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Vielgeprüftes Österreich

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[Vielgeprüftes Österreich]

Montag, 26. Juli 2010
 

Liebes Tagebuch,
 

es fühlt sich merkwürdig an diese Zeilen zu schreiben, obwohl ich hier mit einem leblosen Gegenstand rede.

Ich habe den Sinn hinter Tagebüchern nie ganz verstanden.

Ich muss nicht jeden einzelnen Tag in meinem Leben auf Papier bringen.

An das, was mir wichtig ist, erinnere ich mich auch ohne es niederzuschreiben.

Mein Therapeut, den ich seit geraumer Zeit aufsuche, jedoch meinte, es würde mir gut tun.

Meinte, es wäre besser, meinen Ärger niederzuschreiben, statt ihn formlos durch meine Musik auszudrücken.

Formlos!

Meine Musik!

Das hat mir bis heute auch noch niemand gesagt.

Kunstbanause.

Er sagte auch, dass mein Verhalten der letzten Jahrhunderte mehr als belastend für mich selbst gewesen sei und dass mir ein Tagebuch dabei helfen würde, mich zu ordnen und das Geschehene zu verarbeiten.

Aber will ich das überhaupt?

Mir geht es gut.

Sehr gut sogar.

Es ging mir selten besser.

Ich habe ein unbeschwertes Leben, habe Arbeit, ein Haus, genug Geld und ein sehr erfülltes Liebesleben.

Nun ja.

„Erfülltes Sexleben“ trifft es wahrscheinlich besser.

Zumindest würde das mein Therapeut sagen.

Halt, nein, würde er nicht.

Er würde es eher als das reinste Chaos bezeichnen.

Denke ich zumindest.

Ich würde es ihm zutrauen.

Er ist immerhin auch nur ein Mensch, es wird ihm nie möglich sein, die Komplexität einer Nation vollends zu verstehen.
 

Ich habe bereits zwei Ehen hinter mir.

Die erste hat sich aus einigen Ungereimtheiten ergeben und er wie ich leugnen bis heute, dass diese Bindung jemals existiert hat.

Auch meine zweite Ehe war eher ein Mittel zum Zweck, auch wenn die Umstände etwas anders waren.

Ich dachte immer, dass aus uns wirklich etwas werden würde, aus mir und Elizaveta.

Das es für immer währen würde.

Ich mochte sie, sie mochte mich.

Wir waren glücklich.

Es war alles so perfekt.

Aber wie das nun einmal so ist im Leben, nichts hält für die Ewigkeit.

Sie war einfach wunderbar, ich nur nicht gut genug für sie.

Ich konnte die Vergangenheit nicht vergessen und dafür musste ich die Konsequenzen tragen.

Es gibt viele Gründe, an denen diese Ehe zerbrochen ist.

Offiziell war es der Krieg, aber das kann man nur als die halbe Wahrheit bezeichnen.

Wie auch immer.

Aber woran auch immer es letztendlich gescheitert ist, vergessen werde ich sie nie.

Außerdem sind wir auch heute noch immer sehr gut miteinander befreundet.

Auch wenn ich manchmal das Gefühlt habe, dass es eher eine Art missbrauchende Freundschaft ist.

Es gibt Zeiten, da scheint es mir, als sähe Elizaveta nicht mich als Mensch, sondern vielmehr meinen Körper.

Nun ja.

Somit hätten sie und meine neuste „Affäre“ zumindest etwas gemeinsam.

Womit wir dann auch bei dem eigentlichen Grund für diesen Eintrag wären...
 

Neuste ist vielleicht das falsche Wort.

Gilbert und ich kennen uns immerhin schon eine ganze Weile.

Sehr lange sogar.

Zu lange.

Länger als mir lieb ist.

Man kann schon fast sagen, dass Gilbert ein Teil meines Lebens geworden ist.

Einen Zustand, den ich am liebsten hätte vermieden, wenn ich es gekonnt hätte.

Alles, was ich für diese Person je empfunden habe, ist eine tiefgründige Abneigung.

Hass.

Hass der bereits aufkommt, wenn ich nur an ihn denke.

Doch eben jener Hass vermag es, etwas in mir auszulösen; etwas, dass mir sagt: Der ist es. Den willst du, um dich, an dir... in dir.

Ihn und niemand sonst.

