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Island Lovers

~ Flüstern einer Tropennacht ~
von

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Tag 1

Warum war ich noch mal mitgeflogen?

Wenn ich dass noch wüsste…

Ich hielt mir die Hand schützend über den Kopf, als die Sonne trocken auf mich herab schien. Nein, knallte! Es war einfach verdammt heiß!! Und ich hatte definitiv zu viele Klamotten an. Aber noch waren wir ja auch noch nicht an unserer Ferienpension angekommen. Ich konnte es gar nicht abwarten ins kalte Nass zu springen, um meinen Körper etwas Abkühlung zu verschaffen.

Es war eine dumme Idee gewesen ausgerechnet im Sommer nach Hawaii zu fliegen. In Japan war es doch eh schon heiß genug, aber hier war es unerträglich. Warum taten sich Menschen so etwas nur immer wieder an? Die schwüle Luft der Wälder hing schwer über uns und ließ mich kaum noch atmen.

Ich will hier wieder weg…
 

Meine Familie war dieses Jahr auf die glorreiche Idee gekommen, ihren Urlaub doch mal auf Hawaii zu verbringen. Immerhin ist es nicht weit und man könnte sich in den Tropen doch mal ein bisschen Kultur zu gute tun und das Meer genießen.

Als hätten wir in Japan nicht genug Meer um uns herum! Wir sind doch auch nur eine Insel, genauso wie Hawaii!

Ich fluchte innerlich und knöpfte mein Hemd auf, sodass die leichte Brise auf meine nackte Haut darunter fahren konnte. Ich hoffte dass ich nach diesem Urlaub nicht aussah wie ein Indianer, denn meine Haut war einfach so anfällig auf zu viel Sonne, dass selbst die stärkste Sonnenmilch kaum etwas brachte. Braun wurde ich fast nie, eigentlich immer nur rot…

„Na, kleiner Bruder? Schon ein Auge auf irgendwelche tropischen Schönheiten geworfen?“, fragte plötzlich eine Stimme direkt neben mir. Bevor ich ihn aufhalten konnte, lag seine Hand auch schon in meinen Haaren und verwuschelte diese. Wofür hatte ich sie heute Morgen noch mal frisiert?

„Ich bin nicht du, Kenjirou-niichan!“, fauchte ich, mich verzweifelt aus seinem Griff befreiend. Bei dieser Hitze war jegliche körperliche Nähe einfach unerträglich.

Kenjirou lachte, der Idiot.

„Dafür werden wir ja auch jetzt zwei Wochen noch Zeit haben, was?“

Mein Bruder war wie immer bester Laune. Er war bereits 25, hatte noch keine Freundin - zumindest keine, die er auch heiraten würde - und zog mich so oft er konnte mit meiner „absoluten Unerfahrenheit“ auf, wie er es so schön bezeichnete. Dabei wusste der Kerl doch überhaupt nichts über mich. Glaubte er wirklich, dass ich mit 17 noch Jungfrau war? Ich erzähle ihm doch nicht alles! Wer bin ich denn, dass ich ihm solche Sachen auf die Nase binde?!

Ich raffte mich von ihm los und setzte mich auf einen anderen Platz.

Wir fuhren gerade mit einem Bus vom Flughafen zu unserer Unterkunft, der exklusiv für Gäste dieses Hotel war. Was für ein Luxus…

Hoffentlich hatten die dort einen Pool. Und wehe ich hatte nicht mein eigenes Zimmer! Ich würde es keine zwei Wochen zusammen mit meinen Eltern, oder noch schlimmer, meinem Bruder, in einem Zimmer aushalten! Lieber würde ich im Wald schlafen oder im Bad, da ist es wenigstens trocken…

Nach einer Weile lichtete der tropische Wald sich etwas und zwischen den Palmen konnte man plötzlich ein Haus sehen. Es war aus dunklem Holz erbaut – na hoffentlich gab es nie ein Feuer – hatte an fast jedem Fenster der Frontseite einen Balkon und wies einen netten, sehr europäisch aussehenden Garten auf, wobei mir direkt auffielen, dass die meisten Blumen dort schon verwelkt waren. Klar, bei so viel Sonne. Und es war ziemlich groß, wenn man es mit den anderen verglich, an denen wir vorbei gefahren waren und worauf ebenfalls „Hotel“ gestanden hatte. Warum noch mal hatten meine Eltern sich kein Hotel aus Stein in einer großen Stadt genommen? Ach ja! Weil sie „Kultur erleben“ wollten.

