When the Darkness comes...
Zitternd rollte Sasuke sich noch fester in seiner Decke ein. Die Dunkelheit belauerte ihn, hauste in den Ecken und Schatten seines Zimmers. Sie beobachtete ihn und manchmal, wenn die Müdigkeit Sasuke die Augen zuzog, dann besaß die Dunkelheit blutrote Augen, in deren Iris drei rabenschwarze Tomoe kreisten.
Panisch kämpfte Sasuke sich unter seiner Decke hervor, das hielt er einfach nicht mehr aus! Seine schweißnassen Finger tasteten nervös nach dem Schalter seiner Nachttischlampe – heftiger als nötig legte er den Schalter um. Gleißendes Licht flammte auf und flutete Sasukes Zimmer mit einem warmen Licht, das schmerzhaft in seinen Augen brannte. Knurrend hob er seine Hände vor die Augen, dabei würde er sich so viel lieber in seinem vermeintlich sicheren Zimmer umsehen. Nur langsam gewöhnte er sich an die neuen Lichtverhältnisse und Sasuke konnte sich mehr und mehr umsehen. Keuchend schaute er sich gründlich in seinem Zimmer um, dann stand er zittrig auf und lief auf und ab. Seine Finger flatterten wie die Flügel eines unsicheren Vogel vor dem ersten Flug. Sie betasteten die Wände, befühlten die kühle Tapete und strichen über den hölzernen Fußboden. Vorsichtig ging er in die Knie und griff in die Ecken seines Zimmers. Doch da war nichts, nur gähnende Leere.
Nichts. Niemand da.
„Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“
„NIEMAND!“
„Und wenn er kommt?!“
Kreidebleich richtete Sasuke sich auf, seine Beine schlackerten miteinander um die Wette.
„Dann bringt er mich um …“, murmelte er leise und schlich zurück in sein Bett.
Angst fühlt sich an wie Frieren. Glauben wir deshalb, dass bei einem Geist die Temperatur fällt? Weil wir eigentlich nur Angst haben?, denkt Sasuke, in seine Decke eingemummelt.
„Mein Geist ist echt“, flüsterte er leise.
Wieder zog er die Decke eng um sich und schließlich auch über seinen Kopf, doch das machte ihm nur noch mehr Angst. Wenn Sasuke gar nicht mehr sehen konnte was da in seinem Zimmer vor sich ging, machte ihn das nur noch mehr verrückt. Also streckte Sasuke seinen Kopf wieder unter der Bettdecke hervor und spähte in die Dunkelheit.
Finsternis wabert, sie lebt und bewegt sich. Ständig verändert sie ihre Form, Schwarz ist nicht gleich Schwarz. Mit großen Augen starrte Sasuke unentwegt immer an die gleiche Stelle seines Zimmers, dort bewegt sich ein Schatten. Mal hat er einen Kopf, dann lange Arme, dann scheint er sich auf Sasuke zu oder weg zu bewegen und die Tatsache, dass es lediglich ein Schatten ist, beruhigte ihn nicht wirklich.
Er drückte sich tiefer in seine Matratze und dachte über folgendes nach: „Schwarz ist die Bezeichnung für eine Farbempfindung, welche beim Fehlen eines Farbreizes entsteht, also wenn die Netzhaut keine oder nur teilweise Lichtwellen im sichtbaren Spektrum rezipiert. Das zugehörige Substantiv ist Schwärze. Schwarz gehört zu den unbunten Farben. Physikalisch gesehen ist „Schwarz“ keine eigene Farbe, sondern Absorption aller Spektren des Lichts und ist somit die „Abwesenheit von Farben.“
Das … ist Schwarz, oder zumindest die Definition zur Farbe Schwarz. Anfangs hatte Sasuke dieser Satz beruhigt, ein greifbares Mantra in seiner lichtleeren Welt, wenn die Sonne untergegangen war. Es konnte ihn in den Schlaf wiegen und ihm Sicherheit geben. Andere Kinder bekamen von ihren Müttern Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen, um ihre Ängste zu vertreiben. Aber Sasuke ist jetzt dreizehn Jahre alt und damit alles andere als ein Kind, zumindest in seiner Vorstellung. Außerdem hatte er keine Mutter mehr, die ihm hätte vorlesen können. Gut, er hätte Sakura fragen können, die hätte das bestimmt gern gemacht, doch schon allein die Vorstellung trieb Sasuke die Galle hoch. Da lag er doch lieber vor Angst bibbernd in seinem Bett und fürchtete sich vor der Dunkelheit, der Farbe Schwarz und dessen Gefolgsleuten, bestehend aus Schatten.
