Zum Inhalt der Seite

Zu tief, um loszulassen?

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ringgeister

Eine knappe Stunde und zwei Kolleginnen später habe ich Sams Büro im zweiten Stock gefunden. Zögernd stehe ich vor der Tür und sehe auf den Schlüssel in meiner Hand.

Was sage ich, wenn ich erstmal vor ihm stehe?

Ein plumper Dank erscheint so wenig… dabei kann ich ihm gerade nicht mehr geben als das.

Zögernd klopfe ich und dann trete ich ein. Als ich den Kopf zum Schreibtisch hebe, erkenne ich sofort das Gesicht vom Foto wieder… wobei ich sagen würde, dass es heute ein paar Jahre älter ist. Sein Lachen jedoch ist dasselbe geblieben.

„Wen haben wir denn da!“, lächelt er und legt den Telefonhörer zurück auf die Gabel.

„Störe ich?“, kommentiere ich die Geste, trete aber langsam einen Schritt auf ihn zu.

„Nein. Ich kann sie auch gleich anrufen. Komm rein.“

„Das… bin ich schon.“

„Stimmt. Dann setz dich.“

„Nein danke. Ich meine, ich wollte nur den Schlüssel zurückgeben…“

„Und das geht nur im Stehen?“ Er verschränkt die Finger ineinander. Sein Blick ist noch immer irgendwie amüsiert.

„Nein…“ Ich trete an den Stuhl heran.

„Na siehst du. Also setz dich schon.“

Ich seufze, setze mich also.

„Siehst du, war doch gar nicht so schwer.“

Ich kommentiere diese Worte nur mit einem Augenrollen. Dann halte ich ihm den Schlüssel hin.

„Danke“, lächle ich. „Aber du hättest mich ruhig wecken können…“

„Wie lang hast du geschlafen?“, nimmt er den Schlüssel an sich.

Mir fällt wieder sein Ring dabei auf.

„Bis halb Elf.“

„Dann war es gut, dass ich dich nicht geweckt habe. Der Schlaf war sicher nötig.“

„Ich weiß nicht.“ Ich zucke die Schultern.

„Geht es dir nicht besser?“

Wieder zucke ich die Schultern. „Ich habe Kopfschmerzen.“

„Das glaube ich gern. Hast du was gegessen?“

„Bist du meine Mutter?“, heersche ich ihn an.

„Woah! Ist ja gut! Ich-“

„Sorry!“, unterbreche ich ihn sofort, mir selbst meiner Zickerei bewusst. „Ich bin es nur nicht gewohnt...“

„Was?“

„Naja…“ Abermals gehen meine Schultern in die Höhe. „Smileys…“

Das „Äh“ und sein verdutzter Blick lassen mich lächeln.

„Schon gut.“ Ich stehe auf. „Wirklich, vielen Dank für gestern und heute.“

Seine Augen folgen mir in die Höhe. Ich hänge an ihnen fest. Sie lassen mich an die Einsamkeit denken, die wieder da sein wird, wenn ich dieses Büro verlasse. Einsamkeit. Tränen. Trauer.

„Meinetwegen könnten wir so etwas gerne wiederholen…“ Meine Stimme ist belegt. „Was meinst du? Heute Abend vielleicht?“

„Ich denke, das ist keine so gute Idee…“ Er schüttelt den Kopf. Sein Blick ist ganz ernst.

„Oh.“ Mehr bringe ich nicht heraus, seinen Blick halte ich nicht mehr. „Schade. Na dann… Danke und… man sieht sich…“ Enttäuschung macht sich in mir breit… oder die Gewissheit der Einsamkeit.

Ich greife nach der eiskalten Türklinke.

„Tobias?“

„Ja?“ An der Tür drehe ich mich wieder zu ihm herum.

„Ich meinte, es ist keine gute Idee, das in dieser Weise zu wiederholen. Deine Leber hat verstanden, worum es geht, denke ich… Aber wenn du damit einverstanden bist, leiste ich dir ohne Alkohol Gesellschaft.“

Plötzlich ist wieder dieses Lächeln da… und es schlägt sich auf mich über. Wärme strömt durch mich hindurch.

