederjacke getragen, doch die war verschwunden, zusammen mit ihren Schuhen. Nur noch die braune Cargohose war da, aber ohne Gürtel und selbstverständlich auch ohne Waffen. Sie war eine Gefangene! Ihr Schädel pochte und als sie sich an die Stirn fasste, fühlte sie neben einem stechenden Schmerz auch ein Pflaster. Also war sie versorgt worden und das hier sah so aus, als hätte man es geplant. Tränen der Verzweiflung stiegen in ihr auf und am liebsten hätte sie geweint. Doch sie wollte – wer auch immer das war – nicht gewinnen lassen. Also blieb sie regungslos auf der unbequemen Matratze sitzen und starrte an die leere Zellenwand. Ihre Augen waren noch immer glasig, doch sie erlaubte keiner Träne die Flucht. Warum saß sie hier fest? Was war der Zweck? Fieberhaft durchsuchte sie ihre Erinnerungen.
 

Coralie war ganz normal mit einer Gruppe Templer aufgebrochen um einige Teile von Nova II zur Zitadelle zu bringen. Dort waren die letzten Montagearbeiten beendet worden und jetzt ging es ans verkabeln und anschließen. Das Projekt selbst war streng geheim und die B.E.R.P. war bekannt für ihre Verschwiegenheit. Auch sie hatte mit niemand anderem als Hugo und Axlrod darüber geredet. Natürlich noch ein paar Mitarbeiter, die sie in dem Projekt unterstützten. Aber … aber sie konnte nicht glauben, dass einer von ihnen Interesse hätte, Nova zu sabotieren. Die Einzelteile in der Lieferung waren so vollkommen nutzlos. Die Baupläne selbst lagen schon lange in den Tresoren von B.E.R.P. und der Zitadelle. Bastienne wusste worum es ging. Ein Fusionsreaktor war kein Spielzeug, sondern könnte in eine … Bombe verwandelt werden. Ja, eine Bombe. Was wenn es gar nicht um das Material ging. Nein, nein. Das konnte nicht sein. Fox I war ein Betriebsgeheimnis. Niemand wusste, dass sie es bauen konnte, dass die Technologie existierte. Ihr Atem beschleunigte sich als die Panik in ihr wuchs und sie zu überwältigen drohte. Am liebsten hätte sie sich übergeben, doch ihr Körper zitterte so sehr, das sie nicht einmal aufstehen konnte.
 

Wie lange sie dort saß und sich nicht rührte, wusste sie nicht, doch die Platzwunde verlangte ihren Tribut, sodass sie sich auf der Matratze einrollte und einschlief. Es war kalt, nicht so, dass sie zu erfrieren drohte, aber genug um nur in einen unruhigen Schlaf zu fallen. Nicht, dass es wirklich etwas brachte. Die ganze Situation hinderte sie daran mehr oder weniger zu schlafen und als sie Stunden später hoch-schreckte, starrte sie in tiefgrüne Augen. Die blonden Haare der Frau waren zu einem strengen Zopf gebunden und ihr Gesicht zeigte keine Regung. Stattdessen legte sie einfach nur eine Decke ab und etwas zu Essen. Ihre ganze Haltung sagte nur eines: Greif mich an und ich breche dir sämtliche Knochen. An ihrer Jacke prangerte ein Namensschild mit der Aufschrift: Cpt. Bishop. Schon jetzt ließ sie den Fluchtplan fallen, der bisher nur aus Improvisation bestand. An diesen gestählten Muskeln würde sie nicht vorbei kommen, also bewegte sie sich keinen Zentimeter, während die Frau geschmeidig wie eine Katze den Raum verließ. Das war so unheimlich. Coralie hatte sie nicht einmal gehört, weder beim Eintreten noch beim verlassen. Es dauerte ein paar Minuten bis das Adrenalin wieder auf Normalpegel war und sie das Essen inspizierte. Nichts anderes lag auf dem Tablett. Es war weder karg, noch zu aufwendig. Man wollte sie also nicht aushungern lassen. Wobei es schon an ihrer Psyche zehrte. Während sie das Essen verschmähte, nahm sie die Decke an und rollte sich darin ein. Es machte ihre Situation nicht unbedingt besser, aber wenigstens zitterte sie nicht mehr wie Espenlaub. Noch immer war sie müde und lehnte sich entsprechend an die kühle Metallwand an, an welcher sie eindöste. Das nächste Mal weckten sie tatsächlich Schritte, aber dieses Mal war es ein Mann, der ebenso wortlos das Essen wieder mitnahm. „Warum bin ich hier?“, fragte sie ihn, bekam aber keine Antwort. Er verschwand ohne Notiz von ihr zu nehmen.
 

Coralie konnte nicht sagen wie viel Zeit verging, ob Tage oder Stunden. Lediglich am Essen bemerkte sie die Zeit, aber es kam so regelmäßig, dass sie jedes Gefühl dafür verlor. Waren es drei Mahlzeiten am Tag? Oder vier, weil sie nicht einmal so etwas wie Nachtruhe ausmachen konnte. Die Frau vom ersten Mal tauchte nicht wieder auf, dafür aber der Mann, der immer derselbe war. Eingesperrt in einen Metallkäfig hatte man genug Zeit, um sich über alles mögliche Gedanken zu machen. Deswegen ging sie davon aus, dass die Frau sie nur gemustert hatte. Ob sie vielleicht gefährlich war. Aber stattdessen hatte sie sich ruhig verhalten, wenngleich sie immer wieder den „Essensbringer“ anfauchte. Nicht, dass er sich beeindruckt zeigte. Sie war ein eingesperrtes Hauskätzchen, nicht ein Tiger. Nein, von ihr ging so keine Gefahr aus. Also gab sie es auf und saß einfach nur da. Hin und wieder bewegte sie sich etwas um ihre verspannten Muskeln zu lockern, doch letztendlich gab es nichts zu tun und das weiß Gott wie lange.
 

Es fühlte sich an wie ein Jahrhundert, als sich die Türe plötzlich wieder öffnete und die blonde Frau wieder eintrat, gefolgt von zwei bewaffneten Männern. Sie selbst war auch bewaffnet und vermutlich mehr als man auf den ersten Blick sehen konnte. Verunsichert sah sie die drei an, war aber nicht verwundert als sie aufgefordert wurde, ihr zu folgen. Was jetzt? Das hatte sie sich schon die ganze Zeit gefragt, aber die Zelle hatte ihr bisher so etwas wie Schutz geboten, zumindest hatte es sich so angefühlt. Aber sie ahnte schon, dass es jetzt dumm wäre, sich zu verweigern. Die zwei Gorillas sahen nämlich nicht so aus als würden sie Probleme haben, sie quer durch den Komplex zu schleifen. Außerdem würden sie ein Nein auch kaum akzeptieren. Also blieb ihr nichts anderes übrig als aufzustehen und ihnen zu folgen. Ihre Haare hingen strähnig an den Seiten hinab und ihre Locken waren schon kurz vor dem Verfilzen angelangt. Bald schon gab es nur noch die Schere und keine Bürste mehr. Tapsend folgte sie ihr und wenn sie nicht schnell genug war, dann bekam sie eines der Maschinengewehre in den Rücken.

„Au …“, zischte sie entnervt und warf ihrem rechten Begleiter einen bösen Blick zu, doch auch hier gab es nur Schweigen als Antwort. Am liebsten hätte sie wieder Fragen gestellt, wäre damit raus geplatzt und hätte wie ein kleines Kind gestreikt. Aber der Schubser tat schon weh – was geschah wenn sie stehen blieb? Hauptsächlich gingen sie nach oben, durch ein kleines Treppenlabyrinth, ehe die Umgebung etwas freundlich wurde und sie hier und da ein paar Fenster passierten. Leider waren sie zu klein und ihr Gang zu schnell als das sie wirklich etwas erkannte. Eines war sicher – an diesem Ort war sie noch nie gewesen. Als sie endlich am Ziel waren, zumindest ging sie davon aus, klopfte die Frau an der Türe und trat erst ein als sie darum gebeten wurde.
 

Das Büro war groß und recht wohlhabend eingerichtet. Das sah man auf den ersten Blick und Coralie verzog entsprechend das Gesicht, wobei sie das tarnen konnte durch die Sonne, welche den Raum förmlich flutete. Während sie ihre Hände noch nutzte um ihre Augen abzuschirmen, wurden die Soldaten entlassen. Etwas verwirrt drehte sich die Handwerkerin um und sah ihnen hinterher. „Willkommen! Ich bin mir sicher, Sie werden bereits festgestellt haben, dass an ein Entkommen gar nicht zu denken ist. Ich nehme daher an, dass Sie mir Ihre vollste Aufmerksamkeit schenken.“, waren seine ersten Worte und damit hatte er wieder seine Aufmerksamkeit. Endlich hatte sie sich an das Gegenlicht gewöhnt und konnte die eher schmächtige Gestalt hinter dem Schreibtisch ausmachen. „Für den Anfang möchte ich mich aufrichtig dafür entschuldigen, dass man Ihnen keine bessere Behandlung zukommen lassen hat, doch ich befürchtete, dass Sie unsere Gastfreundschaft nicht zu schätzen wüssten.“

Er klang so süffisant, mit einer samtigen Stimme, der man am liebsten alles geglaubt hätte. Aber nach dem sie überfallen, entführt und gefangen gehalten wurde, war ihr nicht danach, irgendetwas zu glauben. Ohne ihn weiter zu beachten sah sie sich in dem Raum etwas um, wobei sie abschätzig das Gesicht verzog. Weder sie noch ihr Vater hatten jemals Luxus gewollt oder gebraucht, obwohl die Einnahmen der B.E.R.P. genug übrig ließen. Die Firma florierte, aber es gab in ihren Augen wichtigeres und das hatte sie geeint. Deswegen war sie die Erbin des Konzerns und seine Ziehtochter, letzteres weil er sie erzogen hatte. Er hatte sein Ebenbild mehr oder weniger geformt, aber Cora war wegen der fehlenden Erziehung nicht böse, Nein, sie würde es kaum anders machen. Sie war wie ihr Vater und das war gut so. Misstrauisch musterte sie den Mann der vor ihr Stand, wobei Mann relativ war. Er sah aus wie ein Junge, einer der mit einer Lupe einen Ameisenhaufen anzünden würde. Die Symbole auf den Akten und auch draußen an den Fahnenmästen waren eindeutig.
 

Das hier war die Paradise Federation. Aber vor ihr war nicht Präsident Joiner sondern Edgar Monterano. Ein Berater des Eroberers und inoffizielle rechte Hand. Normalerweise interessierte sie sich nicht für Politik, aber durch Bastienne hatte sie leider zu viel von der Federation erfahren. Damit waren auch Bilder von ihm in ihre Hände gefallen. Er war wichtig, aber die Templer stuften ihn einfach nur als Handlanger ein. Nach mehr sah er auch nicht aus. So schmal und schmächtig – er war sogar kleiner als sie selbst. Verstimmt presste sie die Kiefer aufeinander und schwieg weiterhin. „Ich darf mich vorstellen? Mein Name ist Edgar Monterano.“, stellte er sich schließlich freundlich vor – zu freundlich – als er merkte, dass sie nicht vorhatte zu antworten. Erneutes Schweigen. „Es ist nicht einfach, eine Unterhaltung zu beginnen, wenn man keine Antworten erhält… Das ist – kurz formuliert – ausgesprochen unhöflich.“, tadelte er sie. „Als wäre Entführung und Freiheitsberaubung höflicher.“, zischte sie gereizt und entlockte ihm nur ein müdes Lächeln. Rechts von ihr stand ein kleiner Besprechungstisch mit hölzernen Stühlen, während links sich ein paar Bücherregale türmten, die fast schon zwanghaft ordentlich eingeräumt waren. Ebenso der Schreibtisch, der übermäßig sauber war. An ihrem eigenen konnte man nicht einmal erkennen ob er aus Holz oder Metall war, so viel lag darauf. „Was willst du von mir?“ Ihre Stimme war schneidend, wie ein frisch geschärftes Messer. „Nicht doch! Wir wollen den geschäftlichen Teil doch nicht gleich überstürzen… Kann ich Ihnen einen Tee anbieten?“, fragte er höflich und deutete auf den Tisch. Erst jetzt bemerkte sie die Porzellankanne und die passenden Tassen. Sie mussten sündhaft teuer sein. So ein kleines Prinzesschen. „Warum bin ich hier?“ Der Tee interessierte sie nicht, dafür hatte sie die angestaute Wut gepackt, welche sie dazu brachte die Hände zu Fäusten zu ballen.
 

Fast schon theatralisch seufzte Edgar und ging zum Tisch um sich selbst etwas einzuschenken. „Wirklich nicht? Ich hätte gedacht, dass Sie eine heiße Tasse begrüßen würden, nachdem Sie in letzter Zeit nur abgestandenes Wasser erhalten haben“, fragte er noch einmal, aber dieses Mal ging sie zu ihm. Wenn er spielen wollte, bitte, dann war sie jetzt der Gast, welcher höflich eingeladen worden war, nicht die verschmutzte Gefangene welche Barfuß vor ihm stand. Nachdem er ihr eingeschenkt hatte, nahm sie die Tasse in die Hand, setzte sich aber weder auf den dargebotenen Stuhl, noch trank sie einen Schluck. „Wenn man das Ödland ein wenig im Auge behält, registriert man mit der Zeit überaus interessante Dinge… Nun und auch dein – ich darf dich doch duzen? – großes Talent für Technologie gehört dazu…“ Sein Grinsen war überaus selbstgefällig. Das war aber eine nette Umschreibung und Nein, er durfte sie nicht duzen. Aber das konnte er sich denken. Wie bei allem überging er ihre Unwilligkeit, den Gesichtsausdruck oder ihre Augen, die ihn aufspießten.
 

„Damit hängt deine kleine Reise zum roten Kastell doch zusammen, nicht wahr? Wie so oft in den letzten Jahren…“ Man hatte sie überwachen lassen? Fast augenblicklich verwandelte sich die Wut in Schock und Fassungslosigkeit. „Überrascht? Natürlich bist du überrascht.“ So eine verführerische Stimme. „Ich muss gestehen, dass ich mich eine gefühlte Ewigkeit gefragt habe, was für einen großen Auftrag B.E.R.P. erhalten hat und um ehrlich zu sein, hat es viel zu lange gedauert.“ Es hätte noch viel länger dauern sollen! „Wo sind die anderen?“, fuhr sie einfach dazwischen und beendete seine kleine selbstgefällige Ansprache. Edgar seufzte kurz, so als würde er sich darüber brüskieren das sie ihn einfach unterbrach. Arschloch. „Sieh aus dem Fenster.“ Das klang nicht gut. Mit weichen Knien tat sie wie angewiesen und folgte seiner Hand, die hinaus zeigte, zum Hof. Dort unten standen einige Soldaten der Paradise Federation, aber wirklich interessant waren die Menschen dort in der Mitte. Es waren die Templer, in einem ähnlichen Zustand wie sie.

Es fehlte die Rüstung, die Waffen, die Schuhe, eigentlich alles was als Waffe taugte. Sie waren vollständig, das konnte sie auf einen Blick sehen, sogar die zwei B.E.R.P. Mitarbeiter waren da und knieten auf dem Boden. Ihre Hände waren gefesselt und das sie so auf dem Präsentierteller saßen, das war nicht gut. Ein Knoten bildete sich in ihrem Magen und sie sah leicht verzweifelt zu Edgar. „Keine Sorge! Ihnen wird vorerst schon nichts passieren!“ Vorerst. Das klang auch nicht gut. „Hochkomplexe Technik ist ein Rätsel, oder? Meine eigenen Forscher konnten leider nicht herausfinden, was für Bauteile deine Karawane transportierte, aber glücklicherweise war der gute Lenard so freundlich, es mir zu erzählen…“
 

Coralies Lippen bildeten einen schmalen Strich. Sie wollte gar nicht wissen, was er dafür getan hatte, damit Lenny redete. „Ich bin beeindruckt. Wirklich. Und auch ein wenig enttäuscht.“ Ganz unverfroren sah er sie an, so gespielt ernsthaft und betrübt. „Nun, ich muss sagen, dass ein Spiel nicht besonders fair ist, wenn nicht ausgeglichene Verhältnisse herrschen.“ Ohne darüber nachzudenken schritt sie auf ihn zu und schüttete ihm den heißen Tee ins Gesicht. „Bastard!“, fauchte sie, „Die Reaktoren sind zur Stromerzeugung da. Sie versorgen das Ödland damit, Arschloch!“ Jetzt wo es kein Geheimnis mehr gab, da platzte es auch aus ihr heraus. Ein wenig entsetzt starrte Edgar sie an, so als hätte er nicht erwartet, dass sie so einen Frevel beging. Kurz schrie er auf, doch er war nicht mehr heiß genug um ihn richtig zu verbrennen. Für einen Augenblick konnte sie hinter seine Fassade sehen, doch dann verschwand es wieder. Zu ruhig zog er ein Taschentuch aus der Jackettasche und wischte sich das Gesicht ab, ehe er überhaupt darauf einging. „Du verzeihst, wenn ich behaupte, dass man den Templern kein Wort glauben kann…“, kam es von ihm zähneknirschend. Cora donnerte die Tasse auf den Boden und ging wütend zur Mitte des Raumes. Keine Sekunde später standen auch schon zwei Soldaten im Raum um zu sehen was der Krach bedeutete. Doch Edgar winkte sie wieder hinaus, während er traurig zu seiner ehemaligen Tasse sah. „Schwachsinn! Du suchst bloß eine Ausrede um eine Fusionsbombe zu rechtfertigen!“ Noch einer dieser Seufzer, so als würde sie die Situation ganz verkennen. „Ich baue dir keine Bombe. Niemals!“
 

Schon jetzt wusste sie: Das war die falsche Antwort. Ob das in seinen Augen echtes Bedauern war oder nur gespieltes, sie wusste es nicht zu unterscheiden. Klar war ihr aber, dass er ein aalglatter Typ war, der seine Mutter verkaufen würde, wenn es nötig war. Er könnte einfach so … einfach so Upper Manhattan wegsprengen, ohne großen Aufwand, oder die Zitadelle. Nein, nein das Risiko war zu groß. So viele Menschen! Der atomare Krieg war erst vorbei und obwohl die Fusionsbombe keine Strahlung aussandte, so war ihre Zerstörungskraft bei weitem höher.
 

