Zum Inhalt der Seite

Bomb Run

Eine US-Bomberbesatzung im 2. Weltkrieg
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Abgeschossen

Gebeugt hing er über dem Norden-Bombenzielgerät. Unter ihm rasten die hellgrünen Felder Nordfrankreichs dahin, und wechselten sich ab mit braunen und dunkelgrünen Flecken, die Wälder sein mochten. Dann kam ein Bauernhof in Sicht, und kleine dunkle Flecken auf den hellen Feldern, es konnten Rindviecher sein. Er fühlte sich an zuhause erinnert, denn da standen auch die Kühe vor der Farm auf den Feldern und käuten so seelenruhig wieder, als gäbe es sonst nichts zu tun.

Gorksy rückte seine Sauerstoffmaske zurecht, wischte sich über die Stirn. Sie waren auf achttausend Metern Höhe und er schwitzte, wie immer wenn es auf den Bombenzielanflug zuging. Seine Hände in den Handschuhen waren feucht, die Handschuhe wurden klamm. Außen kalt, innen warm. Es passte nicht so recht zusammen. Er warf einen Blick auf Chase am Kartentisch, der ebenso wie er selbst mehr zu tun bekam, wenn es aufs Ziel zuging. Er fragte immer wieder Don am Funkgerät nach Angaben und zeichnete sie auf seine Karten ein, dann rechnete er Ankunftszeit aus, die Höhe, Windgeschwindigkeiten, schrieb Positionen auf. Er war so beschäftigt, dass er seine Spucktüten völlig vergaß. Gorksy dankte Gott im Stillen, denn hin und wieder war der Gestank hier vorne so schlimm, dass er sich in Richtung Rumpf verdrücken musste. Natürlich erst, wenn der Zielanflug vorbei war.

Bisweilen nahm Chase dann seine vollen Tüten, wanderte nach hinten und schmiss sie aus dem Bombenschacht. Seine wage Hoffung war, dass vielleicht irgendwann einmal ein deutscher Flakschütze das Ding auf den Kopf bekommen könnte.

Ihr heutiges Ziel kannten sie nicht mit Namen. Bei der Besprechung waren nur die Koordinaten und die Route angegeben worden. Liberty Lilly, deren Crewmitglieder schon als alte Hasen galten, war heute Führungsflugzeug und Chase somit Lead-Navigator. Das war ihm schon von Beginn an auf den Magen geschlagen und noch bevor sie über Splasher Six, dem Funkfeuer, welches für Donthorpe zuständig war, und am Sammelpunkt mit den Maschinen der anderen Staffeln zusammentrafen, waren die ersten beiden Tüten voll und wurden aus der vorderen MG-Luke entsorgt.

Chase holte sich die Positionsangaben zu Beginn der Mission alle paar Minuten, er war erst zum zweiten Mal der Navigator der Führungsmaschine und damit für alles verantwortlich. Danach etwa alle zwanzig Minuten und er konnte sich ein bisschen entspannen. Der Schweiß rann ihm trotzdem in Strömen den Rücken hinunter.
 

„Navigator an Pilot. Überfliegen Küste bei Le Havre. Kurs fünfundvierzig Grad nach links schwenken.“

„Alles klar, Navigator. Kurs fünfundvierzig Grad links.“

Sanft hob sich die rechte Tragfläche der B-17 und die ganze Formation begann sich leicht nach links zu verschieben. Sie kreuzten die französische Küste ein paar Meilen westlich von Le Havre, das erst vor kurzem von amerikanischen Truppen eingenommen worden war. Noch Anfang September wurde die Stadt bombardiert und nahezu zerstört. Sie überflogen die zerbombte Stadt weiter nach Süden, als sie die ersten Flaknester erwischten, deren deutsche Schützen wohl auch bald den Rückzug ins ‚Vaterland’ antreten mochten. Der ganze Himmel war plötzlich von den schwarzen verpuffenden Wölkchen erfüllt.