„Gerne, ja!“ Ich gehe wieder einen Schritt auf ihn zu. „Und verrätst du mir dann auch die geheimnisvolle Geschichte zu diesem Ring?“ Ich deute auf seine Hand.

Eine Sekunde trifft mich ein überraschter Blick bevor sein Lächeln zurückkehrt.

„Du erinnerst dich…“

„Klar, ich war doch nicht besoffen oder so…“ Ich zwinkere ihm zu. „An den Kuss erinnere ich mich auch noch genau“, spiele ich mit gefährlichen Karten.

„Sollte mich das freuen oder erschrecken?“, bleibt er aber vollkommen ruhig.

„Vielleicht beides.“

„Sollte zu schaffen sein. Meinst du-“

Ein Klingeln lässt uns beide zusammenfahren. Er wirft sofort einen Blick aufs Telefon.

„Entschuldige, ich muss da ran.“

„Kein Problem.“ Ich zögere, dann drehe ich mich um.

„Tobias?“

„Ja?“, drehe ich mich abermals an der Tür zu ihm zurück.

„Um Sieben? Ich hol dich ab.“

„Okay!“, kann ich nichts anderes tun, als zu nicken.

Er hebt die Hand lächelnd zum Gruß, bevor er sie endlich auf den Hörer sinken lässt. Während ich die Tür öffne und wieder hinter mir schließe, höre ich ihn sich melden.

Ich spüre, dass ich grinse.

Irgendwie freue ich mich auf heute Abend. Es bedeutet, einen weiteren Abend nicht alleine zu sein… denn Einsamkeit bedeutet Schmerz.

Ich seufze und beschließe, darüber nicht nachzudenken. Im Aufzug kann ich dennoch nicht anders als eine Sekunde lang die Augen zu schließen. Normalerweise hätte ich um diese Uhrzeit langsam darüber nachgedacht, was ich Nate und mir heute Abend wohl zu essen machen soll und nicht, wo ich heute Abend mit einem fast Fremden was essen gehen werde…

Wieso müssen sich manche Dinge so schnell ändern?

Ich will das nicht. Es tut weh.
 

„- hältst d- von Kürb-?“

„Äh… was?“

Ihn gar nicht kommen gehört, nehme ich den Kopfhörer von meinen Ohren.

Seine gutgelaunte Miene strahlt mir aus dem Türrahmen entgegen, bevor er sich in Bewegung setzt und sich im Stuhl mir gegenüber niederlässt.

„Ich hab gefragt, was du von Kürbis hältst…“

„Kürbis?“ Ich schließe die Anwendungsfenster, öffne nur noch einmal das Mailprogramm.

„Ich hab noch einen Hokkaido zu Hause, und da dachte ich…“

„Da dachtest du?“, überfliege ich schnell mit den Augen meinen Posteingang, bevor ich ihn schließe und Sam ansehe. „Dass wir lustiges Kürbislaternenbasteln veranstalten?“

Ich verziehe das Gesicht. Er tut dies ebenfalls.

„Fast! Ich dachte an Kochen…“

„Du willst kochen?“

„Mit dir zusammen, ja.“

Ich bestätige das Herunterfahren des PCs, bevor ich mich etwas nach vorne lehne. Ich sehe ihn an.

Bis eben dachte ich noch, dass wir wieder essen gehen würden, doch stattdessen will er mit mir kochen… Ich weiß nicht genau, weshalb mich das verwirrt. Wohl, weil ich es nicht gewohnt bin… Ich hätte ihn das nie gefragt… denn Nate hat zu oft Nein gesagt.

Er wollte so etwas nie mit mir zusammen machen.

„Ich muss zugeben, dass ich noch ganz Kürbisjungfrau bin…“, versuche ich an dieser Stelle nun ein lockeres Gesicht aufzusetzen, verdränge jegliche aufkommenden Gedanken wie schon den ganzen Tag lang.

„Hat der Herr vor, bis zur Ehe zu warten?“ Sam beugt sich mir entgegen.

