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Ganz in Weiß

Doctor's Diary
von

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Ganz in Weiß

Die Sonne erhellte den großen Raum in dem sie stand und spielte in den Kristallen des Kronleuchters über ihr. In den Schränken an den Wänden glitzerten die kostbaren Gläser und die goldenen Bilderrahmen, die die teuren Gemälde zierten, passten zu der großen, goldenen Uhr in der hinteren Ecke, welche unaufhörlich tickte, während sie sich ihre weißen Schuhe anzog und auf den großen Wandspiegel zuging.

Es war bereits das dritte Mal diese Woche, dass Gretchen ihr Brautkleid anzog. Hätte ja sein können, dass die zwei Tafeln Schokolade am Tag schneller auf die Hüften gingen, als sie sich das ausgerechnet hatte! (So wie immer eben.) Es passte wie angegossen. Aber... Gretchen drehte sich nach links und versuchte so über die Schulter zu gucken, wie es Kate Winslet, die mittlerweile übrigens definitiv schlanker war als sie, es auf dem einen Bild in der Gala gemacht hatte. Irgendetwas stimmte nicht. Sorgsam darauf achtend, dass ihr Kleid keine Falten bekam ließ sie sich auf den Hocker hinter sich sinken und fuhr sich nervös durch die langen, blonden Haare die sie vorhin aus ihrer Hochsteckfrisur befreit hatte, um ihren Hochzeitstag schon einmal authentisch vor sich sehen zu können. Ihr Blick fiel noch einmal kurz auf den großen Wandspiegel, der sie ihrer Vermutung nach aus purer Bosheit so müde und aufgequollen aussehen ließ, bevor sie in die Tasche ihrer Jacke griff, die an dem stummen Diener zu ihrer rechten hing und ihr Tagebuch heraus zog. Es war brandneu. Das alte lag jetzt zu Hause unter ihrer Matraze, wo ihre Mutter es wahrscheinlich schon wieder gefunden hatte, aber das war ihr egal, denn die letzten Seiten waren nur mit Details über die bevorstehende Hochzeit gefüllt worden. Das neue Büchlein hatte noch keine Eselsohren. Es war schwarz. Gretchen hatte noch nie ein schwarzes Tagebuch gehabt, aber es war Wochenende, da hatte nur der Kiosk am Bahnhof offen und der hatte keine anderen gehabt. Sie brauchte nun mal ein Tagebuch. Vielleicht würde sie einfach ein paar bunte Sticker drauf kleben. Seufzend schlug sie das kleine Büchlein auf und fing vorsichtig (Kugelschreiberflecken auf Brautkleidern gehen ja nun mal gar nicht) an zu schreiben.
 

Liebes Tagebuch,
 

bald ist es so weit: Ich werde heiraten! Ja, diesen Satz hast du jetzt bestimmt schon hundert Mal gehört, aber ich kann es immer noch nicht glauben. Ich, Gretchen Haase, werde einen Millionär heiraten! Wer hätte das gedacht? Was wohl die anderen aus der Schule dazu sagen würden? Am liebsten würde ich ja eine Rund-Mail an alle schreiben, aber eigentlich reicht es, wenn ich es Susanne sage und die macht das dann über ihr komisches Klassenportaldingens. Ihr geht es jetzt ja zum Glück auch schon wieder viel besser und ein bisschen Tratsch tut der Frauenseele doch ganz gut und da opfere ich mich doch gerne. :-)

Es ist einfach so ganz anders, als mit Peter damals. Alexis würde mich nie betrügen. Er liebt mich und würde mir nie weh tun und jetzt, wo ich mich so gut mit seiner Mutter verstehe, kann es ja eigentlich nur noch besser werden!

Apropos. Meine Mutter lässt keine Gelegenheit aus mir zu sagen, dass sie ja sooooo froh ist, dass ich jetzt Alexis und nicht doch Marc heiraten will. Sie sagt Marc hätte mich am Ende eh nur betrogen, genau wie Peter (hat wohl vergessen, dass sie den damals noch angeschleppt hat, damit sie schnell Enkelkinder bekommt.) Hab dann gesagt, dass ich auch froh bin und mich weiter um die Blumen gekümmert. Ich bin ja auch froh. Wirklich. Aber...
 

Gretchen atmete tief ein und begann auf ihrer Unterlippe zu kauen.
 