„Heck an Pilot. In der oberen Staffel scheint’s Probleme zu geben.“

Zustimmendes Gemurmel von allen Seiten, die freie Sicht auf die obere Staffel hatten. Thomps räusperte sich, war sich zuerst nicht sicher, doch dann erkannte er die Ursache. „Feindjäger auf sechs Uhr hoch. Sie beharken die oberen Forts.“

Eine B-17 torkelte plötzlich vorbei, drehte sich in immer schneller werdenden Spiralen wie ein Kreisel um sich selbst,

„Aussteigen, los Jungs…“ hörten sie jemanden murmeln, wieder und wieder, wie eine Beschwörungsformel. Doch die G-Kräfte waren zu stark um aus der Maschine herauszukommen. Plötzlich entfaltete sich doch einer, dann noch ein zweiter und dritter Fallschirm. Wie die drei Männer es aus der Fortress geschafft haben würde ein Rätsel bleiben. Die Maschine schlug auf einem Feld auf. Ein Feuerball.

„Drei Fallschirme, Aufschlagort, etwa fünfzig Meilen südlich von Le Havre“, gab Chase an Don durch, der es in sein Logbuch eintrug.

Plötzlich begannen die MGs im Heck zu hämmern, Matt und Curtis drehten gleichzeitig ihre Geschütze heckwärts.

„Sie kommen links vorbei. Matt!“

„Ich seh’ sie.“
 

Seine Stimme ist ganz klar, ebenso wie alle seine Sinne wach sind. Mit beiden Händen am Maschinengewehr, und mit seinen Augen, die am Himmel kleben, steht er im Rumpf und beobachtet, wie zwei kleinen Silhouetten langsam auf ihn zukommen. Sein Blick klebt knapp über dem Lauf des MGs und er meint, seine Augen seien sein Visier.

Er sieht die schmalen Rümpfe der Focke-Wulfs mit ihren bulligen Schnauzen. Sie sind hell- und dunkelgrau-gescheckt lackiert und ihre Kabinenhauben blitzen in der Sonne, werfen dem dunkelgrünen amerikanischen Bomber kleine Lichtreflexe entgegen. Auf achttausend Meter hängen keine Wolken, die die Sicht behindern könnten.

Er zieht die Augenbrauen zusammen, als die Maschinen einen leichten Schwenker vollführen und nun schräg anfliegen. Ihre Tragflächen stehen beinahe vertikal und plötzlich feuern deren MGs los. Im gleichen Moment zieht auch er den Abzug. Das Geschütz schlägt aus, lässt seinen ganzen Körper erbeben. Die roten Leuchtspurgeschosse greifen wie die gierigen Finger einer Hand nach den kleinen Focke-Wulf. Und aus deren Tragflächen schießt ihm das gleiche heiße Blei entgegen.

Es kracht, als die Geschosse in die Außenhaut der Maschine einschlagen und das Aluminium aufreißen. Er äugt kurz in die Richtung der einschlagenden Geschosse und seufzt. Dann wendet er seinen Blick wieder nach draußen. Wieder krümmt sich sein Zeigefinger um den Abzug, visiert den Rottenflieger der ersten Focke-Wulf an. Die Geschosse treffen das Flugzeug, Teile fliegen davon. Doch wieder lässt ein Geschosshagel die B-17 erbeben, dieses Mal scheint es von der anderen Seite zu kommen.

Aber da sieht er plötzlich wie Motor Nummer 1 Rauch zu spucken beginnt.
 

„Verdammt“, schimpfte Davis, als er die Einschläge von hinten hört. Zuerst hörte es sich nur so an, als würde jemand Steine gegen die Außenhaut werfen. Aber das vielstimmige Geschrei und Gefluche in der Bordsprechanlage teilte ihm etwas anderes mit.

Dann meldete Thomps plötzlich den rauchenden ersten Motor. Davis riss seinen Kopf nach links und erstarrte, den er erkannte eine weitere Rotte deutscher Jäger, die auf sein Flugzeug ansetzte. ‚Die wittern Blut,’ schoss ihm unwillkürlich durch den Kopf. Noch keine Flammen zeigten sich, doch Davis war schlau genug, nicht darauf zu warten und drückt den Feuerlöschknopf. Anscheinend musste es im inneren des Motors zu schmoren begonnnen zu haben, denn plötzlich entwich eine dicke Wolke weißer Rauch. Davis stellte den Motor auf Segelstellung.

