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Vom Schreiben und Träumen

Eine Sammlung von Kurzgeschichten
von

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Der perfekte Zeitpunkt

Carlos fickte einen warmen Körper und fühlte nichts. Er kam in ihm. Die Fensterscheibe war beschlagen. Er zog sich zurück, verließ mit einem Satz das Bett und zündete sich eine Zigarette an. Er sah auf das Gesicht herab. Es schaute ihn großäugig an. Carlos behielt den Blick starr auf ihm. Die kleine Schlampe wirkte zerbrechlich.

Carlos grinste. Er wandte sich ab, klemmte die Zigarette zwischen die Lippen und las seine Hose vom Boden auf. Er zog sich an. Die Tür quietschte, als er sie öffnete. Die Tür polterte, als er sie hinter sich zuschlug. Die Holztreppe knarzte unter den Füßen. Qualm entwich seiner trockenen Kehle. Er könnte jetzt einen Drink vertragen. Es war etwa zwei Uhr morgens. Das Licht im Treppenhaus funktionierte nicht. Die Zigarette glühte im Dunkel. Carlos krallte sich ans Geländer und ließ sich von ihm nach draußen führen.
 

Carlos wachte neben einem warmen Körper auf. Zwischen diesem und seinem eigenen lag geschätzt ein Meter. Der Körper war ihm zugewandt. Die Lider zuckten. Carlos drehte sich auf die Seite. Er winkelte den Arm an und bettete den Kopf darauf. Die Spitzen seines kurzen Haars piekten ihm in die Haut. Die fusselige Decke war bis über seine Hüften gezogen. Das Fenster war geschlossen, und ihm war kalt.

Er spürte Fingerkuppen auf seinem Rücken. Die warme Handfläche schloss sich sachte an. Carlos‘ Augen weiteten sich. Dann atmete er aus. Als die Hand den Versuch wagte, sich über die Taille entlang zu seinem Bauch zu tasten, rutschte Carlos ein Stück. Er spürte die Hand nicht mehr. Geschätzt eineinhalb Meter. Es war ein Fehler gewesen, einzuschlafen.
 

Carlos zeichnete Leichen in den Terminkalender. Eine nackte Frau, die an einem Strick baumelte. Ein kleiner Junge, aus dessen Bauchnabel die Spitze eines Messers ragte. Ein alter Mann, der totgeschlagen in seinem eigenen Blut badete.

Carlos besah die Bilder. Er war nicht gut im Zeichnen. Andere Betrachter hätten nicht einmal die Hälfte von dem erkannt, was er darstellen wollte.

Marie betrat das Büro. Sie hatte schon wieder diesen hässlichen Fummel vom Vortag an. Eine graue Hose, die sie mit dem Gürtel bis über den Bauch gespannt hatte. Eine weite Bluse und ein Hemd darunter, um dem Dekolleté so gut wie möglich entgegenzuwirken. Das blonde Haar und die blasse Haut bildeten einen widerlichen Kontrast dazu. Diese Schnepfe legte offensichtlich großen Wert darauf, Carlos nicht zu gefallen.

Eine Sitzung um halb zehn, ein Essen um eins im Lafil, ein Vorstellungsgespräch mit einem unfähigen Bastard um vier, ein Mord um elf und ein Kopfschuss um zwölf. Carlos krakelte die Termine, die Marie ihm durchgegeben hatte, mitsamt seinen eigenen auf den alten Sack in der Blutlache.

Marie ging wieder. Carlos legte den Terminplaner beiseite, starrte auf den kleinen Bilderrahmen, der auf dem Schreibtisch stand, dachte nach, nahm einen Stift und tippte den Bilderrahmen an. Er fiel um. Carlos stellte ihn wieder auf. Er zog den Mantel vom Kleiderhaken, schob den Terminkalender in die Tasche und verließ das Büro.
 

Carlos verfluchte die dunklen Steinchen, die verstreut auf jedem Gehweg lagen. Sie nisten sich im Profil der Schuhe ein, man schleppt sie mit ins Apartment, und schon verteilt man die Sauerei im eigenen Zuhause.

Eisige Luft wehte durch das kurze Haar. Schneeflocken droschen auf Carlos‘ Gesicht ein. Er hob den Arm und hielt ihn wie einen Schild vor die Stirn. Die Sitzung, das Essen und das Vorstellungsgespräch hatte er hinter sich gebracht. Das eine war beschissener als das andere gelaufen. Der Abend war schwarz und kalt. Carlos fummelte den Terminplaner aus der Manteltasche. Er musterte die Einträge auf der Blutlache. Er schlug den Planer wieder zu, packte ihn weg und schaute auf die Armbanduhr.

Der perfekte Zeitpunkt, um einen Mord zu begehen, dachte er und schmunzelte vor Entsetzen.
 

Der Wind trug ein gebrochenes Atmen an Carlos‘ Ohren. Er sah zu Boden und entdeckte einen kleinen Menschen an die Wand eines Spielzeugladens gepresst. Hinter dem Schaufenster leuchtete ein viel zu großzügig geschmückter Christbaum. Carlos blieb stehen. Die Person war deshalb so klein, weil sie ein Kind war. Ein Mädchen, erkannte er bei einem Blick ins farblose Gesicht. Die Lippen waren blau angelaufen. Die braune Decke war um den zitternden Leib geschlungen. Die Zähne klapperten. Aus der Nase lief Rotz. Die grauen Augen glänzten. Carlos warf wieder einen Blick auf die Armbanduhr.

Der perfekte Zeitpunkt, um einen Mord zu begehen.
 

Carlos schaute sich um. Keine Menschenseele. Er ging in die Hocke und suchte unter der Decke die Hand des Mädchens. Er fand sie. Er zog sie zu sich. Er drückte einen Zweihundert-Euro-Schein hinein. Er schloss jeden dünnen Finger einzeln darum. Er legte beide Hände um die winzige Faust.

»Kauf dir was zu essen, Kleines.«

Er ließ die Faust ganz langsam los. Sie war so kalt, und ihm ganz warm. Er stand auf und ging weiter, ohne dem Mädchen ein zweites Mal ins Gesicht gesehen zu haben.

»...v-vielen Dank, mein Herr. Frohe Weihnachten, mein Herr...«
 

Carlos trug die Steinchen ins Apartment. Er streifte die Schuhe im Flur von den Füßen, nahm den Terminkalender zur Hand und klappte ihn auf. Er zog einen Strich durch den vorletzten Eintrag und schrieb etwas darunter. Sein Blick wanderte auf den blutbesudelten Kopf des gezeichneten Mannes, auf dem der null Uhr-Termin stand. Er schaute ein letztes Mal auf die Armbanduhr.

Er ging ins Schlafzimmer und zog die unterste Schublade des Nachtschrankes auf. Seine Hand griff nach dem Revolver und führte den Lauf auf die Mitte der Stirn.
 

Carlos drückte ab.
 

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Ich hab‘ zu viel American Psycho und Gaspar Noé-Filme geguckt...

Diese Geschichte nimmt am diesjährigen Wettbewerb des Jungen Literaturforums teil. Mal schauen, wie weit sie kommt. ;)
 

Liebe Grüße,

Fujouri



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Marge91
2011-02-04T22:57:05+00:00 04.02.2011 23:57
es hat lange gedauter aber jetzt habe ich jedes kapi gelesen
und ich muss sagen
einfach klasse super
schreib schnell weiter
die ganzen kapis sind einfach nur super
lg Marge91

ps. bitte benachrichtige mich wenn es wieter geht und wenn du möchtes kannst du auch mal meine ff's lesen und ein komi hinterlassen ;)


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