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Go!Go!America!!

von

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Chapter 8

„Ich konnte Ueda nicht mal sagen, wie sehr mir sein tuntiges Verhalten auf den Wecker geht, weil er so freundlich war…“ Sophie saß grimmig am Frühstückstisch und schlürfte ihre zweite Tasse Kaffee. Nachdem wir am Vortag kaum miteinander geredet hatten, wurde am Morgen alles genau beredet.

„Und du konntest ihm nicht mal eine reinhauen, um ihm ein Taschentuch anzubieten, wie du es immer gesagt hattest…“ Karmen lachten bei diesem Gedanken.

„Genau. Aber ich war kurz davor. Ich dachte nur, es wäre nicht so günstig, wenn ich vor allen, völlig plötzlich Ueda eine Ohrfeige verpassen würde.“

„Nein, das wäre mit Sicherheit nicht gut gekommen, außerdem hast du dich doch gut mit ihm vertragen, oder?“

„…“

„Komm schon, gib’s ruhig zu. Ich gebe es ja auch zu: Ich fand Taguchi so was von nett und sympathisch, dass ich dachte, es muss jemand anderes vor mir stehen.“ Ich schüttelte leicht den Kopf.

„Okay, ich gebe es zu: Er war sehr nett. Und überhaupt nicht tuntig! Zufrieden?!“ Wir lachten.

„Ja, sehr sogar.“

Chris seufzte. „Aber sie sahen alle so gut aus. Das ist doch unnormal. Wie können Menschen so gut aussehen?“

„Das liegt am Make-up, denkst du nicht?“

„Aber am Flughafen hatten sie kein Make-up aufgelegt und sahen trotzdem so gut aus…“

„Am besten du fragst sie das nächste Mal.“

„Wenn es ein nächste Mal geben sollte.“

Darauf wusste niemand eine Antwort. Betreten besahen wir auf unsere Teller. Karmen wollte gerade ansetzen, um etwas zu sagen, da kam eine Lehrerin auf unseren Tisch zugelaufen.

„Guten Morgen. Ich wollte euch nicht beim Essen stören, aber es muss trotzdem kurz sein. Wir fahren halb zehn in den Kolosseum Park, wo wir uns heute den ganzen Tag aufhalten werden.“

Wir nickten ihr zu, womit sie lächelte und sich auf zum nächsten Tisch machte.

„Na toll… Und was wollen wir den ganzen Tag in einem Park machen?“ Karmen zog einen Schmollmund.

„Uns wird schon was einfallen…“, meinte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, was wir machen könnten. Außerdem hatte ich Jin gesagt, dass wir uns heute treffen könnten.
 

Die Fahrt dauerte rund zwei Stunden und die meiste Zeit über blickte ich aus dem Fenster, um den gigantischen Ausblick zu bewundern. Einfach alles kam mir hier anders vor als in Europa: Die Bäume waren größer, die Sonne schien heller, die Autos fuhren schneller und die Menschen waren anders. Ich liebte Europa, zumindest die Länder, die ich bis jetzt schon davon zu Gesicht bekommen hatte, doch es ist schon ein großer Unterschied zu Amerika.

Als wir ankamen, schlurften wir alle auf die grüne Wiese, um uns im Schatten niederzulassen. Es war ein heißer Tag und alles wirkte müde und ausgedorrt.

Chris, Sophie, Karmen und ich saßen auf Decken neben unseren anderen Klassenkameradinnen und es wurde gerade eine heiße Debatte darüber geführt, ob ein Mädchen aus der Parallelklasse mit Konstantin zusammen war.

Auch die restlichen Gespräche waren an diesem öden, trockenen Tag nicht weiter von Niveau. Ich sehnte mich danach, mit Jin zu lachen, mit ihm auf Englisch zu reden und ihn anzusehen. In den letzten Tagen hatte ich mich so an ihn gewöhnt, dass mir seine Abwesenheit völlig zu schaffen machte.

Ich seufzte und zog mein Handy aus der Tasche, um Jin zu informieren, dass das mit dem heutigen Treffen wohl nichts werden würde.

Es klingelte ein paar Mal und als er endlich abnahm, erhob ich mich und lief ein kleines Stück allein.

