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Birthday Origins

Beyond Birthdays ganze Geschichte
von

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Ankunft in Wammys House

Es war ein verregneter und grauer Regentag und eine sehr bedrückende Stille herrschte auf dem Friedhof. Langsam wurde der Sarg in das gegrabene Loch hinab gelassen, während der Pfarrer etwas aus seiner Bibel zitierte für die Verstorbene. Ein kleiner schwarzhaariger Junge weinte bitterlich und rief immer wieder nach seiner Mutter. Es war der kleine Waisenjunge Beyond Birthday, dessen Mutter gestern verstorben war. Gestern war auch sein Geburtstag gewesen und an diesem Tag hatte er die wohl schrecklichste Entdeckung gemacht, die er immer gefürchtet hatte, nämlich dass seine Mutter sterben würde. Er hatte geschrieen, geweint und sie angefleht, bloß nicht das Haus zu verlassen. Doch das Schicksal wollte, dass sie einen Anruf aus dem Krankenhaus bekam und mit dem Zug in die nächste Stadt zu ihrer Mutter fahren wollte und der Zug dabei verunglückte, wobei sie zum Opfer fallen musste. Für Beyond Birthday war es der schwärzeste Tag in seinem Leben und jetzt war er ganz alleine. „Warum?“ rief er während er hilflos mit ansehen musste, wie der Sarg aus Kirschholz mit seiner Mutter darin in der Erde verschwand. „Warum nur musstest du mir Mama nehmen?“ rief er zum Himmel und weinte bitterlich. „Gib mir meine Mama zurück!!!“ Als Antwort erleuchtete ein Blitz den dunkelgrauen Himmel und ein Donnergrollen unterbrach den Pfarrer bei seiner Rede. Weinend vergrub der Junge das Gesicht in den Händen und fühlte sich schrecklich einsam und verlassen.

Nach der Beerdigung wurde besprochen, wer den Waisenjungen jetzt aufnehmen sollte. Die meisten fanden ihn unheimlich, weil er immer wieder behauptet hatte, dass er wüsste, wann die Leute starben und er ihren Namen wusste, bevor sie diesen genannt hatten. Man glaubte, der Junge hätte das zweite Gesicht und ein uralter Aberglaube besagte, dass Menschen mit dem zweiten Gesicht nur Unglück bringen würden. So kam es also, dass Beyond Birthday in ein Waisenhaus gehen musste. Er packte seine Sachen und sah sich ein letztes Mal im Haus um. Es schmerzte ihn sehr, das Haus zu verlassen, in dem er aufgewachsen war. So viele Erinnerungen hingen an diesen Ort und er musste wieder an seine Mutter denken. Sie hat ihn zwar für gestört gehalten, weil er glaubte, Namen und Lebenszeit sehen zu können und hat ihn dafür in die Psychiatrie geschickt, aber sie war der einzige Mensch, der ihm nahe stand. Und jetzt war sie tot. Er hatte gewusst, dass sie sterben würde und konnte es nicht verhindern. Seine Tante Abigale stand ungeduldig in der Tür. „Bist du fertig? Komm schon wir müssen gehen.“

„Du brennst ja richtig darauf, mich endlich loszuwerden, jetzt wo dir das Haus gehört.“ Zur Antwort bekam er eine Ohrfeige. „Halt den Mund du ungezogener Bengel! Sei froh, dass wir dich in ein gutes Waisenhaus in Winchester bringen und nicht in irgendein versifftes Loch!“ Wie sehr er sie doch hasste, genauso wie den Rest seiner verlogenen Verwandtschaft. Sie waren nichts Weiteres als gierige falsche Schlangen, die ihn nur verstoßen hatten, weil er anders war.

Er packte seine Taschen in den Kofferraum des BMWs und setzte sich auf dem Beifahrersitz. Am liebsten hätte er seine Tante gesagt, dass sie in knapp zwei Jahren sterben wird, aber das wollte er sich lieber für den Abschied aufsparen. Sicher würde ihn seine Tante irgendwo aussetzen, wenn er sie jetzt noch mehr provozierte und das wollte er lieber nicht riskieren.
 

Die Fahrt schien dem 10-jährigen Beyond Birthday wie eine Ewigkeit vorzukommen,gedankenverloren sah er aus dem Fenster und betrachtete die Landschaft, die an ihm vorüber zog. Als sie dann endlich angekommen waren, wurden sie von einem älteren Herrn begrüßt, der dem Bild eines typisch englischen Butlers entsprach. Sein Name war Quillish Wammy und nach Beyonds Berechnungen zufolge, hatte dieser Mann noch etwa dreißig Jahre zu leben. Was er nicht wusste war, dass Quillish Wammy, der zu der Zeit 56 Jahre alt war, bereits nach der Hälfte der Zeit im Alter von 71 Jahren sterben würde. Sie stiegen aus dem Auto aus und wurden freundlich begrüßt. „Hier ist der Junge den sie unbedingt haben wollten. Er ist zwar sehr intelligent, aber ich möchte Sie darauf hinweisen, dass er etwas seltsam ist. Wenn er Ärger macht, dann können Sie meinetwegen machen, was Sie wollen aber sagen Sie mir nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.“ Mit diesen Worten wurden dem Jungen die Taschen vor die Füße geworfen und als seine Tante ins Auto einsteigen wollte, rief er ihr noch hinterher „mögest du in zwei Jahren eines dir angemessenen Todes sterben!“

Laut heulte der Motor des BMWs auf und fuhr in Windeseile davon, so als fürchte seine Tante, dass dieser Quillish Wammy es sich anders überlegen würde. Der ältere Herr lächelte ihm zu und half ihm beim Tragen der Taschen. „Sehr erfreut dich kennen zu lernen, Beyond Birthday. Mein Name ist Watari. Das ist dein neues Heim, wo deine Fähigkeiten weiter gefördert werden, um dir somit eine große Zukunft ermöglichen. Komm erst mal rein, dir ist sicher kalt.“

Beyond Birthday war erst einmal verwirrt, als Quillish Wammy sich mit falschem Namen vorstellte, doch er wollte es lieber für sich behalten, aus Angst er könnte fortgeschickt oder sogar wieder in eine Psychiatrie geschickt werden. In dem Haus war es menschenleer. „Dieses Waisenhaus wurde erst vor kurzem gegründet und ist deshalb noch leer. Aber keine Sorge, in der nächsten Zeit werden mehr Kinder hierher kommen. Ich werde dir erst einmal dein Zimmer zeigen.“ Sie gingen die Treppen hoch in die obere Etage mit mehreren Zimmern, an dessen Türen Messingnummern befestigt waren. Er hatte die Nummer 1. Watari klopfte kurz an und öffnete die Tür. Auf dem Bett saß ein rothaariger Junge mit Sommersprossen, der in ein Buch vertieft war, welches den Titel „Shakespeares gesammelte Werke“ trug. Er wirkte müde und erschöpft, doch seine Augen leuchteten auf, als er den Neuankömmling erblickte. „Das ist A, er wird dein Lernpartner und Zimmergenosse. A, das ist B. Ich hoffe ihr werdet gut miteinander auskommen.“

Mit diesen Worten verabschiedete sich Watari wieder und Beyond stellte seine Taschen auf das leer stehende Bett. „Schön dich kennen zu lernen A“, murmelte der Schwarzhaarige etwas verunsichert. „Sag mal, wieso müssen wir uns bei diesen Buchstaben nennen?“ A zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, aber Watari möchte das so. Er meinte, es wäre besser, wenn unsere Identität geheim bliebe.“

Leider bleibt keine Identität vor mir geheim, dachte Beyond Birthday und packte seine Sachen aus.
 

Nachdem sich die beiden näher bekannt gemacht hatten, gingen sie runter in die Teestube, eine Art Bibliothek in der es Tee und Gebäck gab. Sie setzten sich in alte Sessel und begannen mit dem Lernen. „Hier in Wammys House werden nur begabte Kinder aufgenommen um einem gewissen L nachzueifern.“

„Wer ist L?“ fragte Beyond Birthday verwirrt. Von dem hatte er noch nie etwas gehört und nicht einmal Watari hatte bis jetzt etwas von ihm erwähnt. A war verwundert, dass er das nicht wusste. „L ist ein genialer Meisterdetektiv, der im Alter von acht Jahren unzählige schier unlösbare Fälle gelöst hat. Der Wissenschaftler Quillish Wammy hat sein Talent entdeckt und dieses Waisenhaus gegründet, um einen späteren Nachfolger für L zu erziehen. Stell dir vor: Wir könnten genauso gut sein wie L…“

Zwar klang das für Beyond Birthday nicht sehr überzeugend, aber wenigstens musste er nicht in seine Schule zurück, wo er das Gefühl hatte, in seinem Wissen gebremst zu werden. Außerdem wurde er dort von allen gemieden, was an seiner Gabe lag. Er konnte, ohne ein einziges Mal daneben zu liegen, den Namen der Person nennen und allein das war schon unheimlich. Als er dann eines Tages feststellen musste, dass einer seiner Klassenkameraden an diesem Tag sterben würde, hatte dieser ihn gewarnt in der Hoffnung, sein Schicksal zu ändern. Dieser lachte ihn jedoch aus und nannte ihn einen Freak. Später dann wurde seine Leiche auf der Treppe gefunden. Er war gestürzt und hatte sich das Genick gebrochen. Da die Klasse zuvor mitgekriegt hatte, wie Beyond Birthday dessen Tod prophezeit hatte und dieser dann Erschreckenderweise sogar eingetreten war, wurde er ihnen unheimlich. Einige wollten wissen, wann und wie sie sterben würden, ein paar machten ihn zur Zielscheibe des Gespötts, weil sie ihn für schwachsinnig hielten und die anderen wichen ihm aus. Sie sahen ihn nicht an, redeten kein einziges Wort mit ihm und ignorierten ihn, wenn er sie ansprach. Beyond Birthday war für sie wie ein gefährliches Virus, vor dem sie Angst hatten, er könnte sie infizieren. Er begann mit der Zeit, sich selbst zu verletzen und als er seinen Lehrern von seiner Fähigkeit erzählte, sprachen sie mit seiner Mutter. Von ihr hätte er gehofft, dass sie ihm glauben und hinter ihm stehen würde, doch dem war nicht so. Sie glaubte, er würde unter dem Verlust seines Vaters leiden und schickte ihn in Therapie. Für seinen Vater hatte Beyond jedoch nie etwas empfunden. Wenn seine Mutter nicht zuhause war, war dieser meistens betrunken und misshandelte ihn. Davon hatte Beyond jedoch nie etwas erzählt, denn dann hätte er zugeben müssen, dass er es war, der seinen Vater getötet hat. Er war mit ihm in den Wald gegangen und hatte ihn mit seiner eigenen Waffe erschossen. Das ganze Magazin hatte Beyond verschossen, die Pistole in sein T-Shirt gewickelt, an einen Stein befestigt und im See versenkt. Zu dem Zeitpunkt war er acht Jahre alt, kurz bevor er in die Psychiatrie eingeliefert wurde. Den Mord hatte er niemals bereut und auch keine psychischen Schäden davongetragen. Er hatte es auch genauestens durchgeplant. Er hatte in seinem Rucksack ein zweites T-Shirt, für den Fall dass es Blutspritzer geben würde und alles so durchgeplant, dass er nicht in Verdacht geraten oder dass es Beweise gegen ihn geben würde. Schon damals hatte er einen außergewöhnlichen Intellekt und eine Kaltblütigkeit besessen, um seine Psyche zu schützen.

„Sag mal Andrew, hast du vielleicht Lust…“, doch Beyond beendete den Satz nicht als er bemerkte, wie fassungslos A ihn anstarrte. „Was ist?“ fragte er verwirrt. „Woher weißt du meinen Namen?“ Oh Mist, dachte Beyond, als er endlich merkte, dass er gerade sein Geheimnis preisgegeben hatte. Wie sollte er das jetzt erklären? Dass es Zufall war, dass er seinen Namen heimlich irgendwo mitbekommen hatte? Nein, es würde nichts bringen… er musste A einweihen. „Dein Name ist Andrew Asylum. Weißt du, ich bin nicht wie andere Menschen. Seit meiner Geburt kann ich die Namen von Menschen und deren Lebenszeit sehen. Ich weiß, dass das bescheuert ist, aber…“

„Das ist ja abgefahren“, rief Allan begeistert und seine Augen wurden groß. „Du kannst tatsächlich die Namen jedes Menschen sehen?“ Etwas irritiert über Allans Reaktion nickte er. „Ja, auch von Fotos aber nicht von gezeichneten Bildern, von Toten, oder wenn ich ihre Gesichter nicht erkennen kann.“ Das begreif ich nicht, dachte der 10-jährige und wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Alle seine Mitmenschen hatten ihn ausgestoßen weil sie dachten, er sei ein gestörter Freak. Er schien endlich jemanden gefunden zu haben, der keine Angst vor seiner Gabe hatte und sah instinktiv auf den Zahlencode, der über Andrews Kopf schwebte. Er musste ihn nur noch umrechnen, sodass er die verbleibenden Jahre feststellen konnte. Doch davor fürchtete er sich sehr. Er wollte nicht noch einmal diesen Schreckenscountdown zum Tod ertragen. Also ließ er es lieber und war erleichtert, dass Andrew ihn nicht danach fragte.

Geheimnis der Augen

Die Zeit verging in Wammys House, die grauen Regenwolken des Herbstes und die Farblosigkeit des Winters waren mit dem ersten Frühlingswind davongezogen und die Sonne begann wieder Leben in die tristen Farben zu hauchen. Andrew und Beyond waren inzwischen unzertrennliche Freunde und es gab keinen Moment, wo die beiden nicht zu zweit waren. Sie lernten, spielten und aßen zusammen und schliefen auch in einem Zimmer. Es schien ein unzertrennliches Band zwischen den beiden zu bestehen. Doch als sie beide zwölf Jahre alt wurden, wurde die Idylle mehr und mehr getrübt. Beyonds Angst vor Andrews Todesdatum bereitete ihm schlaflose Nächte, er konnte sich schwer konzentrieren und seine Noten verschlechterten sich. Auch Andrew ging es zusehends schlechter. Die Tatsache, dass er der bester Schüler war und auch als potentieller Nachfolger L’s festgelegt wurde, erhöhten seinen Leistungsdruck und er bekam bereits kurz nach seinem Geburtstag einen Nervenzusammenbruch. Er nahm Antidepressiva und schien sich mit der Zeit etwas zu erholen, doch Beyond machte sich große Sorgen. Im Gegensatz zu Andrew war er stärker und konnte so etwas besser wegstecken. Er blieb immer bei ihm und versuchte ihn wo es ging zu unterstützen.