Dabei ist mir diese Person in jeder Art und Weise zuwider.

Allein sein Benehmen, sein Auftreten, sein Egoismus... nun, sein Aussehen vielleicht nicht.

Attraktiv ist er, das kann ich nicht bestreiten.

Aber das steht hier auch gar nicht zur Debatte.

Fest steht, das Gilbert der letzte Mensch ist, mit dem ich auf diesem Planeten allein sein möchte.

Und doch kreuzen sich unsere Wege immer wieder.

Und meist endet diese Zusammenkunft mit Sex.

Ein Teufelskreislauf.

Ich bin müde.
 

Dienstag, 27. Juli 2010
 

Liebes Tagebuch,
 

ich wende mich nun nach meiner zweiten Tasse Melange an dich.

Ich war etwas skeptisch, ob ich überhaupt etwas dazu schreiben soll, jedoch fürchte ich, dass mein Therapeut nicht sehr begeistert davon sein würde, wenn ich mein Versprechen brechen würde.

Obwohl ich nicht mal genau weiß, ob er überhaupt Einsicht in dieses Buch haben darf.

Immerhin ist das hier privat.

Aber für den Fall das er es doch tut will ich ihm wenigstens beweisen, dass ich mir die Mühe gemacht habe, diesem Versprechen gerecht zu werden.

Das es mir hilft bezweifele ich noch immer, aber was will man machen.

Wenden wir uns lieber dem eigentlichen Thema zu.
 

Die letzte Nacht glich einem wahren Höhenflug.

Doch gleich der Hindenburg hatte sie ein schmerzliches, brennendes und sehr abruptes Ende.

Gilbert meinte die minimalistische Chance, die ich ihm geboten habe, ausnutzen zu müssen und mich für den Rest der Nacht wie eine Art Spielzeug zu behandeln.

Und wüsste ich nicht, das ich selber an dieser Situation Schuld bin... nein, es sogar provoziert habe, wäre ich höchstwahrscheinlich schwer enttäuscht von mir.

Wobei ich mir hätte denken können worauf das hinausläuft, als ich gestern Abend noch zu ihm gefahren bin.

Ich wollte eigentlich nur Ludwig die Berichte vorbeibringen, die ich ihm seit einigen Wochen schuldig bin.

Doch wider erwarten war nur sein großer Bruder anwesend.

Wobei... eigentlich hatte ich ja gehofft, dass Ludwig nicht da ist.

Eigentlich waren die Berichte nur eine Ausrede gewesen, um ihn zu sehen.

Arm, nicht wahr?

Ich hatte mir dennoch nicht sonderlich viel von diesem Abend versprochen.

Als Gilbert aber die Tür öffnete und mich sah, da hatte er schon wieder dieses gewisse Grinsen auf den Lippen, dieses Grinsen, das er immer dann aufsetzte, wenn sich seine Laune schlagartig besserte.

Meist hatte dies nichts Gutes zu bedeuten.
 

Anfangs verlief der Abend ohne weitere Zwischenfälle.

Ich habe die Berichte abgegeben, eine Tasse Kaffee getrunken.

Wir haben uns ein wenig unterhalten.

Zumindest so viel, wie man sich mit Gilbert vernünftig unterhalten kann.

Ich war schon wieder am Gehen, als der Satz fiel.

„Deine Ausreden werden auch immer lahmer. Wenn du willst, dass ich dich ficke, dann hättest du es auch einfach sagen können.“

Ich hätte ihn einfach ignorieren sollen.

Ich hätte einfach gehen sollen.

Hätte.

Stattdessen habe ich mich auf die Diskussion eingelassen.

Hatte insgeheim sogar darauf gehofft, dass er mich vom Gehen abhält.

Ich kann seinen Herausforderungen einfach nicht widerstehen.

Es ist vermutlich der alte Stolz, der noch immer in mir aufflammt, sobald wir aneinander geraten.

So war es schon immer.

Er provoziert mich, ich springe darauf an.

Ich kann die Dinge, die er mir an den Kopf wirft, einfach nicht auf mir sitzen lassen.

Und das obwohl ich weiß, dass er meist im Recht ist.

Obwohl ich weiß, dass ich letzten Endes den kürzeren ziehen werde.

Aber vielleicht erwarte ich das ja auch genau das.

Das er mich unterwirft.

Das er mich beherrscht.