„Yes, it’s Akanishi Jin.“

„Hey, it’s me…“

„Ria?“

„Ja…“

„Schön, dass du anrufst, ich hatte gerade an dich gedacht. Ich steh hier gerade im Supermarkt und hab mich gefragt, ob du vielleicht mal mit mir Ramen essen würdest?“

Ich lächelte sanft.

„Ja, das würde ich wirklich gern. Du, ich muss dir etwas gestehen…“

„Na dann immer raus damit.“

„Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass wir uns heute sehen können. Es sei denn, meine Lehrer haben irgendwie noch einen Gedankengang, der uns erlaubt, heute noch irgendwo anders hinzugehen…“

„Don’t worry. Wo seid ihr gerade?“

„Wir sind im Kolosseum Park…“

„Oh ja, der ist toll. Ich war schon öfters dort. Es macht Spaß unter den Bäumen zu lungern und die Menschen zu beobachten.“

Ich gab ein zweifelndes Geräusch von mir.

„Hast du keinen Spaß?“

„Nein, nicht wirklich. Es ist langweilig…“

„…“

„Oh, tut mir leid. Ich wollte dir keine Sorgen bereiten. Ich werde es schon irgendwie überleben.“

„Na dann ist ja gut. Ich würde ja auch vorbei kommen, aber das wäre dir wahrscheinlich nicht so Recht?!“

„Haha… Was heißt mir? Meinen Lehrern. Aber na ja… Was machst du denn heute noch?“

„Ich werde mit den anderen noch ein wenig durch LA fahren, wenn du keine Zeit hast. Pi-chan hat mich gefragt, ob ich noch mit an die Küste möchte.“

„Woah, toll. Dann viel Spaß, ja? Grüß sie alle von meinen Freunden und mir.“

„Mach ich.“

„Das ist lieb. Du, ich muss jetzt erstmal Schluss machen, weil mein Akku schwach ist.“

„Geht klar. Ich meld mich wieder. Ciao.“

„Mach das. Ciao.“

Ich drückte auf das Knöpfchen und weg war die Verbindung. Seufzend blickte ich auf das Gerät. „Bilde ich mir das ein, oder war Jin heute fröhlicher als sonst? Hm, wer weiß. Vielleicht wegen dem gestrigen Tag.“

Ich lief zurück zur Wiese, wo die anderen noch immer lustlos dalagen.

„Hm, wollen wir vielleicht mal etwas rumlaufen?“, fragte Chris und sah auf die Uhr.

„Super Idee. Ich bin dabei.“ Ich zog sie am Arm und widerwillig standen auch Sophie und Karmen auf.

„Ihr müsst nicht mitkommen, wenn ihr nicht wollt…“

„Doch, doch. Sonst schlaf ich noch ein.“ Gähnend streckte sich Karmen.
 

Wir liefen eine Zeit lang einfach nur nebeneinander her. Die Wiese war an manchen Stellen ausgedorrt wegen der unglaublichen Hitze, dennoch standen die Blumen in voller Blüte. Ich fand sie wunderschön und machte sogar ein paar Bilder. Wieder ein Unterschied zu Europa.

„Och Mensch, ich würde so gern auch mal raus hier… Wollen wir mal fragen, ob wir in den Souvenirshop da drüben gehen dürfen? Ist ja nur über die Straße.“ Sophie stieß ein Kieselsteinchen von dem Weg und blickte hoffnungsvoll in besagte Richtung.
 

Wir holten uns die Erlaubnis vom nettesten Lehrer, den man leicht überzeugen konnte und machten einen großen Bogen um Frau Eichner, die uns mit blitzenden Augen anschaute. Sie sah noch etwas blass um die Nasenspitze aus. Wir lächelten höflich.

„Ui, die sah aus, wie der Teufel in Person.“ Chris hob die Hände schützend.

Wir liefen über die Kreuzung zu dem gemütlichen Laden, der von außen schon einlud, sich darin umzusehen. An der Tür hing ein Schild, das an dem heutigen Tag, dem vierten Juli, alles zum halben Preis war.

„Wow, muss heute unser Glückstag sein. Los, lasst uns mal reinschauen.“, meinte Sophie.

