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Go!Go!America!!

von

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Bonus Chapter: The End is The Start

Bonus Chapter: The End is The Start

Ich schloss die Augen und lehnte mich zurück. Die Sonne schien mir warm ins Gesicht und ich spürte, wie all die Anspannung der vergangenen Monate, man kann fast sagen des vergangenen Jahres, von mir abfiel. Ich hatte soeben meine letzte Abiturprüfung geschrieben. Alles, aber auch alles, was ich in meiner gesamten Schulzeit erlebt hatte, schoss mir gleichzeitig durch den Kopf. Es war vorbei. Zwölf Schuljahre, in denen ich gelernt, gemeckert, geheult, gelacht und so einiges mehr getan hatte, waren vorüber.

Was jetzt?

Ich war achtzehn Jahre, eine junge Frau, die ein ganz neues Leben vor sich hatte. Drei Monate hatte ich Zeit, um damit klar zukommen, dass ab jetzt alles anders sein würde.

Doch ich wollte mir jetzt erst mal keine Gedanken darüber machen. Immerhin war gerade jetzt die letzte Prüfung geschrieben worden und die Zeit bis zur Verkündung der Noten war noch sehr weit entfernt. Jetzt würde ich erst mal…

„RIAAAA~!!!!!“ Abrupt öffnete ich die Augen und blinzelte hektisch, da die Sonne so sehr blendete. Chris kam auf mich zu gerannt und schwenkte einen Umschlag in der Hand. Ihr ebenholzfarbenes Haar glänzte in der warmen Sonne und bildete so einen noch stärkeren Kontrast zu ihrer blassen Haut. Erschrocken fuhr ich zusammen und erhob mich von der Bank, auf der ich gesessen hatte.

„Was ist los?“

„Ich hab’ s geschafft! Heute kam endlich die Bestätigung!“

„Ähm… Was für eine Bestätigung? Und was hast du geschafft?“

„Ach, ja, natürlich. Du weißt es ja noch gar nicht.“

Ich sah sie verwundert an. War das wieder eines ihrer Geheimnisse, die sie mir nie erzählte und die mich jedes Mal wie Messerstiche trafen, weil ich immer von anderen Leuten alles erfuhr?

„Was weiß ich nicht?“, fuhr ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und eine Mischung aus Enttäuschung und Wut machte sich in mir breit, weil ich mir vorstellte, wie alle anderen bereits von der Nachricht wussten, die sie mir gleich eröffnen würde.

„Ich habe gewonnen! Es gab einen Zeichenwettbewerb. Karmen hatte ihn in einer Zeitschrift über Architektur entdeckt und dann haben wir uns ausgemacht, dass ich daran teilnehme. Es war ein Wettbewerb zum Thema „Kinderzimmer“ und man sollte seine persönlichen Vorstellungen eines modernen, warmen und niedlichen Kinderzimmers auf Papier bringen. Und da hab ich halt mitgemacht. Ja und heute kam die Bestätigung, dass ich gewonnen habe!“

Ich umarmte sie und meinte freudig: „Herzlichen Glückwunsch!“

Sie löste sich wieder von mir und strahlte noch breiter.

„Warte, warte. Du weißt ja noch nicht alles. Zu gewinnen gab es einen Ausbildungsplatz und zwar in einem hoch angesehenen Architekturbüro in Mailand und dazu noch eine ziemlich gute Summe Preisgeld.“

Meine Augen weiteten sich.

Sie feixte freudig bevor sie weiterplapperte: „Und da ich Karmen gesagt hatte, wenn das klappt, fliegen wir zu viert nach Japan - fliegen wir jetzt nach Japan!“

Ich rutschte ein Stück zusammen und man konnte förmlich das Fragezeichen auf meinem Gesicht erkennen.

„Moment, Moment, Moment. Was soll denn das jetzt heißen? Ich komm nicht mehr mit. Also noch mal: Du hast bei einem Preisausschreiben einen Ausbildungsplatz in Mailand gewonnen und da du dachtest, du würdest da nie angenommen werden, hattest du mit Karmen gewettet, dass wir nach Japan fliegen, wenn du doch gewinnen würdest…?! Da du nun gewonnen hast, was mich wirklich sehr für dich freut, heißt das jetzt automatisch, dass wir nach Japan fliegen…?!“

„Genau!“

Ich prustete laut los.

„Aber gut geht’ s dir noch, oder?“

„Ja, bestens, danke.“

„Hast du dir mal überlegt, wie wir das alles finanzieren sollen? Soweit ich weiß, haben wir nicht im Lotto gewonnen. Oder hab ich da auch wieder was verpasst?“

„Nein, hast du nicht. Das ist ja mal wieder typisch für dich, wirklich! Denkst sofort wieder an die Probleme. Aber in diesem Falle muss ich dich enttäuschen. Es gibt nämlich keine.“

„Das ist toll… beantwortet allerdings nicht meine Frage, wie wir das finanzieren wollen.“

„Ja, ich weiß, ich weiß. Also pass auf: Matze hat ja jetzt einen Praktikum am Flughafen in Leipzig. Und da kann er uns die Tickets für fünfundzwanzig Prozent weniger besorgen. Klar ist es immer noch teuer, aber wenn ich euch allen noch was vom Preisgeld abgebe, dann klappt das schon…“

Matze war Chris’ Freund, den ich sehr mochte. Er war ein lieber Kerl, der seine Ziele genau verfolgte. Mit seiner großen breiten Statur wirkte er neben Chris immer wie deren Beschützer. Matze schaute fast immer ernst, doch die Lachfältchen um seine Augen verrieten, was für ein liebenswürdiger Mensch er war. Die treuherzigen Bambiaugen passten gut zu seinem mittellangen haselnussbraunen Haar und ich konnte nur allzu gut verstehen, was Chris an ihm gefiel. Er war schon fast mit dem Studium fertig – er wollte Pilot werden. Aber selbst wenn er uns die Tickets besorgt hätte, gab es für mich da immer noch ein Problem…

„Und du meinst also, dass wir das einfach so annehmen können, dass du uns was zu der Reise dazu zahlst?! Ich meine, du brauchst das Geld sicher in Mailand. Italien ist nicht gerade billig, das weißt du ja!“

„Hm, ja. Aber ihr habt alle einen Nebenjob, das heißt, dass ihr es mir auch zurückzahlen könnt. Außerdem steht das mit dem Zuschuss noch gar nicht fest. Es gibt nämlich auch noch einen Plan B.“

„Einen Plan B? Und der wäre?“

Bereits in dem Moment, wo ich die Frage stellte, hätte ich mir auf die Lippen beißen können, damit ich die schmerzliche Antwort nicht hören musste.

„Jin bezahlt uns die Reise.“

Und da war er wieder. Der Name. Hätte ich mir eigentlich denken können. Wenn meine Freundinnen an Japan dachten, dachten sie automatisch an Jin und mich. Dabei war es mir doch glücklich gelungen, ihn zu vergessen. So ist das doch immer: Gefühle verändern sich im Laufe der Zeit. Und die Schmetterlinge, die ich damals in L.A im Bauch hatte, waren längst verschwunden. Verwirrt über das Chaos der Gefühle in meiner Magengegend, strich ich mir eine blonde Strähne aus dem Gesicht.

„Was soll das Chris?“, fragte ich nun, mit leicht gereiztem Ton.

Erschrocken hob sie die Brauen. „Was soll was?“, meinte sie.

„Weiß er etwa davon…?“

„Na ja… nein, bis jetzt noch nicht. Karmen meinte nur, wir könnten…“

„Ihr könnt gar nix.“, unterbrach ich sie barsch. „Ich möchte ihn nicht sehen. Und er mich wahrscheinlich auch nicht. Wie oft muss ich das noch erklären? Die Zeit ist längst vorbei! Jin ist 26, ich 18. Ich bin nicht mehr der dumme Teenager von damals, der sich glücklich in die Arme seines Idols schmeißt. Gott, wenn ich nur daran denke, bin ich peinlich berührt…“

„Ria…“, Chris sprach ganz leise und sah mich verängstigt an. „Was… Was redest du denn da? Jin... er würde sich sicher freuen, dich wiederzusehen. Klar, ihr seid älter geworden und habt euch sicherlich auch verändert, aber das heißt doch nicht, dass ihr euch nicht mehr sehen braucht...”

