Rettung?
Das Mädchen mit den blaue Lippen
-Blaue Lippen
Jetzt stand ich also hier, mitten auf meinem Boot und sah mit entsetztem Blick auf die immer näher kommenden Steinklippen. Ich hatte Angst, das musste ich mir eingestehen. Noch nie in meinem Leben hatte ich so Angst vor etwas gehabt, vor dem Tod. Ruckartig wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als abermals eine heftige Windböe an mir zerrte und versuchte mich über Bord zu werfen. Panisch schlitterte ich über Bord, suchte nach etwas, woran ich mich klammern konnte. In meiner Verzweiflung hob ich meine Hände in Richtung Mast und fasste schließlich Halt an dem daran hängendem Seil.
Mit meinen jungen 25 Jahren hatte ich schon vieles erlebt, aber noch nie so einen schweren Sturm. Angefangen hatte alles mit ein paar kleinen Windböen, nichts Besonderes auf dem Atlantik, nein, sogar das normalste auf der Welt, wie der normale Bürger zu sagen pflegt. Dann war das Wetter plötzlich umgeschlagen und das Meer hatte sich aufgebauscht. In diesem Moment hatte ich das Gefühl gehabt, es zu schaffen, doch jetzt, als ich auf die Klippen starrte, die immer näher kamen, sich monströs im Meer erhoben und riesige Wassermengen an sich abprallen ließen und mir das Gefühl vermittelten, genauso zu enden, sah ich schwarz, und dabei hätte alles so schön sein können. Zu Hause.
Mein Vater ist Seefahrer, meine Mutter eine einfache Hausfrau, die für mich und meinen älteren Bruder kochte, unsere Wäsche wusch und immer für uns da war. Für mich, wenn ich eine schlechte Note in der Schule hatte, für Derek, meinen älteren Bruder, wenn er prahlte, dass er wieder einen der größten Fische im Atlantik gefangen hatte und für meinen Dad, als liebevolle Ehefrau.
Jahre lang war ich das Nesthäkchen gewesen. Ich, Adrian Mansfeeld. Doch alles änderte sich vor vier Jahren, als ich offiziell volljährig geworden war. Erwachsen, wie es mein Bruder ausdrückte. Der große Junge. Ein Lob meiner Mutter.
Ein richtiger Mann, die Worte meines Vaters…
Hätte ich nicht diesen Entschluss gefasst, der mein Leben verändern sollte, dann würde ich jetzt sicher sein. Vielleicht auf einem der bunten Stühle in meiner Wohnung sitzen und etwas essen, aber damals begann die Lehre, das, worauf jeder Mansfeeld stolz war…
Ein Seemann, aus dem kalten England. Der alle Taten mit Bravour meisterte, der mit Ehre im Blut starb, mit dem Stolz der Familie, einer derjenigen zu sein, die Tradition weiterführte und das mit Leib und Seele.
Als Mann wollte ich sterben.
So hatte ich es mir vorgenommen. Und jetzt wurde mir bewusst, wie ich sterben würde. Durch ein Unwetter auf der See. Allein auf einem Schiff. Ich würde im Meer untergehen und niemals gefunden werden. Vielleicht in ein paar Jahrhunderten, wenn ich irgendwo angespült worden war, als Wasserleiche.
Mit einer Familie, an die sich in weniger als 60 Jahren niemand mehr erinnern würde…
denn nie war einer von uns groß aus der Masse hervorgestochen.
Mittlerweile hing ich schon fast an dem Ruder, das ich, nachdem mein stützender Halt, das Seil, zusammen mit dem Mast an dem es hing umgerissen worden war und nun auf der See hin und her schwamm, aus Panik ergriffen hatte, da es am nächsten war.
Meterhohe Wellen schlugen auf mich ein, ließen mich nach Luft schnappen. Meine Hände krallten sich angstvoll in das dunkle, rissige Holz, während die Wassermengen auf mich schwappten, versuchten mich loszureißen, von meinem einzigen Halt, den es noch gab.
Meine ganze Ware, die Fische und teure Accessoires die ich in Irland verkaufen wollte, solange ich dort überhaupt noch ankam, waren von Bord gespült worden. Und spätestens jetzt war ich mir sicher, dass auch meine privaten Sachen unter Deck sowie der Proviant durchnässt und unbrauchbar waren. Meine Gedanken überschlugen sich im Sekundentakt und versuchten an alles noch so irreales zu denken, bloß nicht an das, was mir vielleicht bevorstand. Ja, was stand mir eigentlich bevor? Der Tod, oder etwas noch schlimmeres? Etwas von dem ich noch nie gehört hatte, sondern erst an der eigenen Seele und dem Leib spüren musste?