... wenn sie so etwas sagt, dann denke ich natürlich darüber nach, was hätte sein können. Was wenn Marc sich doch noch ändert? Was wenn er drei Tage nach meiner Hochzeit morgens aufwacht und plötzlich merkt dass er mich liebt? Was mach ich dann? Dämliche Erfindung diese 'Jugendliebe'. Hört nicht auf, auch wenn man einen tollen Mann findet der einen heiraten will und sämtliche Sorten Schoki auf Wunsch Lastwagen-weise ankarren kann. Total unpraktisch. Muss dringend was dagegen tun. Im Keim ersticken sozusagen. Lange Flitterwochen sollten helfen. Hoffe ich. Alexis liebt mich und ich will-
 

"Du trägst ein Brautkleid?", fragte eine Stimme von rechts.

"Uhm, ja? Ich heirate?!", antwortete Gretchen, erstaunt. Sie hatte niemanden reinkommen hören und hob den Kopf. "Huh?"

In dem großen Spiegel vor ihr stand ein kleines, blondes Mädchen in einem rosa-rot gestreiften Strickpulli, mit einer Schleife am Kragen und einem knielangen, schwarzen Rock. Darunter trug es eine geringelte Strumphose und rote Riemchenschuhe an den Füßen. Es lächelte sie an, so dass Gretchen die silberne Zahnspange erkennen konnte.

"Eigentlich sollte mein Kleid viel mehr Rüschen haben!", fuhr das Spiegelbild fort und musterte das sitzende Gretchen mit einem prüfenden Blick.

"Rüschen sind nicht mehr in Mode...", erwiderte Gretchen langsam, fast automatisch und schüttelte ein paar Mal den Kopf, in der Absicht das Trugbild zu verscheuchen. Sie blinzelte. Ein Mal. Zwei Mal. Drei Mal. Nichts. So viel Alkohol konnte doch in den Rumkugeln vorhin gar nicht drin gewesen sein. Ein Traum vielleicht? Oder hatte sie etwa das Zeug eingeatmet, welches der Nachbar nun schon seit Stunden auf seine Pflanzen spritzte? Oh Gott, was wenn sie etwas am Gehirn hatte? (Verdammte hypochondrische Tendenzen!) Sie sollte am besten gleich Frau Doctor Hassmann anrufen und-

"Na ja, so lange es Marc gefällt." Die Halluzination zuckte grinsend mit den Schultern.

Wider besseres Wissens fühlte sich Gretchen dazu gezwungen zu antworten. Wäre ja noch schöner, wenn jetzt auch schon ihre Halluzinationen die beiden Themen "Hochzeit" und "Marc" in einem Atemzug erwähnten! (Atmen Halluzinationen eigentlich? Diese Frage lieber nicht Frau Doctor Hassmann stellen, sonst weist sie mich noch ein. So kurz vorm großen Tag wäre das irgendwie unpassend.)

Sie stand auf, legte ihr Tagebuch auf den Hocker und verschränkte die Arme über der Brust "Äh, ich werde nicht Marc heiraten?!"

"WAS?" Das Lächeln der Halluzination verzog sich zu einer fast schmerzhaft aussehenden Grimasse. Gretchen gab sich größte Mühe nicht zusammen zu zucken.

"Ich heirate Alexis von Buren. Er ist Millionär" (Das Argument zieht doch eigentlich immer.)

"Aber das geht nicht!" Wenn sie es nicht besser wüsste, dann hätte Gretchen schwören können, dass das störrische Aufstampfen des Mädchens den Spiegel zum beben brachte.

"Ach und wieso nicht?"

"Ich will Marc!"

"Du bist erst 13!"

"Ich will aber Marc!"

"Das ist mir jetzt aber zu blöd. Das Leben ist nun Mal kein Wunschkonzert!"

Die Augen des Mädchens funkelten sie böse an und Gretchen machte einen Schritt nach hinten. (Wie albern, Angst vor einem Trugbild aus der Vergangenheit. Vielleicht sollte ich doch mal lieber mehr gesundes Zeug essen. Zu viel Schokolade vernebelt anscheinend den Verstand.) Fast wäre sie über den Saum ihres Kleides gestolpert. Sie versuchte es etwas hochzuraffen, um es nicht zu beschädigen.