Und jetzt saßen wir hier in der Einöde fest. Das würde bestimmt ein schöner Urlaub werden.

Der Bus hielt vor dem Hotel an und wir stiegen, zusammen mit ein paar anderen Gästen aus. Anscheinend fuhr der Bus auch in die nächste Stadt und setzte die Touristen dort zum Einkaufen ab. Gut, davon würde ich viel Gebrauch machen. Während die anderen Gäste direkt auf ihre Zimmer verschwanden, warteten wir vorne in der Eingangshalle darauf, dass uns jemand abholte. Immerhin wussten wir ja nicht welche Zimmer wir hatten. Noch einmal: Ich hätte gerne eines für mich!

Die Eingangshalle erstreckte sich einmal quer durch das gesamte Gebäude. Sie war auf beiden Seiten verglast, sodass sie nur so vom Tageslicht durchflutet wurde und man außerdem zu beiden Seiten in den Tropenwald blicken konnte, als wenn man von dem nicht schon genug gesehen hätte bei der Fahrt hier her. Es gab zwei Treppen links und rechts, die wahrscheinlich nach oben zu den Zimmern führte, denn die einzigen zwei Türen hier unten wiesen nur Schilder mit den Aufschriften "Privat - Zutritt verboten." und "Speisesaal" auf. Wobei die Tür zum Speisesaal direkt rechts neben der Eingangstür war und die Privatzimmer genau gegenüber lagen. Direkt in der Mitte der Eingangshalle stand ein Rundell als Rezeptionstisch. Ich vermutete mal, dass die Portiers genau in der Mitte des Tisches standen und so die Gäste nach außen hin bedienten. Warum ich das nur vermutete? Nun ja, momentan stand dort halt kein Mensch. Die Eingangshalle war leer. Es saß niemand auf den roten Ledersesseln, die überall im Raum verteilt standen, noch kümmerte sich jemand darum, dass die Palmen Wasser bekamen, denn sie sahen ganz schön vertrocknet aus in meinen Augen und ich bin kein Fachmann.

„Ah, hallo! Sie müssen die Familie Higashi sein, richtig?“, fragte plötzlich eine Stimme direkt hinter mir und ich drehte mich erschrocken um. Die alte Frau lächelte uns freundlich an und ging zur Rezeption, blickte kurz in das dort liegende Register und gab uns dann die Zimmerschlüssel.

„Drei Zimmer, Vollpension. Richtig?“

Drei Zimmer?! Yes! Volltreffer! Danke, Gott!

„Äh, also eigentlich hatten wir nur zwei gebucht.“, warf meine Mutter plötzlich unsicher ein.

Nein!! Bitte, nicht! Ich werde keine zwei Wochen mit meinem Bruder in einem Zimmer verbringen! Vorher sterbe ich lieber!

„Ach, ja, ich erinnere mich.“, stimmte die Alte ihr zu und meine Mutter wirkte erleichtert, „Aber als ich das alter der beiden Jungen las, dachte ich, sie hätten beide lieber ein eigenes Zimmer. Immerhin ist der Altersunterschied schon ganz schön groß und die Interessen bestimmt sehr verschieden. Wir haben leider für jedes Zimmer nur einen Schlüssel, daher müssten sie immer gleichzeitig abends hier her zurück kommen, und das wäre doch schon ein wenig lästig, meinen Sie nicht?“

Woher kannte sie nur meine Gedanken? Die Alte schickte Gott persönlich!

„Ja, aber die Kosten…“, entgegnete meine Mutter sofort.

„Da machen Sie sich keine Sorgen. Es kostet sie nichts.“

„Sie geben uns einfach so ein weiteres Zimmer? Kostenlos?“, fragte nun auch mein Vater etwas überrumpelt nach.

Die Alte lächelte und nickte.

„Das ist doch super!“, rief ich aus, noch bevor meine Eltern wieder irgendetwas einwerfen konnten, was diese schicksalhafte Fügung ruinieren konnte, „Ich danke Ihnen vielmals!“

„Nichts zu danken. Ich tue das gerne. Es gab schon so oft Fälle mit jungen Menschen, die sich nachts gestritten hatten, weil jeder den anderen nicht mehr ertrug. So ist es mir persönlich auch lieber, müssen Sie wissen.“

Mein Vater wirkte skeptisch, nahm aber dann alle drei Schlüssel an sich: „Also gut. Dann danke ich Ihnen für Ihre Gastfreundlichkeit!“

Die Alte nickte.

