Honig
»Taeminnie! Sag etwas!«
Taemin öffnete zaghaft seinen Mund, versuchte etwas zu sagen, versuchte einen Ton von sich zu geben, nur einen einzigen! Aber lediglich ein Krächzen verließ seinen Mund. Taemin fasste sich sofort an den Hals, schmerzte es doch auch ein wenig, wenn er sprechen sollte. Innerlich fluchte Taemin, verfluchte sich selbst, auch wenn er wusste, dass er eigentlich nichts dafür konnte.
»Habt ihr schon Hustenbonbons versucht? Oder irgendetwas gegen Halsschmerzen?«, fragte Key in die Runde und Taemin blickte zu dem anderen auf.
Er war gleich nach dem Konzert hierher gebracht worden, hatte er doch schon beim letzten Lied bemerkt, dass seine Stimme leicht krächzte, dass sein Hals schmerzte, wenn er singen musste. Kaum von der Bühne hatte Taemin etwas getrunken, hatte eine ganze Flasche Wasser geleert, aber seine Halsschmerzen waren nur noch schlimmer geworden. Taemin hatte einen der Staffmember bitten wollen ihm ein Halsbonbon zu bringen, aber schon da hatte seine Stimme versagt, hatte einfach den Geist aufgegeben und er hatte nur noch ein Krächzen heraus bekommen.
Nun saß er hier, im Backstagebereich auf einer Couch.
Taemin und die anderen hatten sich bereits umgezogen. Sie warteten nur noch darauf, dass alles eingepackt wurde und sie in den Tourbus steigen konnten, immerhin hatten sie schon morgen ihren nächsten Auftritt.
»Natürlich! Das war das erste, was wir ihm in den Hals gestopft haben«, antwortete Minho und verschränkte die Arme vor der Brust. Taemin schmunzelte minimal. Sie hatten ihm wirklich alles möglich in den Rachen gestopft. Jonghyun hatte sogar vorgeschlagen, ihm eine ganze Flasche von diesem ekligen Zeug zum Gurgeln zu trinken gegeben, um auf Nummer sicher zu gehen, dass es auch half. Darauf hatten sie nun doch verzichtet – zum Glück. Taemin war immer noch ein bisschen übel von den ganzen Husten- und Halsbonbons und vor allem von den Getränken, die ihm eingeflößt worden waren. Nichts hatte geholfen. Er konnte immer noch nicht wirklich sprechen.
»Wir können das Konzert nicht absagen. Es ist ausverkauft!«, warf Onew ein und sprach endlich das aus, worüber sie sich alle Gedanken machten. Sie hatten morgen ein Konzert und Taemin musste singen!
»Playback?«, warf Minho ein.
Taemin atmete tief durch. Bei einigen ihrer Songs lief Playback. Taemin hatte damit kein Problem, lief es doch eigentlich nur, wenn sie viel zu tanzen hatten, wie zum Beispiel bei Lucifer. Da war Taemin ganz glücklich darüber, dass ab und zu das Playback lief und sie nur richtig singen mussten, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren zu tanzen. Nur gab es da ein kleines Problem.
»Taemin ist zu doof für Playback!«, brachte es Jonghyun direkt auf den Punkt. Sofort schlug Key ihm leicht gegen den Hinterkopf. Jonghyun gab einen leisen Schmerzenslaut von sich, fasste sich an den Kopf und wandte sich zu dem anderen um. Key verpasste ihm nur noch einen Schlag.
»Das kann man auch netter sagen.«
Jonghyun seufzte schwer, rollte leicht mit den Augen und blickte noch einmal zu Taemin. »Taemin ist zu doof für Playback. Ist aber nicht böse gemeint.« Jonghyun wandte sich noch einmal zu Key um. »Besser so?« Key schlug Jonghyun noch einmal leicht gegen den Hinterkopf, während dieser aber nur breit grinste. Er hatte es provoziert – eindeutig, aber das war bei Jonghyun schon nicht mehr verwunderlich. Taemin betrachtete den anderen einen Moment. Er mochte es, wenn Jonghyun lächelte, wenn er so breit lächelte, als gäbe es nichts Schlechtes auf der Welt, als wäre alles perfekt. Aber irgendwie war es das auch für Jonghyun. Egal was auch passierte – Jonghyuns Laune war nicht klein zu kriegen. Taemin beneidete ihn ein wenig darum. Jonghyun schien keine Sorgen zu kennen, schien alles zu nehmen wie es kam und irgendwie konnte er das Beste aus allem machen.
»Taemin ist ungeschickt im Playback«, besserte Key ihn aus.