Er jedenfalls scheint eine Menge Spaß daran zu haben.

Und auch ich muss zugeben, dass es mir eine gewisse Befriedigung bereitet.

Wenn er mich benutzt.

Wenn er mit mir spielt.

Wenn ich ihn tief in mir spüre, wenn ich laut seinen Namen schreie und seine Fingernägel tiefe Kratzer auf meiner Haut hinterlassen.

Ja, das war es, was ich wollte, als ich zu ihm gefahren bin.

Wir schenken uns nichts in solchen Nächten.

Keine Zärtlichkeiten, keine Gefühle, nichts.

Nur wilder, hemmungsloser Sex.

Und nur das vertraute Gefühl von Schmerz in mir zeugt davon, dass diese Dinge letzte Nacht wirklich passiert sind.

Andererseits wäre es auch nicht schlimm gewesen, wenn ich mich nicht daran erinnern würde.

Eigentlich wäre mir das sogar um einiges lieber.
 

Mittwoch, 28. Juli 2010
 

Liebes Tagebuch,
 

es fällt mir schwer, meine Gefühle und Gedanken seit neustem nicht mehr in die wohligen und vertrauten Klänge meiner Musik zu legen.

Um ehrlich zu sein, es fehlt mir.

Nicht, dass ich keine Musik mehr machen würde.

Aber seitdem ich das was mich bedrückt aufschreibe, sehe ich keinen konkreten Sinn mehr dahinter, mich auch beim musizieren noch damit zu befassen.

Da ich aber von Natur aus ein Gewohnheitstier bin, merke ich doch, wie sehr mir dieser plötzliche Umschwung zusetzt.

Es ist, als hätte sich eine Lücke in mir aufgetan, die ich nicht mehr zu schließen vermag.

Mein Therapeut meinte jedoch, das sei völlig normal.

Das sei eine Art Abkapselung.

Er meinte, ich sei auf dem besten Wege von dem Zwang loskommen, meinen Ärger durch Musik Ausdruck zu verleihen.

So würde ich lernen, mich meinen Mitmenschen zu öffnen, statt alles in mich hineinzufressen.

Und so würde auch mein „komplexes“ Liebesleben wieder auf die richtigen Bahnen geraten.

Davon merke ich allerdings noch nichts.

Alles, was ich bisher merke sind diese grausam pochenden Kopfschmerzen und der mir unerklärliche Drang auf Schwarzwälder Kirschtorte...

Ich vermute, dass es sich dabei um Nebenwirkungen handelt, so merkwürdig das auch klingen mag.

Langsam wünschte ich mir, ich hätte dieses Thema nie angesprochen.

Dann wäre alles noch immer in bester Ordnung, ich könnte weiterhin einfach meine Musik spielen und müsste nicht alles in diesem dummen Buch festhalten.

Ich frag mich sowieso, wieso ich das noch weiterhin mache.

Ich könnte einfach aufhören.

Einfach so.

Aber vermutlich hindert mich mein Pflichtbewusstsein daran.

In solchen Momenten überkommt mich oft eine Art Selbsthass darüber, dass mein Verhalten so vorhersehbar ist.
 

Wie dem auch sei.

Ludwig war heute bei mir.

Er hat sich für die Berichte bedankt.

Auf seine ganz eigene Art.

Ich möchte eigentlich nicht näher darauf eingehen.

Jedoch kann ich jetzt mit Sicherheit sagen, dass Ludwig einerseits wirklich das komplette Gegenteil seines Bruders ist... und andererseits ist es so offensichtlich, dass die beiden miteinander verwandt sind, dass man wirklich ignorant sein müsste um das nicht zu merken.

Es war irgendwie... vertraut und doch vollkommen anders.

Nicht so brachial.

Gefühlvoller.

Und doch vollkommen nüchtern.

Um ehrlich zu sein hätte ich das Ludwig gar nicht zugetraut.

Ich hatte ihn irgendwie... grober in Erinnerung.

Vielleicht hat Feliciano etwas damit zu tun?

Vermutlich.
 

Donnerstag, 29. Juli 2010
 

Liebes Tagebuch,
 

meine Befürchtungen bewahrheiten sich langsam aber sicher.

Nicht nur, dass ich immer öfter dazu neige, meinen männlichen Mitnationen etwas länger als nötig hinterher zu schauen.

