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Le dernier Vampire

Der letzte Vampir
von

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Le dernier Vampire

Es war ein kalter Morgen, an dem es selbst den sonst so erbarmungslos brennenden Sonnenstrahlen schwer fiel, sich einen Weg durch die dichten, grauen Wolken zu bahnen. Mimei, die am Abend zuvor Schutz unter einem kleinen Felsvorsprung gesucht hatte, erwachte vom leisen Rauschen eines Wasserfalls in der Ferne. Stöhnend öffnete sie ihre Augen und strich sich mit der Hand eine Strähne ihres kurzen schwarzen Haares aus der Stirn. Sie hatte schlecht geschlafen. Obwohl sie sich in eine Decke eingewickelt hatte, war ihr kalt gewesen; ihre Rückenschmerzen ließen erahnen, dass dort vom Schlafen auf dem steinigen Grund einige blaue Flecken zurückbleiben würden.

Langsam stand sie auf und streckte sich gähnend. Als sie den wolkenbedeckten Himmel sah, war sie versucht, sich einfach wieder hinzulegen und noch eine Weile weiterzuschlafen. Doch sie musste weiter, sie hatte eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.

Also stopfte sie die Decke in ihren geräumigen Rucksack, schwang ihn sich über die Schulter und machte sich auf den Weg. Gerne hätte sie jetzt ein erfrischendes Bad in einem der kleinen Bäche genommen, die ihr auf ihrer Reise schon des Öfteren begegnet waren, doch am Vortag hatte sie in dieser Umgebung keinen von ihnen gesehen. Natürlich hätte sie in dem größeren Fluss baden können, der in der Nähe floss, doch dieser führte zu einem Wasserfall, und die Stromschnellen waren gefährlich.
 

Während Mimei durch den Wald streifte, stieg die Sonne immer höher und riss schließlich ein Loch in die Wolken, das immer größer wurde. Mittags strahlte sie bereits von einem azurblauen Himmel herab und Mimei war froh, dass sie wenigstens das Laubdach über sich hatte, um sich vor ihren Strahlen zu schützen. Trotzdem stand ihr bald der Schweiß auf der Stirn.

Am späten Nachmittag kam sie zu einem kleinen See, dessen Oberfläche verführerisch in der Sonne glitzerte. Mimei wägte kurz die Situation ab. Sie kam zu dem Schluss, dass durch ein kleines Bad ihr Auftrag wohl kaum gefährdet würde. Also zog sie ihre durchgeschwitzten Klamotten aus, hängte sie über einen herabhängenden Ast und tauchte langsam ins Wasser ein. Trotz der langen Bestrahlung der Sonne war es im Gegensatz zur Luft herrlich kühl. Mimei spritzte sich etwas davon ins Gesicht und schwamm dann ein paar Züge.

Doch schon wenig später wurde sie von einem Geräusch aufgeschreckt, das aus dem kleinen Fluss, der in den See mündete, zu kommen schien. Es klang wie ein Pfeifen oder Summen. Erst hielt Mimei es für einen Vogel, doch als sie die gesummte Melodie als ein Lied von ihrer Lieblingssängerin erkannte, wurde sie misstrauisch. Die Sicht auf den Bach war ihr jedoch durch einen großen Busch versperrt. Leise bewegte sie sich auf die Mündung zu. Das Geräusch wurde lauter und Mimei war versucht mitzusingen. Doch sie durfte sich nicht verraten, bevor sie nicht wusste, wem oder was sie dort begegnet war. Es hatte jedenfalls eine wundervolle Stimme. Vorsichtig lugte Mimei um den Busch herum. Vor ihr stand eine Gestalt von atemberaubender Schönheit. Gerade fuhr sie sich mit der Hand durch ihr langes dunkles Haar. Mimei hatte noch nie einen echten Menschen gesehen, der so schön war.

Als die Gestalt sich zu ihr umdrehte, hätte Mimei sich eigentlich wieder verstecken müssen. Doch erstens schien von dieser Person keine Gefahr auszugehen und zweitens konnte Mimei sowieso keinen Muskel rühren.