Ich stand auf einmal da, wie vom Donner gerührt.

„Leu…Leute.. W…Wa…Wartet mal!“

„Was ist los, Ria? Du bist so blass. Ist dir schlecht?“ Chris zog mir am Shirt.

„Welchen haben wir heute?“

„Den vierten, wieso?“

„Den vierten?“

„Ja, den vierten Juli! Mein Gott, was ist denn los?“

„OH MEIN GOTT!!!!!!!!!!!!!“, schrie Karmen.

Ich nickte.

„Mensch, was ist denn los?“ Sophie hob die Brauen ärgerlich.

„Heute ist… Heute ist…“ Karmen konnte den Satz nicht zu Ende führen.

„…der vierte Juli, Jins Geburtstag!“, beendete ich stöhnend.

„Nein, oder? Ihr habt Recht. Heute ist doch auch Massus Geburtstag. Und der von Gackt.“ Chris lehnte sich an die Ladentür.

„Ich brauch’ ein Geschenk und zwar schnell! Es muss etwas Tolles sein, so viel steht fest. Mann, wie konnte ich das nur vergessen? Ich hab doch gestern noch bei meiner Omi angerufen und alles Gute gewünscht, weil sie ja einen Tag vorher Geburtstag hat. Er wird mich hassen…“ Ich stöhnte erneut. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Deswegen war Jin auch so glücklich am Telefon…

„Nein, das wird er nicht. Red nicht so einen Quatsch. Du hast doch gerade erst mit ihm telefoniert, oder nicht?“

„Ja, aber…“

„Nichts aber. Jetzt geh lieber schnell und such ein Geschenk!“

„Aber wie soll ich das denn machen? Wir dürfen den Park doch nicht verlassen…“

„Wir werden dein Fehlen schon irgendwie entschuldigen können…“

Ich war unsicher und die Argumente der anderen überzeugten mich nicht wirklich. Dennoch musste ich ein Geschenk für Jin finden, sonst würde ich mir dir Sache selbst nie verzeihen können.

Also winkte ich den anderen und bog um die nächste Ecke, anstatt mit ihnen den Souvenirshop zu betreten. Ich holte meinen Stadtplan aus der Tasche um mich nicht zu verirren. Ich lief die Straße entlang, auf der Suche nach einem Geschäft, das mich ansprechen würde. Ich hatte selbst keine Vorstellungen, was ihm gefallen könnte. Aber es musste etwas sein, was zu ihm passte, darin war ich mir sicher.

Ziellos bog ich wieder ab und fand mich schließlich in einem Geschäft wieder, welches Accessoires verkaufte. Doch bis auf irgendwelchen Kram, der nach nichts aussah, hatten sie dort nicht viel.
 

Den ganzen Nachmittag suchte ich nach einem schönen Geschenk und gab die Hoffnung schließlich auf. Enttäuscht lehnte ich mich an eine Häuserwand und dachte nach. Ich war etwa zwei Kilometer vom Park entfernt und wenn ich mich jetzt auf den Weg machen würde, könnte ich noch mit ihnen nach Hause fahren. Ich müsste wohl oder übel das kaufen, was mir noch am ehesten gefallen hatte. Das war ein Buch über amerikanische Literatur gewesen.

Verzweifelt sah ich mich um. Neben mir war ein kleines Geschäft, das ziemlich verfallen aussah. Es war relativ dunkel und die Reklameschilder im Schaufenster waren staubig und vergilbt.

„ Ach, was soll’s, auf den einen Laden mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an…“, sprach ich zu mir selbst, löste mich von der Hauswand und steuerte auf den Eingang zu. Als ich eintrat klingelte ein kleines Glockenspiel über der Tür. Im Laden war es bis auf eine alte Frau, die hinter der Kasse stand, leer. Als sie mich eintreten sah, blickte sie verwundert auf.

„Was kann ich für Sie tun?“ , sprach sie mich freundlich aber kühl an.

„Ich suche ein Geburtstagsgeschenk für einen Freund.“

„Haben Sie eine Vorstellung?“

„Nein…“

„Und Sie meinen, dass Sie hier fündig werden?“

„Man kann es immerhin probieren, oder?“

Sie nickte, bevor sie auflachte.