„Wie schaut es mit dem Sprit aus?“ fragte er Gunny.

„Reicht locker für den Heimflug“, meinte dieser.

Fünf Minuten später seufzt er. „Wir haben ein Loch im Tank. Die Nadel fällt.“

„Die Selbstdichtungstanks?“

„Anscheinend versagt.“

Davis schlug wütend gegen die Steuersäule und fluchte.
 

Der nächste Angriff ließ nicht lange auf sich warten. Eine neuerliche Attacke erfolgte von oben und erwischte Motor 4, den rechten äußeren. Es schien Davis noch kein Grund zu großer Sorge, waren doch schon viele Maschinen so wieder heimgekehrt, ein paar wenige sogar auf dem letzten Motor, doch sie befanden sich gerade einmal im Bombenzielanflug. Wäre es der Heimflug gewesen, wäre ihm nicht der Magen in die Kniekehlen gerutscht.

Und mit zwei Motoren fiel er jetzt auch deutlich zurück und musste seine Position als Führungsmaschine abgeben.

„Hier spricht Liberty Lilly, wir sind getroffen. Mount ’N Ride ihr seid die Führungsmaschine, sobald wir das Ziel bombardiert haben.“

Er konnte das entsetzte aufstöhnen der Besatzungen der anderen Maschinen beinahe hören. Sie konnten nicht glauben, dass es die Maschine, die die grässlichsten Einsätze überlebt hatte, bei solch einem Einsatz verloren gehen sollte.

Der Pilot von Mount ’N Ride bestätigte und seine Stimme klang angespannt. Er wünschte ihnen viel Glück.
 

„Navigator? Position?“

„Ziel in zwei Minuten. Bereit an den Bombenschützen zu übergeben?“

Davis bestätigte.
 

Über dem Ziel hagelte es Flakgeschosse. Der Himmel schien zu brennen. Es gab keine Wolken, zumindest keine, die natürlicher Herkunft waren. Eine dicke schwarze Wolke hing im Weg, denn gerade war eine Maschine explodiert und hatte nichts hinterlassen, als ein paar Trümmerteile und zerfetztes Material, das so klein war, das es nun wie Schnee zu Boden glitt.

Davis schwitzte unter seiner dicken Lederjacke. Er fragte sich wohin der Schweiß noch wollte, denn es kam ihm so vor, als schwitze er schon seit dieser verdammte Einsatz begonnen hatte. Er mochte nicht wissen, wie seine Crew dran war. Vor allem die Rumpfschützen bekamen es heute von allen Seiten ab.

Die Motoren zwei und drei liefen regelmäßig, die Nadeln standen im grünen Bereich und es gab keinerlei Anzeichen einer Überhitzung. Die beiden anderen Luftschrauben standen auf Segelstellung, um keine wichtige Geschwindigkeit wegzunehmen.

Sie warfen die Bomben, flogen die Wende und machten, dass wie wegkamen, denn die nächsten Jäger lauerten sicher irgendwo. Die Hauptformation setzte sich ab, ließ Liberty Lilly zurück.
 

Ein paar Meilen bevor sie die normannische Küste kreuzten und die Heimat schon so nahe lag, da begann der rechte innere Motor zu husten. Davis schaltete ihn ab, er konnte nichts tun, denn der rechte Flügeltank war bis auf den letzten Tropfen leer. Durchlöchert von deutschen Maschinengewehrgeschossen, und die lebenswichtige Substanz über dem feindlichen Himmel war so schnell verronnen, wie das Regenwasser im sommerlichen trockenen Boden versickerte.

Davis atmete tief durch und dachte darüber nach, wie er seine Besatzung auf das Kommende vorbereiten sollte.

Er verlor keine Worte, und sagte es ihnen direkt. Sie sollten sich bereitmachen, auf dem Kanal notzulanden. Doch vorher ließ er alles Überflüssige hinauswerfen. Munition, MGs, sogar das Norden-Bombenzielgerät wurde durch die Luke gekippt und verschwand auf Nimmerwiedersehen im schimmernden Wasser des Kanals. Das große Schlauchboot wurde vorbereitet, lag zusammengefaltet im Rumpf.
 

