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Rübenfürst und Möhrenkönig

von

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Der Möhrenkönig

II. Der Möhrenkönig
 

Ein wahrhaft himmlischer Sommertag zeichnete sich an den Ausläufern des deutschen Mittelgebirges ab. Es war kurz nach halb Zwölf, und Ragnar hatte den größten Teil seiner morgendlich anfallenden Arbeiten bereits erledigt. Der Tag eines Bauern begann früh, da war nichts mit ausschlafen, besonders wenn das eigene Herzblut an der Tätigkeit hing und man sie nicht komplett an irgendwelche Angestellten delegieren wollte. Er war schließlich nicht hierher gezogen, damit andere für ihn schufteten, das hatte er lange genug gehabt.
 

Sein Leben war nach vorgezeichneten Bahnen verlaufen, ein Arbeiterkind, das es zu etwas bringen sollte. Der Ehrgeiz seiner Eltern war lange Zeit auch sein eigener gewesen, aufwärts sollte es gehen. Der Erfolg seiner Mühen hatte ihn mit Stolz erfüllt, und die Freude seiner Eltern war ein zusätzlicher Lohn gewesen. Er war der erste in der Familie, der das Abitur bestanden und studiert hatte – nicht, da seine Vorfahren nicht fähig gewesen wären, sondern da ihre Abstammung immer wie ein Bremsklotz gewirkt hatte, es auch selber nicht zu wagen. Er war da anders gewesen. Er hatte es gewagt, und es war ihm auch gelungen. Er hatte Ingenieurswissenschaften studiert, hatte mit Eifer und Begabung einen ausgezeichneten Abschluss hingelegt und hatte rasch eine gut bezahlte Anstellung gefunden. Auch hier hatten sich Einsatz und Können ausgezahlt, in Windeseile war er aufgestiegen, Arbeit rund um die Uhr, es gab nichts anderes – bis auf seine Eltern. Entspannung nur, wenn unbedingt notwendig, um zu regenerieren und die eigenen Grundbedürfnisse zu befriedigen. Soziale Kontakte aus ähnlichen Motiven oder wenn es beruflich voran brachte. Er hatte gearbeitet wie ein Geisteskranker, immer nur vorwärts… Aber dummerweise war er keine Maschine, die man nur ab und an warten musste, damit sie weiter funktionierte, das hatte er dabei wohl aus den Augen verloren gehabt. Vor vier Jahren war es so weit gewesen. Wahrscheinlich war er bereits längst an der Grenze des Machbaren gewesen, als ihn der Unfalltod seiner Eltern endgültig in ein tiefes schwarzes Loch gestoßen hatte. Nichts war mehr von Bedeutung gewesen, neben dem Schmerz war da nur noch Leere gewesen… Ein klassisches Burn Out gepaart mit dem Schock des Verlustes hatte die Therapeutin ihm gesagt, zu der er sich schließlich völlig am Boden geschleppt hatte. Man hatte ihn auf Kur geschickt und dort hatte er die ganze Sache, sein Leben noch einmal von vorne bis hinten überdacht. Weitermachen wie zuvor konnte er schlichtweg nicht, obwohl sein Arbeitgeber das inständig gehofft hatte. Stattdessen hatte er sich irgendwann aufgerafft, um noch einmal neu anzufangen. Ganz anders, fernab von dem, was gewesen war. So völlig aus seiner Haut hatte er wohl auch dabei nicht gekonnt, denn was anfangs als Ausstiegs- und Rückzugplatz gedacht war, war inzwischen ein florierendes Unternehmen geworden. Er hatte sein Erspartes und sein Erbe zusammen gerafft und war auf ein erkleckliches Sümmchen gekommen, schließlich hatte er nie viel ausgegeben, dazu hatte er auch kaum die Zeit gehabt. Es war ihm eigentlich auch nie ums Geld gegangen, sondern eher um den Erfolg. Einer halbwegs spontanen Eingebung garniert mit einem ihm eigenen Hang zur Natur folgend hatte er ein verlassenes Gehöft im fernen Hessen erworben, es Schritt für Schritt auf Vordermann gebracht, an der Fernuniversität Kurse in Agrarwissenschaften belegt – und so war im Laufe der Zeit, aber dennoch recht flott aus einem Sammelsurium verwilderter Äcker ein gut laufender Biobauerhof geworden, und aus Ragnar Tannenberger, Ingenieur mit Diplom, Ragnar Tannenberger, Argrarökonom und – Möhrenkönig. So nannten ihn Geschäftspartner und Angestellte, auf die er inzwischen ob der Größe des bewirtschafteten Landes nicht mehr verzichten konnte, im Spaß – und sie hatten auch Recht damit. Er baute und züchtete Möhren – ökologisch korrekt angebaut und von ausgezeichneter Qualität, keine billigen, lieblos fabrizierten Futtermöhren. Der Markt für solche Lebensmittel wuchs und wuchs, und er selber hatte zu einer grundsätzlichen Zufriedenheit mit seinem Dasein gefunden. Das Leben mochte zwar manchmal komische Blüten treiben, aber hier war es schon gut.
 