„Kommt drauf an, wie verführerisch das Angebot ist...“

„Wie wäre es mit einem schönen Wein zum Essen?“

„Ich dachte, Alkohol ist tabu.“

„Hm… das stimmt allerdings… aber ein Glas sollte nicht schaden. Ich pass ja auf dich auf…“

„Meinst du, dass du das schaffst?“

„Es ist einen Versuch wert, oder?“

„Ebenso wie der Flirt, den du gerade startest?“ Ich fixiere ihn.

„Flirt? Nein, ich unterhalte mich nur…“, habe ich es jedoch schon wieder nicht geschafft, ihn aus der Reserve zu locken oder auch nur sichtlich zu überraschen.

Keine Ahnung, weshalb ich überhaupt den Drang danach verspüre.

„Na, dann können wir uns ja bei dem Wein weiter unterhalten.“

„Das fände ich sehr angenehm.“

Und damit ist es Sam, der den Blickkontakt unterbricht. Er wirft einen Blick auf meinen Bildschirm. Als ich dasselbe tue, sehe ich, dass er schwarz geworden ist. Auch sehe ich eine Spiegelung und ich erkenne mein Gesicht darin. Es lacht mich an. Es sieht falsch aus.

Sofort stehe ich auf, drehe dem Bildschirm den Rücken zu. Während ich mir die Jacke um die Schultern werfe, atme ich tief durch.

Irgendwie sticht mein Herz mich gerade.

Irgendwie muss ich daran denken, wie ich Nate in dieser Bar kennengelernt habe.

Irgendwie weiß ich noch genau, wie damals ich versucht habe, mit ihm zu flirten, mich mit ihm zu unterhalten…

Irgendwie kann ich kaum glauben, dass es schon über zwei Jahre her ist.

Wie konnte die Zeit nur so schnell vergehen?

Ich hatte doch noch gar nicht genug.

„Kommst du?“, reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken zurück.

Ich sehe Sam an, der wieder an meiner Bürotür steht. Er lächelt.

In mir sticht es noch mehr.
 

„Und was mache ich jetzt damit?“, drehe ich das orangefarbene Ding nun schon zum x-ten Mal in meinen Händen herum. „Schälen? Schneiden?“

„Waschen.“

„Und dann?“

„Lass deiner Fantasie freien Lauf.“

„Na gut…“ Ich zucke die Schultern und drehe das Wasser an, halte das Ding darunter. „Kochst du oft?“

„Wenn ich alleine bin nur ab und zu…“

Ich schiele zu Sam hinüber. Der Ring ist immer noch so deutlich zu sehen. Langsam frage ich mich wirklich, was sein Geheimnis ist. Er sieht nicht aus wie einfach nur aus einem Kaugummiautomaten.

„Bist du… oft alleine?“, zögere ich mit meiner Frage.

„Ja“, zögert er nicht eine Sekunde lang.

Es schnürt mir die Kehle zu.

Ich drehe das Wasser ab, sage nichts mehr, greife stattdessen nach einem Messer.

„Du musst ihn nicht schälen“, hält Sam mich auf, als ich ansetzen will.

Seine Hand liegt auf meinem Arm… und schon wieder der Ring.

Das Messer fällt in die Spüle, ich halte seine Finger fest.

„Was ist das mit diesem Ring?“, berühre ich ihn mit einer Fingerspitze.

Dann hebe ich den Kopf und sehe Sam ins Gesicht. Der ernste Blick erschreckt mich sofort. Ich lasse seine Hand los, sehe zu, wie er nach der nächsten Kartoffel greift. Er beginnt, sie zu schälen, sieht sie dabei an. Erst nach einigen vergangenen Sekunden sieht er wieder zu mir. Der Ausdruck in seinen Augen ist undefinierbar.

„Er ist von meinem Ex“, unterbricht seine Stimme endlich die Stille. Ein merkwürdiges Lächeln zerrt seine Züge. „Es ist eigentlich nur ein symbolischer Ring, den er mir zum Fünfjährigen geschenkt hat. Naja… ein paar Wochen später ist er dann gestorben.“

Ein Scheppern und Poltern lässt mich zucken. Das Messer, welches ich zuvor wieder aufgenommen habe, ist zurück in die Spüle gefallen, zusammen mit dem Kürbis. Das Geräusch scheint nun die Küche zu füllen, während mein Mund offen steht und nicht weiß, wie er eines von sich geben soll.