Das ist ja schon lange nichts Neues mehr.

Nein, ich merke auch, dass alte Gefühle langsam wieder zum Vorschein kommen.

Gefühle, von denen ich eigentlich dachte, dass ich längst mit ihnen abgeschlossen hätte.

Oder das ich sie zumindest soweit verdrängt hätte, dass ich mich nicht noch einmal damit beschäftigen müsste.

Die heutige Weltkonferenz hat mich eines besseren belehrt.

Ich habe nämlich festgestellt, dass mich die kleine Lücke zwischen Vashs Schenkeln während seines Vortrages um einiges interessanter für mich war als der eigentliche Inhalt seiner Ansprache.

Ich kann mich nicht einmal mehr an das Thema erinnern, worüber er referiert hat.

Stattdessen habe ich mich dabei erwischt, wie mein Blick von seinen Augen ganz langsam hinab zwischen seine Beine gewandert ist und ich mir dabei Dinge vorgestellt habe, die am Tisch einer Konferenz absolut nichts zu suchen haben.

Ich für meinen Teil finde das ziemlich beunruhigend.
 

Ich habe Vash eigentlich immer mehr wie einen Bruder gesehen.

Wir haben früher alles zusammen gemacht, haben förmlich aneinander geklebt.

Wir sind zusammen aufgewachsen.

Er hat mir immer geholfen, wenn ich Hilfe brauchte, war immer für mich da.

Bis zum diesem einen Tag.

1291.

Ich weiß, dass ich in der Zeit viel Mist gebaut habe.

Ich habe es nicht für gut befunden, was mein Boss da von mir verlangt hat, aber ich hatte keine andere Wahl.

Am Ende habe ich nicht nur das Land, sondern auch meinen besten Freund verloren.

Und alles was blieb war eine erloschene Kindheitserinnerung, die in ein nebeneinanderher leben hinauslief.

Mir ist irgendwann klar geworden, dass ich mehr für ihn empfunden habe als bloße Freundschaft.

Leider kommen einem solche Erkenntnisse immer erst dann, wenn es bereits zu spät ist.

Vash redet seit dieser Auseinandersetzung kaum noch ein Wort mit mir.

Nicht wenn er es nicht muss.

Und wenn, dann sind es meist keine netten Worte.

Ich kann es ja irgendwo verstehen, dass er sauer ist, aber nach über 500 Jahren könnte man doch eigentlich denken, dass man zumindest vernünftig darüber reden kann.

Anscheinend denkt Vash nicht so.

Aber das sieht ihm ähnlich.

Er war schon immer sehr nachtragend.

Und stur.

Ich hätte nur nicht gedacht, dass er auch so verbittert werden würde.

Deswegen habe ich ihm auch nie etwas gesagt.

Er würde es ja doch nicht verstehen.

Vermutlich würde er mich nur wieder anbrüllen.

Oder mich auf der Stelle erschießen.

Allerdings dachte ich auch, dass diese Gefühle irgendwann wieder von selbst verschwinden.

Ich habe mir eingeredet, dass es nur eine Phase sei.

Wie sehr man sich doch täuschen kann.

Aber viel ändern lässt sich daran jetzt auch nicht mehr.
 

Freitag, 30. Juli 2010
 

Liebes Tagebuch,
 

ich hatte heute eine unschöne Erkenntnis.

Ich hasse es, bei heißem, innigem Sex beobachtet zu werden.
 

Gilbert hat mich nach der Weltkonferenz angesprochen.

Na ja, angesprochen kann man das nicht nennen.

Belästigen trifft es wohl eher.

Und ich Idiot hab mich wieder von ihm um den Finger wickeln lassen.

Er meinte, Ludwig würde gleich nach der Konferenz ins Ausland fliegen, weil er bei irgendeinem Staatsbesuch anwesend sein müsse.

Dass wir das ganze Haus für uns allein hätten.

Ob ich nicht Lust hätte, mit ihm einen gemütlichen Abend zu verbringen.

Das war schon kein Wink mit dem Zaunpfahl mehr, sondern mit dem ganzen Zaun.

Nur das er damit nicht die Wahrheit sprechen würde, das wurde mir natürlich wieder erst einmal im Nachhinein bewusst.

Denn letztendlich war es weder ein gemütlicher Abend, noch waren wir allein.

