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Killing Fields

von

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Hinter dem Lächeln

Hinter dem Lächeln
 

Sonnenlicht sticht durch die geschlossenen Jalousien. Kriecht langsam über den Boden, schiebt sich zögernd über zerwühlte Bettlaken.

Die Strahlen brechen sich auf dem klaren Glas der leeren Wodkaflasche, die neben dem Bett steht. Bunte Farben streichen über das helle Laminat.
 

Farbenspiel, das seit Minuten beobachtet wird.
 

Tseng weiß, dass Reno wach ist. Dass er noch nicht aufstehen will. Dass er vorgibt zu schlafen.

Er selbst hat die Augen halb geschlossen. Konzentriert seine Sinne auf das leise Atmen des anderen; auf warme Haut, die er unter seinen Fingern fühlt. Ein sehniger Arm ist eng um seine Hüfte gezogen, hält ihn fest.

Sie haben es irgendwie, irgendwann ins Bett geschafft. Eine weitere Flasche geleert, geredet.
 

An diesem Morgen wird es einen gemeinsamen Kaffee geben.
 

Tseng hebt den Kopf leicht an, blinzelt. Fokussiert seinen Blick auf die offene Tür. Die Kaffeemaschine ist nah und doch viel zu weit entfernt in diesem Moment.

„Du bist wach.“ stellt Reno leise fest, schläfrig grinsend. Seine linke Hand schiebt sich in Tsengs Nacken, die Fingerspitzen kraulen sachte den Haaransatz entlang.

Eine simple Berührung die ein unbewusstes, wohliges Strecken provoziert.

„Hm.“ Mit zwei unverfänglichen Konsonanten bestätigt Tseng den anderen. Weigert sich, die Augen ganz zu öffnen.

„Kater?“

„Liegt neben mir.“ Zu spät fällt Tseng auf, dass Reno sicher nicht die schwarze Katze meint, die sich schnurrend auf dem Bett zusammengerollt hat.

„Und Kopfschmerzen?“ Die Finger gleiten durch die Haare, ziehen vorsichtig Strähnen auseinander.

„Hm Hm.“ Auch Tseng schnurrt fast, schmiegt sich enger an den wärme spendenden Körper.

„War das 'nen 'Ja'?“ fragt Reno lachend und zieht Tseng ohne Mühe auf sich.

Zu schläfrig um sich zu wehren, grummelt Tseng: „Glaube schon.“

Den dumpfen Schmerz hinter seinen Schläfen, der Protest des Körpers gegen den Positionswechsel ignoriert er.

Renos Atem streift seinen Hals entlang. Und das Schnurren wird lauter.

Es ist nicht die Katze.
 

Reno macht ihm keine Vorwürfe. Hält ihm keinen Vortrag über die Kombination von Alkohol und Schmerzmitteln.

Die Tabletten liegen immer noch im Wohnzimmer, neben dem leise surrenden Laptop.

„Kaffee?“ wird Tseng ins Ohr geflüstert.

„Ist ein Plan.“ Die Muskeln des Turks spannen sich an, ein Auge öffnet sich endlich vollständig. „Ich koche ihn.“

Ehe Reno protestieren kann, schlüpft Tseng aus dem Bett. Getrieben von einem Pflichtbewusstsein, das seit Jahren Teil seiner Persönlichkeit ist.

Schlanke Finger greifen nach einem weißen Hemd.

Es ist das falsche. Zerknittertes Leinen hängt lose an Tsengs Körper herab.

Der Leiter des Departements ist kleiner als Reno und wiegt auch weniger.

Eine Tatsache, die er vor den Augen der Öffentlichkeit gut verbirgt.

Auf dem Weg in die Küchennische spürt er Renos Blick in seinem Rücken; weiß, das jeder Schritt beobachtet wird.

„Ey, der Plan war nich', dass du aufstehst!“ wird ihm hinter her gerufen.

„Dein Kaffee weckt mich nicht auf.“ kommt prompt die Antwort.

Bettlaken rascheln, nackte Füße huschen über das Laminat. Dann steht Reno hinter ihm. Nur er wird so in Tsengs Rücken geduldet. Nur er kann es sich erlauben, die Arme um Tsengs Hüfte zu ziehen und das Gesicht in den offenen Haaren zu vergraben, die wieder viel zu lang über die Schultern fallen. „Was heißt, mein Kaffee weckt dich nicht auf?“ wird in sie genuschelt.