„Das… das tut mir…“

„Muss es nicht“, schüttelt Sam den Kopf. Und er lächelt noch immer.

„Wann… war das?“

„Vor eineinhalb Jahren.“

„Aber…“ Ich schlucke.

Ich sehe in sein Gesicht, sehe in seine Augen. Sie sehen friedlich aus und unglaublich ruhig.

„Es war ein Unfall… mittlerweile bin ich darüber hinweg“, spricht er langsam, beginnt wieder, die Kartoffeln zu schälen. „Ich trage den Ring nur noch aus Gewohnheit.“

Das leise Geräusch des Messers, wie es über die Kartoffeln fährt, erfüllt meine Ohren. Ich starre seine Hände an. Sie zittern. Doch sein Blick liegt ruhig auf ihnen, entspannt, ohne Schmerzen…

„Es geht also?“, habe ich das Bedürfnis, unentwegt den Kopf zu schütteln.

„Was?“

„Über so etwas hinweg zu kommen?“

Wieder ein Lächeln. Er sieht mich kurz an.

„Hast du dich betrunken, weil du verlassen wurdest?“

„Ja.“

Ich sehe seine Finger immer stärker zittern, auch wenn sie das Messer weiter über die Kartoffeln führen.

„Ja“, antwortet er auf meine Frage, während ich ihn beobachte. „Man kommt darüber hinweg.“

Mir fallen keine Worte mehr darauf ein. Ich beobachte einfach das Messer wie es vor und zurück fährt, vor und zurück… und ich blinzle immer wieder zu seinem Gesicht hinauf, das so normal aussieht, ebenso wie seine Stimme klang. Normal, als würde er mir irgendetwas berichten, was er in der Zeitung gelesen hat… Nur seine Hand, wie sie nervös das Messer über die Kartoffeln führt, scheint von etwas anderem zu reden. Und sie hört nicht auf, es mir zu erzählen.
 

Es ist Sam, der die eisige Stimmung nach einiger Zeit aus der Küche verschwinden lässt. Er schaltet das Radio ein, fragt mich, welchen Sender ich gerne höre, und wählt ihn aus. Dann gibt er mir einen Tipp, wie ich am besten weiter mit dem Kürbis umgehe, und dann kümmert er sich um das Fleisch. All das tut er, als haben wir dieses bedrückende, ernste, beklemmende Gespräch nicht geführt, als habe er mir nicht soeben von seiner verlorenen Liebe berichtet.

Mir fällt es schwer, dies ebenso zu übergehen, wie er es tut. Ich weiß nicht, aber ich glaube, ich will mit ihm reden, will ihn trösten, seine zitternde Hand festhalten… wobei das sicher schon zu viele vor mir getan haben, Freunde, Verwandte… Ich, ein nahezu Fremder würde ihm auch nicht helfen können… oder noch viel weniger, wenn ich mich schon nach einer einfachen Trennung besinnungslos besaufe.

Plötzlich komme ich mir unglaublich dämlich vor. Unreif.

Also bleibt mir letztendlich nichts anderes übrig, als nichts dergleichen zu sagen. Stattdessen gehe ich auf seine Kochtipps ein und langsam lockert sich die Stimmung wieder ein wenig. Als wir noch beim Kochen mit dem Glas Weißwein anstoßen, schaffte ich es auch wieder, in seine Augen zu sehen… und ich frage mich, wie sie wohl noch vor eineinhalb Jahren gestrahlt haben. Sie sind jetzt schon so wunderschön.
 

„Wann hat er dich verlassen?“

„Wie bitte?“

Irritiert hebe ich den Blick. Gerade noch auf das Weinglas gestarrt, war es so einfach, in Gedanken zu versinken, dass ich für einen Moment ihn mir gegenüber vergaß.

„Wann habt ihr euch getrennt?“, wiederholt Sam seine Frage, senkt dann den Blick, um sich seinem Teller zu widmen.

„Eigentlich ist es schon lange vorbei“, zögere ich, bevor ich meine Gabel ebenfalls ins Fleisch steche, als würde ich das Tier erneut töten wollen. „Am Dienstag.“

„Wie lange wart ihr zusammen?“

„Etwas mehr als zwei Jahre...“, kommt mir dies plötzlich so kurz gegen seine fünf Jahre vor.