Eines Tages, es war ein sehr warmer Apriltag und sie beide hatten ausnahmsweise keinen Unterricht, da gingen sie in den leeren Speisesaal, da die anderen Kinder draußen zum Spielen waren. Sie aßen Kuchen und erzählten sich verrückte Geschichten. „Weißt du Beyond, das Beste find ich immer noch zum Frühstück Stuten mit Erdbeermarmelade.“ „Ich auch“, rief Beyond und holte ein Glas mit Marmelade hervor, nahm einen Löffel und begann die Marmelade so zu essen. „Aber am liebsten esse ich sie so. Ist irgendwie gutes Nervenfutter. Willst du auch?“ Er reichte seinem Freund einen anderen Silberlöffel hin, doch dieser lehnte ab. „Nee lass mal! Ich esse Marmelade lieber auf Brot. Du hör mal Beyond, nächste Woche ist der Ausflug zum medizinischen Institut in London. Wollen wir uns da anmelden?“

Dahin zu gehen, hatte Beyond schon seit Wochen vorgehabt. Es war sein innigster Wunsch, irgendwann einmal Arzt oder Pathologe zu werden, nur leider konnte er sich noch nicht entscheiden. Arzt wollte er werden, um den Menschen zu helfen und Pathologe, weil er es als eine Art detektivischen Beruf auf dem Gebiet der Medizin betrachtete. Bloßes Kombinieren und Ermitteln war ihm zu langweilig. Er brauchte etwas Praktisches, wo man einen menschlichen Körper genauestens untersuchen musste und dann zu versuchen, den Tathergang herausfinden zu können. Andrew wollte hingegen mehr in Sachen Impfstoffen, Viren und Bakterien arbeiten, in Gedenken an seine verstorbene ältere Schwester, die an AIDS gestorben war, nachdem sie bei einer OP verseuchtes Blut injiziert bekam. Sie war seine einzige Verwandte gewesen und nun hatte er es sich zum Ziel gemacht, um jeden Preis ein Mittel gegen AIDS zu finden.

„Natürlich gehen wir dorthin. Ehrenwort!“
 

Doch leider musste sich später herausstellen, dass Beyond dieses Versprechen nicht halten konnte. Ausgerechnet am Tag vor dem Besuch musste er sich eine schwere Grippe einfangen und lag nun mit Fieber im Bett. „Tut mir leid dass ich mein Versprechen nicht halten kann.“ Andrew schüttelte lächelnd den Kopf und deckte ihn zu. „Schon gut, dafür kannst du doch nichts. Aber weißt du was? Ich habe mir O’s Videokamera ausgeliehen und werde den Vortrag dann einfach dokumentieren. Ich weiß ja wie viel dir das bedeutet.“ Beyond lächelte schwach und nahm das Fieberthermometer aus dem Mund: 39°C Fieber…

Auch sonst fühlte er sich nicht gut. Ihm war dauernd kalt, Übelkeit und Gliederschmerzen plagten ihn und zwischendurch verlor er das Bewusstsein. Es war unmöglich, dass er zu diesem Vortrag mitging. Zwar war ein Co-Leiter des Waisenhauses dort geblieben, um für den Notfall zur Stelle zu sein, doch das war es nicht, was Beyond Sorgen bereitete. Auch wenn er beschlossen hatte es nicht zu tun, so hatte er aus reiner Neugier seine verbleibende Lebenszeit berechnet. Das Ergebnis war dass Andrew Asylum in knapp zwei Jahren sterben würde. Schnell wischte sich Beyond eine Träne aus dem Augenwinkel und versuchte, ein fröhliches Gesicht zu machen. Andrew zog sich Jacke und Schuhe an und steckte O’s Kamera ein. „Ich werde die Herren Professoren ausführlich über die Ausbildung und dem Beruf als Arzt und Pathologe ausfragen. Nachher sehen wir uns das Video gemeinsam an. Erhol dich also schön, damit du wieder fit wirst.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der rothaarige Engländer und verließ das Zimmer.

Beyond aber hatte keine Lust sich auf die faule Haut zu legen. Es gab etwas, was er dringend erledigen musste. Er holte den Laptop heraus, den er sich zum Lernen ausgeliehen hatte und fuhr ihn hoch. Da gab es nämlich etwas, was er unbedingt wissen musste: Was seine Fähigkeit genau war und woher er sie hatte. Er tippte „zweites Gesicht“ in die Suchmaschine ein und wählte den nächstbesten Link aus. Dort war ein Bericht über einen Showmagier verfasst, der die Gabe besaß, den Tod verschiedener Leute vorherzusagen. Dieser Artikel schien interessant zu sein und so las Beyond Birthday ihn aufmerksam durch. Tatsächlich schien es so, als besäße dieser Mann dieselbe Gabe wie er. Doch leider wurde Beyond enttäuscht als er unten las, dass es einige Fälle gab, in denen er sich irrte und das waren nicht nur vereinzelte Fälle. Also schloss er die Seite wieder und gab „Vorhersehung des Todes“ ein. Auch das brachte keine guten Ergebnisse und irgendwann, er wusste selbst nicht wieso er es eingegeben hatte, fand er einen interessanten Artikel: Todesgötter der fernöstlichen Religion. Er öffnete eine sehr viel versprechende Seite und bekam eine etwas düstere Seite zu Gesicht. Der Hintergrund war schwarz mit dekorativen Totenköpfen und animierte Kerzen brannten neben dem Seitentitel.
 

„Shinigami- Japanische Todesgötter
 

Die Shinigami sind in der japanischen Mythologie die Bezeichnung für den personifizierten Tod (in der westlichen Kultur dem Sensenmann entsprechend), die die Seelen der verstorbenen Menschen ins Jenseits führen. Als Götter können sie keines uns bekannten Todes sterben und sind dafür bekannt, dass sie, wenn die Menschen nicht eines ihnen vorbestimmten Todes sterben, von der verbleibenden Lebenszeit ihrer Opfer leben, indem sie das Leben der Menschen vorzeitig beenden. Die verbleibende Lebenszeit lässt sich durch die Subtrahierung des Todesdatums mit dem Alter errechnen. Dies ist jedoch nur den Todesgöttern bekannt.“
 

Beyond runzelte die Stirn und wusste nicht, was er davon halten sollte. Wenn es tatsächlich stimmte, dass die Todeszeit nur Todesgötter sehen können, wie konnte es sein, dass er diese Gabe hatte? Da er sowieso an so etwas wie Götter, Geister und Spirituelles nicht glaubte, ließ er es einfach und gab es auf, nach seiner Gabe zu forschen. Wahrscheinlich war er einfach nur eine Art Ausnahmefall, oder er war einfach verrückt. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn es mehr Leute mit dieser Fähigkeit gegeben hätte.

Während er im Bett lag und eine Tasse heißen Kräutertee trank, las er seinen Lieblingsroman „Roter Drache“, obwohl er so etwas eigentlich nicht lesen durfte, weil er noch zu jung war. Aber die Sache mit den Todesgöttern ging ihm nicht aus dem Kopf. Was, wenn er so etwas wie ein Auserwählter war und aus einem bestimmten Grund diese Gabe erhalten hatte? Was war, wenn er die Aufgabe hatte, das Schicksal der Menschen zu ändern, indem er sie vor dem Tode rettet? Ja genau dachte er und fasste einen Entschluss: Wenigstens einem einzigen Menschen wollte er das Leben retten und beweisen, dass man sein Schicksal ändern kann.

Dieser Gedanke schien ihm ungewohnte Kräfte zu verleihen und er fiel in einen tiefen, genesenden Schlaf. Erst abends wachte er wieder auf als Andrew zurückkam. „Hey alte Schlafmütze, wie geht’s denn so?“ „Viel besser“, antwortete der Kranke und tatsächlich war der Großteil seiner Gliederschmerzen verschwunden und auch sein Fieber war ein wenig gesunken. Sie sahen sich gemeinsam das Video an, wo nicht nur der gesamte Vortrag aufgezeichnet war, sondern auch ein paar Kinder aus Wammys House vor der Kamera herumalberten. Dabei erzählte Andrew, was sie alles erlebt hatten und konnte den Kranken mit ein paar lustigen Witzen und Geschichten aufmuntern. Beide wirkten so glücklich als ob nie etwas Schlimmes passiert wäre aber Beyond spürte, dass mit seinem Freund etwas nicht stimmte…

Nach drei Tagen war Beyond vollständig genesen und die Prüfungen standen vor der Tür. Andrew ging es immer schlechter. Er hatte kaum Schlaf, litt unter großem Stress und aß kaum noch etwas. Sie redeten nur noch miteinander, wenn es ums lernen ging und wenn sei beim Essen waren. Eines Tages dann, als Beyond nicht aufgepasst hatte, fand er Andrew im Bad mit aufgeschnittenen Pulsadern vor.

Angst

Beyond konnte zunächst nicht glauben, was er da sah. Sein bester Freund lag in einer großen Blutlache und war leichenblass und bereits nicht mehr bei Bewusstsein. Doch Beyond Birthday wäre nicht er nicht gewesen, wenn er zurückgewichen und das dahinsterben seines Freundes tatenlos mit angesehen hätte. Er schnappte sich ein Handtuch, schnürte die Wundstelle fest zu und lehnte den Arm auf den Rand der Badewanne damit er nicht noch mehr Blut verlor. Zum Glück lebte er gerade noch so, aber wenn nicht schnell Hilfe kam, dann war es zu spät. Er rannte auf den Gang und rief um Hilfe. Die kam auch sofort und als man den mehr toten als lebendigen Andrew Asylum im Bad sah, wurde sofort ein Rettungswagen geholt, der ihn ins Krankenhaus brachte. Es war Rettung in letzter Sekunde und viele glaubten, dass er längst tot wäre, wenn er ihn nicht rechtzeitig gehandelt hätte, geschweige denn, gefunden hätte. Doch Beyond wusste es besser. Es war Schicksal, dass A weiterleben würde, denn sein Todesdatum war erst in zwei Jahren. Doch das behielt er für sich und überlegte sich, was er tun könnte, um diesen zu verhindern. Wenn Andrews Zustand sich weiterhin verschlechtern würde, dann wäre ihm überhaupt nicht mehr zu helfen. Er musste schnellstens mit Roger sprechen, den Stellvertreter Wataris.

Rogers Büro war im Erdgeschoss in der Nähe der Bibliothek und die meiste Zeit besetzt, weil jeder irgendetwas mit ihm zu besprechen hatte. Beyond klopfte an und wartete auf eine Antwort. Ein „ja“ kam von der anderen Seite her und Roger winkte ihn freundlich herein. „Ah B, gut dass du kommst. Dich wollte ich noch wegen der Sache mit A sprechen.“ „Dieses Thema ist auch mein Anliegen, weshalb ich mit Ihnen sprechen wollte.“

„Sehr gut. Nun denn, zuerst einmal möchte ich dich für deinen schnellen Rettungseinsatz loben. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was geschehen wäre, wenn wir nicht so schnell vor Ort gewesen wären. Nun, was ich mit dir besprechen wollte ist der Zustand von ihm: Er wird zwar durchkommen, aber ich mache mir Sorgen wegen seines Selbstmordversuches. Gibt es irgendetwas, was der Grund dafür war?“ Beyond musste wieder an dieses schreckliche Szenario denken, als er das viele Blut auf dem Boden und dem Waschbecken sah. Ihm wurde schlecht und am liebsten hätte er sich übergeben, doch er riss sich zusammen und versuchte ruhig zu bleiben. „A steht unter unglaublichen Leistungsdruck weil er als L’s potentiellen Nachfolger ausgewählt wurde. Anders als andere Kinder kann er mit dem ganzen Stress nicht umgehen und hält diese Belastung zurück. Ich bitte Sie Roger! Nehmen Sie A als Nachfolger zurück!“

Der grauhaarige Mann legte die Stirn in tiefe Falten, faltete die Hände und seufzte schwer. „Das geht leider nicht so einfach. Das muss ich erst mit L besprechen und der ist zurzeit nicht erreichbar.“

„Was soll das heißen nicht erreichbar?“ schrie Beyond wütend und schlug mit den Fäusten auf den Tisch. „Während der Herr Meisterdetektiv in irgendwelchen Fällen steckt, wird A’s Zustand immer schlechter. Wenn wir nichts unternehmen, dann wird er sterben und dann klebt sein Blut an Ihren und L’s Händen. Verdammt, wozu sollen wir L nacheifern, wenn wir ihn weder erreichen, noch mit seine Unterstützung rechnen können? Wenn Sie mir nicht helfen wollen, dann suche ich selbst eine Möglichkeit, diesen verdammten Herrn Detektiv zu erreichen, koste es was es wolle.“ Ohne auf Roger zu hören, verließ Beyond das Büro und schlug die Tür zu. In ihm kochte es. Er war wütend auf Roger, der alles nur darauf abrollte, dass L unerreichbar sei und er war wütend auf L, dem irgendwelche blöden Fälle wichtiger waren. Es ging nicht anders, er musste selbst etwas unternehmen, damit Andrew seinem Schicksal entgehen konnte.

Er setzte sich auf die Treppe vor dem Eingang und hätte am liebsten geheult, doch das würde seinen Freund auch nicht retten. Nachdenklich sah er den anderen beim Spielen zu und überlegte, wie er mit L in Kontakt treten könnte. L erreichte man immer über den Computer, obwohl… das war auch nicht ganz wahr... L war immer derjenige gewesen, der als erster Kontakt aufnahm, wenn er seinen Schützlingen etwas beibringen wollte. Folglich musste Beyond einen Computerhacker auftreiben und einen guten noch dazu. Jetzt fiel es ihm ein: Othan Ohlew mit dem Decknamen Oliver war für sein Alter ein richtiger Computerspezialist und arbeitete zurzeit an einem Hackprogramm, welches er Hackschlüssel nennen wollte.