Die beiden standen sich gegenüber und sahen sich an. Erst jetzt, wo sie ihn von vorne sah, bemerkte Mimei, dass es sich bei ihrem Gegenüber um einen Mann handelte. Aber um was für einen! Seine roten, im Sonnenlicht glänzenden Augen waren umrahmt von langen dunklen Wimpern und stachen auf der blassen Haut besonders hervor.

„Ein echter Bishounen!“, stieß Mimei begeistert aus. Der dünne Mund des Mannes verzog sich zu einem Lächeln und er kam langsam auf sie zu. Auf einmal war sie froh, dass sie bis zu den Schultern im Wasser stand. Der Mann fasste sanft mit seiner Hand an ihre Wange und sah auf sie herab, denn er war mindestens einen Kopf größer als sie. Mimei war gefesselt von seinen wunderschönen Augen. Doch der Mann schien sich nicht für ihre Augen zu interessieren. Sein Blick war auf ihren Hals gerichtet, als wolle er gleich hineinbeißen. Mimei schrak zusammen. Plötzlich erinnerte sie sich an die Worte ihres Auftraggebers: „In den Wäldern lebt noch ein letztes Exemplar dieser rotäugigen Blutsauger. Finde und töte es!“ Langsam dämmerte es ihr, dass sie das Wesen wohl gefunden hatte.

„Vampirjägerin“, flüsterte der Vampir voller Abscheu und machte einen Schritt rückwärts. Anscheinend hatte er das Schutzsiegel an ihrem Hals entdeckt.

Mimei wusste nicht, was sie tun sollte. Eigentlich hätte sie sofort aufspringen und die Waffen holen müssen, die in ihrer Hose am Ufer steckten, aber sie wollte diesen Vampir gar nicht töten. Dies schien auch er zu bemerken.

„Warum holst du nicht deine elenden Waffen, um mich endgültig aus dieser Welt zu schaffen?“, fragte er verächtlich.

„Ich weiß nicht“, antwortete Mimei ehrlich.

Der Vampir seufzte: „Tolle Vampirjägerin. Aber mit den herkömmlichen Waffen könntest du mir sowieso nichts anhaben.“

„Aha“, sagte Mimei nur. Nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu: „Ich heiße übrigens Mimei.“

„Und ich bin Louis le Sang“, sagte er leise.
 

Kurze Zeit später gingen Louis und Mimei, inzwischen wieder angezogen, gemeinsam durch den Wald. Sie unterhielten sich über alles, was ihnen gerade einfiel.

„Ich bin der letzte Vampir auf der ganzen Welt“, erklärte Louis irgendwann ganz nebenbei.

Mimei seufzte. „Ich weiß. Und ich erhielt den Auftrag, diesen letzten Vampir zu töten.“

„Warum tust du es dann nicht?“, fragte Louis mit einem Lächeln, bei dem seine übergroßen Eckzähne in der Sonne blinkten.

„Erstens ist mir noch nie solch ein gut aussehender Mann begegnet, und zweitens machst du auf mich nicht den Eindruck, als wärest du solch ein blutsaugendes Monster.“

„Du vertraust mir also?“, fragte er.

Mimei nickte.

Plötzlich packte Louis sie und drückte sie gegen den nächsten Baum. Mit seinem Gesicht ganz nah bei ihrem, sodass sie seinen Atem spüren konnte, fragte er flüsternd: „Und wenn ich dich nun überfalle?“

Das Herz klopfte Mimei bis zum Hals, als sie antwortete: „Dann habe ich mein Vertrauen wohl dem Falschen geschenkt.“

Louis ließ sie los und erklärte grinsend: „Du gefällst mir.“

Mimeis Stimme versagte und sie konnte nur mit einem Lächeln antworten.

„Weißt du“, begann Louis, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergelaufen waren, „ich bin wirklich nicht wie die anderen.“

„Warum?“, fragte Mimei interessiert.

„Ich finde es widerlich, den Menschen das Blut aus dem Körper zu saugen. Und ich glaube, sie denken im Grunde genauso.“

„Warum tun sie es dann?“

„Es ist ein innerer Drang. Es verlangt sie ständig nach Blut, sie können diesem Drang nicht nachgeben.“

„Und du hast diesen Drang nicht?“, wollte Mimei verwundert wissen.

