Zum Inhalt der Seite

Die Familie der Drachen

Zwölfter Teil der mehrteiligen Drachensaga
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 16 bis 20

Chapter 16
 

Der Polterabend ohne Polter ging dann noch bis etwa Mitternacht, bevor die Familien sich auf den Weg zurück nach Hause machten. Bis auf Nikas Mutter, welche im Gästeflügel der Villa übernachtet hatte und nun erst mal planen musste, wie es mit ihrem Mann weiterging. Doch da die Taylor ihr über Tristan noch mal ihre vollste Unterstützung zugesichert hatten, würde sie mit Sicherheit nicht alleine dastehen.

Und Enrico und James fanden auch ein Plätzchen zum Schlafen in der Villa, denn die beiden hatten so dermaßen einen über den Durst getrunken, dass sie nicht mal mehr wussten, in welchem Hotel sie eigentlich abgestiegen waren.
 

Nun kamen sie aber in die spannende Zeit. Nur noch ein Tag zur Vorbereitung und morgen Mittag würde dann geheiratet werden. Es gab viel Arbeit, aber zuerst wurde mal ausgeschlafen.

Bis auf Noah, der sich keine Pause gönnte.

Leider schon wieder.

Der saß schon ganz früh in der Küche, noch bevor alle anderen überhaupt nur ans Aufstehen dachten. Mit einem starken Kaffee an seiner Seite zog er sich schon so früh die Ausdrucke der trockenen Berichte aus seinen gestrigen Mails rein, bevor er gleich los musste.

„Oh, du bist schon auf?“ Noch jemand, der früh hoch war.

Seth kam herein und hatte gar nicht erwartet, hier schon jemanden zu treffen, bevor sich die Sonne überhaupt ganz ans Aufgehen machte.

„Hm“ erwiderte Noah nur kurz, wischte sich über die Augen und sah nicht mal von seinem Papier hoch.

„Das riecht ja nach Kaffee. Ich dachte, du trinkst nur Tee. Ist auch noch ein Becher für mich übrig?“

Noah wies wortlos nur zur Seite auf die Kaffeemaschine, wo bestimmt noch ne halbe Kanne drin war. Das sollte ja wohl reichen.

Etwas müde noch, schenkte Seth sich seinen feuerroten Lieblingsbecher voll und setzte sich gegenüber von dem frühen Vogel, der noch immer nicht aufsah.

Seth duckte sich ein wenig und wollte einfach nur mal schauen, was Noah da las, aber da entdeckte er dicke Tropfen auf dem Papier, welche die Tinte verschwimmen ließen.

„Noah?“ fragte er ganz vorsichtig. „Weinst du?“

„Nein, mir tränen nur die Augen“ antwortete er, auch wenn seine Stimme nicht wirklich überzeugend klang. Er wischte sich noch mal über die Augen, um das salzige Wasser loszuwerden und setzte sein standardisiertes Lächeln auf. Aber zu seinen roten Augen passte das nicht wirklich.

„Was ist denn los?“ hakte er besorgt nach und ging um den Tisch herum, um ihn in den Arm zu nehmen.

„Nichts. Wirklich“ beteuerte Noah, aber an Seth kam keiner vorbei. Er setzte sich neben ihn und schloss ihn einfach in den Arm.

Er hielt ihn ganz fest und spürte, wie fertig der Arme war. Ob das nun von der vielen Arbeit kam oder von einer Krankheit, war schwer zu sagen. Auf jeden Fall ging es ihm nicht so gut wie sonst. Er hatte kaum Spannung, eher Verspannung und fühlte sich doch so matschig an.

„Noah, was ist los?“ wollte er noch mal wissen und wischte ihm die neuen Tränen fort. „Es sieht dir nicht ähnlich, so traurig zu sein. Ist es die viele Arbeit?“

„Nein, es ist nur ... ich bin nicht so gut drauf. Ich weiß auch nicht.“

„Vielleicht wirst du krank.“

„Nein. Es ist alles okay. Ich kann es nicht sagen ... ich bin einfach nur ein bisschen geschafft. Wahrscheinlich zu wenig Schlaf letzte Nacht.“

„Nur deswegen weint man aber nicht gleich“ erwiderte Seth ganz richtig. „Das ist mir gestern Abend schon aufgefallen. Nach dem Auftritt von Mrs. Amon hast du dich mit deinem Drink zurückgezogen und die Tischplatte angestarrt. Und jedes Mal, wenn Moki was von dir wollte, hast du ihn abblitzen lassen. Wir wissen ja, dass du gestresst bist, aber jetzt mache ich mir Sorgen um dich.“

„Brauchst du nicht. Ich muss mir nur mal einen Tag frei nehmen. Dann geht es wieder. Es ist nichts.“

„Noah“ schaute er ihn durchdringend an. „Ich will deine Gedanken nicht lesen, aber das sieht ein blinder mit nem Krückstock, dass dir was auf der Seele brennt.“

„Es ist nur ... als ich sie gestern so gesehen habe ...“ stammelte er und wollte sich das eigentlich selbst nicht richtig eingestehen. Doch unter Seths Blick fühlte er sich fast so nackt wie unter dem von Sethos gestern Abend. Dieses Gespür für andere Menschen, war doch wirklich manchmal unheimlich.

„Wen denn? Noah, was ist los?“ Noah und Traurigkeit passte eigentlich nicht zusammen. Und auch nicht, dass er etwas verbarg. Das war nicht seine Art.

„Ist dir eigentlich aufgefallen, dass ich der Einzige bin, der keine Familie mehr hat?“

„Das ist doch nicht wahr“ tröstete er sofort entschieden. „Du hast doch Seto und Mokuba. Deine Brüder.“

„Aber sie sind doch nur adoptiert. Und mittlerweile komme ich mir vor, als hätten sie mich adoptiert. Jeder hat irgendwen und ich? Ich habe keinen einzigen Verwandten mehr, der bei mir ist.“

„Aber Noah, das ist ...“

„Jeder, Seth. Jeder hat irgendwen. Du hast deinen Bruder und hast bei den Taylors zugeheiratet UND du hast eine Tochter. Seto hat Mokuba, Yugi hat seinen Opa, Joey hat seine Schwester und beide Eltern, Nika hat ihre Mama zurück, Tea hat auch noch Eltern. Jeder hat irgendjemanden, nur ich nicht. Ich hab überhaupt keine Familie mehr.“

Das war es also, was ihm auf der Seele lag. Noah war der einzige, der keinen Verwandten mehr hatte. Niemanden, den er zu einer Familienfeier einladen konnte. Natürlich fühlte er sich einsam, wenn alle eine Familie zum Einladen hatten und nur er sich wie adoptiert vorkam, obwohl er der einzige gebürtige Kaiba war..

„Das ist doch Unsinn, Noah“ meinte Seth, der das aber durchaus gut verstehen konnte. „Sieh doch mal Atemu. Er hat doch auch keine Familie mehr.“

„Aber er hat Yugi. Das ist das Gleiche. Ich hab doch gesagt, es ist nichts. Ich sollte das wieder vergessen.“

„Weißt du eigentlich, dass Stress auch auf die Psyche schlägt?“ fragte er dann ganz bitterernst. „Noah, ich würde sagen, du bist ausgebrannt. Normalerweise würde dir so etwas gar nichts machen. Du würdest nicht mal daran zweifeln, dass Seto und Mokuba wirklich deine Brüder sind. Ich glaube, du hast ein Burnout und das bringt meistens auch Depressionen mit sich. Du solltest etwas kürzer treten.“

„Das geht im Moment nicht. Ich habe so viele Sachen am Laufen. Wenn alles vorbei ist, werde ich mal die Beine hochlegen. Jetzt finde ich da keine Ruhe für.“

„Denkst du oft an deine Familie?“ horchte Seth ganz lieb. Vielleicht brauchte Noah auch einfach nur mal jemanden zum Reden. Über Sachen, die er mit Mokuba nicht besprechen wollte, denn von Gozaburo war der nicht so begeistert - und doch hatte Noah seinen Vater geliebt. „Was ist mit deinem Vater? Denkst du manchmal an ihn?“

„Sag es bitte nicht den anderen, aber ... ja, ich denke oft an ihn“ gestand er leise voller Schuldbewusstein und lehnte sich fast ungewollt dich an Seths breite, warme Schulter, die er ihm eben dazu hinhielt. „Ich weiß, dass er Seto und Mokuba schlecht behandelt hat, aber zu mir war er immer korrekt. Gut, er war niemals besonders herzlich und er hat mich nie in den Arm genommen oder mich abends zugedeckt. Aber er hat sich um meine Ausbildung gekümmert. Alles war reine Erziehung ohne Gefühle, das hat er gemacht. Bei schwierigen Sachen überlege ich häufig, wie er das gemacht hätte. Auch wenn es niemand verstehen kann ... verdammt, er war doch mein Vater. Ich wünschte, ich könnte ihn hassen, aber so weit geht meine Solidarität nicht. Ich kann doch meinen Vater nicht hassen für Dinge, die er mir niemals getan hat.“

„Das verlangt auch niemand, dass du deinen Vater hassen musst.“

„Aber niemand hat eine gute Meinung von ihm. Ich weiß ja, dass er ein Menschenfeind und ein Betrüger, ein gnadenloser Mensch war, aber er war mein Vater. Ich kann doch meine Gefühle für ihn nicht abstellen.“

„Das verlangt niemand von dir, Noah. Wirklich niemand.“ Aber er konnte es verstehen, dass er nicht über seinen Vater sprechen konnte. Gozaburo war ein schrecklicher Mensch gewesen, grausam und unnachgiebig. Er hatte Noah sogar im CyberSpace einfach zurückgelassen - aber er war trotzdem sein Vater. Und über diese Gefühle konnte er mit niemandem sprechen, weil er wohl Angst hatte, man würde ihn nicht verstehen. Für gewöhnlich schien Noah auch niemals Probleme damit gehabt zu haben, aber wenn seine Nerven eh schon angeschlagen waren, fielen manche Dinge eben schwerer als sonst.

„Gestern habe ich nach langer Zeit wieder an meine Mutter gedacht“ erzählte er und sank ungewollt tiefer in Seths warmen Armen ein.

„Und? Woran denkst du, wenn du an sie denkst?“

„Sie war so wunderschön“ flüsterte er. „Sie hat immer gut gerochen und ihr Haar hatte so kleine Locken, wenn es geregnet hat. Abends hat sie mir etwas vorgesungen und sie blieb immer da, bis ich eingeschlafen war. Sie war so lieb und ... ich vermisse sie, Seth. Ich vermisse sie sehr. Mehr als alle anderen Menschen. Und dabei erinnere ich mich kaum noch an ihr Gesicht.“

„Ja, das kann ich verstehen“ nickte er und ließ Noah einfach weinen. Der Arme war total fertig mit den Nerven und die Familienfeier gestern musste eine Qual für ihn gewesen sein, obwohl er sich so sehr engagiert und sich selbst für Nika und ihre Familie eingesetzt hatte. Aber ihm fehlte nun mal seine Familie und seine momentane Überlastung tat ihr übriges. „Woran ist deine Mutter denn gestorben? Wenn ich das fragen darf.“

„Es war ein allergischer Schock. Weißt du, sie hat so gerne gegärtnert. Sie war so stolz auf ihre Rosenbüsche. Der Arzt sagte, sie habe sich an einem Dorn gestochen und ist dann mit den Chemikalien des Bodendüngers in Kontakt gekommen. Man hat sie tot im Garten aufgefunden.“

„Und außer ihr und deinem Vater hattest du keine Verwandten? Was ist mit deinen Großeltern?“

„Meine Großeltern sind schon tot und On... nein, ich hab keine Verwandten mehr.“

„Onkel wer?“ Seth konnte man auch nichts vormachen. Der hörte besser zu als einem lieb war. „Du wolltest doch etwas sagen eben.“

„Nein, ich hab keine Verwandten mehr. Es ist ...“

„Noah“ bat er inständig und drückte ihn so fest, dass er sich einfach nicht verlassen fühlen durfte. „Du musst nicht darüber sprechen, aber wenn dich etwas beschwert, dann friss es nicht in dich hinein. Bitte tu uns das nicht an.“

„Ich hab noch einen Onkel“ erzählte er dann und schlug den traurigen Blick nieder auf seine ringenden Hände. „Onkel Gordon ist der jüngere Bruder meines Vaters. Als ich noch klein war, waren wir viel zusammen. Ich habe ihn häufig besucht und er mich. Es kam mir vor, als sei er mein bester Freund. Er hat mir damals beigebracht, wie man richtigen Tee kocht. Mein Vater hatte niemals viel Sinn für die schönen Dinge des Lebens, aber Onkel Gordons Blick war immer so voller Liebe. Er war immer das, was ich bei meinem Vater vermisst habe. Aber irgendwann ist er nicht mehr zu Besuch gekommen. Und ich durfte ihn auch nicht mehr besuchen. Ich war damals acht oder neun, als seine Besuche aufhörten. Das war kurz nach dem Tod meiner Mutter. Mein Vater sagte mir, er sei ins Ausland gezogen und wolle wegen eines Streits nichts mehr mit uns zu tun haben. In dieser Zeit habe ich mich sehr an meinem Vater festgehalten, denn er war der einzige Mensch, der noch da war. Ich wollte alles für ihn tun, damit er mich nicht auch verließ.“

„Hast du ihn denn nie gesucht?“ hakte Seth nach. „Deinen Onkel Gordon meine ich. Du hast doch jede Menge erforscht, während du im Internet fest hingst. Hast du niemals den Wunsch, wieder Kontakt zu ihm aufzunehmen?“

„Doch, natürlich habe ich nach ihm gesucht. Er ist nach Kanada gezogen, aber mehr weiß ich nicht. Nach so vielen Jahren ... ich kann doch nicht einfach bei ihm auftauchen und sagen ‚Hallo! Da bin ich!’ Das geht doch nicht.“

„Warum denn nicht?“ ermutigte Seth ihn. „Er hat sich doch nicht mit dir gestritten, sondern mit deinem Vater. Da kannst du doch nichts für.“

„Nein, ich ...“

„Noah, wenn es dir so wichtig ist, dann versuche es doch einfach. Seine Adresse rauszukriegen, dürfte doch wohl kein Problem sein. Wenn es noch Bruchstücke von deiner Familie gibt, dann sei doch glücklich. Woher willst du es denn wissen, wenn du es nicht versuchst?“

„Es sind so viele Jahre vergangen. Ich weiß ja nicht mal, ob er überhaupt noch in Kanada wohnt. Ich hab auch lange nicht an ihn gedacht bis ... bis gestern Abend.“

„Wenn du es möchtest, dann kontaktiere ihn doch“ ermutigte er ihn weiter. „Mehr als dich wegschicken, kann er ja nicht. Und wenn er vielleicht genauso denkt? Wenn er auch denkt ‚ach, so viele Jahre’? Du kannst es doch nicht wissen. Schreibe ihm doch einen Brief. Du musst ihn ja nicht gleich anrufen.“

„Ich habe keine Zeit, ihn zu kontaktieren. Es liegt so viel an im Moment. Ich habe jetzt keine Zeit. Die Tarifverhandlungen, die vielen Neugründungen, die neuen Finanzgesetze, Mitarbeiterentwicklung, Produktausrichtungen ...“

„Dann vielleicht, wenn deine heiße Zeit vorbei ist“ unterbrach Seth. „Wenn du wieder etwas Ruhe hast, dann denke doch in Ruhe darüber nach. Und nach einem richtigen, echten Urlaub geht es auch deiner Psyche wieder besser. Mit so einem Burnout ist nicht zu spaßen. Frag Enrico, der wird dir das auch bestätigen.“

„Reicht mir schon, dass Mokuba an mir rumdoktort“ seufzte er. Mokuba lief den ganzen Tag hinter ihm her und verlangte, dass er sich frei nahm. Aber wie denn, wenn gerade jetzt im Moment so wichtige Saisonverträge anstanden? Er hatte jetzt einfach keine Zeit für freie Zeit.

„Aber schröpfe dich nicht so viel, ja?“ bat er dennoch streng. „Deine Kondition ist auch nicht unbegrenzt. Du bist nur ein Mensch, Noah.“

„Bitte erzähl keinem, was ich dir gesagt habe“ sagte er und sah ihn traurig an. „Ich will nicht, dass sich alle in meine Sachen stecken.“

„Wenn du Kontakt zu deinem Onkel möchtest, ist das nur deine Sache“ nickte er verständnisvoll. „Ich würde auch nicht wollen, dass mir jeder reinredet. Nimm dir Zeit dafür und wenn du jemanden brauchst, dann bin ich immer für dich da. Das weißt du aber, nicht wahr?“

„Ja, das weiß ich. Danke, Seth“ seufzte er und drückte ihn noch mal, bevor er ihn losließ und seinen mittlerweile kalten Kaffee herunterschüttete.

„Sag doch was, dann wärme ich ihn dir auf“ lachte Seth, als Noah angewidert das Gesicht verzog. Wem schmeckte schon kalter Kaffee und dann auch noch, wenn man eigentlich Teeliebhaber war?

„Warum bist du überhaupt so früh auf?“ fragte er dann lieber im Gegenzug. „Halb sieben Uhr ist doch keine Zeit für einen Langschläfer wie dich.“

„Lela hat mich geweckt“ lächelte er. „Ich weiß gar nicht, was sie wollte, denn sie ist gleich wieder abgedüst. Im Sommer ist sie ja immer gar nicht drin zu halten. Wahrscheinlich wollte sie nur hallo und guten Morgen sagen. Ich dachte mir dann, ich mache mich etwas frisch und bringe Atemu Frühstück ans Bett. Da freut er sich sicher drüber.“

„Ja, kommt ganz drauf an, was du ihm auftischst.“

„Och, ich dachte da an ... mich?“ zwinkerte er mit seinem frechen Auge.

„So so“ lächelte er zurück. „Und mit was bestrichen? Er steht ja auf Senf.“

„Ich steh auf Honig. Also gibt es Honig“ beschloss Seth, trank seinen Becher aus, erhob sich vom Stuhl und griff sich den Honig aus dem Regal, während er seinen Becher in die Spüle stellte.

„Willst du ihn denn schon wecken?“

„Wir haben einen langen Tag voller Vorbereitungen vor uns. Wenn nicht jetzt, wann denn dann? Und du? Hast du Mokuba schon geweckt?“

„Ich hab ihm den Wecker gestellt. Er ist doch alt genug.“

„Es gab mal Zeiten bei euch, da habt ihr euch gegenseitig geweckt“ seufzte Seth doch etwas mitleidig. Er war zwar auch manchmal genervt von Atemu, aber es würde ihm fehlen, wenn man sich morgens nicht mehr lieb oder mit ein paar erotischen Fiesigkeiten wecken kam.

„Diese Zeiten kommen zurück, wenn ich Zeit dafür habe. Ich muss jetzt auch los, damit ich heute Mittag wieder hier bin.“

„Habt ihr eigentlich schon jemanden ausgeguckt, der Yugi ins Hotel fährt? Du hast doch alle Planungen an dich gerissen ...“

„Ich denke, das macht spätestens Roland, wenn ihm einer bescheid sagt. Mokuba will sicher bei Seto bleiben. Da fällt mir ein: Hat den beiden eigentlich jemand gesagt, dass sie heute getrennt werden?“

„Also, ich nicht“ meinte Seth. „Dann sollte das irgendwer mal schleunigst tun.“

„Irgendwer ist aber jemand anderes als ich“ meinte Noah und schob seine Akten zusammen, die er gleich unter den Arm nahm. „Bis später, Sethi!“

„Ja, bis später Noah“ verabschiedete er und schon war Noah auch schon zur Tür raus. „Der muss sich schleunigst frei nehmen“ murmelte er noch zu sich selbst und versank in Gedanken, während er ins Schlafzimmer ging. Noah sah gar nicht gut aus. Ganz blass und seine Augen waren so traurig. Er war wirklich ausgebrannt und total überarbeitet. Aber bevor er seine Verträge nicht unter Dach und Fach hatte, würde er auch keine Erholung finden.
 

Doch seine Gedanken wurden fortgeblasen, als er die Tür öffnete und seinen Geliebten im Bett schlummern sah. Er hatte ja heute Nacht bei seiner Frau geschlafen und so war es ein süßes Bild, wenn er seinen Pharao so vorfand.

Der Sonnenaufgang schien schon durch die hellen Vorhänge und er schlief wie meist im Sommer bei offenem Fenster völlig nackt im Bett. Er hatte es auch mal wieder geschafft und seine Decke runtergeworfen und sich an Seths Kissen geschmust, weil ihm dann kalt wurde, dem kleinen Tollpatsch. Und bei Kälte flüchtete er immer auf Seths Bettseite. Wenn er so dalag, sah er fast unschuldig aus. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen und sein Atem ging so beruhigend gleichmäßig.

>Wie schön er ist< lächelte er in sich hinein und wollte dennoch an die Arbeit gehen, ihn zu wecken.

Behutsam setzte er sich neben ihn in das große Bett, zog sich das Shirt über den Kopf, streifte die leichte Hose ab und schraubte das Honigglas auf. Er senkte den Finger hinein und betrachtete die goldene Masse, welche schon fast wieder heruntertropfte, bevor er sich ein wenig davon erst auf die eine, dann auf die andere Brustwarze schmierte und sich schon darauf freute, wenn das süße Zeug gleich abgeleckt würde.

Den Rest behielt er auf der Fingerspitze und führte ihn langsam an die königlichen Lippen heran.

Zuerst tat sich gar nichts, aber er wusste genau, wie gerne Atemu es hatte, wenn er ihn so weckte.

Das süße Stupsnäschen begann ein wenig zu schnüffeln und nahm den guten Geruch des Honigs auf. In Seths Augen war er noch süßer als der Honig, wenn er seine zarten Nasenfalten so niedlich kräuselte. Er tippte noch mal leicht die Lippen an, welche sich dann gleich verträumt darum schlossen und seine warme Fingerspitze festhielten. Die weiche Zunge spielte um jedes Stück, welches mit süßer Masse beheftet war und raubte sich genießend alles, was sie bekommen konnte.

Aber als Atemus Aufmerksamkeit stieg und er begann unzüchtigen Blödsinn mit seiner Zunge zu machen, da wollte Seth seinen Finger doch gerne wiederhaben.

Er zog ihn heraus und der geweckte Pharao ließ ein wohliges Seufzen hören.

„Guten Morgen, mein Priester“ lächelte er ohne die Augen zu öffnen.

„Guten Morgen, Majestät“ hauchte Seth ihm einen leisen Kuss auf die Lippen. „Seid Ihr gewillt, auch den Rest des flüssigen Goldes zu suchen?“

„Da brauche ich nicht lange suchen. Ich weiß, wo Ihr beliebt, es zu verstecken, mein geliebter Wüstenprinz“ wisperte er und tauchte direkt zwischen seine Arme ab.

Natürlich hatte er sich nicht geirrt. Er wusste immer, wo Seth kleine Überraschungen für ihn bereithielt. Spielerisch schleckte er die Süße von den zarten Knospen, welche sich unter seinen Bemühungen schnell erhärteten und sich ihm gierig entgegenstreckten. An der ersten Station hielt Seth sich ja noch zurück, aber spätestens als er schmatzend an der zweiten saugte, keuchte er entrückt auf und drehte seinen Pharao herum.

Schnell zog er seine Unterwäsche von den Beinen und kniete sich über ihn, um am liebsten sofort über ihn herzufallen - unzüchtige Attacke war also voll erfolgreich.

„Na, du hast es ja eilig heute Morgen, was?“ glühte Yami zu ihn hinauf und griff an die harte Erektion, die ihm sehr gut in der Hand lag. „Und du bist ja schon viel wacher als ich.“

„Magst du dein persönliches Weckkommando nicht?“

„Oh doch, ich liebe es“ betonte er vorfreudig. „Und wie willst du mich noch weiter wecken? Wie wäre es, wenn ich mal wieder dich nehmen darf?“

„Bleib einfach liegen. Der Rest liegt bei mir, Pharao“ stimmte er also zu und seine blauen Augen entbrannten in einem glänzenden Feuer. Seth war in Stimmung und alles, was er jetzt noch wollte, war hier und jetzt unter ihm.

„Ach ja, du bist so gut zu mir“ seufzte Yami, als sein Liebster sich herabbeugte und ihm mit grausamen Lippen einen deftigen Knutschfleck verpasste. Es pochte und erhitzte sich an dieser Stelle und machte sich auch optisch hübsch neben dem Mal vom letzten Gute Nacht sagen.

Der alte Pharao legte zufrieden den Kopf zur Seite und ließ den Oberen einfach machen. Nur liegen und genießen, konnte er gut.

Er liebte Morgensex. Da startete der Tag doch ganz zauberhaft.

Nur leider fiel sein Blick dabei auf die Uhr neben dem Bett und erschreckt musste er feststellen: „Schon gleich viertel vor sieben!“ rief er und war Seth schneller entfleucht als der überhaupt reagieren konnte.

„Ja und?“ fragte der verwirrt, als Atemu ihm unter den Beinen durchflutschte. Er drehte sich um, setzte sich aufs Bett und verstand nicht, warum er jetzt aufsprang und sich die Hose anzog, anstatt mit ihm eine Nummer zu schieben.

„Ich muss doch Yugi wegbringen“ hetzte er und griff noch schnell nach der Haarbürste, um sich seine blondgefärbte Tolle zu bändigen und in einem kleinen Zopf verschwinden zu lassen.

„Atemu? Es ist nicht mal sieben Uhr. Yugi und Seto schlafen noch.“

„Ja eben!“ rief er und krallte sich ein frisches Shirt aus dem Schrank. „Die beiden sollen sich doch einen Tag vor der Hochzeit nicht sehen.“

„Seit wann kümmerst du dich um solche Bräuche, Pharao? In Ägypten wurde nie so ein Heckmeck um eine schlichte Eheschließung gemacht.“

„Weil mir Tea sonst die Hölle heiß macht. Ich bin dafür zuständig, Yugi abzulenken und wegzubringen. Sie sollen sich doch erst morgen zur Trauung sehen. Das steigert die Sehnsucht.“

„Aber Atemu! Ich muss entschieden protestieren!“ schimpfte er enttäuscht. „Was ist denn mit meiner Sehnsucht nach einer Nacht ohne dich? Ich hab doch auch Bedürfnisse. Komm schon. Nur fünf Minuten, dann kannst du gehen. Nur einen Quicky.“

„Ach, ich wünschte, dass ich nicht so verschlafen hätte. Dann hätte ich dich geweckt“ trauerte Yami und trabte zum Bett zurück. Er griff darunter und holte eine große Holzkiste hervor, kramte kurz darin herum, schloss das Ding und schob es wieder unters Bett. „Wir sehen uns später. Und dann erledige ich auch all meine Pflichten zu deiner vollsten Zufriedenheit“ versprach er und küsste seinen Priester - viel zu kurz, wie dieser fand. „Ich liebe dich“ setzte er noch kurz hinzu, drückte ihm einen Vibrator in die Hand und eilte aus dem Raum. Für das Ärgste konnte Seth auch alleine sorgen, bis er später dann etwas ausgiebiger Zeit für ihn fand.

Der arme Teufel sah nur etwas enttäuscht die Tür zufallen und ärgerte sich doch ziemlich.

Hier saß er nun mit einer Latte und einem pochendem Hintern und der Garant für guten Morgensex war soeben verschwunden. Das Leben konnte ja so gemein sein.

„Ach, Atemu“ seufzte er entnervt. „Das kriegst du wieder.“

Aber was sollte es? Musste er eben selbst Abhilfe schaffen.

Er griff sich das Gleitgel, welches zwischen ihren Matratzen steckte, schraubte es auf und befeuchtete den noppigen Vibrator, damit es alles gut flutschte.

Er legte sich auf den Rücken, spreizte die Beine und führte ganz langsam das harte Plastik in sich ein, welches schon ganz verheißungsvoll zu zittern begann.

Ganz langsam glitt er das Ding in sich hinein und bewegte es ein paar Male vorsichtig hin und her, vor und zurück.