„Das was ich gesagt habe.“ Das Grinsen versteckt Tseng hinter der Hand, versucht Kaffee auf zu setzen, während Reno ganz andere Dinge im Kopf hat.
 

Die erste Koffein-Ration des Tages muss eine weitere Stunde warten.

Solange bis Tseng erneut in der Küche steht; jetzt sein eigenes Hemd trägt, den perfekt sitzenden Anzug. Nur die Krawatte ist noch nicht gebunden, hängt lose um seinen Hals.

Das PHS ist zwischen Schulter und Ohr geklemmt. Er telefoniert, während er nun endlich den Kaffee aufsetzt.

„Mir ist es vollkommen egal, ob ich gerade anderweitig beschäftigt gewesen bin oder nicht.“ zischt er leise, und doch deutlich hörbar für seinen Gesprächspartner. „Die Planung geht zuerst an mich.“

Gespräche dieser Art führt er bevorzugt am Morgen. Er, der ein Nachtmensch ist, hat dann die nötige Frustration aufgebaut. Und kann sie auch jeden spüren lassen, mit dem er spricht. Es spielt keine Rolle, ob es nun ein einfacher Büroangestellter ist, oder Rufus Shinra persönlich.

„Es hat sich spontan ergeben.“ Der Präsident gähnt. Er ist von Tseng aus dem Schlaf geklingelt worden. Die Folgen der letzten Nacht lassen seine Stimme schleppend klingen.

Tseng hebt eine fein geschwungene Augenbraue, sucht auf dem Küchentresen nach einer Zigarettenschachtel. „Spontan ergeben?“ Aus der rechten Jackett-Tasche zieht er ein billiges Plastikfeuerzeug. Nicht sein eigenes. „Spontan kann man auch keine SMS schicken?“ setzt er hinter her.

„Tseng!“ Rufus muss unglaubliche Kopfschmerzen haben. Seine Stimme ist brüchiger als gewöhnlich. „Erinnere dich daran wer du bist.“

Es ist das Telefon zwischen ihnen. Die Verbindung, die über Kabel übertragen wird, welche verhindert, dass der Präsident das Lächeln sieht, welches über Tsengs Lippen gleitet.

„Ich erinnere mich jeden Tag daran, Sir.“
 

Reno, der in diesem Augenblick aus dem Schlafzimmer in die Küchennische wankt, sich einen Kaffee eingießt, bemerkt das Zucken der Mundwinkel.

Tseng hat die Zigarettenschachtel gefunden, hält eine Zigarette in die Flamme eines Feuerzeugs, dann den Rauch inhaliert und ausatmet, ehe er gelassen feststellt: „Ich wünsche Ihnen noch einen geruhsamen Tag, Sir.“

Mit diesen Worten wird das Telefonat beendet. Der Präsident hat keine Chance mehr zu antworten.
 

„Dachte du has' heute frei?“ Reno mustert Tseng über den Rand der Kaffeetasse, fixiert den Blick auf das faltenfreie Jackett. Auch wenn Tseng keine große Variation an Kleidung besitzt, heißt seine jetzige Aufmachung 'Business'.

„Habe ich auch.“ wird die Frage bestätigt. Der Leiter des Departments deutet mit einem Nicken auf den immer noch laufenden Laptop, der auf dem Wohnzimmertisch steht. „Ich will nur ein paar Antworten.“

„Oi. Soll ich mitkomm'n?“ Ausnahmsweise erinnert Reno sich an Regeln. Und eine, vielleicht die wichtigste lautet: Mache nie einen Job alleine!

Die einzige Regel, die Tseng regelmäßig bricht.

Er zögert kurz, mustert Reno und antwortet dann: „Nein. Nicht dein Turf.“

Es gibt keine Diskussion. Keine weiteren Fragen. Reno weiß, dass Tseng sich Freiheiten heraus nimmt, die bei keinem anderen Turk geduldet werden. Und er musste lernen, ihm zu vertrauen. Musste sich damit abfinden, dass die 'Turfs' nach Meteor neu gesteckt wurden. Es gibt Orte in Edge, an denen jemand wie Reno nichts verloren hat.

Tseng nimmt das stille Einverständnis mit einem Nicken zur Kenntnis. Bindet sich seine Krawatte und stürzt danach den tiefschwarzen Kaffee aus seiner Tasse in einem gierigen Zug herunter. „Wir sehen uns heute Abend. Ich rufe dich an.“
 

Erst als er in seinem Auto sitzt, wird Tseng klar, das er Reno in seiner Wohnung zurück gelassen hat. Ihrer? Die Grenzen verwischen immer mehr, die Kreise überschneiden sich.