„Kalea! Könntest du der Familie Higashi ihre Zimmer zeigen?“, rief sie dann Richtung Esszimmer und entschuldigte sich dann, sie hätte noch etwas zu erledigen.

Glücklich mit dieser Wendung der Dinge, schulterte ich meine Tasche und wurde direkt erst einmal wieder aufgehalten.

„Lass doch deine Tasche noch etwas stehen, Junge. Ich werde Sie kurz erst einmal herum führen, bevor sie sich auf ihre Zimmer zurück ziehen.“

Ich drehte mich wieder um. Im Türrahmen zum Esszimmer stand eine junge Frau mit langen, braunen Haaren und einem bezaubernden Lächeln auf den Lippen. Mein Bruder starrte sie an, von oben bis unten musternd. Klar. Sie war genau sein Typ, wobei ich gerade heraus vermuten würde, dass sie älter war als er, was wiederum nicht sein Typ war, aber definitiv eine interesannte Beziehung ergeben würde.

Ich grinste kurz und stellte meine Tasche wieder auf dem Boden ab.

„Mein Name ist Kalea. Ich bin die Tochter der Hotelbesitzer und Erbin. Es freut mich, sie als meine Gäste in unserem bescheidenen Hotel begrüßen zu können. Hier entlang bitte.“, stellte sie sich ganz förmlich vor und ich konnte das leuchten in den Augen meines Bruders sehen. Er war ihr hoffnungslos verfallen. Hoffentlich hatte sie nichts für langweilige Japaner übrig, sonst würde sie ihn in den nächsten zwei Wochen wohl nicht mehr loswerden.

Kalea führte uns einmal quer durch das Esszimmer, erklärte uns kurz wann es Mahlzeiten gab und zeigte uns auch unseren Tisch – auf der weiß bestickten Tischdecke stand ein kleines Nummernschild, dass der Zimmernummer meiner Eltern entsprach – und führte uns dann hinaus. Durch die Palmen am Ende der Terrasse konnte ich Wasser erkennen und tatsächlich: Ein Pool! Am liebsten wäre ich sofort hinein gesprungen, meine dann ziemlich nassen Sachen ignorierend. Aber ich glaube, wenn ich das getan hätte, hätten meine Eltern mich sofort ins nächste Flugzeug nach Hause gesetzt. Okay. Warum noch mal bin ich nicht hinein gesprungen?

„Der Pool ist täglich von acht bis zwanzig Uhr geöffnet. Bei Gewitter bitte ich sie allerdings das Außenbecken zu meiden. Es gibt noch einen weiteren Pool hinten im Wintergarten. Bitte kommen Sie doch weiter.“, erklärte Kalea professionell und zeigte uns dann die Sportplätze - wow, sie hatten hier doch mehr als ich erwartet hatte – und Gartenanlagen. Eigentlich war es hier ja gar nicht so schlecht… Abgesehen von der Hitze... Und der schwülen Luft... Und den viel zu grünen Palmen... Und dem nervenden Vögeln... Und, ach ich sollte lieber aufhören. Es war hier doch ziemlich scheiße.

Unsere Zimmer lagen auf der ersten Etage - ha, ich wusste ja die Treppen führen zu den Zimmern - mit Blick auf’s Meer, dass trotz der vielen Palmen gut sichtbar war. Ich nahm direkt das erste, das am nächsten zu der Treppe nach unten lag. So konnte ich jederzeit am schnellsten raus, falls diese Holzhütte doch noch abbrennen sollte.

Es war kein sehr großes Zimmer. Es gab ein Bett, einen kleinen Fernsehr und eine Sofaecke, sowie ein Badezimmer mit Dusche und Fenster. Die Wände des Wohn- und Schlafzimmers waren in einem sandgelb gehalten und mit einem schwarzen Muster bestückt, dass eigentlich nur die Tropen von draußen als Schatten wiederspiegelte. Warum musste hier nur alles so verdammt tropisch sein?! Das Bad war grün mit braunen Schränken aus Bambus oder sowas in der Art, und es hatte eine Badewanne und eine Dusche! Danke dafür!