„Ach so? Ja, gut, wenn das so ist, dann erkläre mir doch mal, warum er sich nicht einmal bei mir gemeldet hat, seit er wieder in Japan ist? Chris, es ist vorbei. Wirklich. Lass uns meinetwegen nach Japan fliegen, ich versuche auch die Reise allein zu finanzieren. Aber bitte erzähl Jin nichts davon. Ich will ihn nicht sehen.“

„Ria…“ Sie strich mir sanft über den Arm und nickte dann. „Geht in Ordnung. Vielleicht war es wirklich eine dumme Idee von uns. Lass uns einfach so nach Japan fliegen und dort dann Spaß haben. Wir wollten doch schon immer mal Purikuras machen, nicht? Und Karmen und Sophie können beide halbwegs japanisch, das ist auch eine gute Voraussetzung.“

Damit war das Thema Jin vom Tisch. Ich hätte zu dieser Zeit nicht gedacht, dass der Name mich so aus der Fassung bringt. Ich hatte ihn doch längst aus meinem Herzen verbannt. An seine Stelle waren andere getreten. Dass die Reise nach Japan alles verändern würde, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar…
 

Karmen und Sophie waren beide von der Idee hellauf begeistert. Das wunderte mich nicht. Und auch ich sah nach ein paar Tagen ein, dass es sicherlich eine schöne Reise werden würde. Wir buchten einen Last-Minute Flug von einer neuen Air-Line, die ihre Flüge noch billig verkauften, um sich erst mal einen Namen zu machen. Dadurch konnten wir uns alle mit Hilfe unserer Jobs und Eltern die Reise leisten und so ging es nur wenige Wochen nach dem Gespräch von Chris und mir auf nach Tokio.

Wir wurden in einer Jugendherberge untergebracht, die außerhalb Tokios lag, da unser Geld für ein Hotel nicht mehr gereicht hatte. Doch die Jugendherberge war so gut wie leer, außer uns war noch eine japanische Mädchenklasse untergebracht, die uns Europäer mit neugierigen Augen musterten, als wir ankamen. Karmen und Sophie gingen an die Rezeption und mit ein wenig Japanisch und ein wenig Englisch, gelang es uns schließlich, eine geschlagene halbe Stunde später unsere Zimmer zu beziehen. Es war nur ein kleiner Raum, aber für einen vierzehntägigen Aufenthalt würde es reichen müssen. Er war mit einem Doppelstockbett, einem Schrank und einem kleinen Tisch, der unter dem Fenster stand, ausgestattet. Ein großes Plus hatte die Jugendherberge dennoch, denn jedes Zimmer hatte ein eigenes Bad. Ich teilte mein Zimmer mit Chris, wie damals in L.A. Wir packten aus und es dauerte nicht allzu lange, da überfiel uns erst einmal der Jetlag, worauf wir beschlossen, vor dem Sightseeing erst einmal zu schlafen.
 

Als ich erwachte, hörte ich nichts, als das Rauschen der kleinen Klimaanlage des Zimmers. Ich starrte aus dem Fenster, während ich dem Geräusch noch ein wenig lauschte. Ich hatte einen direkten Blick auf eine Tempelanlage, die gegenüber der Jugendherberge lag. Sie sah von außen genauso aus, wie man sie immer aus den japanischen Filmen kannte. Ich lächelte friedlich. Schließlich beschloss ich, aufzustehen. Chris war nicht mehr im Zimmer. Doch sie hatte mir eine Notiz hinterlassen, auf der sie meinte, dass sie mit Karmen und Sophie schon einmal in die Innenstadt von Tokio gefahren sei und sie mich nicht wecken wollten, da ich so friedlich geschlafen hatte.

„Na toll… Und was soll ich jetzt machen…?“, fragte ich mich selbst und schnippte mit den Fingern leicht gegen die Notiz. Ich beschloss, mich alleine auf den Weg in den Großstadt-Jungle zu machen. An der Rezeption lieh ich mir noch schnell einen Stadtplan aus und ließ mir erklären, welche Verkehrsmittel am besten für den Trip zu nutzen wären. Glücklicherweise sprach die Angestellte sehr gut Englisch, sodass wir keinerlei Verständigungsprobleme miteinander hatten.

Doch trotz der guten Erklärungen, fühlte ich mich, angekommen in Tokio' s Innenstadt, wie ein kleines Häufchen Elend. Auch wenn mich ab und zu ein paar Japaner anstarrten, wahrscheinlich wegen meiner Größe und meiner Haarfarbe, wusste ich, dass es keine gute Idee gewesen war, mich allein auf den Weg zu machen. Trotzdem versuchte ich mir die Umgebung so gut es ging einzuprägen.

Nachdem ich eine gute Stunde gelaufen war, entdeckte ich einen Park und beschloss, mich dort erst einmal auszuruhen. Der Park war unglaublich schön. In der Mitte war ein Teich angelegt worden, mit einem kleinen Holzhäuschen für Enten. Die Wege die herumführten, waren noch einmal ineinander verzweigt, sodass die Anlage größer wirkte als sie eigentlich war. Außerhalb waren riesige Bäume, die Schatten spendeten und darunter hatte man Bänke gestellt. Auf solch einer Bank saß ich nun und dachte darüber nach, was genau mich eigentlich dazu bewegt hatte, nach Japan zu kommen. War es nicht unglaublich dumm gewesen? Wenn ich ehrlich zu mir gewesen wäre, hätte ich doch merken müssen, dass mein Herz immer noch in die eine Richtung schlug und dass ich mit diesem Alleingang in die Innenstadt doch eigentlich nur bezweckt hatte, zu schauen, ob ich ihm auch wirklich nicht begegnen würde. Ich seufzte wütend, dann sprang ich abrupt auf, um mich auf den Rückweg zu machen. „So ein Schwachsinn!“, murmelte ich und stapfte wütend den Weg entlang. Immer wieder schüttelte ich den Kopf, ohne aufzublicken. Natürlich passierte das, was passieren musste: Ich verlor die Orientierung. Ein Blick auf den Stadtplan half mir nicht weiter. Ich beschloss, mit meinen Brocken Japanisch in ein Geschäft zu gehen und irgendjemanden zu fragen, wie ich wieder zur Jugendherberge käme. Also steuerte ich auf den nächstbesten Supermarkt zu und betrat ihn. Um genau zu sein, war es gar kein Supermarkt, sondern eher so ein kleiner Laden, wo man alles Mögliche kaufen konnte: Tassen, Handyanhänger, Kisten, Geschenkkarten, Plüschtiere und auch Kerzen. Ich lächelte, erinnerte mich diese Sorte Laden doch ziemlich an Deutschland. Freudig, über die Assoziation vergaß ich mein eigentliches Problem und schlenderte durch die Verkaufsregale. Plötzlich hörte ich Stimmen, die immer lauter wurden. Es war eindeutig Japanisch und ich verstand rein gar nichts.

Es wurde laut „konnichi wa“ gerufen und man betrat den Laden. Mir gefror das Blut in den Adern. Diese Stimme kannte ich doch, oder? Nein, nein. Jetzt halluzinierte ich völlig. Immerhin war da noch eine Frauenstimme und das konnte unmöglich sein. Schließlich siegte meine Neugier doch und ich wollte mich selbst davon zu überzeugen, dass meine Ohren mich nur täuschen konnten.

Ich lugte vorsichtig hinter einem Regal hervor, dass mir direkten Blick in den Eingangsbereich gewährte. Sofort bereute ich, meinem Drang nachgegangen zu sein, ich war so entsetzt, dass ich am liebsten angefangen hätte, zu weinen, was in dieser Situation so ziemlich das Dümmste gewesen wäre, was ich hätte tun können.

Da stand tatsächlich Jin.

Mit einer unbekannten Frau.

Lachend unterhielten sie sich mit dem Verkäufer, der Jin anscheinend erkannt hatte. Dann plötzlich drehte die Unbekannte ihren Kopf in meine Richtung, worauf ich ruckartig nach hinten stolperte und dabei direkt auf ein Tassenregal zu. In letzter Sekund krallte ich mich noch an einem anderen Regal fest, wodurch leider trotzdem eine Tasse aus dem Regal stürzte und laut scheppernd zu Boden ging.

„Scheiße!“, fluchte ich ungehalten.