Er greift in das Handschubfach des Wagens, schiebt all die Strafzettel zur Seite, die er in den letzten Monaten gesammelt hat, sucht unter dem Papier nach kühlem Stahl. Findet die zweite Pistole, die er immer im Wagen hat, lädt das Magazin und lässt die Waffe in das Halfter gleiten. Die Paranoia eines Turks.

Dieses Mal muss er nicht weit fahren; nicht eine Stadt durchqueren, die auf Ruinen gebaut wurde.

Sein Ziel liegt im selben Viertel. Nur vier Blocks von seinem Apartment entfernt. Er würde laufen, wäre der Schein nicht so wichtig. Die glänzende Fassade.

Der schwarze Sportwagen ist mehr als nur ein einfaches Auto. Es ist jetzt ein Statussymbol, verdeutlicht den jungen Männern, die ihn aussteigen sehen, dass er es geschafft hat. In der Nahrungskette weit über ihnen steht.

Und kurz, während er keine Überlegung daran verschwendet, dass er ein weiteres Mal im absoluten Halteverbot parkt, huscht der Gedanke durch Tsengs Kopf, dass er genau aus diesem Grund sein Auto so sehr liebt. Weil er selbst immer noch der Ghettojunge ist, der sich von glänzendem Chrom beeindrucken lässt.

Andere Ghettojungen mustern ihn, als er aussteigt. Dann die Karosserie, ehe ihr Blick auf die Felgen gleitet. Und erst dann auf die Person, die aussteigt.

Vier Ghettojungen in schlecht sitzenden Anzügen; ihre Jacketts sind offen, die Pistolen werden sichtbar getragen. Gelangweilt lungern sie vor dem Eingang des Clubs herum, der in den Nächten zu einer der begehrtesten Adressen der Stadt geworden ist.

Im Licht des Tages jedoch unscheinbar wirkt. Ein Haus wie so viele andere. Die Fassade im selben grauen Beton hochgezogen, wie all die anderen Gebäude ringsum. Keine schillernde Reklame reflektiert sich in dreckigen Regenpfützen, keine Menschenschlangen reihen sich vor dem Eingang.

Nur die vier Jungen sitzen an einem wackeligen Klapptisch, auf dem Kaffeetassen und Bierflaschen stehen. Dazwischen Spielkarten, Gil-Noten und ein Springmesser.

Nach welchem eine Hand mit zu vielen Goldringen an den Fingern greift.

Tsengs einzige Reaktion ist ein Schmunzeln. Gefolgt von einem beiläufigen Zurückschlagen des Jacketts.

Die vier sehen das Halfter, sehen die Pistole. Nehmen die Gelassenheit der Bewegung wahr. Und ihr Instinkt sagt ihnen, dass sie besser die Füße still halten sollten.

Dass doch einer von ihnen aufsteht, sich Tseng in den Weg stellt, gehört zu den Regeln; zu dem Spiel.

Der abschätzende Blick des Jungen wird kühl erwidert, die Arme angehoben. Tseng hat den Vier seine Bewaffnung präsentiert, mehr hat er nicht am Körper versteckt.

Und viel zu sehr Teil des Spiels beginnt der Junge, der gerade aufgestanden ist, ihn abzuklopfen.

„Was willste?“ wird schließlich die Stille unterbrochen. Es sind nur zwei Worte, doch selbst diese klingen gebrochen. Der Junge ist zu tief in seiner Muttersprache verwurzelt.

„Geht dich 'nen abgefuckten Scheißdreck an.“ Tseng hat ein abfälliges Lächeln um die Mundwinkel, als er auf Wutai antwortet.

Die Jungen haben Mühe die Überraschung zu verbergen. Keiner von ihnen hat erwartet, dass Tseng den selben Dialekt wie sie spricht. Die selben Worte nutzt. Es passt nicht zu seinem Auftreten. Passt nicht zu dem sauberen, faltenfreien Anzug.

Aus dem Schatten des Hauseingangs löst sich ein fünfter Mann, der bisher schweigend die Szene beobachtet hat.

„Lasst ihn. Er ist sauber. Und Onkel Han will ihn sehen.“

Sofort ändert sich die Haltung der Jungen. Sie treten einen Schritt zurück. Geben Tseng den Weg frei.

Der fünfte, etwas älter als die anderen, hält Tseng in einer entschuldigenden Geste die Tür auf.