„Doch“, erklärte Louis und sah traurig auf sie herab, „aber ich unterdrücke ihn so gut es geht. Ich halte mich hier im Wald versteckt, wo sich keine Menschenseele blicken lässt.“

„Aber... stirbst du dann nicht irgendwann?“, fragte Mimei entsetzt.

„Nein“, erwiderte er. „Vampire sind unsterblich. Und gerade deswegen finde ich es abscheulich, Menschen ihr Blut auszusaugen.“

Mimei nickte zustimmend.

Louis fuhr fort: „Ich bin der letzte Vampir. Und irgendwann werden die Menschen uns vergessen haben. Wenn das geschehen ist, kann ich mich endlich unter sie mischen.“

„Meinst du das ernst?“, fragte Mimei ungläubig.

Louis nickte, sein Blick war weit in die Ferne gerichtet.

„Ich glaube nicht, dass die Vampire jemals in Vergessenheit geraten werden“, äußerte Mimei ihre Meinung.

Louis seufzte nur. Dann schwiegen die beiden wieder und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Er wird ewig in diesem Wald bleiben müssen, kam es Mimei in den Sinn. Ich bin mir sicher, dass die Menschen immer Angst vor Vampiren haben werden, auch wenn sie nur ein Mythos sind. Und wenn dann Louis mit seinen großen Eckzähnen und seinen roten Augen unter sie tritt, werden sie ihn sofort erkennen! Es hat keinen Sinn.

Mimei warf einen Blick auf Louis in seiner langen schwarzen Kutte. Vielleicht war es doch nicht unmöglich, ihn der normalen Welt anzupassen.

„Komm mit mir, Louis“, bat Mimei den Vampir.

Er sah sie erstaunt an. „Wie meinst du das?“

„Ich könnte dir helfen, endlich bei den Menschen leben zu können.“

„Ehrlich?“, fragte er und schien sichtlich begeistert.

„Ja, aber du müsstest dein Aussehen verändern. Das dürfte kein Problem sein. Diese Eckzähne kriegt man doch bestimmt irgendwie klein und deine roten Augen könnte man mit farbigen Kontaktlinsen vertuschen. Außerdem -“ Sie brach ab, als sie Louis' starren Blick sah.

„Was ist?“, fragte sie ihn.

„Muss ich mich wirklich so verändern?“ Er sah sie verzweifelt an. „Ich möchte so bleiben wie ich bin.“

Es zerbrach Mimei das Herz, ihn so zu sehen, dennoch sagte sie: „Du musst dich entscheiden: Vampir oder Mensch? Was willst du sein?“

„Beides“, seufzte Louis.

Nach einem kurzen Schweigen entschied er sich jedoch, Mimeis Angebot anzunehmen.
 

Als sie sich wieder in der Zivilisation befanden, machte Mimei schnell einige Termine aus und schickte Louis am Morgen des nächsten Tages los. Während er in der Stadt unterwegs war, besuchte Mimei ihren Auftraggeber. Sie teilte ihm mit, dass sie den letzten Vampir aus der Welt geschafft hatte und kassierte das Kopfgeld, das auf ihn ausgesetzt war. Sie war froh, dass sie noch nicht einmal wirklich gelogen hatte, denn der Vampir Louis war gerade dabei, für immer zu verschwinden.

Am Abend kehrte Mimei, völlig übermüdet von der langen Fahrt, zurück. Als sie die Wohnung betrat, hörte sie im Bad die Dusche rauschen. Anscheinend war Louis auch schon wieder da. Sie machte es sich in ihrem Wohnzimmer gemütlich und schaltete den Fernseher an.

Wenig später wurde die Tür zum Wohnzimmer geöffnet und Louis trat ein. Doch er sah sich überhaupt nicht mehr ähnlich. Ein Großteil seiner langen schwarzen Haare war der Schere des Friseurs zum Opfer gefallen und der Rest in eine modische Igelfrisur verwandelt worden. Seine Augen waren nun braun, da dies wahrscheinlich am besten die roten Augen verdecken konnte. Statt der schwarzen Kutte trug Louis jetzt ein blau-weiß gestreiftes T-Shirt und dunkle Jeans. Seine Füße waren nackt.

