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Der Schreiber...

...legt seine Seele ins Tintenfass
von

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002 Großstadt

Meine Füße waren kalt, nicht weiter verwunderlich im Anbetracht der Tatsache, dass die Sohlen meiner Schuhe schon lange abgelaufen waren. Nur eine hauchdünne Schicht trennte die nackte Haut meiner Füße vom kalten, nassen und dreckigen Asphalt der Straße. Ich war es gewöhnt und hatte es gelernt diese Tatsache zu ignorieren, stattdessen zog ich den Kopf ein wenig ein um mich vor dem beißend kalten Wind zu schützen, der sich zwischen den Häusern hindurch wand und kein Erbarmen mit denjenigen kannte, die keine warme Wohnung hatten in die sie sich um diese Uhrzeit zurückziehen konnten.

So war es jedes Mal wenn der Sommer sich zurückzog um dem Herbst und danach dem Winter den Vortritt zu lassen und sobald sich dann abends die Dunkelheit über die Häuser legte, gab es für meinereins keine Zuflucht mehr.

Ich rieb meine Hände aneinander um den Blutfluss anzuregen und sie zu wärmen, aber mir war bereits klar, dass es eine kalte Nacht werden würde. Mit schmerzenden Gliedern bog ich um eine Ecke und ging eine Gasse entlang. Am besten war es wahrscheinlich, wenn ich nach Toni suchen würde. Er war zwar in vieler Hinsicht ein Idiot, aber so etwas interessierte in meinem Leben nicht.

Genauso viele Unterschiede wie es zwischen uns gab, genauso viele Gemeinsamkeiten hatten wir auch. Wir beide waren in jungen Jahren hergekommen, in die Großstadt, die mit Luxus und Geld immer unerbittlich nach uns gerufen hatte. Sie hatte uns mit offenen Armen empfangen, uns gefüttert und unsere Hoffnungen genährt bis sie schließlich das Interesse an uns verloren und uns fallengelassen hatte. Und jetzt fristeten wir beide genau wie viele andere unser Dasein auf der Straße, unfähig uns von ihr loszureißen, aus ihrem Schosse zu fliehen und ihr den Rücken zu zukehren um unser Glück woanders zu suchen.

Während ich weiter durch die Gassen ging, wurde zu meiner Rechten überraschend eine Tür aufgeschlagen. Unverständliches Geschrei drang in die stille Nacht hinaus, bevor schließlich ein wankender Körper in die Gasse hineingestoßen wurde. Dann ein lauter Knall und die Tür war wieder zu.

Der Mann, der nun in der kalten Gasse stand, hämmerte mit Fäusten auf die Holztür ein, aber als sie schließlich nicht nachgab, sank er langsam auf die Knie und fing leise an zu wimmern, wie ein kleines Kind, bevor er schließlich zur Seite kippte und regungslos auf dem Boden liegen blieb. Ich ging weiter auf ihn zu und als ich schließlich über den Körper hinweg stieg, drang mir ein starker Alkoholgeruch in die Nase.

Ich schaute nach unten, musterte das Gesicht des Mannes, der noch immer einfach so dalag. Er war nicht rasiert, so dass sein Gesicht von Bartstoppeln übersäht war, seine Haare waren fettig, ungepflegt und hingen jetzt in den kleinen Pfützen, die den Boden bedeckten. Seine Wange war rötlich verfärbt und wirkte etwas geschwollen. Ein Überbleibsel der Ohrfeige, die er vor kurzem empfangen haben musste. Er war genau wie ich, wie Toni, wie wir alle, die durch die Gassen schlichen. Nicht in der Lage endlich loszulassen, nüchtern zu werden, etwas Besseres zu suchen. Wenn seine Frau kein Mitleid hatte und ihn wieder hineinließ, dann würde er wahrscheinlich in den frühen Morgenstunden, sobald sich das Licht der Sonne in die Gassen stahl, tot sein. Star gefroren wie eine Figur würde er auf dem Asphalt liegen, während noch immer ein leichter Alkoholgeruch in der Luft wahrnehmbar sein würde.

Er würde ein Nichts sein, nur eines der vielen namenlosen Opfer, die die Stadt forderte. Nur beweint von zwei, vielleicht drei Leuten, beneidet von den anderen Bettlern, die ihr kaltes Ende noch vor sich hatten und bis zum Schluss nicht mehr genug Münzen zwischen die Finger bekommen würden um sich einem ordentlichen Suff hinzugeben, der sie wenigstens für einen Abend von ihren Sorgen befreien würde.

