Es ist klar ersichtlich, dass jeder halbwegs gebildete Mann, sei er nun Literat, Wissenschaftler oder der Kirche verbunden – letztere dabei im Besonderen – hinsichtlich seiner Erfahrungen und Erforschungen des anderen Geschlechts nur auf einen Summand kommen kann: Frauen sind der Ursprung allen Übels.
Familiäre Fehden, Kriege, Untergänge verschiedenster, mächtiger Reiche, sogar die Verbannung aus dem uns zugestandenen Paradies wurde durch dieses kränkliche, schwächliche, ohne uns Männer kaum überlebensfähige Geschlecht verursacht – und immer wieder sind wir auf ihre Maschen herein gefallen, sind in ihre Spinnennetze aus oberflächlicher Schönheit und Lustversprechungen getappt, um uns unendlich darin zu verstricken und nie wieder hinaus zu finden.
Unverständlich, wie man das Weib als eigenständiges Wesen ansehen kann, anders als als reines Behelfsmittel des Vergnügens, als Werkzeug für manch wichtige Erledigung, aber nicht für längerfristige Beziehungen geschaffen.
Und dennoch verfiel unser starker Bund immer wieder ihren Röcken, verweichlichte von Generation zu Generation das starke Blut unserer Vorfahren mit der Unzucht des Weibsvolkes.
Wenn es der Wissenschaft gelungen wäre, eine Methode zur Sicherung der menschlichen Rasse zu finden, die die verruchte Sippschaft exkludieren könnte, dann wären wir von diesem Schandfleck längst befreit.
Es muss zugegeben werden, es gibt Ausnahmen – dass diese jedoch Erwähnung finden, dazu fehlt es mir momentan an Willen.
Diese Illusion, dieses Gefühl der Liebe, der tiefsten Verbundenheit...so etwas kann nie zwischen zwei so konträren Wesen wie dem Manne und dem Weib bestehen. Alles nur Tricks, alles nur fadenscheinige Lügen, die unserem Intellekt vorgespielt werden – müssten sie eigentlich durchschauen, und doch fällt eine Vielzahl von uns ihnen zum Opfer.
Tiefste Verbundenheit kann nur zwischen Angehörigen des gleichen Geschlechts bestehen, so etwas wie Liebe kann nur...
Diese Formulierung war es, die seine Hand zum Stillstand brachte, den Federkiel über dem vergilbten Briefpapier schweben ließ, bis die Tinte hinunter troff und einen Fleck bildete.
Flüssigkeit, die gierig vom Gewebe verschlungen wurde, weitere Worte mit sich in tiefste Schwärze zog.
Kraftlos ließ er den Kiel auf das Papier fallen, der mit seinem Aufprall dieses nur noch mehr sprenkelte, die Schrift noch unleserlicher und schmieriger machte, als schon durch das Zittern zuvor, welches ihn während des Verfassens ergriffen hatte.
Unsicher griff er nach dem Streifen Papier, zerknüllte ihn ungeschickt, ehe er in eine Ecke des verwüsteten Raumes flog, in dem er sich nun schon seit Tagen zurückgezogen hatte.
Seit Tagen, vielleicht auch seit Wochen, Monaten, wer wusste das schon?
Wackelige Beine unternahmen den Versuch, den geschwächten Körper von seinem Platze zu heben und durch das Zimmer zu bewegen, welches nur schwach vom Schein des angezündeten Kamins erhellt wurde, ansonsten aber komplett der Dunkelheit anheim gefallen war.
Die Sicht war getrübt, die Haut in salziges Wasser gebadet, die Muskeln schlaff und geschunden – und doch schleppte er sich durch das Dunkel, spürte verstreute Zeitungen, verdorbene Lebensmittel, kaputtes Glas, verbogenes Eisen unter seinen Sohlen, ehe er endlich auf dem weichen, an manchen Stellen verschmorten Fell des Tigers stand, der seine letzte Ruhestätte an der Feuerstätte gefunden hatte.
Die glasigen Augen verloren sich eine Zeit lang im Tanz der züngelnden Flammen, konnten seinen Verstand kurzzeitig gefangen nehmen und in andere Bahnen lenken – doch selbst dadurch vergaß er nicht, weswegen er diesen beschwerlichen Weg hierhin auf sich genommen hatte.
Langsam, zittrig, aber zielsicher fand seine Hand den Weg zu einer Nische über dem Kaminsims, seinem Versteck dubiosester Substanzen und Ingredienzen, waren sie nun flüssig oder fest. Doch fand er diesen Platz beinahe leer und verwüstet vor, vollkommen konträr zu dem sonst geordneten Status.
