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Den Himmel sehen

von

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Vorsichtig schob sich Tatsuha durch die Menge, immer darauf bedacht, die Hand des zierlichen Jungen nicht zu verlieren.

Er hatte auf den ersten Blick bemerkt, das der blonde Knabe blind war. Seine Augen waren zwar offen und schimmerten in einem überwältigendem marineblau, aber die Iriden war leicht getrübt, als ob ein Film aus Milch darauf läge.

Die Augen des Blinden erinnerten den jungen Japaner an ein azurblaues Meer, mit einem Hauch von Morgennebel über den sanftkräuselnden Wellen.

„Äh okay, Alex. We are now standing in front of the supermarket,... I...I.. don’t know what to do...“, stammelte Tatsuha und verfluchte sich, im Englischunterricht nicht aufgepasst zu haben.

Sein Gegenüber nickte und ein warmes Lächeln erschien auf den zartroten Lippen. Sie gaben den Blick auf eine Reihe strahlendweißer Zähne frei.

„Sorry, I don’t want to harass you so long, but...!“, Alex brach ab und ließ ein wenig hilflos die Arme sinken, was Tatsuha die Gelegenheit gab den Jungen eingehender zu betrachten.

Es war faszinierend die Lichtreflexe auf dem kornfarbenen Haar zu beobachteten, wie sie tausend Nuancen auf die schulterlangen Strähnen zeichneten.

Die Augen des Jungen schauten starr gerade aus, aber trotzdem schienen sie die Nähe zu suchen, Tatsuha anzusehen und zu wissen was sich hinter seiner trotzigen Fassade verbarg.

Die feine Nase warf einen dünnen Schatten auf das helle Gesicht und der noch immer leicht geöffnete Mund verriet die Anstrengung der zurückgelegten Strecke.

Der Knabe trug ein leichtes Hemd aus dünnem Leinen und eine seltsame Hose, ebenfalls in weiß. Die Kleidung war viel zu weit und verstärkte den schmächtigen Eindruck des Jungen zusätzlich.

„Äh... it’s okay! I just wasting my time here in Germany, waiting for going home. I... ähm... just accompany my brother and his foolish boyfriend, having a tour with his band... And I’m...“, Uesugi-san überlegte kurz,“... proud to help you!“ Er lächelte und auch auf Alex’ Gesicht erschien erneut ein dünnes Lächeln.

„But, where do you want to go?“, ergriff Tasuha noch einmal das Wort und fuhr durch sein rabenschwarzes Haar.

Alex zuckte ein wenig unschlüssig die Schultern, trat in seinen kaputten Turnschuhen von einem Fuß auf den anderen und zupfte an seinem Kragen:

„If you like... we... can go to the park, near the station! It’s amazing there!“, antwortete er schüchtern und ein wenig holprig auf Tatsuhas Frage.

Dieser überlegte kurz: Eiri und Shuichi würden bis zum Abend nicht zurücksein, und Thoma konnte er nur zu gerne versetzen. Die ständige Anwesenheit des Managers missfiel ihm gewaltig, auf ein Treffen unter „vier Augen“ konnte er gut und gerne verzichten.

„Sure!“, sagte er deshalb und gemeinsam machten sich die beiden Jungen, unter Führung des blonden Alex, auf den Weg durch die überfüllte Stadt.
 

Eine seltsam melancholische Stimmung befiel Tatsuha, als sie in die Stille des Parks eintauchten. Er war weitaus abgelegener als es anfangs geklungen hatte und sie waren eine gute halbe Stunde unterwegs gewesen.

Aber es hatte sich gelohnt, fand Tatsuha.

Hinter dem eisernen Tor erstreckten sich weite Grünflächen, auf die breitgefächerte Bäume ihre gezackten Schatten warfen. Viele Beete waren angelegt, ordentlich gepflegt und mit vielen verschiedenfarbigen Blumenarten gespickt.

Der weiße Kies knirschte unter ihren Füßen und in der Ferne erkannte der japanische Jungmönch einen kleinen Springbrunnen.

Wie mochte der Junge an seiner Seite diese atemlose Schönheit wohl erleben?

Wusste er, was ihn umgab?

Hatte er jemals den blauen Himmel und die weiße Kiesel gesehen? Wusste er was rote Rosen waren und konnte er das verwitterte grün-braun der alten Borke da drüben, von dem rostrot des Geländers unterscheiden?