„Sie wissen nicht wer du bist.“

„Wüssten sie es, hätten sie versucht mich umzubringen.“ Der Turk schiebt sich eine Zigarette zwischen die Lippen und betritt schulterzuckend eine andere Welt.

Eine Welt, die ihm so vertraut und doch über all die Jahre vollkommen fremd geworden ist.
 

Durch bunte Fenster an der Ostfront dringen Sonnenstrahlen in den großen Raum. Nachts, wenn sich schwitzende Leiber auf der Tanzfläche drängen, werden die seltsamen Figuren im Glas von Scheinwerfern beleuchtet, unterstreichen die Exotik des Clubs. Jetzt, an diesem frühen Morgen tanzt Staub träge im Licht, Zigarettenrauch hängt in der Luft.

Das leise Klacken von Mahjonggsteinen begleitet leise gemurmelte Unterhaltungen. Noch mehr Männer in schlecht sitzenden Anzügen sitzen in den vielen kleinen Separees. Warten auf Befehle. Darauf, etwas zu tun.

Ein paar Köpfe heben sich, als Tseng eintritt. Einige Augenpaare bleiben an dem Turk hängen, als er mit langen Schritten die Distanz von der Eingangstür zu dem Tisch im Zentrum des Raums überbrückt. Wenige wissen wer er ist. Und diejenigen, die ihn erkennen sehen Shinras Schoßhund.

Tseng lässt sie in dem Glauben. Es reicht, dass er und der ältere Mann, der ihm gerade zunickt, die Wahrheit kennen.
 

Onkel Han steht nicht auf, doch bietet er dem Jüngeren mit einer Handgeste einen Platz neben sich an dem Tisch an. Dann widmet er sich weiter seinem Mahjongg-Spiel.

Tseng setzt sich, wartet, lehnt dankend den Tee ab, den ihm eine junge Kellnerin anbietet. Raucht schweigend seine Zigarette.

Han wird das Gespräch beginnen.
 

Es ist nicht einmal ein Jahr her, dass Onkel Han ihn zum ersten Mal zum Essen einlud.

In Midgar wäre es undenkbar gewesen, dass Tseng auch nur eine Minute darüber nachgedacht hätte, die Einladung anzunehmen.

Doch Edge ist nicht Midgar. Und der Krieg lange vorbei. Niemand macht sich Gedanken darüber, wenn ein respektiertes Mitglied der wutainesischen Gemeinde einen ranghohen Mitarbeiter der ShinRa Company zu einem Dinner einlädt. Erst recht nicht, wenn dieser Mitarbeiter ebenfalls Wutainese ist.

Die pikanten Details sind den wenigsten geläufig.

Han leitet nicht nur ein Großhandelsunternehmen. Gehört nicht nur zu den wenigen Menschen, die durch die Zerstörung Midgars zu sehr viel Geld gekommen sind.

Tseng kennt Hans Akte. Wusste, worauf er sich einließ als er jenem Winterabend die luxuriöse Villa am Stadtrand betrat. Für ihn eine Reise zurück in die eigene Vergangenheit. Zurück in ein anderes Land. Für Han mehr als nur freundliche Kontaktpflege.

Es blieb nicht bei diesem einen Essen.
 

Während Tseng wartet, bemerkt er, wie die leise gemurmelten Gespräche sich verändern. Die Themen gewechselt werden. Es geht nicht mehr um Prostitution, um Drogen und Waffenschmuggel.

Die Männer reden jetzt über Sport, über ihre Frauen und Geliebten.

Unverfängliche Sachgebiete. Tsengs Anwesenheit beginnt, die ersten nervös werden zu lassen.
 

„Eine ungewohnte Zeit für dich.“ Han hat sein Spiel beendet, lässt sich von einem seiner Lakaien eine Zigarette anzünden, während ein anderer Mann aufsteht, sich verbeugt und dann leise vom Tisch entfernt.

„Nicht so ungewohnt. Normalerweise kümmere ich mich jetzt um Akten.“ antwortet Tseng im neutralen Tonfall. Der Kopf ist gesenkt, der Blick nicht. So sieht er auch das amüsierte Funkeln in den Augen des Älteren. Sieht einen sympathischer Mann, mit weißen, schütteren Haaren und Lachfältchen um den Mundwinkeln.

Sieht jemanden, der seinen Enkeln Ballons zum Geburtstag schenkt. Und Ponys.

Ihre Blicke treffen sich, unbemerkt von Hans Männern. Nach außen bleibt die Etikette gewahrt. Ist es Tseng, der dem Älteren den Respekt zollt, der ihm zusteht.

