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Jack und Joe

Brothers in nowhere
von

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Jack und Joe 1

„Joe warte auf mich!“ ruft Jack und klettert seinem Bruder hinterher. Aber Joe ist schon weg, zwischen den letzten Bäumen hindurch geschlüpft und in einem der weiten Kornfelder Nebraskas verschwunden. Jack läuft ihm nach, was soll man auch machen wenn man zwölf ist und auf der einzigen Farm im Umkreis von fünfzig Meilen lebt. Jack steht am Rand des Kornfelds und der warme, staubige Wind streift durch seine ausgeblichenen, blonden Haare die sich hell vor seiner, von der Sonne honigbraunen, Haut abheben. „BUH!“ schreit Joe und springt aus dem Kornfeld vor Jack. Der zuckt nicht mal zusammen. Wenn man jeden Tag gemeinsam vor dem Funkgerät hockt um ein bisschen Schule zu bekommen gewöhnt man sich aneinander. Und außerdem. Joe mag wild sein, er kommt nach ihrem Vater, dem Mexikaner, aber er hat Jack immer mit genommen, zu allen Streifzügen durch die endlos weiten Kornfelder des Staats. Er hat Jack schon mehrere Meilen huckepack getragen als der Umgeknickt war und nicht weiter kam. Er hat Jack schon oft den letzten Schluck Wasser gegeben, auch wenn er nicht wusste wie lange es dauern würde, bis er wieder welches bekam. Joe hat Jack reiten beigebracht und ihn ausgelacht, wenn er mal wieder lieber mit einem Buch im Kornfeld lag anstatt mit ihm durch die Ähren zu folgen. Was soll man auch machen, wenn man 16 ist und im Langweiligsten Staat von 50 festsitzt

Joe nimmt Jack bei der Hand und zieht ihn mit sich ins Kornfeld „Komm schon Jacky“ schreit er. Jack stolpert hinterher, nach ein paar Schritten findet er seinen Rhythmus und die beiden fliegen durchs Kornfeld, frei wie der Wind und einsam wie der Adler am Horizont. Als ihre Hemden klatschnass geschwitzt sind, lassen sie sich einfach fallen. Plumps. Jack und Joe dösen weg, nichts ungewöhnliches in Nebraska. Als sie wach werden, ist die Sonne weg und über ihnen funkeln die Sterne. Joe springt auf, um sie herum ist nichts als Korn. „Scheiße!“ er weiß nicht, wie sie zurück kommen sollen. Jack schaut in den Himmel, sucht den Nordstern und den Großen Wagen. Er nimmt Joe bei der Hand und sagt „Komm Joey“ Denn Jack kennt sich aus. Seine schlauen Bücher haben ihm erzählt, wie man sich orientiert, auch wenn die Sonne fehlt. Dass man laut mit den Füßen rascheln muss, um die Schlangen zu verscheuchen. Denn auch wenn Joe Jack auslacht, für die Bücherwumerei. Was soll man schon tun, wenn man zwölf ist und in Nebraska lebt?

Jack und Joe 2

Der Regen fällt Jack aufs Gesicht. Jack liegt auf einem abgemähten Kornfeld mitten in Nebraska. Es regnet. Jack lässt den Regen auf sein Gesicht fallen. Jack ist 16 und Jack vermisst Joe. Joe hat sich vor zwei Jahren verpisst, kaum 18 und weg war er. Arschloch. Jack ohne Joe ist wie Clyde ohne Bonny, wie Bill ohne Kill. Jack ohne Joe ist nur ein halber Jack. Seit zwei Jahren sieht Jack Joe nur zu Weihnachten für eine Woche und an Thanksgiving. Mistkerl. Und wenn Joe da ist, dann ist er müde. „Chicago saugt dich aus, Jacky“ sagt er. Weichei. „Nebraska macht leer“ sagt Jack, aber Joe lacht ihn aus. „Nichts schlaucht so sehr wie die Großstadt, Jacky“ sagt er dann und zerwühlt Jack die Haare. Schleimbolzen. Jack macht die Augen auf. Joe hat noch nie vorgeschlagen, dass Jack ihn besuchen kommt. „Ich muss erst Fuß fassen Jacky. Das ist nicht leicht in Chicago“ – „Du bist seit fast zwei Jahren in Chicago!“ – „Zwei Jahre sind keine lange Zeit in Chicago, Jacky.“ In Nebraska schon. In Nebraska können zwei Jahre sich ziehen wie Kaugummi. Und dann fallen sie zu einem hässlichen, blassrosa Klumpen zusammen. Leben in Nebraska ist wie leben in einem blassrosa Kaugummiklumpen. Immer gleich und unglaublich zäh. Joe müsste das wissen. Heuchler. Früher hat es Jack nichts ausgemacht, dass sie keine Nachbarn haben. Früher hatte Jack Joe. Früher war Jack glücklich und sowieso alles besser. Heute ist Jack einsam wie der Adler am Horizont. Wenn Joe zuhause ist, streift er nicht mit Jack durch die Felder. Joe sagt, er braucht die Freiheit des Korns nicht mehr. Joe sagt, Chicago macht frei. Chicago. Chicago hat mir meinen Bruder genommen, denkt Jack. Chicago macht frei wie einen Goldfisch der Swimmingpool. Jack liebt Nebraska, er braucht die staubige Freiheit der Kornfelder. Aber Jack liebt auch Joe. Jack liebt seine Bonny, sein Kill vor dem Bill, Jack braucht seinen Fight um der Club zu sein, Jack braucht seinen Joe.

