Hinatas Prolog
„...nein...!“
„Ach, Hinatalein, jetzt komm doch schon raus.“ Eine Frau mittleren Alters stand etwas verzweifelt vor der Toilettentür im Anwesen der Hyuugas. „Willst du etwas deiner Tante keine Freude machen, wo sie doch schon mal bei dir vorbeischaut?“
Zitterndes Schluchzen.
Hinatas Tante schaute sich ratlos um und seufzte dann.
„Hinata, wenn du nicht gleich rauskommst, benutze ich das Byakugan!“
Stille. Dann, ein schrilles Quietschen der Tür. Mein Gott, dachte Hinatas Tante, Hiyashi sollte seine Toilettentür mal wieder ölen lassen.
Ein junges Mädchen mit dunkelblauen Haaren trat aus der Toilette, die Hände schützend vor das gesicht gehalten. Sie zuckte ab und zu mal zusammen, wenn sie wieder einen Schluchzer losließ, den sie vergeblich unterdrückt hatte. Hinata Hyuuga sah nicht gut aus, ganz und gar nicht.
„Hinata...was ist denn mit dir los?“fragte ihre Tante erschrocken. Hinatas Aussehen hatte den Anschein, als wäre se einer überwältigenden Epidemie zum Opfer gefallen.
Hinata antwortete nicht, sondern wischte nur mit einer Hand die Tränen weg und sah ihre Tante dann an. Ihre großen, blassen Augen sahen im verheulten, geröteten Zustand noch trauriger und knuddelsbedürftiger aus als sonst.
„...tut mir Leid, Tante Haruka...ich...ich...“
Sie schniefte und verbarg ihr Gesicht wieder hinter den Händen.
Haruka schaute ihre Lieblingsnichte etwas hilfslos an, als plötzlich Hanabi – ihre Zweitlieblingsnichte – mit vier Kunais in der Hand um die Ecke gehüpft kam.
„Ach, Hanabi, ein Glück, dass du da bist.“ Schnell beugte sich Haruka dem Mädchen zu und flüsterte: „Kannst du mir bitte erklären, warum deine Schwester sich so verhält?“
Die Tante erwartete einen langen Seufzer, dann eine tragische Geschichte über einen Grippenvirus oder eine gestorbene Katze, eventuell noch ein mitleidiges Kopfschütteln – aber nicht, dass Hanabi den Kopf zurückwarf und laut loslachte. Sie lachte und kicherte und giggelte und konnte sich nicht mehr einfangen.
Schließlich, als sie mit dem Lachen fertig war und das verdutzte Gesicht ihrer Tante sah, sagte sie: „Aber Tante Haruka! Das muss dir doch am meisten klar sein!“
Wie denn bitte schön? Sie war schließlich schon sehr, seeehr viele Jahre über die Pubertät hinauswachsen.
„Hanabi, kannst du vielleicht...sag mir einfach, was passiert ist“, erwiderte Haruka und versuchte nicht allzu verärgert auszusehen. Da stattete sie mal ausnahmsweise ihrem Cousin einen Besuch ab und musste sich mit zwei hormonüberdosierten Nichten herumschlagen.
„Tante Haruka, du kennst doch bestimmt diesen blonden Taugenichts mit dem blöden Grinsen im Gesicht und dem hässlichen, orangefarbenen Overall? Du weißt schon, dieser Junge, der immer im Dorf rumbrüllt, dass er der nächste Hokage wird?“
Der Junge mit Kyuubi in sich? Was hat der denn jetzt in ihrer Geschichte verloren? Haruka nach war das alles ein einziges Rätsel. Vielleicht wollte Hanabi sie ja auch nur auf den Arm nehmen. Was dann allerdings nicht das erste Mal wäre.
„Er ist kein Taugenichts“, kam plötzlich Hinatas ruhige Stimme, gedämpft von ihren immer noch krampfhaft vor den Augen gehaltenen Handen.
„Ich verbitte mir, dass du noch einmal so über ihn sprichst, Hanabi.“
„Hört, hört! Hinata-sama weiß endlich ihre Autorität ihrer kleinen Schwester gegenüber einzusetzen. Da hab ich jetzt aber Angst!“ Hanabi kicherte. Haruka schaffte es gerade noch, nicht die Augen genervt zu verdrehen. War sie selbst etwa auch so schlimm gewesen, als sie in Hanabis Alter war?