Hätte ich das gewusst, dann hätte ich nein gesagt.

Aber es ist ja meine eigene Schuld.

Eigentlich hätte ich es mir denken müssen.

Wenn es um Gilbert geht muss man damit rechnen, dass nichts so läuft wie man denkt.

Und dass er einem Dinge verschweigt um sein Ziel zu erreichen.

Zum Beispiel, dass Ludwig die Hunde nicht mitgenommen hat.

Und um ehrlich zu sein empfinde ich es nicht als sehr erotisch, wenn Aster, Blackie und Berlitz neben dem Bett sitzen und dabei zusehen, wie ich mit ihrem Herrchen schlafe.

Ebenso wenig wie wenn mir beim Orgasmus eine feuchte Hundezunge übers Gesicht leckt.

Gilbert schien das nicht weiter zu stören.

Kein Wunder, ihm blieb dieses Gefühl gänzlichen Ekels ja auch erspart.

Jetzt weiß ich wieder, warum ich keine Haustiere halte.
 

Samstag, 01. August 2010
 

Liebes Tagebuch,
 

hinter mir liegt ein anstrengender Tag.
 

Nachdem ich es erfolgreich geschafft hatte, mich aus Ludwigs Haus zu schleichen bevor die Hunde Gilbert aufwecken konnten und er mich im Gegenzug am Gehen hindern konnte, war ich doch ehrlich gesagt milde überrascht einen Brief aus Bern auf meinem Schreibtisch vorzufinden.

Und es handelte sich dabei dieses Mal nicht um einen standardisierten Formbrief irgendeines Ministeriums, mit der Bitte, ein unbedeutendes Formular zu unterschreiben, wie mich die Erfahrung zuerst vermuten ließ.

Nein, zu meinem Erstaunen befand sich eine Einladung in dem sonst so unscheinbaren Umschlag.

Meine erster Gedanke war, dass es sich hierbei um eine nette Geste Lilis handeln musste, als ich jedoch den Brief überflog wurde mir schnell klar, dass er von Vash persönlich stammte.

Also war es im Grunde nichts weiter als eine nette Geste Lilis, die mit Vashs Unterschrift abgesegnet war.

Wahrscheinlich hatte sie sogar die Adressate später hinzugefügt, um nicht den Zorn ihres Bruders zu beschwören.
 

Ich habe lange Zeit darüber nachgedacht, ob ich die Einladung annehmen soll oder nicht.

Immerhin würde mein Erscheinen schon stark an historischen Zynismus grenzen.

Es war vielleicht kein Großereignis wie der amerikanische Unabhängigkeitskrieg oder der Fall der Berliner Mauer, aber dieses Ereignis war wichtig für uns.

Der rote Faden der uns als Kinder verband, für den wir gekämpft haben, den wir unter allen Umständen versucht haben zu beschützen, haben wir an diesem Tag innerhalb eines Wimpernschlages aus den Augen verloren.

Wir klammern uns noch immer daran, wie die Kinder die wir einst waren.

Doch heute führen die Stränge die uns einst verbanden ins Nichts, dort wo Anschuldigungen und Misstrauen lauern.

Es war und wird, trotz der vielen Zeit die inzwischen vergangen ist, nie leicht sein damit umzugehen, geschweige denn darüber zu reden was geschehen ist, was wir verloren haben.

Er war immerhin meine Seele und ich war sein Herz.

Heute ist es Lili, die die Enden unserer Fäden verbindet und darauf achtet, dass wir uns nicht aus den Augen verlieren.

Ich bin ihr dafür mehr als dankbar.

Und auch wenn ich nicht sicher bin wieso, so hoffe ich doch, dass Vash es genauso sieht, trotz unserer vielen Streitigkeiten.
 

Letztendlich habe ich mich trotz meiner Zweifel doch dazu entschlossen, auf die Party zu gehen.

Ob dies nun eine kluge oder gänzlich dumme Idee ist, wird sich noch herausstellen.

Aber irgendwo habe ich ja doch noch Hoffnung, dass einmal etwas nicht meinen Erwartungen gerecht wird.

Ich würde es mir wirklich wünschen.
 

Sonntag, 02. August 2010
 

Liebes Tagebuch,
 

ich habe nicht die leisest Ahnung, was letzte Nacht passiert ist.

Nein, falsch.