Es war ein ungleich fremdes Gefühl hier zu sein.

Er fühlte die schmale, weiße Hand in der seinen und betrachtete den Knaben neben sich.

Sie kannten sich nicht mal eine Stunde, hätte der Junge ihn in der Straßenbahn nicht angesprochen, währe Tatsuha, genau wie alle anderen Passanten, mit mitleidigem Blick und hochgezogenen Schultern an dem zusammengekauerten Häuflein Elend vorbeigegangen.

Insgeheim war Tatsuha dieser Umstand peinlich, und er verdrängte die Gedanken schnell, konzentrierte sich stattdessen auf die Umgebung.

Er hatte nicht bemerkt, das sie vom Weg abgewichen waren, die Grünfläche betreten hatten und nun im Begriff waren das dichte Ginstergebüsch zu durchqueren.

Er wollte Alex fragen, doch plötzlich spürte er die Veränderung.

Anders als in der lärmenden Stadt, schien hier, in der friedlichen Idylle des Parks, alle Scham und Unsicherheit des blinden Jungen von ihm abgefallen, und mit der Zielsicherheit eines Menschen, der wusste wohin, lenkte er den Japaner durch das Gewirr aus Blättern, Ranken, heruntergefallenen Ästen und umgestürzten Jungbäumen.

Sie waren schon eine Weile unterwegs und Tatsuha wähnte sie bereits außerhalb des Parkgeländes, als sie eine kleine Lichtung betraten.

Die Sonne schien durch das sommergrüne Laub und verwandelte Alex’ Haar in ein Meer aus wogendem Weizen.

Es war still hier, nur ein paar Vögel zwitscherten leise und verhalten, als wollten sie die Ruhe nicht brechen, den Frieden nicht stören.

Inmitten der saftigen, dichtbegrasten Freifläche stand ein Baum. Er war nicht besonders groß und seine Äste verzweigten recht früh über dem Boden. Er hatte dicke, fleischige Blätter und überall brachen weiße oder zartroséfarbene Blüten hervor.

Die Lichtung bot einen fantastischen Anblick und Tatsuha schauderte beim Anblick des blonden Knaben, der seine Seite verlassen hatte und sicheren Schrittes zu dem Gewächs taumelte.

Er wirkte mit einem Mal so leicht, als hätte ihm dieser Ort Flügel verliehen und ließ ihn tanzen. Ein wenig unsicher folgte ihm Tatsuha, kam sich mit seiner schmuddeligen Jeans, dem abgetragenen Shirt und den ausgetretenen Stiefeln fehl am Platze vor und hatte auf eine unbestimmte Art das Gefühl, einen heiligen Ort zu entweihen.

Tatsuha schüttelte den Kopf und schalt sich lautlos für solch alberne und törichte Gedanken.
 

Auch er war in der Mitte angekommen und ließ sich unschlüssig neben der zierlichen, weißen Gestalt nieder.

„Can I ask you something?“, fragte er leise und legte den Kopf in den Nacken, betrachtete den strahlend-blauen Himmel und zählte die weißen Federwölkchen.

Alex schwieg eine Weile, dann nickte er.

„Mh, how do you find the way... in this... wooded... mess?“, stotterte Tasuha und wünschte somit eine Antwort auf die Frage zu bekommen, die ihm schon seit sie den Park betreten hatten auf der Zunge brannte.

Wieder herrschte eine Zeit lang Schweigen, ehe der Gefragte antwortete:

„I can discover it with my mind!“, flüsterte er leise und mit einem Mal wusste Tatsuha, das er für den Jungen kein Mitleid empfinden musste.

Alex konnte sehen, mit seinem ganzen Körper, vielleicht besser als jeder Mensch, den der junge Japaner vorher getroffen hatte. Er roch die Farben, wie er sie sah. Er schmeckte seine Umwelt, ertastete sie, so wie Tatsuha sie mit seinen Augen entdeckte.

Ihm wurde klar, das Alex’ Erleben ungleich intensiver, sein Empfinden viel sensibler sein musste als das anderer, sehender Menschen.

Uesugi-san seufzte ein wenig betroffen und ließ seinen schlanken Körper in das saftige Gras sinken.
 