„Sumimasen??“, hörte ich die verärgerte Stimme des Verkäufers und Schritte, die immer näher kamen. „Nein, nein, nein!!! Bitte nicht herkommen!!“, betete ich stumm. Doch zu spät: Nicht nur der Verkäufer, sondern auch Jin und die Fremde waren gekommen, um das Missgeschick zu beschauen, was die dumme Europäerin da angerichtet hatte. Ich blickte beschämt zu Boden, wollte ich doch auf keinen Fall, dass Jin mich erkannte. „I’m very sorry, Sir.“ , wiederholte ich immer wieder. Der Verkäufer sagte irgendetwas auf Japanisch, was ich nicht verstand und schließlich war ich gezwungen, aufzublicken, um mit ihm wenigstens per Gestik zu kommunizieren. Beim Aufblicken konnte ich förmlich hören, wie Jin die Luft anhielt. Seine Augen trafen die meinen und blankes Entsetzen stand in den seinen. Ich hätte ihn am liebsten angebrüllt, weil er so dämlich in der Ecke stand, anstatt irgendetwas zu sagen, doch ich tat es nicht. Ich wand nur den Blick von ihm ab und starrte den Verkäufer an. Ich begann mich auf Japanisch zu entschuldigen, bevor ich in sehr langsamen Englisch erklärte, dass ich die Tasse selbstverständlich ersetzen werde. Doch er verzog bloß das Gesicht, griff sich an die Ohren und zuckte mit den Achseln. Genervt setzte ich erneut an, aber plötzlich wurde ich unterbrochen. Jin verhandelte auf einmal auf Japanisch mit dem Verkäufer, der nur dankbar für die Übersetzung lächelte. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Schließlich reichte ich dem Verkäufer das zu zahlende Geld für die Tasse, bevor ich den Laden, ohne ein weiteres Wort, verließ. Ich hatte Jin nicht einmal zu Ende sprechen lassen, war einfach so gegangen. Ziemlich rüde von mir. „Was er jetzt wohl denkt?“ , fragte ich mich immer wieder stumm, während ich die Hände fest in den Taschen meiner Sommerjacke vergrub.

Schnellen Schrittes lief ich ziellos durch die Straßen, nicht wissend, in welche Richtung ich gehen musste, um wieder zur Jugendherberge zu gelangen. Langsam wurde es dunkel. Ich bekam es mit der Angst und dem Heimweh zu tun. Da war ich nun: In einem mir völlig fremden Land, mit einer völlig fremden Kultur, in der sie eine mir unbekannte Sprache sprachen und wo ich mich noch dazu ganz allein aufhielt, nicht wissend, wo ich hin sollte. Die Tränen stiegen mir in die Augen. Weinend hockte ich mich hin und stützte den Kopf auf die Knie. Das Herz pochte wie wild in meiner Brust, die Gedanken wirbelten wirr in meinem Kopf umher. Ich wusste, dass ich mir insgeheim wünschte, dass Jin jetzt kommen würde, um mir zu sagen, alles sei in Ordnung, er würde mich jetzt zur Jugendherberge bringen. Doch ich wusste auch, wie ich ihn mit meinem Verhalten in dem kleinen Laden, vor den Kopf gestoßen hatte. Immerhin hatte er versucht, mir zu helfen. Was, wenn der Grund für den Kontaktabbruch seinerseits, eigentlich nicht sein eigenes Wollen gewesen ist? War vielleicht ich diejenige, die hier die Schuld trug?

„Schluss damit, ich werde jetzt aufstehen, mir die Tränen abwischen und Karmen anrufen!“

Mit diesen Worten erhob ich mich wieder und kramte in meiner Tasche, nach meinem Handy. Leider schien das Glück an diesem Tag wirklich nicht auf meiner Seite zu sein, denn mein Akku war leer.

„Ach, verdammter Mist.“, schrie ich wütend und erneut rollten die Tränen über meine Wangen. „Gott, warum hilft mir denn keiner?!“ Ich schlug mit der Faust gegen die kalte Steinmauer, an der ich gerade entlang lief.

Wie auf Kommando hörte ich plötzlich eine Stimme aus der Ferne. Ich verstand sie nicht. Ein kalter Schauer jagte mir über den Rücken. Was würde passieren, wenn jetzt irgendeine Gang hier auftauchte? Die furchtbarsten Szenen spielten sich in meinem Kopf ab und mein Puls wurde noch schneller. Ich beschloss zu rennen. Doch die Stimme kam trotzdem näher und schließlich verstand ich, dass sie meinen Namen rief. Abrupt blieb ich stehen und spürte nur noch einen stechenden Schmerz im Körper, als die Person, die meinen Namen rief, mich überrannte.

„Autsch…“, meinte ich nur noch hilflos, als ich am Boden lag, der fremde Körper auf mir. „Hey, du kannst aufstehen!“, sagte ich leicht gereizt, da der Unbekannte noch immer keine Anstalten machte, aufzustehen. Da erhob er plötzlich seinen Kopf und starrte mich an. Mir blieb das Herz fast stehen. Der Unbekannte war doch nicht so unbekannt, wie anfangs gedacht. „Jin…“, hauchte ich entsetzt und seine Augen funkelten mich durch die Dunkelheit an. Er lag noch immer auf mir, sein Gesicht nur einige Zentimeter von meinem entfernt und er unternahm noch immer nicht den leisesten Versuch, sich zu erheben. „Ria… Was zum Teufel machst du hier?“ , sagte er nur.

„Tja, das würde ich auch gern wissen. Ich liege hier mitten auf einem Weg und du über mir. Ich hab unglaubliche Angst, mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich will eigentlich nur wieder weg hier…“

„Das meine ich nicht… Was machst du hier in Japan?!“ Jin klang vorwurfsvoll und gleichzeitig auch schockiert. Sein Tonfall verletzte mich und bestätigte mir nur, dass er sich absichtlich nicht bei mir gemeldet hatte.

„Ich… Ich bin nicht wegen dir hier, falls du das denkst.“

„Doch, ehrlich gesagt, denke ich das.“

„Aha. Na ja, dann weißt du ja nun, dass es nicht so ist!“

Dieser letzte Satz war wirklich das Letzte, was ich von ihm hören wollte. Ich unternahm einen kläglichen Versuch, ihn von mir zu stoßen, brach dann ab, weil mein ganzer Körper vor Enttäuschung zitterte. Verletzt drehte ich meinen Kopf von ihm weg, wollte ich nicht, dass er mich beim Weinen sah. „Könntest du… Könntest du bitte von mir runtergehen…?“, flüsterte ich mit tränenerstickter Stimme.

Es tat sich nichts.

Verzweifelt drehte ich meinen Kopf wieder so, dass er mich sehen konnte und ich erschrak über die Heftigkeit, mit denen seine Augen sich auf mich geheftet hatten. „Was tust du da?“ , murmelte ich weiter. Wieder erwiderte er nichts. Langsam wurde ich unruhig. Noch einmal unternahm ich den Versuch ihn wegzustoßen. Doch so sehr ich mich auch gegen ihn drückte, er bewegte sich kein Stück, sondern sah mich bloß an. „Steh endlich auf, verdammt!“ , schrie ich ihn an. „Was soll denn der…“ Und dann spürte ich nur etwas Warmes auf meinem Mund, was meinen Redefluss unterbrach. Das war zu viel. Mit einem letzten Ruck stieß ich meine Arme in seinen Bauch, worauf er nach hinten fiel. Ohne ein weiteres Wort stand ich auf, klopfte mir den Staub von der Jeans und stapfte davon.

Noch immer hatte er nichts gesagt, weder war er aufgestanden, um mich aufzuhalten. Jin lag einfach auf dem Rücken auf dieser Wiese und ließ mich gehen. Mir rauchte der Kopf. Das alles gerade – das war einfach zu viel. Ich atmete tief ein und dann rannte ich den Weg entlang, der wieder zu dem kleinen Laden führte. Ich ging erneut hinein und als der Besitzer mich sah, weiteten sich seine Augen. Ich ließ ihn erst gar nicht zu Wort kommen, sondern meinte nur „Taxi, onegaishimasu.“, worauf er nickte und mir ein Taxi bestellte, welches wenige Minuten vor dem Laden hielt.