Meine schwarzen Haare peitschten mir ohne jegliche Gnade ins Gesicht, versperrten mir die Sicht, und ließen mich nicht einmal ansatzweise sehen, was hier passierte.
Dann, langsam, lösten sich meine Finger…
… und ich rutschte ab, verlor den Halt an dem Runder, sank hinab in die Tiefen des Meeres. Ich versuchte hinauf zu schwimmen, dort hinzukommen, wo ich Luft hatte, doch das Gewicht meiner Kleidung zog mich hinab. In die unendliche Schwärze.
Das Erste, was ich wahrnahm, war Dunkelheit, das Zweite ein unendlicher Druck auf meinem Brustkorb und das Dritte weiche Hände, die mich hielten, und jetzt, als ich die Augen aufschlug, sah ich es. Sie, eine von jenen, die nur eine Legende sein sollten. Nur ein paar Hirngespinste, doch ich sah sie. Und ich wusste, auch wenn ich noch so weit weg von der Luft war, meine Augen nur schwach etwas erkennen konnten, dass ich eine von ihnen sah.
Keuchend tauchte ich auf. Meine Hände irrten hilfesuchend in der Luft herum, doch dann, wenige Sekunden später, fanden sie Halt. Etwas Glitschiges und Hartes wurde von meinem Griff gepackt und, immer noch nach Luft schnappend, stemmte ich mich hoch und erklomm einen Felsvorsprung mitten im Meer.
Als ich zurück blickte, sah ich sie wieder. Das Mädchen mit den blauen Lippen, das mir das Leben gerettet hatte.
„Danke“, flüsterte ich keuchend und schloss die Augen bevor ich in die alles erlösende Ohnmacht fiel.
“Ein junger Mann aus dem Westen Englands geht in die Geschichte ein. Am 17. Oktober 1945 legte er mit seinen Schiff am Hafen in der Nähe von Bistrol ab. Er war auf dem Weg in Richtung Irland, um auf dem Weg eine reiche Fischbeute zu erzielen. Jedoch wurde er ein paar Kilometer vor der Küste seines Ziels durch einen plötzlich aufkommenden Sturm überrascht und kenterte mit seinem Schiff. Glücklicherweise war er nahegenug am Festland, um von Spähern der Küstenwache auf einem Felsvorsprung entdeckt zu werden. Kaum dass der Sturm sich verzogen hatte legte ein Boot mit einer Besatzung von 10 Mann von der Küste ab. Ohne Probleme konnte Adrian Mannsfeeld mit einem Seil auf das Schiff gezogen werden. Einige Ärzte, die mit an Bord waren, nahmen sich seiner an und führten sofort eine Erstvesorgung durch, ehe er in as Krankenhaus einer nahe gelegenen Stadt gebracht wurde. Ich habe mich gleich, nachdem er bereit dazu war, Besucher zu empfangen, aufgemacht um ihn zu besuchen und habe ein umfangreiches Interview gestartet. Seiner eigenen Aussage zufolge wurde er durch die Hilfe einer jungen Frau mit blauen Lippen gerettet. Ob diese Geschichte stimmt, oder sie nur die Ausgeburten eines Irren sind, kann man nicht beweisen, denn der einzige, der mehr über sie weiß als Adrian M. gesehen hat, oder in einem Buch steht, ist ein Mann, der schon lange nicht mehr unter uns weilt. Eine alte Fischersage erzählt von bildhübschen Mädchen mit grünen Haaren und blauen Lippen, die gekenterten Seefahrern den richtigen Weg weisen. Ob diese Geschichte stimmt, oder sie nur die Ausgeburten eines Irren sind, kann man nicht beweisen, denn der mehr über sie weiß als Adrian M. gesehen hat, oder in einem Buch steht, ist ein Mann, der schon lange nicht mehr unter uns weilt.
-Soon times: Von Wilfried Hosehut 19. Oktober 1945
Manch einer wird jetzt sagen, ich gehöre in die Psychiatrie, doch ich bin mir sicher, und ich glaube auch an das, was ich gesehen habe. Ein Mädchen mit eisigen blauen Lippen hat mir das Leben gerettet, und ich bin dafür ich die Geschichte eingegangen.
Danke…
…denn jetzt war ich nicht mehr der Adrian Mannsfeeld, ich war ein Mann, der zwar nicht alles erreicht hat, was er je erreichen wollte, doch dieser Mann war, auch wenn mir nur wenige glauben, berühmt geworden.
~*~
-Danke an die eventuellen Kommentarschreiber. Ich liebe euch jetzt schon *knuddel*
-Dies ist mein erster One-Shot *Fähnchen schwenk*
-Auch ein großes Danke an meine Beta Ditsch
lg. Miss Choco