Wieder kehrte Stille ein, diesmal war es Alex, der das Schweigen brach:

„Tatsuha....“, begann er den Satz, verfiel dann in ein dumpfes Murmeln und schüttelte den Kopf.

Angesprochener hob die Augenbrauen. Seine Name klang ungewohnt gebrochen, seltsam fremd, aber unendlich weich aus dem Mund des jungen Deutschen.

„Gomen nasai,... äh... what’d you say?“, fragte er neugierig und lenkte seinen Blick auf das leicht errötete Gesicht seines Gegenübers.

Alex setzte an erneut den Kopf zu schütteln, doch dann straffte er die Schultern, wandte sich ganz zu Tatsuha um und formulierte den Satz unter einem nervösen Lächeln neu:

„Tatsuha, am I allowed to touch you?“

Der Japaner war überrascht, nickte und verbesserte sich dann schnell in dem er antwortete:

„If you want to... of course!“ Er lächelte.

Alex atmete hörbar aus und man konnte deutlich sehen, wie die Anspannung aus seinem schönen Gesicht wich.

Vorsichtig hob er seine zierliche Hand, tastete nach vorn und berührte Tatsuha zart an der Wange, strich über die ebenmäßige Haut, ließ seine Finger hin und her gleiten und erschloss die Nase des Japaners.

Vorsichtig glitt er das Nasenbein entlang, nahm die zweite Hand hinzu und strich die Augenbrauen nach, betastete die Stirn und fuhr sanft in den Haaransatz.

Tatsuha erschauderte.

Die Berührungen des Jungen waren so weich, so zärtlich. Er hatte die Augen längst geschlossen und genoss das warme Prickeln der Sonnenstrahlen, vermischt mit den zärtlichen Berührungen auf seiner Haut.

Eine Weile fuhr Alex durch sein Haar, zupfte darin herum, beugte sich schließlich vor und roch daran. Er kicherte leise, ein helles und kindliches Lachen, welches Tatsuha einen Schauer über den Rücken jagte.

Alex vergrub sein Gesicht in der schwarzen Mähne, leckte forschend über die weichen Strähnen und gelangte schließlich wieder zur Stirn, glitt herab und seine warmen Fingerkuppen fuhren suchend über Tatsuhas halbgeöffneten Mund, erkundeten die Mundwinkel, verharrten kurz und erforschten dann die kleine Kuhle unter der Lippe, strichen über das Kinn und setzten ihre Erkundung zum Hals hin fort.

Tatsuha hielt den Atem an.

Die spitzen Finger seines Gegenübers hatten seine Halsbeuge erreicht und prüften vorsichtig die Festigkeit seiner Haut. Der Japaner wand sich unter den Berührungen des Blinden, denn ihm war unlängst klar, dass Alex seine Erregung spüren musste.

Alex hielt inne:

„Tatsuha... is it... unpleasent for you?“, fragte er ein wenig unsicher und leichte Enttäuschung schwang in seiner heiseren Stimme.

Tatsuha atmete hörbar aus, schüttelte dann den Kopf und presste mühsam eine Antwort hervor:

„No... its just....“, er brach resignierend ab, versuchte so etwas wie Scham in sich zu finden, gab nach einer Weile jedoch vergebens auf.

Alex schenkte ihm ein wissendes Lächeln, beugte sich vor und widmete sich erneut dem Körpers des jungen Japaners, welcher ihn so faszinierte.

Behutsam strich er über die schmale Brust seines Gegenübers, glitt weiter nach unten und nach kurzem Überlegen schob er keck das enge Shirt nach oben.

Überrascht, von der makellosen Glätte der sich ihm nun bietenden Fläche, fand der Junge den Bauchnabel des Japaners, ließ seine Finger in kleinen Kreisen um ihn tanzen und musste ein glucksendes Lachen zur Kenntnis nehmen.

„Sorry... but I’m... I’m ticklish there...“, kicherte Tatsuha und versuchte sich spielerisch der zärtlichen „Tortur“ zu entziehen.

Ein kindliches Lächeln trat auf Alex’ zartrosa Lippen und erhellte seine Züge. Dann nickte er und fuhr mit den Fingerspitzen nach oben, erreichte die Brustwarzen des jungen Mönches und strich forschend und neugierig über den samtigen Vorhof.

Tatsuha unterdrückte mühsam ein Stöhnen, biss die Zähne aufeinander und krallte sich verzweifelt in die dichten Halme unter ihm.