Langsam, wie in Zeitlupe, schienen sie auf die Wasseroberfläche zuzuschweben. Davis hielt die Steuersäule umklammert und Gunny traf die nötigen Vorbereitungen, wie, die Landeklappen auszufahren und die Motoren zu drosseln, um so langsam wie möglich aufzusetzen. Es gab keine andere Möglichkeit mit drei zerschossenen Motoren, und einem vierten, der gerade begann immer wieder kleine Aussetzer zu haben. Es hätte vielleicht eine Möglichkeit gegeben, wäre da nicht der leere Tank gewesen.

„Motor vier stirbt ab“, sagte Gunny und richtete seinen Blick aus dem Fenster.

„Auf Segelstellung“, sagte Davis.

Sie wurden noch langsamer und es wurde gespenstisch still. Nur das Heulen des Fahrtwindes war noch zu hören. Seine Mannschaft saß bereits zusammengekauert neben Thomps’ Geschützstand, um nach der Notwasserung gleich durch die Ausstiegstüren nach draußen zu verschwinden.

„Haltet das Schlauchboot bereit“, sagte Davis.

„Das war jetzt das dritte Mal, Skipper. Wir haben das blöde Ding schon lange in der Hand, und die Flaschen zum aufblasen dazu, “ murmelte Danny unwillig und schob Matt, der auf seinem Fuß saß, ein Stück beiseite. Davis nickte langsam, dann schickte er Gunny zu der Crew nach hinten.
 

Das Flugzeug schaukelte hin und her. Es fühlte sich an wie ein langsames schweben mit dem Floß zuhause auf dem Rain River. Die Nase senkte sich nach unten und die Maschine wurde schwer in meinen Armen. In dem Moment, als sich das Flugzeug nach unten senkte, da versuchte ich Motor vier wieder zu starten, denn wenn der Sprit nach vorne lief, könnte sich noch etwas in der Ansauganlage ansammeln. Es klappte, doch für höchstens zehn Sekunden. Das Flugzeug hob sich noch einmal an, die Nase zeigte ein Stück gen Himmel, wo breite Kondensstreifen verliefen und die Richtung in die Heimat anzeigten. Unsere Kameraden waren wohl schon längt über englischem Boden, während wir auf dem Kanal bleiben würden. Hinten mochte sich durch den wiedererwachten Motor kurz Hoffnung breit gemacht haben, die nun jedoch wieder erlosch.

Ich bat Don, der noch auf seinem Sitz saß, eine Positionsangabe an die Seenotrettung durchzugeben. Er bestätigte sie mir.

Dann machte ich mich bereit notzuwassern und informierte die Crew.

Das Flugzeug war jetzt so langsam, das es beinahe unmöglich schien, dass wir noch in der Luft waren. Es brachen die letzten Sekunden für Liberty Lilly an und ich zog ihre Nase ein Stück nach oben.

Mit einem Klatschen landete das Heck auf dem Wasser und bremste die ganze Maschine so abrupt ab, dass ich vorne auf der Steuersäule aufschlug. Hinten rumpelte es und alles mochte durcheinander fliegen. Doch der Rumpf war noch in der Luft und senkte sich nun majestätisch langsam, wie ein Wal, der sich aufbäumte, aufs Wasser. Es klatschte und wir lagen still. Wellen schlugen gegen die Außenhaut und ließen die Illusion einen Schiffsinneren entstehen.

Mir war schwindelig und ich konnte nichts sehen, weil mir Blut von meiner aufgeschlagenen Stirn in die Augen lief. Hinten wurden Stimmen laut. Meiner Crew ging es also gut. Irgendwer brüllte meinen Namen, und ich antwortete. Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen, um kurz zu verschnaufen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2008-11-27T14:02:42+00:00 27.11.2008 15:02
Oh, shit, Lil is im Eimer!
Ein dramatisch und geil geschriebenes Kap, ich habe bei der Beschweibung der FW-190erwirklich sie auf mich zufliegen sehen. Der letzte Teil in Ich-Form ist ebenso gut gelungen. Esbeestätigt sich wieder: Gut Ding will Weile haben.

mfg,
Wedge


Zurück