Ich greife nach meinem Glas, trinke einen großen Schluck daraus.

„Hat er dich wegen eines anderen verlassen?“

„Willst du das wirklich wissen?“, frage ich skeptisch.

„Willst du es mir erzählen?“, trifft mich sein Blick direkt.

„Ich…“ Ich schlucke, führe die Gabel zum Mund und kaue auf dem Fleisch herum. Ich sehe ihm in die Augen dabei und spüre, wie gut mir sein ruhiger Blick tut. Den Bissen würge ich hinunter. „Ich will dich nicht langweilen…“

„Ich würde nicht fragen, wenn ich diese Angst hätte“, lächelt er mich an.

„Na gut…“ Ich führe eine weitere, gefüllte Gabel zum Mund, kaue, schlucke… und überlege, wie ich beginnen soll. In meinem Kopf dreht sich die Vergangenheit herum. Anfang, Ende… seine Küsse, Berührungen… die ganzen Diskussionen, die wir hatten…

Ich erdolche ein weiteres Stück Fleisch, atme tief durch, schließe kurz die Augen.

Ich habe doch bisher versucht, nicht darüber nachzudenken.

Als ich die Augen wieder öffne, treffe ich auf Nates. Die Unterschiede in Sams verschwimmen.

„Er hat vor kurzem jemanden kennengelernt“, bringe ich endlich hervor, „und dann hat er sich… verliebt…“

„Du betonst das so merkwürdig?!“

Ich seufze, lasse die Gabel endlich los.

„Nate war… Naja… Er ist kein Mensch von großen Gefühlen… Er hat… ich meine…“

Ich verschränke meine Finger ineinander. Ich starre sie an, bevor ich wieder zu Sam blicke, an ihm vorbei, dann wieder zurück in die Augen, die nun wieder ihm gehören. Ich spüre, wie meine Kehle enger wird und wie schwer es fällt, diese Dinge auch nur zu denken.

Wieso hat Nate nicht einfach bei mir bleiben können?

„Tobias?“, legt sich eine Hand auf meine.

Augenblicklich greife ich nach ihr. Aus irgendeinem Reflex heraus, verschlinge ich meine Finger mit seinen. Erstaunen liegt in Sams Blick. Genauso schnell wie danach gegriffen, lasse ich seine Hand wieder los.

„Sorry, also… ich weiß nicht…“ Meine Stimme will nicht sprechen.

„Willst du nicht darüber reden?“, hört er scheinbar genau das.

„Ich… sollte es tun… aber… es ist schwer…“

„Das glaube ich.“ Er zieht seine Hand vom Tisch zurück. „Lass uns über etwas anderes-“

„Ich glaube, Nate hat mich nie wirklich geliebt“, breche ich hervor. „Ich hab’s mir immer eingebildet und geglaubt, dass er das einfach nur nicht zeigen kann… aber eigentlich hat er es nie. Und das ist nicht mal seine Schuld… es ist…“ Ich zucke die Schultern. „Ich hätte es merken müssen. Er wusste es nicht besser… er kannte es nicht… er…“ Ich stocke, da mir die Luft zum Atmen fehlt. Wie nach einem Rettungsanker greife ich nach dem Besteck, kralle meine Finger darum.

Ich habe es so lange damit entschuldigt.

Dabei wäre doch im Endeffekt trotzdem alles ganz einfach gewesen.

Es hätte nicht so ausgehen müssen!

Er hätte mich nur sehen müssen!

„Ist das nicht etwas übertrieben? Ich meine, wer bleibt denn zwei Jahre mit jemanden zusammen, den er-“

Ich schüttle heftig den Kopf. Sam verstummt daraufhin.

„Er ist nicht wie du und ich. Er kann nicht gut mit Gefühlen umgehen und mit solchen erst recht nicht… Ich glaube nicht mal, dass ihm bewusst war, wie schwer es all die Zeit für mich war… er hat es einfach nicht… verstanden…“

„Und du bist trotzdem bei ihm geblieben?“

Ich nicke, während ich gegen das Brennen hinter meinen Augen ankämpfe.