Die Hitze stieg in ihm auf, als der den feuchten und etwas kalten Kunststoff in sich fühlte und die kleinen Noppen seine Enge reizten. Mit Atemu war es besser und vor allem war der warm, aber so musste es halt auch gehen. Wenn er jetzt nicht ein paar harte Stöße wie angedroht, bekam, würde er den ganzen Tag unbefriedigt durch die Gegend laufen und seinen Frust an Leuten auslassen, die es nicht verdient hatten.

Eigentlich wollte er ja Seme sein, aber als Atemu ihn mal um Abwechslung gebeten hatte und nun nicht da war ... alleine nahm er auch jegliche Stimulation, die er bekommen konnte.

Und je mehr er den vibrierenden Stab in sich bewegte, je lockerer er selbst wurde und ihm das Blut durch die Ohren rauschte, desto größer wurde seine Lust, die er endlich in leisem Stöhnen in den Raum entließ.

Bis er sich selbst so weit geweitet hatte, dass es nicht mehr wehtat.

Dann griff er sich an seine heiße Erektion und begann sich sofort hart zu pumpen. Mit der anderen Hand stieß er sich immer wieder den festen Stab hinein und suchte nach seinem eigenen Lieblingspunkt. Er hörte sich selbst laut aufkeuchen, als er seine Suche endlich erfolgreich abschließen konnte und erneut darauf zuhielt.

Er pausierte zwischendurch kurz und drückte so fest zu, bis es schmerzhaft wurde. Wirklich richtig schmerzhaft und es ihn selbst quälte - genau wie Atemu ihn gerne ärgerte, wenn er mit seiner Härte in ihn hineinstieß. Dann erst, wenn der Schmerz die Lust fast übertrumpfen wollte, machte er weiter, um seine Erregung noch zu steigern und nach seiner Befriedigung zu suchen. Und ihm hoffentlich einen schnellen Orgasmus zu bekommen, denn warten wollte er nicht mehr.

Seine Hände wurden schneller und er fühlte die Hitze in sich ansteigen, das Verlangen, welches seinen Körper schüttelte. Seine Wangen glühten, seine Stimme steigerte sich hechelnd laut und endete in lautem, regelmäßigem Stöhnen.

Er legte noch einen Gang drauf, stieß sich selbst immer heftiger, immer härter, bewegte seine Hüften, atmete schneller und litt immer wieder, warf seinen Kopf hin und her und kniff die Augen zu. Er spürte, wie sein Orgasmus von ihm Besitz ergriff und wollte diese Phase gern noch ein bisschen länger halten, aber dafür war er schon zu schnell gewesen.

Er bäumte sich auf, stieß sich selbst noch mal hart hinein und rubbelte über seine feuchte Spitze, welche binnen Sekunden den Druck abfallen und ihm sein weißes Ergebnis über den Bauch laufen ließ.

Er genoss seine selbstgemachte Lust in den letzten Zügen und sank dann entspannter in den weichen Stoff der Matratze ein. Langsam zog er sich den Vibrator heraus und griff sich ein paar von den Kleenextüchern, welche sie immer neben dem Bett zu stehen hatten. Erst säuberte er seine Gerätschaft und legte sie auf die andere Bettseite ab. Mit den übrigen Tüchern wischte er sich schnell den Bauch sauber und befreite auch seinen Hintern von dem verwischten Gel.

>Hätte nicht gedacht, dass ich so scharf bin< dachte er noch selbst, denn das war ja jetzt doch ziemlich schnell gegangen. Für gewöhnlich ließ er sich gerne Zeit, wenn er es schon mit sich selbst trieb, aber das war ja jetzt ne Rekordleistung. >Solange hätte Atemu doch nun wirklich Zeit gehabt. Das waren niemals mehr als zwei Minuten.<

Fürs erste tat es das auch, aber Atemu würde später noch mal ranmüssen.

Er seufzte noch mal und fiel dann rückwärts in die zerknautschten Kissen zurück. Das offene Fenster ließ ihn frösteln und so deckte er sich gemütlich zu und beschloss, dass er noch ein wenig schlafen wollte. Seine Pläne für den Morgen hatten sich ja nun in Luft aufgelöst.
 

Er war schon halb eingedöst, als er neben sich eine drängelnde Bewegung registrierte. Müde schlug er die Augen auf und erkannte, wie Seto sich in seinen Arm kuschelte und sah Tato, welcher zwischen den beiden gebettet wurde und auch noch halb schlief.

„Guten Morgen, Kleiner“ lächelte Seth und strich seinem süßen Hikari durch das verwuselte Haar.

„Nein, nicht Morgen“ brummte der. „Es ist noch mitten in der Nacht und Yami macht so einen Terror. Den sollte man einsperren.“

„Warum?“ schmunzelte er. „Was hat er schon wieder gemacht?“

„Er hat Yugi weggezerrt und mitgenommen. So schnell konntest du gar nicht gucken.“

„Hast du dich denn wenigstens von Yugi verabschieden können?“

„Verabschieden?“ guckte Seto ihn müde an. „Ich hab ihm gesagt, er soll leiser quengeln. Warum denn verabschieden?“

„Weil du ihn doch erst zur Trauung wieder siehst.“

„...“ Geschockter Blick. „WAS?!“

„Oh, das hast du nicht gewusst“ stellte Seth belustigt fest. „Man sieht sich doch einen Tag vor der Trauung nicht. Erst morgen wenn ihr heiratet, siehst du ihn wieder. Deswegen bleiben Yugi und einige andere bis morgen im Hotel.“

„In welchem Hotel?“

„Denkst du, das sage ich dir?“ lachte er. „Bestimmt nicht.“

„Dann lese ich deine Gedanken!“

„Versuche es und ich benutze meinen Zauberstab, um dich zum Schweigen zu bringen.“

„Hast du so was nötig? Du bist wirklich weit gesunken, mein Yami. Seit wann brauchst du einen Zauberstab?“

„Seit genau jetzt“ grinste Seth, griff über ihn und holte den sauberen Vibrator hervor, neben den Seto sich unbemerkt gelegt hatte. „Also, sei lieb oder ich bringe den zum Einsatz, um deine Suche zu verhindern“ drohte er und hielt das noppige Stück gut sichtbar vor seine Augen.

„Du bist gemein“ knurrte Seto enttäuscht. Einen ganzen Tag ohne Yugi? Und mit wem sollte er da seine Vorfreude teilen? Seine Freunde konnten ja so gemein sein!

„Na komm, wir schlafen noch ne Runde“ lächelte Seth, legte das gute Stück wie eine Waffe neben sich auf die Kommode und kuschelte sie drei noch mal zusammen.

Er würde seinen Hikari schon ablenken, bis morgen endlich sein großer Tag kam.
 

Aber dieses Ablenken stellte sich als schwieriger heraus als es geplant war.

Nach dem Aufstehen war das Erste, was Seto machte:

Zu Joey gehen und ihn aushorchen.

Doch gerade, bevor Seto seine Gedanken lesen wollte, da zerrte Seth ihn weg.

Nach dem Frühstück ging er zu Mokuba - Aushorchen.

Wieder zerrte Seth ihn weg.

Zur Strafe musste er mit Seth beten, auch wenn ihm nicht danach war ... doch sein Yami hielt drohend den Zauberstab bereit und Seto musste brav sein, wenn er sich für Yugi aufsparen wollte.

Kaum war Seth mal aufs Örtchen verschwunden, da tauchte Seto kurzerhand im Atelier auf und wollte Marie aushorchen.

Aber ehe er es sich versah, war mal Sethos schnell zur Stelle und zog ihn weg. **Da ist irgendwo ein Nest!**

Seto kochte. Keiner wollte ihm sagen, wo Yugi steckte.

Aber IDEE!!! Opa anrufen ... Mist, keiner Zuhause - der war bei Yugi.

Seto kochte schon nicht mehr, er bruzelte.

Gerade rechtzeitig kam ein Hoffnungsschimmer:

Nini hatte Sehnsucht nach Papa Yugi und wollte hingefahren werden.

Juhu!

„Wo ist Papa denn? Nini, Süße. Mein Mäuschen! Wo ist Papa?“

„Keine Ahnung“.

>Grrrrrrr.<

So hielt Seto sich für schlau und schickte die Kleine zu Tante Tea, damit sie da mal fragte, wo Papa Yugi denn war.

Und was sagte die Prinzessin?

„Papa hat gesagt, ich soll dich fragen, wo Papa ist, damit er mich hinfahren kann.“

Tja, Seto - Pech gehabt.

Nini durfte mit Onkel Moki hin - Papa Seto musste Daheim bleiben.

Kein Rankommen.

Der Pharao war abgeschirmt.
 

Also musste der ungeduldige Drache sich gedulden ...

... und sich gedulden ...

... und sich gedulden ...

... und sich gedulden ...

... und sich gedulden ...

... und sich gedulden ...

... und sich gedulden ...
 

Es war doch zu gemein, dass er Yugi nun den ganzen Tag nicht sehen durfte. Erst morgen würde er ihn vor dem Traualtar zu Gesicht bekommen.

Sein Yugi ...

Wie er wohl aussehen würde? Ob er weiß trug, wie er es versprochen hatte?

Aber ein schwarzer Smoking würde ihm auch stehen. Das würde sein goldenes Haar noch eher zum Glänzen bringen ...

Doch eigentlich war es doch egal, wie er aussehen würde - Hauptsache Yugi kam überhaupt.

Seto stellte sich an das Geländer des großen Balkons und blickte hinab in den sommerlichen Garten.

Wie ruhig es hier war. An seine Ohren drang das Gezwitscher der Vögel, sogar das Quaken einer Ente, welche sich mit den weißen Schwänen weiter hinein im Garten am kleinen See niedergelassen hatten. Unter seinem Fenster lief ein Pfau entlang und verschwand schon wieder hinter dem nächsten Busch. Ihr Garten war ja früher schon ein Paradies gewesen, aber Noah hatte das alles noch perfektioniert. Mit seinem Gespür für schöne Dinge und seiner Passion der Gärtnerei hatte ihr riesiges Grundstück wirklich mehr den Touch eines Schlossparks, als den eines Gartens.

Und jetzt war es so ruhig.

Seth saß auf der anderen Seite des Gartens und betete sein Mittagsgebet. Mokuba war mit Nini zu Yugi gefahren und Tato lag im Bettchen und hielt sein Schläfchen.

Zeit für Papa nachzudenken und diesen ruhigen Moment zu genießen, nachdem sich sein Tag bis jetzt zwar aufregend, aber erfolglos gestaltet hatte.

Morgen würde er heiraten. Wirklich richtig heiraten. Eine Ehe schließen.

Es gab jemanden, der sich ihm wirklich versprechen wollte ... der sich an ihn in Liebe binden wollte.

Er und Yugi waren nun über sieben Jahre zusammen und wenn Seto diese sieben Jahre zurückdachte, hätte er niemals daran geglaubt, dass er überhaupt mal heiraten würde. Damals sehnte er sich nach dem Tode und morgen würde er aus reiner Liebe einen anderen Menschen heiraten.

Sein Leben hatte sich grundlegend verändert.

Er war stark geworden, seine Liebe war stark geworden. Er hatte alles, was man sich nur wünschen konnte. Er war finanziell gut gestellt und sein Herz schlug gesund in seiner Brust. Er hatte mit seinen Freunden eine tolle Familie. Er hatte Kinder und ab morgen einen Ehemann. Sein Leben war perfekt. Perfekter ging es gar nicht.

Okay, natürlich wäre es nett, wenn er noch eine Arbeit hätte, die ihn ausfüllte oder wenn er auch den verbliebenen Rest seiner Psychosen los wäre. Wenn seine Seele endlich erwachsen werden konnte und er nicht aufpassen musste, wieder irgendeinen Teil abzustoßen und sich damit selbst wieder zu zerreißen.

Sein Leben fühlte sich noch immer an wie ein Hochseilakt, aber im Gegensatz zu früher, war er nun gefestigt und würde nicht auf dem harten Boden aufschlagen. Er würde erst von stützenden Seilen gehalten werden und dann auf weichen Matten landen.

Sollte er wirklich fallen, gab es jemanden, der ihn auffangen würde.

Und doch wäre es schön, wenn er sich endlich von dem lösen könnte, was ständig, allgegenwärtig, selbst noch heute, drohte, ihn zu stürzen.

Morgen begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt. Morgen war der Tag, an dem er seinem Leben die bestmögliche Wendung geben würde.

Trotz seines Glücks lastete auf seinen Schultern eine Last, welche er noch immer nicht abgeworfen hatte. Er konnte es bisher einfach nicht. Konnte sich nicht davon befreien. Er konnte es überdecken, es ertragen, aber sich befreien ... wahrlich frei sein ... ?

Bei den schmerzhaften Gedanken an früher, zog sich sein Magen zusammen, er verspannte sich, sein Herz klopfte viel zu stark und es fühlte schon jetzt die nächste Demütigung heranrauschen.

Warum nur hatte sie ihn niemals geliebt?

Er war nicht schlecht!

Yugi liebte ihn doch ... warum konnte sie das nicht auch?

Was hatte er falsch gemacht damals?

Warum konnte sie ihn nicht lieben?

Er klammerte sich am Geländer des Balkons fest und senkte den Kopf.

Was hatte er nur falsch gemacht, dass sie ihn nicht lieben konnte? Er hatte immer alles getan, war immer brav gewesen und doch hatte er es niemals geschafft, sie zufrieden zu stellen. Was war nur mit ihm, dass die Frau, die ihm das Leben geschenkt hatte, ihn als hassenswert betrachtete? Sie wollte ihn nachträglich abtreiben - an diese geschriebenen Worte erinnerte er sich noch so genau. Er war schon geboren und dann beschloss sie ihn abzutreiben. Über Jahre hatte sie versucht ihn hinzurichten, ihn zerstört.

Bei dem Gedanken daran, fühlte er sich wieder wie der kleine Junge von damals. Heute war er ein starker Mann, ein Vater. Ein Mensch, der lebte. Doch damals ...
 

„SETO!“ Klang so, als hätte ihn diese Stimme nicht zum ersten Mal gerufen, aber jetzt erst nahm er sie auch wirklich wahr.

Er hob seinen Blick von seinen Füßen und schaute hinunter in den Garten, wo direkt unter seinem Balkon Tea stand und ihn anlächelte. Tea ... das erste weibliche Wesen, dem er jemals Vertrauen geschenkt hatte. Die Erste, die sich von ihm lieb haben ließ und ihn nicht fortstieß. Seine erste richtige Freundin.

„Du bist ja ganz verträumt“ stellte sie belustigt fest. „Woran denkst du gerade?“

„Wo ist Risa?“ wollte er lieber wissen. Sie war nämlich alleine unterwegs und für gewöhnlich hatte sie doch immer ihr Baby dabei. Aber Mokeph war zu Yugi gefahren und hatte seine Tochter nicht mitgenommen. Wo also war ihre Kleine?

„Hallo Tea, schön dich zu sehen“ seufzte sie resignierend. „Risa schläft bei Feli. Ich war eben bei Nika und da sind die zwei eingepennt. Ist auch ganz schön, wenn ich mal einen Moment die Arme frei habe.“

„Es gibt doch nichts schöneres als ein Baby auf dem Arm zu haben“ meinte Seto.

„Aber sie ist doch jetzt schon ein halbes Jahr alt. So langsam wird sie zu schwer, um sie ständig mit sich rumzutragen.“

„Findest du? Sie ist doch noch so klein ...“

„Ja, für dich. Du stemmst aber auch andere Gewichte als ich.“

„Na ja ...“ Gut, das stimmte wohl. Seto konnte auch zwei Babys den ganzen Tag mit sich herumtragen, aber Arme, die nicht so stark waren wie die seinen, die wurden halt schneller mal lahm.

„Und was machst du jetzt? Ist gar keiner bei dir?“ fragte sie fröhlich weiter.

„Warum? Meinst du, ich muss beaufsichtigt werden? Ich bin doch kein kleines Kind mehr!“

„Schade, du warst so niedlich“ zwinkerte sie. „Komm doch runter, dann können wir ein bisschen spazieren gehen. Die Pfauen haben ein Nest gebaut hinten im Wäldchen ...“

Wenn er sie da unten so stehen sah, fühlte er sich gleich ganz anders. Die dunklen Gefühle und die Selbstzweifel, die eben noch über ihn kamen, wurden von ihr einfach weggelächelt. Es war nicht rechtens, dass seine Mutter ihn hasste. Tea mochte ihn doch und sie war auch eine Frau und eine Mutter. Vielleicht war es wirklich nicht seine Schuld, dass sie ihn verabscheut hatte.

Doch konnte er sich da so sicher sein?

„Was ist denn mit dir?“ unterbrach sie in einem besorgten Ton sein Schweigen. „Ist dir nicht gut? Bist du doch so nervös wegen morgen?“

„Tea ... würdest du mit mir wegfahren?“ fragte er sie ganz besonders lieb.

„Ich kann dir nicht sagen, wo Yugi ist. Ich weiß es nicht mal.“

„Nein, ich meine nicht zu Yugi. Würdest du mich auf eine kleine Spritztour begleiten?“

„Eine Spritztour?“ strahlte sie. „Natürlich! Nur du und ich?“

„Ich bringe Tato bei Noah vorbei. Der kann mal für ne Stunde aufpassen. Ich treffe dich an der Garage, ja?“ Und schon hatte er sich umgedreht und war ins Babyzimmer gegangen, nachdem er sich einen kleinen Umschlag vom Tisch gegriffen hatte und in die Tasche steckte. **P.S. Einen unheilverheißenden Umschlag ... oder so eine von meinen lang vermissten Prophezeiungen. ^^**
 

Tato lag so friedlich schlummernd in seinem Bettchen und er war direkt süß, wenn er auch einfach mal nichts tat. Seit er laufen konnte, musste man ja noch mehr auf ihn aufpassen als früher und alles unter einem Meter in Kleinkindgreifweite in Sicherheit bringen, bevor es angekaut wurde. Der kleine Wirbelwind.

Ganz vorsichtig nahm Seto ihn aus dem Bett heraus und trug ihn auf seinem Arm vorsichtig erst ins Schlafzimmer, ein Stück über den Flur bis er im Hausbüro ankam, wo er wie vermutet Noah antraf. Der schrieb mit schnellen Fingern auf seiner Tastatur, und hatte ein Headset auf dem Kopf. Ab und zu ließ er mal ein „Hm“ oder „Okay“ oder „Nein“ hören und war scheinbar mit zwei Sachen gleichzeitig beschäftigt. Und nun brachte Seto ihm auch noch ein schlafendes Kleinkind, auf das er aufpassen sollte.

Und wie verschaffte Seto sich am schnellsten Gehör? Einfach einen Knopf drücken und das Telefonat war beendet.

„HEY!“ schimpfte Noah und sah wütend zu ihm auf. „Das war ein wichtiges Gespräch!“

„Kannst du ein oder zwei Stunden auf Tato aufpassen? Ich muss was erledigen.“

„Nein, kann ich nicht!“ Noah befand das für keine gute Idee. „Ich muss mich nicht nur um die Orga deiner Hochzeit kümmern, sondern nebenbei auch noch das Geschäft aufrecht erhalten. Anstatt mir hier reinzufunken, könntest du dich lieber mal bedanken!“

„Was ist denn nur los mit dir in letzter Zeit?“ fragte Seto wohl nicht nur ihn, sondern auch sich selbst. „Warum bist du so gereizt? Du verlierst doch sonst auch nicht die Nerven, aber in letzter Zeit machen wir uns ganz schön Sorgen um dich.“

Dazu sagte Noah gar nichts, sondern blickte ihn nur undurchdringlich an. Irgendwie hatte Noah sich verändert. Er war doch eigentlich von Grund auf ein ausgeglichener, ruhiger Typ, der gerne festen Boden unter den Füßen hatte und doch immer einen Sinn für die Schönheit des Lebens hatte. Und nun war Noah total gestresst, gehetzt und launisch. Er sollte sich das Nest seiner geliebten Pfauen ansehen und nicht wegen der Arbeit ins Schimpfen geraten ..

„Kannst du nun auf Tato aufpassen oder nicht?“ hakte Seto noch mal ein. Aus Noahs Blick nahm er schon heraus, dass dieser keine große Lust hatte, jetzt eine Grundsatzdiskussion zu führen. Noah mochte es nicht, wenn man ihn bevormundete und noch weniger, wenn man ihm reinredete.

„Wo willst du denn hin?“ wollte er wissen.

„Ich möchte mit Tea wegfahren und Tato schläft doch so ruhig. Ich bin wieder zurück, bevor er munter wird.“

„Nein ... ist schon in Ordnung. Entschuldige bitte.“ Er stand auf und nahm das schlafende Kleinkind entgegen. Tato war es ja gewohnt, dass er herumgeschleppt wurde und von daher hatte er ein solches Urvertrauen entwickelt, dass er einfach weiterschlief, selbst wenn er herumgereicht wurde.

„Danke, lieb von dir“ nickte er dankend. „Hast was gut bei mir.“

„Ich erinnere dich bei Gelegenheit dran. Und jetzt sieh zu, dass du wegkommst, bevor dein Sohnemännchen dich noch bei deinem Date stört.“

„Date“ schnaufte Seto halb beleidigt, halb ... aufgebend? „Wenn was mit ihm ist, bin ich per Handy zu erreichen.“

„Schon klar. Bis dann.“

„Hm.“ Der Drache küsste sein Junges noch ein Mal auf die Stirn, blickte Noah noch ein Mal an und machte sich dann auf den Weg zur Garage.

Machte sich auf den Weg, endlich seine Vergangenheit loszulassen, bevor er ab morgen seine Zukunft festhalten musste.
 

Dort wartete Tea auch schon auf ihn und besah sich in der Zwischenzeit Yamis Motorräder, die ganz vorne in der Ecke standen. Eigentlich war die Garage der Kaibas mehr ein ziemlich großer Raum voll teurer Geschosse. Nicht nur Yamis Bikes standen dort, sondern sicher auch 20 verschiedene Autos. Davon mindestens 15 arschteure Sportwagen und der Rest nicht weniger teure Familienschlitten. Nur die sechs Limousinen standen auf einem separaten Teil des Geländes, da diese ja niemals ohne Chauffeur gefahren wurden.

„Hast du dir schon einen Wagen ausgesucht?“ lächelte Seto und umarmte sie einfach mal, weil er gerade so schön hinter ihr stand. Aber ganz langsam, damit sie und das Baby unter ihrem Herzen sich nicht erschreckten. Und so ließ er auch ganz liebevoll seine beiden Hände auf ihrem langsam spannenden Bauch liegen, spürte das unschuldige Leben in ihr heranwachsen.

„Du hast gar keinen Motorradführerschein, oder?“ fragte sie ihn und ließ sich einfach zu gerne von ihm kuscheln, lehnte sich vertrauensvoll ein Stück nach hinten.

„Nein, leider nicht. Aber Seth hat einen, da musst du den fragen, ob er mal mit dir fährt.“

„Ja, ich weiß. Er hat vorletzten Sommer mit Yami eine Tour durchs ganze Land gemacht. Einen ganzen Monat waren sie mit den Motorrädern und einem Zelt unterwegs. Aber ich dachte, vielleicht hast du ja auch einen. Du kannst doch sonst auch alles fahren.“

„Können tue ich das bestimmt, kein Ding. Aber Yugi mag es nicht und deswegen tue ich es auch nicht - ihm zuliebe.“

„Stimmt ja“ seufzte sie. „Yugi ist ja kein großer Freund von Zweirädern.“

„Nein, leider nicht“ meinte auch er ein wenig wehmütig, ließ sie los und nahm sich einen der Schlüssel, die da am Schlüsselbrett hingen und jedem zur Verfügung standen, der gerade einen Wagen brauchte.

„Ich finde, wir nehmen den Schwarzen“ zeigte Tea auf ein schwarzes Sportcabrio, welches neben einem roten und einem blauen stand. „Nach Regen sieht’s ja nicht aus, oder?“

„Ich glaube nicht“ lächelte er, mit einem ferngesteuerten Klicken sprangen die Türen auf und Tea konnte sich gleich auf dem kühlen, ebenso schwarzen Ledersitz niederlassen. In solchen Highclass-Modellen merkte man eben doch, dass sie teurer waren. In welchem Auto fand man sonst schon Ledersitze und ein Armaturenbrett aus gelacktem Edelholz? Was Autos anging, bewies Seto wirklich Geschmack.

„Wie kommt es eigentlich, dass du für alles einen Führerschein hast und nur für Motorrad nicht?“ wollte sie wissen, als er neben ihr einstieg und sich mit ihr gemeinsam anschnallte.

„Wie kommst du denn jetzt darauf?“ lachte er, ließ die meterlange Garagentür auffahren und ehe sie es sich versahen, brausten sie in die Sonne hinaus, über das Gelände in Richtung Haupttor.

„Na ja, dachte ich immer“ meinte sie und strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Du kannst doch alles. Hubschrauber fliegen und Zeppelin. Und Boote steuern, Düsenjets ... gibt es etwas, was du nicht kannst?“

„Nein, ich glaube nicht.“

„Es ist aber ungewöhnlich, dass ein einziger Mensch so viele Führerscheine hat und nur für Motorrad nicht. Ist das nicht eigenartig?“

„Ich bin nun mal etwas eigenartig, weißt du doch“ lachte er.

„Du bist doch nicht eigenartig!“ schmunzelte sie. „Reiche Leute sind nie eigenartig. Die sind extravagant.“

„Oder so.“ Und schon waren sie aus dem Tor raus und fuhren die lange Allee entlang. Hier war ja so gut wie nie etwas los, denn das Gelände rundherum gehörte noch immer zum Kaiba-Anwesen. Erst in ein oder zwei Kilometern würden sie an anderen Villen vorbeikommen.

„Kannst du mir jetzt vielleicht mal auf meine Frage antworten?“ bat sie.

„Warum ich so viele Führerscheine habe?“

„Ja, das würde mich mal interessieren.“

„Gozaburo hat drauf bestanden“ antwortete er ehrlich. „Er sagte immer, es sei wichtig, dass man in allen Situationen gerüstet ist und sein Fahrzeug bedienen kann. Nur für Motorräder hatte er nichts übrig. Ich hab das zwar gelernt, aber er meinte, das wäre überflüssiger Quatsch. Deshalb kann ich zwar fahren, habe aber keinen Führerschein.“

„Oh ... ach so ... ähm ... entschuldige. Ich wollte dich jetzt nicht an ihn erinnern.“

„Schon gut“ lächelte er sie an. „Was das angeht, hatte sein Drill ja auch was Gutes. Wer weiß, was ich sonst alles nicht gelernt hätte?“

„Aber man kann doch auch glücklich sein, ohne das alles zu können. Außerdem bist du so begabt, dass du dir das auch hättest selbst beibringen können. Ich kenne sonst niemanden, der innerhalb eines Monats eine komplett neue Sprache lernt und sie akzentfrei beherrscht. Dein Brain ist doch echt krass, wie Joey sagen würde.“

„Na ja, manchmal ein bisschen weniger zu wissen, wäre aber auch nicht schlecht“ meinte er wahrlich ein wenig sehnsüchtig. „Joeys Kopf hätte ich ab und an gerne mal. Dann würde ich mir wohl nicht ständig über Sachen Gedanken machen, die es gar nicht wert sind.“

„Was für Gedanken sind denn das?“

Dass er so lange für die Antwort brauchte, war ja schon fast beunruhigend. Sonst war Seto immer schlagfertig und hatte sofort etwas parat. Aber wenn er über eine Antwort nachdachte, bedeutete das ja nur, dass er mehrere zur Auswahl hatte.