„Ich hatte gehofft, wir könnten diesen unangenehmen Part überspringen und deine Moral und deinen Trotz außen vor lassen…“ Es ist immer so langwierig einen Willen zu brechen.“ Der Prinz tupfte seine saubere Kleidung ab und sah dann lächelnd zu ihr auf. Als würden sie über das Wetter reden und nicht davon, dass er sie brechen wollte. „Lass mich dir eines sagen: Du könntest dir und einigen anderen wirklich viel Leid ersparen, wenn du einfach nur das tust, worum ich dich bitte.“ Eine Bitte? Cora schnaubte, war sich aber bewusst, dass, egal was jetzt kam, alles Scheiße war. Erneut wies er zum Fenster. „Das solltest du dir ansehen. Alles nur für dich.“ Sie wollte nicht, nein. Nein bitte nicht. Unbewusst schüttelte sie den Kopf, doch Edgar rief nur nach den Soldaten, welche eintraten und sie zum Fenster geleiteten. „Bitte nicht.“, flüsterte sie, doch der Rothaarige klopfte nur gegen die Scheibe. Erst jetzt bemerkte sie den Soldaten, der die ganze Zeit das Fenster anstarrte und damit auch sie und Edgar. Sie wusste was kam, doch ihr Kopf wollte es nicht wahr haben. In einer flüssigen Bewegung stellte er sich hinter Lenny, der ängstlich die Augen schloss. Im selben Moment als der Schuss ertönte brach er zusammen, ihr langjähriger Kollege. Er war immer so nervig gewesen, aber … aber … Sie merkte gar nicht wie sie aufgeschrien hatte und auf das Blut starrte welches aus seiner Stirn sickerte. Nur einen Moment später sackte ein Templer tot zusammen, die anderen wurden abgeführt. „Eine tragische Verschwendung von Talent… Belassen wir es vorerst dabei. Wir wollen sie doch nicht alle vergeuden.“, erklärte ihr der Berater der Hölle gutmütig. Cora war gar nicht fähig darüber nachzudenken. Ein Soldat packte sie und zwang sie Edgar anzusehen, der vollkommen unberührt von der Hinrichtung war, fast schon zufrieden. Ihr hingegen rannen einfach die Tränen über die Wangen, ohne das sie es überhaupt merkte.
 

„Ich denke, ich habe meinen Standpunkt deutlich gemacht… Den Sprengsatz oder ich werde so lange Templer und B.E.R.P. Mitarbeiter hinrichten lassen, bis du tust, was ich verlange – ich kann wirklich sehr ausdauernd sein, weißt du? Vielleicht… knöpfe ich mir sogar Mr. Hemingway persönlich vor…“ Wäre sie nicht schon kreidebleich gewesen, dann hätte sie spätestens jetzt jede Farbe verloren. Ihren Vater! Er wollte ihren Vater hinrichten lassen. Hatte er überhaupt eine Ahnung was er da gerade getan hatte? Edgar hatte sich eine Nemesis geschaffen und nicht nur eine. „Ich erspare dir diese Schuld, wenn du im Gegenzug tust, was ich von dir verlange. Ganz einfach, oder?“ Instinktiv wusste sie, dass er sie danach ebenso hinrichten lassen würde. Cora warf einen Blick nach draußen, wo die Leichen weggeschleift wurden. Man würde sie wegwerfen wie Müll. Aber sie schüttelte den Kopf. Eine Bombe konnte sie nicht verantworten. „Nun gut. Am Anfang weigern sich alle.“ Es klang so, als hätte er das schon oft erlebt, sehr oft und würde wissen, dass sie spätestens wenn sie ihrem Vater in die Augen sah, einknicken würde, aber dieser würde es ihr auch verbieten. Hugos letzte Worte wären, das sie unter keinen Umständen nachgeben sollte. Ob Edgar wusste, dass sie ihm genau diesen Wunsch erfüllen würde? Wütend machte sie einen Satz nach vorne, noch bevor einer der Soldaten, die sie flankierten, eingreifen konnte. Sie stürzte sich auf Edgar, packte ihn am Kragen und warf ihn mit voller Wucht um. „Du widerlicher Wurm! Du hast überhaupt keine Ahnung was du getan hast! Das ist eine Kriegserklärung! Ich kann nicht glauben, dass du so dumm bist und sie beide zum Feind machst. Wenn sie davon erfahren, dann wird New Eden brennen.“ Lange konnte sie ihn nicht mit ihrem Zorn erdrücken, nur zu gerne hätte sie ihm den Schädel eingeschlagen, doch die Soldaten rissen sie los und zogen sie von ihm herunter. Ihre Griffe waren steinhart und obwohl sie sich wehrte, konnte sie sich nicht befreien um Edgar auch noch ein blaues Augen zu verpassen. Eine Gehirnerschütterung oder Platzwunde war viel zu wenig!
 

Er hatte sich zwei Erzfeinde geschaffen, denn er hatte keine Ahnung, wen er hier entführt hatte, wen er wirklich entführt hatte. Hugo würde dafür sorgen, dass das ganze Ödland nach ihr suchte, jeder einzelne Templer und wenn er dafür vor Bastiennes Zimmer campen musste. Er würde so lange auf die Klingel der Templer drücken, was nicht lange sein müsste, denn diese vermissten auch Soldaten. Das war absoluter Wahnsinn!
 

Edgar brauchte einen Moment, ehe er sich von dem Schrecken erholte und aufstand. Er streifte den Angriff ab, als wäre er ein Mantel und schritt dann mit selbstsicherem Lächeln auf sie zu. Geschmeidig beugte er sich nach vorne und flüsterte ihr ins Ohr: „Richtig, wenn sie davon erfahren.“

MorgenStern

Looking up from underneath

fractured moonlight light on the sea

reflections still look the same to me

as before I went under
 

And it's peaceful in the deep

cathedral where you can not breathe

no need to pray, no need to speak

now I am under
 

And it's breaking over me

a thousand miles down to the sea bed
 

Never let me go – Florence and the Machine


 

~*~*~* ~*~*
 

3. MorgenStern
 

Schweigend stand die groß gewachsene Frau auf der Terrasse. Vor ihr eröffnete sich das große Gefälle des Himmels. Das Wasser stürzte in die Tiefe, hinab in das zweite feurige Reich ihres jüngeren Bruders. Kein Wesen hasste sie für diesen Augenblick mehr, als ihn. Ein schweres Seufzen erschütterte ihren Körper und mit einem Mal fühlte er sich nicht mehr so frei an. Nicht endlos und logisch. Es war viel mehr ein Gefängnis. Abwesend starrte sie auf ihre Hände. So schlank und stromlinienförmig, wie eine Welle im Ozean. Kurz verschwand das Bild und plötzlich hatte sie viel kleinere Hände. Ihr Körper war kleiner zarter und ihre ganze Kleidung war so schmutzig und menschlich. Vor ihr selbst war ein Dämon, er kniete vor ihr, aber es war nicht sie, die er fürchtete. Dann verschwand alles wieder und sie starrte hinab in den Rubinbezirk. Am Rand, kurz bevor das Wasser hinab stürzte, standen die vier großen Statuen. Noch vor kurzer Zeit waren es fünf gewesen, doch nun war sie allein. Vollständig. Nicht einmal die Wärme ihres jüngsten Bruders konnte sie noch erreichen oder gar berühren – als würde sie in einer Zelle sitzen, eingesperrt in ihrem eigenen Kopf ohne Ausweg. Unter ihren Füßen waren die blauen Wasseradern, welche uralte henoische Symbole auf den Boden malten, doch darunter floss die ganze Gewalt des Wassers, gespeist aus ihrer eigenen Kraft. Kurz flackerte das Bild und dann war alles so alt, so verlassen. Das Wasser selbst war versiegt und als sie hinab sah zu den restlichen Bereichen, da war sowohl der Topaz- als auch der Smaragdbezirk vollkommen leer. Ihr eigener wirkte so kraftlos und einsam. Als würde etwas fehlen. Ein Flackern der Umgebung kündigte den Umschwung an – alles war wieder normal. War es real oder nur eine Vision?

Es war so verwirrend und zitternd hielt sie eine Hand vor den Mund um ein Schluchzen zu unterdrücken. Die Federn vibrierten leicht und gaben ein raschelndes Geräusch von sich, als sie sich endgültig umdrehte und mit so viel Leid konfrontiert wurde. Verlassen war ihr der Himmel friedvoller vorgekommen. In der Mitte des Platzes stand ein großer Brunnen, doch er hatte keine Ränder um das Wasser aufzufangen, stattdessen sickerte alles in die henoischen Symbole. Dabei trat man keineswegs ins Wasser wenn man darauf trat, sondern eine reine Essenz von Energie hielt jeden davon ab. Ihre Kraft.
 

Der Brunnen selbst zeigte sie, eine stolze Marmorstatue mit ausgebreiteten Flügeln, dem Stab ihrer Essenz, so wie in der anderen Hand ein Kranz voller Lilien, die in den Haaren ihren Ursprung hatten, ehe sie wie ein Wasserfall nach unten wuchsen, zu einem Strauß in der linken Hand und letztendlich wie fallenden Blütenblätter den Boden des Brunnens umrandeten. So ausdruckslos diese Statue war, so zeigte sie mehr Gefühl als Gabriel jetzt besaß. Ihr Herz war leer. Darin war nicht einmal mehr wirklich Platz für Wut. Ja, sie hasste Michael dafür, aber sie konnte dennoch nichts tun, als wäre sie noch immer gelähmt. Er hatte nicht nur ihrer zweiten Hälfte die Flügel ausgerissen, sondern auch ihr Herz und jetzt wusste sie nicht mehr wie sie atmen sollte. Wie ging es weiter? Was für einen Sinn hatte es? Verängstigt und verwirrt blickten sie die Augen ihrer eigenen Cherubim an. Alle waren sie so verloren wie sie selbst. Beraubt ihres engsten Vertrauten, der zweiten Seite der Medaille, verdammt dazu, nur noch zur Hälfte zu existieren. Eine Wunde die niemals verheilen würde. Man konnte sie nur akzeptieren – diese Bürde. Traurig sah sie zur Seite und erblickte Haven. Ihr eigener Stellvertreter stand am Rand der Terrasse, so wie sie, doch sein Blick lag noch auf der Weißen Stadt. Gabriel konnte sein Gesicht nicht sehen, aber sie wusste er weinte. Sein Herz war gebrochen und nichts und niemand könnte es je wieder heilen. Nur zu gerne hätte sie tröstende Worte gesprochen, doch es gab keinen Trost, weder für sie, noch für irgendeinen ihrer Schar. Kein Wort der Welt würde das Gefühl verändern. Was änderte schon ein Satz, wenn man wusste, die liebste Person der Welt war verdammt?
 

Der Wind verfing sich in ihren blütenweißen Federn, deren Spitzen golden gesprenkelt waren. So gerne war sie früher geflogen, hatte mit ihm getanzt, ehe sie lachend wieder ihrer Aufgabe nachgegangen waren. Alle aus ihrer beider Scharen waren in der Luft umher getanzt, hatten die Stadt mit Lachen erfüllt. Dieser Moment der Zweisamkeit in der Luft hatte nur ihnen gehört. In dem Moment als Luzifer seine Flügel verloren hatte, war er durch die Weiße Stadt gesackt, als wäre sie eine Illusion, ein Traum aus dem er erwacht war. Schmerzvolle Schreie hatten durch die Luft gehallt, als das Lachen zu Entsetzen wurde. Die einst glühenden Lichtbringer waren erloschen und wie schwarze Staubwolken hinab gestürzt. Mochten ihre Cherubim nur auf den Boden des Himmels gefallen sein, doch wie ihre Geschwister waren sie liegen geblieben. Mit einem Schlag, waren zwei Scharen gestürzt. Die Heiler des Himmels waren herbei geeilt, aber ihren Schmerz vermochte niemand zu heilen.
 

Die Zeit heilt alle Wunden, doch das setzt voraus, dass die Quelle des Kummers, endlich ist.

Gabriel war nicht fähig gewesen, ihre Getreuen zu beobachten. Zu betäubt war sie und starrte auf den Punkt an dem eben noch ihr Bruder gestanden war. Schmerz. Zum ersten Mal in ihrer Existenz war sie damit konfrontiert worden. Er war so gewaltig, dass er alles mit sich gerissen hatte, sie alle. Erst später hatte sie erfahren, dass Iriath bei Haven gestanden war. Besorgt über den plötzlichen Disput zwischen Michael und Luzifer. Sie stritten sich mal wieder und sie hatte einen Witz über das ewige hin und her gemacht. Ein kurzes Lachen bei dem sie ihn amüsiert angesehen hatte, das sich noch im selben Moment in ein angsterfülltes Gesicht verwandelte. Ihr Schrei vermischte sich mit tausenden, mit dem von Gabriel, mit der Wut von Luzifer und dann war sie einfach durch die Hände von Haven gefallen. Er hatte sie festhalten wollen, aber er fand keinen Halt, sie rutschte einfach durch seine Finger.
 

Die Seraphim selbst war gerade erst zu dem Geschehen gekommen und wollte sich, wie schon so oft zwischen die beiden stellen, aber es war zu spät. Einfach zu spät. Diese Erkenntnis war so simpel, aber sie sickerte nicht durch. Luzifer hatte sich wütend abgewandt und auf seinem Gesichtsausdruck hatte sie lesen können, dass Michael wie so oft einfach zu stürmisch war und nicht verstand, worum es dem Lichtbringer ging. Besorgt, aber erleichtert, dass der Streit wohl vorbei war, lief sie ihm entgegen, Luzifer. Sie hatte ihn fragen wollen was los war, ihn umarmen und selbstverständlich anlügen wollen: Alles ist gut. Darüber amüsierte er sich immer, denn das war natürlich nicht so, dass wussten sie beide, aber wenn sie zusammen waren, die Einheit, sowie Gott sie erschaffen hatte, dann spielte nichts eine Rolle. Gabriel konnte sich nicht einmal mehr an die Bewegung ihres Bruders erinnern, der Schock stand Luzifer ins Gesicht geschrieben. Nicht wissend was er tun sollte griff er Instinktiv nach ihrer Hand, streckte sie aus und sie tat es ihm gleich – wie ein Spiegel. Für einen Augenblick streiften sich ihre Fingerspitzen, dann war er weg und sie kniete auf dem Boden. Starrte die Stelle an, an der er eben noch gestanden hatte. Weder ihre Schreie, noch ihre Tränen hatte sie bemerkt, denn das glühende Schwert von Michael hatte mehr als nur seine Flügel abgetrennt.
 

Es war kein Engelsdolch gewesen, nein, das Rubinschwert, die Essenz von Michael hatte das getan. Die glühend heiße Klinge hatte ihre Verbindung zu ihrem Zwilling getrennt und auch Gabriel verletzt, tiefer, so viel tiefer …

Da war Raphael an ihrer Seite, der versuchte sie … ja was? Heilen? Man hatte etwas getrennt, das niemals hätte getrennt werden dürfen. Obwohl es fehlte, konnte sie Luzifers Wut fühlen. Wie er empor steigen wollte, zurück, aber in dem Moment stürzten sie aus dem Himmel. Michael um Luzifer endgültig zu strafen und Uriel, der gezwungen war die Weiße Stadt gegen alles zu schützen.
 

So zogen Jahrhunderte ins Land, während die Menschen versuchten auf der Erde Fuß zu fassen. Doch wie die Gabrieliten taten sie sich schwer überhaupt etwas zu tun. Sie waren von Eden getrennt, dem einzigen Heim, das sie kannten, so wie sie von ihrem einzigen Licht getrennt war, das sie kannte. Noch immer glühte der Stab des Erzengels an seinem Platz im Himmel. Hoch oben auf der Spitze, dort wo Luzifers Platz gewesen war, strahlte er seine Macht ab. Zeigte ihnen alle den Weg und sandte sein kräftiges Licht hinaus in das Universum, auf die Erde und sogar hinab in die Hölle. Der Zorn ihres Bruders hatte Kreaturen erschaffen, die weitaus dunkler waren, als alles was sie bisher gesehen hatte. Ihr Vater war verschwunden und die Königreiche befanden sich im Krieg. Die Menschen waren nur ein Spielzeugball und mussten sich sowohl gegen die Heerscharen des Himmels als auch der Hölle wehren. Bis sie aufgetaucht waren. Die Nephilim. Die Boten des Feurigen Rates.
 