Erleichtert stieg ich ein, nannte dem Fahrer den Namen der Jugendherberge und eine halbe Stunde später war ich endlich wieder dort angekommen, wo ich eigentlich schon seit drei Stunden hin wollte. Und wem hatte ich das wieder einmal zu verdanken? Jin! Denn hätte er mich nicht so verärgert, wäre ich wahrscheinlich nie zur Besinnung gekommen und würde noch immer diesen Weg entlang laufen.
 

Ich sah Jin die gesamte Woche nicht noch einmal. Ständig wiederholten sich die Szenen in meinem Kopf, die sich an meinem ersten Abend abgespielt hatten und ich fragte mich immer und immer wieder, was ich anders hätte machen können, damit er mit mir geredet hätte.

Den anderen hatte ich nicht erzählt, nachdem ich jenen Abend völlig übermüdet in der Herberge ankam. In ihren Gesichtern stand die Sorge um mich geschrieben und ich entschuldigte mich mehrfach für mein unüberlegtes Handeln, bevor ich mich zurückzog und mich in den Schlaf weinte.

Dennoch gelang es mir, Jin während unserer Ausflüge nach Tokio, Kioto und Osaka aus meinem Kopf zu verbannen und die Zeit in Japan zu genießen. Es fiel mir leicht zu lachen, mich zu freuen und schöne Erinnerungen zu sammeln.

Bis zu jenem Tag, als wir vom Shopping aus Tokio zurückkamen und uns ein nicht unbekannter Japaner vor der Jugendherberge bereits erwartete. Als wir ihn sahen, blieben wir abrupt stehen, nicht wissend, was genau wir tun sollten. Er kam auf uns zugelaufen. „Hallo.“ , meinte er schüchtern.

„Tanaka-kun?“ , fragte Karmen. Er nickte, glücklich über die Tatsache, dass wir ihn nicht vergessen hatten. „Was machst du hier?“, fragte sie weiter und sein Lächeln verschwand. Kôki räusperte sich, bevor er mir in die Augen sah und zu sprechen begann: „Ria-chan… Erinnerst du dich an unsere Wette?“

Mir stockte der Atem und ich schluckte schwer. Natürlich erinnerte ich mich. Es gab überhaupt nur wenige Dinge, die ich von diesem Tag, damals in LA, vergessen hatte. Kôki hatte gewettet, dass Kame sich nicht überwinden würde Jin anzusprechen. Ich hatte dagegen gehalten… und gewonnen. Der Gewinn der Wette war es, dass Kôki mir einen Gefallen schuldete. Was das alles jetzt damit zu tun hatte, konnte ich mir nicht erklären. Nach langem Zögern erwiderte ich schließlich: „Natürlich. Aber… Was genau…?“

„Nun ja… Eigentlich war der Wettgewinn, dass ich dir etwas schuldig bin, richtig?“

„Richtig.“

„Ich denke, dass ich, indem ich dir das hier gebe, meinen Wetteinsatz eingelöst habe.“ Er hielt mir ein Couvert entgegen, was ich unsicher entgegen nahm. Die Blicke der anderen hefteten ebenfalls auf dem Umschlag und man konnte förmlich spüren, mit welcher Neugier sie darauf brannten, dass ich ihn endlich öffnete. Vorsichtig öffnete ich den Umschlag und zog den Inhalt heraus. Es waren vier Konzertkarten. Sofort blickte ich wieder auf und starrte Kôki an.

„Was genau…?“

Er grinste spitzbübig und fuhr sich mit der Hand über das kurzgeschorene Haar. Jetzt wo ich ihn betrachtete, fiel mir auf, wie wenig er sich in den letzten Jahren verändert hatte. Er hatte noch immer diese leicht traurig wirkenden Augen und die kleinen Lachfältchen um den Mund, die zusammen mit den Augen paradox wirkten.

„Ich kann es dir nicht erklären. Ich bitte dich nur… nein, natürlich euch alle, zu kommen. Ihr werdet abgeholt und werdet auch sonst keinerlei Umwege haben. Nur Zeit müsst ihr opfern…“

Die anderen ließen einen leisen Laut der Vorfreude vernehmen, worauf Kôki seinen Blick von mir abwandte und die anderen fröhlich anlächelte. Ich starrte wieder auf die Konzertkarten. Sie sahen sehr edel aus. Ein schwarz silbernes Design mit dem Tourlogo darauf, darunter standen die Namen von KAT-TUN. Rechts daneben konnte man den jeweiligen Platz lesen. Nach einem langen Zögern, fragte ich: „Schickt er dich?“ Abrupt hörte das Gespräch der anderen auf und sie blickten mich verwirrt an. Nur Kôki wusste, wovon ich überhaupt redete. Kleinlaut meinte er: „Nein. Aber…“

„Warum dann?“ , fuhr ich ihm dazwischen. Meine Stimme war ruhig, dennoch schlug mir das Herz bis zum Hals.

„Ria…“ Chris kam zu mir und legte beschützend den Arm um mich.

Kôki stand da wie vom Donner gerührt, er wusste nicht, was er sagen sollte. Seine Augen schweiften hilfesuchend zu Karmen und Sophie, die nur mit den Schultern zuckten.

„Du wirst es sehen… Du wirst es verstehen… Bitte glaub mir.“ Seine Stimme klang schon fast verzweifelt, als er das sagte. Der kleine Japaner blieb noch kurz stehen, bevor er sich verabschiedete und davon ging.

Ich hingegen stand verwirrt mit den Konzertkarten in der Hand da und ein Gedanke jagte den anderen. Es war wieder eine wunderbare Achterbahnfahrt in meinem Kopf und mir wurde leicht schwindelig. Keiner meiner Freunde sagte etwas, doch ich konnte spüren, dass sie eine Erklärung erwarteten. „Nun gut…“, sagte ich schließlich nach einer langen Pause. „Ich würde sagen, ich erzähle euch erst einmal, was an meinem ersten Abend alles geschehen ist, bevor wir entscheiden, ob wir gehen oder nicht.“
 

Es war ein sehr langes Gespräch gewesen, in dem ich meinen Freunden ausführlichst über die Vorkommnisse des ersten Tages berichtete. Ihre Meinungen über meine Reaktion waren unterschiedlich. Chris meinte, dass ich richtig gehandelt hatte, während Karmen sich total bockig stellte.

„Warum hast du denn nicht einfach gewartet?“, fragte sie, wobei sie die Arme vor der Brust verschränkte und sich auf ihrem Stuhl zurück lehnte. Wir saßen in einem kleinen Café und hatten uns Cappuccino bestellt, der wahrscheinlich der schlechteste war, den wir je getrunken hatten.

„Wie lange denn noch, Karmen? Hätte ich ihn schweigend anstarren sollen…? Hätte ich den Kuss einfach so geschehen lassen sollen…?“

„Na ja… warum denn nicht? Ich mein… Du kannst mir nicht erzählen, dir hätte es nicht gefallen!“ Ich errötete bei ihren Worten. Hastig nahm ich die Tasse Kaffee in die Hand und spülte einen großen Schluck herunter, worauf ich angewidert das Gesicht verzog.

„Du tickst doch nicht mehr richtig, Karmen. Ria kann sich doch nicht einfach von ihm küssen lassen, nach dem er sich so lange nicht bei ihr gemeldet hat. Irgendwo muss man auch mal seine Prinzipien setzen.“, stand Chris mir bei. Daraufhin gab Karmen nur ein Grummeln von sich. Sophie seufzte und kehrte schließlich zum Thema zurück: „Wie auch immer. Wollen wir nun zum Konzert oder nicht?“

„Klar gehen wir!“, antwortete Karmen sofort.

„Karmen!“, zischte Chris.

„Was denn? Ich mein, wenn Ria Antworten will, dann bekommt sie die garantiert nicht hier, in diesem scheußlichen Café. Wie heißt es so schön: Von nichts kommt nichts.“

Daraufhin sagte niemand mehr etwas. Wir dachten alle über ihre Worte nach. Kleinlaut stimmten Chris und Sophie schließlich zu. Nur ich ließ auf meine Antwort warten und alle starrten mich erwartungsvoll an. Leise murmelte ich dann: „Theoretisch bin ich doch schon überstimmt, oder…?“

Die anderen lächelten glücklich und nahmen mich in den Arm. Karmen rief triumphierend: „Hah! Ich wusste doch, dass dir der Kuss gefallen hat…“
 

Der Konzerttag war am vorletzten Tag unserer Reise. Wir würden nach dem Konzert nur noch wenig Zeit haben, um uns auf die Heimreise vorzubereiten. Ein krönender Abschluss – so nannten die anderen drei es. Ich hingegen wurde von Tag zu Tag nervöser und ab und zu spielte ich auch mit dem Gedanken, Jin einfach zu versetzen. Andererseits wusste ich, dass ich damit alles nur noch viel schlimmer machen würde und sich meine Fragen gegenüber ihm und mir niemals klären würden.

