Sasori
Dieser Körper fühlt keinen Schmerz.
Nicht mehr.
Wenn man eine Kerze inmitten eines Raumes aufstellte, welcher in völliger Dunkelheit lag, versuchte ihre schwache Flamme zwar einen Teil der Dunkelheit zu verdrängen, aber letzten Endes war sie einfach zu schwach. Das Licht einer einzelnen Kerze würde die Dunkelheit nie komplett aus jeder Ecke des Raumes vertreiben. Die Dunkelheit war etwas Vollkommenes. Irgendwann würde die Kerze erlöschen und der Raum wäre wieder angefüllt mit der erdrückenden Schwärze, welche sich bis in die kleinsten Nischen und Ecken vorzudrängen versuchte.
Es war so leicht gewesen sich in der Dunkelheit zu verlieren. Aber es war noch leichter sich mit ihr abzufinden und in ihr zu leben. Damals hatte er hin und wieder versucht den Raum durch eine Kerze zu erleuchten, aber nie hatte das Wachs ausgereicht bis der Tag anbrechen, die Sonne aufgehen, konnte, um den Raum mit Licht zu fluten. Immer wieder war sie ausgegangen. Ausgegangen, bis er aufgehört hatte Kerzen anzuzünden. In all seinen Jahren als Mensch, als Künstler, als Meisterwerk, hatte er gelernt sich in der Dunkelheit zurecht zu finden und mit jedem weiteren Tag wurde es schwerer sich an eine Welt ohne vollkommene Dunkelheit zu erinnern. Und jetzt, nach einem einsamen Leben im Dunkeln dieser Welt, war sein Ende gekommen. Das Ende von Akasuna no Sasori.
In den 35 Jahren in denen inzwischen lebte, hatte er 298 ewige Schönheiten geschaffen. Sie waren perfekt. Sie würden für immer erhalten bleiben, nie altern. Denn wahre Kunst war ewig, immerwährend. Jede von ihnen war einzigartig. Einzigartig und mit einer Hingabe gefertigt, mit der es nur ein wahrer Meister seines Handwerks konnte wie er einer war. Und dennoch hatte er es nicht geschafft sich selbst komplett in eine seiner ewigen Schönheiten zu verwandeln. Dieser Makel nagte an ihm. Er war nicht vollständig. Wie ein Kunstwerk, an dem der Künstler die Lust verloren hatte und welches jetzt unbeachtet, unvollendet, in der Ecke verstaubte. Es war jedoch nicht so, als hätte Sasori die Lust an seinem Kunstwerk verloren. Er war einfach nicht dazu in der Lage die letzten finalen Pinselstrichen zu machen. Und jetzt war dieser Makel, dieses Unvollendet sein, Schuld an seinem Ende.
Sasori konnte sich denken, dass diese blonde Kunstbanause erfreut über die Neuigkeiten seines Ablebens sein würde. Nicht, weil er schlichtweg so verkorkst war sich über den Tod seines Teamkollegen zu freuen, sondern einfach weil es bewies, dass Sasori mit seiner Weltsicht nicht richtig lag. Nichts war immerwährend. Nicht einmal Sasori. Eine Blume blühte schließlich auch nicht ewig. Irgendwann verwelkte sie einfach. Aber auch wenn Sasori selbst nicht mehr lebte sein Körper würde die Ewigkeit überstehen. Er würde es nur nicht miterleben.
Dieser Körper fühlt keine Trauer.
Nicht mehr.
Trauer war etwas, dass der Puppenspieler schon vor langer Zeit abgelegt hatte. Irgendwo zwischen dem fehlgeschlagenen Versuch seiner Großmutter ihm ein Elternersatz zu sein und seinem unerwarteten Abbruch aus Sunagakure. Damals erkannte Sasori, dass Trauer ein weiteres überflüssig Gefühl war und vergrub es mit den anderen hinter seiner ausdruckslosen Maske. Ihm war klar, dass all die Gefühle, all sie Eindrücke, nur darauf lauerten auszubrechen und seine stoische Teilnahmslosigkeit zu überrumpeln. Aber er bot ihnen erst gar nicht die Chance dazu. So wie ein Karateka nach jahrelangem Training dazu in der Lage war sogar Ziegelsteine zu zerschlagen, so war er in der Lage dieses Wirrwarr aus angestauter Trauer und Wut zu bändigen.
Dieser Körper fühlt keine Einsamkeit.
Nicht mehr.