Die Uhren tickten schon anders an diesem Ort, und wenn abends der letzte Arbeiter verschwunden war, kehrte eine Ruhe über dem Land ein, die mit nichts zu vergleichen war, das er zuvor gekannt und gelebt hatte. Außer seinem Hof gab es hier direkt benachbart nur noch einen weiteren, der sich in einem ähnlichen Zustand befand wie seiner, als er ihn erworben hatte. Er hatte bereits vorsichtig die Fühler danach ausgestreckt, obwohl eine innere Stimme ihn warnte, zu expandieren und erneut zum Arbeitstier zu mutieren, aber die Besitzerfamilie hatte abgelehnt. Nun gut, dann eben nicht. Was immer die damit anfangen wollten… aber gutes Land einfach so brach liegen zu lassen…?
 

Jetzt allerdings tat sich da was. Ein scheußlich grüner Audi rumpelte die Schotterpiste hinauf, passierte ihn und fuhr weiter zum verrammelte daliegenden Nachbargehöft. Neugierig spähte Ragnar dem Wagen hinterher. Dass sich hier einer blicken ließ, kam ausgesprochen selten vor. Ab und an kreuzte schon irgendwer auf, der anscheinend mal nach der Situation dort spähen sollte, aber danach geschah immer – rein gar nichts. War das so einer? Wahrscheinlich. Nach Makler sah das Auto jedenfalls nicht aus. Er folgte ihm mit den Blicken. Auf dem mit Kopfsteinpflaster befestigtem, überwuchertenm Platz vor dem ursprünglichen Wohnhaus hielt der Wagen, und ein Mann stieg aus. Zwischen den Bäumen hindurch konnte Ragnar erkennen, dass er recht groß zu sein schien, schwarzhaarig und in etwas gekleidet, was wie eine sündhaft teure Lederjacke aussah. Doch ein Makler?
 

Er stand auf und setzte sich in Bewegung. Es war besser, da mal nachzusehen, Vorsicht war besser als Nachsicht. Weit war es ja nicht, die Höfe hatten ursprünglich wohl zusammen gehört, bewirtschaftet von unterschiedlichen Zweigen derselben Familie, aber das war sehr lange her, wie er aus den Ausführungen eines lokalen Vertreters des Heimatvereins wusste. Auch die aktuellen Besitzer des Nachbarhofes waren erst später dazu gekommen.
 

Er trat heran und grüßte den Neuankömmling. „Guten Morgen!“ wünschte er ihm freundlich, obwohl es nach seinem Empfinden ein wenig spät dafür war.
 

Der andere fuhr herum, hatte ihn, obwohl er extra ein wenig gepoltert hatte, anscheinend nicht bemerkt.
 

„Moooo… Morgen!“ stammte der. Innerlich musste Ragnar bei seinem Anblick mit dem Kopf schütteln. Sein erster Verdacht war schon ganz richtig gewesen: Der war wirklich sprichwörtlich in Samt und Seide gehüllt. Wer, der noch alle Tassen im Schrank hatte, rannte hier so rum, als sei Hessen Land ein Catwalk in Mailand? Der war nicht einfach gut angezogen – der war aufgedonnert, als wolle er für ein Werbefoto posieren. Er kannte solche Typen von früher nur zu gut: Schnösel, das war ein eitler Schnösel, kein Zweifel. Ein reicher eitler Schnösel, auch wenn das Auto nicht so gut ins Bild passte. Ein reicher, eitler Schnösel, der haargenau wusste, dass er gut aussah, und das jedem mit Anlauf unter die Nase rieb. Nicht, dass er für solche Reize ganz unempfänglich war, aber nicht jeder auf Erden stand auf eine wandelnde Ken-Imitation.
 

„Ragnar Tannenberger!“ stellte er sich vor. „Mir gehört der Hof nebenan. Und Sie sind?“
 

Der andere fing sich wieder. „Ähm… von Buch. Jason von Buch – mir gehört… der hier, so wie es aussieht…“, erwiderte er und schüttelte ihm die Hand. Seine Fingernägel glänzten wie mit Seidenpapier poliert, am Handgelenk blitzt eine sauteure Uhr. Der hatte sein Lebtag noch nie ernsthaft irgendwo angepackt, so weich, wie seine Handfläche trotz des festen Griffes war, was zum Geier wollte der hier…? Schauen, ob er’s verkaufen konnte? Pleite von zu viel Botox-Behandlungen? Nein, die Stirn konnte er noch runzeln, vielleicht war das ja der neuste Schrei.
 