„Nur so Gedanken“ antwortete er dann schließlich, ohne näher darauf einzugehen. Waren wohl keine schönen Gedanken. „Und bei dir, Liebes? Alles in Ordnung? Wie geht’s Theresa? Was sagt der Arzt?“

„Alles in Ordnung“ lächelte sie gerührt darüber, dass er fast jeden Tag nach dem Zustand ihrer Schwangerschaft fragte. „Ich bin ja erst in der neunten Woche. Ich hab also noch ein bisschen Zeit, bevor ich nicht mehr weiß, ob meine Strümpfe zueinander passen.“

„Du meinst, weil du dich dann wieder kugelst?“

„Ja, genau“ lachte auch sie. „Weißt du eigentlich wie nervig das ist, wenn du mit so einem schweren Bauch herumläufst? Das geht ganz schön auf den Rücken, du kannst dich nicht mehr bücken und deine Brüste drücken, so dick sind sie. Eigentlich ist ne Schwangerschaft ganz schon unbequem.“

„Aber es ist doch etwas Schönes“ schwärmte er dafür mit leuchtendem Blick. „Zu fühlen, wie ein neues Leben in dir beginnt. Einen neuen Menschen zu schaffen. Zu fühlen wie er wächst und auf ewig mit dir verbunden sein wird. Ihr Frauen habt wirklich Glück.“

„Von wegen Glück“ seufzte sie. „Glaube mir, du möchtest das gar nicht. Selbst Seth meinte, wenn Männer Kinder kriegen würden, würde die Menschheit aussterben. Und Seth ist doch ein ziemlich kräftiger Mann.“

„Ihr Frauen seid stärker als man es euch zumutet. Das wird viel zu oft unterschätzt, finde ich. Außerdem könnt ihr etwas, was ein Mann niemals können wird.“

„Du meinst schwanger werden?“

„Nein“ sagte er und blickte sie einen Moment bewundernd an. „Ihr könnt Seelen erschaffen.“

Dem konnte sie in diesem Moment gar nichts entgegensetzen. Seto war einfach ein hoffnungsloser Romantiker und so ganz Unrecht hatte er ja auch nicht. Männer konnten kämpfen und regierten noch heute die Welt mit Kraft, Machenschaften und Kriegen - aber sie konnten keine Seelen erschaffen.

Das konnten nur Götter und Frauen.

„Du bist gemein, Seto“ meinte sie und senkte rotwangig den Blick.

„Warum denn?“ guckte er und sah dann aber lieber schnell wieder auf die Straße, bevor er vom Weg abkam. „Warum bin ich gemein? Hab ich dich beleidigt?“

„Nein ... aber wenn es Yugi und Mokeph nicht geben würde, dann wäre ich Hals über Kopf in dich verknallt.“

„Das meinst du doch nicht ernst!“ hoffte er und ohne es zu merken, gab er unweigerlich noch etwas mehr Gas. Sie? In IHN?

„SETO! DIE AMPEL!“

Mit einem Quietschen brachte er den Wagen zu stehen und war mit den Vorderrädern schon über die Haltelinie. Das hatte ihn jetzt doch ziemlich geschockt.

Hier fuhr zwar gerade keiner lang und die Kreuzung war vollkommen leer - aber rot war die Ampel trotzdem.

„Das hast du doch jetzt nur im Spaß gesagt“ wiederholte er noch mal ungläubig.

„Nein, warum denn?“ gab sie zaghaft zu. „Du bist ein toller Mann. Du siehst super aus, du bist intelligent, hast Humor, du zeigst Gefühle und du bist reich. Was könnte ein Mädchen sich mehr wünschen?“

„Du siehst das falsch“ hielt er dagegen. „Ich bin ein Exjunkie und ein Alkoholiker. Meine Intelligenz ist ne Strafe, über meine Witze lacht kein Arsch und Gefühle zeige ich, indem ich austicke und entweder heule oder wegrenne. Jede Frau, die sich mit einem wie mir einlässt, sollte selbst mal in die Klapse gehen. Außerdem bin ich vor dem ersten Kaffee nicht ansprechbar und in Liebesdingen eine ganz schrecklich neurotische Klette.“

„Aber du hast Geld“ lächelte sie. „Das kannst du nicht abstreiten.“

„Doch, kann ich! Im Moment hab ich nicht mal fünf Dollar auf’m Konto!“ Aber dann musste er doch mit ihr lachen. „Ich hab ja nicht mal ein Konto!“

„Ja, das kommt davon, wenn man sich tot stellt“ kicherte Tea. „Aber du lebst doch ganz gut so.“

„Ja, Geld hab ich lange genug verdient“ meinte auch er, der nach diesem netten Lacher mal durchatmete und wieder aufs Gas ging, als die Ampel grün wurde. „Ich hab jetzt immer alle mit durchgefüttert. Jetzt will ich auch mal gefüttert werden.“

„Na ja, das Geld ist ja noch immer deines irgendwo. Ich meine, du hast es ja Yugi vererbt, aber jetzt wo du wieder da bist, müsstest du es umschreiben lassen.“

„Ach, mir ist das egal. Ob das Geld jetzt auf meinem oder auf Yugis Konto liegt, ist völlig wurscht.“

„Aber, Seto, sag mal ehrlich. Bedeutet dir das Geld wirklich so wenig? Das habe ich mich schon immer gefragt“ bat sie und strich sich das Haar in den Fahrtwind zurück.

„Na ja, egal ist mir Geld natürlich nicht. Es ist schon wichtig, dass man etwas hat, damit man sein Essen bezahlen kann. Armut ist wirklich eine sehr erniedrigende Sache. Jedem ist Geld wichtig, das ist so. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, ob ich lieber Geld oder eine Familie hätte, dann würde ich auch in Lumpen auf der Straße leben und wäre glücklich dabei.“

„Ernsthaft?“

„Ja, ernsthaft. Aber schöner ist es natürlich, wenn man seiner Familie auch etwas bieten kann. Ich möchte nicht, dass irgendein Kind in Angst und Armut auflebt. Das hat kein Mensch verdient. Meinen Kindern soll es besser gehen als mir.“

Sie war beeindruckt. Wie frei er darüber sprach, obwohl er all diese Erfahrungen selbst gemacht hatte. Seto wusste, wie es war, wenn man hungerte, wenn man keine Kleidung hatte und vom Schmutz bedeckt wurde, so dass es niemanden mehr gab, der einen berühren wollte. Und er kannte auch die andere Seite. Wie es war, wenn man Geld und Macht besaß und sich alles leisten und herausnehmen konnte. Aber wirklich wichtig waren ihm die Dinge, die man nicht mit Geld kaufen konnte - eine Familie.

„Ich bin froh, dass ich euch habe“ lächelte er und griff nach ihrer Hand, die so zart auf ihrem Knie lag. „Danke, dass ihr meine Familie seid.“

„Seto ... hör auf. Ich bin doch so nahe am Wasser gebaut“ bat sie, aber sie drückte seine eiskalte Hand trotzdem ganz warm.

„Wenn Mokeph uns sehen würde, würde er vor Eifersucht platzen“ lachte er dann erschrocken auf, setzte den Blinker und war auch schon abgebogen. Es war erstaunlich wenig Verkehr auf dieser ländlichen Route. „Wie läuft es denn überhaupt mit euch? Ist er lieb zu dir?“

„Ja, im Prinzip schon. Er kümmert sich wirklich süß um Risa und er passt gut auf mich auf, jetzt wo ich wieder schwanger bin.“

„Und außer Prinzip? So ganz überzeugt klingst du ja nicht, Liebchen.“

„Ich hätte mir gerne noch etwas Zeit gelassen, bevor das nächste Kind kommt“ seufzte sie und lehnte sich in dem weichen Sitz zurück. „Ich wollte doch wenigstens meinen Abschluss machen, aber so intensiv tanzen ist nicht gut und ich will mein Baby doch behalten.“

„Das ist doch aber nicht alles“ meinte er. In ihrer Stimme hörte er doch, dass da noch mehr war, worüber sie sonst wohl nicht sprach.

„Ich glaube, er ist unzufrieden“ gestand sie ihm. „Er hat sich so gefreut, dass seine Sperre endlich vorbei ist und er wieder randarf. Aber jetzt, wo Theresa auf dem Weg ist, fasst er mich nicht mehr an. Okay, ich gebe ja zu, dass mir das auch unangenehm wäre im Moment, aber ... so ein bisschen mehr als kuscheln, wäre doch schon schön. Und ich weiß doch, dass ihm diese Zurückhaltung sehr schwer fällt.“

„Hast du mal mit ihm darüber gesprochen?“ Seto bog noch mal ab, beschleunigte schnell und fuhr auf die Autobahn auf. Aber auf der langsamen Spur, damit der Fahrtwind nicht zu sehr in den Augen schnitt. Hier war eh nur 80 erlaubt, auch wenn sein Wagen locker das Dreifache schaffte.

„Er schaltet ja immer gleich auf Stur“ meinte sie. „Ich hab’s schon aufgegeben, mit ihm darüber zu sprechen. Immer, wenn ich das Thema anschneide, kommt er mir mit ägyptischer Religion. Von wegen Schutz des Lebens und Enthaltsamkeit und so weiter. Da hat er wirklich extreme Ansichten.“

„Er ist eben von Apophis so erzogen worden. Ich glaube, Mokeph ist wohl in einigen Sachen noch religiöser als Seth. Seth kann sich ja von Yami immer noch rückversichern und die Religion mitbestimmen. Aber Mokeph ist kein Priester und deswegen lebt er in einem bestimmten Rahmen, der viel enger ist. Er meint das nicht böse.“

„Ich weiß es ja ...“ Aber so ganz leicht war das eben auch nicht, wenn man mit so einer alten Seele zusammenwar, die noch auf uralte Rollenverteilungen beharrte. Er hatte sich ihretwegen ja schon eingeschränkt und dasselbe wollte sie für ihn tun. Er würde nur eine einzige Frau haben und sie musste sich dafür mit seinen manchmal radikalen Ansichten anfreunden.

„Aber die Kinder sind doch hoffentlich keine Einschränkung für euch“ erwiderte er in einem vehementen Ton. „Die Kleinen können da nichts für. Und ihr sollt doch Kinder haben, weil ihr euch liebt und nicht nur, weil ihr das mit der Verhütung nicht gebacken kriegt.“

„Natürlich, die Kinder sind voll erwünscht“ schwor sie dem besorgten Onkel Seto sofort. „Natürlich lieben wir beide uns, also ich zumindest liebe ihn sehr. Aber es ist nun mal nicht immer ganz leicht mit einem Pascha wie ihm.“

„Ja ja, die Pfade der Liebe sind unergründlich“ lächelte er.

„Heißt das nicht eigentlich, Gottes Pfade wären unergründlich?“

„Nein. Sind die nicht tief und dunkel?“

„Nein, mein Engel. Das waren stille Wasser.“

„Ach ja ... stimmt.“

„Ja“ lächelte sie - war ja nur ein Scherz gewesen mit seiner Verwirrung. „Wo fahren wir eigentlich hin? Warum fahren wir Autobahn und nicht eine gemütliche Strecke?“

„Weil ... ich ...“ Er sagte es ganz vorsichtig, als ob er befürchtete, dass Tea böse auf ihn werden könnte. „Ich wollte nicht alleine fahren.“

„Wohin denn fahren? Seto, wo willst du hin? Ich meine, ich begleite dich ja überall hin, aber wenn du anfängst so zu drucksen, mache ich mir Sorgen um dich.“

„Wir fahren ... ich ... Tea, ich hoffe, dass du mich begleitest ... ins Gefängnis.“

„Du willst ...“ >Das ist doch nicht sein Ernst!< „Seto, das ist doch nicht dein Ernst. Du heiratest morgen und willst ausgerechnet jetzt noch deine Mutter sehen?“

„Bitte, ich wollte nicht alleine fahren“ bat er noch mal und blickte sie kurz mit einem ungeschlagenen Babyblick an, bevor er seine blauen Augen wieder auf die Straße richtete.

„Aber was willst du denn da?“ Tea sah die Katastrophe schon nahen. „Sie hat dir noch nie gut getan, Seto. Bitte zieh dich so kurz vor deinem großen Tag nicht selbst wieder runter.“

„Aber ich ...“

„Seto“ unterbrach sie ihn und griff seine Hand, während sie ihn liebevoll von der Seite ansah. „Ich möchte doch nur nicht, dass es dir wieder schlecht geht.“

„Vielleicht kannst du das nicht verstehen, aber ich kann nicht heiraten, ohne sie einzuladen.“ Super, Seto! Der brachte ja einen Schocker nach dem nächsten.

„Du willst sie einladen? Seto, bei aller Liebe, aber sie sitzt doch nicht aus Spaß im Gefängnis.“

„Ich weiß. Ich verstehe es ja selbst kaum, aber ... Tea, sie ist doch meine Mutter. Man kann doch nicht heiraten, ohne seine eigene Mutter einzuladen.“

„Seto, sie war dir nie eine Mutter!“ beschwor Tea ihn, denn verständlicherweise hielt sie sein Vorhaben für eine mehr als schlechte Idee. „Sie wird dir alles kaputtmachen! Bitte, Seto, hör auf mich. Bitte geh da nicht hin! Ich flehe dich an, lass es gut sein!“

„Ich werde da hingehen. Mit oder ohne dich“ antwortete er ihr ganz hart. Aber dann wurde seine Stimme sofort wieder etwas weicher. „Mit dir würde ich mich aber besser fühlen.“

Und was sollte sie jetzt machen? Seto hatte sich das in den Kopf gesetzt und würde es auch durchziehen. Aber es musste doch jemand bei ihm bleiben! Auf der anderen Seite konnte Tea ihn kaum stützen, wenn es ihm danach schlecht ging. Jeder wusste, dass seine Mutter ihn hasste ... nur Seto wollte es nicht wahrhaben. Es war zum Heulen, wenn man sah, wie sehr er dennoch an ihr hing. Sie hatte seine Kindheit zur Hölle auf Erden gemacht und ihn zum Schluss fast umgebracht. Und doch versuchte er es immer wieder. Er wollte ihr immer noch nahe sein. Er sehnte sich nach einer Mutter, die ihn lieb hatte. Trotz des ganzen Hasses und des ganzen Leides, kam er nicht von ihr los.

„Bitte, komm mit, ja?“ bat er noch mal ganz lieb. „Ich kann morgen nicht heiraten ohne sie einzuladen. Wahrscheinlich wird sie nicht mal kommen, aber ich muss ihr doch die Möglichkeit geben. Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient.“

„Seto ... ich bin mir nicht so sicher, ob sie überhaupt eine zweite Chance möchte.“

„Aber ich hab sie jetzt seit Jahren nicht gesehen. Sie bekommt doch eine Therapie im Gefängnis. Ihr Psychiater hat mich sogar mal angeschrieben und gebeten, dass ich ihm etwas aus meiner Sicht erzähle, um ihr bei der Therapie zu helfen. Sie macht bestimmt Fortschritte.“

„Und was hast du gemacht?“ fragte sie vorsichtig.

„Damals hab ich es abgelehnt, sie zu treffen“ antwortete er ganz ehrlich. „Das war zu einer Zeit, wo es mir selbst nicht so gut ging. Aber, Tea, jetzt fühle ich mich stark. Ich habe ein gutes Leben und ich glaube, ich bin ein guter Mensch ... vielleicht. Ich war ja auch ein ziemlicher Kotzbrocken, aber ihr habt mich trotzdem in den Arm genommen. Ich war so ätzend, ein so gemeiner Kerl und ihr habt mir trotzdem beigestanden. Vielleicht braucht sie ja auch nur jemanden, der sie in den Arm nimmt und sie liebt. Auch dann, wenn sie um sich tritt. Vielleicht braucht sie jemanden so dringend, wie ich jemanden brauchte.“

„Seto ...“ Sie sprach es wirklich nur ganz zurückhaltend aus. „Vielleicht hast du ja sogar Recht. Aber ich glaube, du bist nicht derjenige, der das machen sollte.“

„Aber ich muss es doch wenigstens versuchen. Tea, bitte versteh das doch! Ich muss es tun ... sonst finde ich keine Ruhe. Ich kann keinen neuen Abschnitt in meinem Leben beginnen, wenn ich noch immer die alte Last mit mir trage.“

„Es bringt ja doch nichts, mit dir zu diskutieren“ seufzte sie und lehnte sich mit einem flauen Gefühl im Magen zurück.
 

Das war nicht gut.

Das war gar nicht gut ...
 


 

Chapter 17
 

Es war schon ein sehr eigenartiges Gefühl, als sie auf das Gelände der Justizvollzugsanstalt fuhren.

Erst mussten sie durch ein großes Tor hindurch, an dem sich ein Wachmann scheinbar ihr Kennzeichen notierte und parkten dann letztlich auf einem kleinen Platz, wo noch etwa zehn Autos standen.

Sie stiegen aus und noch während Tea sich mulmig umblickte, bot Seto ihr schon seinen Arm an. Er war ja schon mal hier gewesen ... ein Wunder, dass er freiwillig noch ein zweites Mal kam. Sie wäre am liebsten schon jetzt beim ersten Mal wieder weggefahren.

Rundherum war ein kleiner Wald und das klobige Gebäude mit den scharfen Ecken war nichts weiter als glatter Stein aus hellem grau, in dem man noch die zementierten Nähte sah. Der kleine Platz aus staubiger Erde ringsum war mit einem hohen Stromgitter und Stacheldraht umzäunt. An den Fenstern waren tatsächlich feste Gitterstäbe und einige Leute hielten ihre Hände heraus, riefen etwas, was man unten nicht verstehen konnte oder sie guckten einfach nur. Das Ding hier sah aus wie der Führerbunker persönlich ... und während sie so darüber nachdachte und mit Seto auf den Eingang zuschritt, kam ihr der Gedanke, dass seine Mutter genauso unangenehm war wie der Führer und hier hoffentlich gut weggesperrt war. Sie war Hitler und Seto ihr ganz persönlicher Jude. Ob es eine gute Idee war, wenn er wirklich zu seinem größten Feind zurückkehrte? Eigentlich fürchtete Seto nicht mal den dunklen Seth so sehr wie seine eigene Mutter - und doch kehrte er immer wieder zu ihr zurück. Warum nur tat er sich das immer wieder an? ... Das war doch wirklich schon grausamer als Masochismus.

"Du hast wirklich einen Knacks" sagte sie leise, als sie an einem überdachten Stück und kurz vor einem gläsernen Wachhäuschen ankamen - war bestimmt Panzerglas.

"Ich weiß" antwortete er nur leise. Er war sich schon bewusst darüber, dass das hier eine schlechte Idee war ... aber irgendwas in ihm drin trieb ihn zurück zu ihr - zu der Frau, die doch eigentlich seine Mutter sein sollte.

"Guten Tag" sprach sie die füllige Frau mit dem strengen Zopf aus fettigem Haar an, welche dort sicher und beschützt hinter ihrem Panzerglas saß.

"Guten Tag" grüßte auch Seto und trat heran. "Wir möchten uns für einen Besuch anmelden."

"Sind Sie schon vermerkt?" erkundigte sie sich ganz sachlich und tippte etwas auf einem Ding, was wohl ein zehn Jahre alter Computer war.

"Nein, wir sind spontan hier."

"Na gut ... mal sehen ..." Sie tippte noch ein bisschen mit ihren wuchtigen Fingern bis sie gefunden hatte, was sie suchte. "Wen möchten Sie denn besuchen?"

"Akemi Nandare." Setos Stimme hatte so einen eigenartigen Ton, wenn er diesen Namen aussprach. Als wäre es ein Zauberspruch für einen bösen Fluch. Oder das Codewort zur Apokalypse.

"Nandare Nandare Nandare ..." murmelte sie, während sie sich weiter nach unten scrollte. "Ah, hier hab ich's. Akemi Nandare ... das ist ja ungewöhnlich, sie bekommt nie Besuch. Frauen, mit diesem Vergehen, werden selbst innerhalb der JVA geschnitten. Darf ich fragen, was Sie von ihr wollen, Mr. Kaiba?"

"Nein" sagte er ganz hart und legte sein kaltes Pokerface auf. Dass Sie so persönliche Dinge ansprach, passte ihm gar nicht in den Kram.

"Das war auch nur rhetorisch gemeint. Ich brauche den Besuchsgrund für die Akten, zumal Prominente für gewöhnlich keine Straffälligen besuchen. Außerdem muss ich es ihrem Betreuer melden. Das hier ist ja schließlich kein Hotel. Also: Besuchsgrund?"

"Ich möchte sie einfach sprechen, ja?" blaffte er sie zischend an.

"Jetzt hören Sie mir mal zu, Mr. Kaiba" blaffte sie erbost zurück und funkelte ihn aus ihren kleinen Augen an. "Ich versuche hier nur, meinen Job zu machen und mich an die Vorschriften zu halten. Und da gibt es weder für Sie noch für mich eine Extrawurst. Also geben Sie mir jetzt bitte ihren Personalausweis, den ihrer Begleiterin und sagen mir den Besuchsgrund. Außerdem die angedachte Dauer des Besuches. Ansonsten muss ich Sie leider wieder fortschicken, denn ich habe diese Richtlinien nicht gemacht."

Okay, das musste er so schlucken, denn sie hatte ja Recht. Sie machte nur ihren Job und dass er sich persönlich angegriffen fühlte, konnte sie ja nicht wissen.

Also atmete er tief durch und beschloss, dass er nicht die Fassung verlieren wollte.

"Natürlich, entschuldigen Sie" bat er und holte seinen Ausweis aus der Gesäßtasche. Den legte er ihr hin und auch Tea legte ihren eigenen aus der Handtasche dazu und schoben beide unter der kleinen Öffnung unter dem Glas hindurch.

Sie nahm die zwei Stücke und tippte wohl ein paar Daten ab.

"Angedachte Dauer des Besuches?" fragte sie ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.

"Na ja ... ne Stunde?" überlegte Seto.

"Höchstens eine halbe Stunde. Mehr Zeit ist nicht erlaubt" berichtigte sie. "Ich trage sie also für eine halbe Stunde ein. Besuchsgrund?"

"Ich will sie zu meiner Hochzeit einladen."

Okay, da klappte der guten Dame doch die Kinnlade in den Keller und sie blickte mit großen Augen auf. Vor ihr stand der große Seto Kaiba und der wollte einen Knacki zu seiner Hochzeit einladen ... und gleich kam ein rosa Osterhäschen vorbeigehoppelt ...

"Wir sind hier aber nicht bei der Versteckten Kamera, oder?" fragte sie perplex.

"Nein, das ist mein Ernst. Sie hat doch Ausgänge ab drei Jahren guter Führung, oder?"

"Ja ... aber nur betreut und nur ein Mal im Quartal. Ähm ... bitte verzeihen Sie, wenn ich nachhaken muss, aber warum wollen Sie Mrs. Nandare zu sich einladen?"

"Ich ..." Okay, Seto. Sag es! "Weil sie meine Mutter ist."

Jetzt wurde die Wärterin blass wie gebleichtes Papier. "Sie ... sind ...?"

"Sie müssen das ja nicht gleich an die Presse verkaufen. Also, darf ich jetzt durch, bitte?" Es war ihm unangenehm, wenn das jemand wusste. Aber wenn er da reinwollte, musste er nun mal wahrheitsgemäße Angaben machen.

"Mr. Kaiba ... sind Sie ... sind sie der Junge, den sie ...?"

"Ja, ich bin der Grund, warum sie einsitzt. Tragen Sie es bitte ein und lassen uns dann passieren, ja? Dankeschön!"

"Ich werde dann ihren Seelsorger anrufen, dass er bei dem Treffen dabei ist. Aus den Daten ihrer Akte, wäre das mit Bestimmtheit besser" meinte sie und schob die Ausweise zurück.

Sie drückte einen Knopf und die dicke Eisentür sprang auf. Zutritt gewährt.

Seto und Tea packten ihre Papiere wieder ein und folgten dann durch die offene Tür.

Sie sah an ihm hoch, aber noch schien er recht umgänglich zu sein. Natürlich war ihm die Anspannung ins Gesicht geschrieben - auch wenn wahrscheinlich nur sie das sah - aber er beherrschte sich noch.
 

Kaum hatten sie den Führerbunker - wie Tea das Gebäude für sich getauft hatte - betreten, da kam ihnen auch schon eine weitere, sehr stämmige Frau entgegen. In ihrer dunkelgrünen Uniform wirkte sie schon sehr wuchtig, sehr kräftig. Aber ihr dicker Zopf aus lockigem Haar gab ihr doch ein wenig Fraulichkeit zurück. Auch wenn sie ansonsten eher einem Bodybuilder ähnlich sah. Na ja, war ja auch ein Frauengefängnis und als Wärterin musste man eben gewisse Voraussetzungen mitbringen. Der einzige Mann hier war wohl nur der Herr ganz am Eingang, der die vorbeikommenden Wagen zählte.

"Guten Tag" grüßte sie freundlich und schüttelte erst Seto, dann Tea die Hand. "Sie möchten zu Mrs. Nandare?"

"Ja." Mehr brauchte Seto dann ja auch nicht zu sagen. Der Informationsfluss war in diesem Betrieb ja einsame Spitze, da könnte sich so manch ein Dienstleister ein Beispiel dran nehmen.

Er nahm Teas Hand und hielt sie frisch kühl, während er wie hypnotisiert dem breiten Hintern der Wärterin folgte, der vor ihnen herschwankte.

"Sie sind mit den Richtlinien für Besuche vertraut?" fragte sie routiniert.

"Ja" antwortete Seto nur wieder kurz.

"Ähm ... ich nicht" brachte Tea vorsichtig an. Sie war noch nie in einem Knast gewesen und war eigentlich auch nie scharf darauf gewesen.

"Also, Mrs. Gardener" setzte die breite Wärterin an. "Es ist durchaus nicht so wie Sie es aus Filmen kennen. Wir haben keine Trennscheiben und auch keine Telefone. Okay, die haben wir auch, aber nicht in diesem Falle. Wir bitten Sie nur einfach, die Gefangenen nicht länger als nötig zu berühren und sich einer Leibesvisitation zu unterziehen, bevor Sie vorgelassen werden. Damit verhindern wir, dass Sie verbotene Stoffe oder Gegenstände hereinschmuggeln. Der Besuch wird überwacht sein und wegen bestimmter Umstände, die hier gegeben sind, in einem separaten Raum stattfinden. Außer Ihnen werden noch zwei Wärter und der Betreuer anwesend sein. Sie werden videoüberwacht und können den Besuch jederzeit abbrechen, genauso wie wir das Gespräch jederzeit abbrechen können. Noch Fragen?"

Wow, die hatte nen scharfen Ton drauf. Aber na ja, das hier war ja auch ein Gefängnis. Mit Freundlichkeit kam man hier wohl nicht weit.

"Nein ... danke" nickte sie und hakte sich lieber bei Seto ein, als nur seine Hand zu halten.

Jetzt wusste sie gar nicht, wovor sie zuerst Angst haben sollte. Davor, dass Seto austickte, vor seiner Mutter, vor der Wärterin oder vor diesem grauenhaften Gebäude an sich. Sie beschloss, dass sie niemals eine Straftat begehen würde ... Gefängnis war echt nicht witzig.
 

"So, bitte hier herein. Mrs. Nandare ist schon da" zeigte sie und wies auf das rote Licht, welches über der Tür brannte. Hieß wohl, dass hier besetzt war.

"Sie entschuldigen?" kam plötzlich eine Stimme von der Seite und die etwas größere Frau, welche bis eben noch stumm und reglos an der Tür gestanden hatte, fummelte plötzlich an Teas Beinen herum - Durchsuchung, falls sie etwas mitschmuggelte.

Diese große Frau, welche dieselbe dunkelgrüne Uniform trug, aber nicht so einen schönen Lockenzopf, sondern streng nach hinten gebundenes, blondes Haar und eine unreine Haut hatte, nickte zu ihrer Kollegin und wollte dann an Seto ran.

Aber der wich erst mal einen großen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände vor sich, um sie fern zu halten.

"Nicht anfassen" befahl er kühl. Er hasste es, wenn er von Fremden angefasst wurde. Noch immer und das würde sich wohl auch Zeit seines Lebens nicht mehr ändern. Hier war doch schon die erste Einschränkung, welche seine Mutter ihm für den Lebensweg mitgegeben hatte.

"Mr. Kaiba, jetzt bitte keine Starallüren" bat die Große, die noch lange nicht so groß war wie Mr. 2 Meter und 7.

"Er trägt nichts Gefährliches bei sich. Sie müssen ihn nicht durchsuchen" versuchte Tea ihn zu verteidigen, aber wie gesagt, kam man hier mit Freundlichkeit und Nächstenliebe nicht weit.