Sasori war damals schon nach kurzer Zeit zu der Erkenntnis gekommen, dass es sich allein einfacher lebte. Man war Erlebnissen, die Trauer, Wut oder ähnliches auslösten einfach nicht mehr so penetrant ausgesetzt. Zumal ein Künstler kreativer, produktiver, war, wenn er in der Einsamkeit lebte. Nun gut, er selbst würde nie behaupten er wäre einsam gewesen. Zur Einsamkeit fehlte ihm einfach die Sehnsucht nach anderen Menschen. Nach zwischenmenschlichem Kontakt. Sasori war allein und er war zufrieden damit. Jemand mit einem kritischen Auge was Details betraf würde so oder so sagen, er wäre nie allein gewesen. Immer war er umgeben von seinen Puppen, seinen Meisterwerken. Sie waren dem Marionettenspieler immer lieber gewesen als irgendein Mensch. Menschen konnten verlassen, enttäuschen und verletzen. Die Marionetten waren auf ewig seine treuen Gefährten. Er hatte sie geschaffen und die gehorchten ihm, besser als ein Hund seinem Besitzer. Sie taten auf ewig das, was er ihnen befahl. Sie hatten hunderttausend Menschen für ihn getötet und ihm geholfen seiner Sammlung immer neue Meisterstücke hinzufügen zu können.
Dieser Körper fühlt keine Zuneigung.
Nicht mehr.
Sasori konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, wann er damals den Entschluss gefasst hatte seinen Körper zu einem seiner Meisterwerke zu machen. Es war wohl kurz nachdem er sein altes zuhause verlassen hatte. Es war ein langer und anstrengender Weg bis dorthin, aber letzten Endes musste er zugeben, dass er selbst eine der herausragendsten Marionetten seines Schaffens war. All die kleinen Einzelheiten. All die Details. Er hatte sie viel Mühe gegeben.
Eigentlich schade, dass er nicht die Möglichkeit haben würde, seiner außergewöhnlichen Sammlung wie geplant zwei weitere Meisterstücke hinzuzufügen. Sie hätten so gut in die Reihen der anderen gepasst. Sie wären mit Sicherheit großartig geworden.
Zuerst weide ich dich aus...
dann häute ich dich, lass dein Blut ab...
präparier deinen Körper...
Nur schemenhaft war der Puppenspieler zu erkennen, als er sich über eine seiner Marionetten beugte. Die kleine Flamme der Öllampe flackerte, ausgelöst durch den Luftzug von dem man nicht sagen konnte aus welcher Richtung er gekommen war. Eigentlich hätte der Marionettenspieler kein Licht gebraucht, er kannte die Handgriffe in und auswendig. Aufrüsten, reparieren, erweitern, neue Meisterwerke erschaffen. Die einzige Tätigkeit die er mit voller Hingabe verrichtete. Fast schon liebevoll strich er das Haar seiner neuen Errungenschaft beiseite. In sanften Wellen umrahmten die braunen Haare ihr Gesicht. Sie war eine schöne Frau gewesen, wenn auch nicht auf die Weise auf die Frauen heutzutage als schön galten. Ihre Augen standen zu weit auseinander und ihre Nase hatte nicht die perfekte Form. Aber die Art wie ihre Wangen trotz dem Funken Angst erröteten, als ihr ein wildfremder Mann ein Kompliment machte, die Art wie das Grün ihrer Augen zum Vorschein kam, als sie sich vor Schreck weiteten, die Art wie sie einer Katze gleich den Angriffen den Puppenspielers auswich, um ihnen letztendlich doch zu erliegen, machte sie zu einer schönen Frau. Jetzt starrten ihre Augen, das Grün auf ewig festgehalten, die kahle Zimmerdecke an. Sie würde gut in seine Armee aus Marionetten passen, sich perfekt einfügen mit allen ihren neuen Eigenschaften. Und mit ihrer immerwährenden Schönheit.
„Sasori no Danna!“
Die Stimme des blonden Neulings hallte an den Wänden wider, als besagter sich an den Puppen vorbei in die Mitte des Raumes drängte. Zu temperamentvoll, zu laut, zu ungeduldig, zu ungestüm. Kein Gespür für Kunst. Die Gesellschaft dieses Kunstbanausen war eines der letzten Dinge die Sasori gesucht hätte. Wenn ihm einmal der Sinn nach Gesellschaft stand, suchte er sich lieber eine weniger anstrengende Alternative. Ohne den Blonden auch nur eines Blickes zu würdigen, widmete er sich wieder seiner Marionette.
„Sasori no Danna, ignoriert mich nicht, hm!“
Es war schwer den Blonden zu ignorieren, wenn dieser sich immer und immer wieder in den Mittelpunkt des Geschehens drängte. Ein Schrei nach Aufmerksamkeit, genau wie seine vermeintlich Kunst.