Eigentlich war es ja ziemlich schön, für diese Gegend. Und für mich würde es schon reichen. Das Gute war immer noch, dass ich es für mich hatte. Ich warf meine Tasche vor den Schrank und öffnete erst einmal das Fenster gegenüber vom Bett. Eine kühle Brise zog durch das Zimmer und ließ mich kurz etwas leichter atmen, bevor die schwüle Hitze wieder von oben herab drückte. Wie lange es wohl noch dauern würde, bis die Sonne unter ging? Ob es dann wohl auch kühler wurde? Ich blickte auf meine Armbanduhr. Es war kurz vor fünf, also noch recht früh am Abend. Schnell zog ich meine lange Hose aus, tauschte sie gegen eine kurze und zog dann anstatt meines Hemdes, das inzwischen eh total durchgeschwitzt war, ein Muskelshirt an. Dadurch gab ich zwar der Sonne noch mehr Angriffsfläche, aber es war einfach angenehmer, als so viel anzuhaben! Noch schnell die Flippflops über die Füße und schon lief ich über den Flur zum Zimmer meiner Eltern, klopfte und öffnete dann die Tür.

Natürlich war ihr Zimmer sehr viel größer als meines, es gab sogar eine Minibar – wie gemein!

„Ich geh mal ein wenig die Gegend erkundigen.“, verabschiedete ich mich grinsend, ohne eine Antwort abzuwarten.

„Sei aber zum Abendessen bitte wieder hier.“, hörte ich meine Mutter noch sagen, als ich die Tür schon wieder schloss und mich auf den Weg nach draußen machte. Also bis zum Abendessen war es noch etwas mehr als eine Stunde… Keine Zeit um mit dem Bus noch in die Stadt zu fahren. Das würde ich wohl auf morgen verschieben müssen. Leider war der Pool so überfüllt, dass ich ehrlich gesagt gerade keine Lust hatte, mich zu diesen vielen Menschen zu gesellen. Ich wollte für mich sein. Also ging ich, mich immer wieder auf der Karte, die wir vorhin von Kalea noch bekommen hatten, orientierend - ohne sie hätte ich mich schon nach ein paar Metern verlaufen - ein Stück den Weg, den der Bus vorhin mit uns gefahren war, zurück und steuerte dann mitten in den Tropenwald. Um mich herum hörte ich die Vögel ihre Lieder trällern, der Wind fuhr immer wieder durch die Bäume und Palmen. Es war so friedlich... ätzend.

PLATSCH.

Ich horchte auf.

Was war das denn gewesen? Hörte sich an, als wäre etwas ins Wasser gefallen.

PLATSCH.

Schon wieder.

Langsam kämpfte ich mich durch die Sträucher und Gräser und Blumen. Das Geräusch kam in fast regelmäßigen Abständen. Ob da wohl ein paar Affen irgendwo ins Wasser sprangen, fragte ich mich und lief weiter. Dass ich dabei vielleicht hätte auf die Karte blicken sollen, damit ich die Orientierung nicht verlor, viel mir leider in dem Moment nicht mehr ein. Ich ging einfach immer weiter, dem lauter werdenden Platschen entgegen, bis sich eine Lichtung vor mir auftat, auf die ich hinaus treten konnte.

Und dann plötzlich sah ich ihn.

Er stand auf dem Felsen, hoch über einem kleinen See, der mit zwei Flussverläufen verbunden war, die anscheinend hier durch den Wald verliefen, und vom dem ein weiterer Fluß als Wasserfall sich in ihn ergoss. Seine gebräunte Haut passte perfekt zu der grünen Umgebung, genauso wie seine feuerroten Haare, die ihm bis über die Schultern zu fallen schienen. Er sah aus, als wäre er die Statur eines Gottes, in einer tropischen Landschaft der Träume.

Stocksteif stand ich da und starrte ihn an. Noch nie hatte ich einen so schönen Mann gesehen.

Und plötzlich sprang er, die Arme nach vorne gestreckt, mit dem Kopf zuerst in das Wasser, dass daraufhin hoch in die Luft schlug und in den Strahlen der Sonne einen Regenbogen bildete.

Es war ein Bild wie aus einem Märchen, von dem ich den Blick nicht wenden konnte.

Ich hörte das Zischen neben mir erst als es schon fast zu spät war. Ich sah den Kopf der Schlange, wie sie sich langsam einen Weg mein Bein herauf bewegte, fühlte den Griff einer starken Hand um mein Handgelenk und fiel.

Im nächsten Moment lag ich auch schon im Wasser und die Luft fuhr mir erschrocken aus den Lungen. Ich schluckte, wurde an die Oberfläche gezerrt und atmete keuchend und hustend das Wasser wieder aus.