Er ging hoch zu den Zimmern und blieb vor der Nummer 10 stehen. Auf sein Klopfen kam keine Antwort, also musste Othan woanders sein. Er suchte in der Bibliothek, im Musikzimmer und im Speisesaal nach ihm, jedoch ohne Erfolg. Erst als er die Informatikräume aufsuchte, fand er ihn schließlich am Computer sitzen. Othan Ohlew war ein schottischer Waisenjunge, zwei Jahre jünger als Beyond und in Sachen Computern begabter als jeder Erwachsener. Sein dunkelrotes Haar war kurz geschnitten und er hatte viele Sommersprossen im Gesicht. Als Beyond die Tür öffnete und seinen Decknamen rief, zuckte dieser erschrocken zusammen und wäre beinahe vom Stuhl gefallen. „B, hast du mich aber erschreckt. Was gibt’s denn? Brauchst du irgendwo Hilfe?“

„Oliver, das ist wahrscheinlich die wahrscheinlich schwerste Aufgabe, die ich von dir verlangen kann: Ich möchte, dass du dich in L’s PC einhackst.“ Eine Weile lang starrte Othan Ohlew den Hereingeplatzten mit großen grünen Augen an. Beyond hätte damit gerechnet, dass dieser laut loslachen und ihn einen Spinner nennen würde, aber dem war nicht so. „So ein Zufall, ich arbeite gerade an einem Programm, das ich für L schreiben soll. Es soll jede Firewall deaktivieren und auf sämtliche Computer zugreifen können. Er braucht das Programm für einen riesigen Bioskandal, dem er auf der Spur ist. Warum willst du eigentlich seinen PC hacken?“

„Ganz einfach. A hält diesen Leistungsdruck nicht lange aus und Roger meint, dass nur L entscheiden könne, wer sein Nachfolger werden wird. Aber der Alte meint, dass der Meisterdetektiv nicht erreichbar ist und mir läuft die Zeit davon. Ich habe leider keine Ahnung vom Computerhacken und brauche deshalb deine Hilfe!“ Eine Zeit lang schwiegen beide, dann wurde Othans Gesicht ernst und er nickte. „Hab verstanden. Gib mir drei Tage, um das Programm fertig zu stellen und wir können auf seinem Computer zugreifen.“

Für Beyond waren diese drei Tage viel zu lang, aber er hatte keine andere Wahl. Lieber wartete er drei Tage, als dass er tatenlos bis auf Andrews Tod warten würde. Othan versank voll und ganz in seiner Arbeit und auch Beyond hatte beschlossen, nicht untätig zu bleiben. Ein anderes Wammy-Kind hatte ihm erzählt, dass man sich als neuen Nachfolger qualifizieren könnte, wenn entweder der gewählte Nachfolger ablehnte, oder aber, dass man selbst den Nachfolger übertraf. Sein Bitten, dem Alptraum ein Ende zu machen, indem Andrew seiner Gesundheit willen aufgab und zurücktrat, blieb unerhört. Andrew erklärte, dass es sein Traum war, irgendwann genauso zu sein wie L, und dass er sich von nichts und niemanden aufhalten lassen würde. Er war hartnäckig und ließ sich nicht überreden, egal was Beyond auch versuchte. Also blieb ihm nur eine Möglichkeit: A zu übertreffen, um ihn zu retten. Ein sehr schweres Unterfangen.

Die drei nächsten Tage verbrachte er ohne Schlaf und ohne Pause mit Lernen. Wenn er nicht lernte, dann war er entweder im Bad oder beim Essen, er schwänzte die Freizeitprogramme und schlief gerade mal ein bis zwei Stunden. Die anderen Kinder machten sich Sorgen um ihn und versuchten, ihm diese Schnapsidee auszureden. Doch all dies konnte ihn nicht davon abbringen. Die Angst vor dem Tod seines Freundes war sein Ansporn und somit nahm er die größten Strapazen auf sich. Als der dritte Tag sich dem Ende zuneigte, kam Othan Ohlew zu ihm und reichte ihm eine Diskette. „Damit müsste es gehen, aber bitte versprich mir, wirklich nur mit L zu reden und sie mir danach sofort zurückzugeben.“ Beyond legte die Hand auf Herz und schwor, dass er nur mit L sprechen und die Diskette danach zurückgeben würde. Ihm wurde noch schnell erklärt, was er zu tun habe und dann machte er sich an die Arbeit. Er nahm den Laptop, schloss das Mikrofon an und startete das Programm. Ein Fenster erschien, in dem stand „Bitte geben Sie den gewünschten Anschluss an.“ Schnell kramte Beyond den Zettel mit dem Anschlusscode und gab ihn ein. Es dauerte nicht lange, da erschien das L-Symbol und Beyond hatte nicht mehr den geringsten Zweifel, dass er jetzt mit L verbunden war. „Hallo L. Schön, dass ich dich mal sprechen kann.“

„Wer sind Sie wie haben Sie es geschafft, die Firewall zu brechen?“ Die Stimme war elektronisch verzerrt und klang gereizt. „Mein Name tut nichts zur Sache, ich bin eines der Wammy-Kinder in Winchester und will, dass du A als deinen Nachfolger zurückziehst. Wenn er weiterhin diesem Druck ausgesetzt ist, wird er sich umbringen! Vor drei Tagen hat er sich die Pulsadern aufgeschnitten.“

„Und auf welcher Position bist du, dass du mir Forderungen stellen kannst?“

„Ich bin im Besitz eines Programms, welches jedes beschissene System knacken kann. Wenn du nicht willst, dass ich deine gesamten Dateien und Systeme durcheinander bringe, dann zieh A gefälligst zurück. Ich habe im Moment nicht die geringste Lust für Aushörspielchen und wenn es zu spät ist, dann ist es deine Schuld, wenn A stirbt.“ Niemand in Wammys House hätte es gewagt, einen solchen Ton an den Tag zu legen, wenn er mit L sprach, aber Beyond war mit den Nerven am Ende und somit war es ihm völlig egal, ob er L mit Samthandschuhen anfasste oder ihm drohte. Eine Weile lang schwieg der unbekannte Detektiv, dann aber kam seine Antwort. „Ich lass mich nur äußerst ungern unbestraft unter Druck setzen, aber wenn A’s Lage so schlecht ist… ich werde alles Nötige in die Wege leiten.“ „Ich danke sehr und entschuldige mein unhöfliches Verhalten. Keine Sorge, ich werde das System nicht weiter beschädigen und manipulieren. Mein Ziel ist erreicht.“ Mit diesen Worten schaltete Beyond den Laptop aus und zog die Diskette heraus. Auf der Diskette war gut leserlich „Olivers Musiksammlung“ geschrieben. Wahrscheinlich zur Tarnung. Wie versprochen gab er Othan die Diskette zurück und wurde sofort gefragt, wie es gelaufen war. „Ganz gut. L war zwar sauer weil ich seinen Computer gehackt habe, aber er will etwas unternehmen.“ Dass er L erpresst hatte um an sein Ziel zu kommen, verschwieg er lieber, denn er wollte dem Jungen keinen Schreck bereiten.
 

Trotz des kleinen Teilerfolges arbeitete Beyond weiter daran, Andrew alias A zu übertreffen und betete, dass er wenigstens ihn retten konnte. Er erinnerte sich an sein Versprechen, dass er sich und allen anderen gegeben hatte: Wenigstens einen einzigen Menschen wollte er retten. Und dafür war er bereit, alles aufzugeben.

Zusammenbruch

Seit nunmehr drei Jahren war Beyond ununterbrochen damit beschäftigt, der Beste zu werden und seinem Freund Andrew Asylum zu helfen. Roger hatte mit L die Lage gesprochen und beschlossen, zwar weiterhin A als Kandidaten für L’s Nachfolge zu behalten, aber dafür die unglaublich hohen Anforderungen an ihn zu senken. A ging zu einem Therapeuten, Beyond half ihm wo er konnte und tatsächlich schien alles auf dem Weg der Besserung sein.

Doch Beyond ging es gar nicht gut. Er litt unter chronischem Schlafmangel, verbrachte einen Großteil seiner Freizeit damit, zu lernen und mehrere Bildschirme gleichzeitig betrachten zu können. Eine Fähigkeit die jeder Wammy beherrschen sollte, wenn er L’s Nachfolger werden wollte. Es war wieder einer dieser Tage, wo A bei der Stress- und Sprechtherapie war. Beyond war seit drei Uhr morgens am Lernen und hatte das Gefühl, bald durchzudrehen oder zusammen zu brechen. Seine Augen brannten, er war schwach und ausgemergelt und sein Kopf war voll gestopft mit Informationen. Als er merkte, dass das Lernen überhaupt keinen Sinn mehr hatte, versuchte er sich irgendwie abzulenken und ging ins Musikzimmer, um ein wenig auf dem Flügel zu spielen. Er war kein besonders guter Spieler, würde es auch niemals sein aber es entspannte ihn ein wenig. Er setzte sich an den großen schwarzen Flügel und sah sich die Notensammlung an: Schubert, Mozart, Beethoven, Chopin… uralte und angestaubte Lieder, die zwar ihren Reiz hatten, aber für Beyond Birthday nichts Besonderes waren. Er legte die Sammlung weg und begann Ludovico Einaudis Werk „I Giorni“ zu spielen. Die klassischen Stücke dieses italienischen Komponisten waren Balsam für seine Nerven und er schaffte es, seinen Kopf etwas freizukriegen. Dann wurde die Tür aufgestoßen und ein paar kleinere Kinder stürmten herein. Lachend und schreiend rannten sie wild durchs Zimmer und Beyond spürte, wie eine unglaubliche Wut in ihm aufstieg. Laut schlug er den Klavierdeckel zu. packte eins der Kinder am Kragen und hob es hoch. „Raus hier, oder ihr könnt was erleben.“ Sein Gesichtsausdruck musste furchterregend gewesen sein, denn nun wurden die Kinder still und sahen ihn angsterfüllt an. Schreiend liefen sie weg und auch der Junge, den er festgehalten hatte, ergriff sofort die Flucht. Als sie die Tür bei ihrer Flucht zuschlugen, rieb sich der 15-jährige mit der Hand das Gesicht und seufzte tief. „Ich schätze, ich bin einfach überarbeitet.“
 

Da es ihm in Wammys House zu belebt und laut war, ging Beyond in den nahe gelegenen Wald ein wenig spazieren. Es war eine angenehme Atmosphäre und außer den natürlichen Waldgeräuschen war nichts zu hören. Keine schreienden Kinder, keine Matrizen und Vektoren und das Beste: Keine Angst und kein Druck. Plötzlich unterbrach ein lautes Hundegebell die herrliche Idylle. Beyond zuckte zusammen und sah einen kleinen Hund, der schwanzwedelnd um ihn herum rannte. Mit großen Kulleraugen sah ihn der kleine Vierbeiner an und bellte laut. Na super, dachte Beyond gereizt. Der Köter hat mir gerade noch gefehlt. Er ignorierte den Hund und nahm einen großen Ast, den er vor sich her schwang und die anderen Äste schlug, wobei die grünen Blätter laut raschelten. Als er noch jünger war, war er oft mit Andrew auf die Bäume geklettert. Jetzt mit 15 Jahren, machten sie das nicht mehr, weil sie Wichtigeres zu tun hatten.

Der kleine Hund wollte immer noch nicht gehen, bellte wie wild uns sprang Beyond an. Langsam ging ihn der kleine Streuner auf die Nerven und seine Hand umschloss den Ast immer fester. Er verpasste den Hund einen leichten Tritt mit dem Fuß und rief „Hau endlich ab!“

Er spürte die unglaubliche Aggression in sich aufsteigen und als der Hund immer noch wie wild bellte, schlug er mit dem Ast zu. Der Hund jaulte auf und wieder und wieder ließ Beyond den knüppelähnlichen Ast niedersausen, bis der kleine Hund sich nicht mehr rührte. Blut klebte am Ast und das, was aus der Kopfwunde floss, versickerte im Waldboden. Als der Junge wieder klar denken konnte, ließ er entsetzt den Ast fallen und sank in die Knie. „Oh mein Gott… das… das wollte ich nicht. Warum? Warum habe ich das getan?“ In diesem Moment brachen alle aufgestauten Gefühle aus und Beyond begann zu weinen. Ein herzzereißender Schrei ließ den Wald erzittern und durch diesen markerschütternden Schrei erschreckt, flogen ein paar Vögel davon. Ein Donnergrollen übertönte Beyonds Wehklagen und es begann zu regnen. Doch er hatte nicht vor, zu Wammys House zurück zu kehren. Er brauchte etwas Zeit für sich selbst…

Nachdem er den kleinen Hund begraben hatte, setzte er sich in den Regenschatten eines umgestürzten Baumes und machte sich ganz klein. Noch nie hatte er sich so schrecklich gefühlt. Er hatte L erpresst, ein paar kleine Kinder bedroht und einen kleinen Hund erschlagen. Er sah hoch in den Himmel und wischte sich die Tränen ab. „Mum, ich weiß nicht ob ich das länger durchstehen kann. Ich habe Angst. Stück für Stück… mit jeder Faser meines Körpers beginnt sich mein jetziges Ich zu verändern, ohne dass ich es aufhalten geschweige denn überhaupt sagen kann, ob diese Veränderung sich negativ auf mich auswirkt und wie weit sie schon fortgeschritten ist. Aber ich kann eins mit Sicherheit sagen: Diese Veränderung bereitet mir Angst, weil ich nicht weiß, in was sie mich verändert. Was soll ich bloß tun? Ich verwandle mich noch in ein brutales Monster…“
 

In den Morgenstunden fand man Beyond Birthday schließlich. Er war unterkühlt, erschöpft und ausgehungert. Er lag lange Zeit im Bett und war kaum ansprechbar. Weder mit A noch mit Roger wechselte er ein Wort und wurde drei Tage vom Unterricht freigestellt. Er hatte langsam keine Kraft mehr zum Kämpfen und wusste nicht mehr weiter. Als es dann Sonntag war und die meisten in die Kirche gingen, leistete Andrew ihm Gesellschaft. „Wieso gehst du denn nicht in die Kirche?“

„Die gehen immer in den protestantischen Gottesdienst. Ich bin eigentlich katholisch, aber mit Religion hab ich nicht viel am Hut.“ Er setzte sich zu Beyond und stellte ihm ein Glas seiner Lieblingsmarmelade hin. „Es… es tut mir leid“, murmelte Andrew und sah weg, damit Beyond nicht sehen konnte, dass dieser weinte. „Aber warum? Du kannst doch nichts…“ „Kann ich wohl!“ entgegnete er und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. „Seien wir doch mal ehrlich: Ich bin eine echte Belastung für dich. Du willst mir nur helfen und nimmst alles auf dich und was ist mit mir? Ich mach dir nur Kummer und jetzt, wo ich auf dem Weg der Besserung bin, wirst du krank. Was bin ich für ein Freund?“ Am liebsten hätte Beyond Birthday gesagt, dass es nicht nur daran lag, sondern dass er einfach nur schreckliche Angst hatte, seinen besten Freund zu verlieren. Es war ihm egal, wie schlecht es ihm dabei ging, wenn er nur verhindern konnte, dass Andrew starb. Doch das konnte er ihm doch nicht sagen. Zwar glaubte Andrew ihm, dass er diese Gabe hatte, aber wie würde er reagieren, wenn er erfuhr, dass er bald sterben würde? Er setzte sich auf und schloss seinen Freund in die Arme. „Wir werden das durchstehen“, versprach er. „Gemeinsam werden wir es schaffen. Verlass dich drauf.“

Doch innerlich schien der 15-jährige Beyond Birthday zu bereits zu wissen, dass er nichts mehr ändern konnte, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Seine ganze Energie war verbraucht und jetzt, wo es ihm schlecht ging, schien alles wieder aus dem Ruder zu laufen. Er musste sich zwingen, durchzuhalten. Wenn er es schaffen würde, Andrew vor dem Tode zu retten, dann wären all die Strapazen es wert gewesen. Alles hätte sich dann endlich ausgezahlt. „Mach dir um mich keine Sorgen Andrew. Wenn wir es erst einmal geschafft haben, dann kann uns nichts mehr auseinander reißen.“
 

