Zum Inhalt der Seite

Stadt der Engel

Schatten und Licht, Band 1
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Pflichterfüllung

Merle lag allein in der beklemmenden Dunkelheit ihres freiwillig gewählten Gefängnisses. Nur das Rattern der Räder unter ihr unterbrach im schnellen Takt die unheimliche Stille um sie herum. Ihr eigener Atem schlug ihr gegen die Nase. Die Luft wurde dicker. An ihren Fingern spürte sie den kalten Stahl ihrer Dolche. Natürlich konnte sie jederzeit aus dem Getreidesack ausbrechen und wieder zurück laufen, in die sichere Villa De Farnel, in der sie ein kleines Zimmer mit Blick auf die Stadt hatte.

Ja, sie konnte sogar jederzeit ihren Job an den Nagel hängen und wieder das kleine Mädchen sein, das sie einst war. Van würde ihr auch so ein Zuhause geben, wenn sie keinen Nutzen für ihn hatte. Dann würde es keine Pflichten mehr für sie geben, keine Gewalt und kein Tot. Sie könnte in Ruhe leben, stets an der Seite von Van sein und weiterhin als das kleine Mädchen ihr Dasein fristen. Merle schüttelte den Kopf. Solche Gedanken waren kontraproduktiv und störten sie nur bei der Erfüllung ihrer Verantwortung. Einer Verantwortung, um die sie förmlich gebettelt hatte, weil...

Ja, warum eigentlich?

War es, weil Van Hilfe gebraucht hatte? Hatte sie es nicht mehr mit ansehen können, wie er langsam und qualvoll unter den vielen Lasten zerbrach? Hatte sie sich selbst davon ablenken wollen? Hatte sie nur einfach nicht mehr hinsehen wollen?

Nein, das war nicht der Grund dafür gewesen, entschied Merle. Sie wollte einfach nur stärker werden, so dass sie im Ernstfall sich selbst beschützen konnte, um Van zumindest eine Bürde abzunehmen. Das war der Grund dafür gewesen und kein anderer. Nur deswegen hatte sie um einen Auftrag gebeten und nur auf ihre Bitte hin hatte sie auch einen bekommen.

Merle lachte bitter über ihre eigene Naivität von vor drei Jahren. Van hatte ihr befohlen einen Zaibacher Spion zu fangen, der sich angeblich nach dem Fall des Zaibacher Reiches in Farnelia unter das noch umherziehende Volk gemischt hatte und nun mit ihnen in die Stadt gekommen sei. Natürlich hatte Van alles erfunden. Er hatte sie ohne Einweisung und Anhaltspunkte in die Stadt geschickt, um einen Spion zu suchen, der eigentlich gar nicht existierte. Er hatte sie nur ablenken wollen.

Die Ironie an der ganzen Sache war, dass es tatsächlich einen Spion unter den nach Hause kehrenden Flüchtlingen gegeben hatte. Nur durch Zufall und nach einer langer Suche hatte Merle dies in Erfahrung gebracht. Bei der Ergreifung hatte sie ebenfalls nur Glück gehabt. Mit einen Schmunzeln auf ihren Lippen erinnerte sie sich an den fassungslosen Ausdruck in Vans Augen.

Kurz darauf hatte ihre Ausbildung begonnen. Van hatte ihr einige Fähigkeiten beigebracht, die er von Hitomi gelernt hatte, und er war der ideale Partner bei den Kampfübungen gewesen, doch die eigentliche Ausbildung fand noch immer unter Gesgan, den gefangenen Spion, statt. Von ihm hatte Merle ihr Handwerk gelernt. Dank ihm konnte sie auf sich selbst aufpassen und ganz nebenbei die Leibwache ihres Königs leiten, welche dafür zuständig war, mörderische Ratten aus ihren Löchern zu treiben.

Der Wagen, auf dem Merle in einem Getreidesack lag, hielt plötzlich und abrupt an. Für einen Moment war Merle überrumpelt und zog daraufhin eine Grimasse. Eigentlich hätte sie merken müssen, dass die Luft um sie herum besser geworden war. Sie musste noch viel lernen.