Gerädert quälte Sasuke sich aus seinem Bett, wenn die Sonne ihre Soldaten des Lichts in Form von Strahlen durch sein Zimmer jagte, dann war die Dunkelheit genauso schnell wieder vergessen wie sie gekommen war. Frustriert musterte Sasuke seine Augenringe im Badspiegel, die wurden von Tag zu Tag und von Nacht zu Nacht dunkler. Seufzend fuhr er sie mit seinem Zeigefinger nach. Egal, erst mal Schule, der Tag war ja noch lang!
Diese Nacht hatte Sasuke beschlossen, die Nachttischlampe schlicht und ergreifend anzulassen. Er hatte keine Lust mehr, alle zehn Minuten panisch nach dem Schalter zu tasten und durch sein Zimmer zu tapsen, nur um festzustellen, dass seine Fantasie ihm schon wieder einen Bären aufgebunden hatte.
Plink.
Erschrocken ließ Sasuke das Buch fallen, das er gerade gelesen hatte. Mit einem enttäuschten Klatschen landete es auf dem Boden. Die Glühbirne der Lampe war durchgebrannt und die Dunkelheit, die Sasuke gerade eben noch so erfolgreich mit einer steigenden Stromrechnung vertrieben hatte, eroberte jetzt höhnisch ihr Gebiet zurück. Sasuke verlor keine Zeit, er hechtete aus seinem Bett, rutschte fluchend auf dem Buch aus, schlug sich das Knie an seinem Schreibtisch an und landete schließlich und endlich im Bad. Dort prügelte er auf den Lichtschalter ein, bis endlich das kalte, künstliche Badlicht die Dunkelheit zurück in ihre Schranken wies.
„Ich kann doch nicht die ganze Nacht im Bad stehen! … Oder in der Badewanne schlafen“, zischte Sasuke leise.
Hadernd stand er vor seiner Badewanne, das sah unbequem aus, aber wenigstens war es hier hell. Nach 20 Minuten robbte Sasuke immer noch in seiner Wanne hin und hier – da drinnen konnte er einfach nicht schlafen! Genervt rappelte er sich auf und schlurfte erschöpft im Kreis. Was jetzt, was jetzt?! Wütend bohrte Sasuke seine schmächtige Faust in die Badfliesen. Das war so unfair, warum schlussfolgerte sein Hirn immer so irrational, sobald die Nacht hereinbrach? Genau in diesem Augenblick schlug ein Ast gegen Sasukes Fenster und ließ ihn vor Schreck zurück in die Wanne hopsen.
„Es reicht!“, schnaubte er.
Entschlossen verließ er, bewaffnet mit einer Taschenlampe, seine Wohnung. Er hatte einen Plan. Keinen besonders guten, aber immerhin einen Plan. Sasuke ertrug die nachtschwarze Dunkelheit ja schon in seinem Zimmer nur unter größter Anstrengung. Hier draußen im Freien, wo die Schatten einfach überall waren, war es kaum noch zu ertragen. Sasuke war mehr damit beschäftigt, mit seiner Taschenlampe Gassen auszuleuchten und in Mülleimer zu linsen als mit Weiterlaufen. Die Angst verfolgt zu werden, hatte sich tief in seine Seele gefressen. Die Angst, dass er hier irgendwo auf ihn lauerte, ihn beobachtete … Nervös schüttelte Sasuke seinen Kopf. Lächerlich!
Außerdem war er fast da.
Sasuke hatte es so eilig gehabt aus seinem Zimmer zu kommen, dass er völlig vergessen hatte, sich Schuhe überzuziehen. Der Kies der Straßen stach in seinen Füßen und Sasuke hoffte inständig, keiner zerbrochenen Flasche über den Weg zu laufen. Die kalte Nachtluft flüsterte ihm Bösartigkeiten zu, verstellte ihre Stimmen und ließ ihn manchmal glauben, jemanden zu hören, der gar nicht da sein konnte. Eine mondlose Nacht. Eine kohlrabenschwarze Nacht.
„Ich muss durch … durch die … die tiefste Dunkelheit gehen, um …“, murmelte Sasuke mit rauer Stimme.
Um? Um was?! Sich nicht vor Angst nass zu machen? Endlich kamen Sasukes Füße zum Stehen. Langsam hob er seine zitternde Hand und bevor er es sich anders überlegen konnte, drückte er auf den Klingelknopf.
Einmal, zweimal, dreimal … viermal.
Knarrend wurde die alte, wettergegerbte Tür aufgezogen und zwei verschlafene blaue Augen lugten nach draußen.
„Es is mittn in ner Nacht … Wers da?!“, ertönte schlaftrunken Narutos Stimme.
Seine strohblonden Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab und wäre Sasuke nicht gerade verrückt vor Angst, würde er sich vermutlich darüber lustig machen.
