Die Taschenuhr
Die Hände des Jungen umklammerten das Diebesgut, eine silberne Taschenuhr, fest, während er sich seinen Weg durch die Menschenmenge bahnte. Man achtete nicht auf ihn, Straßenkinder, wie er es war, waren in Kirigakure keine Seltenheit und das war ihm recht. Je weniger Aufmerksamkeit er auf sich zog, desto schneller war diese Uhr verkauft und er konnte es sich erlauben, auszuruhen. Bevor das nicht geschehen war, würde er am liebsten nicht einmal stehen bleiben.
Der Junge war vielleicht gerade acht Jahre alt, aber viel zu klein, viel zu schmächtig für sein Alter. Seine Kleidung war zerrissen und der Dreck machte sie starr, seine Haut war verschmiert und mit kleinen Schrammen übersät. Ein Straßenkind, wie jedes andere auch.
Doch er hatte etwas unglaublich Wertvolles bei sich, etwas, dass ihm Nahrung für Tage verschaffen würde, sogar eine Unterkunft! Er überwand eine kleine Mauer mit einem Sprung, stolperte kurz und warf einen Blick über die Schulter. Niemand verfolgte ihn, gut. Das war gut. Sehr gut. Nur noch einige Straßen weiter, dann könnte er sie verkaufen und-
„Du hast etwas, das mir gehört.“ Der Junge zuckte zusammen, versuchte noch wegzulaufen, wurde jedoch festgehalten. „Nicht so schnell.“
Der Mann, zu dem die Stimme gehörte, war groß, schlank und unglaublich elegant. Seine teure Kleidung war dunkel. Das Gesicht verbarg er hinter einer tief in das Gesicht gezogenen Kapuze.
„Lassen Sie mich los.“ Der Junge wollte sich losreißen, fluchte und schlug nach ihm. „Ich gebe Ihnen die Uhr ja wieder. Loslassen!“
„Ich werde dich loslassen“, sagte der Mann. Der Junge seufzte erleichtert entspannte sich aber nicht, sondern wehrte sich, erstaunlich stark für ein Kind, dessen letzte warme Mahlzeit Wochen zurückliegen konnte, weiter gegen den Griff. „Aber ich habe eine Bedingung.“
Der Junge stieß einen Fluch aus, den er eigentlich noch gar nicht beherrschen sollte. „Und die wäre?“
„Du bist ein geschickter Dieb. Ich habe erst bemerkt, dass die Uhr fehlte, als du schon geflohen bist. Gratuliere.“ Er ließ ihn los und der Junge blieb stehen.
„Und was soll mir das sagen?“ Trotzig starrte er zu ihm hinauf. Das Misstrauen, das in den Jahren des Straßenlebens gewachsen war, war tief in dem Jungen verankert.
„Ich bin Mitglied einer Gilde“, auf den verständnislosen Blick des Kindes fügte er schnell „ein Zusammenschluss von Menschen mit gleichen Interessen. Du bist talentiert, wir könnten dich gebrauchen“, hinzu.
Der Junge schien einige Momente, mit einer Ernsthaftigkeit, die man nicht in seinem Alter erwartete, nachzudenken, „Was habe ich davon?“
Mit dieser Frage hatte der Mann gerechnet. „Was hast du zu verlieren?“
Die kindlichen, grünen Augen weiteten sich überrascht. Etwas, was nicht zu fassen, nicht zu beschreiben war, flackerte in ihnen auf. „Nichts.“
„Dann hast du alles zu gewinnen.“ Der Mann legte eine Hand auf seine Schulter. „Wie ist dein Name?“
Wieder dieser misstrauische Blick. Schließlich seufzte er. „Shouta Tori. Deiner?“
„Tsubasa Sutōmu.“ Er zog sie die Kapuze vom Kopf. Seidiges, schwarzes Haar, das zu einem Zopf zurück gebunden war und ein gerade geschnittenes Gesicht kamen zum Vorschein. „Komm mit.“ Er löste den Griff, bevor er langsam loslief.
Shouta Tori, der nicht lange überlegte, beschloss ihm zu folgen. „Willst du die Uhr gar nicht wieder haben?“
„Behalte sie ruhig.“ Tsubasas Stimme war warm, freundlich und väterlich. „Du wirst pünktlich sein müssen.“