Jack und Joe 3

Jack läuft durch die Straßen Chicagos. Den Kragen hochgeschlagen, die Hände in den Taschen vergraben. Es ist arschkalt. Joe wollte Jack vom Flughafen abholen, aber es ist etwas dazwischen gekommen. Wie immer. „Ich kann nicht zum Weihnachtsball kommen, es ist was dazwischen gekommen, tut mir wahnsinnig leid Jacky. Zu deinem Abschluss bin ich da, versprochen“ Kein Ding, bin nur dein Bruder. So ein Mistkerl. Joe ist nicht zum Abschluss gekommen. Jack war nicht mal mehr enttäuscht, er kennt es nicht mehr anders. Jetzt geht Jack auf ein College in San Francisco und sieht Joe nicht mal mehr zu Weihnachten. Doch dieses Jahr hat er sich frei genommen und ist nach Chicago geflogen. Mit einem Seesack über der Schulter kämpft er sich jetzt durch das Gewirr der Straßen. Scheißstadt. San Franciso ist anders, dort führen alle Straßen an die Westcoast, viel einfacher. Aber Jack wird Joe finden. Er bleibt an einer Straßenecke stehen, zündet sich eine Kippe an. Ein Kerl bietet Jack Pod an, aber irgendwie hat Jack keinen Bock drauf. Shit. Jack geht weiter, er friert. Sein Handy klingelt, „Where is my mind“ klingt durch die leere Straßenschlucht. Irgendwie Ganzschön geil. Jack sieht zu den Sternen hoch, er hatte schon immer eine Schwäche für die Sterne, aber über den Kornfeldern Nebraskas hat er sie besser gesehen. Plötzlich geht ein Fenster ein paar Häuser weiter auf, Jacks Handy verstummt. „Jack, komm hoch hier!“ schreit Joe.

Jack würde gern rennen, so sehr hat Joe ihm gefehlt. Aber er verkneift es sich, er ist jetzt cooler College-Student, die rennen nicht zu ihrem großen Bruder. Trotzdem, tief in ihm Drinnen rastet etwas ein. Joes Haus hat keinen Fahrstuhl, Jack muss die Treppen hoch steigen. Als er vor Joes Tür steht, zögert er zu klingeln. Der Moment dehnt sich wie Kaugummi und Jack kann ihn voll auskosten, das süße, klebrige Gefühl nicht mehr allein zu sein. Bruderliebe. Dann wird die Tür aufgerissen und da steht Joe. Die Haare zurück gegeelt, in Hemd und Jeans. Und auf der anderen Seite Jack. In Lederjacke, mit dem Seesack über der Schulter, die langen Haare hängen ihm ins Gesicht. Joe zieht Jack in die Wohnung, sie sehen sich an. Dann hält Jack es nicht mehr aus, er schließt seinen Bruder in die Arme. Eine kitschige Szene, es fehlt nur die Hintergrundmusik. Aber Jack ist wieder komplett. Der Fight Club steht wieder, Bonny und Clide sind zurück und Kill Bill kann weiter gehen. Jack hat seinen Joe zurück.