Mimei war ein wenig enttäuscht. Ihr wunderschöner Bishounen mit der mysteriösen Ausstrahlung war zu einem völlig gewöhnlichen Jugendlichen geworden.

„Gefalle ich dir nicht?“, fragte Louis unsicher.

„Doch, natürlich!“, rief Mimei aus. „So wird niemand erkennen, was du eigentlich bist.“

Louis lächelte und Mimei bemerkte, dass seine Eckzähne geblieben waren wie zuvor.

„Du musst nur darauf achten, beim Lächeln nicht deine Zähne zu zeigen.“
 

Vier Wochen später hatte Louis sich einigermaßen an die Menschen gewöhnt. Mimei hatte ihn bei einem Volkshochschulkurs für Französisch angemeldet, in dem er aber vor allem den Umgang mit anderen Leuten kennenlernen sollte.

An einem Samstagmorgen betrat sie sein Zimmer, um ihn zu wecken. Sie wollten ein wenig spazieren gehen. Doch Louis schlief nicht mehr. Er stand vor seinem Spiegel und betrachtete sich darin. Im Zimmer war es dunkel, die Vorhänge waren noch geschlossen. Mimei ging zum Fenster und zog sie auf. Louis zuckte zusammen und bat, das Gesicht noch immer zum Spiegel gewandt: „Mach sie wieder zu.“ Mimei gehorchte und fragte dann: „Wieso?“

„Jeden Tag quäle ich mich durch den Tag, der von der Sonne erhellt wird. Lass mir noch ein wenig Finsternis.“

Mimei sah ihn erschrocken an. „Ist es wirklich so schlimm?“

Louis nickte, doch dann sagte er mit einem schwachen Lächeln: „Mach dir keine Sorgen, Mimei.“

Noch immer war sein Blick auf den Spiegel gerichtet.

Mimei trat hinter ihn und fragte: „Magst du dein neues Aussehen?“

„Nein“, antwortete er, „ich hasse es.“

Erneut erschrak Mimei. „Warum betrachtest du es dann die ganze Zeit?“

Louis seufzte. „Ich kann nicht anders. Und außerdem muss ich mich daran gewöhnen, schließlich werde ich mein Leben lang so bleiben.“

Mimei sah ihn traurig an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Die ganze Zeit hatte sie gedacht, es gefiele ihm, wie ein Mensch zu leben. Sie hatte überhaupt nicht wahrgenommen, wie verzweifelt er tief in seinem Herzen war.

„Wenn es etwas gibt, was du mir sagen willst – sag es ruhig“, erklärte Mimei und legte ihm die Hand auf die Schulter, was etwas merkwürdig aussah, da seine Schulter auf ihrer Augenhöhe lag.

Louis schwieg und Mimei nahm an, dass er sich beruhigt hatte.

Doch auf einmal wirbelte er herum, packte sie an den Schultern und schüttelte sie durch.

„Ich will Blut!“, schrie er sie an. „Jeden einzelnen Tag, den ich hungernd verbringen muss, verlangt es mich nach Blut!“ Tränen stiegen in seine Augen und liefen seine Wangen herab. „Verdammt noch mal, ich kann es nicht länger zurückhalten.“ Nun stützte der Vampir sich auf Mimeis Schultern, den Kopf nach unten gebeugt, und schluchzte hemmungslos.

Mimei wusste nicht was sie sagen sollte, deshalb schwieg sie einfach. Der Raum war erfüllt vom Schluchzen Louis'. Doch mit einem Mal verstummte auch diesen Schluchzen. Erneut glaubte Mimei, ihr Freund hätte sich beruhigt – und erneut lag sie daneben.

Louis hob seinen Kopf ein Stück und starrte Mimei aus seinen roten Vampiraugen an; seine Tränen hatten die Kontaktlinsen herausgespült. Und dabei grinste er, seine scharfen Eckzähne entblößend. Mimei wollte zurückweichen, doch Louis' starke Hände krallten sich in ihre Schultern.