Der Shuttlebus holte uns anderthalb Stunden vor dem Konzert ab. Während wir in den geräumigen Bus stiegen wurden am Tokyo Dome wahrscheinlich gerade die Pforten zur Konzerthalle geöffnet und schreiende Fans würden hineinstürmen. Im Bus jedoch war es so ruhig, dass man nichts als die Motorengeräusche hören konnte. Sophie und Karmen unterhielten sich mit ihren wenigen Japanischkünsten mit dem Busfahrer und erklärten uns, dass wir direkt zum Hintereingang gebracht werden würden, wo uns dann jemand zu unseren Sonderplätzen, die normalerweise für Eltern und Freunde reserviert waren, lotsen würde. Ich fummelte die ganze Zeit an meiner Jacke herum und mein Atem ging stoßweise. Ich hatte Angst. Was wäre, wenn alles ganz anders verlaufen würde, als ich mir das vorgestellt hatte? Unzählige Fragen wie diese schwirrten in meinem Kopf herum, eine wurde von der anderen verdrängt.

Und dann das: Wir standen im Stau. Das Herz rutschte mir förmlich bis in die Knie, als ich die lange Schlange plötzlich vor uns sah.

„Oh, nein!“, sagte Karmen enttäuscht. „Das dauert doch mindestens eine Stunde. In dem Tempo werden wir es nie rechtzeitig zum Konzert schaffen.“

„Was sollen wir denn jetzt machen?“, fragte Chris hilflos.

„Was schon? Warten.“ Sophie musterte mich, wie ich dasaß, ohne auch nur die geringste Äußerung von mir zu geben. Ich saß einfach nur da. Mein Kopf war leer. Jetzt war alles zu spät. Jin würde denken, dass ich ihn nicht sehen wollte und ich konnte förmlich seine traurigen braunen Augen vor mir sehen. Halt, Moment! Woher wollte ich wissen, dass er mich sehen wollte? Ich atmete tief durch, bevor ich die Augen schloss und wartete, dass die Autoschlange sich Kilometer für Kilometer voran bewegte.
 

Als wir endlich die Konzerthalle erreichten war das Konzert schon in vollem Gange. Der Staff-Mann, der uns eigentlich zu den Plätzen führen sollte, sah uns ärgerlich an. Mit bröckelndem Englisch gab er uns zu verstehen, dass wir jetzt nicht mehr hineingehen könnten.

„Toll und was sollen wir Ihrer Meinung jetzt machen? Nach Hause fliegen und die Jungs hier versetzen oder was?“ Völlig verdattert starrte der Mann Karmen an, die sich mit funkelnden Augen vor ihm aufgebaut hatte und ihn mit extra schnellem Englisch nieder redete. Schließlich erklärte er sich bereit, dass wir uns den Rest des Konzertes anschauen könnten, allerdings müssten wir dafür in den Bühnengraben gehen. Wir nickten dankbar – uns war es mittlerweile völlig egal, von wo aus wir das Ende des Konzertes sehen konnten. Das Einzige, was wir wollten, war das wir es überhaupt sehen können. In einer kleinen Tanzpause wurden wir also schließlich in die Halle eingeschleust, wobei wir am äußersten Rand des Bühnengrabens stehen blieben. Von hier aus hatte man noch einen relativ guten Blick auf die weitläufige Bühne, auch wenn man von der gewaltigen Größe fast erschlagen wurde. Man hörte schreiende Fans unter dem unglaublich schönen Gesang der sechs Jungs, die gerade einen ihrer neusten Songs präsentierten. Die Masse war ein rhythmischer Haufen und alle ließen sich von der Musik berauschen. Wir standen etwas hilflos und steif da, da wir nicht wussten wie uns geschah. Mit offenen Mündern verfolgten wir jede Bewegung der Musiker, welche keinerlei Notiz von uns nahmen. Es folgten weitere Songs, weitere Outfitwechsel und mit jeder Sekunde die verstrich, fühlten wir vier und wohler und hofften, dass dieser Augenblick ewig so weiter gehen würde. Ich vergaß meine ganzen Sorgen über Jin, während ich ihn musterte, wir er da performte, wie ihm der Schweiß über die Stirn rann, wie er konzentriert sang, während er sich lässig die Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Er hatte sich verändert, das bemerkte man sofort, doch was sich verändert hatte, konnte man auf den ersten Blick nicht genau sagen. Er wirkte reifer, routinierter und auch sein Gesicht wirkte kantiger als ich es in Erinnerung hatte.

Die sechs Jungs standen gerade kreuz und quer in der riesigen Konzerthalle verteilt. Meine Augen schweiften von einem zum anderen. Erst Kame, der lachen die Arme hob und die Stimmung des Publikums vor ihm noch mehr aufheizen wollte, dann Kôki, der sich wie immer cool gab, dann Nakamaru, wie er leicht träumerisch durch die Halle irrte und den Fans winkte, schließlich Taguchi, der breit grinste, während er auf und absprang und dabei nicht außer Atem kam, gefolgt von Ueda, der ebenfalls breit grinste und mit einem der Tänzer Autogrammbälle ins Publikum warf. Aber da fehlte noch einer… Jin… Wo war er? Gerade hatte ich ihn doch noch gesehen. Verwirrt blickte ich mich in der Halle umher, doch keinen Zweifel, es waren nur noch fünf Lichtkegel. Keiner außer mir schien es zu bemerken, kein Wunder, immerhin standen die anderen fünf so günstig bei dem Publikum, dass sich jeder auf diese konzentrierte. Schließlich wurde es für einen kurzen Moment dunkel, da das Lied vorbei war. Erneutes Klatschen und Schreien der euphorischen Menge.

Da leuchtete auch schon wieder ein schwacher Lichtkegel direkt neben uns auf und Jin betrat die Hauptbühne. Er hatte sich umgezogen. Er trug eine schwarze Jeans und ein weißes Shirt. Unzählige Ketten schmückten seinen Hals. Jin hatte sich das Haar lässig im Nacken verknotet. Er begrüßte die Fans noch einmal. Als das Geschrei noch einmal zunahm, lachte er glücklich. „Ok, Leute. Heute Abend ist ein ganz besonderer Abend. Wisst ihr warum?“ Er sprach auf Englisch. Im Hintergrund lief die japanische Übersetzung mit. Die Fans kreischten als Antwort noch einmal laut auf, bevor Jin fortfuhr: „Heute Abend werde ich zum ersten Mal ein neues Lied vorstellen. Ich habe es selbst geschrieben.“ Begeisterungsrufe. „Nein, halt, das ist nicht ganz richtig. Eigentlich hat es eine sehr gute Freundin von mir geschrieben. Ich habe es lediglich übersetzt und vertont. Ich habe sie damals in L.A kennen gelernt, erinnert ihr euch?“ Als Antwort gab es ein einvernehmliches „Hai“, dann waren alle wieder ruhig und lauschten Jin’ s Ansprache. Mir stockte der Atem. Unsicher suchte ich die Hand von Chris, die ich fest zudrückte, als ich sie gefunden hatte. Die anderen schauten mich unsicher an. Ich schüttelte nur den Kopf, ein Zeichen, welches ihnen zu verstehen gab, dass ich es jetzt nicht erklären könnte. Akanishi fuhr unbeirrt fort: „Wir hatten eine wirklich tolle Zeit dort und sie hat mich sehr unterstützt. Mit diesem Song möchte ich ihr all das wiedergeben, was sie für mich getan hat. Bitte unterstützt mich dabei.“ Die Menge tobte, noch bevor das Lied begonnen hatte. Mein Herz klopfte immer schneller und ich befürchtete, dass es explodieren müsste, wenn ich mich nicht endlich beruhigen könnte. „Hier ist für euch “kyoufu“!“ Jin ging an den Rand der Bühne und ließ sich seine Gitarre reichen. Dann stellte er sich vor das Mikrofon und begann kräftig zu singen:

kimi ni wa kowai mono tte arunokana?

