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Vielleicht

Gilbert an Ludwig
von

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Vielleicht

Vielleicht, Bruderherz. Vielleicht.

Ich bin sicher, du erinnerst dich an den Tag, als wir uns zuletzt gesehen haben. Erinnerst du dich an den, als wir uns zum ersten Mal sahen? Nicht? Ich schon. Das ist nur natürlich, weil ich der Ältere bin.

Ich erinnere mich, wie ich dich gefunden habe, zum ersten Mal gesehen und wusste, du bist mein Bruder. Nichts kann uns mehr trennen. So ist das mit uns, nicht wahr, West? Menschen passiert es vielleicht nicht, dass man jemanden einfach findet, auf der Straße, in einem Wald, mitten auf einem Schlachtfeld – und man sieht in an und weiß, das ist mein Bruder.

Aber wir sind keine Menschen, und mir ist es passiert! Schön, oder? Zu schön, um wahr zu sein.

Ich hätte alles für dich getan. Ich wäre durch das Feuer gegangen und durch Ivans gottverdammten Winter, und jetzt fallen mir keine Metaphern mehr ein, also frag Roderich, der benutzt ständig Metaphern. Weißt du überhaupt, was das ist, eine Metapher? Wahrscheinlich weißt du es besser als ich. Ich habe selten etwas gelesen, was mehr Buchstaben als Bilder hatte, im Gegensatz zu dir.

Im Grunde ist das alles auch völlig unwichtig, denn das mit dem Winter war nicht mal eine Metapher. Ich wäre wirklich durch Ivans beschissenen Winter gegangen, von mir aus auch barfuß, deinetwegen.

Übrigens, erst kürzlich hatte ich das unzweifelhafte Vergnügen, es auszuprobieren. Barfuß. Aber immerhin mit dem Kreuz um den Hals.

Ich hasse dich, Ludwig.

Weißt du, warum? Wegen dem vielleicht.

Ich erinnere mich, und ich wette, du erinnerst dich auch, denn so blöd bist selbst du nicht: Dieser Tag, als sie uns getrennt haben. Ich weiß es noch, weil ich mich kaum auf den Beinen halten konnte, beziehungsweise auf einem, denn das andere spüre ich bis heute nicht. Ich weiß es, weil ich ein dringendes Bedürfnis hatte und alle mich ignoriert haben, als ich aufgezeigt und gesagt habe, dass ich mal scheißen muss. Ich weiß es, weil ich mit Krücken da war und alle mich angestarrt haben. Mich! Ich konnte nicht aufrecht stehen. Alle haben zu mir hinunter geguckt.

Sie sollten niederknien! Sie sollten zu mir aufsehen und mich bewundern!

Ich weiß noch, wie sie mich angesehen haben. Als wäre ich schon tot. Ich habe längst nicht mehr existiert in ihren Köpfen, und ich nehme an, das hat sich nicht geändert, oder? Gilbert Beilschmidt ist tot. Tot und tot.

Nur Ivan hat es immer noch nicht begriffen. Manchmal wache ich davon auf, dass er ein Wasserrohr in meine Seite bohrt, um zu sehen, ob ich noch reagiere. Meistens tue ich es irgendwann, denn mit einem Metallrohr zwischen den Rippen lässt es sich eher schlecht schlafen. Das Rohr hat er seit Jahren, und es ist nicht kaputt zu kriegen. Es steht Made in Germany drauf.

Dir ist ja schon klar, dass ich dich hasse, West?

Wir standen in diesem blöden Versammlungsraum, und irgendwer hat geredet. Alfred? Ich nehme an, es war Alfred. Andere haben geantwortet, und alle haben getan, als wäre ich nicht da. Außer dir. Du hast mich angeguckt mit diesen großen, blauen Augen. Verdammt, Ludwig, ich dachte, das mit dem blond, blauäugig und blöd wäre ein Klischee! Du verkörperst einen ganzen Haufen Klischees, aber mit diesem hätte ich nicht gerechnet.

Weißt du, was das ist, ein Klischee?

Damals, als ich dich gefunden habe, da warst du so klein und niedlich. Gut, ich fand dich in der Mitte eines Schlachtfeldes und deine Kleider waren voller Schlamm und Blut, was dich unheimlich schwer machte. Du hattest eine üble Wunde auf dem Bauch und irgendeinen Teil irgendeines hoffentlich toten Soldaten in den Händen (ich glaube, es war der Darm). Aber darunter warst du sehr niedlich.

Ich habe dich beschützt, West, weil du mein kleiner Bruder warst. Der große Bruder schützt den kleinen. Aber es kommt auch irgendwann die Zeit, wenn der kleine Bruder dem großen über den Kopf wächst, und plötzlich wenden sich die Verhältnisse. Ich hätte dich noch immer beschützt, Ludwig, aber ich dachte, ich könnte auch ein bisschen etwas von dir erwarten. Eine kleine Gegenleistung für Jahre, Jahrzehnte, in denen ich dir deinen kleinen Arsch hinterher getragen habe. Weißt du, wie oft ich abends bei dir saß und dir was vorgesungen habe? Ich konnte noch nie singen, aber du wolltest ja etwas hören. Was für ein kleiner Dummkopf du warst.