„Schön, Sie kennenzulernen“, erwiderte Ragnar höflich. „Sie schauen mal nach dem Rechten?“ wollte er wissen.
 

Der andere seufzte tief und verdrehte irgendwie komisch die Augen. „Wie man’s nimmt“, stöhnte er. „Ausgiebig, gewissermaßen… Ich wohne ab heute hier.“
 

„Aha. Äh… dann, willkommen, Nachbar!“ gab Ragnar nonchalant zurück, während sich in ihm ein Hauch von Fassungslosigkeit breit machte. Der da? Hier? In dem Haus? Hatte der auch eine Sinnkrise? So sah der allerdings irgendwie gar nicht aus…
 

„Danke!“ stöhnte das Modepüppchen in der Kerl-Version. „Sind sie ein Bauer?“
 

„Ich bewirtschafte den angrenzenden Hof, falls Sie das meinen. Insofern wohl: ja“, klärte Ragnar ihn auf.
 

„Und wie macht man das?“ wollte von Buch von ihm wissen und starrte ihn an, als sei er ein jonglierendes Eichhörnchen. Er hatte tiefblaue Augen, aber sein allgemeines Erscheinungsbild ließ vermuten, dass das eventuell auch nur Styling war, Kontaktlinsen oder so.
 

„Bauer sein?“ versicherte sich Ragnar dieser merkwürdigen Frage.
 

Von Buch nickte inständig, dass seine ondulierte Haarpracht nur so wogte. Der hatte sie echt nicht mehr alle beinander… Super, und der wollte sich jetzt hier breit machen! Das konnte ja was werden… Eigentlich hatte Ragnar den Umstand, keine direkten Nachbarn zu haben, nie sonderlich bedauert… da hatte er wohl Recht gehabt mit.
 

„Tja… man lebt auf dem Land und sieht zu, dass die Möhren gedeihen“, fasste er für die unterste Verständnisebene zusammen.
 

„Möhren? Sie sind im Möhren-Business?“ hakte von Buch nach.
 

„Exakt. Ich produziere Bio-Möhren“, klärte er ihn auf.
 

„Und das rechnet sich?“ wollte von Buch mit leicht staunender Miene wissen.
 

„Ja“, erwiderte Ragnar knapp. „Möhren-Business ist ein gutes Business… Schmecken gut, sind gesund und vielseitig…“
 

„Aha… sieh an…“, murmelte von Buch und beäugte das ziemlich runtergekommene Haus.
 

„Brauchen Sie vielleicht Hilfe?“ bot Ragnar sich gemäß der Basis-Regeln der Nachbarschaft an. „Der Weg nach hier oben ist ziemlich zugewuchert – ich könnte da einmal mit dem Trecker durch, damit der Möbelwagen und die Handwerker es leichter haben?“
 

Von Buch starrte ihn mit einem Ausdruck an, als wolle er gleich anfangen zu heulen. „Da kommt niemand“, presste er aber nur hervor.
 

„Was?“ fragte Ragnar verdattert. „Aber so ist das Haus doch…“
 

„Ich weiß!“ ächzte von Buch. „Da werde ich wohl etwas dran ändern müssen…“
 

„In der Tat“, stimmte Ragnar ihm zu und konzentrierte sich darauf, keine Miene zu verziehen. Eins war klar: der war nicht wirklich freiwillig hier. Der hatte garantiert irgendetwas verbockt, dass man ihn entweder hierhin abgeschoben hatte oder dass er hier auf Tauchstation gehen musste. Hoffentlich nichts Kriminelles.
 

Aber so wie er da gerade stand in seinen Luxus-Klamotten und mit tellergroßen Augen auf dem verwahrlosten Hof sah er fast ein wenig verloren aus. Wie ein prämierter Rassepudel, den man an einer Autobahnraststätte ausgesetzt hatte.
 

Der sollte jetzt echt hier wohnen? Oh weia…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Khaosprinzessin
2011-09-01T19:47:19+00:00 01.09.2011 21:47
hihi wie niedlich^^ die beiden sind mir sympathisch. aber ich weiß nich....ragnar aus irgendeinem grund mehr als jason....ach so, ja, er hat mch nich beleidigt^^
die beiden kapitel sind echt gut geschrieben! bin schon auf den weiteren verlauf gespannt und vor allem darauf, wie jason das alles meistern wird...*hrhrhr* bin da vielleicht nen bisschen gemein^^ aber... nöööö! ich weiß ja, was das für arbeit is aufm hof. komm ja selbst von einem. vllt mag ich deine geschichte ja deswegen...?!
freu mich auf jeden fall aufs nächste kapitel

see ya in hell, beast


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