„Na dann: Schauen Sie sich ruhig um.“

Ich nickte stumm und schlenderte in dem Laden umher. Alles kam mir vor, wie in einem schwarz-weißen Film. Alles war farblos und glanzlos. Ich streifte ein Regal und eine kleine Figur fiel hinaus.

„Verzeihung…“, murmelte ich, bevor ich mich hinhockte, um sie wieder aufzuheben. Und da lag sie, als hätte sie nur darauf gewartet, von mir entdeckt zu werden. Eine kleine silberne Kette mit einer Fee als Anhänger, die schwarze Flügel hatte. Sie war genau so staubig, wie alles andere in dem Laden und dennoch war sie wunderschön. Ich hob sie vorsichtig auf und fuhr mit den Fingern vorsichtig darüber.

„Entschuldigen Sie? Wie teuer ist diese Kette?“

„Sie haben tatsächlich etwas gefunden…? Zeigen Sie mal her, Kindchen.“

Die Alte winkte mich mit ihrer knochigen Hand zur Kasse und nahm mir die Kette aus den Fingern. Sie betrachtete Sie eine Weile, dann schaute sie mich wieder an.

„Ich mache Ihnen einen Preis von fünf Dollar, weil sie seit langem mein einziger Kunde sind…“

Erstaunt sah ich sie an. Die Kette war aus echtem Silber uns hätte mindesten zehnmal so viel gekostet, wenn man sie beim Juwelier gekauft hätte.

„D…Da…Danke! Das ist wirklich nett von Ihnen.“ Ich kramte nach meinem Portemonnaie und reichte ihr einen fünf Dollar Schein. Sie nahm ihn an und grinste breit. Zum Vorschein kam ein zahnloser Oberkiefer.

Ich nahm die Kette vom Tisch und verlies schnellen Schrittes das Geschäft. Es war schon etwas gruselig darin gewesen und vor allem, wenn man allein war. Ich blickte auf meine Hand. Die Kette war wirklich unglaublich hübsch. Und ich wusste, dass sie zu ihm passte. Es war, als würde sein Name zu dieser Kette gehören.

„Hm, und wie bekomme ich sie jetzt wieder sauber?“

Schnurstracks lief ich zu dem Juwelier, den ich ein paar Straßen vorher gesehen hatte.

Als ich das Geschäft betrat, wurde ich kaum beachtet. Überall wuselten Angestellte umher, die irgendwelche Menschen in Designermode berieten.

Ich ging zu einem jungen Herrn, den ich auf Mitte zwanzig schätzte, der zwar, wie alle anderen, einen dieser pingeligen Angestelltenanzüge trug und dennoch freundlicher wirkte.

„Ähm, Excuse me?“

„Ja? Was kann ich für dich tun?“

„Hm, ich hab da eine Bitte… Könnten Sie mir vielleicht dieses Schmuckstück reinigen? Es ist ein Geschenk. Ich weiß, das ist normalerweise bestimmt nicht üblich, aber ich habe leider keine Ahnung, wo ich sonst…“

„Schon gut, schon gut. Ist kein Problem. Mach ich gerne. Warte einen Moment, ja?“ Er legte mir die Hand auf die Schulter, nahm mir die Kette aus der Hand und verschwand.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand, allein, ohne, dass mich jemand eines Blickes würdigte, aber irgendwann fing ich an, mir Gedanken darüber zu machen, ob der Typ die Kette auch wiederbrachte, oder sie kaputt machte. Ich wollte gerade zu einem anderen Angestellten gehen, da kam er wieder und hielt sie mir hin.

Mir blieb der Atem weg. Sie glänzte, als wäre sie neu. Nirgends war ein Kratzer und jetzt erkannte man auch, dass die Kette Schmuck war.

„Wow… Danke! Sie haben mir wirklich sehr geholfen.“

Er lachte verlegen.

„Kein Problem. Hab ich gern gemacht. Das ist ja wirklich ein Schmuckstück, was du da hast. Soll ich es dir noch einpacken?“

„Oh… Das wäre wirklich wunderbar… Wenn es keine Umstände macht?!“

Er schüttelte mit dem Kopf und ging mit mir zur Kasse, wobei er mir die Kette in einen kleinen Karton packte, den er anschließend mit Geschenkpapier umwinkelte. Ich überlegte schon, ob er jetzt Geld dafür wollte, denn immerhin gehörte es nicht zu den Aufgaben eines Mitarbeiters, Schmuck von anderen Leuten einzupacken, die diesen nicht einmal hier gekauft hatten.