„Ich liebe ihn. Ich weiß, dass es verrückt ist, aber ich kann nichts dagegen tun. Natürlich, ich hab versucht, ihn zu ändern, aber es hat nicht funktioniert… und mich ändern konnte ich auch nicht… ich wusste nicht wie, was… und trotzdem… Ich konnte ihn nicht loslassen, ich wollte nicht… ich wollte doch nur….“ Ich zucke die Schultern und grabe mittlerweile meine Fingernägel in meine Handballen hinein. „Ich wollte doch einfach nur bei ihm sein.“
 

Wenn man davon absieht, dass ich nicht weinen wollte… wenn man davon absieht, dass ich keinen Bock darauf hatte, auch nur daran zu denken… wenn man davon absieht, dass es saumäßig wehtut… ja, dann würde ich sagen, dass die nächsten zwei Stunden mir wirklich richtig gut tun. Zwei Stunden lang dauert es, bis ich mich beruhigt habe… zwei Stunden lang dauert es, bis ich Sam alles erzählt habe, was ich für wichtig erachte… zwei Stunden lang dauert es, zwei Jahre Revue passieren zu lassen und sich dabei mehr als nur zwei Mal zu fragen, wieso man es eigentlich so lange mitgemacht hat.

Wieso bin ich so lange bei ihm geblieben?

Sam stellt mir diese Frage nicht mehr. Allgemein fragt er mich sehr wenig sondern hört mir einfach sehr viel zu. Das kalt werdende Essen nicht beachtend, schiebt er die Teller beiseite und schenkt stattdessen mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Er lacht nicht, als ich weine, und er verurteilt mich nicht, als ich mich selbst verurteile… Er berührt über den Tisch hinweg meinen Arm und redet nur ein paar ruhige Worte mit seiner sanften Stimme, die den Schmerz etwas lindert, wenn auch nur ein winziges bisschen, irgendwo in mir drin.

„Danke“, sage ich, als ich es kann, als ich glaube, dass ich nicht weiter reden kann, nicht weiter erzählen, weil ich mich nur wiederholen würde… und wieder weinen… und zu keinem Endpunkt kommen. Es gibt keinen Endpunkt mehr, denn dieser ist längst überschritten. Schon vor Dienstag war er es…

„Ab jetzt kann es nur noch vorwärts gehen“, lächelt Sam, drückt meinen Arm sanft.

„Meinst du?“

„Es ist ein guter Vorsatz“, bestätigt er mir.

„Ja, das stimmt“, schaffe auch ich es, endlich wieder ein winziges bisschen zu lächeln.

Ich starre auf seine Hand an meinem Arm, auf den Ring daran… und frage mich plötzlich, wie er das so gut kann… mich ernst nehmen, nicht lachen oder mich für übertrieben verurteilen…

Ich bin froh, dass es so ist… aber…

„Danke“, sage ich erneut.

„Wofür?“

„Für alles. Für’s Zuhören… Für’s Hier sein…“ Es ist schwer, ihn dabei anzusehen, weshalb mein Blick herumfährt, am Teller hängen bleibt. „Und dafür, mich dem Kürbis vorzustellen…“

Ein Lachen fährt durch den Raum, lässt seine Finger sich spannen. Nun sehe ich ihn wieder an.

„Du hast ihn doch gar nicht probiert.“

„Nö… aber er duftete so lecker…“ Ich schnuppere demonstrativ. „Naja, oder zumindest, als er noch warm war… Ob er kalt auch schmeckt?“

„Das bezweifle ich…“

„Schade.“

„Tja, müssen wir es halt aufwärmen… aber den wirklichen Eindruck bekommst du dann leider nicht mehr…“

„Also müssen wir den Abend wiederholen“, stelle ich fest.

„Gerne.“

„Aber dann bitte ohne deprimierende Themen…“, zwinkere ich ihm zu.

„Das noch viel lieber.“

Und wieder drückt er meinen Arm. Und dann scheint es ihm bewusst zu werden, denn sein Blick huscht hinunter, dann wieder zu mir. Der Griff lockert sich kaum merklich.

Von einer Sekunde auf die andere ist es peinlich still.

Ich spüre, dass ich rot werde, und ich ziehe meinen Arm zurück, räuspere mich.