Keiner der Anwesenden kommt auf den Gedanken, dass die Rollen vertauscht sind. Dass Han Angst vor dem Turk hat. Vor dem jüngeren Mann, dessen unbewegte Mimik er nicht lesen kann. Dessen sauber manikürten Finger eine Zigarette mit der gleichen Selbstverständlichkeit halten, mit denen sie sich auch um den Trigger einer Pistole legen.

Han kennt seine Position. Weiß, dass er so frei agieren kann, weil Tseng es zulässt. Weil der sich nicht auf die WRO verlassen will. Jemand wie Tseng ist nicht für den Frieden gemacht und erst recht nicht für Weltrestauration.

Han leitet ein Verbrecher-Syndikat, Tseng die Turks. Offiziell stehen sie auf verschiedenen Seiten, nutzen aber beide die selben Methoden. Mit einem Unterschied: Die Turks sind effizienter.

Deshalb darf Han sein Geld mit Drogen, Nutten und Waffen verdienen. Geld, dass auch in ShinRas Kassen fließt. Unbemerkt von Idealisten wie Tuesti.

„Was hält dich dann von der Arbeit ab? Der Tee kann es ja nicht sein.“ Lächelnd deutete Han auf die leere Tasse, welche vor Tseng steht.

„Ich bin – und werde es auch immer bleiben – Kaffeetrinker.“

Wie üblich folgt vor dem Geschäftlichen seichte Unterhaltung.

„Eine Schande. Die Stadt hat dich verdorben.“ Das Lächeln hängt weiterhin auf Hans Lippen.

Tseng hat immer noch den Kopf gesengt, fragt leise: „Die Stadt?“

In den Ohren anderer klingt es schüchtern, beeindruckt.

Für den Älteren ist es eine deutliche Warnung. Kein Wort über ShinRa, kein Satz über Loyalität. Tseng ist nicht hier, um dieses Thema zu diskutieren.

Er greift in sein Jackett, zieht aus der Innentasche ein Foto und schiebt es mit der bedruckten Seite unten liegend Han langsam zu.

Dieser hebt eine Ecke an, mustert kurz das Bild, lässt es aber so auf dem Tisch liegen, wie es ihm überreicht wurde.

„Kennst du diesen Mann?“ Es ist eine einzige feine Nuance in Tsengs Tonfall, welche sich ändert. Die Höflichkeiten sind vorbei. Nun geht es ums Geschäft.

„Kannte ist wohl die bessere Formulierung.“ Han nippt an seinem Tee. Serviert in fast durchsichtigem Porzellan.

Tseng ignoriert die diskrete Demonstration von Reichtum. Ihn interessiert das Zittern der Hand mehr. „Kannte?“ Diese Frage ist scharf formuliert, ohne dass er lauter wird.

„Ihm ist gestern Nacht ein bedauerlicher Unfall passiert.“ antwortet Han, seine Worte sorgsam abwägend. „Ein paar Straßenjungen sind in seine Wohnung eingebrochen und haben ihn hingerichtet.“

Es gibt Neuigkeiten, die sich schnell verbreiten. Kaum jemand weiß dies besser, als ein Mitglied der Turks. Den Fluss der Informationen zu kontrollieren gehörte auch einmal zu ihrem Aufgabenbereich.

Dass sich allerdings diese Neuigkeit so schnell verbreitet, lässt Tseng stutzen.

Doch er braucht nicht einmal die Dauer eines Augenblinzelns, um sich wider zu fassen.

„Kein schöner Tod.“ Eine leere Floskel, die Teil der Inszenierung ist. Tseng unterscheidet nicht zwischen 'schönem' und 'unschönem' Ableben.

„Tatsächlich bedauerlich.“ setzt er hinter her, ehe sein Feuerzeug aufschnappt und er sich die nächste Zigarette anzündet. „Was meine Frage aber nicht beantwortet. Kanntest du ihn?“
 

In einer Geste, die ihm nicht vollkommen bewusst ist, lockert Han den Knoten seiner Krawatte.

Tseng bemerkt sie und es provoziert ein Lächeln. Weiße Zähne blitzen kurz auf.

„Sein Name ist ... war Marvin Ho.“ Han hat das Lächeln bemerkt, deutet es richtig. Der Mann, der ihm gegenüber sitzt, möchte Antworten. Und ist in der Position sie zu verlangen. „Seine Mutter stammte aus Wutai, der Vater aus Junon. Hat unter Tuesti für ShinRa gearbeitet. Ist dann mit ihm zur WRO gewechselt.“

„Wie die meisten Mitarbeiter von Reeve“ denkt Tseng sich seinen Teil dazu.