Ich warf noch einen Blick über die Schulter, bevor ich um eine Ecke biegen und ihn endlich aus den Augen verlieren würde. Er hatte sich noch immer nicht wieder bewegt, nur sein Brustkorb hob und senkte sich unregelmäßig, als Zeichen dafür, dass es noch nicht vorbei war.

Beneidete ich ihn?

Wollte ich an seiner statt dort auf dem Boden liegen und auf das Ende warten?

Nein.

Gewiss war es ein guter Tod, dem der Mann ins Auge sah, er war betrunken, würde nicht spüren, wie ihm die Kälte in die Glieder steigen und nach und nach alle Wärme aus ihm vertreiben würde, aber dennoch wollte ich nicht mit ihm tauschen. Ich war noch nicht so weit mich auf den Boden zu legen und einschlafen zu können.

Morgen vielleicht, aber noch nicht heute, heute noch nicht.

Ich bog um die Ecke und im nächsten Moment hatte ich den Fremden in der Gasse bereits so gut wie vergessen, schließlich war er ein Niemand, so wie wir alle.

Jetzt galt es Toni zu finden, wahrscheinlich würde er wieder irgendwo bei den alten, seit Jahren verwahrlosten Parkplätzen sein. Ich konnte nicht sagen wieso, aber er und viele andere meiner Art schienen sich dort wohl zu fühlen und waren regelmäßig dort anzutreffen. Oft besuchte ich sie, blieb tagelang bei ihnen, aber genauso oft drängte es mich wieder in den Gassen zu verschwinden, andere Stadtteile aufzusuchen, neue Dinge zu entdecken, von denen diese Stadt so viele zu bieten hatte.

Aber jetzt war ich wieder hier auf dem Weg zu ihnen, der Rest war unwichtig. Als ich über den alten Zaun, der das Gelände umgab, herüber geklettert war, vergrub ich meine kalten Finger in den Taschen meiner viel zu dünnen Jacke und steuerte auf eines der alten Parkhäuser zu. Alles war still und dunkel und erst als ich das alte Gebäude umrundet hatte, konnte ich ein schwaches Flackern in der Dunkelheit ausmachen. Ich ging darauf zu und stellte bald fest, dass es sich um ein Feuer in einer alten, löchrigen Tonne handelte.

Toni.

Er war der einzige, der es immer und überall schaffte ein Feuer zu machen, egal wie kalt, nass oder stürmisch eine Nacht sein mochte, er fand immer etwas, dass er anzustecken vermochte um sich später die steifen Finger an den Flammen zu wärmen. Auch ich genoss die Hitze, die von dem Feuer ausging, als ich schließlich an der alten Tonne stand und schloss die Augen.

"Du hast dich ja auch schon eine ganze Weile nicht mehr blicken lassen", stellte eine kratzige Stimme ganz in meiner Nähe fest.

"Ich war unterwegs", antwortete ich nur.

Ein Lachen.

"Das habe ich gemerkt. Aber früher oder später kommen sie doch alle zu mir um sich an Tonis Feuerchen zu hocken. Vorzugsweise dann wenn es kalt und nass ist."

Ich musste lächeln.

So war er, der Toni, er kannte sie alle. Die Hitze der Flammen tat mit gut und als ich langsam das Gefühl bekam wenigstens wieder halbwegs aufgetaut zu sein, öffnete ich die Augen. Toni stand direkt vor mir und schaute mich aus seinen alten, ernsten Augen an und wir musterten uns stumm, bevor er schließlich breit grinste und eine Zahnlücke offenbarte.

Er drückte mich an sich und schob mich noch näher ans Feuer heran.

"Ein Glück für dich, dass du zu den Leuten gehörst, mit denen ich mein Feuerchen gerne teile, nicht war?"

Im Schneidersitz ließ er sich auf dem Boden nieder und ich tat es ihm gleich.

"Allerdings. Gibt es denn auch Leute, mit denen du nicht so bereitwillig teilst?"

Toni grunzte.

"Ein paar so junge Burschen. Du weißt schon, solche die neu sind, die wirklich glauben, der Stärkere überlebt, ohne zu wissen, dass wir alle nichts weiter sind als eine große Familie." Sein Gesicht war eingefallen und während er ins Nichts starrte, beleuchtete der Schein des Feuers jede seiner Falten, die bezeugten, dass es nicht der erste Winter war, den er auf der Straße verbrachte.

Ich überlegte, wie lange er wohl schon so lebte und murmelte schließlich:

"Warum bist du nie gegangen? Du lebst hier länger als alle Anderen ohne je Anstalten gemacht zu haben zu gehen oder es auch nur zu versuchen."

Toni antwortete nicht und nach einer Weile fragte ich mich, ob er mich überhaupt gehört hatte, aber bevor ich noch einmal nachhaken konnte, stand er elegant auf und hielt mir die Hand hin.