Die Sommerferien hatten endlich begonnen und das bedeutete drei freie Wochen für die Kinder aus Wammys House. Auf diesen Moment hatte Beyond sehnlich gewartet, weil er unbedingt seine ganze verlorene Freizeit zusammen mit Andrew nachholen wollte. Er hatte so vieles geplant: Draußen zelten, zum See schwimmen gehen und das Theater in London besuchen, wo zurzeit Shakespeares „MacBeth“ aufgeführt wurde. Angeblich sollte dieses Stück verflucht sein, weil zu Shakespeares Zeiten viele Schauspieler durch die Schwertkämpfe in den Akten ums Leben kamen, oder schwer verletzt wurden. Außerdem sollte die Aussprache des Namens „MacBeth“ großes Unglück über die Schauspieler bringen. Beyond trug sich und Andrew in die Liste für den Theaterbesuch ein und eilte aufs Zimmer, wo sein bester Freund noch mit dem Aufräumen seines Schrankes beschäftigt war. „Hey Andrew, ich hab uns beide für das Stück am kommenden Freitag eingetragen!“

„Cool“, rief dieser und ließ aus Versehen eine Kiste mit Arbeitsblättern fallen. Die Blätter verstreuten sich auf dem Boden und gemeinsam mit ihm sammelte Beyond sie auf und erzählte von seinen Sommerferienplänen. Doch Andrew zog ein trauriges Gesicht. „Ich würde ja gerne mit dir all diese Sachen machen, aber ich kann nicht! Ich hab noch einiges nachzuholen, nachdem ich letzte Woche an den Windpocken erkrankt bin. Das muss leider erst warten. Aber das holen wir schon nach, okay?“ Enttäuscht darüber nickte Beyond und seufzte. Es war wirklich blöd, den ganzen verpassten Lernstoff in den Sommerferien nachzuholen, aber wenn er keine andere Wahl hatte… „Ich schätze, dann werde ich mich auch hinter die Bücher setzen. Immerhin möchte ich dich übertreffen.“ „Viel Spaß dabei, das schaffst du niemals!“ Den Rest des Tages verbrachten sie damit, ihr Zimmer auf Vordermann zu bringen, zu lernen und als sie dann fertig waren, am See Steine zu flippen. Die blutrote Sonne ging bereits unter und tauchte das Wasser in warme, atemberaubende Farben. „Du Beyond, was ich dich mal fragen wollte… also es ist so…“ Beyond warf einen Stein weit aufs Wasser hinaus, wobei dieser sieben Mal die Oberfläche berührte, bevor er ganz versank. Beyond sah ihn mit seinen pechschwarzen Pandaaugen an und sah, dass Andrew irgendetwas beschäftigte. „Was denn?“

„…Ach nichts…“ Als es langsam dunkel wurde, gingen sie wieder zum Waisenhaus zurück. Andrew wollte noch etwas in seinem Zimmer erledigen, bevor sie sich heimlich unten im Medienraum einen Horrorfilm ansehen wollten. Beyond machte sich Sorgen, weil er Andrews nachdenklichen und traurigen Blick nicht mehr aus dem Kopf bekam. Irgendetwas war gewesen… Wollte er etwa seine Todeszeit wissen? Die Todeszeit… Schlagartig wurde Beyond bewusst, was ihn sonst noch beschäftigt hatte: Andrews Lebenszeit! Sie hatte die Null erreicht und das konnte nur noch eins bedeuten… "Oh Gott, lass es noch nicht zu spät sein!"

Beyond eilte den Flur des Nebentraktes entlang, rempelte ältere Kinder an und prallte schließlich mit einem 10-jährigen Jungen zusammen, welcher gerade aus einem Zimmer kam. „Hast du keine Augen im Kopf, du Blödmann?“ schimpfte der Blondhaarige namens Mihael Keehl und sah Beyond wütend an. Doch für Zankereien hatte Beyond keine Zeit. „Hol sofort Roger und sag ihm, dass A in Gefahr ist!“

Als Beyond endlich das Zimmer erreichte, versuchte er die Tür zu öffnen, doch sie war verschlossen. Mit der Faust schlug Beyond gegen die weiß gestrichene Holztür. „Andrew! Öffne die Tür! Mach die scheiß Tür auf, verdammt!“ Mit Faustschlägen und Fußtritten hämmerte der aufgebrachte Junge gegen die Tür, jedoch ohne Erfolg. A öffnete die Tür nicht. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als die Tür gewaltsam aufzubrechen. Mit seinem ganzen Körpereinsatz warf er sich gegen sie. Nichts, nur seine Schulter schmerzte sehr. „Öffne endlich die Tür, oder ich breche sie gewaltsam auf!!!“ Immer mehr Schaulustige waren gekommen, die von Beyonds Geschrei aufmerksam gemacht wurden. „Um Gottes Willen, mach die Tür auf!“ Als sie sahen, wie verängstigt und verzweifelt er war, begannen auch ein paar Ältere mitzuhelfen und versuchten gemeinsam die Tür aufzubrechen. Als es endlich gelang, war auch Roger zur Stelle und stürmte mit Beyond ins Zimmer. Ein grausiger Anblick bot sich ihnen.

Leblos baumelte der Körper von Andrew Asylum über dem Boden und sein Gesicht war zu einer schrecklichen Fratze verzerrt. Er hatte sich an ein Seil aufgehängt und erdrosselt. „Nein“, murmelte Beyond fassungslos, als sich ihm dieses Bild bot „das kann nicht sein“. Er packte Andrews Beine und versuchte ihn hoch zu drücken, damit dieser atmen konnte. Roger zerrte ihn beiseite und kümmerte sich selbst darum, den Toten herunterzuholen. Beyond wollte zu ihm. Vielleicht konnte er ihn noch mit einer Herzmassage retten. Vielleicht war es noch nicht zu spät… doch Roger hielt ihn zurück. „Lass mich! Ich kann ihm noch helfen. Er ist nicht tot! Er ist noch nicht tot!!!“ Der Erwachsene hielt ihn fest ihm Griff, doch Beyond schlug wild um sich. Er sah die ganzen Neugierigen, die ins Zimmer kamen, um den Toten zu begaffen und als er dies sah, schaltete sich sein Verstand aus. Er wurde gewalttätig, griff jeden an, der ihm zu nahe kam und hörte nicht auf tröstende Worte. Es war unmöglich, ihn festzuhalten und als er dann anfing, einen Gaffer zu würden, der fragte, was denn los sei, wurde er mit einem Elektroschocker außer Gefecht gesetzt. „Andrew...“ Das waren seine letzten Worte, bevor er das Bewusstsein verlor. Es war nur ein Traum, dachte er. Nur ein schlechter Traum…
 

…wenn ich aufwache, dann wird alles in Ordnung sein…

Hass

Als Beyond Birthday sich einigermaßen beruhigt hatte, wurde ihm das Ausmaß seines Wutausbruchs bewusst. Er hatte einem Älteren einen Zahn rausgeschlagen, ein Mädchen erlitt eine Gehirnerschütterung und Roger hatte eine Fraktur am linken Handgelenk. Der Rest der Verletzungen bestand aus Hämatomen, Schmerzen und einer Brustkorbprellung. Da man befürchtete, dass Beyond einen weiteren Wutausbruch erleiden und auf die Kinder losgehen würde, wurde er in einem Einzelzimmer eingeschlossen. Nur zwischendurch schaute man nach ihm und sah, dass er sich unzählige Schnitte an dem Arm zugefügt hatte. Dazu hatte er die Klinge aus einem Rasierer entfernt, weil sonstige spitze Gegenstände aus Vorsorge mitgenommen wurden. Zwar hatte Beyond sich nicht ins Handgelenk geschnitten und eine Pulsader verletzt, jedoch war dies ein deutliches Alarmsignal gewesen und so zog man einen Psychologen zu Rate. Dieser ging Beyond ziemlich auf die Nerven mit seiner Trauerhilfe, denn das half ihm auch nichts. Er hatte gewusst, dass Andrew sterben würde und konnte es nicht verhindern. Da brauchte ihm dieser Seelenklempner nichts in der Art zu sagen, dass der Tod zum Leben gehörte. Das wusste er selbst, doch dass er nichts unternehmen konnte, um einen vorbestimmten Tod zu verhindern, das war es, was ihn so sehr quälte. Doch das sagte er dem Psychologen nicht. Dieser würde sofort glauben, dass er nicht ganz richtig im Kopf war und dass dies Ursache eines Schocks war oder so.

Da er aber auch keine Lust hatte, als ein ignoranter Sturkopf durchzugehen, dem überhaupt nicht geholfen werden wollte, spielte er geschickt das kleine Therapiespielchen mit. Immer wieder musste er sich anhören, dass das Leben weiterging und dass es noch nicht zu Ende war. Das alles interessierte den Jungen nicht die Bohne. Innerlich hatte er seine ganzen negativen Gefühle eingeschlossen und als er schließlich als geheilt entlassen wurde, wurde auf der Trauerfeier dann der Abschiedsbrief vorgelesen:
 

„Ich habe es endlich verstanden, dass man, egal was man tut, niemals so sein wird wie L. Auch wenn ich als sein Nachfolger gewählt wurde, so konnte ich niemals sein Level erreichen und habe auch gemerkt, dass ich nicht im Geringsten an ihn heran konnte. Ich besitze nicht die psychische Stärke wie alle anderen und wenn es mir schlecht geht, dann bringe ich meine Freunde in genau solch eine Lage. Wie soll aus mir ein neuer L werden, wenn ich es noch nicht einmal in Wammys House durchhalte? Tut mir leid, dass ich mich für den einfachen Weg entschieden habe, aber ich sah mich in einer Situation, in der ich weder nach vorne, zurück oder zur Seite gehen konnte. Ich habe euch alle enttäuscht. Es tut mir aufrichtig leid. Besonders bei dir möchte ich mich entschuldigen, Beyond. Du warst mein bester Freund und hast immer zu mir gehalten. Du wolltest nur mein Bestes und bist fast daran kaputt gegangen. Immerzu hast du dich nur um mich gekümmert und ich war selbst nicht fähig, dir zu helfen. Was bin ich für ein Freund, der alles auf dich abschiebt und dir noch mehr Kummer bereitet, als du eh schon hast? Ich hoffe, dass du mir irgendwann verzeihen kannst und bitte dich, dein Leben so zu führen, wie du willst und dich nicht so gehen lässt wie ich. Und bitte gib dir nicht die Schuld für meinen Freitod. Es liegt weder an dir, noch an irgendjemand anderen in dieser Welt. Es war meine freie Entscheidung und ich will auch nicht, dass jemandem dafür die Schuld gegeben wird.

Beyond, ich danke dir für alles, was du für mich getan hast. Du bist der beste Freund, den man sich wünschen kann.
 

Lebt wohl Freunde
 

Andrew Asylum, genannt A“
 

Es wurde eine Schweigeminute eingelegt und während der Trauerzeremonie wurde der Leichnam Andrews eingeäschert und die Asche über das Waisenhaus verstreut. Beyond musste sich sehr zusammenreißen um nicht zu weinen. Die anderen Kinder sahen ihn mit seltsamen Blicken an und begannen zu tuscheln. „Das ist doch der, der Roger die Hand gebrochen hat.“

„Ja, der Typ hat sie nicht mehr alle. Lass uns bloß weg!“ Es war genauso wie früher. Wie immer wurde er ausgegrenzt und alle tuschelten hinter seinem Rücken. Wahrscheinlich war es der Zeitpunkt, an dem Beyond Birthdays Gedanken anfingen, radikal und abwertend zu werden. Etwas in seinem Innersten wurde geweckt, welches niemals hätte aufwachen dürfen. Jenen, die zu ihm standen, ging er aus dem Weg und den anderen warf er böse Blicke zu und reagierte sehr abweisend und kühl. Sein Kummer verwandelte sich immer mehr in Hass. Es war nicht seine Schuld, dass Andrew gestorben war. Er hatte getan, was er konnte und das war nicht genug. Die Schuld lag einzig und allein bei L. Wenn er Andrew als Nachfolger zurückgezogen hätte, dann wäre das alles gar nicht erst passiert. L hatte ihn auf dem Gewissen! Unbändiger Hass stieg in dem 15-jährigen auf und als er wieder in seinem Zimmer war, warf er schreiend Gegenstände durch den Raum, warf das Fenster ein und riss die Gardine ab. Wie ein Wahnsinniger tobte er und als er sein Werk beendet hatte, brach er weinend zusammen. Diese Welt war so ungerecht. Warum nur musste sie immer die Menschen nehmen, die ihm am wichtigsten waren? Hasste Gott ihn etwa? Für ihn gab es keine Gerechtigkeit mehr. Nicht nachdem Andrew sich umgebracht hatte. Schwer atmend ließ sich Beyond neben dem Bett auf dem Boden sinken, nahm ein Cuttermesser und rammte die Spitze in den Teppichboden, wieder und wieder…

Wie sehr wünschte er sich, L jetzt gegenüber zu stehen und ihm dieses Messer in den Körper zu stoßen. Allein der Gedanke an sein Blut gab ihm eine gewisse Befriedigung. Er würde ihn A’s Namen ins Fleisch schneiden, damit… Moment mal! Was zum Teufel dachte er gerade?