„Wa- was soll das?“, fragte sie verängstigt und versucht, sich mit den Händen von seinem Griff loszureißen, was ihr nicht gelang.

Louis' Grinsen wurde nur noch breiter und er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Mimei erstarrte bei diesem Anblick. Es schien, als hätte sie den mysteriösen Bishounen wieder, den sie so vermisst hatte, aber in diesem Moment wäre ihr der gewöhnliche Jugendliche lieber gewesen.

Sie erwartete, dass er irgendetwas sagte, doch er senkte nur ganz langsam seinen Kopf zu ihr herab. Ihre Abwehrversuche waren zwecklos. Schon spürte sie seinen heißen Atem an ihrem Hals.

„Louis“, flüsterte sie, doch er schien sie gar nicht zu hören. Und dann versenkte er seine Eckzähne in ihrem Nacken. Trotz des stechenden Schmerzes, den sie verspürte, schrie Mimei nicht. Das würde ihn nur noch mehr anregen.

Irgendwann ließ er von ihr ab. Sie sackte zu Boden, ihre Beine waren nicht mehr stark genug, um ihr ganzes Gewicht zu tragen.

Louis sah auf sie herab, ihr Blut klebte an seinem Kinn. Mit der Zunge fuhr er sich über die Lippen.

„Mimei“, sagte er mit verzweifelter Stimme, „das tut mir leid. Ich konnte nicht anders“

„Louis.“ Sie sprach seinen Namen mit sanfter, wenn auch sehr schwacher Stimme. „Du kannst nichts dafür. Schließlich hast du mich damals gewarnt, dass du mich überfallen könntest und ich habe dir dennoch vertraut.“

„Und ich habe dein Vertrauen missbraucht“, fügte Louis mit trauriger Stimme hinzu. Er hockte sich neben sie und strich sanft über ihren Kopf.

„Du hast immer dein Bestes getan, damit ich mich hier unter den Menschen so wohl wie möglich fühle.“

„Und ich habe nie bemerkt, wie unwohl du dich fühlst.“

Beide mussten lächeln bei diesen Versuchen, sich selbst die Schuld zu geben.

„Ich verzeihe dir, was du getan hast“, sagte Mimei.

Louis lächelte. „Ich verzeihe dir auch.“ Er sah sie an und bemerkte, dass die Farbe immer mehr aus ihrem Gesicht wich. Er hatte ihr wohl in seiner Raserei eine Menge Blut abgesaugt, was er auch an dem wohligen Gefühl in seinem Bauch erkennen konnte.

„Ich lasse dich nicht sterben“, flüsterte er.

„Was willst du dagegen tun?“, fragte sie, ihre Stimme wurde immer schwächer. Lange würde sie nicht mehr durchhalten.

Louis schwieg. Anscheinend wusste er selbst keine Antwort auf diese Frage. Doch sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren.

„Nimm meine Hand“, bat Mimei so leise, dass er sie kaum hören konnte. Er gehorchte sofort. Als er ihre kalte Hand in seiner spürte, zuckte er zusammen und drückte sie dann noch fester.

„Halt noch ein wenig durch. Mir wird etwas einfallen, wie ich dich retten kann, auch wenn es das Letzte ist, was ich tue!“, sagte er. Seine Stimme klang verzweifelt.

Mimei versuchte zu lächeln, doch selbst das fiel ihr schwer.

Louis sah auf sie herab, während er sanft ihre Hand streichelte und versuchte, die Kälte zu ignorieren, die von ihre ausging. Selbst jetzt war Mimei noch unglaublich schön, wie er fand.

Und da durchzuckte eine Idee wie ein Blitz seinen Kopf.

„Mimei!“, rief er. Langsam drehte sie seinen Kopf zu ihm. Sie wollte etwas sagen, doch dieser Versuch artete in einen Hustenanfall aus. Der Glanz in ihren Augen verschwand.

„Ich rette dich“, flüsterte Louis und beugte sich rasch, den Blick fest auf Mimeis blutleeres Gesicht gerichtet, zu ihr herunter. Sie sah mit flatternden Augenlidern zu ihm auf. Er hielt einen Moment inne, in dem die letzten vier Wochen seines Lebens noch einmal vor seinem inneren Auge vorbeizogen. Dann küsste er Mimei.
 