"Ich zeig's dir", erklärte er.

Kurz mustere ich die alte runzelige Haut, dann ergriff ich seine Hand und stand auf. Ohne auch nur ein Wort miteinander zu wechseln folgte ich ihm durch die Dunkelheit zu einem der Parkhäuser.

Es war das größte.

Schweigend stiegen wir hinauf und ganz oben angekommen schob Toni mich bis ganz nahe an den Rand des Daches. Von hier aus konnte ich bis zu Einkaufsmeile sehen.

Die Leuchtreklamen durchbrachen die Nacht, die schrillen Farben riefen mich nahezu zu sich, versprachen Glück, Freude, Entspannung und weckten vergebliche Hoffnung in meinem Innern. Ein Anblick, der auf skurrile Art und Weise wunderschön war.

Er ließ mich nicht los, umgarnte mich mit den Farben, Kontrasten, weckten meine Träume, die es mir unmöglich machten mich einfach umzudrehen, zu gehen und all dem den Rücken zu zuwenden.

"Sie ist ein Miststück", murmelte Toni neben mir. Ich bewegte mich nicht und schaute ihn auch nicht an.

"Wer?"

"Diese Stadt. Sie umgarnt dich, ruft dich schon in deiner Jugend zu sich, flüsterte dir leise schmeichelnde Dinge ins Ohr, bereitete dir eine Freude nach der anderen und schließlich lässt sie dich fallen, erbarmungslos und unerbittlich. Sie tritt dich mit Füßen, auch wenn du schon längst am Boden liegst, all deines Stolzes und all deiner Ehre beraubt und dennoch ist sie so wunderschön, dass du dich einfach nicht von ihr losreißen kannst und stattdessen fristest du in ihrem Schatten dein Dasein, in der vergeblichen Hoffnung irgendwann wieder zu ihren Auserwählten zu gehören."

Ich schaute noch immer zu den leuchtenden Straßen, den kunstvoll dekorierten Laternen, zu den Orten, in denen das Leben nur so pulsierte. So nah und doch so fern.

Ich nickte.

"Ein Miststück."



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Trollfrau
2010-10-21T17:56:01+00:00 21.10.2010 19:56
Und da bin ich wieder. ^^ Auch hier muss ich mich verewigen. Ich hab deutlich gemerkt, dass ich die Decke fester gezogen habe, als ich das hier gelesen habe. Die kalte Atmosphäre, die hier vorherrscht, hast du sehr gut herüber gebracht. Die warme Herzlichkeit, die dieser Toni ausstrahlt, hat fast schon wieder etwas beruhigendes.

Auch hier habe ich ein paar Sachen gefunden. (ich hoffe nur, es stört dich nicht, wenn ich die hier aufliste):
...Wie (Wir) beide waren in jungen Jahren hergekommen...
...Toni stand direkt vor um (?) und schaute...
... Gibt es den(n) auch Leute, mit denen...
... Du lebst hier längere (länger) als alle anderen (Anderen)...

So das wars. ^^

[KmS]
Von:  littleblaze
2009-03-22T22:37:16+00:00 22.03.2009 23:37
Einfach nur klasse!
Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was ich anderes sagen soll, ich bin sprachlos!
Du hast es geschafft, dass ich die Kälte teilweise spüren könnte und den Drang habe mir mal wieder eine Stadt von oben anzuschauen.
Super!

lg
littleblaze
Von: abgemeldet
2009-01-19T18:05:09+00:00 19.01.2009 19:05
Hey :)
Danke für die ENS, ich hätts sonst wahrscheinlich verpasst, dass es hier und beim Vampir weiter geht!
Huh... die Geschichte hat mir gut gefallen... hatte irgendwie eine ziemlich kalte Atmosphäre. Und nein, damit mein ich nicht das Wetter, sondern das Verhalten der Personen xD

Also, mir ist auch kein Hinweis auf das Geschlecht deiner Hauptperson aufgefallen... hm, war das Absicht oder Zufall?

Soa... sorry, dass der Kommi so nutzlos ist, aber ich ruf dich jetzt einfach mal an
Von: abgemeldet
2009-01-19T16:24:02+00:00 19.01.2009 17:24
wow ja die geschichte is toll*nick nick*
ganz toll
ich finds faszinierend das du gekonnt umschiffst wie deine hauptfihur heißt oder welches geschlecht sie hatxD
ja aber auch ein sehr traurige geschichte*schon wieder schnief*
irgendwie bin ich in letzter zeit nah am wasser gebaut...
am besten ich les nichts mehr was du schreibst ich heul dann nur immerxD


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