Entsetzt über seinen grausigen Gedanken schrak Beyond auf und sah die unzähligen Schnittstellen, die er mit dem Cuttermesser geschnitten hatte. Sein Herz raste, er vergrub sein Gesicht in die Hände und atmete schwer. „Ich dreh noch durch… ich dreh echt noch durch…“
 

Zwei Tage nach Andrews Bestattung wurden alle Wammy-Kinder in den leer geräumten Speisesaal gerufen, wo Roger einen Laptop aufgestellt hatte. Alle nahmen auf den aufgereihten Stühlen Platz und es wurde still. Ein schwarzes, im altenglischen Stil geschriebenes „L“ erschien auf einem weiß flackernden Hintergrund. Roger, dessen gebrochenes Handgelenk in Gips bandagiert war, räusperte sich laut. „L möchte aufgrund der jüngsten Ereignisse ein paar Worte an euch richten. Bitte hört zu und seid ruhig.“

Beyond Birthday ballte die Hände zu Fäusten, als er dies hörte. Versuchte sich dieser Dreckskerl aus der Affäre zu ziehen oder alles herunterzuspielen? Oder war es sogar möglich, dass er…

Nein, redete sich Beyond Birthday ein und versuchte den aufsteigenden Ärger wieder einzudämmen. So etwas würde er nicht wagen. Nicht so kurz nach Andrews Tod. „Guten Tag an alle, hier spricht L.“ Alle erwiderten seinen Gruß mit einem „Guten Tag L“, nur Beyond schwieg. Er war nicht in der Stimmung für so etwas und betete, dass L nicht wagen würde, was er gerade gedacht hatte. „Die jüngsten Ereignisse sind äußerst tragisch und ich spreche mein tiefstes Bedauern aus. Es ist wirklich tragisch, ein Mitglied unserer Familie unter solch schrecklichen Umständen zu verlieren. Nichtsdestotrotz muss ein neuer Nachfolger gewählt werden, auch wenn einige von euch der Meinung sein werden, dass dies noch verfrüht sei. Da dies aber eine Sache äußerster Dringlichkeit ist, bitte ich um Verständnis. Kommen wir zum Punkt! Ich habe eure Notendurchschnitte und sonstigen Fähigkeiten durchgesehen und bin zu dem Entschluss gekommen, dass sich zurzeit nur eine einzige Person für meine Nachfolge eignet: B.“

Alle Blicke ruhten auf Beyond Birthday und die Versammelten klatschten Beifall. Roger winkte den Jungen nach vorn, damit er ein paar Worte an L und die anderen Anwesenden richten konnte. Doch es waren keine Dankesworte, die er an sie richten wollte. Langsam und fest schloss sich seine Hand um den kalten Stahl, den er in seiner Jackentasche trug. Als er nach vorne ging, schüttelte Roger ihm die Hand und gratulierte ihm. „Möchtest du etwas dazu sagen?“ Wie ich euch doch hasse, dachte Beyond. Ihr seid alle so verabscheuungswürdig. Kaum ist A tot, schon dreht sich alles nur noch um diesen L. Wie widerlich. Sein linker Arm, mit dessen Hand er das kalte Metall umklammert hielt, spannte sich an. Dann geschah alles ganz schnell. Mit einem kräftigen Stoß rammte er das Küchenmesser auf die Tastatur des Laptops. Anscheinend schien er ein wichtiges Teil erwischt zu haben, denn sofort fiel er aus und der Bildschirm erlosch. „Wie könnt ihr es wagen…“, brachte Beyond Birthday mit zitternder Stimme hervor. „Kaum eine Woche ist nach A’s Selbstmord vergangen und ihr habt nichts Besseres zu tun, als einen neuen Nachfolger zu wählen? Hättet ihr ihn früher zurückgezogen und einen anderen gewählt, dann hätte er sich nicht umgebracht! Sein Blut klebt an euren Händen verdammt! Ihr habt ihn auf dem Gewissen! Ihr seid alle verdammte Mörder, jeder Einzelne von euch!!!“ Roger wollte etwas sagen, doch er kam gar nicht dazu. Beyond zog das Messer aus dem zerstörten Laptop und verließ den Raum. Er hatte genug von diesem Waisenhaus. Am liebsten hätte er ein Feuer gelegt und alles bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Tatsächlich schien er den Gedanken als gar nicht mal so verwerflich zu sehen, doch schnell ließ er davon ab. Es brachte nichts, wenn er ein paar Kinder umbrachte, die nur Versuchskarnickel Quillish Wammys waren. Dieser senile alte Sack war doch so vernarrt in L’s Genialität, dass er weitere Kinder seiner Sorte hervorbringen wollte mit dem Ergebnis, dass er und L Andrew Asylum in den Selbstmord getrieben hatten. In seinem Leben wollte er nie wieder einen Fuß in dieses Institut setzen.

Als es dunkel wurde, schlich sich eine gebückte Gestalt den ausgestorbenen Gang hinunter, vorbei an der Aufsicht zur Hintertür hinaus in den umzäunten Garten, in dem sich auch ein Denkmal für den verstorbenen Andrew befand. Sein wahrer Name war in einer Stahlplatte eingearbeitet und ein marmorner Engel bewachte die Tafel. Wenn jemand zu der späten Stunde anwesend gewesen wäre, was aber nicht der Fall war, so hätte man die Gestalt sagen hören „Wenn der Zeitpunkt gekommen ist Andrew, dann werde ich zurückkehren, zu dir… das verspreche ich dir.“
 

Als man am nächsten Morgen das Einzelzimmer von Beyond Birthday öffnete, war alles zerstört worden. Der Spiegel im Bad war zerbrochen, Kissen waren aufgeschlitzt und das Fenster eingeworfen worden. Die Schränke waren leer, Kleidung und Schuhe fehlten sowie eine Tasche. Von Beyond Birthday fehlte jede Spur.

Hoffnung?

Beyond Birthday hatte Wammys House heimlich über Nacht verlassen und war bis zur nächsten Stadt gelaufen und dort per Anhalter nach London gefahren. Sein Ziel war die medizinische Fakultät. Zwar wies man ihn zuerst ab, weil er kein Zeugnis einer staatlich anerkannten Schule vorweisen konnte, doch als er den Namen Wammys House erwähnte, wurde er für die Aufnahmeprüfung zugelassen und bestand zur Überraschung aller Studenten und Professoren als Bester, trotz seiner 15 Jahre. Dies war noch nie zuvor vorgekommen und man betrachtete Beyond als eine Art Wunderknaben. Diese Meinung teilten aber nicht alle. Die eine Seite hielt Beyond für interessant und begabt, die andere Hälfte traute dem Braten nicht. Für sie stand fest, dass es bei der Prüfung nicht mit rechten Dingen zugegangen war und sie vermuteten, dass dieser frühreife Neuling betrogen hatte. Jedenfalls war Beyond, der zu der Zeit den Decknamen Rue Ryuzaki annahm (dessen Name er auch später im Mordfall Los Angeles benutzte), in den kommenden drei Wochen das Gesprächsthema der Fakultät. Freunde hatte er keine, die brauchte er auch nicht. Die meisten von ihnen waren zwar intelligent genug, um sich an der medizinischen Fakultät über Wasser halten zu können, aber zum größten Teil benahmen sie sich wie Affen und hormongeplagte Teenager, sodass er es auch nicht als nötig betrachtete, sich welche zu suchen. Außerdem waren zum größten Teil alle viel älter als er und wenn jemand Sympathie für ihn empfand, dann höchstens, weil man ihn als eine Art kleinen Bruder betrachtete. All diese Studenten widerten ihn an und er redete nur ein Wort mit ihnen, wenn es die Umstände so erforderten, beispielsweise wenn er für Nachforschungen und Projekte die verschiedensten Geräte benutzen musste. Und da er noch nicht volljährig war, brauchte er immer einen Projektpartner, der notfalls eingreifen oder helfen konnte. Es waren nach seiner Meinung Zustände wie im Kindergarten und er hatte keine Lust, mit auch nur einem von ihnen seine wertvolle Freizeit zu vergeuden, sondern kniete sich lieber in die Arbeit. Im Vergleich zu Wammys House war das alles viel entspannter und entlastender, weil er zum größten Teil den Unterrichtsstoff im Waisenhaus durchgearbeitet hatte und somit nicht viel zu lernen hatte. Dass er wenig lernte und dabei die besten Prüfungen und Tests schrieb, blieb natürlich nicht lange unbemerkt. Immer mehr Studenten begannen über diesen Ryuzaki, den sie auch „Kleiner“ oder „Zwerg“ nannten, zu tratschen und immer mehr Gerüchte in die Welt zu setzen. Es dauerte nicht lange, da kam es zu ersten Hänseleien und Beyond wurde schnell zur Zielscheibe des Unmuts der Studenten. Man stellte ihm ein Bein, sodass er einmal beinahe die Treppen hinuntergestürzt wäre und man stieß ihn zu Boden. Seine Tasche wurde aus dem Fenster geworfen und die Seiten seiner Hefte zugeklebt. Auch heute war es wieder extrem geworden. Er war nur kurz auf den Gang gegangen, um einen Studenten wegen eines Projektes anzusprechen, da hatte man Kakerlaken in seine Tasche gesteckt und in seiner Jacke Reißnägel befestigt, sodass er sich beinahe den ganzen, eh schon vernarbten Arm aufgerissen hätte. Er wurde schließlich von einer Studentin darauf aufmerksam gemacht. Ihr Name war Naomi Stone, mit der er schon einmal zusammengearbeitet hatte.

Auch sie war eine Waise und verdiente sich ihr Geld, indem sie Pizzen auslieferte. Sie trug meist schwarzes Leder und besaß ein Motorrad, welches sie von ihrem Onkel geschenkt bekam, nachdem dieser nach einem Unfall querschnittsgelähmt war. Naomi war eine 19-jährige, sehr hübsche Studentin mit kurz geschnittenem brünetten Haar und tiefschwarzen Augen. Ihrer Lebenszeit nach zu urteilen würde sie in einem Alter von 80 Jahren sterben. „Alles in Ordnung?“ fragte sie, nachdem sie ihm half, das Ungeziefer aus seiner Tasche zu entfernen. „Diese Mistkerle sind so was von unmöglich. Immer auf die Schwächeren!“ In ihrem Charakter erkannte Beyond ein Stück von A wieder. Sie war ebenfalls sehr besorgt und hatte einen sehr fürsorglichen Charakter. Doch anders als bei seinem verstorbenen Freund schien sie mehr Stärke und Selbstbewusstsein zu besitzen. Doch ganz traute Beyond dem Braten nicht. „Wir sollten besser nicht zusammen gesehen werden, sonst wirst du ebenfalls genauso behandelt wie ich.“ Jetzt geht sie weg, dachte er und schluckte den aufkeimenden Ärger über dieses Kindergartenniveau hinunter. Doch Naomi schüttelte den Kopf. „Ist mir doch egal, was diese Idioten denken. Ich für meinen Teil finde es einfach ungerecht, auf einen loszugehen, nur weil er mit jüngerem Alter einen höheren Intellekt hat. Wir sind doch nicht mehr im Kindergarten, oder?“

Beyond merkte bereits, dass er einiges mit Naomi gemeinsam hatte. Auch sie schien von den Zuständen abgeneigt zu sein und sich nicht gerne mit so einem Haufen Subjekte abzugeben, die mehr Affen als Menschen zu sein schienen. Zwar war sie ein paar Jahre älter als er selbst, doch sie schien ihm sympathisch zu sein.

Nach dem Unterricht verabredeten sie sich zum Essen in einem kleinen Imbiss. Beyond ging zuerst jedoch in seine Studentenunterkunft, die er sich mit zwei anderen teilte, die die meiste Zeit nur mit ihren technischen Erfindungen zugange waren und sich nicht für die Gerüchte und Geschichten um Beyond interessierten. Sie waren typische Nerd-Studenten, bei denen sich zum größten Teil alles um alle Serien drehte, die mit „Star“ anfingen oder dieses Wort beinhalteten. Wie also Star Trek, Star Gate oder ebenhalt Battle Star Galactika. Zwei ziemlich klischeehafte Studenten…

Beyond ging ins Bad und betrachtete sich im Spiegel. Seine dunklen schwarzen Augen stachen förmlich hervor und waren das Unheimlichste an seiner Erscheinung. Er hatte dicke Augenringe, was an dem Schlafmangel lag, den er seit Wammys House hatte. Es lag zumal an dem Lerndruck, die Angst um A’s Tod und jetzt aufgrund quälender Alpträume, bezüglich seines Selbstmordes, den er nicht verhindern konnte. Sein schulterlanges schwarzes Haar hatte er sich letztens schneiden lassen und er hatte immer wieder das Problem gehabt, dass sein Haar so widerspenstig war. Egal wie oft er es frisierte und wusch, es half nichts. Also ließ er es einfach und akzeptierte, dass er ein richtiger Zottelkopf war. Auch seine Kleidung war fürchterlich. Da er nur ein Student war, der sein Geld damit verdiente, dass er anderen Nachhilfe gab, konnte er sich nichts Außergewöhnliches und Schickes leisten. Die meiste Zeit über trug er nur eine Jeans und einen weißen Pullover. Socken trug er nur äußerst ungern und lief die meiste Zeit barfuß.

Wenn er Schuhe trug, dann hauptsächlich bequeme Sneakers. Er machte einen etwas verschrobenen und ärmlichen Eindruck. Sein Körper sonst war weder gut durchtrainiert noch unansehnlich. Eher so ein Zwischending…

Er war zwar 180cm groß, wirkte aber dennoch um einiges kleiner, da er stets gebeugt lief. Außerdem hatte er es sich angewöhnt, die Hände in den Hosentaschen zu stecken und mit einem Katzenbuckel durch die Gegend zu laufen. Seine Arme hatten Narben von den Schnitten, die er sich bei seinem Nervenzusammenbruch kurz nach A’s Tod zugefügt hatte und Operationsrückstände am Fuß, den er sich im Alter von sieben Jahren bei einem heftigen Sturz vom Fahrrad gebrochen hatte. Alles in einem: Er war kein sehr attraktiver und gut aussehender Junge, der noch nicht einmal einen Ansatz von ersten Barthaaren hatte, aber er war auch nicht abstoßend hässlich. Man konnte höchstens von ihm sagen, dass er sehr eigen und verschroben wirkte. Wie eine Art verrückter Professor oder so in der Art.
 

Nach einer Stunde trafen sich die beiden in „Marvins Imbiss“, einem kleinen Laden etwas abseits der Londoner Meile, wo alles zu teuer für einen bescheidenen Studenten war. Beyond hatte sich einen schwarzen, gebügelten Pullover und eine ordentliche Jeans angezogen, damit Naomi sich nicht schämen musste. Zumindest so viel Mitgefühl wollte er entgegenbringen. Das mit seinen Haaren konnte er jedoch nicht ändern. Nicht einmal mit dem Glätteisen hatte er Erfolg und eine Glatze wollte er sich auch nicht scheren lassen. Naomi trug einen beigefarbenen Rollkragenpullover, eine Kette mit bunten Glasperlen und einen Parker. Ihre Haare waren wild frisiert wie sonst auch und sie winkte Beyond lächelnd zu. „Ah Ryuzaki, schön dass du doch noch gekommen bist.“ „Ich bin pünktlich auf die Sekunde. Dann bist du eben zu früh gekommen.“ Sie saßen zusammen etwas weiter abseits der großen Fenster, durch die man auf das wilde Leben der Straße sehen konnte. Naomi erzählte einiges von sich, dass sie ihre Eltern durch einen Banküberfall verloren hatte und eine Zeit lang bei ihrem Onkel lebte, der bereits einen Schlaganfall hinter sich hatte, sich aber sehr schnell wieder erholt hatte. Er war leidenschaftlicher Motorradfahrer gewesen und hatte einige regionale Wettrennen gewonnen, bis er dann durch einen Unfall seine Beine nicht mehr gebrauchen konnte und im Rollstuhl saß. Er hatte einen Großteil seiner Ersparnisse für Naomis Bildung und Versorgung ausgegeben und da sie ihm nicht weiter zur Last fallen wollte, ging sie selbst jobben und unterstützte ihn nebenbei noch. Auch Beyond erzählte höflicherweise seine Geschichte, verschwieg jedoch zunächst seine Gabe und als er zu dem Punkt kam, an dem er das Waisenhaus verlassen hatte, beendete er die Geschichte. Naomi sah ihn mit einem sehr bemitleidenswerten Blick an. „Du hast wirklich eine sehr schwere Zeit hinter dir. Das mit deiner Mutter und deinem Freund…“

„Und es ist mit unter anderem meine Schuld, weil ich ihren Tod nicht verhindern konnte.“ Naomi schüttelte den Kopf und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Weißt du, ich glaube, dass niemand das Schicksal ändern kann, was einem vorbestimmt ist. Man kann das Leben nicht verändern, höchstens verkürzen... glaube ich. Ich habe mich einige Zeit lang mit dem Tode beschäftigt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass man nur unter dem Einsatz seines eigenen Lebens das Leben eines anderen retten kann.“ Wie wahr Naomis Aussage doch war, wenn man auf das wahre und endgültige Ende von Beyond Birthday hinblickt, nachdem er die Hinrichtung Kiras überlebte und durch die Opferung seines Lebens einen anderen retten konnte. Doch das liegt in ferner Zukunft und der 15-jährige Beyond Birthday hatte keine Ahnung, was zehn bis fünfzehn Jahre später geschehen würde.
 