Es herrschte ein Waffenstillstand und in den Rubinschmieden konnte sie es hören, es fühlen. Das Schicksal wurde geschmiedet, Siegel und Schwert. Desinteressiert wandte sich Gabriel endgültig ab. Was ging sie schon die Zukunft an? Ihr war es nicht einmal mehr möglich, klar zu sehen. Nach der Prophezeiung der Apokalypse war ihr Werk getan. Denn ohne ihn gab es nichts. Obwohl sie Flügel besaß, fühlte sie sich selbst bleiern, so als könnte sie es nie wieder tun – fliegen. Als sie den Platz halb überquert hatte tauchte Raphael auf, sein sorgenschwerer Blick lag auf ihr und sie konnte ihm nicht standhalten. Er war der Einzige um den sie sich noch sorgte. Seine Engel versuchten Frieden zu stiften, die Menschen zu beschützen. „Bitte. Gabriel.“, flüsterte ihr kleiner Bruder verzweifelt. Entzwei gerissen und so hilflos, wie alle anderen aus ihrer Schar. Ihn trieb keine feurige Wut an, kein Pflichtgefühl die Stadt zu beschützen. Er war ein Kind, das sich eine intakte Familie wünschte. Eisern und ohne eine Reaktion ging sie an ihm vorbei. Auch wenn sie ihn nicht ansah, so konnte sie doch sehen, wie er seinen Kopf hängen ließ. War das fair? Nein, aber weder ihr, noch ihm gegenüber war es das. Wie schon so oft entschwand sie in ihrem unterirdischen Reich. Ein Sanktuarium. Abgeschottet von allem. Dem Himmel sich selbst überlassen.
 

Wie ein Stein sank sie in die tiefen des Sees ihrer eigenen Kraft. Am Grund lag ihr eigener Stab, ihre Essenz und ruhte dort. Noch immer strahlte dieser eine ruhige Macht aus, die etwas Tröstendes hatte, denn die Verbindung beider Stäbe war nicht getrennt worden. Irgendwo war sie immer mit ihm verbunden. Gabriel schloss die Augen und wurde eins mit ihm. Zeit und Visionen wurden eins mit ihr, bis die Person, die sie einst war, einfach davon geschwemmt wurde.

Olo Eopia. Viele Welten, viele Zeiten.

Niemand wagte sie zu suchen. Niemand wollte es riskieren ihrer geballten Macht ausgesetzt zu sein. Also blieb sie dort. Jahrhunderte. Jahrtausende. Verschollen im Strom der Unendlichkeit, bis alle Stränge gekappt wurden und sie nur eines sah. Luzifer. Er kniete neben ihrem zerschmetterten Leib, um ihn Dämonen die sich geopfert hatten um sie zu beschützen. Sie. Seine Schwester. Sein Gesicht war gezeichnet von Schmerz und unendlicher Angst. Das war die Zukunft. Gabriel wusste es und im nächsten Augenblick schlug sie ihre saphirblauen Augen auf. Binnen Sekunden löste sie sich aus ihrer Essenz und tauchte wieder auf. Es war bei weitem noch nicht vorbei und nur scheinbar war ihre Verbindung getrennt worden. Ihr Bruder existierte noch, dort unten in den eisigen Ketten der Hölle gab es nicht nur ein Monster, sondern auch Luzifer und ihn wollte sie suchen. Für ihn wollte sie sterben. Wenn es ihn wieder daran erinnerte, worum es ging, wenn …. wenn er dadurch wieder sah was sie waren. Eine Familie.

Und Michael.
 

Sie seufzte und legte ihren Kopf leicht schief. Auch sein Schicksal hatte sie gesehen. Luzifers Rache würde hinfällig sein, unnötig. Gabriel landete sachte auf der steinernen Platte ihres Sanktuariums, welche ein paar Zentimeter unter Wasser lag. In ihrer Hand hielt sie ihren eigenen Seraphimdolch. Die Zukunft war Variable und sie könnte dabei sterben, vielleicht würde sie es auch. Aber Luzifer hatte bewiesen, dass er noch ein Herz besaß, dass die Hölle ihn nicht zerstört hatte. Tausend Tode war, das wert. Tausend Tode war es Wert, wenn sie ihn damit auf einen Weg schubste, der ihn an mehr erinnerte als an den Höllenfürsten. Gemeinsam mit Alessa. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen als sie das Mädchen sah. Der Dolch löste sich auf und ein paar Flügelschläge später verließ sie ihr versunkenes Reich und tauchte zum ersten Mal wieder in ihrem eigenen Bezirk auf. Nur kurz schwebte sie über ihrer eigenen Statue und starrte hinab auf die anderen Bezirke. Ihre weiße Kleidung wallte um ihren Körper wie ein schneller Flusslauf. So fließend und viel zu lang, aber nicht für jemanden der keine Füße brauchte über die er womöglich stolpern konnte. Die goldenen Locken wehten ihr ins Gesicht, während sie sich umdrehte und nach oben flog – bis zur Spitze des Perlmuttturmes.
 

Selbstsicher und ohne jede Regung landete sie direkt neben Luzifers Essenz. Der Stab strahlte eine unheimliche Kraft ab, speiste die henoischen Symbole auf der Plattform mit reinem Licht und zeigte allen Engeln den Heimweg. Sie hatten ihn aus den Himmel gestoßen – Michael hatte es. Warum also sollte er noch das Licht genießen, das eigentlich nur ihr gehörte? Mit Jahrtausende alter Wut packte sie den Stab. Jeden anderen hätte er verschmäht, doch sie begrüßte er wie ein alter Freund. Dennoch wäre es ihm lieber gewesen, Luzifer hätte ihn berührt. „Sie haben das Licht verstoßen, also sollen sie es nie wieder erblicken.“
 

Mit einem Ruck zog sie den Stab heraus. Noch immer sandte die Stadt einen hellen Glanz aus, doch der mystische Schein war verschwunden. Das Licht des Perlmuttturms erloschen. Nur kurz musterte sie den goldenen Stab, dessen Ende ein rautenförmiger Diamant war. Unten fand sich ein Saphir, wesentlich kleiner, aber in der gleichen Form. Das war ihr Symbol. Sie hatte den gleichen, nur umgekehrt. Ihre Bitte wurde erhört und der Stab begann zu glühen, bis sich helle Fäden aus ihm strömten und in ihren eigenen Körper wanderten. Hier war er sicher, bis zu ihrem Ende, bis sie sich wieder trennten. Niemals würde sie Luzifers Seite verlassen und er ihre nicht.
 

Angezogen von der plötzlichen Veränderung landeten ihre Brüder an ihrer Seite. Sie alle hatten sich verändert. Michael war noch immer stolz, aber eine gefährliche Ruhe begleitete ihn. Uriel war von drückender Dunkelheit umgeben, während Raphael müde aussah. Unendlich erschöpft von zu vielen Kämpfen.
 

Verankert durch Luzifer in dieser Zeit sah sie alle drei an und verschloss all ihr Wissen, so tief in sich selbst, bis sie selbst vergaß wer sie war und wer sie werden müsste.
 

„Ich bin der Herr der Weißen Stadt.“

Mercy in Darkness

Run boy run! This world is not made for you

Run boy run! They're trying to catch you

Run boy run! Running is a victory

Run boy run! Beauty lies behind the hills
 

Run boy run! The sun will be guiding you

Run boy run! They're dying to stop you

Run boy run! This race is a prophecy

Run boy run! Break out from society
 

Run Boy Run – Woodkid
 

~*~*~*~*~*~*~*
 

4. Mercy in Darkness
 

Sie brachten ihn Heim. Mal wieder.
 

Am liebsten hätte Leon sich gewehrt, ihnen gesagt, dass sie ihn faktisch zurück in die Hölle schickten, aber das würde nichts ändern. Er hatte es schon öfters getan und vor einem Jahr aufgegeben. Seit-dem war er kaum noch in diesem Haus. Heimat konnte er den Ort nicht nennen, schon allein weil er Tyrion nicht mitnehmen konnte. Seinen kleinen Beagle, der in sicherem Abstand auf dem Gehsteig saß. Er wusste schon, dass er hier her nur mit der Erlaubnis seines Herrchens rein durfte und die hatte er nicht. Hunde waren so einfache Wesen und doch so komplex. Da Leon kein großer Freund der Sprache war, einfach weil sie zu sehr missbraucht wurde und weil ihm eh niemand zuhörte, hatte er gelernt schweigend zuzuhören. Tyrion gehorchte ihm und das allein über Haltung. Ein Fingerzeig und er wäre wie ein verrückter auf die Beamten zu gerannt. Wohl kaum um sie zu verletzten, eher um nach Essen und Spielen zu betteln. Aber auch nur, weil der Hund wusste, dass sie ihm nicht wirklich etwas Böses wollten. Es verhielt sich anders, wenn es wirklich um etwas ging, dann konnte er knurren. Manchmal ertappte er sich dabei wie er seine Pflegefamilie in die Hölle wünschte und das Ty ihm dabei helfen würde, aber so schnell ihn das überkam, so schnell verschwand es auch wieder.
 

Um auf dem Punkt zu kommen, saß er gerade in einem Streifenwagen des Friedensministeriums. Man hatte ihn mal wieder beim Schwänzen ertappt. Viel tun konnten sie nicht, außer ihn nach Hause zu bringen oder in die Schule. Gegen eine Gerichtsverhandlung hätte er gar nichts einzuwenden. Ein paar Tage Jugendarrest. Das hieß für ihn Ruhe und regelmäßiges Essen. Auf der anderen Seite würde er sich um Ty schrecklich sorgen und konnte sich das Ganze nicht leisten. Ein Grund warum er regelmäßig mit den anderen Parkour machte und das schon bevor er Miss McPhee kennen gelernt hatte. Es machte nicht nur Spaß ohne Hindernisse zu laufen, es befreite ihn auch. Täglich trug er die Zwangsjacke seines Lebens, musste eine Maske aufsetzen, lächeln wenn man es ihm befahl und all die Kleinigkeiten. Viele behaupteten gern, dass es nicht schlimm war. Die Schläge waren viel heftiger. Für Leon war es nur eine weitere Lüge. Doch nichts übertraf den Zwang etwas zu tun, dass man nicht wollte und es veränderte einen. Irgendwie. Dieses Monster lauerte in ihm. Der Blonde konnte fühlen, wie es in den letzten Monaten seit Miss McPhees Tod gewachsen war. Seine Krallen waren scharf und kratzten an seinem Verstand. Es verlangte Gerechtigkeit, Genugtuung und das würde er nicht erhalten, in-dem er alles über sich ergehen ließ. Mit Parkour mochte er dem Ganzen entfliehen. Er vergaß es und für die Dauer des Laufes vergaß er seine Sorgen.
 

Das Klicken der Fahrzeugtüre riss ihn aus seinen Gedanken. Instinktiv hielt Leon den Kopf gesenkt und starrte auf die schwarze Uniformhose des Beamten. „Wir sind da.“, waren dessen ruhige Worte und anhand der wenigen Umgebung die er aus den Augenwinkeln sah, wusste er schon, dass sie ihn Heim gebracht hatten. Die dunklen Straßen am Rande von North Obsolete waren kaum zu verwechseln. Nicht einmal mit der staatlichen High School, auf die er ging. Für eine Sekunde zögerte er. Sein Körper verweigerte die Ankunft, ebenso sehr wie sein Verstand. Am liebsten hätte er sich in die Tür gestemmt und gesagt, dass er freiwillig im Auto bleiben würde. Doch je mehr er sich aufführte, desto schlimmer würde die Strafe später werden. Also schluckte er alle Gefühle herunter und stieg einer Maschine gleich aus. Sein Gesicht war blank und verriet keinen seiner Gedanken, nicht einmal Reue, trotz des gesenkten Kopfes. Auch die Uniformierten sprachen nicht mit ihm, sondern führten ihn wie einen entlaufenen Hund zurück zum Haus. Sie klingelten an dem großen Plattenbau und seine Pflegemutter ging einige Minuten später auch hin. Höflich stellten sich die Beamten vor und berichteten, dass sie ihren entlaufenen Pflegesohn gefunden hatten.

Das Gespräch verfolgte er nicht mehr, denn die geheuchelten Sorgen konnte er nicht mehr hören. Stattdessen sah er zur Seite, dort standen zwei jüngere Nachbarskinder. Sie grinsten frech, aber nicht um ihn zu spotten, sondern eher: Wir haben die Wette gewonnen, du bist das zweite Mal diesen Monat geschnappt worden. Viel zu oft tauchte hier das Friedensministerium auf, als das es etwas Besonderes wäre. Eine Welle der Übelkeit überkam ihn, als der Beamte seine Hand auf seine Schulter legte. Er wollte nicht angefasst werden! Für einen kurzen Moment flackerte Wut in seinen Augen auf, doch dann wurde er auch schon zur Türe geschoben. Leon zögerte, aber der Druck zwang ihn dazu. Für die Polizisten nichts Ungewöhnliches. Wer wollte denn schon Heim und Ärger kassieren?

Jede Stufe war ein Schritt weiter in die Hölle. Da sollte noch einer sagen, sie befand sich tief unter der Erde. Vor der Türe empfing ihn die Schönheit von Pflegemutter. Die Blüte ihrer Jahre hatte sie bereits hinter sich, doch sie war immer noch eine Augenweide. So viele charakterliche Makel sie hatte – ihr Lächeln war bezaubernd. Vielleicht wäre sie eine gute Mutter geworden, aber ihm war egal warum das nicht so war. Sie mimte das besorgte Elternteil und er stammelte ganz ein seiner Rolle eine Entschuldigung und erfand einen Grund. Noch bevor er mit dem letzten Satz fertig war, hatte er die Worte vergessen. Ihm war es egal, als wäre er nicht mehr da. Nach-dem die Beamten gegangen waren, mit der Ermahnung, dass er wieder einen Eintrag in der Jugendakte erhielt und bald eine größere Strafe anstand, verschwanden sie endlich. Kein Grund zum Aufatmen. Der Tag war noch nicht vorbei. „Auf dein Zimmer“, ihre Stimme war so schneidend kalt, eigentlich hätte er erfrieren müssen, doch die Worte prallten ab – offensichtlich. Wortlos, er war nicht aufgefordert worden zu reden und hier galt es, niemanden zu blenden, ging er in sein Zimmer. Ein kleiner spärlicher Raum ohne persönliche Note.

Sogar ein Kaufhaus hatte mehr Dekoration und Persönlichkeit als dieser Ort. Die Möbel waren abgenutzt und zeugten davon, dass er nicht das erste Kind war. Weder der Kleiderschrank noch der Schreibtisch hatten viel Inhalt. Das einzig wirklich Interessante war der doppelte Boden im Schreibtisch. Er war gesichert durch zwei Holzstifte, nur falls seine „Mutter“ und sein Vater auf die Idee kamen, sie auszuleeren. Mit einem dünnen Stecken, der zwischen Schrank und Wand klemmte konnte er die Stifte heraus schlagen und den Boden öffnen. Das tat er nur selten, denn er wollte nicht erwischt werden.
 

Darin lagen zwei Bücher, ein Notizbuch, das er selbst geschrieben hatte, und ein E-Book, samt Ladegerät. Das war ein Geschenk von Miss McPhee gewesen. Sie hatte auch den Inhalt darauf bespielt. Vieles davon hatte er schon gelesen. Ein paar Bücher hatte er schon vorher gekannt, vielleicht nicht alle Bände, aber ein Buch war besser als keines. Mit hängenden Schultern ließ er sich auf das Bett fallen, das leise unter seinem Gewicht quietschte. Gewicht war relativ. Hier gab es nicht viel zu essen und wenn, dann war es kaum genießbar. Das meiste war geklaut gewesen oder von Miss McPhee, bevor sie gestorben war. Jeder Gedanke an sie war ein Stich in seinem Herzen. Er verbot sich das Gefühl, doch es hörte nicht auf. Ebenso wenig wie die Sehnsucht nach seiner Schwester. Wie oft war er schon vor dem Haus von ihr gestanden und wollte klingeln? Aber was sollte er sagen? ‚Hey, ich dein verkorkster Bruder, der eine Jugendakte in der Dicke eines Schwerverbrechers hat.‘ Nicht jeder Einbruch war unentdeckt geblieben, aber er war nicht strafmündig gewesen.

Keinen Zentimeter bewegte sich Leon bis die Dämmerung einsetzte und er die Haustüre hörte. Wie immer warf Richard seine Tasche auf den Boden, was für ihn klang als wäre ein Gebirgszug herunter gekommen. Leise Stimmen drangen an sein Ohr und im nächsten Moment wurde sein Name gerufen. In Gedanken zuckte er zusammen, aber dieses tiefe ureigene Gefühl sich zu verstecken ließ er nicht an die Oberfläche kommen. Mechanisch stand er auf und ging zu seinem Henker. Der stand wutschnaubend im Wohnzimmer. Er redete etwas von Respekt, davon, dass er froh sein sollte, dass sich jemand um sein erbärmliches Leben kümmerte. Welches Leben? Natürlich stellte er die Frage nicht, sondern blieb mit gesenktem Kopf vor Richard stehen, der sich immer weiter in Rage redete. Vermutlich war sein Gesicht bereits hochrot, aber Leon wagte nicht aufzusehen. Um sich abzulenken spielte er die Noten auf Miss McPhees Klavier – seine ganz eigenen Melodien. Musik entsteht im Herzen, nicht in den Fingern.
 