Dennoch fand sich, was er suchte – auch wenn es das letzte Päckchen war und er danach wohl wieder die Dienste seines Botenjungens brauchte, um für Nachschub zu sorgen.
Aber für dieses Mal reichte es noch – für diesen Augenblick war es noch genug, um seinem Vorhaben dienlich zu sein.
Mit diesem von Erlösung preisenden Säckchen Papier drehte er sich vom Licht weg, taumelte durch das Chaos zu seinen Füßen und hinein in die Finsternis.
Finsternis, sein einziger Gefährte in diesen Stunden, wenn die Schwärze sein Herz verschluckte und die Schmerzen so stark wurden, dass er sie nur mittels Betäubung unter Kontrolle halten konnte.
Stolpernd ging er auf sein Bett zu, ließ sich darauf fallen, griff nach dem Besteck, welches griffbereit auf dem kleinen Nachttisch lag – ein Löffel, eine Spritze, ein Schal und dem kleinen Ölfläschchen mit dem dicken Docht, dass ihm sonst als Wärmequelle bei seinen chemischen Experimenten diente.
Vorsichtig entfaltete er das Päckchen und legte seinen weißen, pulverigen Inhalt frei, der gleich durch seine Adern fließen und ihn vergessen lassen würde.
Alles wurde zurechtgelegt für den letzten Schritt zur Realitätsflucht, die Ärmel des vor Dreck steifen Hemdes hochgekrempelt, der Schal fest über dem Oberarm gebunden, der Docht entzündet, das Pulver mittels Löffel über der heißen Flamme aufgeschlossen zu seiner grob-flüssigen Form und die Spritze damit aufgezogen.
Niemand anwesend, der ihn aufhalten könnte, aufhalten würde.
Er war allein in der Finsternis, niemand im Raum, der ihn ins Licht zerren, der ihn aus diesem dunklen Loch und wieder hinein ins Leben ziehen würde.
Monate waren vergangen, in denen seine Tagen nur aus diesem Ablauf bestanden – und niemand war da, der protestierte, insistierte, ihn wieder zu Verstand brachte.
Es gab zwar diesen jemand, doch er wurde ihm entrissen, gestohlen – entwendet von diesem Wesen namens Weib, hineingetrieben in eine Heirat, die den tiefen Bund ihrer Freundschaft zerstört und einen Keil zwischen sie getrieben hatte, bei dem es nicht gewiss war, ob dieser Schaden nicht vollkommen irreparabel war und es nie wieder so werden konnte wie zuvor.
Nie hatte er ihn seitdem besucht – er hatte nicht mehr die Zeit, sich um ein solches Wrack wie ihn zu kümmern, sich mit ihm zu bemühen und so nur selbst ins Verderben gezogen zu werden.
Er war ihm unwichtig geworden, eine alte Last, die er nur zu gerne abgelegt hatte.
Verzweifelt strich er sich über das Gesicht, rieb sich die Augen, konzentrierte sich wieder auf das, was er vorhatte. Machte alles bereit, zog den Schal noch etwas fester, machte die Ader mit kurzen Schlägen deutlicher sichtbar und setze die Nadel an, ließ ihre Spitze leicht durch das Fleisch gleiten.
Alles bereit zur Evakuierung des Seins – zum Loslösen von Trauer und Leid, von diesen Schmerzen, die ihm das Herz erdrücken, wenn er nur an seinen Namen dachte.
Die Augen geschlossen, drückt er sich die Substanz in seine Blutbahn, bis die Spritze vollständig geleert war.
Ein letzter Blick durch dieses Zimmer, dass er sich mit seinem Gefährten geteilt hatte, die letzten Gedanken an diesen verschwendet, ehe er den Druck des Schals an seinem Oberarm löste und der fremden Flüssigkeit erlaubte, seinen Organismus zu lähmen und an sich zu reißen.
Der Körper wurde schwer, die Augenlider wollten sich den Gesetzen der Schwerkraft ergeben – es war doch immer wieder erstaunlich, wie schnell dieses Mittel wirkte, wie hurtig es ihn aus diesem Alptraum entreißen konnte. Nur zu gerne gab er sich hin, nur zu gerne ließ er sich fallen.
Ließ sich fallen in die Vergessenheit...
Gerade noch bemerkte er, wie ein fremder Schein in den Raum gelang, bestürzte Schritte auf ihn zueilten, sein geschwächter Körper angehoben und sein Name geschrien wurde.
Holmes.
Holmes!
Ein Lächeln huschte über seine Lippen, ehe er sich völlig den Kräften der Drogen ergab und in Watsons Armen zusammenbrach.