"Sie müssen sich hier doch unseren Richt..." wollte sie sagen, aber da fuhr er ihr gleich dazwischen.

"Das sind keine Allüren. Das hier" zeigte er und holte seinen Ausweis heraus, "das ist ein offizieller Vermerk, der besagt, dass Sie mich bei Durchsuchungen nicht berühren dürfen. Ich genieße Immunität in staatlichen Gebäuden. Da hat ihre Kollegin geschlampt, wenn sie das nicht gesehen hat."

"Zeigen Sie." Und schon hatte die Breitärschige sich seinen Ausweis geschnappt und sah das kleine Label, welches unten eingebrannt war. Nicht schön, aber selten. "Bitte verzeihen Sie" bat sie und gab ihm den Ausweis wieder zurück. "Für gewöhnlich haben nur hohe Politiker so einen Aufkleber oder Mitglieder aus Königshäusern."

Sie konnte ja nicht wissen, dass Seto den eher aus psychischen Gründen trug - wobei er natürlich auch einen gewissen politischen Einfluss hatte und morgen in ein ganz besonderes Königshaus einheiratete.

Doch hierfür hatte er wirklich jede Menge Geld fließen lassen, um dieses Recht auf Immunität zu bekommen.

Hauptsache, er wurde nicht angefasst!

"Dann müssen wir Sie aber trotzdem abstrahlen" bat die Große mit dem blonden Zopf und zog einen kleinen Plastikstock aus dem Gürtel, welcher fast aussah wie ein ägyptisches Ankh auf billig getrimmt.

Das ließ Seto sich dann aber eher gefallen. Er streckte brav die Arme von sich und ließ sich nach Metall abtasten. Natürlich trug er nichts weiter bei sich, nicht mal Kleingeld hatte er in der Tasche und den Autoschlüssel hielt er in der Hand, so dass der nicht piepen konnte. Und wenn so ein Stab über ihm schwebte, bekam er auch weniger Angst, als wenn fremde Hände an ihm rummachten. Den Damen kam das vielleicht arrogant vor, aber sie kannten eben nur seine Oberfläche.
 

Damit waren die beiden Uniformierten dann aber auch endlich fertig und hatten keine weiteren Einwände mehr im Petto.

Die Dame mit dem Lockenzopf öffnete die Sicherheitstür und sofort hörte man ein paar Worte, welche umgehend wieder verstummten.

Zuerst trat Seto herein und dicht hinter ihm Tea alias seine Rückendeckung.

Als sie an seinem angenehm breiten Rücken vorbeiblickte, sah sie dann auch den Horror in Person. Schade, dass sie so eine auffällige Ähnlichkeit mit Mokuba hatte, denn sie war eine echte Schönheit. Ihr tiefschwarzes Haar, ihre großen, schwarzen Augen, ihre helle Haut, ihre zarten Lippen und die ganze Statur so elfengleich. Aber ihr Gesicht war angespannt und sie fixierte Seto mit einem so stechenden Blick, dass es Tea das Herz schmerzte.

Wie er sich nun wohl hinter seinem Pokerblick fühlen musste?
 

Die beiden Wärterinnen blieben draußen und hier drinnen gab es sogar männliche Wärter. Einer stand an der Tür, wo Seto und sie eben reingekommen waren und der andere an der Tür gegenüber, welche wohl zu den Zellen führte. Also hatte sie sich geirrt und es gab durchaus männliche Wärter in diesem Bunker.

Inmitten dieses mittelgroßen Raumes stand ein schlichter, grauer Plastiktisch für etwa acht Personen, aber nur vier Stühle.

Sehr karg und nüchtern war es hier - sehr kalt, obwohl die Sonne durch das verglaste und vergitterte Fenster ein wenig hereinschien und doch nicht wirklich Harmonie in diese abweisenden Wände bringen konnte.

Auf der einen Seite saß die trügende Schönheit und neben ihr ein untersetzter Mann mit schmaler Brille und kaum noch Haaren auf dem Kopf, welche über seine glänzende Glatze gekämmt waren - bestimmt der angesprochene Betreuer oder Seelsorger.

Und der stand jetzt auch noch auf, als niemand etwas sagte.

"Guten Tag. Ich bin Dr. Zewa **wisch und weg ... mir fiel kein schlauer Name ein** und würde gern hier bleiben, wenn es Ihnen recht ist" nickte er Seto besonders freundlich zu. Bestimmt war er voll informiert über seine Patientin und wusste deswegen auch, wer Seto war.

"Tag" erwiderte Seto nur kurz und blickte weiter seine Mutter an, die ihn auch nur mit einem scharfen Blick aufspießte. Es war ein Wunder, dass sie noch nichts gesagt hatte. Für gewöhnlich war es doch ihre Taktik, dass sie freundlich anfing und dann ganz schnell auf ihren Sohn losging, aber jetzt saß sie einfach schweigend da und ließ nicht locker mit ihrem Gestarre.

"Bitte setzen Sie sich doch" lächelte Dr. Zewa und wies überflüssigerweise auf die beiden Stühle gegenüber. Therapeuten hatten irgendwie immer so einen etwas eigenen Touch. So eklig verständnisvoll und glatt.

Seto nahm sich fest den Stuhl, zog ihn vor und setzte sich direkt gegenüber seiner Mutter. Also nahm auch Tea sich einen Stuhl und setzte sich an seine Seite. Am liebsten hätte sie nach seiner Hand gegriffen, ihn in den Arm genommen ... wie er sich fühlte, sah man ihm nicht an. Er hatte einfach diese kalte Miene, welche zwar nichts herausscheinen ließ, aber dafür wusste Tea, dass in diesem Moment alles auf ihn eindrang, auf ihn einhämmerte, ihn einengte und gefangen setzte.

Warum nur setzte er sich solch einem Psychostress aus?

Vielleicht sollte sie doch irgendeinem Glauben beitreten, denn dann könnte sie jetzt ein Stoßgebet schicken. Sie würde darum bitten, dass Seto heil aus seiner schlechten Idee rauskam und hoffentlich endlich einsah, dass seine Mutter ihn nicht hasste, weil er etwa nicht liebenswert, sondern weil seine Mutter selbst ein kranker Mensch war.

"Guten Tag, Mutter" begann er und versuchte wohl, möglichst ruhig und sicher zu klingen. "Wie geht es dir?"

Man sah richtig, wie es in ihr arbeitete. Am liebsten wäre sie wohl aufgesprungen und hätte ihn erwürgt, aber sie blieb reglos sitzen und stierte ihn an.

Je länger Tea ihren Blick sah, desto mehr verstand sie, warum Seto nicht gerne länger angesehen wurde. Warum er es hasste, wenn man ihn durchdringend anstarrte. Er hasste es, wenn man ihn so mit Blicken bombardierte, wie sie es jetzt tat.

Tea wurde kalt und dafür, dass Seto so ruhig war, begannen nun ihre Hände zu zittern. Unter diesem Blick fühlte man sich nackt und klein. Und wenn man, so wie Seto früher, eh schon nackt und klein war, dann starb man unter diesem Blick wie ein Schneeglöckchen in der Wüstenhitze.

Er hatte damals niemals wirklich eine Chance gegen sie gehabt ...

Kein Wunder, dass der Drache so viele krankhafte Psychosen hatte ... drei Minuten mit Frau Adolf alleine und Tea würde auch in die Klapse müssen oder sich zumindest die Hucke zusaufen und mit Drogen volldröhnen ... kein Wunder, dass Seto so zerstört war ... allein dieser Blick war reinste Folter.

"Was willst du hier?" Endlich antwortete sie ihm auch etwas und durchbrach ihr Schweigen. Auch wenn ihre Stimme nicht besonders freundlich klang, so redete sie dennoch endlich und starrte nicht nur herüber.

"Ich wollte dich gern sehen" erwiderte er angespannt, versuchte jedoch vorbildlich, einen liebevollen Ton in die Stimme zu legen. Für Teas Geschmack klang er aber erschreckend unterwürfig. Er hatte Angst und versuchte doch, sie für sich zu gewinnen, indem er brav war. "Und eben hören wie es dir geht. Bist du gesund soweit?"

"Ja, ich bin gesund. Und du auch?"

"Ja, ich bin auch gesund, Mutter" versuchte er sich weiter an etwas Smalltalk. "Weißt du, ich habe jetzt lange in Frankreich gelebt und bin aber wieder zurückgekommen. Vielleicht weißt du aus der Zeitung, dass ich morgen heiraten werde?"

"Die Schlampe da?" nickte sie auf Tea, die merklich zusammensank. Diese Frau war echt die Gesandte der Bosheit.

"Nein, ich werde Yugi heiraten. Wir sind nun schon so viele Jahre zusammen und ich liebe ihn sehr. Yugi ist Jockey und seit kurzem zum zweiten Mal Weltmeister im Galopprennen. Er hat mir in Rom einen Antrag gemacht und ich habe ihn angenommen. Und ... na ja, deswegen bin ich hier."

"Es hieß, du wärst tot" meinte sie in einem Ton, als hätte man sie persönlich beleidigt. "Du sahst echt scheiße aus auf den letzten Bildern."

"Ja, ich war ziemlich schwer krank. Ich sehe mir die Fotos aus dieser Zeit nicht mal an" gab er zu. "Ich bin froh, dass ich wieder besser aussehe und nicht wie ein Halbtoter."

"Dass du jetzt besser aussiehst, habe ich nicht gesagt" fuhr sie ihm in ihrem ‚Hör gefälligst besser zu!'-Ton dazwischen.

"Aber jetzt bin ich wieder gesund und freue mich, dass ich es überlebt habe" sprach er möglichst unbeeindruckt weiter. "Ich weiß jetzt, was es für eine Freude sein kann, wenn man weiß, dass man lebt."

"Schön für dich. Meine Freude über dein Leben hält sich da leider in Grenzen."

Unbemerkt leise atmete Seto sich selbst Ruhe zu und schluckte die aufkommenden Tränen herunter. Sie war noch immer so gemein zu ihm, dabei kam er in Frieden und wollte gar keinen Streit.

"Mutter, bitte sag doch nicht so gemeine Sachen" bat er traurig. "Ich bin hier, um dich zu meiner Hochzeit einzuladen. Mir wurde gesagt, du könntest betreut ausgehen und ich würde mich sehr freuen, wenn du deine Teilnahme einrichten könntest. ... Hier."

Er schob ihr einen Briefumschlag über den Tisch, den er sich schnell aus der Tasche gefischt hatte. Seine Hände zitterten und verrieten, wie angespannt er war. Und trotz seiner immensen Angst suchte er nach einem Kontakt zu ihr. Nach irgendetwas, was ihm sagte, dass sie doch ein paar kleine Gefühle positiver Art für ihn hatte.

Sie war doch schließlich die Frau, die ihn zur Welt gebracht hatte. Die Frau, welche ihm das Leben schenkte ... die Frau, welche seine Seele geboren hatte.

"Was ist das?" fragte sie garstig ohne den Umschlag entgegenzunehmen.

"Deine persönliche Einladung" antwortete er flach. "Wenn du möchtest, lasse ich dich morgen von einem Fahrer abholen und schicke dir vorher gerne etwas Schönes zum Anziehen und auch einen Stylisten, der dich mal so richtig verwöhnt. Mit Make-Up und Massage und was du willst. Ich würde mich wirklich freuen, wenn du kommen könntest. Ich möchte dir so gerne Yugi vorstellen und ... und deine Enkelkinder."

"Meine ... meine was?" Jetzt hatte er sie doch aus der Fassung und zum Staunen gebracht. Ihr Mund stand offen und ihr fielen gleich die Augen aus dem Kopf.

"Deine Enkel, ja" lächelte Seto freudig und in seinen Augen spiegelte sich die pure Liebe. Hoffnung. Vielleicht konnte sie ihn lieben, wenn sie sah, was er alles geschafft hatte ... dass er ihr sogar zwei herzallerliebste Enkelkinder bieten konnte. "Die beiden würdest du sicher mögen. Wir haben eine Tochter und einen Sohn. Ilani ist jetzt fast fünf Jahre alt. Eine kleine, blonde Prinzessin, die jeden vollsabbelt, der sich das gefallen lässt, das ist unsere Nini. Sie ist so süß und unglaublich lieb. Mein Augenstern, mein Mäuschen. Und unseren Sohn Asato. Tato ist jetzt knapp über ein Jahr alt und hat gerade laufen gelernt. Er kann auch schon sprechen und erzählt dir die tollsten Sachen. Aber am liebsten wird er geknutscht. Knutschen ist seine Lieblingsbeschäftigung und sein Hobby ist es, sich alles in den Mund zu stecken, was nicht niet- und nagelfest ist. Er ist ganz lieb, aber ein kleiner Wirbelwind mit einem ziemlich eigenartigen Humor für sein Alter. Er ist sehr liebenswert und man sieht schon, was er für ein großer, stattlicher Mann werden wird. Alle beide sind ganz wundervolle, brave Kinder."

"Du bist doch eine Schwuchtel, ein Schwanzlutscher. Du kannst keine Kinder haben, wenn du dich in den Arsch ficken lässt, du Idiot" war ihre Meinung zu der Sache.

Es wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn sie in die Rolle der Großmutter hätte schlüpfen wollen.

"Yugi und ich haben sie adoptiert" antwortete er etwas traurig, dass sie scheinbar nicht ganz so großen Gefallen an den Kindern fand wie er. Sie dachte ja nicht mal an die beiden - nur an Seto. "Bitte, Mutter. Gib dir einen Ruck und lerne meine Familie kennen. Ich bin ein anderer Mensch geworden und es wäre mir eine Freude, wenn ich dich an meinem Leben teilhaben lassen darf."

"Teilhaben?" lachte sie laut. "Du willst mich teilhaben lassen? Du bist echt unglaublich dämlich. Dein Leben gehört doch schon mir! Ich habe dich unter größtem Ekel auf die Welt gebracht und deswegen gehörst du mir alleine. Du denkst, nur weil du mal ein paar Jahre frei rumlaufen darfst, bist du gleich ein anderer Mensch? Nein, Seto, du wirst dich niemals ändern. Du bist und bleibst nichts weiter als ein kleines Stück Abfall. Eine Missgeburt. Wertlos, seit du aus mir rausgekrochen kamst."

Seto musste merklich schlucken und Tea fragte sich, warum dieser tolle Therapeut nur dasaß und sich seine Notizen machte. Sollte er denn nicht einschreiten und die Ausbrüche seiner Patientin unterbinden, anstatt sich die Brille auf die Nase zurückzuschieben?

Armer Pechvogel Seto.

Er hatte es nicht verdient, dass man einem Pechvogel wie ihm auch noch die Federn stutzte.

"Warum sagst du so gemeine Dinge?" fragte er traurig und senkte seinen Kopf, blickte sie flehend unterwürfig an. "Mutter, ich komme hierher zu dir, um dir zu sagen, dass du mir wichtig bist. Und kannst nur mit Beleidigungen um dich werfen. Hast du denn gar kei...?"

"Wie redest du überhaupt mit mir? Sei gefälligst etwas respektvoller, du Miststück! Du bist doch wirklich so was von verdorben! Warum kannst du nicht sein wie dein Bruder? Mokuba ist brav, lieb und ein toller Sohn. Er ist sauber und intelligent. Aber DU! Du bist so ... es ist mir richtig peinlich, dass etwas wie du aus meinem Körper gekommen ist! Ich könnte kotzen bei dem Gedanken! Eigentlich hättest du wie ein Stück Scheiße den Abfluss runtergehen sollen! Du bist so ...!"

"Mutter, bitte!" So langsam ging Seto die Fassung flöten. Er wurde so traurig, so beschwert. Er liebte sie trotz allem, weil sie seine Mutter war und sie machte ihm nur klar, wie schlecht er war. Warum nur? Warum?

"Nein, nichts bitte! Sieh dich doch mal an, du Dreckstück! Du willst heiraten und das nicht nur einen Mann, du Schwanzlutscher, sondern auch noch deinen eigenen verkommenen Cousin! Du bist eine Schande für alle Nandares! Du bist ein Schandfleck für alle, die du überhaupt nur anglotzt! Und dein Cousin, der dich jeden Tag durchfickt, auch! Ihr wart schon immer verdorben!"

"Mich kannst du beleidigen so viel du willst, aber bitte lass Yugi in Ruhe" bat er ganz lieb. "Yugi ist ein wundervoller, liebevoller und sanfter Mensch. Und nicht verkommen."

"Er war früher schon verkommen. Er und der Rest der Mutos waren immer ach so perfekt! Meine Schwester hat ihren Sohn für was Besseres gehalten, aber als ich ihr das Gegenteil beweisen wollte, hast du versagt! Du bist so ein Versager! Genau wie dein Vater!"

"Papa war kein Versager! Er war dumm, aber er war ein guter Mensch! Du darfst nicht so über ihn sprechen! Papa war lieb!"

"DAS IST INZEST!" schrie sie ihn an. "Und deine Kinder sind verdorbene Bälger! Die gehören ins Heim! Abgeschlachtet, diese kleinen Biester, die du ..."

"JETZT REICHT ES!" Jetzt wurde Papa Seto sauer, sprang auf und haute auf den Tisch so laut, dass selbst die Wächter an den Türen sich erschraken. "ÜBER MICH KANNST DU HERZIEHEN, ABER WAGE ES N I E M A L S WIEDER, MEINE KINDER ZU BELEIDIGEN!"

"Du wagst es, mich anzuschreien?" zischte sie und erhob sich nicht mal von ihrem Stuhl. Selbst Tea lief ein kalter Schauer über den Rücken, wenn Seto so laut wurde, denn mit dem Eisdrachen war nicht zu spaßen, wenn man seine Kinder anging. Aber seine Mutter zuckte nicht mal mit der Wimper. Sie hatte nicht die geringste Angst vor ihm.

Sie sah ihn nur mit funkelnden Augen an. Sie ergötzte sich daran, wenn ihr Sohn Tränen in den Augen hatte. Sie liebte es, ihn zu quälen. Sie liebte es einfach.

"Ich wage sogar noch viel mehr" zischte er zurück.

"Du hast dich wirklich nicht verändert, du Missgeburt. Du bist noch immer ungehorsam und schmutzig. Minderwertig. Nicht mal den verfickten Dreck unter deinen Nägeln bist du wert."

"Meine Fingernägel sind sauber. Sieh hin!" zeigte er ihr beide Hände. "Als ich noch bei dir lebte, waren sie niemals sauber. Weil du es nicht gebacken kriegst, deine Elternrolle ernst zu nehmen."

"DU WAGST ES! DU DRECKIGES SCH..."

Doch in diesem Moment drang ein Sonnenstrahl zu dem kleinen Fenster herein, welches eigentlich so schmutzig war, dass es gar keinen so klaren Strahl durchlassen konnte. Das Licht der warmen Sommersonne fiel direkt auf den Tisch und erhellte einen langen Streifen auf dem grauen Plastik. Als würde der durchdringende Glanz hier eine Grenze ziehen zwischen Seto und dieser Frau, die es nicht wert war, dass er sie Mutter nannte.

Rah war bei allen, die ihn brauchten ...

"Nein, jetzt hörst du mal mir zu" fuhr er kräftig dazwischen, noch bevor sie ihre nächste Hasstirade loslassen konnte. "Sieh mich an, Mutter! Ich bin ein Mann. Ein erwachsener Mann. Ich bin ein Familienvater und ich habe alles, was man sich nur wünschen kann. Ich sehe super aus, ich bin intelligent, habe Humor, ich zeige Gefühle und bin reich. Was könnte eine Mutter sich mehr von ihrem Sohn wünschen? Aber du degradierst mich immer wieder auf etwas, was ich noch nie sein wollte. Früher hast du mich um deine Liebe betteln lassen, aber das hat sich geändert!" Die Tränen quollen aus seinen Augen hervor und was er sagte, fiel ihm nicht leicht. Aber er sagte es trotzdem alles. Alles, was auf seinem Herzen war. Endlich stand er auf und verteidigte sein Glück. Das Glück, für welches er hart gearbeitet hatte - nie wieder würde er sich nehmen lassen, was ihm gehörte. "Heute flehe ich nicht mehr um deine Liebe. Weil ich sie nicht brauche! Früher hätte ich sie gebraucht, aber du hast mir alles verweigert, was man einem Menschen nur verweigern kann. Du hast mir alles genommen, meinen Stolz, meine Würde, meine Träume. Du hast mich zerstört. Glückwunsch, das hast du geschafft. Aber das ist vorbei, Mutter, hörst du? Es ist vorbei! Heute bettele ich nicht mehr um deine Liebe. Ich bin hier, um dir MEINE Liebe anzubieten. Und ob du sie annimmst oder nicht, liegt alleine bei dir. Denn eines will ich dir mal sagen." Und das sagte er ganz ruhig, reichte Tea seine Hand und zog sie hinauf. "Ich fahre jetzt nach Hause, Mutter. In mein Zuhause. Zu meinem Mann, meinen Kindern und dem Rest meiner lieben Familie. Ich werde heiraten und glücklich leben bis ich alt und grau bin. Du hingegen sitzt hier drin. Einsam und alleine in deiner kalten Zelle bis du alt und gebrechlich bist. Und jetzt denke in Ruhe darüber nach, wer von uns beiden besser dran ist und wer hier um wessen Liebe zu betteln hat. Guten Tag, Mutter."

Ohne Teas Hand loszulassen, ging er auf die Tür zu, bekam sie vom Wärter geöffnet und konnte ohne weitere Einwände hindurchgehen. Kurz bevor sie hinter ihnen wieder geschlossen wurde, hörte man seine Mutter schreien. Wütend, laut, voller Hass.

"DU WIRST WIEDERKOMMEN! DU VERDORBENES, ARSCHGEFICKTES ..."

Was für ein Glück, dass die Tür schallisoliert war. So einen neuen Schwall erniedrigender Worte hätte er jetzt wirklich nicht gebrauchen können.

Und ob sie verstanden hatte, was er ihr sagen wollte?

Wahrscheinlich nicht.
 

Seto ließ ein wenig den Kopf hängen und wusste scheinbar ganz selbstständig, wo der Ausgang war. Vielleicht wollte er auch einfach nicht, dass man seinen Gesichtsausdruck sah und so ließ er sich das Haar in die Stirn fallen und blickte sich nicht um.

Er ging und es fiel ihm sichtlich schwer, nicht zurückzublicken.

Tea traute sich im Moment lieber nicht zu, ihn anzusprechen.

Wer wusste, wie er reagieren würde?

Um sich selbst machte sie sich da keine Sorgen, aber neben ihnen liefen die zwei uniformierten Wärterinnen und ob Seto sich vor denen die Blöße geben und Gefühle zeigen wollte? ... Wohl eher nicht.

"MR. KAIBA!" Und dann rief ihnen auch noch dieser schweigende Therapeut hinterher.

Was wollte der denn jetzt noch?

Auf den Ruf hin, blieb Seto so abrupt stehen, dass Tea ihm fast in die Seite gelaufen wäre. Der Gute war völlig überreizt und so plötzliche Bewegungen sahen ihm für gewöhnlich nicht ähnlich ... zumindest wenn er entspannt war.

Er hob den Kopf und zeigte einen so leeren Blick, dass es Tea am eigenen Leibe wehtat. Seine sonst so hellen, verspielt sanften Augen waren so leer - ob Eis auch sterben konnte?

"Mr. Kaiba!" atmete der kleinere Mann, als er ihn erreichte und erst verschnaufen musste. Er war eben nicht nur nicht der Schlankste, sondern der Sportlichste anscheinend auch nicht. Und dass seine Hose ihm schon lange vom runden Bauch gerutscht war, hatte er sicher auch nicht mitbekommen.

"Was wollen Sie?" fuhr Seto ihn in einem eiskalten Ton an. Auf die anderen musste allein dieser Ton in der Stimme wie arrogante Ablehnung und snobistische Aufspielung wirken - aber Tea sah, dass er in diesem Moment eigentlich nur wegrennen wollte.

Seine Arroganz war keine Arroganz, sondern Angst.

"Ich möchte mich kurz mit Ihnen unterhalten" keuchte er noch immer außer Atem und sah an dem übergroß gewachsenen Drachen empor. "Wollen wir in mein Büro gehen?"

"Nein." Das war doch mal ne klare Ansage. Manchmal konnte er sich eben so klar ausdrücken, dass man ihn mal ausnahmsweise nicht missverstand.

"Ich kann ja verstehen, dass Sie damals nicht gekommen sind, als ich sie zum Gespräch eingeladen hatte, Mr. Kaiba. Aber bitte lassen Sie mich Ihnen ein paar Dinge sagen. Nicht nur ihrer Mutter zuliebe, sondern auch für Sie."

"Ich habe meinen eigenen Psychiater. Danke" lehnte er kalt ab. Er brauchte nicht noch jemanden, der an ihm herumdokterte. Dafür besaß er wirklich seine eigenen Seelenklempner, denen er allein mit dieser Aktion hier das nächste Jahresgehalt gesichert hatte.

"Genau, das habe ich mir gedacht" nickte er trotzdem verständig und freundlich. Also, entweder verstand er nicht, dass Seto nicht mit ihm reden wollte oder er war mutiger als er aussah. "Mr. Kaiba, Ihr Mutter leidet an einer Aggressionsneurose. Ich weiß noch nicht, wodurch diese Aggression Ihnen gegenüber ausgelöst wird, aber ich möchte Sie bitten, dass Sie bei sich selbst einige Dinge in Betracht ziehen."

"Was ich betrachte und was nicht, geht Sie nichts an, Dr. Zewa."

"Mr. Kaiba, wissen Sie überhaupt, was Aggression bedeutet?" schaute er ihn freundlich an. "Ich denke nämlich, dass im Falle eines ..."

"Aggression" wiederholte Seto und sah ihn leer an. "Als Aggression, lateinisch aggredi, übersetzt herangehen oder angreifen, werden Verhaltensweisen bezeichnet, die eine Realisierung individueller oder kollektiver Vorzüge durch Drohung, Zurückdrängung, physischer Beeinträchtigung wie Verletzung oder gar Tötung eines tatsächlichen oder vermeintlichen Feindes oder Rivalen ermöglichen sollen. Aggressives Verhalten steht eng im Zusammenhang mit Angriffs-, Flucht- und Verteidigungsverhaltensweisen, auch agonistisches Verhalten genannt. Die Reaktionsstärke des aggressiven Verhaltens ist sowohl auf eine aktivierte innere Bereitschaft im Rahmen eines bestimmten ‚Funktionskreises', als auch auf äußere aggressionsauslösende Situationen zurückzuführen.

Im Zusammenhang mit menschlichem Verhalten kann sich Aggression in verbalen oder tätlichen Angriffen gegenüber Personen, Personengruppen und Sachen, oder -wie im Tierreich auch- in Drohverhalten, Kommentkämpfen, sowie ritualisierten Auseinandersetzungen, etwa im Sport, im Spiel oder im Beruf durch Wettbewerb äußern.

Im Tierreich ist aggressives Verhalten weit verbreitet und wird von Verhaltensbiologen meist dahingehend interpretiert, dass es dem direkten Wettbewerb um Ressourcen, der Fortpflanzung oder dem Nahrungserwerb dient. Es wird daher -speziell seitens der Ethologie- häufig auch als ‚Angriffs- und Drohverhalten' bezeichnet und mit spezifischen Auslösern, den Schlüsselreizen, in Verbindung gebracht."

"Ähm ... ja ..." Damit hatte der gute Herr nicht gerechnet. Aber in letzter Zeit gab Seto diesem Impuls häufiger nach und sagte einfach etwas, was er gespeichert hatte. Ob er dabei merkte, was er sagte, wusste man nicht. Entweder überlegte er sich das oder er spulte es einfach ab wie eine Kassette.

Doch damit war er noch nicht fertig. "Im Sprachgebrauch wird der Begriff Aggression meist mit unangepasstem, zerstörerischem und destruktivem Verhalten in Verbindung gebracht, die beim Menschen meist durch folgende Faktoren gekennzeichnet sind:

1. von der Schädigung.

2. von der Intention.

3. von der Normabweichung.