Was Han ihm erzählt, sind Fakten, die ihm seit gestern Nacht bekannt sind. „Weiter?“ fragt er lauernd. Seine Ausbildung in Verhörmethoden lässt ihn spüren, dass Han längst nicht alles gesagt hat.

„Tseng.“ Die laute Nennung des Namens lässt einige der Anwesenden aufschrecken. Jetzt weiß auch der letzte, dass es nicht irgendein ShinRa-Mitarbeiter ist, der unter ihnen weilt, „Es gibt schlafende Hunde, die sollte man einfach weiter in Ruhe lassen.“ Der väterliche Tonfall, den Han anschlägt, ist genau der falsche. Damit kann er den Turk weder beruhigen noch ablenken.

„Lass mich entscheiden, welche Hunde ich wecke.“ Tseng drückt die Zigarette im Aschenbecher aus. Hebt dabei nicht den Kopf. „Was weißt du noch über Ho?“

„Nicht viel.“ versucht Han seiner Frage auszuweichen.

„Onkel Han.“ Die höfliche, respektvolle Anrede ist viel zu explizit betont.

Der Mann, dem der Club gehört, der den größten Teil des Glücksspiels auf Edges Straßen kontrolliert, der die Preise für Drogen festlegt, windet sich auf seinem Stuhl. Greift sich immer wieder an die Krawatte.

Ihm gegenüber sitzt Tseng, scheinbar devot allen Respekt gegenüber einem Älteren auf bringend. Und strahlt gerade in dieser Zurückhaltung absolute Autorität aus.

Rings um sie zucken die ersten Hände unter die Jacketts.

„Er hat in Wutai als Dolmetscher gearbeitet. Während des Kriegs.“ Zögernd gibt Han mehr Details preis. „Und äh ... hat dort wohl ein paar Dinge heraus gefunden.“

Nun kommen sie zum interessanten Teil. Tsengs Blick ist eine stumme Aufforderung an Han, weiter zu sprechen, während er sich selbst die nächste Zigarette anzündet. Dabei die Haltung auf dem Stuhl verändert. Es ist eine minimale Bewegung, doch reicht sie, um das Halfter frei zu legen, dass er trägt.

Die Älteren verstehen die unausgesprochene Warnung. Sehen die Pistole, die im Halfter steckt. Ahnen, dass der Turk schneller ist.

„Ich weiß nicht was. Er wollte Beweise. Die er jetzt wohl bekommen hat. Und dann damit an die Öffentlichkeit.“ Auch Hans Blick fixiert sich kurz auf den Pistolengriff.

Tseng zieht an seiner Zigarette, beobachtet den aufsteigenden Rauch. „Beweise?“

„Ja, ich weiß nur nicht was, oder wofür.“ Der Ältere redet inzwischen hastig und schnell. Sagt aber dieses Mal die Wahrheit.

Tseng atmet tief ein. Überlegt, ob er die nächste Frage stellen soll. Wägt kurz die Konsequenzen ab.

„Die Frau, die bei ihm war. Kennst du sie auch?“

Hans Augen weiten sich. Sein Verdacht wurde gerade bestätigt. Aber es kann ihm keine Befriedigung geben. Dem Turk lässt sich nichts nachweisen.

„Ja.“ Dieses Mal ist Han schneller als sein Handlanger, zündet sich selbst eine Zigarette an. „Ihr Name ist Mei-Li.“

„Li-Mei“ korrigiert Tseng ihn still. Und in einem dunklen Teil seiner Gedanken will er die kleine Schwester dafür zurecht weisen, wie plump sie versucht hat, die Identität zu wechseln.

„Adresse?“ bringt er stattdessen trocken über die Lippen.

Han zuckt mit den Schultern. „Mir nicht bekannt. Ich glaube sie hat in einem Hotel gewohnt.“ Er wird jetzt wieder vorsichtiger; fragt sich, wie viel er sagen kann.

Die Frage der Loyalität, die sie vor wenigen Minuten übergangen haben, nagt an ihm.

Dabei ist die Antwort so erschreckend simpel.

Für Tseng stehen die Turks immer an erster Stelle. Dann kommt ShinRa, personifiziert durch ein blondes Kind. Und irgendwann, weit auf den hinteren Plätzen Wutai.
 

Aber Tseng bohrt hier nicht weiter. Die Kontakte, die er sich im letzten Jahr aufgebaut hat, sind zu wertvoll, um sie für eine private Angelegenheit zu opfern.