Zu der Zeit, in diesem verdammten Raum, nach diesem verdammten Krieg, der auf deine Kappe ging – da wärst du derjenige gewesen, der mich hätte beschützen müssen. Das wäre Ihr Preis gewesen. Herzlichen Glückwunsch. Wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätte Roderich das Bett nicht neu beziehen müssen, oder wie hieß das Sprichwort noch gleich? Wenn du alt genug bist, einen Krieg anzuzetteln, warum bist du dann verdammt noch mal nicht alt genug, um selbst die Konsequenzen zu tragen?

Alfred hat geredet, dieser Vollidiot. Geredet und geredet. Er wusste, wo er mich hinschickt. Alle wussten es. Sie konnten Ivan doch alle nicht leiden! Wieso haben sie ihm dann den Gefallen getan, ihm mich zu überlassen?

Nach mir hat kein Arsch gekräht. Ich war ja nicht da. Du hast meine Hand genommen und ziemlich fest gedrückt. Du verdammter Vollpfosten, ich hatte drei gebrochene Finger an dieser Hand! Aber ich will ja nichts sagen.

Drei Finger, West.

Die Volldeppen vom Dienst haben ihr unglaublich gerechtes Urteil verkündet, und zwar dir, denn ich war ja schon tot. Spätestens mit der Verkündung. Ich erinnere mich noch an den Wortlaut, ist das nicht putzig? Hat sich in mein verdammtes Hirn eingebrannt.

Ihr beide zusammen seid viel zu gefährlich für den Frieden der Welt. Ihr werdet einander nie wieder sehen.

Nie wieder?, hast du gefragt. Du Blödmann, hast du ihn beim ersten Mal nicht verstanden? Musst du denn den Finger in die Wunde legen?

Nie wieder, hat Alfred geantwortet und so furchtbar ernst ausgesehen. Fast mitleidig. Sein Mitleid kann er sich sonstwo hin schieben, zusammen mit seinem obligatorischen Hamburger!

Es sei denn, die Welt, wie wir sie kennen, endet und die Beziehungen aller Nationen werden neu gemischt. Dann vielleicht.

Du hast dich umgedreht und mich angesehen, als wärst du ein kleines Kind, das eben erfahren hat, dass es den Weihnachtsmann tatsächlich gibt. Siehst du, Gilbert, hast du gesagt und ein bisschen gelächelt. Wir sehen uns wieder. Vielleicht.

Bingo! Da war es, das vielleicht. Am liebsten hätte ich geantwortet, entschuldige mich bitte, darauf muss ich kotzen. Stattdessen habe ich wortlos gekotzt. Dir vor die Stiefel. Und du hattest sie extra blank geputzt. Tut mir furchtbar Leid. Nicht. Wer hat es eigentlich aufgewischt? Ich nicht. Hätte es nicht mal gemacht, wenn Ivan mit seinem Wasserrohr hinter mir gestanden hätte, und das will was heißen.

Verdammte Scheiße, Ludwig, du weißt eben doch nicht, was eine Metapher ist! Das, was Alfred sagte, soweit ich seine verworrenen Hirnwindungen nachvollziehen kann, meinte er als Metapher. Eine Metapher für Nein, ihr seht euch niemals in dieser Welt wieder und auch in keiner anderen, und jetzt verpiss dich!

Wie wahrscheinlich ist es denn bitte, dass die Welt endet und wir beiden zufällig überleben und uns dann noch erkennen, West? So wahrscheinlich, wie dass dein kleiner Pasta-verrückter Freund keine Pasta mehr ist oder dass Roderich aufhört, Klavier zu spielen. Oder auf Heavy Metal umsattelt. Für deinen Dickkopf: Das alles bedeutet sehr, sehr, SEHR unwahrscheinlich. Hast du es jetzt endlich?

Niemand ist je wieder vor mir niedergekniet, Ludwig. Mein Ego ist tief verletzt. Nein, es ist mittlerweile derart EMO geworden, dass es sich irgendwo in meine Innereien zurückgezogen hat, vielleicht in den Blinddarm, und da hockt es jetzt und versucht regelmäßig, Suizid zu begehen. Weißt du, wie es sich anfühlt, wenn dein eigenes verletztes Ego in deinem Blinddarm einen Selbstmord versucht?

Mir geht es dreckig, mehr als dreckig. Hey, ich beklage mich nicht, aber ich sage dir, wie es ist. Es ist ein verdammtes Scheißloch hier. Es ist so kalt, dass ich seit Monaten keine warmen Füße mehr hatte. Das kann verdammt schlimm sein!