Er hielt mir das Geschenk hin.

„Hier.“

„Danke. Das ist wirklich unglaublich nett.“

„Ach kein Problem. Aber sag mal, wo kommst du denn her? Du bist doch keine Amerikanerin…“

„Nein, ich bin Deutsche.“

„Und für wen ist das Geschenk? Für eine Freundin?“

„Nein, für einen Freund.“

„Für einen Freund? Oder für deinen Freund?“ Ich wusste nicht worauf er mit dieser Frage hinaus wollte, also lachte ich nur, nahm ihm das quadratische Geschenk ab, bevor ich meinte:

„Ich geh jetzt besser. Danke noch mal. Tschüss.“

„Ja... Tschüss.“
 

Es war um fünf als ich wieder auf die anderen stieß, die immer noch auf der Wiese lagen und redeten. Als sie mich sahen, verstummten ihre Gespräche.

„Hey, Ria, wo warst du denn?“, fragte mich Vicky und nahm sich ein Gummitier aus der offenen Tüte.

„Ähm, haben die anderen nichts gesagt?“ Hilfe suchend warf ich einen Blick auf Karmen, Sophie und Chris.

„Doch, sie meinten, du bist ihnen verloren gegangen und sie hätten dich nicht finden können. Die Lehrer haben dich auch schon versucht, anzurufen, hast du das nicht mitbekommen?“

Überrascht zog ich mein Handy aus der Tasche und bemerkte, dass ich tatsächlich zehn Anrufe in Abwesenheit hatte.

„Na toll, das gibt sicher Ärger…“

„Na dann, viel Glück“, meinte Vicky.

Ich lief zu den Lehrern hinüber, die die Pflanzen bestaunten. Als mich der Erste von ihnen erblickte, wich eine Menge Anspannung aus dessen Gesicht.

„Oh, Gott sei Dank, Ria, da bist du ja. Wo warst du nur?“

„Entschuldigung, ich hatte mich verlaufen. Ich habe den falschen Ausgang aus dem Souvenirshop genommen und hab mich dann woanders wieder gefunden. Ich bin dann zu Fuß zur nächsten U-Bahn Station, die leider weiter weg war, als gedacht und so hab ich dann wieder hergefunden.“

Ich war von mir selbst überrascht, wie kreativ ich im Lügen war und hoffte, dass es mir auch abgenommen wurde. Alle nickten bemitleidend, außer Frau Eichner, die mein Spiel durchschaut zu haben schien. Doch sie sagte nichts und so blieben mir weitere Fragen erspart.

Die Rückfahrt verlief ohne Komplikationen und so waren wir gegen zwanzig Uhr wieder im Hotel. Völlig ausgehungert fielen wir über das Essen her, bevor wir alle erschöpft auf unsere Zimmer gingen. Obwohl wir eigentlich den Tag über nicht viel gemacht hatten, war die Busfahrt anstrengend.
 

Ich saß in einen der Korbsessel auf dem Balkon und genoss die frische Abendluft, als mein Handy klingelte.

„Ja?“

„Ria? It’s me, Jin.“

„Oh, Jin…“ Röte schoss mir ins Gesicht. Was sollte ich zu ihm sagen? Sollte ich die Sache mit seinem Geburtstag einfach so anschneiden.

„Bist du wieder da?“

„Ja.“

„War es dann doch noch schön?“

„Hm, auf eine gewisse Art und Weise schon.“ [i], antwortete ich ehrlich.

„Das freut mich.“

„Jin?“

„Ja?“

„Können wir… Können wir uns irgendwo treffen?“

„Jetzt?“ Er klang überrascht.

„Ja, jetzt. Wenn es keine Umstände macht?“

„Nein, gar nicht. Wo denn?“

„Im Park gegenüber des Internats.“ , erwiderte ich sicher.