Die Ohrfeige brachte ihn ins Taumeln. Beinahe wäre er gestürzt. Für einen kurzen Moment hatte er gezischt. Der Schmerz hatte ihn sehr unerwartet getroffen und ihm blieb keine Zeit, um sich zu fangen. Der nächste Faustschlag ging in die Rippen. Aus Reflex schnappte er nach Luft, doch mit der zweiten Faust in seinem Bauch wurde ihm auch die heraus gepresst. Der Sturz auf den Boden war unausweichlich und Leon fing sich gerade noch so mit den Armen ab. Schmerz schoss ihm durch seinen Oberkörper und mischte sich mit den weiteren Tritten, bis sie zu einem Sturm wurden und ihn so tief in eine Ecke in sich selbst trieben, dass er fast schon vergessen hätte, wie sein Name wäre.
 

Gemma.
 

Er dachte an sie. Ihr fröhliches Gesicht, wenn sie förmlich von der Schule nach Hause hüpfte, begleitet von Freunden, echten Freunden, und empfangen von zwei Vätern die sie liebten. Ja, er beobachtete sie schon eine Weile aus der Ferne. Vielleicht würde er irgendwann den Mut haben sich vorzustellen, falls sie überhaupt noch wusste wer er war.

So nahe er einer Ohnmacht war, er konnte nicht über die Klippe springen und einfach verschwinden. Stattdessen wartete er, bis es vorbei war, was schon länger der Fall sein musste, aber erst jetzt konnte er sich bewegen. Eine kühle Hand auf seiner Stirn holte ihn zurück. Verwundert öffnete er seine klaren, eisblauen Augen und sah in die dunkelbraunen seiner Pflegemutter. Es war das erste Mal, dass sie sich für ‚danach‘ interessierte. War es denn schlimm gewesen? „Das ist nicht normal.“, merkte sie besorgt an und sah zu ihrem Ehemann. „An dem ist doch nichts normal.“, war die abwertende Antwort. Klar. Warum auch sollte er normal sein? „Er hat gekrampft!“, warf sie ein und stand mit verschränkten Armen auf. Hatte er das? Leon fühlte sich wie verprügelt, was auch geschehen war, doch da war noch etwas anderes. Eine unbändige Müdigkeit. Vorsichtig setzte er sich auf und versuchte ein Zischen zu unterdrücken, was ihm nicht gelang. Es gab immer diesen einen Punkt, an dem man den Schmerz nicht mehr stumm ertragen konnte. Ein Wimmern, ein Stöhnen – irgendetwas entkam einem immer, egal wie dicht der Kokon war, den man sich gesponnen hatte. Scarlett ging in die Küche, wie er hören konnte und kramte in den Schubladen, während er mit ganz leichten Bewegungen seine Muskeln dehnte und damit prüfte was alles beschädigt worden war.

Sein Brustkorb fühlte sich einfach nur noch nach Schmerz an. Seine linke Hand hatte eine seltsam verkrampfte Stellung, sodass er die Finger mit Gewalt aufbiegen musste. Erst nach-dem er sie ein paar Mal mit Außeneinwirkung bewegt hatte, sprich seiner anderen Hand, ging es wieder. „Iss.“, mit einem Schlag tauchte Scarlett wieder auf und hielt ihm etwas Weißes vor. „Los!“ Ihr Ton wurde befehlend und ungehalten, wie immer, wenn er nicht schnell genug war. Vergiften würden sie ihn schon nicht, also öffnete er gehorsam den Mund und ließ sich das Stück Traubenzucker in den Mund schieben. Sie drückte ihm auch noch etwas in die Hand. „Auf dein Zimmer, beeil dich.“ Die Worten waren geflüstert und ein gut gemeinter Rat, weil sie das nie sagte. Er musste wirklich nicht gut ausgesehen haben. Scarlett half ihm auf die Beine, dabei konnte er auch ein schmerzhaftes Stöhnen nicht unterdrücken. Ob Rippen gebrochen waren? Sobald er wieder die Arme heben konnte würde er es versuchen. Auch sein rechter Oberschenkel pochte unangenehm. Die nächsten Tage würde er noch daran denken.
 

So schnell er konnte wankte er in sein Zimmer und schloss die Türe. Dem Drang, einfach an ihr hinab zu rutschen, widerstand er gekonnt – wer noch nie eine Türe mit voller Wucht im Rücken gehabt hatte, der verzichtete auf weitere Leichtsinnigkeit. Stattdessen setzte er sich mit größter Vorsicht auf das Bett und schälte den Traubenzucker aus seiner Verpackung. Alle fünf Stücke, die sie ihm gegeben hatte, aß er. Wer wusste schon, ob sie ihre Meinung nicht doch änderte? Für einen kurzen Moment fühlte er sich besser, zumindest was seinen benebelten Kopf anging, doch ansonsten war er ein einziger blauer Fleck. Achtlos ließ er das Papier auf den Boden fallen, während er sich hinlegte. Was genau gekrampft hatte und warum, das wusste er nicht, aber es war nicht normal. Vielleicht die Mangelernährung? Er hatte keine Epilepsie und wenn, dann… wusste er wirklich nicht was er noch machen sollte. Magnesium. Ihm fehlte Magnesium, denn Unterzucker konnte es nicht sein. Dann wäre er nämlich nicht mehr aufgewacht und wenn dann in einem Krankenhaus mit einem matschigen Hirn, weil die Unterversorgung an Sauerstoff ihn hatte blöd werden lassen. Schön wäre es. Nein, er war lebendig, lädiert, aber wach.
 

Die Schmerzen verhinderten, dass er sich diese Nacht unruhig umher-wälzte, stattdessen wurde er wach. Keine zwei Stunden nach-dem er eingeschlafen war starrte er an die Decke. Diese Art von Nächten hasste er. Schmerz, Aufregung und Sehnsucht hielten ihn wach. Letztendlich stand er wieder auf. Seine Schuhe trug er immer noch und seine komplette Kleidung. Ein weißes T-Shirt, das schon leicht gräulich war; eine graue Sweatshirtjacke und dazu eine ausgewaschene Jeans, die nur dank einem Gürtel auf seiner Hüfte blieb. Die Chucks waren auch nicht mehr die neusten, aber sie erfüllten ihren Zweck. So leise wie möglich schlich er nach draußen und eilte, kaum dass die Haustüre geschlossen war, die Treppen hinab in den Hof mit den kleinen Grünflächen und dem verunstalteten Spielplatz. Nicht unbedingt der beste Ort um aufzuwachsen.

Seine Lunge protestierte, denn bei jedem Atemzug stachen seine Rippen wie tausend Nadeln. Auch die anderen Hämatome machten sich bemerkbar. Dazu musste er sie nicht einmal sehen. Aber nach so vielen Jahren Prügel, da konnte man den Schmerz ausblenden. Er war da, er war scheiße, aber entweder er verschwand wieder oder er war morgen wieder der Wut von Richard ausgesetzt. Eine Wahl gab es da nicht. Nach den ersten zwei Schritten sprang Ty aus dem Gebüsch und rannte auf ihn zu. Glücklicherweise waren Beagles klein! Bei einem germanischen Bärenhund wäre er wohl zertrampelt worden und vermutlich hätte er, Fliegengewicht, ihn zureiten können.
 

Stattdessen ging er in die Hocke und ließ sich das Gesicht abschlecken. Kalter Schweiß wurde durch großzügigen Hundeschlabber ersetzt. Leicht lachend verzog er das Gesicht, aber genoss die einzige Zuneigung, die er gerade bekam und vielleicht je wieder bekommen würde. Tyrion liebte ihn so bedingungslos, dass ihm das Herz weich wurde. Sein Herz war weich, das knautschig und viel zu nachgiebig, aber entweder er spielte seine Rolle als harter Jugendlicher gut oder ihn fraßen die Haie der Straße einfach auf.
 

„Heute habe ich leider nichts für dich.“, seufzte Leon traurig, der seinen eigenen Hunger nur am Rande wahrnahm. Manchmal war es quälend, genug um zu stehlen. Heute war wieder so ein Tag, wär da nicht ein Stiefvater der ihm jede Möglichkeit genommen hätte. „Na komm.“ Nach einem kurzen traurigen und vor allem hungrigen Winseln folgte ihm Ty. Dieser wusste sehr wohl, wenn Leon etwas gehabt hätte, dann hätte er etwas bekommen. Gemeinsam gingen sie zu einem kleineren Park, der ziemlich herunter gekommen war, aber gerade noch seinen Zweck erfüllte. Auf ein paar Bänken saßen seine Gangkollegen, die fleißig am Trinken waren und Infos austauschten. Manche spielten auch mit den Muskeln, vor allem die jüngeren Mitglieder, aber die Senioren ließen sich nicht beeindrucken. Als sie ihn kommen sahen, hob Boyz, der einzige der wohl so etwas wie ein Freund war, die Augenbraue. „Scheiße, Mann. Hat dein Alter dich wieder erwischt?“ Leon nickte nur und setzte sich auf den dargebotenen Platz. „Verdammt, Junge! Lass dir das nicht gefallen. Du siehst scheiße aus.“, „Tz, halt die Klappe. Hast du was zu essen?“ Lieber das Thema wechseln. Er wollte jetzt keine Moralpredigt über daheim abhauen und ein Leben auf der Straße führen. Er war aktenkundig und zwar so richtig. Nicht nur wegen seiner Eskapaden, sondern weil er ein Waise war und das Jugendamt extra ein Auge auf ihn hatte. Wie sie das wahre Gesicht seiner Pflegeeltern übersahen war ihm nicht klar.
 

Boyz packte die Reste eines Fast Food Burgers aus. Am liebsten hätte Leon ihn direkt gegessen, doch stattdessen fischte er das Fleisch raus und warf es Ty hin. Das Stöhnen der anderen ignorierte er. „Wieso fütterst du den Köter?“ Auf die Frage ging er nicht einmal ein. Stattdessen begnügte er sich mit den Resten, die eher ein Appetitanreger waren, anstatt irgendwas zu stillen. Das Ziehen in seinem Magen wurde fast unerträglich, jetzt wo er Blut geleckt hatte. Dagegen kam nicht mal seine eiserne Disziplin an. Er hatte Hunger, furchtbaren Hunger. Hinter ihm knallten ein paar Flaschen auf den Boden, was er gelassen hinnahm, denn es folgte Gelächter. Sie machten sich einen Spaß daraus leere Bierflaschen auf die asphaltierten Wege zu werfen oder den Gehweg zur Straße hin. Schweigend saß er auf der Bank, während Ty sich an sein Bein schmiegte und sich kraulen ließ. Erst der Aufschrei eines wütenden Passanten brachte ihn dazu fragend zu seinem Kollegen sehen, die noch mehr Spaß hatten, denn jetzt konnten sie eine Drohne herunter holen, die auf sie zuflog. „Das war’s dann.“, seufzte Leon und stand auf. Sein Körper wehrte sich noch ein wenig, aber er musste gehen. Bald würde das Friedensministerium auftauchen und…
 

„Auf den Boden und Hände auf den Rücken!“, riefen zwei kräftige Stimmen und die Polizisten schossen praktisch aus der Dunkelheit. Der Park war auch nur spärlich beleuchtet, aber das hatte niemand kommen sehen. Waren sie schon vorher gerufen worden? Verdammt! „Ty – ab!“, der Befehl war streng und sofort schoss der Beagle los. Er wusste, was das bedeutete. McPhee hatte Leon immerhin gezwungen, ihn zu erziehen und zu trainieren. Das Erste, was er hatte lernen müssen, war zu verschwinden, wenn es ihm befohlen wurde. Während Sirenen weitere Mitarbeiter des Friedensministeriums ankündigten, sprang er auf. Der erste Atemzug war wie ein Faustschlag in sein Zwerchfell. Sein Körper protestierte gegen die plötzliche Anstrengung, auch seine Muskeln wollten im ersten Moment nicht. Aber das Adrenalin jagte schon durch seine Venen. Vorhin bei seinem Stiefvater war er kalt geblieben, aber jetzt brannte die nackte Panik in seinen Nervenbahnen. Würde ihn ein Beamter wieder heimbringen, dann könnte er sich einsargen lassen oder das Monster brach aus und er wollte nicht Leid bringen, dafür hatte er schon zu viel erfahren.
 

Die ersten Schritte taumelte er noch schwer, bis sich der Schmerzpegel eingependelt hatte und auch das Adrenalin den Rest unterdrückte. „Stehen bleiben!“, wurde ihm hinter her gerufen, doch er ging von einem schnellen Gang in einen Sprint über. Wenn er schnell genug war, dann fühlte es sich wie fliegen an. Jeder Atemzug, der seine Lungen tief ausfüllte, war schmerzhaft, aber es ebbte einfach ab. Der Fluch erreichte seine Ohren nicht mehr, denn er war bereits unterwegs. Leon lief direkt auf eine Bank zu, doch im richtigen Moment sprang er einfach vom Boden ab und flog darüber. Die Landung war so gekonnt, das es keine Zeitverzögerung gab, bis es weiter ging. Sein Weg führte ihn aus dem Park hinaus in die verlasseneren Gassen, aber erst musste er über eine Hauptstraße. Sie würden bremsen, das wusste er. Schon zu oft war er in den Verkehr gesprungen bei einer Hetzjagd. Nicht immer war das Friedensministerium der Grund gewesen, aber das war egal. Hier war eine verkehrsberuhigte Zone, das hieß wenn ein Fahrer zu langsam war, dann würde es ihn hoffentlich nicht umbringen. Leon lief direkt auf ein Auto zu, immer wieder sah er zu dem Gefährt und schätzte dessen Geschwindigkeit ab, ehe er sich schwungvoll vom Boden abstieß. Seine Hände stützten sich auf der Motorhaube ab. Das Auto selbst war noch mitten im Bremsvorgang und drohten ihm die Hände wegzuziehen, sodass er in die Windschutzscheibe knallen würde, doch vorher ließ er davon ab. Diese kurze Stütze hatte er zur Korrektur der Flugbahn gebraucht und um nicht an Schwung zu verlieren. Dennoch zog es ihm die rechte Hand leicht weg. Scharfer Schmerz schoss durch sein Gelenk, wurde aber schnell wieder vom Adrenalin betäubt.
 

Noch im Laufen spürte er, wie seine Waden leicht verkrampften. Magnesium. Definitiv Magnesiummangel. Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf und versiegte gleich darauf wieder.
 

Eine Umzäunung.
 

Leon nutzte ein parkendes Auto als Sprungbrett und bekam das obere Ende des Zaunes zu fassen. Gerade als er die Beine auf die andere Seite geschwungen hatte spürte er ein Gewicht an seinem rechten Arm. Der Polizist hatte ihn eingeholt! Fast schon geschockt starrte er den Mann an, der an seinem Sweatshirt zog. Automatisch schlüpfte er mit dem Arm heraus und gab seine Narben frei. Ganz klasse. Er hätte ihm auch gleich seinen Ausweis geben können. Im Licht der Laterne waren seine Blitznarben gut sichtbar. Das war aber nicht das einzige Problem. Außer seine Sweatshirtjacke hatte er nichts Langärmliges. Also hielt er sich mit seiner linken Hand fest um nicht direkt auf den Boden zu fallen. Gerne hätte er sich entschuldigt, aber das… Innerhalb von Sekunden hatte Leon die Situation erfasst und sich wieder hoch gezogen, direkt auf den Uniformierten zu, der verwundert war. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, vermutlich: „Du bist festgenommen.“ Aber in dem Moment schoss seine rechte flache Hand auf dessen Nase zu. Der überraschende Aufprall ließ den Polizisten nach hinten Fallen. Blut schoss aus seiner Nase. Einen Moment lang hing Leon über den Zaun gebeugt und konnte den Mann direkt ansehen, so wie dieser ihn. Sie beide wussten – und das nur innerhalb dieser zehntel Sekunden – dass der Kampf entschieden war. Er würde den Vorsprung weiter ausbauen, während der Polizist sich erst einmal die Mühe machen musste, um ohne Schwung und mit blutiger Nase über den Zaun zu klettern, der gut zwei Meter hoch war. Obwohl Leon schon nach hinten fiel, brach er den Augenkontakt nicht ab.
 

Der Polizist würde nicht schießen, nicht auf ein halbes Kind, das lediglich wegen Vandalismus belangt werden konnte und jetzt wohl noch wegen leichter Körperverletzung. Leon kannte den Mann vor sich und hätte am liebsten geweint. So sehr er seine Schwester beobachtet hatte, so wenig waren ihm ihre Väter entgangen.
 

Hallo Gemma, ich bin Leon und womöglich habe ich deinem Vater die Nase gebrochen, wenn nicht dann habe ich sie ihm bloß geprellt.
 

Wunderbar. Er verzog das Gesicht schmerzlich, nicht nur weil er welche hatte, sondern weil es ihm leidtat. Als er auf seinen Füßen landete, krümmte er sich kurz zusammen, weil sein Körper sich erneut auflehnte. In seinem Kopf herrschte aber immer noch ein Gedanke: Lauf. Lauf. Los. Los. „Es tut mir Leid.“, keuchte er schließlich atemlos und sah Gemmas Vater entschuldigend an, ehe er sich umdrehte und weiter lief. Durch die kurze Pause hatte ihn der Schmerz wieder eingeholt und ließ ihn straucheln. Jeder Idiot konnte sehen, dass etwas nicht stimmte, dennoch lief er weiter und ließ einen vollkommen verwirrten Polizisten zurück. Leon trieb sich weiter über jedes Hindernis, bis er vor Erschöpfung in die Knie ging. Gerade noch so konnte er sich an der Mauer eines Grundstückes halten, während er nach Luft schnappte. Viel zu wenig, viel zu viel Schmerz. Erst Minuten später merkte er, dass seine Knie schmerzten, weil er mit voller Wucht auf den Boden geprallt war. Ob seine Rippen gebrochen waren? Es fühlte sich so an, ganz zu schweigen von dem Rest. Er brauchte lange bis er seine Gedanken wieder gesammelt hatte und mit seinem rechten Arm wieder in die Jacke schlüpfte. Ihm war nicht mehr nach Laufen, also suchte er sich das nächste Gestrüpp und machte es sich zwischen Zweigen und Blättern bequem.
 