Eine Zeit lang geschah nichts, dann hörte Merle, wie zwei Schwerter aus ihren Scheiden gezogen wurden. Verflucht, dachte sie, es muss so eine Art Signal geben, dass die kommende Ware als unbedenklich deklariert. Nun, da sie aufgeflogen war, schnitt Merle blitzschnell mit den Dolchen durch den Stoff des Sackes. Aus ihrem Gefängnis befreit rollte sie instinktiv zur Seite. Dort, wo sie noch eben gelegen hatte, schnitten zwei Klingen durch das Holz.

Schnell und entschlossen stürmte Merle auf die beiden Wachen zu und zwang sie deren Schwerter, die sich im Wagen verkeilt hatten, loszulassen. So überrumpelt wie die Männer waren, war es für Merle ein Leichtes, sie mit einem Tritt und einem Schlag gegen ihre Hälse auszuschalten. Daraufhin fesselte Merle die beiden mit einem herumliegenden Seil. Die Kopfgeldjäger waren schlampig gekleidet, unrasiert und stanken erbärmlich, doch sie waren gut ausgerüstet. Es kostete Merle viel Zeit ihnen wirklich alle Waffen abzunehmen, da sie auch versteckte bei sich trugen. Den Rest des aufgerollten Seiles streifte sie über ihre Schulter und sah sich um.

Sie schien in einer Höhlenkammer zu sein, die von zwei Fackeln beleuchtet wurde. An den Wänden stapelten sich Kisten und Fässer aller Art. Es gab außer dem Tunnel nur einen anderen Ausgang, der in einen dunklen Gang mündete. Merle überlegte, was sie jetzt tun sollte. Sie wusste nicht, wie groß das Höhlensystem vor ihr war. Und ohne Referenzpunkte konnte sie die Entfernung einer Aura nicht abschätzen. Es konnten aber nicht mehr viele Feinde in diesem Versteck sein.

Da sie jetzt schon einmal hier war und weglaufen keine Option war, wagte sie sich in die Dunkelheit. Vom anderen Ende des Ganges sah sie plötzlich Fackellicht. Schnell und leise zog sie sich in die Kammer, aus der sie gekommen war, zurück. Sie presste sich neben den Eingang an die Wand. Deutlich konnte sie spüren, dass vier Personen näher kamen. Nach den Geräuschen zu urteilen waren sie schwer gepanzert, folglich also auch schwer bewaffnet.

Merle überlegte fieberhaft. Sie konnte nicht alle vier besiegen, ohne dabei deren Leben zu schonen. Sie würde mindestens zwei vorher aus dem Hinterhalt töten müssen. Ihr Plan stand fest.

Geschickt kletterte sie die Höhlenwand hinauf, wobei sie ihre Krallen zum besseren Halt in Felsspalten grub, und wartete ab. Nach ein paar Minuten kamen zwei leichtbewaffnete Kopfgeldjäger in die Kammer, die nach beiden Seiten hin aus schwärmten. Ein dritter lief direkt zu den Bewusstlosen. Die vierte Person, die eintrat, war schwer gerüstet und mit einer geladenen Armbrust bewaffnet. Angesichts seiner kunstvollen Rüstung staunte Merle nicht schlecht. Was machte ein Mitglied der königlichen Leibwache von Astoria hier in diesem schmutzigen Versteck von Kopfgeldjägern?

Natürlich hatte Merle eine Vermutung, doch die gefiel ihr überhaupt nicht. Was sie brauchte, war weitere Information und die konnte sie nur bekommen, wenn sie die Männer unter ihr unschädlich machen konnte.