So klang es doch schon weitaus besser. Dennoch. Es stimmte. Taemin tat sich schwer mit dem Playback. Es war nicht so, dass er Einsätze nicht traf. Es kam zwar vor, aber nicht mehr so oft wie zu Beginn ihrer Karriere. Taemin hatte sich gebessert. Dennoch konnte man ihm ansehen, wenn er Playback sang und wann er es ehrlich meinte. Jonghyun hatte ihm den Tipp gegeben dennoch offen und laut zu singen – selbst wenn im Hintergrund das Playback lief. Ihre Mikrophone wurden sowieso auf stumm geschaltet. Da konnte Taemin herzhaft und laut singen.
Aber das war egal. Taemin wusste selbst nicht, was er besser machen konnte, aber man sah ihm dennoch an, wenn er Playback sang. Taemin arbeitete ständig daran, aber irgendwie wollte es bei ihm nicht so gut funktionieren wie bei allen anderen.
»Was machen wir dann? Hoffen, dass die Stimme morgen wieder da ist?«, fragte Onew nach.
Taemin senkte schuldbewusst den Kopf und spürte schon kurz danach, wie sich jemand neben ihn setzte. Kurz blickte er auf. Jonghyun hatte sich zu ihm gesetzt und legte den Arm um Taemins Schulter gelegt. Es war ein kleiner Aufmunterungsversuch, der irgendwie kläglich in die Hose ging. Taemin fühlte sich nicht wirklich besser. Noch einmal versuchte er zu reden, doch wieder konnte er nur krächzen.
»So wird das nichts. Ich such‘ mal unseren Manager und sag ihm Bescheid, dass wir ein Problem haben«, beschloss Onew und verließ den kleinen Raum.
»Ich werde die Noonas befragen«, Key legte überlegend den Kopf schief. »Frauen haben doch sicher irgendwelche Haushaltsmittel oder wissen, was man dagegen tun kann. Hilfst du mir, Minho? Gemeinsam sind wir schneller. Jonghyun? Kommst du auch mit?«
Minho stimmte sofort zu und beide blickten nun abwartend zu Jonghyun, der aber nur den Kopf schüttelte.
»Ich bleib hier und stehe unserem Maknae bei. Ihr seht doch, dass ihm das auch nahe geht.«
Du brauchst nicht hierbleibein! Zumindest war es das gewesen, was Taemin eigentlich hatte sagen wollen, aber es kam nur ein weiteres Krächzen aus seinem Mund. Verdammt! Er konnte sich nicht einmal irgendwie verständigen.
»Seht ihr!«, begann Jonghyun und deutete auf Taemin. »Er will auch, dass ich hier bleibe!« Taemin rollte mit den Augen und schüttelte leicht den Kopf. Typisch! Jonghyun interpretierte mal wieder alles genau so, wie er es brauchte. Taemin gab ihm einen leichten Stoß mit dem Ellbogen.
»Das hat er nicht gesagt«, erkannte Minho richtig.
»Dann bleib halt hier! Komm, Minho. Wir gehen.« Key gab resignierend auf und Taemin erkannte aus den Augenwinkeln, wie sich Jonghyuns Mundwinkel zu einem leichten Lächeln nach oben bogen. Idiot! Auch das hatte er provoziert! Minho warf ihnen noch einen leicht skeptischen Blick zu, verließ dann aber zusammen mit Key den kleinen Raum. Taemin hoffte wirklich, dass eine der Noonas eine Idee hatte und er morgen wieder singen konnte. Er wollte nicht Playback singen!
»Du kannst mich ja nicht unterhalten, also muss ich dich jetzt unterhalten«, begann Jonghyun einfach zu plappern. Taemin schmunzelte nur leicht. »Was könnte ich dir erzählen?«
Jonghyun wog den Kopf leicht hin und her und begann kurz danach schon über das Konzert zu reden, wie es ihm gefallen hatte, wie sehr er es genossen hatte und so weiter und so fort. Taemin kannte das alles schon. Jonghyun sprach nach Konzerten immer besonders viel. Er musste sich einfach mitteilen. Taemin hatte nichts dagegen. Meistens hörte er auch wirklich zu, nur dieses Mal hatte er andere Dinge im Kopf.
Der Jüngste hatte die Hände im Schoß verschränkt und blickte starr auf diese. Er musste morgen auf die Bühne! Er konnte nur nicht singen.
Aber gerade das war doch wichtig! Er musste singen. Taemin ahnte, dass es schnell unter den Fans verbreitet werden würde, sollte er morgen tatsächlich nicht singen, sollte er tatsächlich auf das Playback ausweichen müssen. Er fühlte sich schlecht und Taemin bemerkte auch genau, wie seine Hände zu zittern begangen. Er wollte nicht der Einzige sein, der nicht sang.