Mimeis Kopf schmerzte fürchterlich. Was war geschehen? Es fiel ihr schwer, sich an irgendetwas zu erinnern. Doch langsam kamen die Erinnerungen zurück. Louis hatte sie gebissen. Und dann hatte er versprochen, sie zu retten. Danach konnte sie sich an nichts mehr erinnern, anscheinend hatte sie das Bewusstsein verloren. Aber warum war sie wieder aufgewacht? Sie hatte zu viel Blut verloren, um noch am Leben zu sein. Hatte Louis vielleicht wirklich irgendwas getan?

Sie versuchte die Augen zu öffnen, was ihr sehr schwer fiel. Als es ihr schließlich gelang, sah sie nur die Decke von Louis' Zimmer über sich. Anscheinend lag sie immer noch an derselben Stelle wie zuvor. Doch wo war Louis? Mimei drehte langsam ihren Kopf zur Seite. Was sie sah, ließ ihren Atem stocken. Louis lag neben ihr. Seine Haut war noch blasser als zuvor und seine Augen waren geschlossen. Zitternd streckte Mimei eine Hand nach ihm aus und berührte sein Handgelenk. Es war eiskalt und sie konnte keinen Puls fühlen. Was war passiert, während sie bewusstlos gewesen war?

Langsam richtete sie sich auf, was ihr erstaunlich gut gelang. Sie war noch einmal einen Blick auf Louis. Und auf einmal kam ihr eine Idee, wie er sie gerettet hatte. Er musste ihr irgendwie seine gesamte Lebensenergie übertragen haben. Und jetzt war sie am Leben, und er war tot. Obwohl es doch andersherum hätte sein müssen. Was war er nur für ein Vampir – Nein, was war er nur für ein Mensch, dass er sie erst biss und sämtliches Blut aus ihr heraussaugte, und dann sein Leben opferte, um ihres zu retten?

Bei diesem Gedanken wurden Mimeis Augen feucht. Obwohl sie sich gerade erst vier Wochen kannten, hatte er völlig selbstlos sein Leben für sie gegeben. Mimei war sich nicht sicher, ob sie dasselbe für ihn getan hätte.

Mimei wandte den Kopf von Louis' totem Körper ab, denn sein Anblick schmerzte sie zu sehr. Inzwischen liefen die Tränen ihr die Wangen herab und tropften auf den Teppich. Sie wollte nicht wahrhaben, was gerade geschehen war. Das fröhliche Lachen, das in den letzten Wochen das Haus erfüllt hatte, war für immer fort. Louis war für immer fort. Niemand würde ihr nun sonntags das Frühstück ans Bett bringen, wie Louis es getan hatte. Niemand würde zu Hause auf sie warten, wenn sie abends von einem langen Tag in der Universität zurückkehrte. Und sie würde wieder ganz allein sein in dem großen Haus, das sie von ihren Eltern geerbt hatte. Sie würde wieder ganz allein sein auf der Welt.
 

Erschöpft wischte Mimei sich den Schweiß aus der Stirn. Zum Glück hatte sie sich diesmal immerhin einen Hut mitgenommen, denn ohne ihn wäre die Hitze trotz der Bäume unerträglich gewesen. Auf dem Rücken trug sie denselben Rucksack, den sie auch auf ihrer Reise vor wenigen Wochen bei sich gehabt hatte, doch diesmal war er nicht vollgepackt mit Dingen zum Überleben. Sein Inhalt bestand lediglich aus einer Urne, die in eine Decke eingewickelt war. Eine Flasche mit Wasser hatte Mimei sich mithilfe eines Riemens um den Hals gehängt.

Nach einer Weile hörte sie in der Ferne ein leises Plätschern. Sie folgte dem Geräusch und kam schließlich zu einem kleinen Bach. Als sie seinem Verlauf mit den Augen folgte, entdeckte sie, dass er in einen See mündete. Sie hatte tatsächlich den richtigen Weg gefunden.