Und es gibt andere Möglichkeiten an die Informationen zu gelangen. Immer noch. Die WRO hat ihnen nicht alle Zähne gezogen, auch wenn Tuesti es gerne glauben würde.

Der Turk steht auf, zieht das faltenfreie Jackett zurecht. Verbeugt sich vor Han.

Respektvoll, der Etikette folgend.

„Danke für den Tee.“ murmelt er leise, wart die Form.

Und Onkel Han findet wieder in die Rolle, die ihm zusteht. Nickt nur kurz. „Keine Ursache, mein Junge. Jederzeit gerne.“
 

Bereits an der Tür nimmt Tseng die Bewegung aus den Augenwinkeln wahr, sieht wie einer der Männer hinter seinen Rücken greift.

Für jemanden wie diesen Gangster ist es die einfachste, sauberste Lösung.

Sein Denken reicht nur bis zur nächsten Straßenecke. Er glaubt, dass der Tod eines Turks sein Leben einfacher werden lässt.

Deshalb kommt jemand wie dieser Gangster auch nie weiter; wird niemals seinen Block verlassen.
 

Und in diesem Augenblick ist jede falsche Form der Höflichkeit vergessen.

Tseng denkt nicht nach, spürt das beruhigende Gewicht seiner Pistole in der Hand, krümmt den Finger.

Der erste Schuss trifft. Direkt in den Kopf. Die zweite Patrone, die den Lauf verlässt, ist nur zur Absicherung.
 

Stille.
 

„Onkel Han.“ Tseng spricht zuerst, hinein in die Stille, welche sich über den Saal gelegt hat. Nutzt die korrekte Form der Anrede für den Älteren. „Sorge dafür, dass du deine Leute unter Kontrolle hast.“

Das Oder sonst ... bleibt unausgesprochen im Raum stehen. Tseng steckt die Pistole wieder in das Halfter. Kümmert sich nicht weiter darum, was mit dem Toten passiert.
 

Sie lassen ihn gehen.

Senken die Blicke.

Weichen ihm aus.
 

Vierzig Minuten später steht Tseng in Elenas Büro. Tritt zwischen Zimmerpflanzen und Aktenstapeln von einem Fuß auf den anderen.

Die junge Frau weicht ihm nicht mit Blicken aus, nagelt ihn stattdessen regelrecht fest.

„Wenn du mir noch einmal sagst, dass ich einfach nur meinen Job machen soll, überlege ich mir das mit Reeves Angebot ganz genau.“ ätzt sie ihm entgegen, fokussiert dann die Aufmerksamkeit wieder auf den flackernden Bildschirm ihres Rechners.

„Welches Angebot?“ Tseng lehnt sich gegen den überladenen Schreibtisch. „Die Einladung zum Dinner, was nur ein charmant verpacktes 'Mach die Beine breit und lass dich vögeln' war, oder sein Angebot, dich als überbezahlte Privatsekretärin einzustellen?“

Elena schnaubt, greift nach dem nächstliegenden Stift und wirft ihn in Tsengs Richtung. Er macht sich nicht die Mühe auszuweichen.

„Heute mal wieder richtig im Arschlochmodus?“ Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, redet sie mit ihm.

Aus der Schwärmerei am Anfang ihrer Karriere ist inzwischen eine solide Freundschaft geworden. Sie ist Tsengs Partnerin, seine Rückendeckung. Und sich dessen vollkommen bewusst.

„Hat das was mit dem Job zu tun?“ kontert er gereizt.

Die Antwort ist ein leises Lachen.

„Anscheinend schon, Tseng. Da ich heute bereits mit Reno telefoniert habe, weiß ich das seine Nacht ganz angenehm gewesen sein muss. Im Gegensatz zu meiner. Ich war die Idiotin, die Rufus ins Bett bringen durfte.“

„Elena.“

„Tseng.“ äfft sie seinen Tonfall nach und zieht die Beine an, drückt sie gegen die Schreibtischplatte. Ihr Kinn legt sie auf die Knie. Die Haare fallen über ihre Augen, doch Tseng weiß, dass sie ihn beobachtet, während sie beide warten. In aller Stille an der Technik verzweifeln, die ihnen Antworten geben soll.