Der Nachmittag endete damit, dass sie beide sich immer näher kamen und sich prächtig verstanden. Sie beschlossen, den Abend mit einem Kinobesuch abzurunden, einen Actionfilm wohl gemerkt und gingen danach wieder in ihre eigene Studentenwohnung. Sein Herz fühlte sich ungewohnt leicht an und eine positive Energie ging von ihm aus. Es war ein ungewohntes Gefühl und wenn er seine Gefühle nicht schon längst verschlossen hätte,, dann würde er sagen, dass er glücklich war. Er ging ins Bad und sah in den Spiegel. „Soll ich es noch einmal wagen? Einen Menschen ins Herz zu schließen?“ fragte er sein Spiegelbild und wusch sich sein Gesicht mit eiskaltem Wasser ab. Er war unsicher, ob er ein letztes Mal seine Gefühle „freilassen“ sollte, um es sich zu ermöglichen, für einen Menschen Gefühle zu entwickeln. Was sollte schon schief gehen? Naomis Zeituhr lief erst in einigen Jahrzehnten ab und sie waren sich sehr ähnlich vom Charakter. Er lächelte, zog seinen Pyjama an und ging ins Bett. „Vielleicht ist ja doch nicht alles verloren…“

Letzte Veränderung

Die Tage vergingen und der Herbst kam nach Großbritannien. Inzwischen waren Naomi Stone und Beyond Birthday alias Rue Ryuzaki gute Freunde. Sie erklärte sich bereit, ihm bei seinen Projekten zu helfen und er half ihr in Mathematik und in Fremdsprachen. Sie saßen zusammen im Park am Teich und beobachteten die Vögel und Enten. „Weißt du Ryuzaki“, seufzte Naomi, während sie das Panorama mit einem Kohlestift auf einem Zeichenblock zeichnete, wobei Beyond feststellen musste, dass sie wirklich Talent hatte. „Irgendwie mag ich den Herbst, auch wenn es bedeutet, dass es hauptsächlich nur Regen und Stürme gibt. Die Bäume werfen ihr Laub ab und symbolisch steht der Herbst für das Sterben, aber auch gleichzeitig die Rückkehr der Toten. Nimm mal beispielsweise Halloween. In Südamerika zum Beispiel werden durch verschiedene Rituale die Seelen ihrer verstorbenen Angehörigen zurück ins Haus geholt. Außerdem finde ich, dass die Bäume in dieser Jahreszeit doch am schönsten sind.“

Sie führten immer philosophische Gespräche und dachten viel nach. Beyond merkte schnell, dass sich Naomi auf einem Level mit ihm befand und viel vernünftiger war als andere. Wenn er etwas älter wäre, dann würde er sich noch in sie verlieben…

„Du Naomi, ich muss dir ein Geheimnis verraten. Eines das ich nur meinem verstorbenen Freund erzählt habe…“

Das schien die hübsche junge Frau sehr zu rühren und sie errötete leicht. „Echt? Du willst mir ein Geheimnis anvertrauen? Das ist ja echt nett von dir!“ Beyonds Herz begann zu rasen und er atmete tief durch. Er war aufgeregt und vor allem in Sorge, dass sie ihm nicht glauben oder ihn sogar auslachen würde. Trotzdem wollte er es tun. Wenn sie befreundet sein wollten, dann sollten sie auch keine Geheimnisse voreinander haben. Aber das mit seinem Namen würde er ihr erst später erzählen. Man hatte ihm immer wieder in Wammys House eingetrichtert, mit der Preisgebung seiner Identität aufzupassen, weil es einem irgendwann zum Verhängnis werden würde. „Naomi... ich weiß, es wird dir sehr schwer fallen, mir das zu glauben, was ich dir erzählen werde. Aber ich schwöre dir, dass es die Wahrheit ist! Naomi, ich besitze eine Gabe, die kein anderer Mensch besitzt.“

„Telepathie?“ Beyond schüttelte heftig den Kopf und hatte das Gefühl, ein Kloß würde in seinem Hals stecken, der verhindern wollte, dass er sein Geheimnis preisgab. Dann aber schaffte er es, seine innere Blockade zu überwinden. „Naomi, ich kann seit meiner Geburt aus irgendeinen Grund die Namen aller Menschen sehen, deren Gesicht ich sehen kann und dazu auch noch ihre Lebenszeit. Will also sagen, ich weiß wann jemand stirbt!“

Eine peinliche Stille trat ein und fassungslos sah ihn die brünette Studentin an. Beyond wurde es langsam unangenehm. „Was ist? Sag doch was!“ Naomi packte ihre Sachen in ihren Rucksack und stand auf. Ihr Gesichtsausdruck war seltsam, aber leider auch nicht einzuordnen. „Tut mir leid Ryuzaki, damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Ich… ich muss erst mal darüber nachdenken…“

„Sehen wir uns morgen wieder?“

„Ich denke schon…“

So ging Naomi und Beyond fühlte sich ganz schrecklich. Wahrscheinlich hielt sie ihn für vollkommen bescheuert, oder sie wusste nicht, wie sie das jetzt einordnen sollte. Nach einer Weile verließ auch Beyond den Park und wollte noch etwas in Marvins Imbiss essen gehen, bevor er wieder ins Studentenheim gehen wollte. Er setzte sich in eine kleine Ecke und merkte gar nicht, dass Naomi direkt in der Nähe saß, jedoch versteckt und unauffällig. Er hörte dann plötzlich ihre Stimme und stellte fest, dass sie am telefonieren war. Mit wem sie da wohl sprach? Obwohl es sich nicht schickte, den Gesprächen anderer Leute zu lauschen, so interessierte es ihn doch sehr, besonders weil sie so seltsam reagiert hatte, als er ihr sein Geheimnis offenbart hatte. „Wie es voran geht? Könnte nicht besser gehen! Ja, er vertraut mir blind und erzählt mir alles. Schon heftig was der alles durchstehen musste.“ Anscheinend schien sie über ihn zu reden. Jetzt wurde er erst recht neugierig und spitzte die Ohren. „Stell dir vor, der hat mir vorhin tatsächlich weiß machen wollen, dass er sieht, wann die Leute sterben und dass er von jedem den Namen sehen kann. Ja, ne? Der Typ tickt doch nicht mehr ganz richtig! Als nächstes will der Spinner mir noch weiß machen, dass er der nächste Uri Geller oder so ist. Hattest von Anfang an Recht gehabt, der Kleine hat sie nicht alle beisammen. Hä? Was morgen ist? Ich treffe mich mit ihm eventuell in der Disko, Wenn es stimmt was alle erzählen, dann muss er Narben am Handgelenk haben und wenn er mit T-Shirt in der Disko auftaucht, dann sehe ich das sofort. Natürlich vertraut er mir blind! Er mag zwar sehr intelligent für sein Alter sein, aber seine Gutgläubigkeit sprengt wirklich jeden Rahmen.“ Am liebsten wäre Beyond aufgestanden und hätte Naomi mit seiner Gabel die Augen ausgestochen, doch er riss sich zusammen. Nicht hier in einem Imbiss, hier gab es zu viele Zeugen. Er aß schnell sein Essen auf, bezahlte inklusive mit Trinkgeld und verließ den Imbiss. Zum ersten Mal, mit Ausnahme seines Vaters den er im Kindesalter erschossen hatte, spielte er mit dem Gedanken einen Menschen zu töten und damit, es auch tatsächlich durchzuführen.

Im Wohnheim angekommen, holte er das Messer heraus, welches er damals aus Wammys House hatte mitgehen lassen. Damit hatte er einigen Schaden angerichtet… Vorsichtig, beinahe zärtlich strich er über die Klinge, schnitt sich am Finger und betrachtete, wie das Blut aus der kleinen Wunde floss. Was für eine wunderschöne Farbe das Blut doch hatte, dachte er und leckte es von seinem Finger ab. Ein sehr schönes Rot, genauso wie die Marmelade, die er so gerne aß. Er hatte irgendwie eine Schwäche für diese Farbe, von der eine gewisse Faszination ausging. Doch für Farbbewunderung blieb keine Zeit, er hatte etwas zu erledigen.

Er ging zur nächsten Telefonzelle und wählte Naomis Nummer. Mit seinem Namen konnte er sich nicht bei ihr melden, ebenso wenig mit seiner Originalstimme. Das würde sie sofort merken und irgendjemandem erzählen, dass sie sich mit ihm treffen würde. Das hieße dann, dass er der erste Tatverdächtige wäre. Stimmenimitation war schon immer eine seiner Stärken. Fast alle männlichen Stimmen konnte er perfekt imitieren und so würde es nicht so schwer werden, diese falsche Schlange zu täuschen. „Hallo?“ meldete sich die weibliche Stimme und Beyond räusperte sich leise „Hey Naomi, hier ist Ricky!“

„Ricky, gut dass du anrufst. Ich wollte dich gerade sprechen wegen diesem Ryuzaki!“ Dieser abwertende Ton, als sie seinen Namen nannte, ließ Beyond innerlich kochen, doch er konnte sich beherrschen. „Nicht am Telefon! Könnten wir uns nachher treffen? Ich wollte zusammen mit Christie, Rudy und ein paar anderen um die Häuser ziehen.“

„Gerne! Ich sitze hier gerade in Marvins Imbiss. Wie wäre es in einer halben Stunde?“

Perfekt, dachte Beyond und umklammerte den metallenen Griff des Messers, welches in einer Schutzhülle in seiner Hosentasche steckte. Je schneller wir uns treffen, desto schneller kann ich dir für deinen Verrat danken, du miese Schlampe. „Gut, dann treffen wir uns in einer halben Stunde vor der Bar „Sunday Place“. Du hör mal, ich muss jetzt Schluss machen! Ich muss den anderen noch Bescheid sagen!“

Damit legte er auf und wählte eine andere Nummer. Er musste sich noch ein Alibi verschaffen. Er rief Ricky Marsh an und bestellte ihn mit Naomis nachgestellter Stimme in die Disko. Zum Glück hatte sie eine tiefere Stimme, sodass es ihm so gut gelang, dass er Ricky täuschen würde. Wenn alles gut lief, dann würde es darauf hinauslaufen, dass Ricky Marsh als Täter da stand, weil er kein Alibi hatte und Naomi treffen wollte, während er als Ryuzaki kein Motiv hatte, weil sie ja seine einzige Freundin war.
 

Nachdem er alles vorbereitet hatte, was er für seinen geplanten Mord brauchte, machte er sich auf zum Sunday Place. Es handelte sich dabei um eine Bar, wo viele Studenten hingingen, um dort zu feiern oder einfach nur abzuhängen. Jeder Student, der Sunday Place nicht kannte, hatte sich automatisch total geoutet. Beyond Birthday kannte die Bar, aber er war noch zu jung und war deswegen ein Außenseiter. Beyond wartete in der Seitengasse und trug eine Kappe, um sein Gesicht einigermaßen zu verstecken, dazu noch Handschuhe. Als er Naomis Motorrad hörte, lugte er vorsichtig hervor und sah sie tatsächlich. Sie stieg vom Motorrad ab, verstaute den Helm im Koffer und stellte es in der Nähe der Seitengasse ab. Das war Beyonds Stichwort. „Hey Naomi“, rief er mit nachgeahmter Stimme aus der Dunkelheit. „Hier spielt die Musik.“ „Ricky?“ fragte sie und guckte in die Gasse, welche nur äußerst schlecht beleuchtet war. Alles, was sie sah, war eine Gestalt mit Kappe, welche gegen die Häuserwand gelehnt stand und ihr zuwinkte. „Ricky? Was machst du da?“

„Na, ich zieh mir einen. Also was ist?“

Sie schien sich noch unsicher zu sein, aber sie ging in die Gasse, direkt auf Beyond zu. Als sie nahe genug war, packte er sie und drückte ihr ein mit Chloroform getränktes Taschentuch ins Gesicht. Sie wehrte sich und machte es dem kleineren und jüngeren Beyond schwer, sie fest zu halten. Dann aber wurde ihr Körper schlaff und sie brach bewusstlos zusammen. Beyond packte sie unter den Armen und zog sie hinter sich und stellte sie hinter einer Mülltonne ab. Ihr Körper war zu schwer, um sie von hier wegzuschaffen und Motorrad konnte er nicht fahren. Zum Glück hatte er bereits vorgesorgt. Er vergewisserte sich, dass er auch wirklich unbeobachtet war und begann nun damit, die bewusstlose Naomi in mehrere Einzelteile zu zersägen. Danach steckte er auch die Säge in eine Tüte, verstaute alles, was in den Rucksack ging, hinein und den Rest in seinen Seesack. Dann verschwand er in der Dunkelheit. Die Teile der Leiche entsorgte er an verschiedenen Orten. Kopf, Rumpf und das linke Bein warf er in die Themse, Den Brustkorb auf einer Müllkippe, das andere Bein vergrub er im Park und die Arme versteckte er im Teich eines Schulgartens. Die Säge verschwand in einem Müllcontainer, zusammen mit den Handschuhen.
 

Als er zurück in seiner Studentenwohnung kam, ging er zunächst ins Bad, um das Blut aus seinem Gesicht zu entfernen und um seinen Pullover auszuwaschen. Er hatte es getan… Er hatte Naomi Stone umgebracht. Er sah auf seine Hände, die durch das Auswaschen des Pullovers blassrote Flecken hatten und konnte es nicht fassen. Ein ungewohntes Gefühl stieg in ihm auf und übermannte ihn. Beyond Birthday grinste und begann zu lachen. „Ich habe es geschafft“, murmelte er und fühlte sich ungewohnt erleichtert. „Ich habe sie umgebracht.“ Naomi Stone, die noch so viele Jahre zu leben hatte, war tot. Er hatte es nicht geschafft, seinen einzigen Freund zu retten, aber dafür besaß er die Macht, ein anderes Leben vorzeitig zu beenden. Anscheinend schien er doch die Macht zu haben, das Schicksal anderer beeinflussen zu können. Er besaß die Macht, jedes Leben zu beenden, wann er wollte.