Mit einem letzten Blick auf seine neue Errungenschaft, erhob sich der Künstler von seinem Stuhl. Wäre sein Körper nicht auf besondere Weise einzigartig, wäre es dem Marionettenkünstler wohl nicht vergönnt stundenlang in der selben Position auszuharren, sein Werk betrachtend, die letzten Feinheiten korrigierend. Mit langsamen Schritten kam der Puppenspieler auf den Blonden zu, blieb kurz vor ihm stehen. Interessiert musterte Sasori den Jüngeren, auch wenn man es ihm nicht ansah. Der monotone, kalte Blick seiner Augen war immer der gleiche, seit Jahren schon. Und sollte man eine Gefühlsregung in dem Gesicht des Rothaarigen wahrnehmen, hatte man sich vermutlich schlichtweg getäuscht. Mit seinen hölzernen Fingern packte er das Kinn des Blonden. Sein Griff war schroff und fordernd, hinterließ vermutlich rote Abdrücke an den Stellen auf denen seine Fingerspitzen lagen. Sasori drehte den Kopf des Anderen nach links, rechts, hob ihn an und betrachtete ihn mit einer Gelassenheit in der manch andere Schlachtvieh auswählten. Früher hätte er vielleicht gedacht, dass sich die Haut des Blonden warm anfühlte, lebendig. Er hätte den schneller werdenden Puls gespürt, bei dem sich das Herz des Blondschopf beinahe überschlug. Er hätte vermutlich gemerkt, wie sich der zarte Geruch des Blonden mit einem salzigen Unterton aus Schweiß mischte. Aber Sasori fühlte nichts mehr. Gar nichts.
„Du würdest dich großartig in meiner Sammlung machen“, entgegnete der Puppenspieler knapp, ließ einen Blick kurz um sich schweifen und beäugte die Puppen von denen diese eigenartige Szene eingerahmt wurde. Auch Deidara folgte dem Blick des Rothaarigen, wenn auch bei dem Blonden kein Ausdruck der Bewunderung in den Augen lag. Aus ihnen sprach Verwirrung, Wut und auch ein Funken Angst.
„Was soll das? Lasst das, hm!“
Deidara versuchte sich aus dem Griff des Älteren zu winden, vergeblich.
„Ich könnte dich mit etlichen Waffen versehen, du wärst perfekt. So wie meine anderen Meisterstücke.“
Die Augen des Blonden weiteten sich. Die Angst, der Schreck, die Wut war deutlich in dessen Blick zu erkennen. So viele Emotionen in einem einzigen Blick. Kein Wunder, dass Deidara immer so gedankenlos handelte.
„Vielleicht würdest du dann verstehen was wahre Kunst heißt. Als Teil meiner immerwährenden Schönheiten.“
Mit einem Ruck entriss der blonde „Künstler“ sich dem Griff seines Dannas und verließ den Raum so schnell wie er gekommen war. Sasori widmete sich wieder seiner Marionette, strich ihr erneut das Haar aus dem Gesicht und betrachtete sein Werk. Perfekt.
Auch nachdem Deidara nicht länger zu sehen oder zu hören war, schwangen die Marionetten, welche der Blonde bei seinem Verschwinden beiseite gestoßen hatte, noch hin und her, als hätte ein Windstoß ihnen einen Schubs verpasst. Es war schrecklich mit wie wenig Respekt er die Meisterwerke von Sasori behandelte. Wenn Deidara so weitermachte würde der Blonde wohl doch noch ein Teil seiner Marionettensammlung werden.
...und mach dich zu einem Stück meiner Marionettensammlung.
Als sich die Klingen von Vater und Mutter durch den einzigen Schandfleck in seiner Brust bohrten, fühlte er keinen Schmerz, keine Trauer, keine Einsamkeit. Denn sein Körper fühlte schon lange nichts mehr.
Sasori hätte nie gedacht, dass er so sterben würde, dass e überhaupt sterben würde. Sie hatten seinen Makel entdeckt und ihn genutzt. Im Nachhinein musste er nur feststellen, wie Unvollständig er war und es immer sein würde. Wie das Bild des Künstlers. Denn wenn er es einmal beiseite gelegt hatte, würde er nie wieder die Arbeit daran fortsetzen.
Ein Makel, sein letzter Teil Menschlichkeit.
„Dieser Teil bist Du...!
Darin steckt dein Wesen..!“
Es war eigentlich ein schöner Gedanke in der Umarmung von Vater und Mutter zu sterben. Diese Erinnerung war das letzte was er sich von damals bewahrt hatte. Das letzte an der Marionettenspieler eine Welle von Gefühlen knüpfte.
Sein Wesen? Sein wahres Ich? Das gab des inzwischen schon lange nicht mehr. Das hatte der Marionettenkünstler zusammen mit seiner menschlichen Hülle abgelegt.
Dieser Körper fühlt nichts mehr.
Nie mehr.