„Wärmen wir es trotzdem auf?“, deute ich auf die Teller.

„Ja, Moment.“ Damit steht er auf. „Ich bin gleich wieder da.“
 

Kapitel 3 - ENDE



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (13)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  littleblaze
2009-03-17T16:46:47+00:00 17.03.2009 17:46
Hallo Möhrchen ^^

sorry.. hat ein wenig gedauert, aber du weißt ja immerhin, dass ich wegen meiner Bis(s)-FF gerade so zu GAR NICHTS komme *drop*

Zum Kapitel:
Das Kapitel hat mir wieder sehr gut gefallen. Es war toll, dass du ein Stück aus Sams Vergangenheit angesprochen hast - er tut mir sehr leid! Man merkt zwar, dass er nach außen hin stark ist, aber genauso kann man auch sein Innenleben irgendwie sehr gut spüren. Hat mir sehr gefallen.
Aber auch Tobias tut mir immer mehr leid... obwohl es ihm mit Sicherheit gut getan hat, mal darüber zu reden.
Bin echt gespannt, wie es nun zwischen den beiden weiter geht. Eine gewisse Spannung scheint es ja zu geben *zwinker*

So... dann wieder zurück in mein Wohnzimmer husch xD
hdl
Von:  AliceWunderlich
2009-03-17T09:18:12+00:00 17.03.2009 10:18
Oh...
Ich fand das KApi iwie deprimierend! Aber auf ne gute art und weise.
Ich freue mich schon tierisch auf das nächste KApitel.

<3
Von:  Mel_Vineyard
2009-03-15T17:30:19+00:00 15.03.2009 18:30
der arme sam! das ist echt traurig!
da haben sich wohl zwei einsame menschen gefunden....

aber ich find es gut dass er sich das endlich mal von der seele geredet hat!ich glaub das hat er gebraucht!
jetzt kanns ja nur noch bergauf gehen!

also ich bin ja nicht so ein kürbisfan...^^

Mel
Von: abgemeldet
2009-03-09T16:40:34+00:00 09.03.2009 17:40
<ch bin es nur nicht gewohnt… [...] Smileys...> XD Ach, aber an den Rest war er gewöhnt oder wie? Also mir fielen da noch ein paar mehr Dinge ein, als nur die Smileys :) ;) ;P ;D ^^ *ums mal zu übertreiben* *.~
<Und verrätst du mir dann auch die geheimnisvolle Geschichte zu diesem Ring?> Da bin ich auch schon ganz gespannt drauf... mal abwarten^^
<denn Nate hat zu oft Nein gesagt.> Ohoh, gefährliches Muster... er muss echt aufhören zu denken, dass alle so sind wie Nate... den Fehler machen doch viel zu viele und ich dachte, es wäre bei allen angekommen, dass es nun einmal ein paar Menschen gibt, die anders sind als andere...
<Ich hatte doch noch gar nicht genug.> Oh doch, hattest du , du weißt es nur nicht.
Versteh mich nicht falsch, ich fand Nate toll, aber hier in dieser FF MUSS man einfach zu Tobias halten... da geht es nunmal nicht anders und Nate wird zum 'bösen Ex' degradiert...
<ein paar Wochen später ist er dann gestorben.> Okay, schwul und singel weil 'verwitwert'... mal sehen, was Tobias draus macht...
S, jetzt hat er sich mal richtig ausgeheult (was meiner Meinung bei einem 'Freden' manchmal einfacher ist, als bei den besten Freunden) und jetzt kann es wirklich nur noch besser werden...
Sam finde ich übrigens richtig nett. Er ist sympatisch, aufgeschlossen, kann zuhören... Tobias hatte echt Glück, dass der es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht hat, ihn aus diesem Loch zu holen...^^
LG cada :)
Von: abgemeldet
2009-03-09T14:38:03+00:00 09.03.2009 15:38
Hi^^

Tolles Kapi!
Endlich hat Tobias jemanden dem er alles erzählen kann und der ihm zuhört! Vorher tat er mir schon leid, so ganz allein...
Bin schon gespannt was noch alles auf die beiden zukommt.
Von:  risuma
2009-03-09T10:19:31+00:00 09.03.2009 11:19
Sam gefällt mir immer mehr^^
Die Offenheit, die er Tobias entgegen bringt ist nicht gespielt oder aufgesetzt, sondern ehrlich gemeint.