Er setzte sich lachend mit dem Rücken zur Badewanne gegenüber vom Spiegel auf den Boden und wischte sich die Tränen ab, die er dabei vergoss. Die Tatsache, dass er in der Lage war, jedes Leben nach seinem Belieben zu verkürzen, setzte ihn in eine unglaubliche Euphorie und sein Lachen klang in diesem Moment mehr nach einem Todesgott, als nach dem eines Menschen. Beyond Birthday liebte dieses Gefühl der Macht. Er konnte sich gar nicht mehr an den Moment erinnern, wo er verstört im Wald gesessen hatte und sich vor der Veränderung gefürchtet hatte, die sein Ich mehr und mehr zu etwas veränderte, das er nicht ganz erfassen konnte. Er fürchtete sich nicht mehr davor, im Gegenteil! Diese Veränderung schien ihm viel besser als sein altes, einsames und verstörtes Ich, welches immerzu unter Verlustängsten gelitten hatte. Dieser Beyond Birthday war für ihn tot. Jetzt sollte es einen neuen geben.
 

Ein Monster, welches niemals hätte erwachen dürften...

Die Schlange

Am nächsten Morgen schien noch niemand etwas von dem Mord an Naomi Stone bemerkt zu haben. Man ging einfach davon aus, dass sie blau machte, um ihren Onkel in Kingston zu besuchen. Alles schien noch in Ordnung zu sein. Auch gut, dachte Beyond, während er seine Sachen packte und sich zu den Chemiesälen begab. Er fand den trockenen Theorieunterricht jeden Donnerstag echt langweilig, weil er sowieso schon alles wusste, was sie ihm da eintrichterten. Doch er brauchte einen Abschluss an diesem Institut, wenn er eines Tages im Bereich der Pathologie arbeiten wollte. Nun ja, wenn sein Notenschnitt so weiter blieb, dann würde er es schnell hinter sich bringen können.

Als alle im Chemiesaal versammelt waren, betrat die Professorin, eine hübsche junge Frau mit einer sehr charismatischen Ausstrahlung den Saal und ging zum Pult. Ihr Name war Leena Jona, sie war die derzeit jüngste Chemieprofessorin und obwohl sie sehr jung war, so schaffte sie es durch geschickte Rhetorik, Strenge und ihrem Charme, sich die nötige Autorität zu verschaffen. Dass sie andere gerne und oft mit Erfolg alle um den Finger wickeln konnte wie es sie beliebte, hatte Beyond schon am ersten Tag erkannt. Auch ihr durchschauender Blick, der Überlegenheit wie auch eine gewisse Gefahr ausstrahlte, war nicht an ihm vorbei gegangen und sie erinnerte ihn an eine Schlange, die ihre Beute mit ihrem Blick hypnotisierte und dann zupackte. Vor so einer Frau musste man sich in Acht nehmen.

„Guten Tag, ich hoffe Sie haben alle Ihre Hausarbeiten gemacht, denn heute werde ich einen kleinen Test machen.“ Ein gequältes Stöhnen und Flüstern ging durch die Runde und manche protestierten kleinlaut. Es wurde ein Fragebogen ausgeteilt, bei denen man keine Antworten zur Auswahl hatte, sondern selbst hineinschreiben musste. Der Test war jedoch keine Herausforderung für Beyond. Alles war reine Wiederholungssache. „Frage 1: Nennen Sie die Molekulare Masse von Phosphorsäure und den PKs-Wert (Mehrere Werte möglich).“ Alles eine Wiederholungssache. Nach weniger als fünf Minuten war er fertig und gab seinen Fragebogen wieder ab. Während Miss Jona die Tests korrigierte, bearbeiteten die anderen ein paar Aufgaben. Beyond, für den diese Aufgaben keine große Herausforderung darstellten, schrieb schnell die Antworten in sein Heft und musste an letzten Abend denken. Er hatte tatsächlich einen Menschen ermordet. Nun gut, damals hatte er seinen Vater durchlöchert, aber da hatte er eine Pistole in der Hand gehalten und auch keine Frau mit einer Knochensäge zerteilt. Es war ein unglaubliches Gefühl gewesen. Und das Beste war: Niemand konnte ihm was anhängen. Er hatte keinerlei Spuren hinterlassen und auch so kam er unmöglich in Verdacht. Wer würde denn schon die einzige Freundin umbringen, wenn dieser in den Augen aller anderen noch nicht einmal wusste, dass er von ihr verarscht worden war? Sein Plan war perfekt. „Rue Ryuzaki“, rief Miss Jona laut. „Sie mögen zwar der der Beste Ihres Jahrgangs sein, aber trotzdem sollten Sie besser aufpassen. Nennen Sie mir den ATC-Code der Salzsäure!“

Amüsierte Gesichter und ein Kichern gingen durch die Menge. Es war eine Frage, die man nur dann beantworten konnte, wenn man tagtäglich sieben Wikipediaseiten studierte. Der ATC-Code war das Anatomisch-Therapeutisch-Chemische Klassifikationssystem und die offiziell herausgegebene internationale Klassifikation für Arzneistoffe. Verdammt, dachte Beyond angstrengt. Du weißt es! Du hast dich doch immer von Andrew abfragen lassen. Dann fiel es ihm wieder ein. „A09AB03, B05XA13“

„Richtig, noch mal Glück gehabt, aber an Ihrer Stelle würde ich trotzdem aufpassen!“ Erleichtert atmete Beyond aus und war dankbar, dass er ein so gutes Gedächtnis hatte. Die Anwesenden waren fassungslos und meinten, dass er irgendwo gespickt hätte, was natürlich nicht ging, weil es eine spontane Frage war und die auch nicht auf eine der Seiten stand. Am Ende des Unterrichts wurden die korrigierten Tests wieder zurückgegeben. Beyond hatte wie immer die beste Note, was ihn auch nicht weiter verwunderte. Auf dem Test stand im Bleistift und mit der Handschrift der Professorin geschrieben „Bitte melden Sie sich nach dem Unterricht bei mir.“ Was sie wohl von ihm wollte?
 

Als der Unterricht vorbei war, verschwanden alle schnellstmöglich aus dem Chemiesaal, nur Beyond blieb übrig, der seine Sachen packte und sich zum Lehrerpult begab. Miss Jona kam gerade aus dem Labor und empfing ihn mit einem charmanten wie etwas schüchternen Lächeln, das die meisten als reizvoll und anziehend empfanden. Er empfand es jedoch als eine Maskerade dieser hübschen blonden Frau, nur konnte er im Moment noch nicht sagen, was hinter dieser Maske steckte. „Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie duze?“ Beyond schüttelte den Kopf. „Ist mir auch lieber so. Sie wollten mich sprechen, Professor?“

Sie nickte, verschränkte die Arme und lehnte sich gegen den Tisch. Eine sehr attraktive Frau, das musste Beyond zugeben. Sie trug eine weiße Bluse mit einer dazu passenden Kette, eine schwarze enge Jeans und schwarze Stiefel mit Absätzen. Zudem trug sie noch eine Strickjacke und jeder Single hätte sich nach ihr umgedreht. Nicht aber Beyond, der kein Interesse an Frauen hatte. An Männern übrigens auch nicht.

Sie sah sich um, um sicher zu gehen, dass sie beide allein waren und ihr Blick hatte etwas Giftiges und Gefährliches. „Du weißt nicht zufällig, wo sich Naomi Stone zurzeit befindet?“ Sie weiß es, dachte er und wenn er nicht so einen kühlen Kopf hätte, dann wäre er nervös geworden. Sie weiß von dem Mord, das spürte er mit jeder Faser seines Körpers. „Nein, seit gestern Nachmittag, als wir uns im Park trafen nicht.“

„Komm schon Ryuzaki, ich weiß, dass du etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hast. Ich habe gefunden, was du im Müllcontainer entsorgt hast: Eine blutverschmierte Knochensäge und ebenso blutige Handschuhe. Seit du im Park diesen Müllsack vergraben hast, wo eindeutig ein Teil eines Leichnams drin verpackt war, weiß ich, was los ist: Du hast sie umgebracht und zerstückelt!“ Am liebsten hätte Beyond sonst etwas mit ihr angestellt. Er wollte sie töten, nicht nur weil sie ihn beobachtet hatte, sondern weil sie ihn in der Hand hielt. Sie konnte ihn jederzeit verraten und ihn nach Belieben erpressen. Seine Freiheit hing von ihrer Laune ab und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Doch diesen Triumph würde er ihr sicher nicht gönnen. „Und was wollen Sie nun?“

Ein Lächeln schlich sich auf ihren rot geschminkten Mund und sie kicherte leise. „Rue Ryuzaki, du bist ein sehr faszinierender Junge. Hochintelligent, hast ein vorbildliches Allgemeinwissen und deine Auffassungsgabe ist erstklassig. Du bist zwar kein besonders gut aussehender Junge, aber deine verschrobene Erscheinung hat wirklich ihre Reize…“ Beyond verstand langsam, worauf sie hinaus wollte. Sie war wirklich eine widerwärtige Schlange. „Ryuzaki, ich will weder Geld sonst noch irgendetwas. Ich will dich!“ Sie kam ihm näher und als sie so vor ihm stand, da erinnerte sie ihn an eine Sirene aus der Odyssee, die Seemänner mit ihrem Gesang ins Verderben lockten. Nur in ihrem Fall war es ihre Grazie, Intelligenz und Schönheit. Da Beyond keine andere Wahl hatte, willigte er ein und unterdrückte eisern seine Mordgedanken. „Fein“, antwortete die Professorin und ging ganz nah an sein Ohr, um ihm etwas zuzuflüstern. „Heute Abend kommst du zu mir in die Main Street Nummer 49. Sollte ich merken, dass du ein falsches Spielchen treiben solltest, dann werde ich mit meinem Handy eine eingespeicherte SMS an die Polizei senden, in der alles drin steht, was ich weiß. Mach dir übrigens keine Mühe mein Handy zu stehlen. Ich besitze mehr als nur eines.“ Nicht schlecht, dachte Beyond, während er ohne jegliche Gefühlsregung einen Kuss von Miss Jona bekam und dann den Chemiesaal verließ. Sie ist wirklich clever, aber das bin ich auch. Ohne es zu wollen, hatte die 26-jährige Chemieprofessorin ihre größte Schwäche preisgegeben und somit ihr Schicksal besiegelt. Alles, was Beyond noch zu tun hatte war, ihre Schwäche auszunutzen und augenscheinlich nach ihrer Pfeife zu tanzen. Er würde dem hypnotischen Blick dieser Schlange standhalten und ihr die Giftzähne ausreißen.
 

Auf dem Weg in seine Wohnung sah er einen Streifenwagen vor dem Haus stehen und blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Haben sie etwa die Leichenteile von Naomi Stone gefunden? „Was zum Kuckuck suchen die hier?“ fragte er, tat aber so als wäre nichts und ging auf die Polizisten zu, die gerade mit seinen beiden Mitbewohnern redeten. „Entschuldigung? Ist irgendetwas passiert?“ Ein übergewichtiger Inspektor, wahrscheinlich südamerikanischer Abstammung, sah ihn an und sein Aussehen verriet, dass er niemals Spaß machte und ihm sämtliche Zähne herausschlagen könnte, wenn er frech werden würde. „Sind Sie Rue Ryuzaki?“ Beyond nickte und bemühte sich, einen unwissenden Eindruck zu machen. „Ich muss Sie bitten, mit aufs Revier zu kommen, es gibt da einige Fragen bezüglich des Verschwindens von Naomi Stone.“

Beyond gehorchte und stieg mit in den Wagen ein. Ganz ruhig, dachte er und sah vor seinem inneren Auge, wie er den dicken Inspektor von hinten mit einer Schnur erdrosselte. Verwirf deine Mordgedanken auf später! Jetzt ist nicht die richtige Zeit dazu. Doch zu gerne hätte er diesen Inspektor getötet, aber während einer Fahrt in einem Polizeistreifen den Fahrer zu erdrosseln wäre äußerst unklug gewesen, weil da auch sein eigenes Leben auf dem Spiel stand. Er musste die aufsteigende Mordlust bekämpfen und ging aufs Präsidium, um dort die üblichen Fragen zu stellen. „Wann haben Sie Naomi Stone zum letzten Mal gesehen?“ Beyond tat so, als müsse er überlegen. „Das war an dem Tag wo sie verschwunden ist… Wir haben uns so um drei Uhr im Park getroffen und sind um fünf Uhr wieder gegangen.“

„Weshalb ist sie gegangen?“ „Nun, es war schon spät und sie ist zu Marvins Imbiss gegangen. Ich musste noch ein paar Hausaufgaben für Chemie und Mathematik erledigen und so gingen wir getrennte Wege. Für heute waren wir in der Disko verabredet, aber da sie verschwunden ist…“ Sein Blick wurde niedergeschlagen und er ließ den Satz unbeendet. Schon immer hatte er großes schauspielerisches Talent besessen, um sein Umfeld manipulieren und täuschen zu können. Und das Beste war: Diese Trottel glaubten ihm auch noch. Er hielt sich haargenau an seine durchgeplante Story: Er war nach dem Treffen im Park kurz in seine Wohnung zurückgegangen und blieb dann den Rest des Tages in seinem Zimmer. Seine Rolle als besorgten Freund spielte er bravourös. „Glauben Sie, ihr ist etwas zugestoßen?“ Inspektor Steven Wallace atmete tief aus und faltete die Hände. Sein Atem stank nach Zigaretten. „Bis jetzt können wir noch nichts sagen. Wir haben ihr Motorrad in der Nähe der Bar „Sunday Place“ gefunden und in einer Gasse Rückstände von Blut, das vermutlich von ihr stammt. Zwar wollen wir noch keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber wir vermuten, dass sie eventuell bereits tot ist.“ Die falschen verzweifelten Tränen gaben den krönenden Beweis, dass Beyond augenscheinlich unschuldig war. Auch wenn dies nicht hundertprozentig für seine Unschuld sprach, so konnte man von seiner Körpersprache und seiner Reaktion heraus schließen, dass er nichts mit ihrem Verschwinden zu tun hatte. Wenig später wurde er entlassen und freundlicherweise zurückgefahren.

Es war bereits halb sechs Uhr abends und langsam musste er sich auf den Weg in die Main Street machen. Er hatte ja noch ein Rendezvous mit Leena Jona, seinem nächsten Opfer.

Diesmal jedoch kam er unbewaffnet, denn er wollte kein Risiko eingehen. Er klingelte drei Male, bis die 26-jährige Blondine ihm öffnete und ihn mit einem verführerischen Lächeln begrüßte. „Bist aber früh heute… konntest es wohl kaum erwarten, nicht wahr?“ Sie trug ein kurzes Kleid aus schwarzem Satin und hatte sich herausgeputzt. Kein Mann, der sich für Frauen interessierte, konnte an ihr vorbei sehen. Beyond jedoch schenkte ihrem Aussehen wenig Beachtung. Er wollte es schnell hinter sich bringen und sie endlich töten.