„Gut, ich bin in einer viertel Stunde bei dir.“

„Jepp. Bis gleich.“

Zaghaft legte ich auf, bevor ich aufsprang und ins Zimmer rannte. Schnell machte ich mich frisch, bevor ich das kleine Geschenk und meine Tasche schnappte.

Chris war bei Karmen und Sophie drüben. Sie wusste, dass ich gerne alleine sein wollte.

Ich versuchte, möglichst leise zu sein, als ich die Stufen der Treppe hinunter lief und es gelang mir, dass niemand mich sah.
 

Im Park setzte ich mich auf eine Bank und blickte nervös auf meine Uhr. Ich hatte noch fünf Minuten. Ich wippte mit den Füßen und summte eine Melodie, die mir gerade einfiel. Wieder wanderte mein Blick zur Uhr. Noch drei Minuten.

Ich betrachtete den kleinen Würfel in meiner Hand. Hübsch sah er aus, in blau-weiß gestreiftem Papier eingewickelt, mit einer passenden Schleife dazu. Ich hatte im Hotel noch eine Karte gebastelt und die anderen unterschreiben lassen. Jeder hatte irgendetwas Sinnloses geschrieben und seine Glückwünsche geäußert. Ich kam mir plötzlich dumm damit vor und wollte aufstehen, um sie in den Mülleimer mir gegenüber zu werfen, da hörte ich seine Stimme hinter mir.

„Hier bin ich.“, sagte er völlig außer Atem und grinste mich schelmisch an. Er trug eine lange blaue Jeans, die an manchen Stellen gewollt abgewetzt war. Darüber ein schwarzes T-Shirt, mit dem Aufdruck: „ I love America“, welches mich innerlich zum Lachen brachte.

„Schön, dass du da bist…“, brachte ich nervöser als zuvor hervor.

Er hob seine Brauen. „Ria… Was ist los? Du bist so… anders…“

So gut kannte er mich nun also schon, dass er sogar bemerkte, wenn etwas nicht stimmte. Verblüffend. Ich atmete tief durch, bevor ich das kleine Geschenk aus meiner Tasche zog und es ihm mit der Karte und ausgestreckten Armen entgegenhielt.

„Happy Birthday, Jin!“ , flüsterte ich gerade so, dass er es hören konnte. Und dann verstand ich zum ersten Mal den Sinn des Spruches ‚wie ein Auto schauen’. Denn er war nicht erschrocken oder geschockt, nein er war verwirrt und zutiefst verwundert. Zögernd nahm er es mir aus der Hand und drehte es ein paar Mal, bevor er vorsichtig die Schleife ablöste und das Papier aufriss. Er nahm den silbernen Gegenstand in die Hand und betrachtete ihn. Ich beobachtete seine Mimik und Gestik genau, wollte nichts verpassen.

„Woher…“

„Ich… Na ja, ich glaube es weiß jeder, der sich nur ein wenig mit dir beschäftigt, wann du Geburtstag hast. Und ich… Ich hätte es fast verpennt… Es tut mir…“

Ich kam nicht zum weiterreden, beziehungsweise plappern, denn die Worte sprudelten viel zu schnell aus mir heraus und ich war mir sicher, dass er nicht mal die Hälfte davon verstand. Er drückte mich fest an sich und ich konnte seinen Atem an meinem offenen Haar spüren. Ich schloss die Augen und hätte mir gewünscht, die Zeit würde stehen bleiben. Und ich glaube, das tat sie auch. Scheinbar endlos standen wir so da und er drückte mich immer fester an sich und lachte ab und zu.

„Du bist wirklich… wirklich einmalig!!!! Ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll.“

„…“

„Warum gibst du denn Geld für mich aus? Du hättest mir nichts schenken müssen. Es ist doch nur ein Tag, wie jeder andere…“

„Lüg nicht! Ich weiß genau, dass du dich auf diesen Tag gefreut hast. Deine Stimme war viel fröhlicher am Telefon als sonst!“

Wieder lachte er.

„Okay, okay. Du hast Recht. Ich bin sehr glücklich. Und ich habe gehofft, dass du meinen Geburtstag nicht vergisst. Aber, dass du mir nichts schenken sollst ist wahr!“

Jetzt löste er sich von mir und hielt sich die Kette vor die Augen. Dann öffnete er den Verschluss und legte sie an.