Mit schnellen Schritten lief Mimei am Ufer entlang und gelangte dann zur Mündung des Flusses. Gedankenversunken betrachtete sie diese Stelle. Hier hatte sie Louis zum ersten Mal getroffen. Hier hatte ihre Beziehung begonnen, der das Schicksal solch ein grausames Ende bereitet hatte.

Als Mimei an dem See stand, öffnete sie den Rucksack und zog die Urne hervor. Sie war schlicht schwarz, nur am Deckel war ein Muster aus dünnen weißen Strichen zu sehen. Mit dem Gefäß in der Hand stand Mimei auf und blickte über den kleinen Waldsee. Eine sanfte Brise wehte durch ihr kurzes Haar. Mimei hob den Deckel der Urne an und ließ ihn auf den Boden fallen. Dann griff sie mit einer Hand hinein und nahm etwas Asche heraus. Ohne zu zögern streute sie diese in die Luft. Der Wind ergriff die einzelnen Partikel und wehte sie sanft durch die Luft.

„Mach's gut, Louis“, flüsterte Mimei wehmütig. „Du warst ein viel besserer Mensch, als einige von uns es je sein werden.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Engel-Lilith
2009-09-25T18:57:37+00:00 25.09.2009 20:57
OMG ist die Geschichte schön. So schön traurig. *sniff*
Kann die Gefühle der Beiden zwar nachfühlen, wäre aber noch schöner wenn du sie noch ein wenig intesiver beschreiben würdest.
Ansonsten gefällt mir die Geschichte sehr gut. Ist zwar traurig, dass er stirbt, aber das macht es um so realistischer.

Grüßle Engel-Lilith
Von:  Varlet
2009-06-01T18:39:00+00:00 01.06.2009 20:39
Hallo,

ich finde die Geschichte im großen und ganzen recht gut geschrieben. Du hast einen wunderbaren schreibstil und beschreibst die Dinge und Angelegenheiten wirklich gut. Es ist das, was ich ich sehr gerne sehen, auch sind dir die Charas gut gelungen, allerdings hab ich mich an einigen Stellen gefragt, warum sie das gerade machen...naja... und sonst sind paar kleine Holpler drinne, die allerdings nicht schlimm sind.
Was mir auch aufgefallen ist, ist dass die Stimmung im Kapitel irgendwie sehr zu wünschen ließ. Es war schön beschrieben, das ist mir klar, aber es ist mehr ein lesen und kein spüren dabei. Wenn ich eine FF lese, die so ein Thema hat, wie deines, dann möchte ich gern stellen haben, die mir gänsehaut bereiten oder doie das gewisse Etwas haben. Vielleicht solltest du das einfach mal ausarbeiten, damit es nicht so Klischeehaft wird.
Ansoinsten ist es aber ein netter Anfang.
Von:  SailorTerra
2009-05-10T16:23:39+00:00 10.05.2009 18:23
Leider kann ich mich den Vorkommentatoren nicht anschließen.
Die Idee ist gut, aber die Umsetzung lässt zu wünschen übrig.

Du schreibst sehr nüchtern, was sich vielleicht für eine Vorgehensbeschreibung eignet, aber nicht für eine Geschichte, die eigentlich so viele Gefühle enthält. Wenn es meine Geschichte wäre, wäre sie vermutlich mindestens 20 Seiten lang geworden, damit es einem gelingt den Leser zu fesseln und ihm klar zu machen, was die beiden fühlen. Denn du sagst nur, was sie fühlen, du lässt es aber den Leser nicht fühlen, zumindest mich nicht.

Was mich eigentlich am meisten störte, war dass der Hauptteil irgendwie sinnfrei vor sich hin plätschert. Du wirfst dem Leser nur ein paar Informationen zu, die total nebensächlich sind und zum Gesehen rein gar nichts beitragen. Du hättest dir den Französischkurs, das große geerbte Haus und auch die Tatsache schenken können, dass Mimei Vampirjägerin ist... in deiner Geschichte interessiert das nicht, es sind einfach nur unwichtige Informationen. Hättest du diese Dinge irgendwie aktiv in die Geschichte eingebaut, wäre das wirklich förderlich gewesen.
Auch eine Szene, wie der Vampir Mimei Frühstück gemacht hätte, hätte dazu beitragen können, dass die Leser eher mitfühlen... zumindest beim Schluss.
Ja, das ist eigentlich der einzige Tipp, den ich dir geben kann: lerne besser Gefühle rüberzubringen.
Von:  Venedig-6379
2007-07-03T12:14:23+00:00 03.07.2007 14:14
Soooo, jezt kommt ein Kommi von einer der beiden Hauptpersonen der Story *räusper* ^_^