Beim Menschen wird unter ‚aggressivem Verhalten' in erster Linie eine direkte oder indirekte physische und/oder psychische Schädigung eines Lebewesens oder die Beschädigung eines Gegenstandes verstanden, unabhängig davon, was letztlich Ziel dieser Handlung ist. Wichtig ist dabei die Absicht, unabhängig davon, ob es zu einer Schädigung kommt oder nicht - wenn zum Beispiel das Opfer in letzter Sekunde ausweicht. Die verschiedenen Aggressionstheorien lassen sich unterteilen in Theorien, die aggressives Verhalten auf bestimmte Faktoren zurückführen.

Formen der Aggression sind:

1. offene, physische Form: Schlagen, körperliches Bedrohen oder Tötung.

2. offene, verbale oder nonverbale Form: Beleidigen, spotten, Gesten und mimische Ausdrucksweisen, schreien.

3. verdeckte Form: Phantasien.

4. indirekte Form: Sachbeschädigung, üble Nachrede, Mobbing, Schikanen, Barrieren errichten.

5. emotionale Form: Stress, Ärger, Wut, Groll, Hass.

In vielen Fällen gilt aggressives Verhalten als ein Versuch, ein bestimmtes Problem zu lösen. Aggressives Verhalten wird dann ‚instrumentell' eingesetzt, was bedeutet, es wird versucht, auf diese Weise bestimmte Ziele zu erreichen. Davon abzugrenzen ist die feindselige Aggression, deren Ursache Frustration und Wut und nicht die Erreichung eines gesellschaftlich anerkanntes, übergeordnetes Ziels ist.

Weitere motivationale Unterscheidungsmerkmale sind abgegrenzt in:

1. positive, z.B. im Krieg, versus negative .

2. spontane versus reaktive versus befohlene.

3. ernste versus spielerische.

‚Typische' Aggressionsziele sind zum Beispiel:

1. Das Durchsetzen eigener Wünsche und Interessen, die mit Wünschen anderer im Konflikt stehen.

2. Beachtung durch andere finden, die Rangordnung aufwerten oder erhalten.

3. Reaktion auf Aggression anderer. Abwehr- und Notwehrverhalten.

4. Vergeltung erlittener Aggressionsakte als Rache.

Ja, ich weiß, was Aggression bedeutet."

Der gute Seelenklempner staunte über dieses geballte Wissen. Entweder war dieser junge Mann vor ihm ein außerordentlicher Rhetoriker, oder ein Spinner - oder einfach extrem hochbegabt.

"Ich bin beeindruckt" musste er nickend anerkennen. "Aber eigentlich wollte ich Ihnen sagen, dass ich unter anderem die Vermutung einbeziehe, dass das aggressive Verhalten Ihrer Mutter auch auf einen genetischen Defekt zurückzuführen sein kann. Die Forschung hinkt hier leider noch sehr, aber es muss nicht unbedingt seelische Ursachen haben. Vielleicht fehlt ihr wie beim Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, ADS, ein Botenstoff im Gehirn, welches Informationen dann falsch oder gar nicht auswertet."

"Und warum dann immer ich?" fragte er und auch, wenn er sich Mühe gab, es zu verbergen - man hörte die Traurigkeit in seiner Stimme. "Warum reagiert sie nur auf mich so? Bei einem genetischen Defekt müsste sie Menschen generell so behandeln."

"Wie gesagt, ich bin mir noch nicht sicher" wiederholte er noch mal und schob sich abermals die Brille auf die Nase zurück. "Ich wollte Ihnen sagen, dass vielleicht auch Sie diesen Defekt geerbt haben könnten. Man sagt sich, auch Sie seien ein sehr aggressiver Mensch, der ..."

"Wenn Seto eines nicht ist, dann ist es aggressiv" schritt nun auch Tea mal zu seiner Verteidigung ein. "Seto ist ein sehr ruhiger und liebevoller Mensch. Er hasst Aggressionen und ..."

"Aber Hass ist auch ein aggressives Gefühl" warf der Arzt ein.

"Ja, vielleicht" versuchte sie händeringend zu erklären. "Aber Seto hasst nichts und niemanden! Ich wollte nur sagen, dass ..."

"Lass es gut sein. Danke, Tea" unterbrach Seto sie freundlich und legte seinen Arm um ihre Schultern. Er hatte sie nicht mitgenommen, damit sie ihn verteidigte. Er brauchte einfach jemanden zum Festhalten. Einen Menschen, der ihn daran erinnerte, wo er hingehörte. "Dr. Zewa, ich danke Ihnen für Ihre Mühen, aber bitte lassen Sie mich und meine Psyche in Ruhe. Sie sollen meine Mutter therapieren und nicht mich. Wenn Sie Ihre Aggression abstellen können, bin ich Ihnen auf ewig dankbar. Aber bis dahin kontaktieren Sie mich bitte nicht weiter. Nicht, weil ich ihr nicht helfen will, sondern weil ich einfach genug mit mir selbst zu tun habe. Sonst noch etwas?"

"Nein. Danke, Mr, Kaiba" dankte er und nickte freundlich. "Es fällt Ihnen wohl sehr schwer, sich von ihr loszusagen. Das sehe ich. Es ist zwar verwunderlich, aber nicht unnormal, dass sie an Ihrer Mutter hängen, obwohl sie Ihr schlimmster Alptraum sein muss. Aber ich lobe es, wenn Sie auch auf sich selbst ein wenig Rücksicht nehmen."

"Wie gesagt, ich brauche keinen weiteren Psychiater" verdeutlichte er nur noch mal und blickte ihn weiter kalt an. "Guten Tag, Doktor."

"Ihnen auch noch einen guten Tag, Mr. Kaiba. Und alles Gute für Ihre Hochzeit morgen. Ich hoffe, Sie und ihr Lebensgefährte werden glücklich miteinander."

"Das werden wir sicher. Danke." Damit ließ er es dann aber doch genug sein, drehte sich um und ging weiter direkt auf den Ausgang zu. Genau den Weg, den sie gekommen waren.
 

Als sie endlich wieder im Auto saßen und die Türen geschlossen hatten, atmete er halb erleichtert, halb erschöpft durch.

Tea hatte sich bis jetzt nicht getraut ihn anzusprechen. Wenn er reden wollte, würde er das sicher von selbst tun. Wahrscheinlich wollte er erst in Sicherheit sein, raus aus diesem schrecklichen Gebäude und weit weg von dieser ebenso schrecklichen Frau.

Etwas erstaunt war sie dann aber doch, als Seto den Motor anließ, aufs Gas drückte und ohne einen Blick zurück auf die Straße fuhr. Dass er jetzt noch so ruhig war und autofahren konnte, hätte sie nicht gedacht. Wollte er denn über nichts sprechen? Sie hätte erwartet, dass er weinte oder schlimmeres - aber selbst nachdem er seine kalte Maske abgenommen hatte, schien er nichts in dieser Richtung geplant zu haben.

"Seto?" fragte sie dann doch vorsichtig, als er sich in die Brusttasche griff und wahrscheinlich nach Zigaretten suchte. "Du ... also, du musst das nicht in dich reinfressen. Das ist nicht gut und ..."

"Ich fresse nichts in mich rein" versprach er und holte zu ihrer Erstaunung nicht seine Zigaretten, sondern sein Handy hervor, welches er mit einem gezielten Handgriff vor sich in die Armatur einklemmte.

"Aber du ... Seto ... tut mir leid. Ich bin etwas ... erstaunt" darüber, dass er nicht ausflippte oder zusammenbrach, sich selbst verletzte oder eine Attacke nach der nächsten bekam.

"Du wirst es nicht glauben, aber ich bin auch erstaunt" antwortete er aber etwas geschafft und drückte einen Knopf hinter seinem Lenkrad. "Ich glaube, es liegt daran, dass du einfach da warst ..."

Tea überlegte gerade noch, was das für elektronischer Klimbim war, den er da wieder betätigte, aber diese Frage wurde gleich beantwortet, als nach einem kurzen Klicken, Yamis Stimme durch die Luft hallte.

"Seto!" lachte er fröhlich. Ja, er hörte sich sogar ein wenig außer Atem an. "Wieso rufst du SCHON WIEDER auf Yugis Handy an?"

"Wieso gehst du schon wieder an sein Handy ran, ist die Frage" schoss er sofort zurück. "Los, hau ab jetzt. Gib mir Yugi."

"Vergiss es! Ihr kriegt euch erst morgen wieder. Außerdem ist Yugi gerade beschäftigt."

"Das interessiert mich nicht. Los, gib ihn mir."

Vielleicht wollte Seto mit ihm sprechen. Mit Yugi besprach er es immer zuerst, wenn ihm etwas auf der Seele lag - oder eben mit Seth. Doch die Sehnsucht nach Yugi war hier wohl größer.

Aus dem Hintergrund hörte man ein leises "Wer ist das?" und identifizierte sofort Yugis helle, weiche Stimme. Unverkennbar.

"Seto" antwortete Yami zur anderen Seite.

"Oh! Gib ihn mir!"

"Ihr zwei seid echt schlimmer als zwei zusammengeklebte Fruchtbonbons" schimpfte Yami spaßhaft, man hörte es laut Poltern und ein

"Yami! Komm runter da!" sagte ihnen, dass er sich wohl gerade vor dem ums Handy kämpfenden Yugi in Sicherheit gebracht hatte. Der wollte auch mit seinem Liebling sprechen, aber da mussten sie erst am ollen Pharao vorbei, der dazu seine eigene Meinung hatte.

"Yami, jetzt gib Yugi schon das Handy" bat auch Tea über die Freisprecheinrichtung.

"Hey, Tea! Hi!" lachte der aber nur. "Wenn ihr wüsstet, wie sauer Yugi mich gerade ansieht, würdet ihr mir einen Notar für mein Testament vorbeischicken."

"Yami, was will Seto denn?" war wieder Yugis etwas leisere Stimme aus dem fernen Hintergrund zu hören. Wahrscheinlich stand er gar nicht so weit weg, aber Fernsprechhandys gab es ja nun leider noch nicht.

"Was willst du denn?" fragte er dann wieder zu Seto in den Hörer hinein.

"Ich ... ich ..." Was würde er jetzt darauf sagen? Dass er ganz dringend jemanden brauchte? Dass er kurz vorm Heulen war? Dass die Hochzeit verschoben werden musste? "Sagst du Yugi, dass ich ihn liebe?"

"Yugi, Seto sagt, er liebt dich" gab das Hindernis weiter und man konnte sein fröhliches Lächeln richtiggehend in der Stimme wahrnehmen.

"Sag ihm, ich liebe ihn auch. ICH LIEBE DICH, LIEBLING!"

"Er liebt dich auch, Liebling" lachte Yami, bevor ein Rascheln durch die Leitung ging und eine noch viel hellere Stimme ertönte.

"Je t'aime aussi, Papa!"

"Nini" hauchte Seto mit einem leisen Lächeln auf den Lippen. "Je t'aime plus, ma petite princesse."

"On se marie demain, Papa! Je serre ma tenue jolie et Papa aussi. Se réjouis-tu?"

Tea war erstaunt, wie fließend die kleine Nini die französische Sprache beherrschte. Zuhause wurde kaum Französisch gesprochen, obwohl sie ja nun nicht gerade wenig redete. Doch Nini schien das egal zu sein, in welcher Sprache sie plapperte. Hauptsache, sie wurde verstanden. Yugi hatte mal erwähnt, dass sie ihre Kinder zweisprachig erzogen - aber in dem Alter war das echt ein Hammer. Anscheinend hatten nicht nur Yugi und Joey in den Jahren der Abwesenheit so einiges geschafft.

"Naturellement, je me réjouis" lächelte Seto und hatte doch eine kleine Träne im Auge. "Tu es toujours joli, ma souris douce. Gibst du Papa einen Kuss von mir?"

"Einen ganz dicken?"

"Nein, noch viel dicker. Und trete mal Yami, wenn du ihn triffst."

"AUA! NINI!" Okay, sie HATTE ihn getroffen.

"Ich liebe dich, Papa. Au revoir!" Und noch ehe Seto etwas erwidern konnte, hatte die Kleine aufgelegt. Sie war wohl genauso hibbelig wie Yami im Moment. Und Yugi? Der schien zwar ganz ruhig, aber das musste bei ihm nicht viel heißen.

Seto legte durch ein neues Klicken hinter seinem Lenkrad auf und fuhr zurück auf die Autobahn, von wo sie auch gekommen waren.

Der Wind wehte ihnen um die Nase und eigentlich sah die Gegend hier im Sommer wunderschön aus. Weite Felder, zwischendurch ein Hochsitz zum Jagen, die Straße war frei, die Sonne schien hell ... apropos Sonne ...

"Seto?" sprach sie ihn zaghaft noch mal an und wandte ihren Blick auf den Drachen, der sich gerade seine Sonnenbrille aufsetzte.

"Hm?" machte er nur schlicht.

"Wodurch kam das ... dass ... dass du so plötzlich ...?"

"Ich weiß es nicht" beantwortete er diese nur halb gestellte Frage. "Ich dachte, ich würde zusammenbrechen, ich wollte weglaufen. Aber dann war da plötzlich ... so eine Kraft in mir. Die Trauer und die Angst ist noch immer da, aber ... diese Kraft hat sie verdrängt. Ich wusste gar nicht, dass ich so eine Kraft habe. Ich bin traurig, aber ... auf eine andere Weise fühle ich mich stark. Leer und glücklich zugleich ... kannst du das verstehen?"

"Dich wird man wohl nie verstehen" lächelte sie. Vielleicht war ihm dieser Sonnenstrahl, welcher durch das schmutzige Fenster hereinbrach, gar nicht aufgefallen. Aber vielleicht ... ja, ganz vielleicht hatte Rah seine schützende Hand über ihn gehalten und ihm die Kraft gegeben, seiner Mutter die Stirn zu bieten. Die Kraft, welche Seto niemals wirklich gehabt hatte. Aber nun war er empfänglich für Rahs Kraft, seine Worte, seinen Schutz. Er musste es nur zulassen. Man spürte es nicht immer, aber manchmal gab es eben doch ein höheres Geschick, welches die Erde leitete. Und Seto hatte da oben ganz eindeutig bei jemandem einen Stein im Brett.

"Und nun?" fragte sie weiter. "Was willst du jetzt machen? Ich meine ... du willst doch da nicht wieder hin, oder?"

"Nein, ich werde sie nie wieder aufsuchen. Selbst, wenn sie irgendwann wieder draußen ist" antwortete er abgeklärter als man es ihm zutraute. "Weißt du, Liebes, ich bin in den letzten Jahren ein ganz anderer Mensch geworden. Ich hab's selbst gar nicht gemerkt, aber ... ich glaube, die Zeiten, wo ich klein und ängstlich war, sind vorbei. Die Zeiten, in denen ich einsam und arm war, sind vergangen. Ich bin jetzt jemand und ich habe etwas. Ich glaube, ich habe meine Angst im Griff und kann ich mich auch Problemen offen gegenüberstellen, ich habe an Mut und Stärke gewonnen. Ich habe keinen Grund mehr, verzweifelt zu sein, mich oder mein Leben zu hassen. Es gibt so vieles, was ich habe. Ich habe ein warmes Zuhause und genug Geld für zwei Leben. Ich habe eine liebevolle Familie, welche immer für mich da ist" lächelte er und griff einfach nach ihrer Hand, um sie festzuhalten. "Ich habe Kinder, die mich lieben, mich brauchen und um die ich mich kümmern darf. Und ab morgen habe ich sogar einen Ehemann. Und alle sind gesund. Ich habe so vieles, was mich glücklich und stark macht ... ich brauche keine Mutter mehr."

Da konnte sie doch nur "Wow" hauchen. "Das hört sich richtig gut an."

"Ja, nicht war?" meinte auch er, drehte den Blick auf sie und schenkte ihr eines der schönsten Lächeln, welches er jemals verschenkt hatte. "Ich glaube, jetzt kann ich erwachsen werden."

"Erst mal heiratest du und dann wirst du erwachsen, ja?"

"Ja" seufzte er und fuhr die direkte Abfahrt herunter. "Möchtest du noch ein Eis essen gehen? Mit Sahne und Schokosauce?"
 

Es tat zwar weh, aber ...

... jetzt konnte er heiraten ...

... und erwachsen werden.
 

Jetzt konnte er die Vergangenheit loslassen, um seine Zukunft festzuhalten.
 

Und dieser kleine Ausflug blieb unter ihm und seiner Tea.
 


 

Chapter 18
 

Es wurde eine schlaflose Nacht für alle, denn Seto begann doch langsam, sie mit seiner Nervosität anzustecken. Selbst die sonst so tiefschlafende Nini verzog sich heute Nacht zu Joey ins Bett, weil: „Papa ist voll nervig heute. Da kann ich gar nicht richtig einschlafen. Der redet immer nur von Papa ...“

Es war zum Heulen.

Und das tat Seto auch am nächsten Morgen schon zum Frühstück. Mitten im Bissen ins Brot begann er einfach zu schluchzen, weil er es nicht fassen konnte. Nur noch sechs Stunden und er würde heiraten! Nur noch sechs Stunden und Yugi würde sein Jawort annehmen. Er musste einfach heulen ... er hielt es nicht mehr aus.

Es war schrecklich. Auf Seto aufzupassen und ihm Taschentuchnachschub zu besorgen, war vielleicht der härtere Job, als wenn man bei Yugi bleiben konnte. Aber auch das hatte Nachteile. Kaum kehrte jemand von Yugi zurück, schon hatte man Seto an der Hacke kleben, der tausend Fragen stellte. Geht es Yugi gut? Wird er rechtzeitig da sein? Hat jemand an die Ringe gedacht? Hat Yugi ihn noch lieb? Sind alle lieb zu ihm? Er kam doch auf jeden Fall, oder?

Und das erste Mal im Leben wünschte man sich, man könne Seto einfach an die Leine legen und an der Autobahn aussetzen ... oder ihn wahlweise in den Kleiderschrank wegsperren. Irgendwie war er ja doch niedlich, wie er so nervös war - aber, dass er nervös war, würde er NIEMALS zugeben. So ein Quatsch auch. Er und nervös? Auf keinen Fall!

Er wurde den Rest des Tages mit Nini im Kinderzimmer festgehalten, wo sie sich gemeinsam Arielle ansahen ... drei Mal hintereinander, damit Seto mal wieder ein bisschen runterkam.
 

Bis es dann endlich so weit war.

**Nehmt das jetzt mal als positive Prophezeiung, ja? Aber gewöhnt euch nicht dran, denn das war die letzte für nächste Zeit. ^^**
 


 

Es war alles arrangiert und neben dem ganzen Vorbereitungsstress musste jeder auch noch die Zeit finden, sich schnell umzuziehen. Seth war schon vorgefahren, um die TV-Arbeiten zu überwachen und so war Mokuba sein Haupthändchenhalter. Tato wurde von Mama halb plattgedrückt, bis Sethos den Kleinen lieber an sich nahm.

Yugi ging es aber nicht unwesentlich anders. Er wurde in den letzten Stunden dann auch nervös und Yami haute ihm immer wieder auf die Finger, damit er sich nicht die Nägel abpulte. Opa saß auch noch mit im Wagen hin, aber Yugi würde eh einen anderen Eingang nehmen. **So als Seme ...**
 

Allmählich wurde es spannend.

Als Yugi ankam, nahmen sie den Hintereingang **XD**, um dem ganzen Auflauf an Freunden und Bekannten zu entgehen. Außer Opa und Yami hätte er eh gerade niemanden gebrauchen können.

Die spanische Botschaft in Domino lag wirklich schön. Ein nettes, helles Haus umgeben von einem hoch umzäunten Gelände. Ein bisschen wie auf einer Immobilienwerbung.

Senhor Temanez begrüßte Yugi sogar persönlich, als er in den kleinen Warteraum vor den Trauungssaal trat. Der spanische Botschafter war erschreckend jung. Yugi hatte viel eher einen knorrigen Alten erwartet, der etwas mehr nach Politiker aussah. Aber Senhor Temanez konnte nicht viel mehr als zehn Jahre älter sein als er selbst. Also, älter als 40 war der nie und nimmer! Er trug einen feinen, eierschalenen Anzug und eine auffallend gelbe Krawatte. Doch seine dunkelbraunen Augen strahlten eine solche Wärme ab, dass Yugi sich sofort wohl bei ihm fühlte. Ein echter Südländer, dunkle Haut, dunkles Haar und wunderbar weiße Zähne. Wäre er kein wichtiger Mann hier, könnte er genauso gut Modell werden. Er war schlank und kräftig und durchschnittlich groß. Irgendwie fühlte man sich spontan wohl neben ihm und seinem warmen Lächeln

„Mr. Muto!“ begrüßte er ihn freudig und schüttelte ihm die Hand. Sein spanischer Akzent war zwar deutlich herauszuhören, aber das passte auch nur zu ihm. „Schön, dass Sie so rechtzeitig da sind. Geht es Ihnen gut so kurz vor der entscheidenden Stunde?“

„Ja, danke“ lächelte Yugi, während der Botschafter noch schnell Opa und Yami die Hand reichte.

„Mr. Muto, Mr. Muto … mi dios, drei Mr. Mutos auf ein Mal. Meine Güte, so viel Wirbel um eine Hochzeit habe ich ja auch noch nie erlebt“ strahlte er trotzdem hell, selbst etwas nervös, aber schrecklich gut gelaunt. „Der Fernsehsender hat mir die halbe Einrichtung durcheinander gebracht und wir mussten sogar unsere Schiebewand öffnen, um alle Gäste unterzubringen. Wir mussten noch nie unsere Schiebewand öffnen! Na ja, Sie sehen ja, ich bin wahrscheinlich viel aufgeregter als Sie.“

„Das glaube ich kaum“ lachte Yugi. „Ich hoffe, Sie hatten nicht zu viele Umstände.“

„Doch, die hatte ich“ lächelte er gut gelaunt. „Aber dieses sind schöne Umstände, die ich mir gerne mache. Für gewöhnlich traue ich nur spanische Paare, aber für meinen Freund Kaiba tue ich viel. Wissen Sie, er hat mir mal sehr aus der Patsche geholfen und ich bin glücklich, dass ich mich endlich revanchieren kann. Es ist bereits alles vorbereitet, wollen Sie es vielleicht sehen?“ bot er an und führte Yugi, Yami und Opa auch ohne Antwort in den Festsaal hinein, wo gerade die ersten Gäste Platz nahmen.

Er sah schon die Ishtars mit Ryo im Anhang und winkte ihnen glücklich zu. Und schon war auch Opa weg, um sie schnell persönlich zu begrüßen. Ryo hatte er jetzt auch schon seit Jahren nicht gesehen und dabei war er doch früher so häufig im Spieleladen zu Gast! Selbst ihre alten Freunde, die nach Amerika ausgewandert waren, saßen schon da und Sally musste Nora jetzt schon trösten, weil sie auf Hochzeiten immer heulen musste. Marc und Jacques hatte er eben auch schon im Durchlaufen gesehen und Seth motzte gerade lautstark den Kameramann zusammen, der doch tatsächlich mit nach vorne wollte - aber das konnte der sich abschminken. An Seth kam keiner vorbei und besonders bei der Hochzeit seines Hikaris wurde Wert auf höchste Perfektion gelegt - auch wenn Seth doch ein wenig den Kopf schüttelte über so viel Wirbel. In Ägypten waren Hochzeit eine alltägliche Sache. Hätte er bei jeder seiner Ehefrauen so ausschweifend feiern müssen, wäre er ja jetzt noch dabei.

Ansonsten war der Saal reich geschmückt. Es hingen wunderschöne Girlanden aus echten Rosen an der Decke, große kunstvolle Vasen mit roten und blauen Rosen bestückt und Vergissmeinnicht wunderschön drapiert auf dem altarähnlichen Schreibtisch zwischen frischen Maiglöckchen ... zu dieser Jahreszeit! Die Blumenarragements an den Fenstern mussten auch von James sein. Das war sein Geschenk zur Hochzeit, dass er alles den ganzen Tag so wunderschön geschmückt hatte. In Sachen Blumen war er einfach der Beste und es war wahrlich nicht leicht, im Hochsommer Maiglöckchen zu bekommen. Doch ihm war gesagt worden, wie sehr Yugi diese zarten Schneeblumen liebte ...

„Es wird folgendermaßen aussehen“ erklärte Senhor Temanez und holte Yugi aus seinen staunenden Gedanken ab. „Ihre Freunde haben darauf bestanden, die Trauung möglichst traditionell zu gestalten, obwohl wir ja nicht in einer Kirche, sondern quasi im Standesamt sind. Deshalb habe ich gemeinsam mit ihren Freunden den Ablauf so eingerichtet. Sie werden bereits hier stehen ... Mr. Muto?“

Yugi war schon wieder in Gedanken vertieft und konnte es noch gar nicht fassen.

Das hier war nur für ihn. Der ganze Aufwand, alle kamen, alles war so wunderschön hergerichtet ... und Seto würde ihn endlich richtig heiraten. Sein größter Wunsch ging heute in Erfüllung.

„Ja?“ meldete er sich aufgescheucht, als er seinen Namen hörte. Und doch konnte er seine feuchten Augen kaum verbergen.

„Ich mache es kurz. Versprochen“ lächelte der junge Botschafter ganz beruhigend und zog ihn herüber, links neben den Schreibtisch. „Hier werden Sie stehen. Sie haben sozusagen die Rolle des Bräutigams. Ihr Liebster wird dort zur Tür hereintreten und auf Rosenblättern hier her nach vorne wandeln. Hach, ist wandeln nicht ein schönes Wort? Dazu werden wir etwas festliche Musik einspielen. Wir haben sogar Livemusik, aber die Band macht gerade Pause und liegt in der Sonne. Sie haben den ganzen Morgen für sie geprobt, nachdem sie mit Verzögerung aus Frankreich gekommen sind.“ Na, wer das war, das konnte Yugi sich schon denken. „Wenn Ihre ‚Braut’ dann endlich hier vorne angekommen ist, werden wir beginnen. Ich werde eine kleine Ansprache halten und Ihre Gäste werden Ihnen ein Lied singen, in welches Sie gerne mit einstimmen können. Eigentlich weiß ich gar nicht, warum die Band heute so lange geprobt hat ... denn dieses Lied haben sie nicht ein einziges Mal gespielt ... na ja, ich war auch nicht immer hier. Oh, ich wollte es ja kurz machen! Entschuldigung, also: Nach dem Lied werden Sie sich dann gegenseitig ihre Hochzeitsschwüre geben und ... Sie haben doch etwas vorbereitet?“

„Das Einzige, woran ich gedacht habe“ lächelte Yugi verlegen. Er hatte die ganze Nacht daran gesessen und gegrübelt, was er Seto sagen wollte. Aber wahrscheinlich würde er eh alles aus dem Bauch machen müssen, da er unter Garantie vergaß, was er alles sagen wollte in diesem ganz besonderen Moment.

„Sehr schön“ nickte er lieb. „Nachdem Sie sich die Liebe geschworen haben, werden Sie die Ringe tauschen. Keine Angst, ich habe sie zu diesem Zeitpunkt noch in unserem Save. Sie sind also schon hier vor Ort.“

Das hatten Yugi und Seto auch beschlossen. Sie hatten die inoffiziellen Hochzeitsringe abgenommen und wollten sie sich noch mal offiziell anstecken. Für neue war kein Bedarf, denn so fanden endlich auch diese Ringe ihre wahre Bedeutung und nicht ‚nur’ eine herzmäßige.

„Und dann natürlich der Hochzeitskuss“ schwärmte er. „Wenn Sie dann bereit sind, machen wir ganz kurz den schriftlichen Kram, das heißt, wir unterschreiben gemeinsam Ihre Trauungsurkunde. Aber das geht schnell. Möchten Sie das Dokument vorher ansehen? Mr. Kaiba hat zwar schon alles in Augenschein genommen, aber vielleicht möchten Sie auch einen Blick darauf werfen.“

„Wenn Seto es gesehen hat, wird es schon stimmen“ vertraute Yugi darauf.