Er keuchte, als der junge Deutsche den erhärteten Nippel zwischen seine schlanken Finger nahm und zärtlich hineinkniff.

Alex nahm den Laut lächelnd zur Kenntnis und glitt zur anderen Brustwarze, erforschte sie auf dieselbe Art und Weise und musste erstaunt feststellen, wie viel Lust es ihm bereitete, den jungen Mann unter ihm zu erforschen und derart zu erregen.

Dann fuhr er mit seinen ganzen Handflächen die schmalen Seiten Tatsuhas entlang, wanderten die Lenden hinab und ertasteten den rauen Jeansstoff, die schlanken und muskulösen Schenkel darunter, als er plötzlich hart an den Schultern gepackt wurde.

Anfangs erschrocken, fand er sich recht schnell in einer stürmischen Umarmung wieder, drückte sich gegen die nackte Brust des Japaners und erschauderte lustvoll.

„Let me... kiss...!“, wisperte Tatsuha verzweifelt heiser und im Zustand völliger Erregung in das Ohr des blonden Knaben, leckte mit der Zungenspitze sanft darüber und nahm befriedigt ein Nicken entgegen.

Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl, die warmen Lippen Alex’ auf den seinen zu spüren. Hitzewellen, glühender Lava gleich, schossen durch Tatsuhas Körper und er bettelte ungeduldig um Einlass.

Ein wenig scheu öffnete Alex seine schmalen Lippen, spürte wie Tatsuhas schlanke Zunge in seinen Mund glitt und genoss die weichen Berührungen, die zärtlichen Liebkosungen und erfreute sich der weichen Wärme unter seinen Fingern, als er über Tatsuhas Brust strich.

Nach einer schieren Ewigkeit lösten sich ihre Münder, holten kurz Atem, um sich sofort erneut zu einen.

Dann ließ Alex seinen Kopf auf Tatsuhas Brust sinken, lauschte dessen Herzschlag und ließ den Japaner gewähren, der seine Finger über seinen Rücken tanzen ließ.

Lange Zeit lagen sie so, eng aneinandergedrückt und beschützt, gehalten von den Armen des anderen, umwoben von der Decke des Lichts.
 

Es war bereits dunkel als Tatsuha erwachte. Alex lag noch immer auf seiner Brust, atmete flach und ruhig.

Der junge Japaner fröstelte, griff neben sich und angelte sein T-Shirt aus dem längst nebelfeuchten Gras. Er stupste den blonden Jungen liebevoll an:

„Hey.... wake up!“

Verschlafen öffnete der Geweckte die Augen, gähnte leise und lächelte Tatsuha an, als ganz plötzlich eine Veränderung in dem jungen Gesicht vor sich ging.

Mit einem Mal wich alle Farbe von den rosigen Wangen, die Lippen wirkten weiß, fast durchsichtig und die Haut schien grau und eingefallen.

Ein plötzlicher Hustenanfall schüttelte Alex, ließ ihn fast ersticken.

„Whats going on??? Alex, tell me.... Alex...“, brachte Tatsuha vollkommen fassungslos hervor, versuchte den Knaben zu stützen und wurde grob zur Seite geschubst.

„Nothing... I’m... okay!“, fauchte Alex und erhob sich umständlich.

Einen kurzen Augenblick schwankte die blasse Gestalt, verlor dann das Gleichgewicht und fiel nach vorn. Blitzschnell reagierte Tatsuha und streckte die Arme aus, riss sich herum und federte den Sturz des blonden Jungen durch seinen eigenen Körper ab.

Tatsuha stöhnte gepeinigt auf, ignorierte den rasenden Schmerz in seinem Rücken und stemmte Alex unbeholfen hoch, hievte ihn auf seine Arme und begann sich orientierungslos im Kreis zu drehen.

Der Junge in seinen Armen hatte die Augen geschlossen und die Lippen lagen fest aufeinander.

„Alex, please... tell me what to do...!“, wimmerte Tatsuha hilflos und ging in die Richtung, in der er den Ausgang vermutete.

Aber die Antwort blieb aus.

Panik ergriff den jungen Japaner während er sich keuchend und verzweifelt rufend durch das dichte Gestrüpp kämpfte. War der Weg hinwärts auch schon so lang gewesen? Waren denn nach Einbruch der Dunkelheit alle Menschen aus diesem Gott verdammten Park verschwunden?