Noch immer konzentrierte er sich komplett auf seinen Körper. Der Puls hatte sich beruhigt, aber ohne Adrenalin trieben ihm die Schmerzen Tränen in die Augen. Erneut und wie so oft versank er wieder in Gedanken an seinen verlorenen Zwilling und daran, dass, obwohl er sich fern hielt, sich ihre Wege irgendwie kreuzten. Sei es nur ein Vater, der ihn verfolgte. Ty stupste ihn mit der Nase an und bettelte um Aufmerksamkeit, die er prompt bekam. „Hey …“, lächelte er mit rauer Stimme und kraulte den Rüden hinter den Ohren. Sein Hund fand ihn immer, egal wo er war.

Jetzt sah er sich auch um und entdeckte eine Gegend in der er nicht gerne gelandet war: Sunset Plateau. Er war zu Gemma gelaufen. Natürlich. Instinktiv wollte er zu ihr. Stöhnend schloss er die Augen. Wie oft würde er hier aufschlagen und mal wieder irgendwo lauern? Das musste er ein Ende haben. Er benahm sich wie ein Stalker. „Wir warten.“
 

Als hätten ihn Tyrion verstanden legte sich der Hund neben ihm und stütze seinen Kopf auf einem Bein von Leon ab. Glücklicherweise das richtige und damit sogar schmerzfrei für ihn. Die Nacht war kühl und auch daran konnte man sich gewöhnen. Dennoch begann er zu zittern, was er ignorierte. Die Stunden vergingen zäh, an Schlaf war nicht zu denken oder an keinen richtigen. Immer wieder nickte er im Sitzen weg, bis er irgendwann liegend mit leicht verrenkter Haltung wieder aufwachte. Er war erschöpft gewesen und das bekam er jetzt zu spüren. Der Schmerz raubte ihm den Atem, als er sich aufsetzte und er hatte mehrere Versuche dafür gebraucht. Schrecklich. Sein Magen knurrte, vereinzelt verkrampften sich seine Muskeln und der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn. Vermutlich sah er Leichenblass aus, allein von der Erschöpfung her. Viel besser würde es nur nicht werden, nicht nach-dem er gestern einen Polizisten geschlagen hatte. Der Tag war bereits fortgeschritten und er schob den langen Schlaf, welcher einem Toten geglichen hatte, auf seinen allgemeinen Zustand. Also wartete er hier auf Gemma, bis sie von der Schule kam. Es mussten Stunden vergangen sein, als sie endlich in seinem Blickfeld auftauchte. Mit steifen Gliedern wollte er aufstehen, doch sofort sackten seine Beine weg. Sie fühlten sich an wie Pudding und der Rest wie Matsch. Besorgt stupste ihn Ty an, ganz nach dem Motto, er solle sich schonen. Kurz tätschelte er ihn, dann stand er endgültig auf.

Als er endlich sicher stand, klopfte er sich den groben Dreck von der Kleidung und trat endgültig vom Seitenstreifen auf den Gehweg. Das sah seltsam aus wie ein Junge einfach aus dem nächsten Busch trat, aber hier waren nicht viele Fußgänger. Mit abgehackten Schritten steuerte er auf die Villa, denn nichts anderes war das Haus für ihn, zu und schluckte seine Angst herunter. Mehr konnte einfach nicht mehr schief gehen. Er wusste nicht wohin und noch eine Prügelstrafe würde er kaum überleben, noch wollte er sie erleben. Also ging er durch das offene Eingangstor zur Türe, wo er klingelte. Es dauerte nicht lange da öffnete sie ihm die Türe.
 

„Hey.“, begrüßte er sie einfallslos.

Breath

Es ist schön, euch alle hier zu sehn;

durch dieses Ereignis geeint.

Ich weiß, ihr wolltet diesen Weg nicht gehn,

ich sehe, dass der ein oder andere weint.

Vergießt keine Tränen, erinnert euch heiter,

an unsre gemeinsame Zeit.

In euren Herzen lebe ich weiter,

hinterließ diese Zeilen euch zum Geleit.
 

Hab mein Leben gelebt,

geliebt und gelitten,

bekommen, verloren,

genommen, gegeben,

hab gelacht und geweint,

mich versöhnt und gestritten,

ich bin am Ziel und es war schön, dieses Leben.
 

Euch zum Geleit – Schandmaul
 

~*~*~*~*~*~*~*
 

5. Breath
 

Heute war Vollmond oder?
 

Matthew Theodore Walsh runzelte die Stirn und wich zwei Streithähnen aus, während er gleichzeitig einen Schluck heißen Kaffees aus seinem Coffee-to-Go-Becher nahm. Es sah fast so aus, als würden sich die zwei Männer gleich an die Gurgel springen. Oh, jetzt taten sie es sogar. Wütend schlug die kleine Brillenschlange, auf den öligen Macho ein. Das könnte glatt eine Szene aus dem Schulhof sein und so blieb er auch stehen. Sicher, dass er hier richtig war? Vielleicht war er wie ein Zombie in die Schule gegangen, auch wenn er über ein Jahrzehnt keine mehr betreten hatte. Zwei seiner Kollegen zogen die beiden auseinander und versuchten sie zu beruhigen, während Matt nur seine Augenbrauen nach oben zog. Irre. Heut war Vollmond. Bestimmt. Das war dieser eine Tag im Monat an dem alle einfach so den Verstand verloren. Er konnte nicht mal sagen warum, aber es war so. Oh Mann. Warum hatte er heute auch noch Spätschicht? Das eigentliche Festival zu Ehren von New Libertons Erbauung fand erst am Abend statt, wenn die Hälfte betrunken war und mit Flaschen um sich warf.
 

Grundsätzlich waren heute mehr Einheiten als sonst unterwegs, weil das Ganze wie Weihnachten war: Jedes Jahr wurde wieder irgendwas beworfen. Drohnen, Autos, Polizisten. Eher lustlos ging er an der Pforte vorbei und blieb kurz stehen, während er gescannt wurde, um in den Sicherheitsbereich zu gelangen. Hier kamen Zivilisten nur in Begleitung eines Officers hin. Für ihn ging es in die Umkleiden einen Stock tiefer. Dort hatte sich auch schon die halbe Spätschicht versammelt, ebenso hoch erfreut wie er und teilweise wie Zombies auf den Weg nach oben. Mit seiner Tastenkombination sperrte er den Spind auf und stellte seinen Kaffee in das obere Fach, während er seine Umhängetasche auf den Boden des Spindes stellte. Neben ihm machte sich Fergus gerade mit ein paar Handgriffen fertig. Den irritierten Blick konnte er spüren, ganz ohne ihn zu sehen. „Tch, frag nicht.“, murrte Matt und schlüpfte aus seinen Schuhen. Sein Partner schwieg und klopfte ihm auf die Schulter – ein Zeichen des guten Willens und ein Hallo. Da der große Blondschopf nichts hören wollte, sagte er auch nichts. Zügig zog Matt seine Uniform an, kontrollierte noch einmal alles – auch seine Waffe und die Munition. Dann nahm er auch schon seinen Kaffee, schloss den Spind und schlurfte als Polizeizombie an seinen Schreibtisch. Darauf wartete einiges an Büroarbeit, doch heute nicht. Sie waren im Außeneinsatz, so wie alle anderen hier. Lustlos schob er die verschiedenen Dateien auf dem Pad hin und her, ohne sie wirklich anzusehen. „Willst du mir sagen was los ist?“, fragte Fergus irgendwann und tauchte einfach so aus dem Nichts auf. Sie mussten los, da hatte er Recht. Das hatte sein Partner mit keinem Wort gesagt, aber es stand da, irgendwo zwischen seinem Namensschild und seiner besorgten Miene.
 

Bevor Matt überhaupt eine Antwort in Erwägung zog, nahm er einen kräftigen Schluck von seinem schwarzen Kaffee, den er nur leicht gesüßt hatte. „George“, seufzte er schließlich und erklärte damit so ziemlich alles. Fergus kannte ihn lange genug um über seinen kleinen Problembruder bescheid zu wissen. „Er hat mal wieder Mist gebaut. Ich konnte zwar Hughes soweit beschwichtigen, dass er ihn nicht mitgenommen hat und auch kein Bericht geschrieben wird. Aber …“, Er seufzte und schüttelte anschließend den Kopf. „Ich hatte gehofft, er würde endlich die Kurve kriegen.“ Matt trank den Becher aus und warf ihn gezielt in den nächsten Papierkorb. „Ich war wohl in meinem vorherigen Leben ein Basketballspieler. Sicherlich hatte ich Millionen.“ Sein typisches Grinsen erschien wieder auf seinem Gesicht. Die Sorgen um seinen Bruder waren nicht verschwunden, doch er wusste auch, dass es nichts ändern würde und außerdem wollte er das Ganze nicht genau analysieren. Er hatte erzählt was passiert war, das reichte und deswegen ging Fergus auch nicht weiter darauf ein. Seine Worte würden nichts daran ändern, aber das Thema weiter auszubreiten würde es ihm nur weiter vor Augen halten, wie weit die Brüder sich voneinander entfernt hatten. „Na los, wir müssen auf Streife.“ Nickend und mit sehr viel Schwung sprang Matt auf um den Worten seines Kollegen Folge zu leisten.
 

Ihm war noch ein wenig danach, wie eine benommene Taube durch das Revier zu flattern, doch stattdessen flog er direkt zu ihrem Dienstwagen. Er wollte schon einsteigen als Fergus die Schlüssel hoch hielt. Mit einem leicht gequälten Stöhnen lehnte er sich gegen den Wagen und wartete bis die gelassene Schildkröte endlich mal soweit war. „Nur weil wir fünf Minuten länger brauchen bis wir unterwegs sind, heißt das nicht, dass die anderen uns alle Betrunkenen wegschnappen.“ Schön wäre es, dann hätte er sich ordentlich Zeit genommen, aber bei so vielen Einwohnern blieb für jeden Polizisten was übrig. Da er nicht wie ein kleines Kind um seinen Partner sprang und versuchte ihm den Schlüssel abzunehmen, hatte er indirekt schon deutlich gemacht, das der Beifahrersitz heute sein bester Freund war. Außerdem kutschierte Fergus eh andere gerne durch die Gegend. Gequält theatralisch ließ er sich in den Sitz fallen und schnallte sich brav an, nur um gleich gespielt zusammen-zu-sacken. „Lass das“, beschwerte sich sein Kollege und schob ihn wieder zurück auf seinen Sitz, dort wo Matt auch wieder zufrieden grinste und sich normal hinsetzte.
 

Sie waren kaum aus der Tiefgarage, da kam auch schon die erste Meldung über ein paar Unruhen in South Obsolete. Eine aufgeheizte Menge und sie sollten einfach als Unterstützung hin. „Hach, war ja klar“, seufzte der blonde Paradiesvogel und lehnte sich entspannt zurück während Fergus mit Blaulicht quer durch die Stadt schoss. Sie waren nicht die Einzigen und schon gar nicht am heutigen Tag. Ständig waren irgendwelche Sirenen zu hören und auf dem Gehweg standen Kollegen von ihnen die mit Passanten redeten. Man versuchte die Leute zu beschwichtigen und davon zu überzeugen, nach Hause zu gehen. Immerhin war auf den Revieren nicht genügend Platz um die halbe Stadt einzusperren. Das klang an sich auch schlimmer als es war. Das eigentlich Anstrengende waren die zwei Personen, von insgesamt zehn, mit denen man zwei Stunden diskutieren musste, nur damit sie dann in einem Wutanfall auf einen losgingen. Man schleifte sie aufs Revier, sofern keine ganze Kneipenschlägerei die Folge war, wurde beschimpft, bespuckt und getreten. Vernunft war hier fehl am Platz. Am Zielort angekommen waren auch schon einige Trooper schwer am Diskutieren, sodass Matt sich erst einmal zurück-hielt und sich vor Ort aufklären ließ. Eine typische Diskussion: Er hat mein Bier verschüttet. Zehn Freunde auf der einen und zehn auf der anderen Seite. Zu viel für zwei oder gar vier Polizisten. Eine sinnfreie Diskussion half nicht unbedingt, seine Laune zu steigern, doch er blieb höflich und versuchte die Zwischenredner zu beruhigen, damit sie nicht alles noch schlimmer machten.
 

Meist brachte die leise Stimme im Hinterkopf sie dazu, das Fass zum Überlaufen zu bringen und genau diese musste er nun zum Schweigen bringen, da das oft irgendwelche Freunde waren und kein schizophrener Anfall des Geistes. Wie sie die Gruppe dann tatsächlich auseinander gebracht hatten, ohne das Gegenstände geworfen wurden, war ihm selbst ein Rätsel und wie lange er ruhig geblieben war (würde ‚und wie lange er ruhig geblieben war’ noch vor ‚war ihm selbst ein Rätsel’ setzen). Streng sah er den Unruhestiftern hinterher und entspannte sich etwas, als diese deutlich auf Abstand waren. Mit gekräuselten Lippen drehte er sich zu Fergus um und verzog die Lippen so, dass er aussah wie eine halbe Katze. Ein Zeichen, dass was nicht stimmte und er dem Frieden nicht traute. Seine Kollegen lachten schon, als plötzlich Angus ihn am Arm packte und zur Seite riss. „Woah!“, rief Matt, doch im gleichen Moment schlug eine grüne Glasflasche an dem Punkt ein, wo er eben noch gestanden hatte. Sie zerplatzte mit einem hellen Klirren, während sechs Officer nach dem Täter suchten. „Scheiß Bullen!“, brüllten zwei deutlich angetrunkene Männer. „Waren die nicht eben bei Mr. Verschüttetes-Bier?“, fragte Matt, kurz bevor sie alle los sprinteten. Es entstand eine typische Hetzjagd, bei der natürlich die Fraktion mit den Koordinationsschwierigkeiten verlor. Angelo hatte den ersten unsanft an der Jacke erwischt und ihn nach hinten gerissen, während Theodore und Matt den zweiten umgesprungen hatten. Es war nicht einfach und das trotz Handschellen, die zwei zappelnden Fische zum Auto zu schleifen und nicht in ihres!
 

„War das die obligatorische, fliegende Flasche?“, fragte Fergus grinsend, als sie beide der Streife hinterher sahen, welche die Täter wegbrachte. „Du meinst, ich werde heute nicht ausrutschen, gegen einen Pfosten schlittern und mir dabei die Hüfte brechen, weil ein Fahrradfahrer mich übersehen hat? Hoffentlich!“, scherzte er und öffnete schwungvoll die Autotür. „Wieso zielen immer alle auf mich. Nicht, dass ich dir Flaschen an den Hals wünsche, aber die letzten fünf waren definitiv an mich gerichtet.“, „Karma“, lachte Fergus als er wieder saß und den Wagen startete. „Das kann nicht stimmen! Ich habe gestern einer alten Dame über die Straße geholfen! Das müsste für die restliche Woche reichen.“ Sein Kollege lachte nur und sie nahmen ihre Tour wieder auf. Sie wurden nur ein paar Mal vom System angefordert wegen häuslicher Gewalt, die von den Kameras gemeldet worden war, aber auch von ein paar übermütigen Jugendlichen, die allesamt auf dem Revier landeten. Sehr zu Freude ihrer Eltern, die sie abholen durften. „Die Schicht ist doch nicht so schlimm wie befürchtet.“
 

Matt hob den Kopf und sah auf die Uhr am Bordcomputer des Autos. Noch gut eine Stunde, dann würde die Nachtschicht übernehmen. „Jetzt hast du es gesagt.“ Er ließ den Kopf hängen. „Das Schicksal sollte man nie heraus-fordern. Das wird bestimmt eine Höllenstunde“, predigte der Blondschopf und schüttelte den Kopf, „Och, du weißt doch, dass mir dann immer die dümmsten Dinge passieren. Das war Absicht.“ Als Antwort rollte Fergus mit den Augen und schüttelte den Kopf. Matt schmollte in seiner Ecke des Autos und sinnierte kurz darüber nach, was alles passieren könnte – natürlich nur zum Spaß. Er mochte ein Pechvogel sein und das war ein Ruf, den er wohl nie loswerden würde, aber es war auch eine helle Freude sich die dümmsten Dinge auszumalen und damit die Umgebung zu erheitern. Ihn damit aufzuziehen war also unmöglich, bis zu dem Punkt als eine Schießerei gemeldet wurde. „Den Teufel an die Wand malen.“, kommentierte er die vorherige Aussage von Fergus, während ihm ein wenig flau im Magen wurde. Nicht, dass er weglaufen würde, aber er hatte Respekt vor Schusswaffen, vor allem in den Händen von Kleinganoven, die wild um sich schossen. „Vielleicht haben sie ihn ja schon erwischt ehe wir da sind?“ Eine vage Hoffnung und eine die nicht erfüllt wurde. Kaum hatten sie sich dem Zielort genähert splitterte die Windschutzscheibe ohne die Kugel durchzulassen. Es hätte keinen getroffen, da es fast die Mitte war, aber vor Schreck hatten sie eine Vollbremsung hingelegt. „Eher nicht.“
 

Sie zogen ihre Waffen und entsicherten sie mit dem typischen Klicken, ehe sie die Türen öffneten und ausstiegen, jedoch in geduckter Haltung blieben. Die Stimme eines Kollegen wurde laut in-dem er noch einmal die ausweglose Situation erklärte und das sich der Schütze doch ergeben sollte. „Als hätten sie das je getan.“, murmelte Matt vor sich hin und sah zu seinem Partner, der gerade das Auto umrundet hatte und auf ihn zu schlich. Immer wieder fielen Schüsse und den dumpfen Geräuschen der Kugeln nach wurde die Autos gelöchert. Ihm wäre es auch lieber gewesen, die Person würde die Waffe hinlegen und sich fest-nehmen lassen, schon allein aus der Logik heraus, dass immer mehr Polizisten auftauchten. Aber bei den meisten schaltete das rationelle Denken aus. Das hatte auch einen Hintergrund, aber diese Art von Schulungen verdrängte Matt schnell wieder, weil es ihm egal war, warum ein Mensch das tat, so-lange dieser wild um sich feuerte. Noch einmal wurden Warnungen ausgesprochen, dann kam der Befehl über das Headset, in dem sie die Feuerfreigabe erhielten. Immer wenn über die Standleitungen des Friedensministeriums Befehle kamen, dann machte das kleine Headset am rechten Ohr alles dicht und für ein paar Sekunden fühlte man sich taub, ehe die Stimme erklang. Inzwischen konnte er das irritierende Gefühl ignorieren, aber so richtig gefallen daran fand er nicht. Er sah noch einmal zu Fergus, der andeutete auf die andere Seite zu wollen und damit Feuerschutz brauchte. Matt nickte und stand im nächsten Moment auf, um zu schießen, während sein Partner weiter huschte und beim nächsten Polizeiauto in Deckung ging.
 