Achja, die Geschichte ist sooooo wunderschön, sie berührt mich zutiefst. ICh finde es unendlich traurig, dass er sterben musste, aber ich kann beide ziemlich gut verstehen, und ich denke, dass gerade sein Tod der Geschichte Tiefgang gegeben hat.

Woher wusstest du, dass ich auf Typen mit weißer Haut, langen schwarzen Haaren und roten Augen stehen (wahlweise blau..) ?? Ich schwärme wohl zuviel.
Ja. Du hast mich verdammt gut getroffen. (Wie unheimlich... ich bim zu leicht zu durchschauen) Ich singe gern und ich mische mich ein, um anderen gnadenlos zu helfen. Und ich stelle mich völlig aus dem Kontext heraus vor... o.O
Ich liebe Bishis! Und Vampir! Und besondes Vampirbishis! ^o^
Und ich sehe solchen schönen Männern vieles nach, selbst wenn sie Vampire sind. (Nicht, dass ich mir alles gefallen lasse. Es gibt ja auch Bishis, die ich nicht leiden kann......was für eine Verschwendung, wenn Bishis nur außen schön sind und nicht auch im Herzen).

Würde ich ihm wirklich verzeihen, wenn er mich tötet? Nun..... da ich ohnehin gestorben wäre, dann sicher, ... aber ich denke, wenn ich sein Angriff schäwcher ausgefallen wäre, sodass ich so oder so überlebt hätte, dann wäre ich enorm enttäuscht gewesen. Ich glaube aber, dass ich so - wie er sich für mich geopfert hat - erstmal sehr wütend gewesen wäre. So etwas Schönes darf doch nicht sterben!

Die schrecklichste Szene (mal abgesehen von seinem Tod) ist die, in der er sich die Haare abgeschnitten hat... (ich dachte nur "NEEEEIIIIN!", was für eine Schande).

Wann hatte ich jemals kurze schwarze Haare? (Zumindest schwarze?) Egal.
Und ein kleiner Rechtschreibfehler ist drin... irgendwo auf er zweite Seite steht "war" statts "warf"... zumindest passt es dann besser.

Aber mal von den oberflächlichen Sachen abgesehen.
Ich mag die Geschichte, sie ist sehr dicht geschrieben. Und ohne jedes Rumgeplänkel kommt trotzdem alles Wichtige rüber. Und sehr intensiv.

Dies ist wirklich eine der besten FanFics, die ich je gelesen habe! Arigatou! (allein schon dafür, dass du dir die Mühe gemacht hast, soetwas tolles für mich zu schreiben).

lg, Mimei
Von:  Jitsch
2007-05-10T11:13:59+00:00 10.05.2007 13:13
Ich bin sprachlos. Du hast eine wunderbar realistische Geschichte geschrieben, deren Story total realistisch ist und wo man die Gefuehle der Charaktere richtig verstehen kann. Was mir vor allem gefaellt ist auch der Schluss, und ueberhaupt, alles. Das ist super!!! Du hast ein Talent fuer Kurzgeschichten ^^ Wie hast du dir das bloss ausgedacht?
Irgendwie finde ich dieses "Bishounen" ziemlich typisch Mimei, das ist super. Ueberhaupt sind die Charaktere cool. Woah, ich kann echt nichts mehr dazu sagen...

Puh. Das war jetzt nichts als Lob. Ich hab auch nur einen Kritikpunkt und das waere das mit dem Spiegel, weil naemlich Vampire doch eigentlich kein Spiegelbild haben... Na ja, ich glaube das ist aber letzten Endes nicht wichtig. Ich find die Moral am SChluss supertoll und ueberhaupt die letzte Szene *.*

Jitsch*


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