Aber Tobias ist auch süß - so wie er unschlüssig vor der Tür von Sams Büro steht und nicht weiß was er sagen soll *nick*
Aber Sam macht es ihm wirklich einfach - ohne ihn dabei lächerlich zu machen. Er lehnt ein weiteres Besäufnis ab, doch er bietet ihm trotzdem an, den Abend gemeinsam zu verbringen - ich glaube, die Einsamkeit ist in Tobias Gesicht ZU deutlich geschrieben.
Und - wie man später erfahren kann, ist die Einsamkeit auch für Sam kein unbekannter Begleiter.

Die Szene in der Küche ist wunderschön - als Tobias bemerkt, dass auch Sam zweierlei Sprachen spricht -
Ob Sam dies bewusst ist, vermag ich nicht zu beurteilen, auf jeden Fall scheint es aber so, dass seine Seele über den Verlust noch nicht hinweg ist, auch wenn der Verstand es schon geschafft hat, und er gelassen darüber reden und wohl auch nachdenken kann.
Für Tobias ist dies natürlich noch in weiter Ferne, zu frisch ist die Trennung von Nate, das verlassen worden sein von Nate.

Ich finde es sehr wichtig, dass Tobias es schafft, Sam von Nate zu erzählen, und sich zum ersten Mal selbst seiner Beziehung zu Nate stellt - schonungslos vor sich selbst.
Und Sam ist da, der ihm zuhört, ohne ihn zu verurteilen, oder Nate zu verurteilen, ja, er stellt eigentlich noch nicht einmal eine Frage, nur die eine:
Warum Tobias so lange bei ihm geblieben ist.

Ja, wenn Tobias schon früher jemanden wie Sam gekannt hätte, dann...
Nein, er hätte sich Nate niemals ausreden lassen, er hätte weiterhin an seiner Liebe zu ihm festgehalten...
Ich finde Sam tut Tobias richtig gut, er ist ein Mensch, der all die Eigenschaften besitzt, die Tobias jetzt braucht, und sich bei Nate immer gewünscht hat.
Ich glaube, Sam ist für Tobias bereits mehr, als ein Rettungsanker in seinem Leben...
doch beide müssen erst noch mit ihrer verlorenen Liebe abschließen...

Ich freu mich schon auf das nächste gemeinsame Kochen der Beiden^^

Vielen Dank für dieses wunderschöne Kapitel und liebe Grüße

deine risuma
Von:  midoriyuki
2009-03-08T16:06:25+00:00 08.03.2009 17:06
Tobias ist wirklich niedlich^^
Aber das mit Sams Freund ist auch wirklich übelOo
Okay, er sagt er ist drüber hinweg, aber sowas ist wirklich immer verdammt hart ~_~
Wirklich ein tolles Kapitel und ich freumich schon drauf wies weitergeht:)

Liebe Grüße
Yuki
Von: abgemeldet
2009-03-08T15:28:57+00:00 08.03.2009 16:28
Ich kenne zwar die ursprüngliche Geschichte nicht aber bei dem tollen Schreibstil sollte ich sie wirklich mal lesen!
Das Kapitel ist echt toll. (genau wie die beiden ersten)
Freue mich auf das nächste!

aj
Von:  W-B-A_Ero_Reno
2009-03-08T13:03:51+00:00 08.03.2009 14:03
Ich glaub das hat Tobias wirklich gebraucht!! Also jemanden zum Aussprechen und Sam scheint ein sehr guter Zuhörer zu sein =)
Die Zwei mussten/müssen echt viel durchmachen, aber zusammen werden sie das bestimmt meistern können!
Ich will auch mal was mit Kürbis kochen, hab das noch nie gemacht, aber wollte immer schonmal einen Kürbiskuchen backen^^

freu mich schon, auf das nächste Kapitel =)

liebe grüße
yuki<3
Von: abgemeldet
2009-03-08T12:37:50+00:00 08.03.2009 13:37
Schööööööööööööööööööön...schnief


Zurück