„Oh nein!“ lachte er. „Verzeihen Sie, ich meine Noah Kaiba. Er hat alles durchgesehen.“

„Dann ist es auch okay“ nickte er entschieden. Noah hatte nicht viel weniger Ahnung von solchen Dingen als Seto. Außerdem hatte Yugi gerade anderes zu tun, als sich mit Paragraphen herumzuärgern, zumal er wahrscheinlich eh nichts Falsches finden würde. Noah hatte sicher aufgepasst, dass alles seine Richtigkeit hatte.

„Sehr schön“ redete der freundliche Senhor Temanez weiter. „Und Trauzeugen haben Sie auch benannt. Ich habe hier ... Moment“ bat er und fischte sich einen mehrfach gefalteten Zettel aus der Hemdtasche, den er erst umständlich auffummeln musste bis er endlich seine Klaue entziffern konnte. „Auf Ihrer Seite wären das Ihr Bruder Yami Atemu Muto und Mokuba Kaiba, ja? Und auf der Seite Ihres Gatten haben wir Seth Aleseus Pasrahcal Taylor und Noah Kaiba. Ist das richtig so?“

„Er nimmt Noah?“ guckte Yugi überrascht. „Ich dachte, er wählt Joey.“

„Das haben die beiden schon abgeklärt“ warf Yami ein, der treu an Yugis Seite stand und das alles mit überwachte. „Es sind ja leider nicht mehr als zwei Trauzeugen zulässig. Natürlich hängt er an Joey, aber er sagt, dass Noah letztlich doch der Anlass dafür war, dass alles in Gang gekommen ist. Hätte er nicht mit Mokuba angebändelt, wäre das alles so niemals passiert. Und natürlich hat Joey dafür Verständnis und ist auch nicht böse drum. Er will nur dafür das größte Stück Torte haben.“

„Ähm ... okay.“ Wenn die beiden das so beschlossen hatten, dann würde Yugi sich nicht dagegen stellen. Würde schon seine Richtigkeit haben und irgendwo hatte Seto ja Recht. Eigentlich hatten sie das alles nur Mokuba und Noah zu verdanken.

„Haben Sie jetzt noch irgendwelche Anmerkungen, Mr. Muto?“ fragte Senhor Temanez und steckte seine Spickzettelchen weg. „Irgendwas nicht in Ordnung, irgendwas zu meckern, irgendwas zu ändern? Vielleicht noch irgendwelche Wünsche offen, die wir erfüllen können?“

„Nein, es ist alles wunderbar“ antwortete er und ... musste ganz plötzlich schluchzen und sich selbst überrascht die Hände vor den Mund halten. Er wurde einfach von seinen Gefühlen überrannt. Das alles hier kam ihm vor wie im Traum. Nur noch eine halbe Stunde und er würde sich trauen lassen.

„Jetzt flenn hier mal nicht rum“ lachte Yami und nahm ihn fest in den Arm. Er konnte durchaus verstehen, warum sein Hikari so aufgewühlt war. Er stand ganz kurz vor der Erfüllung seines sehnlichsten Traumes. Er hatte Seto todgeglaubt und nun heiratete er ihn ...

„Dann setzen Sie sich jetzt gerne noch einen Moment nach hinten und genießen ein Glas Schampus“ schlug der Botschafter vor. „Ich bekomme gerade ein Zeichen, dass Ihr Liebster eingetroffen ist und sich gerade umzieht. Dem werde ich jetzt noch mal dieselbe Predigt halten. Nur für eine Ortsbegehung ist jetzt keine Zeit mehr. Die Limousine muss wohl im Stau gesteckt haben. Aber wie auch immer. Mr. Muto, wir sehen uns dann zur Trauung“ verbeugte er sich ein wenig und machte sich dann im leichten Galopp auf zu Seto, um dem noch mal das Gleiche zu erzählen.

„Und wir legen jetzt noch mal die Füße hoch“ meinte Yami und zog Yugi hinter sich her in eine ruhige Ecke. Der zitterte schon wie Espenlaub vor Aufregung und Freude. So aufgewühlt war er noch nie gewesen, ihm war so schlecht, sein Herz klopfte in den Ohren und ihm wurde schwindelig - aber Seto ging es wohl auch nicht besser und das tröstete dann doch ein wenig.
 

Es dauerte noch eine endlos lange halbe Stunde, welche wie im Zeitraffer verflog und in welcher Yugi einfach nur dasaß, sich von Yami irgendwelchen Mist zur Beruhigung erzählen ließ und er schon das dritte Glas in seinen Händen hielt. Nicht, weil er schon so viel getrunken hatte, sondern weil ihm die filigranen Dinger immer runterfielen vor Nervosität.

Doch endlich steckte der Botschafter den Kopf herein und lächelte herzallerliebst.

„Mr. Muto, wir wären so weit“ strahlte er selbst voll der Freude. „Kommen Sie dann zu uns?“

„Musst du noch mal aufs Klo?“ grinste Yami.

KLIRR!

„Yugi, das war jetzt Glas Nummer drei. Spitzen Hattrick“ lachte er ihn an und nahm ihn einfach schon wieder in den Arm. Der arme Kleine war ja ganz unzurechnungsfähig vor Glück. „Und? Willst du nicht doch noch mal schnell aufn Topf?“

„Eigentlich will ich nur noch nach Hause“ hibbelte er, befreite sich aus Yamis Umklammerung und zurrte sich noch mal das Jackett zurecht.

„Was denn? Nicht direkt zur Hochzeitsnacht?“

„Yami, ich bin jetzt echt nicht zu Späßen aufgelegt“ bettelte er und band sich den Zopf eben noch zum zehnten Mal neu. Es musste für Seto einfach alles perfekt sitzen.

„Hey, jetzt lass doch mal locker“ bat Yami und hielt das kleine Nervenbündel einfach von hinten fest. „Was soll denn schon groß schief gehen?“

„Mann, es geht doch immer irgendwas schief. Entweder stürmt ein machthungriger Tyrann herein und reißt die Weltherrschaft an sich und wenn es das nicht ist, dann krachen die Blumengirlanden runter oder ich stolpere und maule mich voll auf die Fledde. Dann denkt Seto doch, Wunder was für ein Idiot ich bin. Vielleicht hab ich auch irgendwo einen Fussel hängen und Seto kann da nicht dran vorbeigucken.“

„Da wird schon nichts Schlimmes passieren“ versuchte Yami zu beruhigen. „Du willst Seto, Seto will dich, ihr wollt euch gegenseitig - was wollt ihr mehr? Yugi, es wird wunderschön werden und nach der Hochzeitsnacht kann dein Drache drei Tage nicht sitzen. Du wirst schon sehen.“

„Meinst du?“ fragte er und schaute mit so großen Welpenaugen, dass Yami ganz süß ums Herz wurde. Yugi glaubte da noch immer nicht dran, dass es endlich so weit sein sollte. **Armer Yugi ... wer hat ihn denn nur so verschreckt? ... Ich jedenfalls nicht ... oder? Nein, ich doch nicht!**

„Ja, meine ich. Also los! Lasset das Liebesduell beginnen.“

„Du spinnst doch“ beschloss Yugi und ging halt hinaus in die Höhle des Löwen.
 

Und sofort sah er, dass alle da waren. Wirklich alle.

Die Stuhlreihen waren VOLL bis auf den letzten Platz!

Sogar extra angereiste Freunde und Bekannte aus Frankreich. Leute und Lehrer eingeflogen aus Setos Musikschule, Kollegen und Trainer aus Yugis Rennställen, all ihre Freunde, auch alte. Sogar seine alte Klassenlehrerin, die er damals um Joey und Tristans Versetzung angefleht hatte, konnte er hinten erkennen. Es waren wirklich alle gekommen. Was für ein Aufwand und das nur, weil er heiratete.

Er sah die Kameras, die ihn fixierten, aber vor allem die wunderschöne Beleuchtung und seine liebsten Freunde in den vordersten Reihen. Ihre Trauzeugen standen schon vorne am geschmückten Pult und alle lächelten ihn glücklich an. Bis auf Seth, der sich wohl noch um Seto kümmern musste und gar nicht zu sehen war.

Yugi bot aber auch einen schönen Anblick.

Wenn man ihn so sah, staunten doch viele, die ihn lange nicht gesehen hatten. Wer ihn noch als schmächtigen, schüchternen Jungen in Erinnerung hatte, der sah ihn doch innerlich gewachsen. Aus dem naiven Bübchen war ein selbstständiger Mann geworden. Der kleine, blonde Zopf machte ihn richtig erwachsen, aber auch ein wenig jugendlich verwegen. Sein weißer Frack mit dem seidengrauen Rüschenhemd, die teuren Schuhe und die noch teureren Manschettenknöpfe gaben ihm einen direkt edlen Touch. Zwar war er nicht besonders groß, aber er sah plötzlich wirklich richtig erwachsen aus. Kein Vergleich mehr zu dem kleinen, schüchternen Jungen von früher. Jetzt war er so stark und mutig, dass er vor Millionen von Menschen eine Ehe schließen wollte, die immer vom Großteil abgelehnt wurde und es auch in Zukunft sicher nicht leicht haben würde. Das brauchte wirklich riesigen Mut und noch größere Liebe. Und zu seiner Liebe stand er ohne Einschränkungen.

Es wurde gerade so spannend ruhig im Saal, als von draußen eine aufgebrachte Stimme drang.

„ICH GEHE DA SO NICHT REIN! ... NEIN! LASS MICH GEFÄLLIGST LOS! ICH MACHE MICH DOCH NICHT ZUM AFFEN!“ Seto war schon wieder am Keifen und wusste wohl gar nicht, dass die wartenden Gäste im Saal ziemlich belustigt schmunzelten. Das war doch so typisch für die alte Keifnudel.

„Seto, du siehst toll aus“ hörte man Nika etwas leiser versichern.

„Ja, du bist wunderschön. Los, komm jetzt rein“ drängte auch Marie. Die beiden schienen ihn ja eingekleidet zu haben und Seto schien das nicht so toll zu finden. Vielleicht durfte er ja seine FlipFlops nicht anziehen ...

„Ich sehe total unmöglich aus! Seth! Gib mir deinen Anzug! Wir tauschen!“

„Seto, du siehst super aus. Komm jetzt rein, sonst muss deine Hochzeit ausfallen.“

„Was? ...“ Oh, das machte ihn jetzt aber traurig. Seine Hochzeit musste wegen Kleidungsfragen ausfallen? Nun ja, es dauerte einige Sekunden, bis er den Braten gerochen hatte. „Das ist nicht lustig! Ich will was anderes zum Anziehen! Ihr macht mich voll zum Honk! Ich bin doch keine Braut!“

„Doch, bist du.“

„Bin ich nicht!“

„Du bist der Uke!“

„BIN ICH NICHT!“

„Aber du spielst die Braut. Das ist deine romantische Rolle. Los und jetzt geh rein.“

„NEIN!“

„Willst du jetzt heiraten oder nicht?“

„JA! ABER NICHT SO WIE ICH AUSSEHE!“

„Du machst mich malle“ seufzte Seth, packte ihn an den Schultern und schob ihn gut hörbar, da Seto wütend auf dem Boden zu stampfen versuchte und sich nach Kräften dagegen wehrte, zum Eingang des Saales.

„ICH WILL NIIIIIIICHT!“ quengelte er noch, aber nach einem kurzen Murmeln von seinem unnachgiebigen Yami stand er dann auch schon vor aller Augen. Alle hatten ihre Köpfe nach ihm ungewandt und schauten ihn an.

Jetzt konnte er auch nicht mehr zurück. Nun war es zu spät.

Und so übel wie Seto meinte, sah er gar nicht aus. Okay, Nika und Marie hatten sich unübersehbar an ihm ausgetobt und das passte so gar nicht zu seinem männlich coolen Gehabe, aber er sah wirklich wundervoll aus. Wie eine Braut in maskulin. Ein heiratender Uke.

Er trug eine lange, strahlend weiße Seidenhose, welche ihm bis über die Füße wallte, wo man nur mit Mühe ein paar weiße Lackschuhe erkennen konnte, was seine langen, wunderbaren Beine so himmlisch herausstechen ließ. Der Hammer aber war sein Oberteil. In derselben Seide wie die Hose, war ein sehr knappes Hemd geschnitten, welches ihm schmeichelnd eng um den Bauch und die Brust und dann ebenso eng bis an die Ellenbogen reichte, wo es dann wieder weiter wurde und seine Hände verdeckte. Jedoch das, was vorne mit Mühe über den Bauchnabel ging, wallte hinten bis in die Kniekehlen. Wie eine kleine Schleppe. Und darüber ein grob gewebtes Samtnetz, welches ihm über die Schultern hing und noch ein Stück weiter bis an die Waden reichte. So sah es wirklich aus, als trüge er ein männliches Brautkleid ganz in silbrigem Weiß. Die beiden Modeschöpferinnen hatten ihn wirklich wörtlich in Samt und Seide gekleidet. Dazu noch ein paar silberne Knöpfe, ein paar kleine Kettchen und Applikationen und schon war Seto die perfekte Braut. Seine Haare hatten sie gar nicht viel verändert, außer, dass sie ihm alles mit viel Volumen geföhnt hatten und sie ihm noch immer tief in die Stirn über seine eisblauen Augen fielen.

Yugi wurde fast vom Schlag getroffen, als er ihn so sah. Sein Liebling sah aus wie ein Wesen aus einer anderen Welt. So wunderschön. Natürlich ziemlich außergewöhnlich, aber trotzdem ... wunderschön.

Seto sah etwas verunsichert zu Yugi hinüber und war nicht so sehr davon überzeugt, dass er so heiraten konnte. Was war nur in die Mädchen gefahren, dass sie ihn so herausgeputzt hatten?

„So, jetzt könnt ihr loslaufen“ flüsterte Seth und schon tauchten hinter Seto seine beiden Kleinen auf. Nini hatte Tato an der Hand, weil der alleine noch nicht so wirklich gerade laufen konnte und mit der anderen Hand warf sie nach und nach ein paar bunt gemischte Rosenblätter auf den Boden, auf welchen ihr Vater dann wandeln durfte. Auch Tato hatte man so ein kleines Körbchen um den Hals gebunden und als er sah, wie Nini die Blätter aus ihrem auf den Boden warf, da fing er auch lustig damit an. Sachen runterwerfen konnte er gut ... nur eben, dass Nini sie sanft und betont damenhaft zu Boden gleiten ließ und er sie mit Kraft runterpfefferte, damit die Dinger auch ja unten ankamen und bald auch das erste Blatt im Mund verschwand, wo er dann genüsslich darauf herumkaute.

Doch die beiden hatte man auch schön schick gemacht. Nini hatte ein zartrosa Kleidchen an und eine süße Frisur mit Blümchenspangen und Tato trug einen Minismoking in weiß mit süßer, babyblauer Krawatte. Und als Blumenkinder machten sie sich doch gar nicht so schlecht.

Die feierliche Musik zum Einmarsch hatte mit Anlaufen der Kinder zwar schon gestartet, aber Seto brauchte noch einen kleinen Ruck, bis er sich auch endlich in Bewegung setzte. Wie einen störrischen Esel musste Seth ihn den ersten Meter schieben, aber danach schüttelte er wohl innerlich sein Haupt und dachte sich: >Augen zu und durch. Und wer lacht, kriegt ne Klage. Wenigstens muss ich keinen Brautstrauß mit mir rumschleppen.<

Er atmete tief, richtete sich zu voller Größe auf und schritt dann mit höchstem Stolz hinter seinen Kindern her. Schritt für Schritt kam er seinem Ziel näher und jetzt fiel auch bei Yugi alle Nervosität ab. Sein Liebster sah so klasse aus, die Stimmung war so feierlich und überall nur lächelnde Gesichter. Das haute doch den stärksten Mann um. **Yugi, pass bloß auf, dass du nicht umfällst! Da schicke ich AUSNAHMSWEISE mal keinen irren Weltherrschafteroberer und dann kippst du mir um! Lass das, sonst werde ich WIRKLICH böse! Und du weißt, was das bedeutet!**

Als Seto ihn endlich erreichte, streckte er ihm seine Hand aus und der griff auch sofort danach. Sie sahen sich tief in die Augen und schon schossen die Tränen hoch. Zwar heulten sie nicht laut, aber das alles hier war zu schön, um wahr zu sein. Endlich würden sie es schaffen. Endlich, endlich, endlich.

Die Kinder wurden von Joey in Empfang genommen und nach einem kurzen Lob sicher in die erste Reihe gesetzt.

Als die Musik leiser wurde und auch endlich endete, durften sich auch Yugi und Seto setzen und die Trauzeugen an ihre Seite. Mit dem Rücken zu den Gästen und frontal zu dem freundlichen Senhor Temanez, welcher sich sichtlich freute, dass er so eine schöne Hochzeit beginnen durfte.

Er nickte den beiden Trauenden noch ein Mal ermutigend zu, ordnete seine Redeunterlagen, welche er gemeinsam mit all den guten Freunden erstellt hatte und würde sich alle Mühe geben, diesem großen Ereignis gerecht zu werden.

„Ich heiße Sie herzlich willkommen in der spanischen Botschaft in Domino“ begann er feierlich und blickte lächelnd ins Publikum. „Liebe Verwandte, Freunde, Bekannte **Leser** und Zuschauer vor den Bildschirmen Daheim. Wir sind heute hier zusammengekommen, um einer Eheschließung beizuwohnen, welche wirklich etwas ganz Besonderes ist. Nicht nur, dass es eine der ersten gleichgeschlechtlichen Ehen ist, welche hier getraut wird, nein. Dieses Ereignis ist auch durch die große Öffentlichkeit eine Besonderheit, denn schon lange vor diesem Tag war die Beziehung dieser beiden Männer immer wieder öffentlichen Anklagen, Attacken und Lügen ausgesetzt. Doch bis zum heutigen Tage gab es nichts, was die Liebe der zwei verhindern oder vernichten konnte.

Begonnen hat alles vor einigen Jahren **mit einer doch eher müden Fernsehserie, wo alle anders übersetzte Namen bekamen und ... oh, Seth guckt mich gerade böse an. Ich glaube, ich halte mal lieber die Klappe ...**. Als Schulkameraden standen sich Seto Kaiba und Yugi Muto damals das erste Mal gegenüber. Doch auch, wenn sich Yugi unbemerkt innerhalb kurzer Zeit unsterblich verliebt hatte, so beharrte Seto doch nur darauf, ihn möglichst öffentlich zu übertrumpfen. Eine persönliche Beziehung über dies hinaus hat sich in den ersten Jahren damals nicht entwickeln können. Als erbitterte Kontrahenten wurden beide weltbekannt, doch was niemand ahnte: Es steckte viel mehr hinter diesen ewigen Kämpfen, als man glauben mochte. Nachdem Yugi immer wieder bewiesen hatte, dass er der Einzige war, der den mächtigen Drachen bezwingen konnte, so bezwang er ihn später nicht nur im Kampf, sondern auch in der Liebe, was diese beiden letztlich dem heutigen Tage ein großes Stück näher brachte. Dies war sicher der viel härtere Kampf und der Beginn einer Liebesbeziehung, welche in ihrer Romantik und Dramatik manchmal selbst für die Beteiligten schwer zu leben war.

Die Öffentlichkeit bekam mit reißenden Hetzkampagnen nur wenig davon mit, was wirklich hinter den Kulissen geschah, denn sonst wäre die Anerkennung, welche diese beiden verdient haben, schon viel eher aufgekommen.

Ihr gemeinsamer Weg war geprägt von Intrigen und Verrufen, welche gegen ihre Verbindung arbeiteten. Doch auch geprägt von einer so innigen Verbundenheit, dass selbst die schwersten Hürden, ob nun öffentlich oder intim, überwunden werden konnten. Von einer Verbundenheit, welche viel tiefer geht als die Liebe, welche sie die meisten Menschen jemals empfinden konnten. Viele Probleme konnten gemeinsam gelöst, Hürden übersprungen, Gerüchte bekämpft und neuer, nahrhafter Boden für eine gemeinsame Zukunft geschaffen werden. Würde ich sagen, dass diese beiden gemeinsam durch dick und dünn gegangen sind, so wäre dies noch eine maßlose Untertreibung und könnte nur die Spitze dessen darstellen, was wirklich geschehen ist.

Doch die Vergangenheit mit all ihren dunklen Ereignissen, soll heute ein Ende finden und die Lehren daraus dabei helfen, dass die Zukunft noch heller gestaltet werden kann, um ein gemeinsames Leben in Frieden und Einigkeit zu ebnen.

Um Akzeptanz zu schaffen für eine Liebe, welche trotz aller Schwierigkeiten und Unverständnisse erblüht ist und noch für Jahre blühen soll. Nicht nur für dieses Paar, sondern für viele andere nach ihnen. Für die Freiheit der Liebe und die Einigkeit der Menschen, so verschieden oder gleich sie auch sein mögen. Als Symbol für die Einigkeit über die Grenzen von Normen hinweg und als gemeinsamer Weg, welcher ab heute nicht mehr auf losem Schotter begangen werden soll, sondern auf gefestigtem Grunde, Hand in Hand mit dem Menschen, für den man sich entschieden hat. Mit dem Menschen, für welchen man vom Schicksal bestimmt wurde, für welchen man gekämpft hat und von welchem man unsterblich geliebt wird. Euch beiden, Yugi und Seto, wünsche ich alles Gute für die Zukunft und viel Kraft, um auch alle weiteren Schwierigkeiten gemeinsam zu bewältigen. Ohne dass die Liebe zwischen euch jemals in den Hintergrund treten muss, sondern wie ein Schild vor euch stehe und euch schütze. Gemeinsam in Einigkeit.“

Damit schloss er seine kurze Ansprache, welche ihm wirklich gelungen war. Zwar hatte er von ihren Freunden noch viel mehr Information bekommen, aber vieles davon war einfach nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Und doch hatte er ihre tiefgehende Liebe so treffend dargestellt, dass manche sogar eine kleine Träne im Auge hatten.

Nach zwei oder drei Sekunden Ruhe begann die Band aufzuspielen mit einem Lied, welches zwar so schön schlicht war, dass es jeder ohne Textvorlage mitsingen konnte, aber welches auch genau das ausdrückte, was man den beiden nur wünschen konnte.

Die erste Strophe wurde noch von allen gemeinsam gesungen und das laut heraus, damit es jeder hören konnte. Und sogar Nini konnte laut mitsingen, was sie auch so kräftig tat, dass sie damit viele andere zum Lachen brachte.
 

„Viel Glück und viel Segen

auf all euren Wegen,

Gesundheit und Frohsinn

sei auch mit dabei.“
 

Für die nächsten Strophen wurde ein zweistimmiger Kanon versucht. Yugis Seite begann mit „Viel Glück und viel Segen auf all euren Wegen“ und sang dann laut weiter, während Setos Seite dagegen tönte. Natürlich wie bei jedem Kanon verhaspelte sich der eine oder andere, aber das fiel durch die Lautstärke der singenden Menge gar nicht auf.

Keine Ahnung, wer dieses einfache Lied ausgesucht hatte, aber es war eben wirklich leicht von jedem zu singen und verdeutlichte so auch, dass nicht jede Eheschließung trocken und langweilig sein musste. Für gewöhnlich sang man zwar nicht auf einem Standesamt, aber nehmen ließ es sich diese Truppe nicht.

Yugi und Seto konnten sich nur an der Hand halten und versuchen, die Tränen zu unterdrücken. Das war doch wirklich gemein. Sie hatten so lange umeinander gekämpft und nun wurden sie besungen. Alles nur für sie. Es war grausam. Sie konnten sich nicht mal in die Augen sehen, sonst würden nur wieder alle Gefühle herausbrechen. Vielleicht hätten sie lieber doch nur ganz alleine zu zweit heiraten sollen. Dann würden sie nicht von so vielen Leuten angeschaut. Und trotzdem freuten sie sich sehr, dass so viele Menschen bei Ihnen waren, deren Glück ihnen am Herzen lag.

Als die Musik endete, wurde nur noch kurz gemurmelt, denn jetzt würde es endlich zum ganz spannenden Teil übergehen.

Der Botschafter erhob sich und nickte auch Yugi und Seto zu, damit sie von ihren Stühlen aufstanden und sich einander zuwandten.

Er nahm das mit weißem Samt bespannte Kissen in beide Hände und hielt es feierlich nach vorn, damit die zwei danach greifen konnten.

„Sie dürfen jetzt Ihre Ringe tauschen“ lächelte er selbst super glücklich. „Nehmen Sie sich Zeit für die Dinge, die sie einander sagen möchten. Aber bitte nicht zuviel Zeit, denn um 18 Uhr kommt das Reinigungspersonal.“

Da musste der Saal doch grinsen und die Anspannung hob sich ein wenig hinweg. Dass die beiden da vor dem Altar angespannt waren, konnte man sehen. Aber auch, dass diese Anspannung nichts weiter war als pures Glücksempfinden.

Yugi nahm es mal wieder in die Hand, den Anfang zu machen.

Er griff nach dem Ring aus klarem Amethyst mit einer einzigen eingefassten Mini-Silberperle und hielt ihn ganz fest, während er sich Setos hand reichen ließ und auch diese ganz fest hielt. Und da sein Liebling noch eine Hand frei hatte, legte er diese auf Yugis, damit sie sich aneinander festhalten konnten.

Zittern taten sie beide. Das sahen selbst die Gäste in der hinterletzten Reihe, aber das zeigte nur, wie aufgewühlt und unendlich überwältigt sie voneinander waren.

Ganz langsam hob Yugi den Blick und fand glückliche Tränen, welche aus Setos Augen liefen, wenn er zurückblickte. Seine Lippen bebten, sein ganzer Körper war angespannt. Dieser Moment war unglaublich intensiv.

Vielleicht der intensivste, welchen sie jemals erlebt hatten.

„Ich hab mir vorgenommen, so viel zu sagen und jetzt fällt mir kaum was ein“ musste Yugi verheult zugeben. „Ich weiß nur noch, dass ich dich liebe. Keine Worte der Welt können beschreiben, wie sehr ich dich liebe. Schon seit ich damals verstanden habe, warum mein Herz so laut klopft, wenn du nur vorbeigehst, seitdem habe ich mir diesen Tag heute herbeigesehnt. Damals hast du mich nicht eines einzigen Blickes gewürdigt und mich nur bemerkt, wenn du mich niederringen und demütigen wolltest. Und ich habe das immer mitgemacht, damit ich dir nahe sein konnte. Als wir dann damals bei dir eingezogen sind und du mich fast jeden Abend aus dem Ausland angerufen hast, da war es unerträglich. Du warst so kurz angebunden, hast nur schnell nach Mokuba gefragt und mich sofort wieder abgewimmelt. Du wolltest niemals wirklich mit mir sprechen. Egal, wie sehr ich es versucht habe, du hast mich gnadenlos auflaufen lassen und ich hatte nicht den Mut zu mehr. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben und ich dachte, ich müsse mir diese Idee von uns beiden aus dem Kopf schlagen. Aber als du dann wieder zurück warst und ... du warst so hilflos. Da habe ich das erste Mal ganz klar gesehen, woran ich immer geglaubt habe. Nämlich, dass du der empfindsamste, liebevollste und anschmiegsamste Mensch bist, den ich jemals kennen gelernt habe. Du bist so unendlich zärtlich, so sensibel und anhänglich. Mein geliebter Engel. Ganz langsam hast du mir mehr von dir gezeigt und du hast mein Herz mit deiner unglaublichen Persönlichkeit gefangen genommen. Du musstest dich an mir festhalten und ich habe dich gern von dort aufgehoben, wo du warst. Du warst der erste Mensch, der mir das Gefühl gab, dass ich wichtig bin. Ich und nur ich. Du warst der Erste, der wirklich nur mich gesehen hat, so wie ich bin. Du warst der Erste, bei dem ich mich gebraucht fühlte. Du warst, bist und bleibst der Erste, dem ich mein Herz sofort ohne jedwedes Bedenken aushändigen würde. Wir haben so viel gemeinsam durchgemacht, aber egal wie schwer es war, wir haben uns immer geliebt, uns immer über unser eigenes Schicksal hinweggesetzt. Egal, wie groß die Welt auch sein mag und egal, wie groß die Probleme zwischen uns waren - wir haben uns immer wieder gefunden. Egal, wie weit wir uns entfernt haben, du bist immer wieder zu mir zurückgekehrt und ich habe voller Zuversicht mit dir um uns gekämpft. Ich habe niemals an dem Menschen gezweifelt, der heute vor mir steht. Ich habe immer daran geglaubt, dass du eines Tages so aufrecht stehst, wie es dir gebührt. Und meine Freude darüber, wer du bist, wer du wirklich bist, die ist unendlicher als das Universum. Ich schwöre dir, dass meine Liebe zu dir niemals enden wird. Egal, was noch kommen kann und sicher kommen wird. Es ist mir egal. Solange wir nur zusammen sind. Ich will für alle Zeit, solang meine Seele noch Atem hat, mit dir gemeinsam existieren. Auf ewig. Nur mit dir. Wir.“

„Yugi ...“ Seto war den Tränen noch näher. Ohne Vorlage waren das doch wirklich tiefgehende Worte. Und auch wenn Yugi ihm das alles schon so oft gesagt hatte, wirkte es in diesem Rahmen noch tausend Male echter, lauter, unzweifelbarer.