Jack und Joe 4

Der Pickup hustet wie ein Kettenraucher als Jack ihn zum stehen bringt. Es ist eine staubige Raststädte, mitten im Nirgendwo hinter Salt Lake City. Noch 700 km liegen zwischen Jack und der Farm seiner Eltern, mitten in Nebraska, dort wo die Kornfelder nie verschwinden. Es ist heiß in der Kabine des Pickups. Eine fahrende Sauna, aber Jack liebt den Wagen. Er ist mit ihm nach dem College die Route 66 bis zu Joe nach Chicago gefahren und dann weiter nach Kanada, dann an der kanadischen Grenze entlang zurück nach San Francisco. Joe. Joe hängt immer noch in Chicago fest und macht, was immer für ihn so wichtig ist, in der großen Stadt, dem Goldfischglas. Jack kurbelt das Beifahrerfenster runter und steigt aus dem Pickup. Der Pickup heißt Tyler, so hat Jack ihn irgendwann mal genannt. Die drückende Hitze des Tages ist einem kühlen Abend gewichen, der eine kalte Nacht androht. Eigentlich wollte Jack im Pickup schlafen, aber vielleicht sollte er sich lieber ein Motel suchen. Aus seiner Hosentasche zieht Jack eine Kippe und ein Feuerzeug, fluchend stellt er fest, dass es die letzte Zigarette in der Schachtel war. Jetzt führt wohl nichts mehr vorbei an einem Gang in den Laden. Jack lehnt sich an den Pickup und lässt seinen Blick über den Parkplatz wandern, der ist fast leer bis auf ein paar Trucks. Die Rauchringe der Zigarette steigen in den blanken Himmel auf. Den Himmel hat Jack gemocht, damals, als er noch in Nebraska gelebt hat und mit Joe über die Felder gerannt ist. Ach Joey, was hat die Tretmühle nur aus dir gemacht? Jack denkt an den Joe, mit dem er damals übers Feld und durch den Wald gerannt ist. Groß, in seinen Augen Bärenstark und sowieso der Held des Wilden Westens. Was viele Kinder nur aus alten Filmen kannten, das schienen Jack und Joe damals zu leben. Damals. Der Joe, den Jack vor ein paar Jahren auf seinem Roadtrip besucht hat, der rannte nicht mehr durch den Wald, der war kein Westernheld mehr. Das war ein Bürohengst wie er im Buche steht, der nichts kennt als Arbeit, kein Leben, keine Familie, immer nur die Tasten bearbeiten. Joe schien immer gewusst zu haben, was er wollte – raus aus der Einsamkeit der Kornfelder. Als Jack den Typen, der entfernt wie sein Bruder aussah, gefragt hat, ob er jetzt nicht mehr einsam sei, ob er jetzt sei, was er sein wollte, damals als Kind – da hat dieser Joe-Schatten ja gesagt. Aber Jack kann sich nicht vorstellen, dass Joe schon immer ein Hamster im Rad sein wollte, einer von Milliarden im Labor. Wer will das schon? Ein einsamer Windstoß pustet Jack die Asche seiner Kippe aufs T-Shirt. „Oh Fuck“ Jack klopft sich die Asche von dem T-Shirt einer Band, deren Musik er nicht mal mochte. Aber sie mochten ihn, wie er war, was er machte.

Jack stößt sich vom Pickup ab und läuft die hundert Meter über den Parkplatz zu dem Shop, in dem es hoffentlich nicht nur Kippen sondern auch Schokoriegel und Bier für den Abend geben wird. Hinter Jack fährt ein Auto auf den Parkplatz, aber Jack schaut in die andere Richtung. Noch 700 km bis zu dem Ort, der Mal zuhause war. Der Typ an der Kasse schaut nicht mal hoch, als Jack den Verkaufsraum betritt. Schäbig, aber passend zur Umgebung. Jack schmeißt ein paar Schokoriegel in den Korb, dazu ein paar Dosen Rockstar. Bis zum Motel will Jack ja noch kommen.

Jack sieht sich nach dem Bier um. Als er die Dosen im Regal sieht, schüttelt er sich – nichts Trinkbares hier, mitten im nichts. Nur da ganz hinten im Regal, eine Dose Duff. Jack muss Grinsen. Die Simpsons waren Jacks und Joes Ritual auf der Farm, jeden Abend – ihre Eltern haben es gehasst, aber Jack und Joe haben es geliebt, genau wie das Duff Bier, das sie heimlich in der Scheune getrunken haben, weil es sich so cool anfühlte. Jack greift nach dem Duff, genau wie eine zweite Hand. Jack hat den Typen nicht kommen hören, doch jetzt schaut er auf. Mitten in dem Raststädtenshop, irgendwo hinter Salt Lake City, steht Joe und hält die letzte Dose Duff im Regal fest.



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