»Taeminnie?«
Taemin blickte zu Jonghyun, lächelte sanft und gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er nur weitersprechen sollte. Taemin wollte nicht, dass er sich allzu große Sorgen um ihn machte. Sie kümmerten sich alle so unglaublich um ihn und da konnte er ihnen doch auch ein wenig entgegen kommen – zumindest wollte Taemin das.
»Du hörst mir nicht zu!« Taemin verbeugte sich sofort leicht vor Jonghyun, um sich zu entschuldigen. Er hatte ihm wirklich nicht zugehört, aber er wollte das jetzt ändern. Noch einmal bat Taemin ihn mit einer Handbewegung fortzufahren. Aber Jonghyun sprach nicht weiter, zumindest sprach er nicht von dem Konzert.
»Das geht dir ziemlich nahe, oder?«
Taemin senkte den Blick, nickte dann aber. Natürlich ging es ihm nahe. Das hier war sein Job, seine Arbeit, damit verdiente er sein Geld. Es gefiel ihm nicht Playback singen zu müssen! Das war nicht nur unfair den anderen und den Fans gegenüber, sondern Taemin fühlte sich auch selbst betrogen. Er konnte doch singen! Er konnte gut singen und genau das wollte er auch zeigen.
»Mach dir nicht so viele Gedanken, Taemin.« Jonghyun hob die Hand und wuschelte ihm leicht durch das Haar. Taemin schmunzelte, zog seinen Kopf aber von dem anderen weg. »Sieh das alles nicht so streng. Onew kümmert sich schon darum. Er ist ein guter Leader. Wenn deine Stimme bis morgen wirklich nicht mehr da ist, dann singst du eben Playback und dann sagen wir das auch den Fans. Das müssen wir! Du und Playback. Das funktioniert nicht richtig.« Taemin gab Jonghyun einen leichten Stoß mit dem Ellbogen, obwohl er durchaus Recht hatte. Jonghyun lachte laut auf.
»Aber wie gesagt«, begann er schließlich wieder. »Wir sagen es den Fans und sie werden das Konzert dennoch genießen. Immerhin kannst du immer noch tanzen. Dafür brauchst du deine Stimme nicht! Du tanzt doch sowieso viel besser als wir alle anderen und ich bin mir sicher, dass es dir nicht schwer fallen wird, die Fans damit zu überzeugen oder so in deinen Bann zu ziehen, dass es sie nicht stört, dass du nicht singst. Du schaffst das sicher!«
Taemin lächelte sofort ein wenig sanfter und spürte, wie gut ihm diese Worte taten. Seine Hände zitterten nicht mehr und es fühlte sich tatsächlich so an, als wäre gerade eine große Last von ihm gefallen. Taemin wollte sich bedanken, wollte Jonghyun zeigen, dass er froh war, dass er geblieben war, dass er froh war, dass er ihn aufmunterte. Jonghyun konnte das unheimlich gut. Er war ihr Sonnenschein – irgendwie. Er heiterte sie alle auf – immer! Ganz egal, wie schlecht es ihm selbst ging. Deshalb wollte sich Taemin bedanken, wollte Jonghyun zeigen, dass er es schätzte, was er für ihn getan hatte.
Deshalb griff der Jüngste nach der Hand des anderen, umschloss sie mit beiden Händen, um so Jonghyuns Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Der andere gab einen fragenden Laut von sich.
Danke. Taemin formte die Worte mit den Lippen, gab sich Mühe damit, immerhin wollte er, dass Jonghyun ihn auch verstand.
»Was? Ich kann dich nicht hören.« Jonghyun grinste breit! Und wie er ihn verstanden hatte. Dennoch lächelte Taemin sanft, legte den Kopf ein wenig schief und wiederholte das Wort noch einmal, sprach langsamer und betonter.
»Was? Ich soll dich küssen?«
Taemin riss die Augen auf und boxte Jonghyun sofort fest gegen die Schulter. Der andere zuckte leicht zusammen und hielt sich eine Hand an die Schulter, kippte ein wenig zur Seite. Taemin zuckte ebenfalls zusammen und setzte sich ein wenig weiter auf. Hatte er ihm wehgetan? Das war nicht seine Absicht gewesen. Taemin blickte den anderen besorgt an, doch als er sah wie breit Jonghyun grinste, als er sich wieder richtig hinsetzte, wusste Taemin, dass Jonghyun gar keine Schmerzen hatte. Idiot! Taemin boxte ihn noch einmal und dieses Mal glaubte er ihm nicht, als er wieder einen Schmerzenslaut von sich gab und noch ein wenig theatralischer wirkte. Jonghyun lachte laut, als er sich dieses Mal wieder aufsetzte. Auch Taemin lächelte ein wenig breiter, wollte eigentlich auch lachen, aber er krächzte nur und hustete auch kurz.