Oh Gott! Was war gerade überhaupt passiert?!

„Geht es dir gut?“

Mein Herzschlag setzte kurz aus.

Langsam wandte ich mein Gesicht der Stimme zu.

Und vor mir stand, mich an einem Arm über Wasser haltend, der schöne Hawaiianer, den ich eben noch beim Sprung so bewundert hatte. Seine Augen waren ernst, als er mich prüfend anblickte. Sie waren so braun, wie seine Haut, und strahlten im Glanz der Sonne. Er hatte feine Tattoos unter seinen Augen, die aussahen wie Schatten, seine hohen Wangenknochen betonten und sein Gesicht nur noch schöner wirken ließen, als seine gesamte Statur von der weite es schon getan hatte.

Ich starrte ihn einfach nur an, unfähig etwas von mir zu geben, sodass der Fremde mich kurz am Arm schüttelte und seine Frage wiederholte.

Seine Stimme klang wie Musik in meinen Ohren.

Noch immer kamen keine Worte über meine Lippen, ich war wie in Trance. Ich musste auf ihn bestimmt wie ein Trottel wirken, ein stummer Trottel, der einen Fremden anstarrte, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Oh Gott, war das peinlich.

Aber, konnte es sein, dass dieser Mann mich ebenso musterte, wie ich ihn?

Seine Augen wichen kaum den meinen, seine Hand lag immer noch um mein Handgelenk, wie im festen Klammergriff. Ich hätte mich also nicht los reißen können, selbst wenn ich gewollt hätte. Und er schien dass auch zu merken, denn plötzlich überwandt er die wenigen Zentimeter, die unsere Gesichter von einander getrennt waren und ich fühlte seine weichen Lippen auf den meinen.

Und meine Sinne schwanden.

Mein Herz schlug wild gegen meine Brust und ich schloss automatisch die Augen.

Er war so nah, die Sonne auf meiner Haut fühlte sich kalt an gegen die Hitze seiner Hand um mein Gelenk und seiner Lippen, die sich langsam auf meinen bewegten.

Ich könnte jetzt natürlich erzählen, dass die Zeit still gestanden hat und so einen Blödsinn, aber so war es nicht. Stattdessen kam es mir so vor, als wäre sie viel zu schnell auf einmal vergangen, als sich seine Lippen plötzlich lösten und er wieder Abstand zwischen uns brachte.

Ein Glück dass ich eh schon im Wasser stand, ansonsten hätte ich jetzt dringend eine Abkühlung gebraucht, denn meine Wangen brannten und mein ganzer Körper schien zu beben.

Hatte ich mir das eben nur eingebildet? Hatte dieser Fremde mich wirklich gerade geküsst? Ich schien wie in einem Traum festzustecken. Doch es war alles andere als ein Alptraum.

Langsam ließ der Mann mein Handgelenk los und lächelte: „Und? Wieder bei Verstand?“

War das etwa Ironie in seiner Stimme?

Ich nickte nur, schluckte kurz, räusperte mich und brachte endlich wieder Worte aus meinem Mund.

„Ja, danke.“

„Wofür?“

Ja, wofür eigentlich? Dass er mich gerettet hatte, wovor auch immer, oder etwa für den heißesten Kuss, den ich je hatte, und das obwohl er noch nicht einmal mit Zunge war?!

Ich wurde rot und wandte meinen Blick ab.

„Dir scheint die Sonne wohl nicht zu bekommen, Knirps.“

„Was?!“

Sofort blickte ich ihn wieder an, der Schalk stand in seinen Augen.

„Ich bin kein Knirps! Ich gehe bereits in die 12. Klasse! Und ich heiße Higashi Haizo!“, entgegnete ich etwas zu gereizt. Warum regte mich dass jetzt so auf?

„Haizo. Ein schöner Name.“

Es war, als würden tausende kleiner Schmetterlinge in meinem Bauch Samba tanzen, als er meinen Namen aussprach. Wie machte er dass nur? Wie schaffte er es, dass mich jedes seiner Worte etwas mehr Besinnungsunfähig machte?

„Also dann, Haizo. Ich wünsche dir hier auf Hawaii einen besonders schönen Aufenthalt.“ Und damit küsste er mich noch einmal kurz auf die Lippen und verschwand.