Hinata ließ ihre Hände sinken und schaute die Tante ergeben an. „Tante Haruka...es tut mir wirklich Leid...bitte...du musst dir keine...keine Sorgen um mich machen...wirklich nicht...“
„Ach, Hinata, was ist denn so schlimm daran, es ihr zu erzählen?“
„Hanabi...!“
„Hör bitte gut zu, Tante Haruka! Also, Hinata fand diesen komischen hyperaktiven Jungen schon immer sehr toll...“
„...Hanabi...!!“
„...und vor zwei Wochen, da hat sie ihn endlich gefragt, ob er...“
„Nein, Hanabi!“
„...aber er hat gesagt...“
„Bitte, Hanabi, nicht!!“
„...und jetzt ist er mit dieser rosahaarigen Schülerin von Hokage-sama zusammen. Die Welt meiner geliebten großen Schwester liegt seitdem in Trümmern und Scherben. Ende der Geschichte. Ach ja, und seitdem blockiert sie auch jeden Tag die Toilette für ungefähr drei Stunden. Ich frage mich, warum sie nicht dafür in ihr eigenes Zimmer geht?“
„...weil dein Zimmer gleich gegenüber liegt...“
Haruka seufzte. Womit hatte sie das verdient? Liebeskummer – der größte Schmerz, der jemals im Herzen eines Mädchens verursacht werden konnte. Und ausgerechnet ihre kleine Hinata war das Opfer.
„Hinata...ich möchte, dass du mir zuhörst, ja?“
Hinata nickte und Harukas Herz erwärmte sich augenblicklich. Hach, so ein wohlerzogenes und liebenswertes Mädchen. Sie konnte nicht verstehen, warum dieser Junge Hinata nicht wollte.
„Hinata, du musst wissen, dass das Leben so ist wie eine sehr lange Reise, auf der man...“
„Och, Tante Haruka, überspringe doch einfach diesen Teil mit der Philosophie und Lebensweisheit. Sag Hinata einfach, sie soll diesen Typ vergessen und nach vorne blicken!“
„Hanabi...“, begann Haruka erschöpft.
„Schon gut, Tante Haruka, ich bin weg!“
Und das war sie auch, Himmel und Gott sei dank.
Haruka wandte sich wieder den zweitjüngsten Spross des Hyuuga-Clans zu und versuchte, ein Lächeln aufzusetzen.
„Im Grunde hat Hanabi Recht. Das wollte ich dir auch sagen, Hinata. Im Leben muss man nach vorne blicken. Auf den ersten Blick mag er vielleicht wie der perfekte Mann ausgesehen haben, aber in Wirklichkeit gibt es bestimmt noch eine viel, viel bessere Zweitbesetzung! Du musst nur geduldig warten, dann wird das Glück dich schon von alleine aufsuchen!“
Gott, ich klinge wie eine dieser Glücksfeen aus den Fernsehsendungen, dachte Haruka insgeheim bei sich.
Hinata dachte nach.
Das Glück...
Sie hatte so lange nach dem Glück gesucht, war in viele Sackgassen gelaufen, hatte sich oft verirrt und es trotzdem nicht gefunden.
Sollte sie ihn wirklich einfach vergessen und „nach vorne blicken“?
Und das Risiko, nochmal verletzt zu werden, ebenfalls eingehen?
„Hör auf mich, Hinata. Deine Tante spricht aus Erfahrung.“
Und schließlich nickte sie.
Das Glück...es konnte doch nicht so weit entfernt sein.
„Hinata-sama.“
Ein Junge mit langen, schwarzen Haaren war eingetreten. Er verbeugte sich kurz vor Tante Haruka.
„Neji! Du bist auch so viel gewachsen!“ Haruka strahlte geradezu, als sie ihren Lieblingsneffen sah. Dieser jedoch schien nicht sehr viel für sie übrig zu haben, denn er überhörte Harukas Worte gekonnt und wandte sich Hinata zu. „Hinata-sama, wir sollten jetzt losgehen. Die Geburtstagsfeier von Ino Yamanaka fängt gleich an. Wir müssen unterwegs noch Tenten abholen.“
Rotzlöffel! Tut einfach so, als ob ich Luft wäre! Wer war es denn, die ihm seinen ersten Spielzeug-Shuriken geschenkt hat?!
Kleine Kreuze explodierten an Harukas Stirn.
Hinata lächelte traurig. Ja, Neji hatte sein Glück schon gefunden. Das Mädchen fragte sich, wie lange es dauern würde, bis sie ihr eigenes Glück gefunden hatte.
Doch sie wollte es versuchen, selbst wenn ihre Schüchternheit ihr im Weg stehen sollte. Und selbst wenn es ein harter Weg sein wird, sie wollte ihr Glück finden.
Ob es sehr lange dauern würde?