»Das wollte ich nicht!«, begann Jonghyun sofort und nun war er es, der besorgt aussah.
Taemin aber winkte nur ab und schüttelte leicht den Kopf. Noch einmal sagte er »Danke«, bewegte wieder seine Lippen. Er genoss es, wenn Jonghyun ihn aufheiterte, genoss es so Lachen zu können. Taemin war froh darüber, dass er sich mit den anderen so verstand, dass sie gute Freunde waren.
»Ich soll dich küssen, das hab ich schon verstanden.«
Taemin grinste ein wenig mehr, als Jonghyun so darauf bestand, dass Taemin sich eben nicht bedankte. Gut, wenn Jonghyun dieses Spiel spielen wollte, dann sollte er nur. Taemin nickte ernst und lächelte so unschuldig, wie es ihm in diesem Moment nur möglich war. Wie weit Jonghyun wohl gehen würde?
Doch entgegen Taemins Erwarten, tat er die ganze Sache nicht ab, sondern beugte sich nach vorn, hob eine Hand, die er sanft auf Taemins Wange legte. Ehe sich der Jüngste versah, war Jonghyuns Kopf auch schon dicht vor seinem. Taemin wich nicht zurück, wollte standhaft bleiben, denn noch hatten sie sich ja nicht geküsst.
Es war nur ein kurzer Moment, ein Augenblick, in dem Taemin bemerkte, dass Jonghyun zögerte, dass er sich zurückziehen wollte, dass er sich wieder richtig hinsetzen wollte. Aber dieser Moment verging schnell und ehe Taemin sich versah, lagen die Lippen des anderen auf seinen eigenen. Taemin riss die Augen auf, hatte er damit doch überhaupt nicht gerechnet. Jonghyun küsste ihn. Die Lippen des anderen lagen auf seinen! Taemin hob seine Hände, legte sie an Jonghyuns Schultern und wollte ihn eigentlich wegdrücken, wollte ihn von sich stoßen, doch seine Hände reagierten nicht. Anstatt ihn wegzuschieben, krallte er sich fester in das Shirt des anderen, zog ihn sogar noch ein wenig näher und Taemin konnte auch nicht verhindern, dass sich seine Augen wie von selbst schlossen.
Taemin genoss. Er genoss das Kribbeln in seinem Bauch, genoss das gute und warme Gefühl, dass sich von diesem ausbreitete und durch seinen gesamten Körper strömte. Es fühlte sich so unheimlich gut an! Nach einer gefühlten Ewigkeit und dennoch viel zu früh zog Jonghyun sich zurück, legte aber seine Stirn gegen die des anderen. Taemin hielt die Augen noch einen Moment geschlossen, ehe er mit seinen Lippen wieder ein »Danke« formte. Er war Jonghyun dankbar, auch wenn er nicht erklären konnte warum, auch wenn er das nicht sein sollte, aber er war es.
»Was, du willst noch einen Kuss?«
Taemin kicherte. Er wollte es zumindest, aber er krächzte nur erneut, verschluckte sich und begann dann zu husten. Jonghyun lachte ihn aus, aber Taemin störte das nicht wirklich.
»Vergiss es«, fuhr Jonghyun fort und Taemin blickte ihn fragend an. Küsste er denn so schlecht? »Du schmeckst nach Hustenbonbons und Gurgelwasser und das ist eklig. Kannst du nicht irgendetwas gutes Essen? Wie Honig zum Beispiel? Ich mag Honig.«
Taemin lächelte, vermied es zu kichern, weil er nicht noch einmal husten wollte. Jonghyun aber lachte laut. Aus den Augenwinkeln bemerkte Taemin wie sich die Tür öffnete und sofort wandte er sich zu dieser um.
Key und Minho betraten den Raum. Key hatte ein komisches Glas in der Hand und sah sichtlich stolz aus. Anscheinend hatte eine der Noonas eine Idee gehabt, wie sie Taemin wohl möglichst schnell helfen konnten. Auch Jonghyun beugte sich neugierig nach vorn, als Key Taemin das Glas reichte, in dem bereits ein Löffel steckte.
»Eine der Noonas meinte, dass das hilft!«, berichtete Key stolz, als schien er sich wirklich sicher zu sein, dass Taemin gleich wieder richtig reden und vor allem auch singen konnte. »Los! Du isst jetzt das gesamte Glas!«
»Was ist das denn?«, fragte Jonghyun nach und Taemin ahnte, dass ihm die Antwort gefallen würde.
»Honig, wieso?«
Sofort griff Jonghyun nach dem Glas, nahm einen großen Löffel davon und hielt ihn Taemin vor die Nase.
»Iss!«