„Sie ist wunderschön, Ria. Ich werde sie hüten, wie… Wie sagt man?“

„Wie deinen Augapfel?“

„Ja, genau. Wie meinen Augapfel.“

Diesmal musste ich lachen.

„Vielen Dank…“, meinte er und sah mich mit so warmherzigen Augen an, dass ich ihn am liebsten auch umarmt hätte. Doch ich hatte mal wieder nicht den Mut dazu und so lächelte ich ihn nur schüchtern an.

„Weißt du was?“ , fragte er munter.

„Was?“

„Ich werde dich jetzt zum Essen einladen. Und zwar zum Ramen essen. Einverstanden?“

Ohne lange zu überlegen, willigte ich ein.
 

Wir liefen nebeneinander die Straße entlang und ich war froh, dass ihm mein Geschenk gefiel. Er las sich die Karte auf dem Weg durch und lachte über die kleinen Sprüche.

Er erzählte mir von seinem heutigen Tag, was er alles erlebt hatte. Jin war zusammen mit YamaP und den anderen an einen ziemlich abgelegen Strand gefahren und dort hätten sie wieder ein Fotoshoot gehabt. In der Zeit, wo die anderen fotografiert wurden, hat er an Songs geschrieben.

Ich hörte ihm gebannt zu und auch wenn er an manchen Stellen überlegen musste, so fand ich, dass sein Englisch extrem besser war, als ich es in Erinnerung hatte.

Das Ramen war so ziemlich das Leckerste, was ich bisher von der asiatischen Küche gegessen hatte. Jin half mir mit den Stäbchen, denn es war ja praktisch unmöglich, Ramen mit dem Löffel zu essen(... so lang wie die Nudeln sind).

Wir alberten die ganze Zeit herum, zogen gegenseitig Grimassen, während der andere trank und erzählen uns Geschichten. Ich vergaß die Zeit völlig. Da klingelte mein Handy.

„Ja?“, nahm ich ab und versuchte, mich wieder zu fangen.

„Ria, wo zum Teufel steckst du? Die Lehrer machen Bettruhekontrolle! Ich hab jetzt gesagt du seist noch im Bad, aber was ist, wenn sie wiederkommen? Bitte komm schnell.“ Es war Chris, die ziemlich aufgebracht klang.

„Ich bin unterwegs.“ Ich legte auf und sah Jin mit festen Augen an.

„What’s the matter?“

„Jin, wir müssen los. Mach schon.“ Es war das erste Mal, dass ich ihn herumkommandierte und er reagierte sofort. Er legte genügend Geld hin, bevor er mir folgte. Ich war schon halb auf dem Weg und wollte gerade eine Straße überqueren. Ich hörte ein Auto kommen, doch ich dachte mir nichts dabei, immerhin war grün für mich. Ich würde es schon schaffen. Doch da täuschte ich mich. Trotz des Rennens war das Auto schneller als ich… Wie paralysiert blieb ich stehen, konnte weder nach links noch nach rechts.

„RIA!!! RIA!!! … Abunai HALT!!! STOPP!!!“ Jin schrie aus Leibeskräften.

Doch es war zu spät. Ich sah nur noch das Aufleuchten der Autoscheinwerfer und hörte das Quietschen von Bremsen, welches immer lauter wurde, dann jedoch abrupt endete, bevor ein stechender Schmerz in mein Knie kroch. Ich spürte, wie mein Kopf auf dem harten Betonboden aufschlug und eine unglaubliche Taubheit sich in meinem Körper ausbreitete. Dann kamen von irgendwoher Stimmen, die ich nur noch halb mitbekam, da ich das Bewusstsein verlor.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-02-08T20:48:36+00:00 08.02.2009 21:48
Oh weh - MUSSTE das am Ende sein? *lach* Das Ende hat mich richtig kalt erwischt. Irgendwie ist es schade, dass die Kapitel keine Titel haben. Zu diesem hätte zum Beispiel : "Die silberne Fee" oder so ähnlich gepasst. Titel machen die FF auf ersten Blick spannender, weil sie einem Stichworte liefern, die einen zum lesen animieren. ^^


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