Als das Mädchen wieder sprach, war seine Stimme ganz leise. "Wieso?"

Was sollte sie darauf schon sagen? (Wieso spreche ich überhaupt mit einem Traumgebilde?)

"Alexis liebt mich."

"Das ist kein Grund." Das Mädchen verschränkte nun ebenfalls die Arme vor der Brust und fixierte sie mit einem tadelnden Blick.

"Jawohl!" (Ha! Ich kann auch störrisch sein!)

"Aber ich liebe ihn nicht." Es klang fast ein wenig anklagend.

"Natürlich liebst du- ich... ich meine wir...." (Oh Gott, mein Leben ist ein Dr. Rogelt Roman!)

"Ich liebe Marc. Du liebst Marc."

"Marc ist ein Arschloch."

"Das hat dich noch nie abgehalten." Nun klang das Mädchen fast schnippisch, als ob sich Gretchen nicht selbst an die 45 Liebesbriefe erinnern konnte, welche sie trotz Marcs Gemeinheiten auf dem Schulhof, geschrieben hatte.

"Er liebt mich nicht." Gretchen blickte nach unten.

"Woher willst du das wissen?"

"Hallo? Ich heirate!?" Sie zeigte mit beiden Händen auf ihr Brautkleid. "Ich heirate einen anderen Mann! Wenn er mich lieben würde, dann sollte er doch ein einziges Mal in seinem Leben in der Lage sein über seinen Schatten zu springen und die Klappe auf zu machen!"

"Du weinst."

"Ich- was?" Gretchen fuhr mit der Hand über ihr Gesicht. Es war nass. "Uhm." (Was soll das denn jetzt? Ich bin glücklich! Ich bin glücklich! Ich bin glücklich!...)

Das Mädchen im Spiegel sah sie mitleidig an.

"Nur einmal." Gretchen schluchzte leise. "Nur einmal in meinem Leben verlange ich, dass Marc von sich aus auf mich zu kommt!" Sie zeigte anklagend, als würde Marc Meier persönlich vor ihr stehen mit einem zitternden Zeigefinger auf das Mädchen, während ihre andere Hand sich zur Faust ballte. "Er muss nur vorbei kommen oder anrufen. Irgendetwas. Wenn er nicht einmal das kann, dann ... ich kann doch nicht ewig auf ihn warten. Ich will glücklich werden! Alexis liebt mich und... ja, dafür liebe ich ihn auch."

"Aber es ist nicht das Gleiche."

Gretchen lies ihre Hand sinken und sah abermals resigniert zu Boden.

"Nein. Nein ist es nicht und es ist unfair gegenüber Alexis, aber..."

"Es ist Marc."

"Ja. Und er wird es immer bleiben. Doch wenn er dieses Mal nicht um mich kämpft, wenn ich ihm das nicht wert bin..." Als sie dieses Mal ihren Blick anhob spiegelte sich Entschlossenheit in ihren Augen wieder. "... dann werde ich Alexis die beste Ehefrau sein, die er sich nur wünschen kann."

Das Mädchen legte seinen Kopf ein bisschen zur Seite und sagte sehr leise, jedoch bestimmt: "Ich will aber Marc."

Gretchen wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und machte sich, ohne noch einmal in den Spiegel zu blicken daran ihr eigentlich perfektes, aber doch gleichzeitig so schrecklich falsches Hochzeitskleid auszuziehen. Sie ignorierte jeden weiteren Versuch der Halluzination mit ihr zu sprechen, versuchte nicht darüber nachzudenken, warum das Mädchen dann plötzlich anfing zu weinen und immer wieder einen Namen zu schluchzte, den sie schon so oft am liebsten aus ihren Gedanken verdrängen wollte...
 

...und als sie einige Tage später am Arm ihres Vaters die Kirche betrat, achtete sie nicht auf die kleine Stimme in ihrem Kopf die immer wieder verzweifelt rief: "Ich will aber Marc!"

"Willst du, Margarete Haase, den hier anwesenden Alexis von Buren zu deinem Ehemann nehmen und ihn lieben und ehren, bis das er Tod euch scheidet, so wahr dir Gott helfe?"

"Ja, ich will."
 

"Ich will aber Marc!"
 

"Ich will aber Marc!"
 

"Ich will aber Marc!"
 

-Ende-



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