Um ehrlich zu sein weiß ich sogar ziemlich genau, was letzte Nacht passiert ist.

Was wir getan haben.

Mit wem ich es getan habe.

Und ich wünschte mir, ich würde es nicht tun.
 

Dabei begann der Abend so vielversprechend.

Vash war nicht besonders erfreut gewesen, mich zu sehen, aber damit hatte ich ja bereits gerechnet.

Auch wenn ich sagen muss, dass er sich die größte Mühe gegeben hat, sich nichts anmerken zu lassen und sich mir gegenüber ausgesprochen höflich verhalten hat.

Der eiskalte Blick in seinen Augen jedoch, jedes Mal wenn er mich ansah, sprach eine ganz andere Sprache.

Ich wusste genau, dass er es hasste, dass ich hier war.

Ich habe seine stummen Sticheleien ignoriert und einfach gelächelt, so getan, als würde ich es nicht bemerken.

Vermutlich habe ich ihn damit nur noch mehr zur Weißglut getrieben.
 

Gilbert und Ludwig waren auch dort.

Nicht meine bevorzugte Gesellschaft, aber ich habe mich ihnen an diesem Abend dennoch angeschlossen, ganz einfach um Ärger aus dem Weg zu gehen.

Leider sind die beiden nicht in der Lage, eine solche Feierlichkeit ohne Alkohol zu verbringen und somit kann ich wohl mit Fug und Recht behaupten, dass sie eine gewisse Teilschuld am weiteren Verlauf dieses Abends tragen.

Immerhin waren sie es, die mich zu mehr überredet haben, als ich üblicherweise vertrage.

Nicht das es viel mehr war.

Ich kenne meine Grenzen.

Allerdings war es ausreichend, um mich um einiges lockerer zu stimmen.

Und anscheinend hatte ich mich nach einigen Gläschen auch nicht mehr gänzlich unter Kontrolle.

Nein, ich hatte mich nicht gänzlich unter Kontrolle.

Sonst wäre mir wohl aufgefallen, dass ich irgendwann angefing, Vash ziemlich ungeniert auf den Arsch zu starren.

Und natürlich war auch niemand so freundlich, mich auf mein Verhalten hinzuweisen.

Vash musste mich erst persönlich darauf ansprechen.

Na ja, ankeifen wäre hier vielleicht das passendere Wort.

Herr Gott war das peinlich.
 

Ich habe mich anschließend für den Rest des Abends nach draußen verzogen und darüber sinniert, ob es wirklich eine kluge Idee gewesen war zu dieser Feier zu gehen.

Das ich nicht willkommen war, war ja nicht zu übersehen.

Umso mehr überraschte es mich, als Vash nach einer ganzen Weile auftauchte und sich schweigend zu mir setzte.

Offenbar hatte er nach mir gesucht.

Ich habe ihn nicht nach dem Grund gefragt.

Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen bekommen?

Wohl kaum.
 

Ich weiß nicht mehr, wie lange wir dort saßen und uns anschwiegen.

Irgendwann wurde aus dem Schweigen eine Frage, aus der Frage ein Gespräch.

Wenn mich jemand fragen würde, wie lange es her ist, dass Vash und ich uns so unterhalten haben, ganz normal, ohne Vorwürfe und Bissigkeiten, ohne Streit und Geschrei, ich könnte ihm keine Antwort darauf geben.

Es hat mich wirklich überrascht.

Aber es tat gut.

Es gab mir das Gefühl, dass vielleicht doch noch nicht alle Hoffnung verloren war, das zwischen uns doch noch etwas wie Normalität bestand.

Ein schöner Gedanke.
 

Wir haben lange geredet.

Der Mond war schon ein ganzes Stück am klaren Sternenhimmel gewandert, als wir uns schließlich erhoben.

Selbst im sanften Licht, das vom Haus zu unserem Platz auf der Treppe herüber schien, konnte ich das Funkeln in seinen grünen Augen sehen.

Smaragdgrüne Augen, die mich seit jeher fasziniert haben.

Er schien in Gedanken, kein Wort kam über seine Lippen.

Nur ein sanfter Rotschimmer, der sich auf seine Wangen geschlichen hatte, war zu erkennen.

Es verwunderte mich, aber ich war zu abgelenkt um mir über solch Kleinigkeiten Gedanken zu machen.

Wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke, grenzt es schon fast an ein kleines Wunder.