Matt fühlte den Rückstoß in seinem Arm, während er selbst hoch konzentriert auf den Täter hielt. Seine Kollegen schossen auch, doch der kleine Räuber war nicht ganz so dumm wie es gewirkt hatte. Er hielt die Deckung und schoss planlos zurück, sodass sie nur darauf hoffen konnten, dass ihm bald die Munition ausging. In dem Moment als Fergus auch zu schießen begann, wollte Matt zu ihm laufen, in die Hocke gehen und schnell zu ihm huschen, jetzt wo er Feuerschutz hatte, aber irgendwie ging das schief. Er hatte gerade herunter genommen und wollte einen seitlichen Schritt machen, als er stolperte und stürzte. Anstatt aber nach vorne zu stolpern stürzte er zur Seite, so als hätte ihn ein Auto erwischt. Irritiert lag er auf dem Boden und versuchte zu verstehen was passiert war, denn irgendwie fühlte sich seine linke Seite an, als wäre er geschlagen worden. Ein seltsames Druckgefühl, dabei war er nur gestürzt und das ohne sich zu fangen. Sein rechter Arm schmerzte, vor allem seine Schulter auf der er gelandet war, weswegen er auch die Waffe losgelassen hatte. Zischend drehte er sich auf den Rücken und holte ein paar Mal tief Luft. Das würde er Monate von seinen Kollegen hören! Peinlicher ging es nicht. „Matt! Alles in Ordnung?“, fragte Fergus besorgt und blieb in Deckung während er seinen Partner im Auge behielt. „Ja“, gab dieser zerknirscht von sich, „Gib mir einfach nur Feuerschutz.“ Der Ältere blieb misstrauisch, folgte dann aber seinen Worten und Matt mühte sich ab zu ihm zu kommen. Alles fühlte sich schwer an, sogar die Waffe in seiner Hand. Natürlich, seine Schulter pochte auch unangenehm. „Das war so klar“, beschwerte er sich direkt und wollte gerade aufstehen um das Feuer erneut zu erwidern, als er mitten in der Bewegung wieder zusammen-sackte.
 

Der Schmerz schoss ihm durch seinen ganzen Oberkörper und raubte ihm den Atem. „Matt!“, Fergus rief erneut seinen Namen und besagter hätte schwören können, dass keine Sekunde vergangen war, doch als er die Augen aufschlug lag er auf dem Boden – rücklings. „Was zur …?“, begann er und versuchte sich aufzusetzen, doch er musste mittendrin abbrechen. Ein ähnlicher, gleißender Schmerz raubte ihm fast den Verstand, weswegen er stöhnend zurück sank. Das war definitiv nicht seine Schulter, sondern die linke Seite. Seine Rippen. „Matt, was ist los?“ Fergus kniete neben ihm und legte eine Hand so in seinen Nacken, dass er gezwungen war, ihn anzusehen. Matt hatte Schwierigkeiten ihn zu fokussieren, zuckte aber mit den Schultern und tastete nach dem Herd des Schmerzes. „Ich weiß nicht so genau.“ Noch einmal zischte er, als er genau am Zentrum war und sich eine drückende Last auf sine Brust senkte. Er konnte es fühlen, die warme Flüssigkeit und ihm war klar, dass das nur eines hieß. „Flipp nicht aus.“, begann er gequält und hob die Hand leicht, sodass sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit kam. Wie in Zeitlupe wich sämtliches Blut aus Fergus Gesicht, als dieser registrierte, was das hieß. Er hatte seinen vorherigen Partner Paul schon durch eine Schusswunde verloren. Mit genügend Adrenalin im Blut wurde jeder Schmerz verdrängt, doch jetzt wo er am Boden lag und sich die ganze Situation setzte, wurde es schlimmer. Jeder Atemzug schmerzte und verdeutlichte seine Verletzung. Hatte er vorhin noch gedacht, dass seine Probleme mit der Atmung von der Aufregung stammten, so war er sich jetzt nicht mehr sicher.
 

Obwohl er versuchte tief Luft zu holen, fiel es ihm schwer – als hätte er Watte im Mund stecken und müsste sich jedes Sauerstoffmolekül erkämpfen. „So ein Pech aber auch. Angus hätte mich nicht wegziehen dürfen!“, beschwerte er sich mit einem Lächeln auf die Lippen, das Fergus beruhigen sollte. Dieser sah nämlich fast so aus, als würde er gleich in Panik ausbrechen. Stattdessen rief er über sein Headset nach einem Krankenwagen und meldete einen verletzten Officer. Schusswunde. Kurz pausierten die Schüsse der anderen, die hatten zweifelsohne gehört was Mr. Gilleasbuig-Crane gerade gesagt hatte. Jetzt wurde die Sache persönlich, weil der Schütze einen von ihnen verletzt hatte. „Du solltest nicht so viel reden ..:“, „… und deine Kräfte schonen.“ Ganz offensichtlich ahmte Matt seinen Kollegen gerade samt Tonfall nach und schaffte es sogar, total ernst und besorgt zu schauen. Kurz sah ihn sein Partner genervt an, denn das war definitiv der falsche Zeitpunkt. „Jetzt guck nicht so, als wäre ich schon tot.“ In seinem Hinterkopf hoffte er natürlich, dass dieser Moment nicht eintraf, vorerst, aber er war sich nicht sicher. Egal wie sehr er sich bemühte, das Atmen wurde immer schwerer, sodass er sie hörbar einsog und dennoch zu wenig bekam. Irgendwo dazwischen hatte Fergus seine Hand fest auf die Wunde gedrückt und obwohl Matt schwören könnte, dass er hätte schreien müssen vor Schmerz, fühlte er nur den Druck auf seinen Rippen. Eine Hand von ihm lag sogar darauf um seinen Kollegen zu unterstützen – als hätte sie sich selbstständig gemacht. Sein Atem wurde hektischer, egal wie sehr er sich bemühte ihn zu kontrollieren. „Ich verpass das Barbecue.“, stellte er fest und sah entsetzt auf.
 

„Das ist …“, Fergus Stimme brach ab, denn sein Blick lag auf den gräulich verfärbten Lippen. Sein Partner würde wohl nicht verbluten, er würde ersticken. Wie glühendes Eisen brannte die Angst in seiner Kehle. Er konnte fühlen wie das Blut durch seine Finger sickerte. Es war weniger als es sein sollte, aber genug um es zu stoppen. Sollte er das nicht tun? Matt blutete in die Lunge oder … er wusste es nicht, denn er war kein Arzt. Aber er wusste nicht was richtig war. Ihn sprichwörtlich ausbluten zu lassen oder zu ersticken! Das war eine Pattsituation. „Der Krankenwagen ist gleich da.“ Er hatte noch was sagen wollen, ehe seine eigene Panik ihn unterbrochen hatte. Aber irgendwie war nur ein Standardsatz aus seinem Mund gekommen. „Ernsthaft?“, fragte Matt und verzog das Gesicht, ob vor Schmerzen oder Klischee war nicht zu sagen. „Sag… mir… lie…ber … die… Fuß…ball…ergebnisse.“ Nach jedem Wort musste er eine Pause machen, fast so als wäre er außer Atem – vom Leben. Sirenen wurden laut und fast schon erleichtert hob Fergus den Kopf. Die Sanitäter würden wissen, was zu tun war, sie hatten die Mittel und Fähigkeiten. Er hatte nur Angst. Seine Hände zitterten und an die Sporttabelle aus der Morgenzeitung konnte er sich nicht erinnern. Hatte er sie überhaupt gelesen? Mit einem Mal hatte er Schwierigkeiten, sich überhaupt daran zu erinnern. Stattdessen dachte er an ganz andere, unwichtige Dinge. Wo war seine Waffe? Hatte er sie wieder gesichert? Ging es Gemstone gut? Gilliean? Morgen müsste er wieder Frühstück holen.
 

„Vögel.“, flüsterte Matt und sofort sah er wieder zu seinem Kollegen. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen wie sich der Asphalt rot färbte und das Blut seine Hose durchtränkte. „Füttern.“ Sonnenvögel. Matt besaß ein Vogelpärchen, das er abgöttisch liebte. „Ich kümmere mich um sie, aber du wirst das bald wieder selbst machen“, versprach Fergus sofort um ihm die Sorgen abzunehmen, die gerade unwichtig waren. Sein Partner drohte bewusstlos zu werden. Die Hand, welche eben noch auf Fergus Händen lag rutschte langsam zur Seite weg. Der Moment, als sie auf den Boden fiel, war der, in dem die Panik sich wie ein Monster über seinen Verstand stülpte. Zuvor hatte er wenigstens den Anschein wahren können, um ihn nicht weiter zu beunruhigen. „Matt, mach die Augen auf.“, seine Stimme überschlug sich fast und er nahm die Hände von der Wunde um ihn am Kopf zu packen. Die Lippen des ältesten Walsh Bruders waren nicht mehr grau, sondern hatten ein kräftiges violett angenommen. „Du kannst hier nicht einfach sterben.“ Das … das konnte er nicht tun. Er hatte Paul schon verloren und einen zweiten Partner, das konnte er sich nicht vorstellen. „Bitte nicht …“, flehte er förmlich und wünschte sich alles, nur nicht vor Matts Eltern stehen zu müssen und ihnen zu erklären, das er beim Erfüllen seiner Aufgabe und zu Ehren des Friedensministeriums gestorben war.
 

Seine blutigen Hände verteilten die stellenweise halb getrocknete Flüssigkeit auf Hals, Nacken und Haare seines Kollegen. Auch ohne den Puls zu überprüfen oder genau darauf zu achten, wusste er, dass Matt nicht mehr atmete. Seine Brust hob sich nicht mehr und eigentlich lag er vollkommen leblos vor ihm. Dann fühlte sich sein Kopf leer an und doch so voll. Während er eben noch an die seltsamsten Dinge denken konnte, war nun alles weg. Der Schock hatte ihn wie ein Güterzug getroffen. Fast schon widerstandslos ließ er sich von einem weiteren Kollegen nach hinten ziehen und sah zu, wie die Sanitäter sein Hemd aufschnitten. Es sah so routiniert aus. Er wusste nicht wer ihn festhielt, aber irgendwer tat es während er auf Matt starrte. Die nicht vorhandenen Lebenszeichen wurden überprüft und im nächsten Augenblick wurde ein Skalpell gezückt. Ihn aufschneiden? Alles sträubte sich in ihm, doch er konnte nur zusehen. Es war ein kleiner Schnitt und daraufhin wurde ein Schlauch in die Wunde geschoben, sodass im nächsten Moment ein Schwall Blut daraus entwich. Erst jetzt wurde mit der Widerbelebung begonnen. Beatmung, Defibrillator und was auch immer sie ihm spritzen. Fergus wusste es nicht und es war ihm egal. Was er sah war sein Partner, der sich nicht bewegte. Die Zeit dehnte sich aus und bewies wie schon oft, dass sie relativ war.
 

„Wir haben ihn wieder“, entwich es dem Sanitäter, der erleichtert aufatmete und sich daran machte, Matt zu intubieren. Fast hätte er sich weggedreht, denn es sah so aus als wäre Matt nur einer dieser Übungskörper und das war falsch. „Ich muss mit.“ Seine Stimme versagte fast, doch er fühlte wie die Person, die ihn festhielt nickte. „Wir fahren hinterher.“, „Nein ich muss …“, „Ja, ja das verstehen wir, aber die Ärzte müssen ihre Arbeit erledigen.“ Das klang logisch und einleuchtend. Matt wurde stabilisiert und auf die Trage gelegt, kaum das seine Werte noch einmal überprüft worden waren. Man schob ihn in den Krankenwagen und als die Türen geschlossen wurden, wachte Fergus aus seiner Starre auf. Kollegen, er wusste nicht einmal wer genau, schoben ihn in den nächsten Streifenwagen.
 

„Sie bringen ihn ins Liberton General Hospital“, wurde er informiert und nahm es nickend zur Kenntnis. Gillean. Er brauchte Gillean an seiner Seite. Fergus griff in seine Hosentasche und zog sein Smartphone heraus, während ein Kollege mit Blaulicht dem Krankenwagen hinterher jagte. Es dauerte nicht lange, da nahm sein Gatte auch schon ab. „Sag nicht, es dauert länger!“, mahnte ihn dieser lachend und im Hintergrund hörte er Gemma lachen und ein kurzes Rangeln zwischen den beiden. Das Lächeln erstarb noch auf seinen Lippen, sonst hätte er gerne Spaß gemacht. „Fergus?“ Er hatte geschwiegen und damit Gillean fast schon alarmiert. „Ich bin auf dem Weg ins Liberton General.“ Da war noch mehr was er sagen wollte, aber er musste eine kurze Pause machen. „Bist du verletzt?“, war die sofortige Gegenfrage. „Nein. Es ist Matt.“ Gerade jetzt sah er auf seine blutige Hand. Matts getrocknetes Blut. „Fergus ich bin auf dem Weg.“ Das hatte er hören wollen, nur diesen einen Satz.

Let us burn

You live your life. You go day by day like nothing can go wrong

Those colors are made, they're changing the game

You learn to play it hard
 

And I know you wish for more, and I know you try.

And I hope you realize, you know the time is right
 

The whole world is watching when you rise

The whole world is beating free right now

Your whole life is flashing for your eyes

It's all in this moment that changes all
 

What are you waiting for?

What are you fighting for?

'Cause time's always slipping away.
 

Whole world is watching – Within Temptation
 

~*~*~*~*~*~*~*
 

6. Let us burn
 

Schmerz durchzuckte ihren Körper. Es war vertraut irgendwie ungewohnt. Ein Keuchen wollte ihr schon entweichen, doch sie presste schnell eine Hand auf ihren Mund. Als der erste Schub vorbei war, stand sie eilig auf, so leise wie möglich, und ging ein paar Schritte, ehe sie sich vom Boden abstieß und ihre breiten Schwingen öffnete. Binnen Sekunden war sie mehrere hundert Meter weit von ihrem Lagerplatz entfernt. Gerade noch so hatte sie halbwegs landen können, ehe sich ihre Finger zusammen zogen und sich so fest verkrampften das die Knöchel weiß heraus standen. Sie wirkten seltsam verkrümmt, doch Jeanne hatte keine Zeit sich darum zu sorgen. Das brennende Gefühl jagte ihre Arme hoch, die einknickten, gefolgt von ihrem restlichen Körper. Als hätte man sie auf die kleinstmögliche Fläche zusammen gefaltet. Alle Muskeln zogen sich an und hielten die Position. Am Ende war es ihr nicht einmal möglich zu schreien oder ihre Lippen zu bewegen. Stattdessen hüllte eine warme Präsenz ihren Verstand ein und Sekunden später wurde sie vom Strudel der Zeit erfasst. Visionen jagten an ihr vorbei, doch sie passte nicht auf. Es war wie eine Werbesendung. Man hörte Worte, aber verstand sie nicht, weil man sich nicht dafür interessierte. Aber auch weil Iriath die Hand darüber hatte. Sie zog die Zukunft an und das willentlich, sodass Jeanne nicht hinein gezwungen wurde.
 