Ich stand noch mehrere Minuten geschockt und mit wild pochendem Herzen im Wasser, bis das Platschen eines ins Wasser springenden Affen – ha! Ich hatte es ja gewusst! – mich aus meinem Tagtraum holte.

Hatte ich mir das alles nur eingebildet?

Ich hob eine Hand berührte meine Lippen.

Nein.

Ich war mir ganz sicher, dass dieser Mann echt war.

So etwas konnte man gar nicht träumen.

Als ein Frösteln durch meinen Körper lief und entschied ich mich, dass Wasser zu verlassen und mir einen Weg zurück zum Hotel zu suchen. Meine Gedanken blieben bei dem eben erlebten, und meine Füße gingen ganz allein durch den Wald, fanden problemlos zurück auf die Straße, was ich wahrscheinlich mit meinem Kopf nicht geschafft hätte, und führten mich zurück in die Pension. Es war bereits nach sechs, als ich mich zu meinen Eltern setzte und mir etwas zum Abendessen bestellte. Ich hörte ihre Fragen gar nicht. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, was ich überhaupt angezogen hatte, geschweige denn, dass ich mich umgezogen hatte. Ich bemerkte irgendwann nur, dass ich etwas trockenes an hatte. Vielleicht hatten meine Eltern mich ja auch noch mal nach oben geschickt oder so. Ich weiß es einfach nicht mehr. Alles woran ich denken konnte waren diese tiefbraunen Augen, dieses Lächeln, diese Lippen, diese starke Hand, die mich festhielt, mir halt gab, diese Lippen... Okay, das sagte ich bereits.

Ich kann mir gut vorstellen, dass ich während des Abendessen ziemlich oft mit meiner Zunge über die meinen gefahren bin, nur um mich an das Gefühl der seinigen zu erinnern.

„-zo…“

Ich stocherte mehr in meinem Salat herum, als dass ich ihn as.

„Haizo.“

Die Stimme meiner Mutter und der Ellbogen meines Bruders in meiner Seite, holten mich aus meinem Tagtraum heraus und ich bemerkte zum ersten Mal mein Umfeld wieder.

„Ihr Sohn ist ja ganz schön verträumt. Ist er immer so?“

Nein!

Das konnte nicht sein!

Ich riss die Augen weit auf und starrte nach oben.

Direkt neben mir stand der schöne Hawaiianer.

Aber wie…?!

„Ach, nein, normalerweise ist er nicht so.“, winkte meine Mutter peinlich lächelnd ab.

„Mh… Dann hoffe ich mal, dass diese Verträumtheit nicht öfter auftritt. Das kann hier in Hawaii ganz schön gefährlich werden.“

Mein Mund stand weit offen.

Was war das heute nur für ein Tag?!

„Ähm…“, setzte ich unsicher an und hoffte, dass niemand außer mir meinen viel zu schnellen Herzschlag hörte. Der junge Mann blickte von meiner Mutter zu mir und sein Blick brannte auf meiner Haut.

„Könnte ich erfahren, wie Sie heißen?“, fragte ich und versuchte meine zitternde Stimme zu verbergen.

Der Mann lächelte süffisant.

„Aber Haizo!“, zischte meine Mutter empört, „Das ist doch Luan! Der Sohn der Hauswirtin! Er hat uns doch heute Mittag mit dem Bus vom Flughafen abgeholt und hier her gefahren! Weißt du dass denn nicht mehr?!“

„Was?“

„WAS?!!!“, schrie ich beinahe und stand auf.

Kenjirou lachte, mein Vater hielt sich eine Hand für die Lippen, um seines zu verbergen und Luan… Er grinste!

Er hatte es gewusst! Er kannte mich! Er hatte meinen Namen vorhin bereits gekannt! Er hat mit mir gespielt, der Arsch! Und ich bin voll drauf reingefallen!

Unglaublich.

„Du solltest mehr auf deine Umwelt achten, als immer so griesgrämig in die Welt zu blicken, Haizo.“, grinste Luan und legte mir dabei eine Hand auf die Schulter. Ein Schauer jagte meinen Rücken hinab und brachte die Schmetterlinge zurück in meinen Bauch.

Verdammt! Dieser… Dieser…!

Argh!

Mit einem Lächeln auf den Lippen verschwand er in der Küche, ließ mich einfach stehen, so wie vorhin schon und hinterließ einen Sturm in meiner Brust, der selbst den Tropen nicht gewachsen war.
 

~ Tag 1 Ende ~



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