Angstschweiß stand auf Tatsuhas Stirn als er endlich das Licht einer Laterne durch das dichte Blätterwerk schimmern sah. Er atmete hörbar auf, wissend das er noch nichts gewonnen hatte und drückte den kalten Körper dichter an seinen eigenen, während die ganze Zeit ein einziger Gedanke in seinem Kopf tobte:

*Was ist passiert?*

Schnaufend erreichte Uesugi-san den Kiesweg, drehte sich einmal im Kreis und war erstaunt plötzlich Alex’ dünne Stimme zu vernehmen:

„Tat..su...ha.... straight, to the fountain... can you see... can you see the lights, the big building across the pebbleway?“ Alex stöhnte schmerzerfüllt auf und Tatsuha verstand, wendete und rannte auf die Lichter zu.
 

Das riesige Haus erhob sich schwarz und bedrohlich gegen den sternenübersäten Nachthimmel. Tatsuha war unsicher dieses Gebäude flößte ihm Angst ein, als er plötzlich das rote Kreuz über dem Eingang sah.

Entschlossen steuerte er auf die Milchglastüren zu, betrat die warme Eingangshalle und veranstaltete ein ohrenbetäubendes Gebrüll in seiner Muttersprache.

Augenblicklich strömten Schwestern und Ärzte auf ihn ein, entrissen ihm den kalten Körper des Jungen und stießen ihn grob auf einen der abgelegenen Plastiksitze.

Dann wurde es still.

Tatsuha wusste nicht, wie oft in den nächsten drei Stunden eine Schwester oder ein Doktor kam, ihn nach seinen Personalien oder dem vergangenen Tag fragte.

Er wusste auch nicht, wie oft er was antwortete, was er fühlte... wer er war.

Seine Gedanken galten einzig dem schönen, blonden Knaben, der sich unsicher an seine Seite gedrückt hatte; dem schönen, blonden Knaben, der ihn berührt und hitzig erregt hatte; dem schönen, blonden Knaben, der kalt und ohnmächtig in seinen Armen gelegen hatte.
 

Irgendwann legte sich eine Hand auf seine Schulter, ein zweite strich behutsam über seinen zerwühlten Schopf und Shuichis Stimme flüsterte tröstende Worte in sein Ohr.

Bis er es nicht mehr aushielt.

Entschlossen stand er auf, sah sich suchend nach einem Arzt um, wollte zum, Schwesternschalter, als er von seinem großen Bruder zurückgehalten wurde:

„Warte Tatsuha. Wo willst du hin?“, erklang Eiris Stimme und eine starke Hand senkte sich auf seinen Arm.

Zornig drehte sich Tatsuha um, funkelte seinen Bruder an und antwortete trotzig:

„Nach Disneyland, Micky und Donald warten schon seit Stunden.“, fauchte er und versuchte vergeblich sich loszureißen.

„Nach Alex fragen, was glaubst du denn?“, schrie er dann und weckte Shuichi aus seinem Dämmerschlaf.

Eiri schüttelte den Kopf.

„Hör mir erst zu, dann sehen wir weiter!“, sagte der hochgewachsene Blondschopf und schob seinen jüngeren Bruder zielstrebig zu seinem angestammten Platz zurück, drückte ihn in die kalte Plaste, blieb selber stehen.

„Ich hatte vorhin eine kleine Unterredung mit dem leitenden Arzt der Kinder- und Jugend- AIDS- Station des städtischen Kreiskrankenhauses.“, begann er und erstickte mit einer mahnenden Handbewegung die nahenden Fragen seines Bruders.

„Er hat mir einiges über deinen Freund erzählt und ich finde wir sollten ihn jetzt nicht länger behelligen. Also...“, fuhr Yuki fort und ignorierte ein trotziges „Er ist NICHT mein Freund!“ von Tatsuha „Alexander Brinkmann ist heute auf den Tag genau 16 Jahre alt und ebenso lang HIV-positiv.“

Eiri machte eine kurze Pause, wartete vergeblich auf Protest und sprach dann leise weiter:

„Heute Morgen ist er aus dem Krankenhaus entschwunden und spurlos verschwunden. Die Ärzte leiteten eine Großfahndung ein, doch wie durch ein Wunder blieb er verschwunden.