Als sie die Augen wieder aufschlug fühlte sie sich erschöpft. Etwas, das ihr schon viel zu bekannt war. Schon jetzt wusste sie, dass es nur wenige Minuten anhalten würde, dann war alles wie vorher. Das machte es so einfach, diese Situation zu ignorieren, aber eigentlich sollte sie das nicht tun. Für sie war die Zeit nicht mehr relativ, sondern eine Konstante. Jeden Moment erlebte sie so bewusst, wie kein anderer Mensch. Jeanne war nicht wirklich müde, auch nicht kraftlos, nein, sie strotzte nur so vor Energie. Es war ihr Geist der langsam müde wurde. Gemächlich stand sie wieder auf und klopfte sich den Staub von der Jeans und ihrem Top. Etwas anderes konnte sie mit den Schwingen auch nicht mehr tragen und es störte sie auch nicht mehr. Kälte war nur noch eine Erinnerung. Sie fröstelte nicht einmal mehr oder bekam eine Gänsehaut bei einer kühlen Brise. Selbst wenn sie ihre Hand ins Feuer hielt, dann geschah rein gar nichts. Sie verbrannte nicht – es war nicht einmal warm! Natürlich spürte sie die Wärme der Sonne, aber nicht einmal der Stern könnte sie verbrennen. Iriaths Gnade brannte so viel heißer. Der Wind frischte etwas auf und sie öffnete ihre Flügel, weit genug damit ihre weiß-gold gesprenkelten Federn raschelten, aber nicht um zu fliegen.
 

Die Heilige stand auf einer Anhöhe und hatte so die ganze Umgebung im Blick. Nur ein Schritt vor ihr lag der Abgrund von mehreren Metern, doch mit Flügeln am Rücken verlor man jede Angst vor dem Abgrund. Selbst ohne sie würde sie der Sturz nicht mehr töten. Dafür brauchte es schon Silber oder einen Engelsdolch, beides waren Raritäten geworden. Die Hölle war entfesselt worden und mit ihr hatte sich das Antlitz der Erde verändert. Das hier war mal ein Vorort von Rom gewesen, doch mit der Verschiebung der Erdmassen, den veränderten Klimaverhältnissen und den Dämonen als neue Mitbewohner im dritten Königreich erinnerte nichts mehr an die Stadt. Faktisch lag alles in Schutt und Asche. Es gab nur noch Ruinen und die Menschen, die noch lebten, trauten sich kaum aus ihren Verstecken. Diejenigen, die noch nicht tot waren, würden es bald sein. Hunger, Verletzungen, Krankheit waren das kleinste Übel, aber ebenso tödlich wie Dämonen. Ihr Blick wanderte durch das künstliche Tal vor ihr, dort wo ihre Augen versagten, setzten gezielte Visionen ein. Sie überlagerten sich einfach, ohne dass sie in Konflikt kamen. Alles war so einfach und ergab Sinn, wo es eigentlich keinen gab. Zwei kleinere Dämonen durchsuchten ein Haus nach etwas Essbarem oder nach Menschen. Jeanne versuchte nicht zu viel über sie nachzudenken, sondern starrte nur auf die blanke Hauswand. Außer dem Erdgeschoss stand nichts mehr.
 

Sie konnte das Ungeziefer nicht sehen, aber sie fühlte es. Iriath fühlte es. Luzifers rechte Hand war so präsent, wie eine Person, die neben ihr stand, doch sie schwieg. Die Heilige musste keine Gedanken lesen oder Iriath an-stupsen. Sie beide wussten, die Dämonen mussten sterben, damit sie dem Halbengel und dem Menschen nichts antaten, die sie eigentlich begleitete. Das dort waren keine Gegner. Noch vor einigen Wochen wären sie das gewesen, bevor Luzifer aufgestiegen war, bevor Iriath die Möglichkeit erhalten hatte, ihm zu folgen. Doch sie war an Jeanne gebunden bis sie stark genug war. Jetzt, wo sie praktisch immer einer Meinung waren und in aktiver Symbiose lebten, hatte sie kaum mehr ein Problem damit, wäre da nicht diese eine Kleinigkeit.
 

Mit einem eleganten Sprung stieß sie sich ab und spannte ihre Flügel auf. Es würde ihr sicherlich gut tun, etwas Macht zu verbrauchen, schon jetzt fühlte sie sich, als würde sie von innen heraus gegrillt werden. Sekunden später schoss sie im Sturzflug auf das Gebäude zu, brach durch die Decke des Erdgeschosses und setzte einen Ring aus Licht frei. Die Dämonen verbrannten noch ehe sie schreien konnten. Glühende Aschefunken flogen durch die Luft während der Staub sich langsam wieder legte. Ihr Kopf sagte, dass sämtliche Knochen gebrochen sein müssten, dass ihre Füße vom Aufprall schmerzen sollten, aber da war rein gar nichts. Absolut kein Gefühl für so etwas zu haben war unheimlich. Als hätte man einen leeren Körper der einem nicht gehörte. Es war nicht sofort geschehen, sondern hatte sich nur allmählich gezeigt – die Unverwundbarkeit. Wie eine Krankheit hatte sie sich angeschlichen und jedes Gespür geraubt. Es machte Sinn, warum Engel manchmal so kalt erschienen. Wie sollte man Mitleid empfinden, wenn man Schmerz gar nicht kannte? „Jeanne“, seufzte Iriath traurig und versuchte die Heilige aus dem Gedankenkreislauf zu holen. „Ja schon gut.“
 

Die Flammen die in ihrem Inneren loderten lenkten sie eh ab. Menschen verbrannten durch die Gnade der Engel, ein Schicksal, das sie auch teilen würde, sobald die Cherubim stark genug war. Fast hätte sie geweint. Der Tod selbst machte ihr keine Angst, doch sie hatte Marcels Seele freigekauft und ihre eigene dabei der Hölle gegeben. Der Pakt von damals war noch immer gültig und nicht einmal Iriaths Licht konnte das Mal aus ihrer Seele brennen, dabei glühte der helle Ring ihrer Heiligkeit in ihren Augen stärker als je zuvor. Sie würde in der Hölle landen, so sicher wie die Welt unter-gegangen war. Ein paar Tränen stahlen sich über ihre Wangen als sie hoch sah zu dem strahlenden Licht der Erzengel. Seit Wochen schwebten Luzifer und Gabriel regungslos in der Luft. Sie zogen die gequälten Seelen der Menschen an, die der Apokalypse zum Opfer gefallen waren. Warum wusste niemand und was sie damit beabsichtigten, nur dass es so war. Jetzt wo sich Luzifers Schar langsam wieder erholte tauchten auch überall Reaper auf. Ihre Geistergestalt knackte auf und es erhoben sich strahlende Engel in den Himmel. Laut Iriaths Visionen waren sie noch verwirrt, wie frisch geschlüpfte Küken, und wurden von ihren Zwillingen behütet, so-lange sie keine Führung hatten. Sie musste in die weiße Stadt, denn sie war Luzifers Stellvertreter und ihrer Schar verpflichtet. Doch sie fühlte sich auch Jeanne verpflichtet. Früher einmal hatten sie alle Seelen ins Paradies gebracht, hatten Eden behütet und den Menschen das Licht geschenkt. Ohne Reaper fiel ihnen die Aufgabe wieder zu. Welch Ironie, das sie sich aus dem Schatten erhob und Jeanne selbst hinein stürzte. Ohne sie wäre der Himmel nur ein Traum geblieben.
 

Erschöpft von ihrer eigenen Zukunft stieg Jeanne über die Trümmer des Hauses und bahnte sich einen Weg zurück zum Lager. Die Reste der Zivilisation knirschten unter ihren Füßen, bei jedem Schritt, bis sie sich schließlich vom Boden abstieß und den restlichen Weg zurück-flog. Etwas versteckt hinter den Ruinen eines Klosters befand sich ihr provisorisches Zuhause. Seit einigen Tagen waren sie hier und durchsuchten die Häuser nach Nahrung, nicht das sie überhaupt noch etwas davon benötigte. Gekonnt landete sie neben der Feuerstelle und zog sofort Judas’ Blick auf sich. Nach Michael musste sie nicht fragen, der hatte vermutlich noch einen Rausch von seinem neuen besten Freund – dem Alkohol. Und sie hatte gedacht, Luzifer wäre kaputt gewesen, das war kein Vergleich zu dem Bündel. Mit gerunzelter Stirn sah sie zu dem Erzengel, an den nichts mehr erinnerte. Er brauchte Schlaf, Essen und Wärme. Fast schon war er ein Mensch geworden, weil er einen schrecklichen Fehler begangen hatte und hier waren sie nun. Ein Verräter, ein halber Seraphim, ein halber Cherubim und eine dunkle Heilige. „Ich frage mich immer wieder warum du hier bist“, begann Jeanne und sah zu Judas, der nur schwach lächelte und mit den Schultern zuckte. „Es gibt wohl keine größere Tragödie als diese hier.“ Er deutete auf den schlafenden Michael und kaute nebenbei auf etwas Dosengemüse. Der Höflichkeit halber hielt er sie auch kurz Jeanne hin, doch sie lehnte mit einer Geste ab.
 

Die stille Frage lag in der Luft wo sie gewesen war, doch auch hier kannte Judas die Antwort. Sie hielt ihnen die Dämonen vom Leib. Zwei Jahrtausende hatte er wegen Jesus in der Hölle verbracht und hier saß er nun, erneut mit Jesus, der nie jemand anderes gewesen war als Michael selbst. War es Dummheit oder grenzenlose Loyalität? Schon aus Gewohnheit nahm die Heilige die restlichen Flaschen des gefundenen Alkohols an sich und warf diese viele, viele Meter weit weg, wo sie dann am Boden zerschellten. Dieses Teufelszeug löste keine Probleme, aber wahrlich, der Erzengel vergaß seine eigenen dabei. Dank ihrer Engelsstärke flogen sie auch einige hundert Meter weit. „Judas“, begann sie schließlich und sah der letzten Flasche Hinterher. Er würde zuhören, das wusste sie. „Ich werde bald sterben.“ Eine Tatsache und sie musste ihn irgendwann damit konfrontieren. Das Lächeln auf seinen Lippen, denn Jeanne hatte Michael ordentlich eins ausgewischt in dem sie seinen Alkoholvorrat zerstörte – mal wieder – erstarb augenblicklich. „Wie meinst du das?“, „Menschen verbrennen durch die direkte Berührung mit der Gnade von Engeln. Bisher war Iriath nicht stark genug, doch bald …“ Sie drehte sich zu ihm und lächelte ihn traurig an. „Ich hab nur so lange überlebt weil sie sich zurück-gehalten hat und weil meine Heiligkeit mich beschützt hat, doch das ist wie Wasser, das in ein Becken tropft. Irgendwann läuft es über und nichts hält es auf.“ Judas sog scharf die Luft ein, als Verräter konnte er sehr wohl sehen, dass die Frau vor ihm verdammt war, wusste er selbst was das hieß.
 

Er hätte sie getröstet, wenn er gekonnt hätte, aber es gab keine Worte, welche die Hölle erträglicher machten. Also schluckte er schwer und fragte etwas anderes: „Wann?“ Jeanne hätte es gerne verdrängt, aber das ging nun nicht mehr. „Stunden.“ Noch bevor der nächste Tag anbrach, wäre Judas alleine mit Michael. Iriath würde sich in den Himmel erheben, während Jeanne verbrannte, starb und in die Hölle einging. Sie würde Raphael nie wieder sehen, Marcel und wenn Judas sich gut anstellte, dann ihn auch nie wieder. Sie war der beste Beweis, dass es für Menschen kein Schicksal gab und nie geben würde. „Wieso hast du dann den Alkohol weg geworfen? Wir hätten noch anstoßen können?“, fragte er und deutete in die unendliche Weite dieser ruinierten Welt. „Weil ich mich nicht betrinken kann. So viel Alkohol gibt es nicht.“ Jeanne verzog das Gesicht, denn sie hätte sich gerne Mut angetrunken. „Ich hätte mich auch gerne betrunken“, seufzte Iriath theatralisch und entlockte der Heiligen ein leises Lachen. Sie musste Judas schon lange nicht mehr erklären, dass sie sehr offensichtlich auf ihren inneren Cherubim reagierte. „Hat … Iriath keine Idee? Ich meine, sie hat doch Visionen und das hier ist ein sturzbetrunkener, ehemaliger Seraphim. Er müsste doch auch … etwas wissen?“, „Michael? Das ist nicht dein Ernst. Der ist doch die Hälfte der Zeit im Schnapskoma.“ Das war noch nicht einmal gelogen.
 

Mit einem Schlag wurde Jeannes Verstand in die Ecke geschoben und Iriath übernahm die Kontrolle. Das war schon ewig nicht mehr geschehen, doch sie beschwerte sich nicht mehr wie ein kleines Kind, sondern wartete ab. Die Cherub tat für gewöhnlich nichts ohne Grund. „Das ist es Judas!“, verkündigte Iriath freudig und sprach mit einer doppelt belegten Stimme. So wusste man sofort mit wem man es zu tun hatte. Fragend zog er eine Augenbraue nach oben und wartete auf eine nähere Erklärung. „Wir müssen Michael wecken!“ Sie ging zu dem Wassereimer, den sie zum Säubern von Besteck und Bechern nutzten. Nur weil die Welt untergegangen war musste man noch lange nicht auf Hygiene verzichten. Ganz offensichtlich würde sie den Erzengel auf die unsanfte Tour wecken, doch bevor sie den Eimer über seinem Kopf ausleeren konnte, stellte sich ihr der Sterbliche in den Weg. „Darf ich?“, fragte er höflich und streckte die Hände nach dem Eimer aus. „Ähm …“, kurz zögerte Iriath, zuckte dann aber mit den Schultern und reichte ihm das Gefäß. Letztendlich war er wegen Jesus in der Hölle gelandet – einem Erzengel. Verständlich, dass er sich das das nicht entgehen lassen wollte. Keine Minute später schreckte der Erzengel prustend hoch und stand vor ihnen. Das eiskalte Wasser verdampfte bereits, durch das letzte bisschen Gnade, dass er noch besaß, aber er spürte definitiv die Kälte. Er wollte etwas sagen, doch die Cherubim kam ihm zuvor. „Ich brauche dein Schwert!“ Michael öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch er schwieg und sah sie irritiert an. Wie sein Schwert? „Das Schwert“, wiederholte sie und er zeigte darauf und zuckte mit den Schultern. „Nimm es und lass mich schlafen!“
 

„Du stinkst nach Alkohol und Penner.“, seufzte Iriath. Judas lachte leise auf und stellte den Eimer wieder zur Seite, während sie das Schwert an sich nahm. Es war nicht nur irgendein himmlisches Schwert, sondern das von Michael. Seine Essenz. Nicht einmal sein Fall hatte das geändert oder die Macht die darin wohnte. Er konnte nur nicht mehr vollständig darauf zurückgreifen. Eine kurze Dampfwolke stieg von dem Engel auf und von seinem provisorischen Bett, so als hätte man das Ganze gebügelt. Er war trocken, zumindest seine Kleidung.
 

„Was willst du damit?“, fragte Judas schließlich und musterte das Schwert etwas eindringlicher. Die Klinge war aus poliertem, himmlischem Silber. Kein Engelsdolch, doch die reine Macht des Schwertes konnte Engel auslöschen. Keine Erzengel, so viel stand fest. Aber ein Cherub würde zerstört werden, ebenso wie ein Dämonen oder ein Pakt. Heft und Paradestange waren golden, mit filigranen Verzierungen. Die Verbindung zwischen Heft und Klinge war ein großer, länglicher und rautenförmiger Rubin. Darin brannte das Feuer des Himmels, das nur bereit war alles Böse auszumerzen. „Michael ist dafür bekannt, das Böse zu besiegen. Die wahre Kraft dieses Schwertes gehört ihm und wenn wir es benutzen, dann kann es nur das Böse zerstören – alles. Das heißt du könntest niemals etwas töten oder zerstören das durch und durch gut ist. Jeanne selbst ist unberührt. Sie hat sich geopfert für die Menschen, die ihr wichtig sind, und hat stets für das Gute gekämpft. Ich will den Pakt damit zerstören. Luzifers dunkles Mal soll ausgelöscht werden, dann wird Jeanne in den Himmel kommen und mir selbst kann das Schwert auch nichts antun. Ich bin kein dunkler Schatten mehr, sondern ein Cherubim, der bereit ist, seinen Platz wieder einzunehmen.“ Verstehend nickte Judas und versuchte zu verinnerlichen, was man ihm gerade gesagt hatte. So ganz verstand er nicht, was genau das hieß, außer dass Jeanne in den Himmel kam.
 