(Gibt es etwas, wovor du Angst hast?)

boku ni wa aruyo

(Für mich schon)

nanika wo ushinau koto wo

(Dass ich etwas verliere)

motomoto nakatta mono wo ushinau koto wo

(Dass ich etwas verliere, dass es nie gegeben hat)

moshikashitara nidoto mitsukeru koto ga dekinai wo

(Und das ich das Verlorene)

soshite, sono ushinau mono wo

(Vielleicht nie wieder finde)

boku wa osorete irunda

(Davor habe ich Angst)
 

kimi ni wa kowai mono tte arunokana

(Gibt es etwas, wovor du Angst hast?)

boku ni wa aruyo

(Für mich schon)

kimi ga mou modotte konai koto wo

(Dass du nicht mehr zurückkommst)

kimi ga konomama kaette konai koto wo

(Dass du für immer wegbleibst)

boku ni wa mou nidoto hohoende kurenai koto wo

(Dass du für immer wegbleibst)

boku wa osorete irunda

(Dass du mich nie wieder anlächelst)

boku wa osorete irunda

(Davor habe ich Angst)

nee, kimi no egao wo mou nidoto miru koto ga dekinaku naru toki

(Was soll ich bloß machen)

boku wa doushitara iinokana?

(Wenn ich dein Lachen nie wieder sehe?)
 

kowainda

(Ich habe Angst)

naze darou?

(Warum nur?)

korette daremo shiranai mono?

(Ist es etwas, das niemand kennt?)

korette daremo kanjinai mono?

(Ist es etwas, das niemand fühlt?)

chigau

(Nein)

tada no kyoufukan nanda

(Es ist bloß Angst)
 

kimi ni wa kowai mono tte arunokana

(Gibt es etwas, wovor du Angst hast?)

boku ni wa aruyo

(Für mich schon)

kimi wa konnanimo chikaku ni irunoni

(Obwohl du so nah bist)

tooku kanjirunda

(Scheinst du mir doch so fern zu sein)

nee, ima, doko ni iruno?

(wo bist du gerade?)
 

kowainda

(Ich habe Angst)

naze darou?

(Warum nur?)

korette daremo shiranai mono?

(Ist es etwas, das niemand kennt?)

korette daremo kanjinai mono?

(Ist es etwas, das niemand fühlt?)

chigau

(Nein)

tada no kyoufukan nanda

(Es ist bloß Angst)
 

kimi ni wa kowai mono tte arunokana

(Gibt es etwas, wovor du Angst hast?)

boku ni wa aruyo

(Für mich schon)

hitori de iru koto wo

(Dass ich allein bin)

kimi ga ubatte kureta kurayami no naka he modoru koto wo

(Davor, in die Dunkelheit, die du mir genommen hast, zurückzukehren)

boku wa osorete irunda

(Davor habe ich Angst)
 

Mir rannen die Tränen die Wangen herunter, während ich auf die englische Übersetzung auf der Leinwand starrte und Jin’s Stimme in meinen Ohren widerhallte. Chris hielt meine Hand während sie gebannt auf die Bühne schaute, genau wie die anderen beiden. Sie lächelten zufrieden und ließen sich von Jin’ s Ballade berieseln. Das Lied, welches er sang, war die japanische Version des Textes, den ich ihm damals, an jenem Abend in L.A gegeben hatte. Es war der Text, den er nur lesen sollte, wenn er einsam wäre. Er hatte ihn tatsächlich übersetzt und nicht nur das, er hatte sogar ein Lied daraus gemacht. Ich schluchzte wie verrückt, während meine tränenverschleierten Augen sein Gesicht absuchten. Akanishi Jin lächelte glücklich und spielte mit einer Leidenschaft Gitarre, die ich wahrscheinlich nie vergessen werde. Als die letzten Akkorde verstummten, blieb es einige Sekunden totenstill in der Halle, bevor ein ohrenbetäubender Beifall zu hören war. Die Fans schrien sich die Lunge aus dem Leib, Jin grinste zufrieden und bedankte sich.
 

Mit dem Ende des Konzertes eine gute halbe Stunde später, endeten auch die Tränen, die stromweise über mein Gesicht geflossen waren.

Während sich die Halle immer weiter leerte, blieben wir stehen, nicht wissend, wie genau es jetzt weitergehen sollte. Da tauchte plötzlich der Staff-Mann wieder auf und winkte uns heraus. Er sah erschöpft aus, dennoch wirkte er erleichtert. Wahrscheinlich war er einfach froh, dass das Konzert vorüber war und es keine Zwischenfälle gab. Der mittelgroße Japaner erklärte uns mit gebrochenem Englisch, dass wir nicht hinter die Bühne dürften, da unser Besuch nicht angemeldet gewesen sei und nur er und ein paar andere davon wüssten. Allerdings könnten wir gerne im Eingangsbereich warten. Wir bedankten uns für seine Hilfe, dann gingen wir in die völlig überfüllte Eingangshalle. Die Fans strömten zu den Ausgängen und nach und nach wurde es immer stiller und immer leerer.

„Mein Gott, ist ja fast unheimlich, wie ruhig es auf einmal ist.“ Karmen blickte sich in der nunmehr leeren Raum um. Wir waren bis auf das Personal allein. Keiner nahm uns wahr, wie wir unsicher in der Halle herumstanden, nicht wissend, ob wir gehen sollten. Anderthalb Stunden warteten wir nun schon hier und nichts tat sich. Sophie und Chris hatten sich auf eine der kleinen schwarzen Couchs gesetzt, die ordentlich an den Wänden standen. Karmen und ich liefen noch immer orientierungslos umher, betrachteten die Wände, mit den riesigen Postern der vielen Stars, die hier auftreten würden oder schon aufgetreten sind, studierten das konzentrierte Personal, welches teilnahmslos seiner Beschäftigung nachging.

Nach zwei Stunden setzte auch Karmen sich zu den anderen und die drei starrten mich an.

„Denkst du nicht, dass wir jetzt gehen sollten?“, fragte Sophie leise. Sie war normalerweise sehr ungeduldig und ich rechnete es ihr hoch an, dass sie nicht schon eher gefragt hatte.

„Der Staff -Typ hat doch aber gesagt, dass wir hier warten sollen, oder nicht?“, warf Karmen ein.

„Vielleicht haben wir das nur falsch verstanden. Immerhin hat der so schlecht Englisch gesprochen, dass es nicht weiter verwunderlich wäre, wenn wir uns geirrt haben…“, stellte Chris nüchtern fest.

„Aber wir haben das doch alle vier verstanden.“, versuchte Karmen es erneut.

„Schon. Dann hat er sich vielleicht falsch ausgedrückt.“

„Hm…“

Damit wurde ich wieder betrachtet. Alle warteten darauf, dass ich meine Zustimmung gab. Ich schaute von einer zur anderen. Sie hatten so viel für mich getan. In diesem Augenblick hätte ich sie am liebsten alle umarmt und ihnen gesagt, wie sehr ich sie lieb hatte. Fast im gleichen Gedankengang tauchte wieder Jin’ s Lächeln vor mir auf, wie er kyoufu, zu Deutsch Angst gesungen hatte. Es wäre zwecklos gewesen, mir einzureden, dass ich ihn nicht sehen wollte und überraschenderweise tat ich es auch nicht. Dennoch war ich, genau wie vor vier Jahren schon, ein Mensch, der mehr nach dem Verstand als nach dem Herzen ging. Und so sagte ich nach langem Zögern: „Lasst uns gehen. Wir haben lang genug gewartet. Am Ende verpassen wir noch unseren Flug.“

Die drei nickten mitleidig, zugleich auch dankbar, dass ich vernünftig genug war, einzusehen, dass das Warten keinen Zweck hatte.

Wir liefen langsam aus dem riesigen Gebäude, eine Spur zu langsam. Innerlich hofften wir alle vier, dass es jetzt wie im Film wäre und doch noch jemand kommen würde. Doch mit jedem Schritt sank unsere Hoffnung und so verließen wir den Tokyo Dome dann doch mit normaler Geh-Geschwindigkeit. Draußen erwartete uns ein lauwarmer Sommerabend und wir blieben erst einmal stehen, um die Szene auf uns wirken zu lassen.