„Kann nicht schlafen, kann ich reinkommen?“
Ohne Narutos Antwort abzuwarten, drängte Sasuke sich hastig in sein Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Bedröppelt stand Naruto einfach nur da und rieb sich gähnend den Schlaf aus den Augen. Neid keimte in Sasuke auf. Natürlich, dieser naive Trottel hatte wahrscheinlich den gesündesten Schlaf von allen in Konoha. Ganz allmählich wurde Sasuke klar, was er da eigentlich machte. Was hatte er sich nur dabei gedacht?! War seine Furcht vor der Schwärze der Nacht etwa so groß, dass er sein Vorhaben, sich bei Naruto einzuquartieren, nicht nur in Erwägung gezogen, sondern auch in die Tat umgesetzt hatte? Anscheinend, denn hier stand er, vor dem größten Trottel Konohas, mitten in der Nacht.
„Äh … Sasuke?“
So langsam dämmerte Naruto, wer sich da gerade Zutritt zu seinem Zimmer verschafft hatte und bekam immer größere Augen. Sasuke kaute derweil unbehaglich auf seiner Unterlippe rum. Er konnte Naruto ja wohl schlecht unter die Nase reiben, dass er Angst hatte, allein in seinem Zimmer zu schlafen, weil er befürchten muss von seinem eigenen Br…
„Hey … Naruto, was … läuft so?“, stotterte Sasuke los.
“… Ich hab geschlafen … bis du gekommen bist, was willst du denn hier?” Narutos Augen schauten immer noch ziemlich verschlafen drein, fragend kratzte er sich am Kopf.
„Weiß nicht … Mein Zimmer ist … äh, da ist ein Rohr geplatzt, alles klitschnass, vor allem mein Bett, da kann ich schlecht schlafen. Also …“
Naruto ließ die Hand sinken und musterte Sasuke eingehend. „Du willst hier übernachten?“
Wortlos nickte Sasuke. Das war die dämlichste Aktion, die er je gebracht hatte. Naruto schien diese Information nur ganz langsam ins Hirn zu sickern. Schwerfällig setzte der Blondschopf sich in Bewegung und knipste das Wohnzimmerlicht an. Narutos Wohnung war genauso groß wie Sasukes und das Wohnzimmer war auch sein Schlafzimmer. Immer noch stand Naruto unsicher da, seine Hand ruhte auf dem Lichtschalter und sein Blick wanderte von Sasuke über seine gesamte Wohnung. Angespannt öffnete und schloss Sasuke seine Hände. Die Kälte schlich sich zurück in seine Glieder. Was, wenn Naruto ihn jetzt einfach nach Hause schickte? Was sollte ihn davon abhalten? Er hatte keinen Grund, Sasuke bei sich aufzunehmen.
„Und wieso ausgerechnet bei mir?“, fragte Naruto schließlich, als er scheinbar genug nachgedacht hatte.
Nervös trat Sasuke von einem Bein aufs andere. „Na ja, du bist der Einzige, von dem ich weiß, dass er … dass er alleine wohnt. Alle anderen haben doch Eltern oder so und …“
Das leuchtete Naruto wohl ein und er nickte stumm. So richtig verarbeitet hatte Naruto das Ganze immer noch nicht. Aber gut, er war ja kein Unmensch, klar konnte Sasuke hier übernachten und er wusste auch schon wo.
„Du kannst ja in der Badewanne schlafen.“
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Mit geballten Fäusten lag Sasuke schließlich da, in Narutos Badewanne, mit einer Decke und einem Kissen, die schrecklich nach dem Blondschopf rochen.
Aber gut, so hatte er es ja gewollt.
Brummend schob Naruto seinen Kopf durch die Badtür. „Sag mal, muss das Licht denn die ganze Nacht brennen?“
„JA!“, knurrte Sasuke, unter der Decke hervorlugend.
Schulterzuckend verließ Naruto das Bad und trottete zurück in sein Bett. Stück für Stück fiel die Anspannung von Sasuke, wie eine zweite, abgetragene Haut, ab. Narutos Badewanne war kein bisschen bequemer als seine eigene, aber der Gedanke, dass direkt nebenan jemand schlief, war äußerst beruhigend.
Klar, sollte er tatsächlich hier auftauchen, wäre Naruto alles andere als eine Hilfe, aber trotzdem, nicht allein zu sein war es wert. Sasukes Gedanken wanderten bald von allein in verschiedene Richtungen, bogen ein in verschlungene Pfade, gesäumt von Träumen und irgendwann, als Sasuke längst die Augen geschlossen hatte, schlief er tief und fest.
Endlich … Schlafen …
Schwarz kann so angenehm sein.