Ich frage mich, wie es dir wohl geht. Andererseits ist das völlig unwichtig, denn es geht dir in jedem Fall besser als mir, und solange das so ist, werde ich mir um mich Sorgen machen und nicht um dich. Alles klar? Du bist schon groß, Ludwig. Pass gefälligst auf deinen eigenen Arsch auf. Noch einen Bruder hast du nicht, denn du beim nächsten verlorenen Krieg als Lockvogel nehmen kannst, nicht wahr? Oder hältst du dir etwa deswegen den kleinen Pasta-Freak als Schoßhündchen? Du verdammtes altes Schlitzohr, du.

Ich muss aufhören, weil ich Schritte vor der Tür höre. Huhu, die berüchtigten Schritte vor der Tür. Wenn ich Glück habe, ist es nur Lorinaitis. Also Toris. Wenn er es ist, habe ich wirklich Glück, denn erstens bringt er mir manchmal Essen, und zweitens kann ich ihm diesen Brief an dich zustecken. Immer vorausgesetzt, dass er es ist. Wir beide haben eine nette Beziehung, ich als Ivans amtierender und er als sein vernachlässigter, aber allzeit bereiter Prügelknabe. Hübsch, oder? Wir könnten über alte Zeiten plaudern, das heißt, ich könnte genauso gut über aktuelle Zeiten plaudern. Aber er hat meistens zu viel Angst, um einen kleinen Plausch zu halten. Alle hier kneifen vor Ivan den Schwanz ein, ausnahmslos. Alles Waschlappen, West, alles Feiglinge. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mir das auf den -

Scheiße. Es ist nicht Lorinaitis. Ich habe verschissen, West. Verschissen.

Wozu sollte ich diesen Brief beenden? Du wirst ihn niemals bekommen. Womöglich wird Ivan ihn zerreißen oder aufessen oder sonst etwas, ja, das wird er vermutlich tun. Bei ihm kann man nie wissen, was genau, aber etwas in der Richtung wird es sein.

Vielleicht habe ich beim nächsten Mal etwas bessere Laune, West. Aber da ich so gut wie nie gute Laune habe, ist das auch unwahrscheinlich. Vielleicht kommt der nächste Brief ja bei dir an. Oder der übernächste.

Ich werde die Hoffnung niemals aufgeben, Ludwig. Niemals.

Ich bin ja so großartig.

Und cool.

Ich sehne mich nach kleinen Vögelchen.

Ich liebe dich, West. Vielleicht.

Dein Gilbert.

(aka awesome me)



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von: abgemeldet
2011-07-29T16:24:58+00:00 29.07.2011 18:24
Das ist eindeutig GilbertxD
Die FF ist witzig, aber auch traurig..
Awesome x3
Von:  ludglud
2010-10-20T21:48:42+00:00 20.10.2010 23:48
Ich mag deinen stil *-*
Die FF ist traurig, aber auch sehr schön <3
Von:  Knoblauchgurke
2010-08-03T18:47:44+00:00 03.08.2010 20:47
Ich liebe deine Art zu schreiben *_*
Der Brief ist unheimlich traurig, aber auch typisch Gilbert. Dass er seine Vögelchen vermisst hat mich irgendwie total gerührt >.<
Selbst seine Beleidigungen klingen irgendwie liebevoll, auch wenn er weiß, dass Ludwig den Brief wahrscheinlich niemals bekommen wird und er erst recht niemals eine Antwort erhält ._.
Von:  FlowerNose
2010-07-26T10:57:29+00:00 26.07.2010 12:57
das ist echt total gut
mal kamen mir fast die tränen weil es etwas traurig war
und dann wieder weil es lustig war

Von:  fresh-d-chan
2010-07-14T19:27:15+00:00 14.07.2010 21:27
Ähm ok
Also ich fand die Geschichte schonmal ziemlich geil. xD
Man konnte die Verzweiflung und auch den Hass sehr gut rauslesen (ich für meinen Teil jedenfalls) und am Ende hat man auch gemerkt, dass er sich etwas abreagiert hat... aber eben nur etwas
Und trotz der ganzen Emotionalität musst ich teilweise sogar lachen
ich find sie wirklich wunderbar gelungen =)
Von:  Toshi
2010-07-11T06:52:38+00:00 11.07.2010 08:52
W.T.F.
Das ist mit Abstand die beste Hetalia-FF, die ich je gelesen habe (mal abgesehen davon, dass das bisher nicht viele waren >_>).
Nun, aber ich denke, ich kann mit Sicherheit sagen, dass du Gilbos Charakter verdammt gut getroffen hast und man sich wirklich bildlich vorstellen kann, wie er da unten in seinem Kellerloch sitzt und mehr oder weniger in Rage seinen Brief schreibt. Doch, ich finde, man kann schon ziemlich gut herauslesen, dass er seinen Bruder trotz allem sehr liebt und vermisst. Und wenn das nicht deine Intention war; Na ja, nich so gut ^^°
Wie auch immer.
Mir hat's super gefallen. :)

Liebe Grüße
Von:  KoshkaTheCat
2010-07-01T13:17:59+00:00 01.07.2010 15:17
XDDD
AHH wie geil XD
Es ist so lustig XD
aber auch traurig D':
Ist dir echt gut gelungen


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