Seto spürte, wie der Botschafter ihn am Arm anstupste und ihm das Kissen hinhielt. Jetzt war Seto dran, seinen Ring zu nehmen und ihn mit einigen Worten bereit zu halten.

Mit zittrigen Fingern nahm er den teuren Saphirring mit einer eingefassten Goldperle und hielt in fest umschlungen, damit er ihm nicht runterfiel. Das hätte noch gefehlt!

„Ich liebe dich so sehr“ begann er und seine Stimme war so brüchig, dass nicht mehr viel fehlte und er würde gleich gar nichts mehr herauskriegen. „Ich bin dir so unendlich dankbar für alles, was du für mich getan hast. Du hast immer zu mir gehalten, obwohl ich es dir wirklich nicht einfach gemacht habe. Du hattest oft genug guten Grund dazu, einfach deine Sachen zu packen und mich zu verlassen. Aber du hast es nie getan. Das werde ich wohl niemals verstehen. Ich werde niemals verstehen, wie du es mit einem Menschen wie mir nur aushalten kannst. Ich bin schrecklich. Ich bin launisch, psychisch labil und egozentrisch. Doch du bist immer für mich da gewesen. Dir war mein Leben immer wichtiger als mir selbst. Du warst immer bei mir, egal was uns gerade wieder im Weg stand. Ob ich mal wieder den Glauben an mich verloren hatte, ob ich den Glauben an die Liebe verloren hatte. Selbst wenn ich mich unmöglich aufgeführt habe, ob ich um mich getreten oder mich versteckt habe. Als ich auf Entzug saß und selbst als ich nicht mal mehr richtig am Leben war. Du warst immer bei mir und hast mir das Gefühl gegeben, dass ich ein menschliches Wesen bin, welches Liebe und Geborgenheit verdient hat. Wenn ich nicht mehr leben wollte, wenn ich an allem verzweifelt bin, hast du es mit deiner ganz eigenen Art wieder zum Guten gewendet. Jedes Mal, wenn ich zerstört in der Gosse lag, dann kamst du, hast mich aufgehoben und mir ein Zuhause gegeben. Egal, in welcher Finsternis ich stand, du hast deine Arme ausgebreitet und bettest mich bis heute in Licht und Wärme. Du hast so viel Geduld mit mir, du hast mich niemals gedrängt oder mir etwas abverlangt, was ich nicht geben konnte. Du hast mich immer mit so viel Verständnis und Zärtlichkeit behandelt, wie ich es niemals kennen gelernt habe. Egal, was es war, du warst in allem der Erste für mich. Du warst derjenige, der mich wirklich in diese Welt geboren hat. Du hast alles ertragen und mir so oft gezeigt, dass es trotz allem noch einen Grund gibt, aus dem es sich zu kämpfen lohnt. Wenn ich den Mut zum Leben und den Glauben an das Recht meiner Existenz verloren habe, hast du mir einfach etwas Warmes gekocht, mich in eine flauschige Decke gehüllt und dir mit mir einen Film angesehen. Du hast niemals versucht, in mich zu dringen oder mich zu analysieren, du hast niemals versucht, mich auszunutzen oder mich für deine Zwecke zu missbrauchen. Du hast mir zugehört. Als erster Mensch in meinem Leben hast du mir wirklich zugehört. Nicht nur den Worten, die aus meinem Mund drangen, sondern auch die Sprache meines Körpers und die meines Herzens hast du verstanden. Und du hast nicht nur zugehört, sondern es verinnerlicht und mit mir gesprochen. Du hast mich verstanden. So verstanden, wie es kein anderer Mensch je könnte - nicht mal ich selbst. Du hast mir gezeigt, wer ich sein kann und wie das Leben für mich sein kann. Du hast für mich und mit mir gekämpft. Ich kann dir niemals zurückgeben, was du mir geschenkt hast. Aber ich will dir meine Liebe zu Füßen legen und dem Leben dafür danken, dass mir ein Mensch wie du begegnet ist. Mit deiner Einzigartigkeit, mit deiner ruhigen und starken Art bist du für mich der wichtigste Punkt in meinem Leben. Und ich will nicht mehr, dass es mein Leben ist, sondern unser Leben. Denn jetzt glaube auch ich an das, woran du niemals gezweifelt hast. Ich glaube daran, dass wir zusammengehören. Auf ewig. Nur mit dir. Niemals zweifle ich an dir.“

Jetzt war es Yugis Part, überwältigt zu sein. So ein offenes Liebesgeständnis, ein Dank, ein Versprechen. So lange war er für so viele immer nur der nette Junge gewesen, aber Seto sagte der ganzen Welt, dass er mehr war. Dass er ein Kämpfer war, ein Mensch, dessen Liebe an die Unendlichkeit grenzte. Weil er es so empfand.

„Bitte erheben Sie sich“ durchschnitt die freundliche Stimme des Botschafters den Saal und alle erhoben sich von ihren Stühlen, um ihren Respekt zu zeugen vor dem, was schon so lange sehnlich erwartet wurde. „Stecken Sie nun bitte den Ring an und sprechen Sie mir nach“ bat er und lächelte die zwei wohlwollend an. „Ich, Yugi Muto, nehme dich, Seto Eraseus Kaiba ...“

„Ich, Yugi Muto, nehme dich, Seto Eraseus Kaiba ...“ sprach er ihm voller Rührung nach und ließ ganz langsam den Ring an Setos rechten Ringfinger gleiten.

„... zu meinem gesetzlich angetrauten Ehemann.“

„... zu meinem gesetzlich angetrauten Ehemann“ zitterte er weiter.

„Ich will dich lieben und ehren ...“

„Ich will dich lieben und ehren ...“

„... dich achten und für dich sorgen ...“

„... dich achten und für dich sorgen ...“

„... dich respektieren und dir treu sein ...“

„... dich respektieren und dir treu sein ...“

„... in guten wie in schlechten Tagen ...“

„... in guten wie in schlechten Tagen ...“

„... in Krankheit und Gesundheit ...“

„... in Krankheit und Gesundheit ...“

„... in Reichtum und in Armut ...“

„... in Reichtum und in Armut ...“

„... bis, dass der Tod uns scheidet.“

„... auf dass uns auch der Tod nicht scheiden möge.“

Okay, den letzten Satz hatte Yugi zwar nicht ganz korrekt nachgesprochen, aber so empfand er es nun mal. Und der freundliche Senhor Temanez lächelte dazu nur und fuhr einfach fort, als er sah, dass der Ring an Setos Finger gut saß.

„Bitte sprechen auch Sie mir nun nach: Ich, Seto Eraseus Kaiba, nehme dich, Yugi Muto ...“

„Ich, Seto Eraseus Kaiba, nehme dich, Yugi Muto ...“ sprach auch er und steckte Yugi den teuren Ring an seinen zitternden Finger. Mittlerweile rannen bei beiden die Tränen so stark, dass sie sich kaum noch sehen konnten.

„... zu meinem gesetzlich angetrauten Ehemann.“

„... zu meinem gesetzlich angetrauten Ehemann.“

„Ich will dich lieben und ehren ...“

„Ich will dich lieben und ehren ...“

„... dich achten und für dich sorgen ...“

„... dich achten und für dich sorgen ...“

„... dich respektieren und dir treu sein ...“

„... dich respektieren und dir treu sein ...“

„... in guten wie in schlechten Tagen ...“

„... in guten wie in schlechten Tagen ...“

„... in Krankheit und Gesundheit ...“

„... in Krankheit und Gesundheit ...“

„... in Reichtum und in Armut ...“

„... in Reichtum und in Armut ...“

„... bis, dass der Tod uns scheidet.“

„... auf dass uns auch der Tod nicht scheiden möge“ schloss auch er sich dieser Meinung an und blickte Yugi tief in die Augen - sofern er sie denn durch die dicken Freudentränen erkennen konnte.

Jetzt war es geschafft. Jetzt endlich waren sie fast verheiratet.

Aber eben noch nicht ganz.

„Sie dürfen Ihre Versprechen nun mit einem Kuss besiegeln“ lächelte Senhor Temanez die beiden erwartungsvoll an.

Dies war ein magischer Moment. Sie schauten sich so tief in die Augen, dass sie fast im Blick des anderen versanken. Ihre Wangen waren feucht von den vielen Tränen, aber ihre Lippen wurden von einem so glücklichen Lächeln geziert, dass jeder dieses überwältigende Glücksgefühl durch den Raum flirren spüren konnte. Die zwei waren so gefangen in ihrer eigenen Glückseligkeit, dass sie am liebsten gar nicht daraus erwachen wollten.

Bis sie eben geweckt wurden von einer kleinen Mädchenstimme, die das ganze nicht so überwältigend fand, sondern es als Fest betrachtete.

„Schalalalalalalala sei ein Mann! ~ Nun geh doch endlich ran! ~ Ich sag dir! Küss ihn doch! Uhu~hu! Schalalalalalalala nein oh nein! ~ So geht das nie oh nein! ~ Ich sag dir! Küss ihn doch!“

„Ihr habt wohl Arielle geguckt, was?“ schmunzelte Yugi seinen Liebling an.

„Drei Mal hintereinander“ seufzte er und tat es endlich ... wenn man schon angefeuert wurde.

Endlich zog Yugi ihn nach unten, Seto beugte sich hinab und sie schenkten sich den magischen Kuss. Den Hochzeitskuss. Der Kuss, der ihre gemeinsame Zukunft einläuten sollte. Tief suchten ihre Zungen nacheinander und sie hörten nur am Rande, wie alle laut in die Hände klatschten und feierten.

„Der Kuss der wahren Liebe!“ jubelte Ninis alles übertönende Stimme und klatschte so laut in die Hände, dass sie ganz rot wurden und kribbelten.

Lange hielten und genossen sie ihren Hochzeitskuss, den Kuss, den es nur dieses eine Mal geben würde.

Als sie sich voneinander lösten und gegenseitig die Tränen fortwischten, wurden sie auch schon an den Armen genommen und umgedreht. Der Botschafter schob ihnen feierlich ein Stück Papier und zwei teure Füllfederhalter herüber. Die Trauungsurkunde. Die Trauzeugen hatten schon unterschrieben und nun fehlten nur noch ihre zwei Unterschriften, damit alles seine Gültigkeit hatte.

Schnell griffen sie sich die Stifte und setzten ihre Namen in die letzten zwei freien Felder. Jetzt war es komplett. Jetzt waren sie wirklich verheiratet für den Rest ihres Lebens.

„Viel Glück Ihnen beiden“ nickte Senhor Temanez und lächelte ihnen noch mal zu, bevor sie aus dem Saal fortgeschleift wurden. Sie wurden mit Blumen und Reis beworfen wie es sich gehörte. Und alle jubelten ihnen zu, aus reinem Glück, dass die beiden es jetzt endlich geschafft hatten.
 

**NEIN! Yugi, lass mich los! Ich muss noch ne Katastrophe einbauen! Nein, lass mich nur noch eine ... ... ... ... Seto? Was willst du mit dem Baseballschläger ...? Mkay, ihr habt gewonnen. Ich lasse es so ... vielleicht ... vielleicht auch nicht? ^^**
 


 

Chapter 19
 

In der eigens angemieteten Location war es genauso feierlich geschmückt wie in der Botschaft. Mit einem ganzen Tross kamen die Leute hier an und als Yugi schon mindestens 50 Leuten die Hand geschüttelt und von mindestens noch mal so vielen einen Kuss auf die Wange bekommen hatte, hörte er auch auf zu zählen. Ihm fiel nur auf, dass er niemanden vermisste.

Alle waren da. Alte und neue Freunde, von hier und aus dem Ausland. Und alle mit ihren Partnerinnen und Partnern. Eine echte Beispielshochzeit, wie sie in jeder Organisationsbroschüre geschrieben stand.

Das Büffet war reichlich, ließ keinen kulinarischen Wunsch offen und für Nachschub sorgten zwanzig Bedienstete, welche sich bis spät in die Nacht ausschließlich um das Wohl der Gäste kümmern würden.

Setos alte Band nahm ihren Platz auf der Bühne ein und begann mit einem fröhlichen Lied.

„Wow“ staunte Yugi mit offenem Mund, als er sich hier umblickte. Überall Blumen und Lichter, weiße Stoffe, selbst der Boden war poliert, die Fenster groß und alles war von dem wunderbaren Abendlicht durchflutet. Wunderschön.

„Wehe, sie gefällt euch nicht!“ Plötzlich war Marie da und schob das frisch getraute Paar in die Mitte des Raumes, wo sich schon eine Horde von Gästen versammelt hatte.

Ein noch größeres „WOW!“ entkam Yugis Lippen, als er hinaufblickte.

Seto sagte dazu zwar nichts, aber auch ihm stand der Mund offen, als er hinaufblickte - und wenn ein Riese wie er mal nach oben blickte, war das wirklich was Besonderes.

Vor ihnen türmte sich eine Hochzeitstorte auf.

Feinste Konditorei, weicher Boden mit allen schönen Dingen. Die sieben Stockwerke bestanden jedes für sich aus einer eigenen Riesentorte. Ganz unten der Anfang war schlichter Marmorkuchen ohne Überzug, aber dafür gespickt mit kleinen Schokoperlen. Darüber ein heller Sandkuchen mit Schokoladenzeichnungen. Das nächste Stockwerk war ein Früchtekuchen, dessen Boden so soft aussah und dessen Belag von Erdbeeren dominiert wurde. Stockwerk Nummer vier war eine Schokotorte, welche verdächtig nach Opas Torte aussah - auch wenn diese hier so groß und hoch war, dass sie für eine ganze Armee gereicht hätte. Darüber wartete ein eine Marzipantorte mit einer so dicken Marzipanschicht, dass es aussah, als würde der Kuchen nur ausschließlich aus Marzipan bestehen und die kleinen Schokoblätter und Nüsse darauf, schrieen geradezu danach, abgepflückt zu werden. Stockwerk sechs war kein richtiger Kuchen, sondern eine gewaltige Anhäufung von Minikuchen, die man in die Hand nehmen und im Happs verspeisen konnte. Sicher weicher Muffinteig darin und mit verschiedenen Schokoladen in verschiedenen Stärken überzogen, von weißer Schokolade bis hin zu 99%iger Dunkelmasse.

Torte Nummer sieben war das Highlight schlechthin. Eine Torte aus weißer Sahne, mit blauer und violetter Lebensmittelfarbe verziert. Aufwendig, es musste Stunden gedauert haben, bis der Konditor das so hinbekommen hatte. Und oben über allem thronte aus Zuckerguss geformt ein brüllender weißer Drache, der sich über einer goldenen, mit feinsten Edelsteinen aus Bonbons besetzten Krone gebärdete und sie unter seinen Krallen schützte.

„Und? Was sagt ihr?“ strahlte Marie sie erwartungsfroh an. „Gefällt sie euch?“

„Du spinnst doch!“ rief Yugi und drehte sich zu ihr um. „Das ist ja gigantisch!“

„Seto wollte zwar zehn Stockwerke, aber ich dachte, sieben sind besser“ zwinkerte sie fröhlich. „Ihr seid doch jetzt sieben Jahre zusammen und ich dachte mir, das hat doch Symbolwert.“

„Wer hat denn die Figuren da oben gemacht?“ zeigte Yugi bis ganz hinauf.

„Ich“ freute sie sich. „Ich hoffe, sie gefallen dir. Ich hab mal vier Wochen beim Konditor gearbeitet und ... na ja, ich hab sie nicht ganz alleine gemacht. Mein Exchef hat mir ein bisschen geholfen.“

„Danke, Marie“ seufzte Seto und nahm sie ganz überwältigt in den Arm.

Marie wusste gar nicht, wie sie da so plötzlich drauf reagieren sollte, denn sonst hatte sie mit Seto doch auch nicht viel zu tun. Aber dass er sich freute, freute sie noch tausend Mal mehr. Schließlich war die Torte doch etwas, woran man sich sein Leben lang erinnerte und es wäre schön, wenn Seto mal ein paar mehr schöne Erinnerungen geschenkt bekommen könnte.

„Ja, die Torte ist super“ bedankte sich auch Yugi und umarmte sie, nachdem Seto von ihr abgelassen hatte. **Mit ‚sie’ ist Marie gemeint und nicht die Torte. ^^**

„Aber jetzt müsst ihr die auch anschneiden“ beschloss Mokuba und zeigte auf das lange Messer, welches direkt daneben, neben den Türmen von Tellern und Gabeln lag.

„Bevor ihr nicht anschneidet, kriegen wir nix zu beißen“ beschwerte Joey sich und schob Seto eben mit eigener Kraft bis vor den Tisch, damit er nach dem Messer griff und endlich das Büffet eröffnete.

„Könnte dir mal nicht schaden“ brummte er.

„Was?“ Und Joey konnte so schnell nicht folgen ...

„Wenn du mal nichts zu beißen kriegst.“

„Später, Drache, später“ grinste er klopfte ihm auf die Schulter. „Jetzt mach schon, Alter. Das ist doch Tradition. Wir machen auch’n Foto!“

Seto schaute indessen lieber zu Yugi rüber, der Mie auch gerade wieder aus seiner dankenden Knuddelei entließ. Durfte er wirklich die Torte anschneiden? Das wäre doch wirklich fast ne Sünde, so ein schönes Gebilde kaputt zu machen.

Aber Yugi sah das anders. Der ging zu seinem Liebling rüber, nahm sich das Messer und lächelte ihn herzallerliebst an.

„Lass uns anschneiden, ja? Ich wollte so was immer schon mal machen.“

Also seufzte Seto und ließ sich eben auch ohne körperlichen Nachdruck bis vor die Torte stellen, wo er dann seine Hand aufs Messer legte, Yugi seine darüber und sie gemeinsam den ersten Kuchen ganz unten aufschnitten - auch weil der gut auf Yugis Höhe stand.

Natürlich wurden ordentlich Fotos gemacht und es wurde geklatscht. Die beiden sahen wirklich süß aus zusammen als Bräutigamspaar. Wie Seto ganz vorsichtig das schwere Messer festhielt und Yugi seine Hand ganz zärtlich darüber legte und sie zusammen das erste Stück herausschnitten. Und auch wenn es ihnen wohl sichtlich ein bisschen peinlich war, dass sie von so vielen Leuten angesehen wurden, so hatten sie doch nicht nur ein beschämtes, sondern auch ein glückliches Rot auf den Wangen.
 

Sie hatten das Messer noch gar nicht ganz weggelegt, da wurden auch schon die nächsten Forderungen an sie gestellt.

„Und jetzt tanzen!“ jubelte Yami und hüpfte den beiden vor die Nase. „Los! Einen Fruchtbarkeitstanz! Das ist doch Tradition!“

„Heute tanzt man aber leider keinen Fruchtbarkeitstanz mehr, sondern Walzer“ verdrehte Seth die Augen und legte ihm freundlich die Hand auf die Schulter, bevor er dazu noch so einen schlauen Kommentar losließ. Und da sollte noch mal jemand behaupten, Seth hinge zu sehr an der Vergangenheit.

„Aber tanzen könntet ihr wirklich mal“ hauchte Sethos und schob seinen Kopf liebevoll über Setos Schulter an sein Ohr. „Sonst tanze ich mit Yugi. Wäre dir das lieber, Kleiner?“

„Nenn mich nicht Kleiner“ knurrte er, griff nach Yugis Hand und schleifte den Armen noch mit dem Überraschungsmoment auf die Tanzfläche. Yugi wusste gar nicht so recht, wie ihm geschah, denn seelisch hatte er sich darauf eingerichtet, dass Seto sich gerne noch ein wenig mehr bitten ließ und eigentlich war er noch immer von der Torte bezaubert .... aber die Androhung des Hohepriesters schien ja Erfolg zu zeigen und Seto musste nicht lange gebeten werden.

„So kennt man dich ja gar nicht“ grinste Yami. „Was heizt dich denn plötzlich so an, dass du ihm den Mann ausspannen willst, hm? Großer Sonnenpriester?“

„Gar nichts“ sagte er schlicht und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich hatte gerade nur keine Lust darauf, dass Eraseus wieder so lange wie eine Katze um den heißen Brei läuft.“

„Darf ich fragen, wer du überhaupt bist?“ schaute James ihn an, der sich gerade von Enrico ein dickes Stück Schokokuchen in die Hand drücken ließ, welche vom Servicepersonal mit Leitern nach unten befördert werden musste. „Dass Seth und Seto sich ähnlich sehen, wusste ich ja. Aber nicht, dass es von euch noch einen Dritten gibt. Ich meine, wo hat man denn noch ein Double wie dich aufgetrieben?“

„Ja, so eine auffällige Ähnlichkeit ist doch ungewöhnlich“ meinte auch Jean, der sich bis jetzt nur nicht getraut hatte zu fragen. „Seto und Yugi haben uns niemals etwas von dir erzählt.“

„Ach, so ähnlich sind sie sich doch gar nicht“ meinte Yami mit einem glänzenden Schmunzeln. „Mein Schatz wäre zu faul, sich sooooo lange Haare wachsen zu lassen. Der hat ja nicht mal Haare auf der Brust.“

„Ich wusste nicht, dass du neuerdings auf Körperbehaarung stehst“ warf Seth überrascht ein. „Ich bin immer fleißig am rasieren und am lasern und du sagst kein Wort? Aber steige ich denn wenigstens mit Bart in deiner Meinung?“ brummte er und fuhr sich mit der Hand demonstrierend über seinen zwar mittlerweile gut gewachsenen, aber leider schief geschnittenen Bart. Er konnte malen wie ein Meister, aber modellieren konnte er nicht. Marie quengelte schon ständig, dass sie ihm sein Gesichtshaar hübsch zurechtstutzen wollte, damit es nach was aussah, aber nein, der Herr wollte das selbst machen. Typisch!

„Ich meine Haupthaar. Auf dem Kopf, Priesterchen“ lächelte er. „Aber eigentlich ist es gut so. So lange Haare stören doch nur beim Sex, findest du nicht?“

„Jetzt auf dem Kopf oder auch woanders?“

„Na, überhaupt. Stell dir mal vor, du hättest so lange Haare wie Sethos. Nein, das wäre unpraktisch. Ich liebe deinen Körper so wie er ist. Mit oder ohne Haare.“

„Und trotzdem gaffst du ihn ständig an, Atemu. STÄNDIG!“

„Aber du bist doch viel hübscher und ...!“

„Wenn du mich nicht attraktiv findest, ist es ja nett, das zu wissen, Pharao“ motzte auch Sethos. „Dann sind deine Komplimente auch nur warme Luft, ja?“

Und Yami stand jetzt böse in der Mitte. Jetzt war nicht nur Seth beleidigt, sondern der Oberdrache auch noch. Er wusste gar nicht, an welcher Front er zuerst kämpfen sollte ... und ob kämpfen überhaupt so eine gute Idee war. Mit einem kam er ja noch zurecht, aber zwei zugleich? ... Oh oh ... „HEEEEY!“ rief er und klatschte in die Hände, während er sich einfach umdrehte und auf die Tanzfläche lief. „Jetzt tanzt doch endlich euren Fruchtbarkeitstanz!“ Und ließ die schnaubenden Drachen da einfach stehen.

Zum Glück sah er nicht, wie die beiden sich anschmunzelten und sich gegenseitig mit einem Zwinkern lobten. Im Doppelpack bewegten sie sogar einen Pharao dazu, die Flucht zu ergreifen.

„Ihr seid eine komische Truppe, wisst ihr das? So Unrecht hatte Muto dann ja doch nicht“ stellte ein sehr kleiner Mann fest, der eine Frau im Arm hatte, die sie selbst genauso wenig kannten. Mussten wohl irgendwelche Freunde aus Frankreich sein, wenn man den Akzent bemerkte und der kleinen Größe nach zu urteilen, war das sicher einer von Yugis Jockey-Kollegen. Die waren ja alle nicht sonderlich riesig und der Arme sah neben seiner Freundin genauso albern aus wie Yugi neben seinem Setoriesen. Obwohl er eigentlich ganz süß war mit dem dunklen Haar und den hellbraunen Augen und so windschnittig schlank. Und seine Freundin etwas moppelig wie ein Elefantenbaby mit roter Lockenmähne ... tja ja, wo die Liebe hinfiel, da wuchs kein Gras mehr.

„Ja, wir sind eben nicht ganz die Norm“ pflichtete Seth freundlich bei. „Aber wer ist das schon?“

„Nur so eine auffällige Ähnlichkeit“ überlegte James noch immer und der war ja nun auch kein Dummer.

Doch sein Mann wusste das und konnte sich auch denken, dass er hier lieber nicht weiterforschen sollte. Deshalb legte er den Arm um seine Hüften und lächelte ihn liebevoll an. „Jamey, sei nicht immer so neugierig“ neckte Enrico und schnuffelte sich verliebt an seine Halsbeuge.

„Ich würde aber doch gerne wissen, was du mit deinen Haaren machst“ fragte er trotzdem neugierig weiter. „Ich hab so oft versucht, meine lang wachsen zu lassen, aber ohne Extensions läuft da gar nichts. Wie machst du das nur?“

„Magie“ lächelte Sethos verschwörerisch.

„Aaaaaach sooooo ...“ Wie schön! Jimmy hielt das für einen Witz und fragte nicht weiter nach. Und Enrico war auch erleichtert. Nicht, dass er ihm nicht vertraute, aber es war ihm lieber, wenn sein Liebster von diesen Dingen so wenig wie möglich mitbekam - das brachte nur immer Ärger und Unglück.

Und während sie da so standen und versuchten, die anderen von der Ähnlichkeit zwischen Sethos, Seth und Seto abzulenken, sorgte das frisch vermählte Paar dann auch selbst für Ablenkung.
 

Mit einem lauten Schwall klassischer Musik setzte ein romantischer Walzer ein, den die beiden auch recht passabel aufs Parkett brachten.

Es sah zwar sehr gewöhnungsbedürftig aus, wenn ein mehr als zwei Meter großer Riese und ein kleiner Mensch wie Yugi miteinander tanzten und dabei auch noch versuchten, sich nicht auf die Füße zu treten, aber sie machten trotzdem einen so glücklichen Anschein, dass selbst Leuten wie Yami und Joey ein witziger Kommentar versagt blieb. Die Tanzschritte hatten sie drauf!

Und wie gesagt, machten die beiden das recht anständig. Seto gab sich einfach Mühe, kleinere Schritte zu machen und er tat etwas, was er sonst niemals beim Tanzen tat. Er ließ sich führen. Yugi konnte zwar nicht mal im Ansatz so gut tanzen wie er, aber dafür hatte er echte Führungsqualitäten. Nicht nur hier, sondern in der ganzen Beziehung bestimmte er, wo es lang ging und wie lange es ging. Seto verließ sich da auf ihn und hatte damit immer gut gelegen.

Sie drehten sich im Kreise, drückten sich aneinander und bei einigen schnelleren Drehungen sah es aus, als wolle Yugi ihm lieber auf den Arm hopsen, aber er ließ es bleiben. Stattdessen schaute er hinauf in die schönsten Augen, welche jemals das Licht der Welt gesehen hatten.