Aber in dem Moment war es einfach nicht wichtig.
 

Vielleicht war es die Einsamkeit, die uns beide dazu trieb, vielleicht war es eine ganz eigene Art, das Leid und den Schmerz der Vergangenheit zu verarbeiten.

Vielleicht war es auch nur der Alkohol, der aus uns sprach.

Es war nur ein Blick, eine kleine Berührung, eine unscheinbare Geste.

Sogar ein Lächeln konnte ich ihm abgewinnen.

Ein ehrliches Lächeln.

Der Kuss, der darauf folgte, war längst überfällig gewesen.

Wild und unbarmherzig und doch liebevoll und leidenschaftlich.

Genau wie die Nacht, die folgte.
 

Ich weiß nicht einmal mehr, wie wir den Weg ins Schlafzimmer gefunden haben.

Oder ob uns jemand gesehen hat.

Ob die Leute getuschelt haben.

Oder gelacht.

Es war uns alles völlig gleich.

In diesem Moment zählte nur das Gegenüber, die Lust, das Verlangen den Körper des anderen zu berühren, zu erkunden, zu spüren.

Wir haben uns nicht einmal die Mühe gemacht, leise zu sein.
 

Ich will das warum und wieso gar nicht hinterfragen.

Wir haben gestern Abend eine stumme Übereinkunft getroffen und ebenso stillschweigend werden wir dieses Ereignis vorüberziehen lassen.

Wenn er aufwacht wird wieder alles beim Alten sein.

Er mich wieder anbrüllen und mich aus dem Bett jagen, er wird sich darüber beschweren, was ich hier zu suchen habe und dann wird er sich daran erinnern, was letzte Nacht geschehen ist.

Und dann wird er weiter brüllen, mit hochrotem Kopf, vor Wut und vor Scham.

Aber solange bleibe ich einfach hier sitzen und schaue ihm beim Schlafen zu.

Denn im Schlaf ist er immer noch der Junge mit dem mich einst eine Freundschaft verband, die wir für unzerstörbar hielten.
 

Ich habe gelogen als ich am Anfang sagte, ich würde mir wünschen, mich nicht mehr an diese Nacht zu erinnern.

Eigentlich möchte ich diese Nacht niemals vergessen.

Und doch widerstrebt etwas in mir diesem Gedanken.

Vielleicht weil ich mir zu viel darauf einbilde.

Vielleicht weil diese Nacht im Grunde bedeutungslos war.

Ein kurzer Moment der Hoffnung, das alles wieder gut werden könnte, sonst nichts.

Tz.

Erbärmlich, nicht wahr?

Vash würde mich auslachen, wenn er das hier lesen würde.

Würde mir sagen, dass ich endlich den Kopf aus den Wolken nehmen und nicht einem Wunschtraum hinterher jagen soll.

Wahrscheinlich denke ich einfach zu viel nach.

Teile solchen Ereignissen mehr Bedeutung zu, als sie es wert sind.

Vielleicht ist genau das mein Problem.

Vielleicht liege ich auch vollkommen falsch mit dieser Vermutung.

Und vielleicht, ja, vielleicht ist es auch einfach vollkommen belanglos.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Sternenschwester
2013-05-26T01:28:59+00:00 26.05.2013 03:28
mhm es macht mir immer wieder Freude diesen OS durchzulesen, vielleicht weil er Aspekte anspricht, die weniger romantisch oder hübsch sind.
lg, Sternenschwester
Von: abgemeldet
2011-12-28T13:36:15+00:00 28.12.2011 14:36
Wie putzig, es gibt viel zu selten gute FFs mit Österreich.
Genial geschrieben!
Von:  Sean
2011-12-26T15:04:21+00:00 26.12.2011 16:04
Roderich ist so was goldiges! *___*x
Ich hatte wahnsinnig viel Spaß mit Roderichs Einträgen über seine diversen Partner (tut mir leid wegen der Hunde, die haben im Schlafzimmer nichts verloren, da hast du natürlich recht!). Wüsste auch gar nicht, wen ich da jetzt am liebsten hab. ^^x
Jedenfalls war ich hier gerade lautstark am mich freuen und quietschen, und gottseidank stört sich meine Familie nicht an meinem seltsamen Verhalten am PC. XD
Ganz viel Liebe für den Österreicher!


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