Kaltblütig

Beyond Birthday befand sich im wahrsten Sinne des Wortes im Nest der Schlange, welche ihn in ihren Wickelgriff hatte und ihn mit ihren hypnotischen Augen lenkbar machen wollte. Was die Schlange jedoch nicht wusste war, dass die gefangene Maus scharfe Zähne besaß, die sie sofort gegen die Schlange einsetzen würde. Der Grund, wieso die Schlange noch nicht tot war lag daran, dass die Maus auf eine passende Gelegenheit wartete, die Schlange mit einem Biss sofort zu töten. Während Leena Jona um Beyond herumscharwenzelte, überlegte dieser, wie er sie am besten töten könnte. Sollte er sie auf der Stelle erwürgen, oder ihr kurz und schmerzlos das Genick brechen? Nein, wenn es zum Kampf kommen würde und sie Alarm schlug, würde es die Nachbarschaft mitkriegen und im schlimmsten Falle könnte er auffliegen. Er musste sie überraschen und töten, wenn er hundertprozentig sicher gehen konnte, dass es für sie keine Möglichkeit gab, Hilfe zu holen. „Möchtest du vorher noch duschen gehen?“ fragte sie, als sie ihn ins Schlafzimmer führte und sich lasziv aufs Bett legte. Ja… das war es, dachte Beyond. So könnte es gehen… „Okay… bin gleich da!“

„Lass dir ruhig Zeit. Kannst ruhig meine Lotion benutzen.“ Deine Lotion kannst du dir sonst wo hin stecken du pädophile Schlange, dachte Beyond und ging ins Badezimmer. Wenn er Glück hatte, fand er schnell, was er brauchte, um sie zu töten. Er schloss ab, drehte den Wasserhahn auf und durchsuchte lautlos ihren Schrank. Tatsächlich hatte er Glück und lächelte. Jetzt war alles perfekt für den bevorstehenden Mord. Er hielt den Kopf unter dem warmen Wasser, drehte den Hahn nach einiger Zeit ab und trocknete sein Haar ab, um den Anschein zu erwecken, er sei frisch geduscht. Die Lotion rührte er nicht an und versteckte die Waffe am Bund seiner Boxershorts. Sie war so gut wie unsichtbar. Inzwischen hatte sich Leena Jona umgezogen, trug ein sehr aufreizendes Dessous und hatte ihre lockigen, blonden Haare, die zu einem Zopf gebunden waren, wieder losgemacht und trank ein Glas Sekt. Sie wies ihm mit einer Handbewegung, zu ihr ins Bett zu kommen und Ekel stieß in ihm auf wie überschüssige Magensäure. Er tat wie geheißen und sie kam ihm näher. „Du bist wirklich ein faszinierender Junge Rue Ryuzaki“, gurrte sie und kam seinem Gesicht näher, um ihn zu küssen. „Intelligent, beherrscht und verschroben. Genau solche Männer liebe ich. Küss mich.“ Auch hier gab Beyond einen Kuss und tat so, als würde er die Augen schließen. Auch sie tat es und bemerkte nicht, wie seine Hand zu seiner Boxershorts wanderte. Leena Jona spürte einen bohrenden Stich im Hals und wurde gewaltsam mit dem Fuß vom Bett getreten. Eine Nagelschere steckte in ihrem Hals, näher gesagt in ihrer Halsschlagader. Beyond musste dafür kein Anatomiegenie sein um zu wissen, dass eine Verletzung der Halsschlagader äußerst gefährlich war und der hohe Blutverlust, sowie auch die Verstopfung der Luftröhre, schnell zum Tod führte. Bei einer solchen Verletzung stieg der Blutdruck rapide und machte es dem Betroffenen sehr schwer, aufzustehen und Hilfe zu holen. Zuckend, Blut spuckend und nach Atem ringend lag die junge Frau da, sah Beyond fassungslos an, der ihr einen eiskalten Blick zuwarf. „Schachmatt, Leena Jona.“ Als ihr Körper schlaff wurde, begab Beyond sich erneut ins Bad um das Blut von seinem Körper zu waschen. Sein Haar föhnte er diesmal, zog sich wieder an und begab sich zurück ins Schlafzimmer, wo die blutüberströmte Leiche seiner Chemieprofessorin lag. Sie hatte geglaubt, ihn in der Hand zu haben. Wie eine Schlange die glaubte, sie hätte die gefangene Maus hypnotisiert, um dem wehrlosen Opfer dann mit ihren Giftzähnen das Leben zu nehmen. Die Leiche ließ er erst mal beiseite und begann alles, was auf seine und ihre Spuren hinweisen konnte, zu entfernen. Er säuberte das benutzte Sektglas, putzte Türklinken und reinigte das Bad gründlich. Die blutgetränkte Bettwäsche steckte er in die Waschmaschine und bezog das Bett neu. Auch die Blutspritzer vom Bett entfernte er, ließ die Blutlache, in der sie lag, jedoch unberührt und entfernte die Schere aus ihrer Hand, die sie sich herausgezogen hatte, wohl in der Hoffnung, besser atmen zu können. Ein äußerst fataler Fehler. Ihre Handys, wo sich tatsächlich vorgespeicherte SMS’ befanden, fand er in einer Blumenvase, das zweite befand sich unter ihrem Kissen. Nach einigem Suchen fand er das dritte und letzte in der Küche, näher gesagt versteckt zwischen den Lebensmitteln im Schrank. Er nahm sie mit und entsorgte sie zusammen mit der Nagelschere in der Themse. Er ging zurück in seine Studentenwohnung und ließ sich aufs Bett fallen. Dieses Gefühl der Macht über das menschliche Leben war unglaublich. Noch nie hatte er sich so lebendig gefühlt wie jetzt und musste lachen. Diese beiden dummen Frauen hatten geglaubt, ihn täuschen und um den Finger wickeln zu können. Falsch gedacht! Ihre Naivität war ihnen zum Verhängnis geworden und Beyond hatte gesiegt. Jetzt konnte ihn rein gar nichts mehr aufhalten.
 

Am nächsten Morgen wurde Beyond Birthday erneut aufs Polizeipräsidium bestellt und wurde zum Mordfall an Leena Jona und Naomi Stone befragt. Man hatte mithilfe von Spürhunden eines ihrer Beine gefunden und war zu dem Schluss gekommen, dass man sie ermordet und zerstückelt habe. Beyond zeigte sich entsetzt und verzweifelt, weinte um Naomis Tod und da er kein Alibi hatte und man ihn nicht als Verdächtigen ausschließen wollte, erklärte er sich schließlich bereit, eine Befragung mithilfe des Lügendetektors zu machen. Inspektor Wallace erklärte ihm, was er zu tun hatte und wie die Befragung ungefähr ablaufen würde. Schließlich begannen sie mit dem Verhör. Zunächst waren es ganz harmlose Fragen bezüglich des Namens, Alters und der persönlichen Interessen, bei denen Beyond stets mit „ja“ oder „nein“ antworten musste. Schließlich kamen sie dann zu den wichtigen Fragen.

„Hast du Naomi Stone getötet?“

„Nein.“

„Hast du Leena Jona näher gekannt, also außerhalb des Unterrichts?“

„Nein“

„Hast du Leena Jona getötet?“

„Nein.“

„Hättest du ein Motiv, eine von beiden umzubringen?“

„Nein.“
 

Es dauerte zehn Minuten, um die Ergebnisse vollständig auszuwerten. In der Zwischenzeit wartete Beyond geduldig im Verhörzimmer, während Steven Wallace und ein Polygraphist sich mit der Auswertung beschäftigten. „Und?“ fragte der übergewichtige Inspektor ungeduldig, wobei sein Blick immer wieder zu der gekrümmten Gestalt im Verhörzimmer fiel. Der Polygraphist sah sich die Linien an und schüttelte den Kopf. „Alle Angaben sind wahrheitsgemäß. Er hat nicht ein einziges Mal gelogen.“ Dieses Ergebnis schien dem Inspektor überhaupt nicht zu gefallen. „Was soll das heißen? Heißt das etwa, er hat nicht den blassesten Schimmer? Meinetwegen kann dieser Apparat machen, was er will, aber ich sage nur eins: Dieser Junge da hat etwas zu verbergen und bei Gott, ich werde schon herausfinden, was es ist. Ich will zwar nicht behaupten, er sei ein eiskalter Mörder, aber der Junge verheimlicht etwas, das sehe ich deutlich!“ Wie recht Inspektor Wallace doch hatte und auch seine Bedenken zum Lügendetektor waren berechtigt. Beyond Birthday wusste genau, dass ein Lügendetektor die Körperaktivität wie Puls, Blutdruck, Atmung und die elektrische Leitfähigkeit der Haut maß und sich sehr einfach manipulieren ließ, wenn man wusste wie. Alles was er zu tun hatte war, Ruhe zu bewahren und entspannt zu bleiben. Es benötigte eine sehr gute Körper- und Emotionsbeherrschung und dies war eine von Beyonds größten Stärken. Es war ein Kinderspiel gewesen…

Da man weder verwertbare Spuren noch sonstige Indizien fand, dass Beyond etwas mit dem Fall zu tun hatte, ließ man ihn laufen. Für eine Anzeige reichte es also nicht und so ließ man Beyond Birthday gehen. Er jedoch hatte einen weiteren Entschluss gefasst: England, näher gesagt Europa zu verlassen und nach Amerika zu reisen. Er machte seinen Abschluss und wanderte in die Vereinigten Staaten aus, näher gesagt nach Kalifornien. Sein Ziel war Los Angeles.

Inspektor Wallace wollte den Kampf noch nicht aufgeben und forschte weiter in Rue Ryuzakis Leben nach. Wie er erwartet hatte, fand er rein gar nichts. Keine Geburtsurkunden, keine Unterlagen zur Familie, nichts. Rue Ryuzaki existierte gar nicht. Er ging zu verschiedenen Familien, befragte die Studenten der Fakultät, die ihm nichts Genaueres über ihn sagen konnten. Rue Ryuzaki war ein Phantom, ein großes Geheimnis… eine Person die niemals existiert hatte. Von diesen Ergebnissen angespornt, weiter an der Sache zu arbeiten, wollte Steven Wallace zurück zum Präsidium, um ein paar Akten durchzulesen und kam niemals dort an. Der Zufall wollte es, dass er bei einem Telefonat während der Fahrt nicht rechtzeitig bremsen konnte, als die Kurve auftauchte, von der Fahrbahn abkam und in einen Baum raste. Er starb noch an der Unfallstelle. Beyond Birthday hätte lügen müssen, wenn er behauptet hätte, das nicht gewusst zu haben. Das war der einzige Grund gewesen, wieso er ihn am Leben gelassen hatte und auch alle Tests über sich ergehen ließ.

Der Fall der zwei getöteten Frauen ging nach zwei Jahren der Ermittlungen endgültig als ungelöst zu den Akten und niemals fand man heraus, wer hinter dem Namen Rue Ryuzaki steckte. Beyond inzwischen hatte ein neues Ziel vor Augen: Er wollte L herausfordern, um auch ihn in die Knie zu zwingen. Zu verlieren hatte er ja nichts mehr und war sich sicher, dass dieser Triumph ihm die größte Genugtuung geben würde. Drei bis vier Jahre lebte er unerkannt und unauffällig in L.A. und begann, sich einen Namen als Privatdetektiven zu machen. Zwar wollte er kein richtiger sein, aber das gehörte zu seinem Plan.
 

Dies war der Anfang der BB-Mordserie von L.A. Doch bis dahin sollte es noch eine große Zahl weiterer Morde geben, von denen nicht einmal L etwas ahnen sollte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von: abgemeldet
2010-03-05T00:33:23+00:00 05.03.2010 01:33
Ach man, ich habe gerade gesehen, dass die Geschichte abgeschlossen ist. Hätte so gern noch gesehen, wie er gegen L vorgegangen wär :-(
Aber das ist nicht so schlimm xD

BB hat die Professorin auf eine clevere Art und Weise getötet. Ich habe keine Sekunde daran gezweifelt, dass BB ihr überlegen ist xD

Wie dem auch sei, diese FF mit BB hat mir auch sehr gefallen, auch wenn
ich mir ein bisschen mehr Blut gewünscht hätte. Beyond eben.
Aber dennoch habe ich sie mit Freude und Spannung gelesen.
Also wenn du noch eine mit BB schreibst, dann werde ich sie mit Sicherheit lesen.

Bis dahin,
Tschüssi
Von: abgemeldet
2010-03-05T00:18:12+00:00 05.03.2010 01:18
Da bin ich wieder=)
Die Idee mit der Chemieprofessorin ist echt gut, vor allem,
mit was sie ihn erpresst. Mal sehen, wie lange sie das überlebt.
Ich denke, dass BB es definitiv schwer haben wird.
Die wird sich nicht so einfach killen lassen.
So geil, dass BB ständig Lust hat Menschen zu töten.
Was kann ihn eigentlich davon abhalten, die Professorin zu töten?
Wenn er sie getötet hat, dann kann sie auch keine SMS mehr verschicken.
Bestimmt hat sie vorgesorgt, aber wie?
Das werde ich wohl hoffentlich bald erfahren xD

LG
Von: abgemeldet
2010-03-05T00:04:21+00:00 05.03.2010 01:04
Endlich ist er der Beyond Birthday,wie wir ihn kennen und lieben:
unberechenbar, grausam und kaltblütig.

Ich muss ehrlich sagen, dass ich ein wenig enttäuscht war, dass er Naomi nicht irgendwo hin geschleppt hat, wo er sie erst mit dem Verrat konfrontiert hat und dass er sie dann qualvoll hat sterben lassen.
Ich finde, dass das so gut zu ihm passt. Er hat ja, sowie ich das sehe, Spaß am Töten und es erfüllt ihn glaube ich auch. Na vielleicht kommt das ja noch. Das war ja erst der Anfang xD

LG
Von: abgemeldet
2010-03-03T00:04:42+00:00 03.03.2010 01:04
Ich war gerade so schön in der Geschichte drin und dann konnte ich
nicht weiterblättern :-(
Das ist gerade echt spannend. Ich will wissen, wie BB L ausfindig machen will und was er dann mit ihm macht.
Die Entwicklung von BBs Charakter hast du gut dargestellt... wie er langsam immer mehr eine krankhaft agressive Art an den Tag legt und wo das herrührt.
L kommt meines Erachtens etwas zu kalt rüber. Er ist mein absoluter Lieblingscharakter und hier ist er mir schon fast unsympathisch. Aber das ist nicht schlimm xD

Ich freue mich sehr auf die Fortsetzung.

LG
Von: abgemeldet
2010-02-28T23:53:22+00:00 01.03.2010 00:53
Eins scheinen wir definitiv beide gemeinsame zu haben:
Wir stehen auf gestörte, kaltblütige, gnadenlose Mörder, kurz, auf BB!

Ich freue mich echt, dass du noch eine FF schreibst, in der es um BB geht.
Ich habe was für solche psychopathischen Typen übrig xD

BB hat mir echt leid getan, als
er von seiner blöden Tante so kalt behandelt wurde, als wenn er
ein Monster wäre, obwohl er ein kleiner Junge ist und gerade seine Mama
verloren hat.

Die Geschichte fängt auf jeden Fall vielversprechend an, weswegen ich sie auch weiter verfolgen werden.
Also lass dir nicht zu viel Zeit mit dem Schreiben xD

LG


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