„Du schuldest mir ein Essen. Mindestens eins.“ murmelt Elena nach mehreren Minuten gemeinsamen Schweigens. „Für meinen heldenhaften Einsatz. Und die Rettung des Sushis.“

„Ich weiß. Ich krieche auch in fast ewiger Dankbarkeit vor dir auf dem Boden.“ Tseng zieht aus der linken Tasche des Jacketts seine Zigarettenschachtel und sucht mit Blicken erfolglos nach einem Aschenbecher.

„Den Tag, an dem das passiert, markiere ich mit lauter rosa Herzchen in meinem Kalender.“ Elena öffnet eine Schublade ihres Schreibtisches und stellt das gesuchte Objekt auf einen Stapel Aktenordner.

Ihre Unterhaltung wird durch piepsende Töne des Computers unterbrochen.

„Hat was gefunden.“ kommentiert Elena das technische Geräusch unnötigerweise, setzt sich wieder gerade auf ihren Stuhl und lässt den Drucker die Ergebnisse ihrer Suche auf Papier bringen. Gleichzeitig liest sie laut vor, was sie auf dem Bildschirm stehen hat: „Mei-Li Wu, geboren in Wutai. 27 Jahre alt. Keine Einträge wegen irgendwelcher Verbrechen, nur ein paar Strafzettel wegen Falsch Parken und zu schnellem Fahren.“

Es folgt ein abfälliges Schnauben. „Ziemlich billige falsche Identität. Mir fallen spontan zwei Fehler im Lebenslauf auf.“ grummelt Elena, während sie ein weiteres Mal die Daten überprüft, die sie vor sich hat.

„Hmhm.“ murmelt Tseng leise, nimmt sich die Papiere aus dem Drucker und verbirgt hinter den Blättern sein Grinsen. Er hat nicht danach gefragt, ob die Identität der Frau echt oder gefälscht ist. Elena erledigt wieder einmal viel zu viel.

Das einzige, was ihn interessiert ist ihre letzte Adresse.

Der letzte Aufenthaltsort seiner Schwester.

Kurz krampft sich ihm der Magen erneut zusammen.

Dann hat er wieder die nötige Distanz zu den Ereignissen. Li-Mei ist vor achtzehn Jahren gestorben. Am selben Tag an dem die SOLDIER das Dorf stürmten, in dem er aufgewachsen ist.

Er hat gesehen, wie einer von ShinRas Männern sie mit schleifte, runter zum Strand. Und niemand kehrte von diesem Strand zurück.

Am Abend färbte nicht nur die untergehende Sonne das Wasser rot.
 

„Tseng!“ Elenas Hand hat kraftvoll ausgeholt. Ihre Fingernägel hinterlassen Kratzer auf seiner Wange. „Elena an Tseng!“

Erst jetzt setzt der brennende Schmerz ein. Er sieht sie verdattert an. „Was?“ rutscht ihm über die Lippen. Es ist sicherlich nicht die intelligenteste Frage, die man in dieser Situation stellen kann.

Elena seufzt leise.

„Du hattest wieder deine Sephiroth-Gedenk-Minute.“ Sie nennt es so, geht so respektlos mit den Momenten der totalen Abwesenheit um, die Tseng manchmal überkommen. Es macht es einfacher für sie. Für Rude. Für Reno. Macht man sich über etwas lustig, wird es erträglicher.

Er bringt ein schiefes Grinsen zustande, murmelt eine leise Entschuldigung.

Sie zuckt mit den Schultern. Die letzten verbliebenen Turks haben gelernt damit umzugehen. Genauso wie sie gelernt haben, Elenas regelmäßigen Heulkrämpfe nach zu viel Wodka zu akzeptieren. Oder Renos Aussetzer in den Bars. Oder Rudes Schweigen.

„Was ich dir sagen wollte, bevor du in irgendeine ganz weit entfernte Sphäre abgedriftet bist,“ überspielt Elena das gerade geschehene mit einem Lächeln, „Ich habe die Adresse der Dame. Und jetzt rufe ich Rude an und sag ihm das geplante Dinner ab.“ Sie greift sich ihr Jackett. „Ein Dinner, welches wirklich nur ein schlecht getarnter Grund ist, um mich flach zu legen.“ Sie lässt Tseng keine Zeit ein schlechtes Gewissen zu kultivieren, setzt mit dem selben strahlenden Lächeln hinter her: „Und morgen rechne ich die Überstunden aus.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2008-07-21T18:15:07+00:00 21.07.2008 20:15
Mein gott, einer der besten FF die ich je gelesen habe... sie ist so direkt und klar wie Tseng selbst...
einfach klasse

sorry hab keine Zeit, schreib dir bald einen ausführlicheren Kommi wenn du möchtest
Nawa


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