„Ich könnt jetzt erst einmal eine rauchen…“, zerstörte Sophie die Situation, indem sie in ihrer Handtasche nach einer Zigarette wühlte. Ich seufzte, bevor ich ein Feuerzeug aus meiner Hosentasche holte und ihr Feuer gab. Immer verlegte sie ihr Feuer und deswegen hatte ich es mir angewöhnt, welches bei mir zu haben. Sie lächelte dankbar, bevor sie einen tiefen Zug inhalierte und den Rauch erst einmal im Rachen behielt, bevor sie ihn genüsslich durch die Nase ausatmete. Wir anderen drei standen daneben und sahen ihr zu. Jede hing ihren eigenen Gedanken nach.

„Ich geh noch mal eine Runde. Bei dem langen Flug kann Bewegung vorher ja nicht schaden.“, meinte ich, nach dem auch Chris sich eine Zigarette ansteckte und ich sehen konnte, dass sich das Ganze jetzt noch etwas ziehen konnte. Sie nickten und lächelten mitleidig. Ich war ihnen dankbar, dass sie nicht auf die Idee kamen, mit mir zu gehen, denn ich wollte allein sein.

Schnellen Schrittes überquerte ich den Zebrastreifen und lief ziellos umher. Mein Kopf war leer. Allgemein verspürte ich eine große Leere in mir. Die Leere der Enttäuschung. , dachte ich bei mir. Nach einer Weile erreichte ich die Rückseite des Tokyo Domes. Ein gigantischer Zaun von etwa 5 Meter Höher erstreckte sich rundherum, damit niemand sich von hinten hineinschleichen konnte. Seufzend blieb ich stehen und legte den Kopf gegen das Drahtgitter. „Warum muss nur immer mir so was passieren…“, sagte ich leise vor mich hin. Ich sackte in die Hocke und starrte auf meine Schuhspitzen. Da waren Stimmen und Schritte von der anderen Seite des Zauns und mein Herz begann erneut zu pochen. Schau nicht hoch, wisperte meine innere Stimme, du wirst nur wieder enttäuscht. Und so hörte ich wieder mal auf meinen Verstand anstatt meinem pochenden Herzen zu folgen. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich darauf, meinen Puls zu regulieren. Als ich sie wieder öffnete, waren auf einmal zwei fremde Füße auf der anderen Seite des Zauns. Wieder dieses Pochen in meinem Herzen. Langsam hob ich den Kopf und da stand er, mindestens genauso schockiert wie ich. Jin.

Ruckartig schob er die Sonnenbrille ins Haar und seine Augen weiteten sich noch ein Stück, als er erkannte, dass ich es wirklich war. Ein leichter Wind kam auf und der Geruch seines Parfums stieg mir in die Nase.

„Was tust du hier?“ , flüsterte er.

Ich zwang meine Beine, die so weich wie Pudding waren, sich wieder zu erheben. Zitternd stand ich nun in voller Größe vor ihm und seine Augen verfolgten jede meiner Bewegungen. Ich hielt mich an dem Gitter fest, weil ich befürchtete, jeden Moment zusammenzubrechen. Poch poch. Mein Herzschlag wurde immer lauter.

„Ich…“, krächzte ich, „Ich… Ich war bei eurem Konzert. Kôki hatte uns eingeladen.“

Dass er mehr als überrascht war, konnte man deutlich sehen.

„Hast du… hast du es gehört?“

Ich nickte stumm, bevor mir erneut Tränen in die Augen stiegen, die ich nicht wie geplant zurückhalten konnte. Störrisch wischte ich sie weg.

Langsam hob er seine Hände auch zum Zaun und umschloss meine Finger.

„Ich habe dich so vermisst, Ria.“ , sagte er leise. Erstaunt sah ich ihn an.

„Aber… aber… warum hast du mir denn dann all die Jahre nicht geschrieben?“ , fragte ich stumm, wagte ich es nicht, die Frage tatsächlich auszusprechen. Uns so standen wir uns dort gegenüber, händchenhaltend durch einen Zaun hindurch. Ich betrachtete ihn, er mich. Wir wollten jede kleinste Veränderung, die der andere in den vier Jahren äußerlich gemacht hatte, wahrnehmen.

„Du… du bist erwachsen geworden… Wie alt bist du jetzt?“ , fragte er mit trockenem Hals, wobei er mehrmals mit den Augen zwinkerte, ein Zeichen für seine Unsicherheit.

„Achtzehn. Ich habe gerade die Schule abgeschlossen. In zwei Wochen fange ich mein Studium an.“

„Was willst du studieren?“

„Businessmanagement.“

Er nickte nur.

Starr blickte ich ihn an.

„Ria, ich…es.. Ria, ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll.“ , sagte er nun endlich.

Ich lächelte müde. Waren wir nicht schon einmal an genau diesem Punkt? Dass wir nicht wussten, was wir sagen sollten?

„Dann sag einfach all das, was du sagen möchtest, dich aber nicht traust, es zu tun.“ , erwiderte ich. Sein Blick streifte in der Gegend umher, als ob er überlegte, wo er anfangen sollte.

Mit viel Überwindung sagte er schließlich: „Es ist schwer für mich, dich zu sehen.“

Mir stockte der Atem. Dennoch blieb ich ruhig und ließ ihn fortfahren. „Als ich dich vor zwei Wochen in diesem Laden gesehen habe, da kam alles wieder hoch. Du wunderst dich sicher, warum ich mich nicht gemeldet habe. Nun, ich hatte es vor, wirklich, aber es gibt Menschen in meiner Umgebung, die beeinflussen mein Handeln. Viele sagten, es wäre besser, mit der Vergangenheit abzuschließen. Nach dem ich aus L.A wiedergekommen bin, da war alles anders. Man erwartete von mir, dass ich nun vollends nach den Regeln der Agentur handle, immerhin hatte ich ja nun genug Freiraum. Ich habe oft daran gedacht, aufzuhören. Einfach aussteigen aus diesem verdammten Mist, der mir zum Hals raushängt. Aber nach etlichen Gesprächen mit YamaP, Kame und meiner Familie ist mir bewusst geworden, dass ich das nicht einfach so machen kann. Ria, ich liebe die Musik. Ich liebe das Singen und Tanzen. Ich kann nicht einfach damit aufhören, nur weil ich das Ganze drum herum verabscheue. Man muss sich immer an Regeln halten, ist es nicht so?“ Er suchte meinen Blick und ich nickte nur.

„Mit der Zeit wurde das Bild von dir in meinen Gedanken immer schwacher. Die Zeit in L.A ist eine wirklich kostbare Erinnerung für mich. Aber wenn man Menschen für eine so lange Zeit nicht sieht, dann verschwinden sie aus deinem Kopf. Es wurde immer seltener, dass ich an dich gedacht habe. Ich hatte zwar immer noch den Zettel, den du mir damals gegeben hast, aber ich habe ihn lange nicht angerührt. Bis vor zwei Wochen, wo du auf einmal vor mir standest. Überrascht, älter, aber dennoch die Gleiche, die ich damals getroffen habe. Ich habe den Text genommen und ihn übersetzen lassen. Dann habe ich ihn eigenhändig vertont, weil ich dachte, dass ich dir das schuldig bin…“

Er hielt inne, als er sah, dass ich keine Miene verzog. All das, was er da sagte, war vollkommen richtig, aber es schmerzte so ungemein, dass ich das Gefühl hatte, mein Körper würde davon umkommen. Dabei hat er genau das gesagt, was ich schon immer gewusst habe. Man vergisst die Menschen, die man nicht jeden Tag um sich hat. Irgendwann sind sie nur eine schöne Erinnerung. Und wäre es mir nicht genauso gegangen, wenn ich nicht so viele Menschen und Dinge um mich gehabt hätte, die mich davon abhielten, ihn je ganz zu vergessen? Trotz des Schmerzes, der meinen Körper lähmte, atmete ich so tief ein, wie ich nur konnte, dann sagte ich mit einer kräftigen Stimme: „Jin, es ist schön, dass du das Lied für mich komponiert hast. Ich bin wirklich sehr glücklich darüber. Ich bin erleichtert, dass du so ehrlich zu mir bist. Als wir uns das erste Mal hier in Japan begegnet sind, da war ich wirklich verletzt über dein Verhalten… Ich habe nicht begriffen, warum du so anders warst. Mittlerweile weiß ich, dass es dumm war, anzunehmen, dass sich in all der Zeit nichts geändert hat.“

„Ich habe nichts sagen können, weil alles wieder hochkam. Ich war wie erstarrt, denn ich hätte nie damit gerechnet, dich irgendwann wieder zu sehen.“

Ein trauriges Lächeln schlich sich auf meine Lippen.