Ziemlich seltsam, nicht war? Ein blinder Junge, der ganz allein durch die Stadt kommt?“

Yuki pausierte erneut, betrachtete seinen kleinen Bruder ein Weile und ließ sich dann neben ihm nieder.

Im Verlaufe Yukis’ Ausführungen war der junge Japaner immer mehr in sich zusammengesunken und hing nun wie ein verknautschtes Kuscheltier, eingefallen und müde in dem harten Sitz.

„Tatsuha, Alexander war nicht immer blind! Erst vor kurzem griff der Aidsvirus um sich und begann sein Sehzentrum anzugreifen, bis Alex schließlich vor acht Wochen völlig erblindete.“

Fuhr Shuichi sanft fort und streichelte zärtlich den Rücken seines Sitznachbarn.

„Wo... ist Alex...jetzt?“, fragte Tatsuha abgehackt und spürte wie heiße Tränen gefrorener Wut seine Augen verließen und seine Wangen hinabglitten.

Shuichi antwortete nicht.

Eiri schwieg.

„Wo zum Teufel ist Alex?“, brüllte Tatsuha in die menschenleere Empfangshalle und sprang auf. Shuichi setzte ihm nach, wollte ihn erneut umarmen, doch Tatsuha schüttelte ihn energisch ab:

„Wo ist Alex?“, wiederholte er noch einmal, leise und lauernd.

Nun ergriff Yuki erneut das Wort:

„Es tut mir leid, Alexander ist vor einer Stunde seiner Krankheit erlegen!“

Die Worte hallten wie Schreie in Tatsuhas Kopf wider.

„Seiner Krankheit erlegen???“

Er keuchte.

„Seiner Krankheit erlegen?? SEINER KRANKHEIT ERLEGEN???“, brüllte er und zerriss erneut die duldsame Stille des Krankenhauses.

„ER IST TOT!! ER IST, VERDAMMTE SCHEIßE, TOT!!!“, schrie Tatsuha. Immer und immer wieder, bis er heiser wurde und seine Stimme versagte.

Tränen strömten nun auch aus Shuichis Augen.

Yuki erhob sich, schritt auf seinen gebrochenen Bruder zu und nahm ihn in den Arm, presste ihn dicht an sich und hielt ihn fest.
 

Es mussten Stunden vergangenen sein, als Tatsuha endlich das dunkle Zimmer betrat.

Es war unheimlich, nur drei rote Kerzen brannten auf dem kahlen weißen Nachtschränkchen und warfen ihr unstetes Licht an die weißgeputzte Wand.

Kahl und kalt strömte das Zimmer eine unbequeme Atmosphäre aus. Keine Blumen auf dem Tisch, keine Bilder an der Wand, nur die kahlen Möbel... und das Bett.

Zitternd ließ sich der junge Japaner davor nieder bettete den Kopf neben den schmächtigen Körper und nahm die schmale, weiße Hand in die seine.

„Alex...“, krächzte Tatsuha heiser und erneut kochten Tränen aus ihm hervor. Tränen, so heiß wie die Angst, wie die wogende Leidenschaft und das glühende Vergehen. Tränen, so heiß wie der Tod.

Eine Weile war es still, nur das leise Schluchzen des jungen Mannes durchbrach gelegentlich die Stille und hallte vielfach gebrochen von den kalten Wänden wieder.

Dann erhob sich Tatsuha, ließ noch einmal seinen Blick über die schmale, eingefallene Gestalt gleiten, erinnerte sich der einstigen Schönheit und beugte sich über den leblosen Körper:

„Ich liebe dich...“, flüsterte er leise gegen die erkaltete Haut und bettete seine erhitzten Lippen für einen Moment auf die des blonden Knaben.

Dann trat Tatsuha einen Schritt zurück, spürte wie sich ein Lächeln in sein Gesicht stahl und mit geschlossenen Augen verließ er das Zimmer, das Krankenhaus, die Stadt und das Land, noch am selben Abend.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jaguchi
2011-05-17T22:21:15+00:00 18.05.2011 00:21
Oh neiiin, wie traurig! *tränen*
hab mich mal durch deine Fanfics geklickt.
Die is wirklich toll, total schön geschrieben, und total gefühlvoll. Als ob man daneben stehen würde.
und sooo traurig! *schieftrieftaschentuchtropf*
Echt genial.
Auch die wird ein Fav!


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