Iriath umfasste das Heft und wiegte das Schwert in ihrer Hand. Es hatte das perfekte Gewicht, auch für Judas, den ihm hielt sie es hin. Respektvoll wich er zurück. „Bitte. Befreie uns.“ Er wollte etwas sagen, doch ihm versagte die Stimme und er schüttelte den Kopf. Das konnte sie nicht verlangen! Fast schon verzweifelt fuhr er sich durch das Gesicht. „Nein, nein ich kann dich nicht töten, Jeanne d’Arc!“ Verzweifelt sah er zu Michael, doch der schlief wieder und er war kein Deut besser. „Ich habe schon einen Freund auf dem Gewissen und es fühlte sich nicht so an wie die Vergebung aller Sünden, sondern genau so wie es war – der Tod eines Freundes. Das tue ich nicht noch einmal, das kannst du nicht verlangen!“ Mitfühlend sah Iriath ihn an und legte ihm eine Hand auf die Schulter, sodass er nicht weiter zurück weichen konnte oder weglaufen. „Einen Dolch könnte ich selbst führen, doch das ist ein Schwert. Ich bitte dich. Jeanne wird sterben und unter großen Schmerzen. Ihr Körper wird von innen heraus verbrennen. Der Tod kann nicht aufgehalten werden.“, „Ich verrate sie!“ Judas war außer sich und sie verstand es. „Du erlöst sie! Du rettest sie! Dafür landet man nicht in der Hölle. Michael hat dir ein Schicksal aufgezwungen, das dir die Hölle eingebracht hat, aber das hier ist keine Verdammnis, weder für dich, noch für mich. Würdest du das Schwert aus böser Absicht heraus führen wollen, dann würdest du verbrennen. Aber du bist kein Dämon.“
 

Er wollte etwas sagen, ihr erklären, dass er das nicht tun konnte, aber das wäre nicht fair. Jeanne hatte ihn niemals spüren lassen, wer er war und das obwohl sie es vom ersten Moment an gewusst hatte. Ebenso wie er ihre Heiligkeit gesehen hatte, verdeckt von Iriath. Sie hatten viel Zeit miteinander verbracht, zusammen gekämpft, gelacht und Michael aufgesammelt um mit ihm gemeinsam nach Gott zu suchen. „Du lässt mich allein mit ihm!“ Seine Gegenwehr war zusammen gebrochen und doch weigerte er sich ihren Tod zu akzeptieren. „Bitte“, es war Jeannes Stimme die flehte, nicht mehr die der Cherubim. „Durchstoße den Pakt. Bitte“, flüsterte sie verzweifelt. Nur Verdammte konnten so um etwas flehen. Sie drückte ihm das Schwert in die Hand, bis er sich nach ein paar Minuten ergab und es nahm. Ihre Kraft andere zu beeinflussen hatte auf ihn keine Wirkung, dafür aber die Freundschaft zu ihr. Geschlagen, wie nach einem schweren Kampf ließ er die Schultern hängen und sah zu, wie Jeanne ein paar Schritte zurückging. Sie deutete auf ihr Herz. Hier war es. Hier hatte Luzifer es eingebrannt. Es tut mir Leid, formten ihre Lippen stumm und sie hätte noch gerne mehr gesagt. Dass er Michael nicht den Kopf abreißen sollte, dafür dass er seelenruhig schlief, während er sie töten musste. Wieso übernahm das nicht der Seraphim? Er hatte ihre beiden Leben verpfuscht! Die Wut darüber würde sich noch entladen, so viel war sicher, doch jetzt tat er das, worum sie ihn gebeten hatte. Lieber jetzt, bevor er noch einmal darüber nachdachte und sich weigerte.
 

Das Schwert war leicht als er es hob und an ihrer Brust ansetzte. Judas machte einen Schritt zurück, denn er glaubte nicht, dass er einfach so Knochen durchtrennen konnte, doch das Schwert glitt ganz ohne Widerstand durch ihren Leib. „Verzeih mir“, hauchte er leise. Fast schon wäre er durch den Schwung gestolpert, doch er fing sich gerade noch, kurz bevor ihn die Lichtexplosion nach hinten schleuderte. Unsanft landete er auf dem harten Boden und hielt sich schützend eine Hand vor die Augen. Mit einem Mal war Michael auch an seiner Seite und hatte sich schützend vor ihn gestellt, denn das Licht war so heiß das er glaubte zu verbrennen. Ein heller Schein rahmte Michael ein, der ihm gerade das Leben rettete. Nur Sekunden später war das Licht verschwunden und Jeanne stand mit geschlossenen Augen an Ort und Stelle. Das Rubinschwert war wie von Zauberhand verschwunden und er musste blinzeln um es in Michaels Hand zu erkennen. Die goldenen Locken der Heiligen schwebten, ebenso wie ihre Gestalt, denn mit einem Mal gab es für sie keine Schwerkraft mehr und doch neigte sie sich im selben Moment leicht nach hinten. Die Flügel, die sie eben noch gehabt hatte waren verschwunden. Iriath war verschwunden.
 

Ihre Haut hatte einen goldenen Schimmer und es sah fast schon so aus als würde sie durchsichtig werden. Darunter tobte ein weißes Feuer. Judas musste nicht fragen, er wusste, dass es Michael gehörte. Es verzehrte den dunklen Pakt mit Luzifer, zerstörte ihn, bis nichts mehr übrig blieb als Licht, das reine Licht des Himmels. Vollkommen regungslos sah der Erzengel wie Zeit und Gravitation wieder einsetzten. Jeanne fiel nach hinten und da war diese Frau. Sie schien die Heilige zu fangen, doch ihre Hände glitten einfach durch den Körper hindurch. Als sie Konturen annahm und schließlich einen vollständigen Körper, stand vor ihnen eine Frau in einem dunkelvioletten Kleid und mit den gleichen Flügeln wie Jeanne sie gehabt hatte. In ihren Armen lag eine Seele, eine sehr alte, heilige Seele. Kein dunkler Makel war an ihr zu erkennen, stattdessen züngelten die weißen Flammen des Himmels auf ihr. Michaels Kraft war nicht verschwunden und Judas beschlich das Gefühl, dass das wohl nie mehr passieren würden.
 

Iriath verneigte sich leicht vor Michael, der einfach nur zustimmend nickte und dann auch vor ihm, einem Verräter.
 

„Wenn Eure Zeit gekommen ist, dann werde ich euch begleiten.“ Sowohl den Erzengel, als auch Judas. Sie glaubte fest daran, dass auch Michael wieder einen Weg finden würde, um sich von seinen Sünden zu befreien, so-wie Luzifer und sie selbst auch. Doch für den Moment konnte sie die beiden nicht begleiten, dafür hatte sie zu viel zu tun und sie konnte Haven fühlen. Seine Nähe. Er wartete auf sie und ihre Rückkehr. So viele taten das.
 

Dann waren sie verschwunden und zurück blieb ein unverletzter, aber lebloser Körper der Heiligen.
 

Iriath fühlte wie die Zwillingserzengel sie anzogen oder eher gesagt Jeannes Seele, doch sie konnte sich losreißen und sie an ihren Bestimmungsort bringen, den Himmel. Für gewöhnlich war nur ein bestimmter Teil für die Seelen vorher-gesehen, das Paradies, aber durch ihre gemeinsame Zeit wusste die Cherubim, dass Jeanne die meiste Zeit hier verbracht hatte, mit der Erlaubnis eines Erzengels. In der weißen Stadt herrschte ein reges Treiben, das für einen Augenblick erstarb, als sie über die Dächer der Engelshäuser schwebte. Haven tauchte neben ihr auf, als stiller Begleiter und als Begrüßung. Noch immer lag die Seele regungslos in ihren Armen, doch auch sie nahm an diesem Ort wie eine feste Gestalt an. Die Kleidung war weiß. Sicherlich würde sich Jeanne darüber beschweren und Iriath musste allein bei der Vorstellung der Beschwerde leise Lachen. Ein weißes Kleid. Fast so schlimm wie die ewige Verdammnis. Ihr Ziel waren die Gärten von Raphael. Michael hatte ihm die Verantwortung der weißen Stadt übertragen und sie konnte bis hierher fühlen, dass er unglaublich erschöpft war. So fand sie ihn auch vor. Er saß am Rand einer Terrasse und sah hinab zu den Hallen der Heilung. Ein schwerer Geruch von Kräutern und Pflanzen lag auf diesem Ort, doch allen voran war dieser leichte Zitrusgeruch und sie wusste auch warum sich der Erzengel darin einhüllte.
 

„Raphael, Herr.“, begrüßte sie ihn höflich. Allein ihre Stimme ließ ihn zusammen zucken. Wusste er doch, was dies für Jeanne hieß. Er hob seinen Kopf nicht, sondern sackte noch weiter in sich zusammen. „Ihre Seele ist erschöpft und geschwächt.“ Aber nicht einmal Engel konnten sie brechen. Ohne auf eine Erlaubnis zu warten kniete sie sich neben ihn und drückte ihm förmlich Jeannes Seele in die Hand. Entsetzt weiteten sich seine Augen und er sah ungläubig auf. „Michaels Essenz vernichtet das Böse und da nichts eine Seele zerstören kann, hat es den Pakt zerstört und Jeanne gerettet.“ Eilig schloss Raphael seine Arme um die Heilige und zog sie fest an sich. „Danke“, flüsterte er, während er befreit wurde, von so viel Angst, Trauer und Verzweiflung. Noch immer lag ein schwerer Weg vor ihm, doch er war leichter geworden, jetzt wo sie bei ihm war und damit auch für immer sicher vor all den Übeln dieses Universums. „Dankt nicht mir, dankt Michael.“ Der Hauch des Feurigen lag noch auf ihr, das konnte sogar Raphael spüren, doch er sagte nichts und nickte nur.
 

Haven wollte etwas sagen, doch Iriath legte ihm einen Finger auf die Lippen. Er sollte schweigen. Jetzt und hier gab es nichts mehr zu sagen. Stattdessen nahm sie seine Hand und schwang sich mit ihm hoch in die Luft.
 

„Du hast gelogen!“, warf er schließlich ein, als sie weit genug von Raphael weg waren. Als ihr Zwilling hatte er es natürlich sofort gewusst. Es gab keine Geheimnisse, zwischen Boten und Lichtbringer.
 

„Ich habe Hoffnung gesät und etwas Licht ins Dunkel gebracht.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel wurde in Zusammenarbeit mit Rick geschrieben. Komplett anzeigen
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Dieses Kapitel ist Floreane gewidmet. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Kapitel ist Floreane und ihrem Charakter Fergus Gilleasbuig-Crane gewidmet. Zwar wurde Matthew Walsh verletzt, doch am meisten gelitten hat ihre Figur, die schon einmal einen Partner verloren hat. Außerdem mag ich die ganze Gilleasbuig Familie sehr, deswegen ist das Kapitel auch irgendwie Vittorio gewidmet. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel gehört nur mir. XD"
Es ist Jeanne gewidmet und meinem Drang zu Drama & Happy End. Das ist es was ich mir für sie Wünsche: Erlösung. Ihr, dem Himmel, Iriath & Haven. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von: abgemeldet
2014-06-06T10:07:55+00:00 06.06.2014 12:07
...
Ich hab Tränen in den Augen, Gänsehaut auf Arm und Beinen und mein Kopf ist voll von tollen Sätzen und Zitaten aus diesem OS, dass ich gar nicht weiß wo ich beginnen soll.

Die Beschreibung von Luzifer und Gabriel in der Luft: Brillant! Gänsehaut pur! Deckt sich zu 100% mit meiner Vorstellung!!!
Die Idee Jeanne von Iriath zu trennen auch absolut klasse. Wär ich so nicht drauf gekommen. Mich wunderts nur dass Iriath das nicht früher eingefallen ist xD aber die hatte auch zuvor andere Sorgen.

Die Beschreibung der Welt ist sehr stimmungsvoll. Nicht zu viel beschrieben, nicht zu wenig. Eben genau richtig dass man sich alles super vorstellen konnte und nicht durch ellenlange Umgebungsbeschreibungen gelangweilt wird.

Ich war überrascht dass du Judas mit zitiert hast, aber ich finds auch wichtig dass man anderen Charas, die keine OCs sind, auch Sprache gibt. War das mit Rick abgesprochen? Egal, ich finds gut so, es passt und es gehört einfach rein. Zudem ist das hier ja deine Interpretation der Geschichte :)

Ein tolles Happy End übrigens! Ich stell mir Jeanne als kleine Seele vor, in Iriath´Armen, schutzlos, schwach, irgendwie noch sterblich, aber auch wieder vollkommen durch Raphael. Eine sehr schöne Vorstellung. Ich liebe es wie du die ersten zwei Seiten voll packst mit Andeutungen und Gedanken, die abrupt enden und irgendwoanders sich dann erst lichten. Michael ist ein Trinker, das wusste ich zwar schon, aber es zu lesen ist hart xD wie kann man sich nur so gehen lassen~

Ich finde gar keine Kritik. Evtl hier und da mal ein unglücklich gesetztes Wort am Ende eines Satzes. Lässt sich schwer erklären, weil es reine Geschmackssache ist wie sich Sätze aufbauen und du liest hier einen Freund von Schachtelsätzen xD
Wundervoller OS, ich liebe ihn, toppt den vorherigen noch! Ich wünsche mir es genauso in DarkSiders, auch wenn ich mit Legion jetzt versuchen werde Iriath von Jeanne zu lösen. Aber allein diese Idee mit Luzi und Gabi: Hut ab. Ich liebe es. Fühl dich mit Blumen überschüttet, ich will mehr davon lesen!
Antwort von:  Aphelios
06.06.2014 12:28
*/////*
Dankeschön! So ein tolles Review~ :3
Weil das Schwert ja so mächtig und heilig und der Burner schlechthin ist, das ist ... mhm als würdest du ne Wohnung suchen und in den Bundestag einziehen wollen. Sie hat einfach nie daran gedacht weil es so abwegig ist.

Ja, ist es. Er liest alles Beta und verbessert dann auch die Aussprache oder Wortwahl seiner Charaktere. Judas habe ich gut getroffen. Edgar nur sinngemäß, da ist er über die Wortwahl noch einmal drüber gegangen. Man hat mich Edgar auf einen Schlag aggressiv gemacht. XD Wenn die Personen mehr als einen Satz sagen, dann kläre ich das immer ab ob das so im Sinne des Erstellers ist. Mir ist eingefallen das ich das bei dir noch nie gemacht habe *schielt zu Haven* Ups .... @_@ Wenn dir was auffällt gleich schreien~

Hatte Betaleser die mir meine Schachtelsätze immer zerstört haben D: Dann habe ich es mir angewöhnt, einfach zu viel rot wenn es zurück kommt

Danke :3 Gerade überarbeite ich den zweite OS zu Coralies Gefangenschaft. Jetzt wo Hunter und Silas besetzt sind mache ich mich noch einmal ran, weil vorher hat er mir nicht gefallen. Drama Baby Drama.
Zu DS fällt mir grad gar kein Thema ein o.o
Bei Trickster ist einer fällig und noch einer in NYW.
Antwort von: abgemeldet
06.06.2014 13:34
Die anderen OS locken mich un ehrlich zu sein, nicht so wie die zu DS. Aber ich werd die zu DS dafür immer akribisch lesen *3*
Ich liebe sie einfach.

Klar. Selbst ich bin nicht auf die Idee mit dem Schwert gekommen. Wie sollte dann Iriath, die ganz nebenbei ihrem Herr bei der Rückkehr half xD manchmal sieht man eben den Wald vor lauter Bäumen nicht~
Von:  MissAnni
2014-06-05T18:50:00+00:00 05.06.2014 20:50
Der Oneshot zu Edgar und Cora ist dir, bzw. euch echt gut gelungen. Ich habe mir jetzt endlich die Zeit genommen um alles zu lesen und hoffe, dass dies auch (schon bald!) im Spiel vorkommen wird. :)
Von:  Floreane
2014-05-25T12:34:04+00:00 25.05.2014 14:34
Auch wenn wir schon darüber geskypt haben, ich liebe den OS, das muss ich auch hier nochmal schreiben!!! Vielen Dank, dass du ihn geschrieben hast. (Das gilt auch für den mit Gem und Leon, aber ich bin so ein fauler Kommischreiber... :D)
Von: abgemeldet
2014-03-12T12:57:59+00:00 12.03.2014 13:57
Woa! Also: 1. Ich hatte zwei mal eine Gänsehaut. Einmal bei der Stelle wo Haven nach Iriath' Hand greift und sie ihm quasi durch die Finger rinnt (super gut beschrieben! ) und zum anderen am Ende, als Gabriel sagt sie sei der Hüter der weißen Stadt. 2. Hammergeile Idee das Gabi bereits direkt nach Luzis Sturz die Vision hatte, dass ihr Suizit notwendig ist, um Luzifer wieder auf den rechten Pfad zu führen. Damit hast du Gabis spontanen Selbstmord logisch und emotional super begründet bekommen. Ich finds total berührend, wie du beschreibst dass die andere Hälfte der Gabrieliten hinab stürzen und dann die Zwillinge alleine sind. Eine unglaubliche berührende Szene mit sehr viel Tiefgang, die fast schon poetisch wirkt. Es ist mir eine Ehre darauf ein Luziferisches Kapitel zu verfassen. Und vielen Dank dass das Kapitel mir gewidmet ist. Das erhellt mir meinen Tag, trotz der sehr gut rüber gebrachten depressiven Stimmung!
Vergiss die FF nicht in den Zirkel zu stellen! :) damit auch noch andere deine Geschichte würdigen können.
Vielen Dank noch mal und gerne mehr davon!
Antwort von:  Aphelios
12.03.2014 14:06
Danke */////*
Direkt danach ist übertrieben. Sie war Jahrhunderte in der Schock-Starre wie alle ihrer Cherubim und ist irgendwann zu ihrer Essenz gegangen weil sie keinen Sinn mehr in allem gesehen hat. Da hat sie mehr oder weniger den Krieg mit der Höllen und den Waffenstillstand verpasst, sowie den Rat, die Reiter, die Siegel und das Schwert. Erst mit der Vision kam die Hoffnung zurück, aber sie hat das Sanktuarium als vollkommen andere Person verlassen.
Die heutige Gabriel ist nicht die ursprüngliche, aber sie hat gesehen was sie werden musste - Herr der weißen Stadt.
Antwort von: abgemeldet
12.03.2014 14:24
Ach, was sind schon ein paar tausend Jahre für einen Engel, in Geflecht der Ewigkeit xD*raus red*

Ich finde im übrigen auch den Kapitelaufbau hammer! Er ist nicht so einfach, mehr sprunghaft. Erst sitzt man in Gabriels Kopf, dann beschreibst du was passiert, bzw. Passiert ist. Und dann ist man wieder in ihrem Kopf. Dem Leser wird die innere Verwirrung und Fassungslosigkeit dadurch viel näher gebracht, als wenn alles chronologisch erzählt werden würde. Ich finds total toll und freu mich schon wenn sich Gabi und Luzi wieder sehen><♥


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