„Nein? Warum nicht?“

Verwirrt fuhr er sich mit der Hand durchs Haar.

„Deutschland ist ziemlich weit weg von Japan…“

Ich biss mir auf die Lippen, weil das, was er sagte, wie ein Stich ins Herz war.

„Du hättest also nie versucht, mich in Deutschland zu besuchen?“ , stellte ich trocken fest.

„Ria, ich…“

„Nein, Jin. Hör bitte auf mit Worten, die versuchen sollen, mich zu schonen, damit ich weiterhin an etwas glaube, was nicht existiert. Jin, ich denke, dass ich dich liebe. Das klingt vielleicht jetzt etwas seltsam und natürlich gab es innerhalb der vier Jahre auch noch andere Jungs für mich als dich, aber seit ich hier bin, muss ich ständig an dich denken, wenn ich irgendwelche Orte in Tokio aufsuche, frage ich mich, ob du auch schon einmal dort warst. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre in Deutschland geblieben. In meinem kleinen Dorf, indem es praktisch unmöglich ist, es weit hinaus zu schaffen. Ich war einfach nur verdammt naiv, zu glauben, dass der Mann, für den ich mehr geben würde, als für alles andere, für den ich schon etliche Male Tränen vergossen habe und dem ich mein Herz geschenkt habe, nach all der Zeit immer noch so an mich denken würde wie ich an ihn. Es war total bescheuert, zu denken, dass dieser Kuss, den du mir auf dieser Wiese geraubt hast, irgendeine Bedeutung hatte. Ziehen wir einen Schlussstrich!“

Geschockt über meine Worte wich er vom Zaun zurück und starrte zu Boden. Diese Reaktion hatte ich erwartet und so rang ich erneut nach Luft, um noch etwas Letztes zu sagen:

„Es ist wahrscheinlich besser so. Mach dir keinen Kopf. Irgendwann werde ich schon drüber hinwegkommen. Es ist nicht deine Schuld.“

Als er noch immer nicht reagierte, machte ich kehrt und ging den Weg, den ich gekommen war, zurück. Ich blickte mich nicht noch einmal um, dennoch hörte ich, wie jemand zu Jin gegangen war und ihm vom Zaun weggezogen hatte.

Zu meiner Überraschung fühlte ich mich vollkommen frei. Auch wenn ich traurig war, so wusste ich, dass Jin nun keinerlei Verpflichtungen gegenüber mir hatte.

Ich bog gerade um die Ecke und die anderen winkten mir, da hörte ich plötzlich einen markzerschmetternden Schrei.

„RIAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA~!“ Ich zuckte zusammen, genauso, wie die anderen Leute, die auf der Straße liefen.

Auf einmal spürte ich zwei Hände um meinen Bauch, die mich sanft zurückdrückten. Jin hatte mich an sich herangezogen und ich konnte seinen schnellen Atem in meinem Haar spüren.

„Ria, bitte… bitte, bleib.“ Völlig außer Atem flüsterte er die Worte.

Mir gefror das Blut in den Adern. Wie meinte er das?

„Ria, ich möchte, dass du bei mir bleibst. Bitte bleib hier.“

Ich lachte panisch. „Wie soll ich das deiner Meinung nach…“

„Du kannst auch Businessmanagement in Tokio studieren.“

„Aber… Ich bin in Deutschland zu Hause… Meine Freunde, meine Familie, all die sind dort.“

„Du kannst sie in deinen freien Semestern besuchen. Außerdem, sagtest du nicht, dass du mich liebst? Wie willst du mich lieben, wenn du einen ganzen Kontinent dafür überqueren musst, damit deine Liebe mich erreicht?“

Ich konnte das Lächeln hinter mir fast spüren. Er drehte mich sacht zu sich um, dann beugte er sich über mich und gab mir einen Kuss.
 

Es ist nun fast fünf Monate her, seit diesem schicksalhaften Tag. Ich wohne jetzt am Rande von Tokio und studiere. Businessmanagement. Jin und ich treffen und so oft wie es sein und mein Terminkalender zulässt. Unsere Beziehung ist seltsam zu beschreiben.Man kann nicht sagen, dass wir ein Liebespaar sind, trotzdem sind wir mehr als nur Freunde. Ich denke, diese Situation kommt vor allem durch seine Arbeit. Allerdings wird unsere Bindung von Tag zu Tag enger und mittlerweile stellt Jin mich auch im Freundeskreis als seine feste Freundin vor.

Jedes Mal macht mich diese Bezeichnung so glücklich, dass es scheint, als würde mein Magen auf und ab springen.

Natürlich vermisse ich Deutschland. Doch ich schreibe meiner Familie so oft es geht und meine Freunde haben mich auch schon einmal besucht.

Karmen hat sogar beschlossen, ein Auslandssemester ihres Journalistikstudiums in Tokio zu verbringen, so werde ich sie bald wiedersehen.

Wie es nach meinem Studium mit Jin und mir weitergehen soll, weiß ich noch nicht. Doch ich habe gelernt, mehr nach dem Herzen als nach dem Kopf zu gehen.

Denn ohne mein Herz, wäre ich jetzt wohl nicht hier.
 

*~+Owari+~*
 


 

Special Thanks to:

• Erika Miyoko Z.

• Isabelle M.

• Pu Bea J.

• Wenke F.

• Theresa H.

• Jasmin R.
 

Translator „kyofu“:

• Erika Miyoko Z.
 

Lektoren:

• Isabelle M.

• Pu Bea J.
 

Disclaimer:

I do not in any way own the members of KAT-TUN, NewS or any other persons associated with Johnny's Entertainment. I also do not claim that my fanfiction is an accurate representation of aforementioned persons and actions. Everything I wrote is 100% fiction.
 

Schlusswort:

Vielen Dank an alle, die diese FF bis zur letzten Zeile gelesen haben.

Es hat sehr viel Spaß gemacht, all diese Kapitel zu schreiben und es macht mich auch ein wenig stolz, dass ich zwei Jahre daran gesessen habe, ohne je wirklich mit der Story aufzuhören.

Wenn ihr immer noch nicht genug von mir und meiner Story habt, dann schaut doch auch mal bei www.pi-pu.com vorbei, wo Pu Bea mir dabei hilft, die FF zu perfektionieren.

LG,

asu



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Linni-chan
2009-03-22T17:23:22+00:00 22.03.2009 18:23
So, jetzt komme ich also auch endlich dazu, ein Kommi zu schreiben.
Das Kapitel hat mir wirklich sehr gut gefallen, noch besser als das vorherige. Trotz des unglaublich hohen Schnulzgehaltes (haha XD), ist die Story und das Verhalten der Charaktere immer plausibel geblieben, sodass es, obwohl es an sich ja eine ziemlich unwahrscheinliche Geschichte ist, nie unrealistisch wirkte.
Was mir auch an deiner Geschichte gefallen hat, ist die Wandlung, die Ria charakterlich durchmacht und wie sie sich von dem Fangirlie zu einer ziemlich starken Person entwickelt, die am Ende Akanishi sogar aufgeben will, weil ihr Leben so verschieden von seinem ist.
Insgesamt muss ich sagen, dass es mir wirklich viel Spaß gemacht hat, deine FF zu lesen und du dich, was deinen Schreibstil angeht, eindeutig verbessert hast (und das ist gut, weil selten!).
Schade, dass es schon vorbei ist.
Von: abgemeldet
2009-03-16T20:03:54+00:00 16.03.2009 21:03
Sehr schön!
*sogar ein paar tränchen vergoßen hat*
Das Ende ist schön.
Das mit der Frau würde mich auch interessieren XD
Aber wie gesagt sehr schönes, neues Ende! *likes it*
Von:  San-chi
2009-03-16T18:41:03+00:00 16.03.2009 19:41
Ach jaaa ein Happy End *___*

wie schöön dass die beiden doch noch zusammengekommen sind und diesesmal hast du die charaktere wirklich gut beschrieben.
Mich würde echt mal interessieren wer die Frau bei Jin gewesen ist und dass Ria net eifersüchtig war XD. hihi

Aber insgesamt eine sehr schöne Fic ich hab sie sehr gerne gelesen ^-^


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