Sie zog ihre Kralle ein. Im Fallen drehte sie sich um 180 Grad und zog dabei zwei Wurfmesser. Sie landete sicher mit dem Gesicht zu ihren Gegnern und warf die Messer auf die Kopfgeldjäger links und rechts von ihr. In den Nacken getroffen sanken diese leblos zu Boden. Verdutzt, doch keineswegs geschockt, drehte sich die Leibwache zu ihr um mit der Armbrust im Anschlag. Ehe er diese jedoch abfeuern konnte, schlug Merle die Armbrust mit ihrem linken Unterarm zur Seite. Dann drosch sie ihm ihren rechten Ellenbogen in seine ungeschützte Schläfe. Die Wache brach zusammen. Der letzte Kopfgeldjäger kam mit gezogenem Schwert auf sie zu gerannt, doch Merle wollte sich nicht mehr die Mühe machen und streckte ihn mit einem Wurfmesser aus sicherer Entfernung nieder.

Die nur bewusstlose Leibwache aus Astoria fesselte Merle mit dem Rest des Seiles, nachdem sie auch bei ihm eine Leibesvisitation durchgeführt hatte. Sämtliche Waffen und seine Rüstung legte sie auf den Wagen zusammen mit einer Notiz, auf der Befehle standen. Das alles schickte sie über den Karren zurück nach Farnelia. Danach machte sie sich auf um den Rest der Höhlen zu sichern. Nach hundert Meter beklemmender Dunkelheit und mehrerer Kurven kam sie in eine große, erleuchtete Kammer, in der ein Luftschiff vor Anker lag. Das Mädchen traute ihren Augen nicht.

Wie konnte ihr nur die Existenz eines ganzen Luftschiffes entgangen sein. Ihr fiel auf, dass ein Vorhang vor der Kammer gespannt war. Vorausgesetzt auf der anderen Seite des Stoffes war ein Abbild der Felsen, aus denen die Schlucht bestand, so war dieser Vorhang der perfekte Schutz vor neugierigen Blicken. Dennoch blieb die Frage offen, wie das Schiff ungesehen hierher geschafft worden war. Mindestens ein halbes dutzend fahrende Händler hätten es während des Fluges sehen müssen und Gerüchte dieser Art verbreiteten sich recht schnell.

Da sie am Ende der Höhle angekommen war, suchte Merle noch einmal nach Lebensformen, doch bis auf die bereits gefangenen gab es keine. Erleichtert atmete sie auf, dennoch bewahrte

sie ein gewisses Maß an Vorsicht, als sie das Schiff betrat.

Eilig begann sie damit, das Quartier des Kommandeurs zu durchsuchen. Nach dem Logbuch zu urteilen, war die Leibwache des Königs von Astoria dieser Kommandeur gewesen. Sie fand jedoch keine schriftlichen Befehle, nichts deutete auf den Zweck dieser Operation hin. Da jedoch Hitomi offensichtlich das Ziel dieser Truppe gewesen war, bestätigten sich die Befürchtungen von Merle. König Aston hatte noch immer reges Interesse an Hitomi, worin dieses auch immer begründet sein mochte.

Sie sah sich weiter um. Wenn sie etwas finden könnte, dass die Verbindung nach Astoria belegen würde, könnte man König Aston vor dem Rat der Alliierten unter Druck setzen, doch die Rüstung war kaum Beweis genug. Was sie brauchte, waren offizielle Briefe, Urkunden oder Ausweise, irgendwas, doch sie fand nichts dergleichen. Das Logbuch enthielt nicht einmal eine Beschreibung des zurückgelegten Kurses. Es war zum aus der Haut fahren. Händeringend fand sie sich mit ihrer Niederlage ab.

Die einzigen verbliebenen Informationsquellen waren die Gefangenen, doch die zu verhören war nicht ihre Aufgabe. Alles was sie jetzt noch tun konnte, war Van die Nachricht über ihr Scheitern mitzuteilen. Mehr nicht.

Warum fühlte sie sich plötzlich wieder so hilflos?

Ihre Gedanken abschüttelnd trat Merle zur Höhle hinaus um die Wachsoldaten, die sie angefordert hatte, einzuweisen. Vielleicht gab das Luftschiff bei einer genaueren Untersuchung doch den einen oder anderen Beleg preis.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Doena
2010-11-22T20:48:16+00:00 22.11.2010 21:48
das mit dem schiff klang ja ein bisschen wie bei dem Crusador von Allen.
Oh mann möchte doch enlich mal hoffen das Van endlich auftaucht ^^


Zurück