Und Seto genoss auch diesen Moment des puren Glücks. Als Eheleute wollten sie zu allererst essen und tanzen und damit ihren Grundstein für alles Folgende legen. Er fühlte sich so wohl bei ihm, seine Hände fühlten sich so warm und zärtlich an, Yugi war einfach der perfekte Mensch. Auf der ganzen Welt konnte er sich nichts Schöneres vorstellen, als mit diesem Mann den Rest seines Lebens zu verbringen.

„Ihr seid alle unhöflich!“ meckerte die Prinzessin mitten rein und stellte sich beleidigt mit den Händen in die Hüften gestemmt zwischen die Gäste.

„Nini“ schaute Mokuba überrascht herunter. „Warum denn? Wir haben doch gar nichts gemacht.“

„EBEN!“ schimpfte sie. „Keiner fordert mich zum tanzen auf. Bin ich nicht beliebt? Joey sagt, nur beliebte Leute werden zum Tanzen aufgefordert. Und warum fordert mich dann niemand auf?“

„Na, Joey muss es ja wissen“ knurrte Seth und blickte hinüber auf die andere Seite des Saales, wo ebenfalls alles mit Gästen voll war und der Betreffende sich gerade mit seinem alten Kumpel Tom und Ryo gemeinsam über das Büffet hermachte.

„Ulti? Tanzt du mit mir?“ quengelte sie und zupfte an seinem weißen Jackett, welches er sich einfach aus Setos Schrank genommen hatte. Der brauchte seines ja heute nicht ... hatte nur den Nachteil, dass er jetzt dasselbe trug wie Seth.

„Oh, dann bin ich also beliebt“ lächelte er und kniete sich gaaaaaaanz weit zu der kleinen Prinzessin herunter. „Wenn du mich schon aufforderst, Verehrteste.“

„Ja, du bist sehr beliebt bei mir“ lächelte sie ihn verliebt an. „Und danach forderst du mich auf, ja?“

„Wie Ihr wünscht, Eure Hoheit.“ Er reichte ihr seinen Arm, an den sie sich ranhängte wie ein Klammeraffe und sich ohne Bodenberührung auf die Tanzfläche tragen ließ. Das sah noch lustiger aus als bei Seto und Yugi, da hier der Größenunterschied wesentlich einschneidender war. Aber ein Mann, der das Wasser teilen und darauf laufen konnte, der konnte auch mit so was fertig werden. Also hob er sie auf den Arm, nahm so gut es ging eine Tanzhaltung ein und wirbelte sie herum, bis sie quiekte vor Glück. Wenn’s weiter nichts war!

„Dann ist die Tanzfläche wohl freigegeben“ freute sich James und griff nach Enricos Arm, während er seinen Teller für ihn hinstellte und sein Rico eben später essen musste.

„Du willst nicht mit mir tanzen“ unterstellte der hoffend.

„Doch, natürlich!“ grinste der. „Komm schon, Ricopicco. Tu mir den Gefallen.“

„Du weißt genau, dass ich nicht tanzen kann. Ich kann ja vieles, aber tanzen gehört nicht dazu. Außerdem will ich nicht.“

„Du kannst sehr wohl tanzen. Sehr gut sogar, feige Ausrede. Du tanzt sogar gern. Tanzen ist dein Hobby.“

„Ja, bevor du mir fast den Fuß gebrochen hast. Ich berichtige mich, ich kann nicht MIT DIR tanzen ... und will auch gar nicht. Ich will einfach nur hier stehen und meinen Kuchen in Ruhe essen.“

„Bitte“ flehte er und bekam ganz feuchte Augen. „Wenn du mir einen Korb gibst, muss ich weinen und ...“

„Ja, ich weiß“ stöhnte er und hielt sich verzweifelt die Stirn. „Dann verläuft deine Wimperntusche und du bist den ganzen Abend ungenießbar.“

„Er hat’s kapiert“ flüsterte er triumphierend zu Noah gewand und zog seinen armen Mann im selben Atemzug aufs Parkett. Den hatte er sich ja schnell zurechterzogen. Und wenn Jameys Wimperntusche verlief, gab’s eine Woche keinen Sex - das hielt auch der stärkste Mann nicht aus, wenn so ein schwuler Vogel zickig wurde.

„Tristan?!“ rief Nika von der anderen Seite und kam schneller herüber, als dem lieb war.

„Ihr habt mich nicht gesehen!“ rief er noch und verschwand so schnell es ging in der Menge. Tanzen? Er tat ja vieles für seine Frau, aber nicht tanzen! Beim besten Willen nicht!

„Männer“ seufzte Marie, als Nika an ihr vorbeihastete und hinter ihm her zwischen den Leuten verschwand. Doch dann blickte sie auf ihren eigenen und musste lächeln. „Na, Großer? Tanzt du mit mir?“

„Ich bin aber nicht unmännlich, wenn ich mich nicht weigere, oder?“ fragte der zur Sicherheit lieber nach. Seth war nämlich jemand, der gegen tanzen so gar nichts einzuwenden hatte. Und mittlerweile waren auch so viele Männer von ihren Frauen auf die Tanzfläche gezerrt worden, dass sie sich da schon fast auf die Füße traten.

„Du bist der männlichste Mann, den ich kenne, Zuckerschnütchen“ zwinkerte sie und zog ihn ebenfalls aufs Parkett.

Man hörte ihn nur noch murmeln „... Zuckerschnütchen ...?“ Aber zu melden hatte er da gerade nichts mehr.
 


 

So kam die Feier recht schnell in vollen Gange.

Einige von ihren Freunden und Bekannten hatten natürlich mittlerweile auch selbst Kinder und mussten diese nicht Zuhause lassen, um zu feiern. Stattdessen hatte ein schlauer Organisator einen extra Raum eingerichtet, wo jede Menge Spielzeug lockte und die Kinder so ebenfalls ausreichend beschäftigte. Besonders für Feli war so ein Auftrieb nichts und Menschenmassen machten sie nervös und quengelig. Da war es ihr lieber, wenn sie mit ihren Freunden und einigen anderen Kindern den Ball hin und her rollen lassen konnte. Das war ja auch viel spannender als so eine doofe Feier. Und nachdem Nini ausreichend getanzt und sich ihrer Beliebtheit versichert hatte, ging sie dann auch wieder zu ihresgleichen und kaute Feli ein Ohr ab. Tato interessierte sich da ja leider eher für Risa und dafür, ihr den Rücken abzuklopfen, als dafür, seiner großen Schwester zuzuhören. Und als dann auch noch etwa fünf andere Kinder im Alter zwischen eins und sieben hereinkamen, wurden die auch erst mal von der geballten Ladung Nini erschlagen. Sie hatte eben das Talent dafür, sich schnell Freunde zu machen.

Die Erwachsenen indessen genossen die Feier. Mit so reichlich Tanz und Musik konnte man ja auch einfach nur Spaß haben. Die Leute, die sich kannten, freuten sich, dass sie sich wiedersahen und die Leute, die sich nicht kannten, machten sich eben miteinander bekannt.

Und wenn man sich so umschaute, war es erstaunlich, was für einen großen Bekanntenkreis sie hatten. Kumpels, die sie noch von früher aus der Schule kannten und Menschen, die sie später mit ihrer Arbeit kennen und mögen gelernt hatten. Yugis Freunde erkannte man hauptsächlich daran, dass sie alle abgebrochene Zwerge waren, da sie ja alle aus einem Rennstall kamen und sogar drei Leute aus konkurrierenden Rennställen waren eingeladen worden und sogar gekommen. Denn nur, weil man auf der Bahn gegeneinander ritt, musste das ja nicht heißen, dass man sich nicht trotzdem mögen konnte.

Setos Freunde erkannte man daran, dass die meisten total schräge Vögel waren - Künstler eben. Nicht nur seine Band, die er auf der Uni kennen gelernt hatte, sondern auch einige Leute, welche er von seiner Studienzeit auf der Musikschule für Gehandicapte mitgebracht hatte. Und davon waren einige wirklich richtig abgedreht. Der eine war ganz in schwarz gekleidet und sah aus wie Marilyn Manson persönlich, der andere saß zwar im Rollstuhl, aber der hatte leuchtende Bemalung überall und ein Mädchen unter ihnen hatte eine so grelle Frisur mit so viel Haarspray, dass es einen schon wunderte, ob das nicht doch eher ne Perücke war. Aber alles waren ganz liebe Leute, die nichts Böses im Sinn hatten - und Seto war das Aussehen von Menschen ja bekanntlich ziemlich schnuppe. So auch bei einem jungen Mann, der wohl krankhaft fettleibig war und an irgendeiner Genkrankheit litt, mit der er sich kaum bewegen konnte. Oder einer Frau, welcher ein Bein amputiert war und sie dafür eine Prothese in Form eines Ziegenbocks a la Teufel trug. Doch so lustig wie die miteinander umgingen, hatte man direkt Lust, zu dieser wilden Truppe dazuzugehören. Und so sicher wie Joey sich zwischen denen bewegte, wusste man, dass sie sich wohl auch schon ein Weilchen kannten.
 

Seto und Yugi hatten dafür so viel zu tun, dass sie sich dabei aus den Augen verloren. Seto verlor Yugi genau dann aus den Augen, als seine süße, taubstumme Makoto ihn begrüßte und er unbedingt mit ihr tanzen wollte. Yugi verlor seinen Liebling aus den Augen, als er ins Kinderzimmer laufen musste, weil Tato, der ja bekanntlich alles in den Mund stecken musste, sich einen Splitter in die Lippe gerammt hatte und jetzt ganz doll weinte. Es war zwar nicht mal ein kleines Blutstöpfchen zu sehen und irgendwann wusste er schon gar nicht mehr, warum er eigentlich weinte, aber Papa Yugi musste ihn trotzdem ein paar Minuten auf dem Schoß schuckeln - bis Risa angerobbt kam und Tato mit ihrem sabbernden, zahnlosen Mund angrinste und Papa Yugi damit völlig uninteressant machte. Ja, Tato stand auf sabbernde, zahnlose Weiber.
 

Tja, und was tat ein Yugi, der plötzlich nichts mehr zu tun hatte?

Er hatte zwar noch lauter Leute, die ihn gerne begrüßen und knutschen wollten, aber geplant hatte er etwas anderes. Dafür hatte er sich Hilfe bei Setos schrägen Freunden gesucht, um ihm hoffentlich eine ganz besondere Freude zu machen. Er lief zwar schon jetzt rot an und es kostete ihn ziemlich viel Überwindung, aber die schrägen Vögel bauten ihn auf, klopften ihm auf die Schulter und mit jeder Menge „Get It Started, Yu-chan“’s kletterte er dann auch auf die Bühne und löste damit erst mal einen Moment Verwirrung bei denen aus, die es mitbekamen.

Doch spätestens als die Musik endete und es still wurde im Raum, drehte auch Seto sich aus seiner Unterhaltung mit Diana heraus und sah, dass Yugi auf der Bühne stand, hochrot im Gesicht war und ihn direkt durch den ganzen großen Raum anblickte.

„Ja! Eine Rede! Eine Rede!“ jubelte Mokuba und klatschte in die Hände.

„Ähm ... nein“ antwortete Yugi nervös und erfuhr damit auch schockhaft, wie laut so ein Mikrofon sein konnte. Wie schaffte Seto das nur immer, hier so cool zu stehen?

„Madames et misseurs“ sprach dafür der Manson-Typ umso selbstsicherer mit seiner tiefen, tonlosen Stimme ins Mikrofon. „Veuillez entendre sa chanson. Le petit est courageux.“

„Yugi, n'est pas petit!“ schimpfte Seto böse bis ans andere Ende des Saales. Wehe dem, der seinen Yugi klein nannte!

„Mais il est courageux“ grinste der dunkle Kerl. „TREEEEEEES courageux!“

„Kann er das auch so sagen, dass wir ihn verstehen?“ bat Mokuba doch etwas sehr beleidigt. Wenn die erst anfingen, französisch zu labern, verstand man ja kein Wort.

„Nich ich spreche Rede!“ gestikulierte er wild zurück. So ein paar Brocken verstand er ja, aber eben nicht so besonders gut.

Dafür stellte sich die Frau mit dem Ziegenbein ans Mikro und lächelte breit. „Ladies and Gentlemen, please listen to Yu-chans song. It costs a big piece of courism for him to stand here and to sing for his … Yu-chan, how did you always call him? Leibling? For his Setodarling in any case. So please be gentle to him … he doesn’t sing that bad that you’d have to run away too far. So give him applause and shut up if you don’t like it! Because it’s not for you - it’s for his one and only Leibling.”

„Ja, danke … sehr aufbauend” nuschelte Yugi. War ja nett gemeint, aber so wurde es nur noch peinlicher.

„C’mon, Yu-chan. You aren’t that shy” lachte sie, humpelte nach hinten und setzte sich auf einen Stuhl hinter dem Schlagzeug.

Kaum hatte sie ihre Sticks zur Hand genommen und den Takt angesetzt, setzten auch die anderen Freaks mit ein und spielten das Lied, welches sie gemeinsam extra für Seto zur Hochzeit geschrieben hatten.

Der stand da hinten nur mit groß staunenden Augen und da ging es allen anderen nicht wesentlich anders. Dass Seto singen konnte, wussten sie ja, aber dass Yugi mal für ihn sang, hätten sie nicht gedacht. Das musste doch echte Liebe sein, dass er sich dazu durchringen konnte.

Und so schlecht sang er gar nicht, dass man weglaufen musste.

Er sang sogar richtig gut.

Er holte tief Luft und versuchte es einfach. Wenn er sich schon zum Deppen machte, dann tat er es wenigstens für den Mann, den er liebte.

Und so ein bisschen Country passte doch auch ganz gut zu einem weltklasse Jokey.
 

„My love is stronger now than you'll ever know

Heute ist meine Liebe stärker als du es jemals verstehen wirst

and it won't ever let you go

und sie wird dich niemals mehr gehen lassen

My love is wider than the ocean can be

Meine Liebe ist weiter als der Ozean sein kann

and it’s deeper than the deep blue sea

und tiefer als die tiefe blaue See
 

My love goes higher than a mountain can rise

Meine Liebe steigt höher als ein Berg wachsen kann

and I see it there in your eyes

und von dort sehe ich es in deinen Augen

My love gets tougher when the going gets rough

Meine Liebe wird stärker, wenn die Umständer rauer werden

and believe me, I've got more than enough

und glaube mir, Liebe habe ich mehr als genug
 

Keep tryin', babe, keep holding on

Versuch es weiter, Liebling, halt noch ein wenig aus

There's a place we belong

Es gibt einen Ort, an den wir gehören

Where things are good, where love is strong

Wo die Dinge gut sind, wo unsere Liebe stark ist
 

I'm never ever gonna leave you to cry on your own

Ich werde dich niemals einsam weinen lassen

Never ever gonna not go and pick up the phone

Niemals liegenbleiben und das Telefon ignorieren

I'm never ever gonna let you be chilled to the bone

Ich werde dich niemals erschöpft zurücklassen

No, no, never

Nein, nein, niemals

No, no, never

Nein, nein niemals
 

I'm never ever gonna leave when you're lost in the storm

Ich werde dich niemals inmitten des Sturmes verlassen

Never ever gonna not keep you safe where it's warm

Dich niemals von dort verweisen, wo du warm und geschützt bist

I never ever will desert you when your heart is torn

Ich werde dich niemals abweisen, wenn dein Herz leidet

No, no, never

Nein, nein, niemals

No, no, never

Nein, nein, niemals
 

My love shines brighter than a twinkling star

Meine Liebe scheint heller als ein blinkender Stern

Baby, no matter where you are

Liebling, egal wo du bist

and my love keeps burning like an eternal flame

Meine Liebe brennt wie ein immerwährendes Feuer

You can feel it, when I'm calling your name

Du kannst es fühlen, wenn ich deinen Namen rufe
 

I'm never ever gonna leave you to cry on your own

Ich werde dich niemals einsam weinen lassen

Never ever gonna not go and pick up the phone

Niemals liegenbleiben und das Telefon ignorieren

I'm never ever gonna let you be chilled to the bone

Ich werde dich niemals erschöpft zurücklassen

No, no, never

Nein, nein, niemals

No, no, never

Nein, nein niemals
 

I'm never ever gonna leave you to cry on your own

Ich werde dich niemals einsam weinen lassen

Never ever gonna not go and pick up the phone

Niemals liegenbleiben und das Telefon ignorieren

I'm never ever gonna let you be chilled to the bone

Ich werde dich niemals erschöpft zurücklassen

No, no, never

Nein, nein, niemals

No, no, never

Nein, nein niemals.”
 

Am Ende des Liedes hatte Seto schon den ganzen Saal durchquert und schaute mit erstaunten Augen zu Yugi empor. Und der schaute relativ schüchtern zurück und verschränkte die Hände hinter sich, damit er nicht sah, wie er mit ihnen rang. So gut wie Seto war er sicher nicht und er wollt nicht tippen, ob sein Liebling jetzt so erstaunt war, weil er das so toll fand oder weil er nicht verstehen konnte, weshalb man so jemand Talentfreiem überhaupt ein Mikro in die Hand drückte.

„Yugi ...“ atmete er erstaunt und seine tiefblauen Augen bekamen einen unglaublichen Glanz, je mehr ihn ein Lächeln zierte. „Warum hast du mir nie gesagt, dass du Country singen kannst?“

„Na ja ... du hast ja nie gefragt“ lächelte er ihn hoffend an. „Und von Können kann ja auch keine Rede sein. Aber ... hat’s dir ein bisschen gefallen?“

„Ein bisschen? Yugi, du bist ja ein Spaßvogel!“

„Und du ein Pechvogel, dass du so was geheiratet hast ...“

„Ja, ich kann wirklich Pech haben“ beendete Seto diesen Fluss an Unselbstbewusstsein und streckte ihm seine Arme entgegen. Yugi ließ sich darauf ganz vertrauensvoll nach vorne fallen, wurde aufgefangen und mit einem tiefen Kuss belohnt. Mit einem halben Ohr hörte er, wie die anderen ihm und der Band Applaus spendeten und wohl auch gar nicht so unbegeistert waren.

Hauptsache war aber, dass sein Liebling es gemocht hatte. Yugi war sich da nicht so sicher, ob er sich da wirklich nicht zur Lachnummer gemacht hatte, aber wenn es nach Seto ging, war er sowieso der tollste Typ der Welt. Yugi brauchte sich ja nur mal die Hände waschen und schon fand Seto zehn Gründe, warum er das gut fand und sein Yugi das NonPlusUltra der Menschheit war. Also kein Grund an sich zu zweifeln.

„Na, Pascal? Wie sieht’s aus?“ klopfte ihm dann mitten im Kuss sein Kumpel Jacques auf die Schulter und grinste ihn an. „Willst du dich nicht mit einem Liedchen revanchieren? Wir haben doch so lange nichts zusammen gespielt, mon amie.“

„Liedchen?“ Und schon tauchte auch Olivier neben ihm auf und hatte manchmal ein besseres Gehör als man es ihm zutraute. „Pascal spielt mit uns?“

„Nein!“ schimpfte der. Er hatte so was in der Art überhaupt nicht geplant! Er wollte viel lieber mit Yugi rumknutschen, als seinen nervigen Freunden nachzugeben.

„Okay, ich hole die anderen“ grinste er, drückte Yugi seinen angefangenen Teller Nudelsalat in die Hand und verschwand in der Menge, um den Rest der Band einzufangen.

„Jacques, sag ihm, er soll das lassen!“ meckerte Seto noch immer und nahm Yugi den Teller ab, um ihn gleich Joey in die Hand zu drücken, der eben neben ihm auftauchte und ja sonst auch sein persönlicher Müllschlucker war.

„Ich finde es gut. Sing deinem Gatten doch mal ein Lied, Pascal. Zier dich nicht immer so, wenn man was von dir will“ schmunzelte er und kletterte auf die Bühne.

Seto wollte gerade weiter meckern, als Olivier strahlend an ihm vorbeihoppelte und Marc, Sibelle und Betty im Gepäck hatte, die sich wohl auch darauf freuten, mal wieder mit ihm spielen zu können. Und vorsichtshalber schenkten sie ihm nicht mal einen Blick, sondern übernahmen direkt die Instrumente, die da standen. Einfach anzufangen war manchmal die bessere Variante als zu versuchen, ihren Star mit seinen Allüren überreden zu wollen.

„Hab ich hier denn gar nichts zu melden?“ donnerte er die Leute auf der Bühne an.

„Jetzt sing deinem Yugi doch mal ein Lied. So schwer kann das doch nicht sein“ murmelte Marc und band sich die Gitarre um, die hoffentlich schon gestimmt war.

„Du bist echt ein fieser Idiot“ schimpfte Joey und drückte der armen Nika den Teller in die Hand, obwohl die nur an ihm vorbeigehen wollte.

„Halt doch mal die Klappe!“ schallte Seto zurück. „Dein Gekläffe kann ich gerade gar nicht gebrauchen. Verzieh dich!“

„Trotzdem lass dir das mal gesagt sein!“ bellte das Köterchen zurück. „Für Yugi singst du ständig irgendwelche Lieder, aber für mich hast du noch nie eins gesungen. Ey, du bist wirklich total gemein!“

„Sing dir doch selber ein Lied!“

„Ich hab immer für dich getan und gemacht und nie singst du für mich! Selbst den Kindern singst du abends was vor, aber mir nie!“

„Soll ich dir jetzt auch Schlaflieder singen und dich zudecken? Dir fehlen doch ein paar Latten am Zaun!“

„Nein, du sollst nur mal auch für mich singen. Oder hast du mich nicht lieb?“

„Nein, hab ich nicht!“

„Ich hab dich auch nicht lieb!“

„Oh, du bist gemein, Köter!“

„Du bist noch viel gemeiner, Drache!“

„Und wenn ich dir jetzt was singe ...“ seufzte Seto und fasste sich genervt an die Stirn. „Versprichst du dann, ruhig zu sein und nicht weiter zu nerven?“

„Nein“ grinste Joey.

„Manchmal würde ich dich gerne an die Wand klatschen“ knurrte er und war erstaunlich schnell zu den anderen auf die Bühne geklettert, nahm das Mikro entgegen, steckte es in den Halter und musste erst den Ständer ziemlich weit hoch stellen ...

„Singt er jetzt echt für mich?“ staunte Joey da hinauf. Das hätte er jetzt nicht gedacht, dass er seinen Drachen so weit getriezt bekam, dass er ihm ein Liedchen trällerte.

„Sieht so aus“ lächelte Yugi. „Sei doch froh.“

„Du bist aber nicht böse, oder?“

„Ähm ... nee. Warum denn?“

„Na, weil er doch eigentlich ein Liebeslied für dich singen sollte.“

„Ach das“ winkte Yugi locker ab. „Das macht er doch öfter. Eigentlich bin ich mal ganz gespannt, was er fühlt, wenn er mal für jemand anderen singt. Freu dich doch.“

„Ach, Yugi!“ jubelte Joey und nahm ihn plötzlich in einer festen Knuddelei gefangen, die ihn schon fast erdrückte. „Wenn du nicht schon verheiratet wärst ...“

„Finger weg ...“ grummelte es von oben dazwischen und der arme Hund wurde von einem so fröstelnden Blick getroffen, dass er ihm die Härchen am ganzen Körper aufstellte. Tja, solange bis er Yugi losließ und seine Hochzeitspläne gefälligst auf jemand anderen projizierte.

„RUHE! SETO SINGT FÜR MICH!“ keifte Joey dafür dann aber durch den ganzen Saal, damit es auch ja jeder wusste.

Auch wenn alle anderen schon mitbekommen hatten, dass der Drache sich da oben postiert hatte und nur noch darauf wartete, dass der Köter endlich seinen Yugi losließ.

„Mein Leben ist ein Hund!“ sang Seto laut ins Mikro und das noch bevor seine Band überhaupt richtig fertig war. „Es bellt, es beißt, es frisst und scheißt und manchmal reibt sich’s an meinem Bein! Oh nein, mein Leben ist kein Schwein NEIN, mein Leben ist ein Hund!“ **Link lohnt sich nicht. Ist nur ein Auszug aus einem WIZO-Song. XD**

Daraufhin guckte Joey erst mal ziemlich überrumpelt.

Das war jetzt also sein Lied? Ohne Musik? Nur so ein ganz doofer Reim? Und so ... so was von gemein?

„Pascal, du bist fies“ lachte Marc, der Joeys dummen Ausdruck ebenso zum Schießen fand wie Seto, der jetzt ein ziemlich fieses Grinsen im Gesicht stehen hatte. Ja, er wusste eben, wie er seinen Köter ruhig bekam.

„Mal gucken, ob wir das Lied noch können ...“ murmelte Betty vor sich hin und zählte an den Fingern noch mal den richtigen Takt ab, damit sie nichts falsch machte. War ja nun doch schon ein Weilchen her, seit sie gemeinsam etwas gespielt hatten.

„Dieses Lied hat Pascal schon vor ein paar Jahren geschrieben“ erzählte Jacques ins Mikro. „Also, seid gnädig, wenn es nicht so perfekt kommt, ja?“

„Dieser Song ist für meinen besten Freund“ lächelte Seto dafür umso versöhnlicher ins Mikro. „Der mich unendlich nervt, und den ich aus dem tiefsten Grunde meines Herzens auf die andere Seite der Welt wünsche.“

„Ich kann dich auch nicht leiden“ flüsterte Joey leise ... irgendwie wurde ihm gerade unheimlich, wenn er in Setos Augen blickte. Er hatte noch nie ein richtiges Lied bekommen und ihn jetzt da oben stehen zu sehen und zu wissen, dass er echt nur für ihn sang ... das war irgendwie besonderer als sonst.
 

Und Seto gab sich wirklich ein bisschen Mühe für ihn. Ein Lied, welches er schon vor Jahren geschrieben und nur nie richtig gespielt hatte.

Dabei war es doch für Joey, der ihm mehr bedeutete als er zugeben würde.

Es begann ganz langsam, als die Band anspielte ...
 

„Ich zeige auf die Sterne, doch du siehst nur den Mond.

Ich rufe HALT und du rennst dabei los.

Will ich Dir was erzählen, dann kann ich mir sicher sein,

dass du woanders hängst und Dich fürchterlich langweilst.

Wenn ich sage SCHWARZ, setzt du sofort auf rot,

ob es klappt oder nicht, du versuchst es andersrum.

Du hältst nichts von meinen Macken, ich kann deine nicht verstehen.

Kein Wunder, dass man uns so gut wie nie zusammen sieht!“
 

Doch es wurde richtig wild und laut als die Band härtete Töne anschlug und aus dem Anfangs so leisen Lied den richtigen Punk rausholte ... richtig schnell und chaotisch, so wie Setos Beziehung zu seinem Köter ja auch irgendwo war.
 

„Wir werden niemals einer Meinung sein,

und wenn sich's nur ums Wetter dreht!

Frag mich nicht warum, ich brauche dich.

Jeden Tag reicht uns der kleinste Streit,

um aufeinander loszugehen.

Frag mich nicht wieso, ich liebe dich!“
 

Doch dann wurde Seto wieder etwas leiser, blickte hinunter und seinem Hündchen direkt in seine treuen, braunen Augen ...
 

„Wenn dir etwas gefällt, steht für mich schon lange fest,

ich kann's nicht ausstehn, weil's langweilig ist.

Doch wenn es uns mal schlecht geht, suchen wir zusammen Trost,

unser Mitleid füreinander war schon immer groß.
 

Wir werden niemals einer Meinung sein,

und wenn sich's nur ums Wetter dreht.

Frag mich nicht warum, ich brauche dich.

Jeden Tag reicht uns der kleinste Streit,

um aufeinander loszugehen.

Frag mich nicht wieso, ich liebe dich!
 

Wenn ich dich haben kann, dann merke ich, ich will dich gar nicht mehr,

ist es umgekehrt, hab ich Angst, dass du mir nicht gehörst.

So war's bei uns schon immer, es wird niemals anders sein,

würdest du's noch mal versuchen, ich wär sofort dabei!
 

Wir werden niemals einer Meinung sein,

und wenn sich's nur ums Wetter dreht.

Frag mich nicht warum, ich brauche dich.

Jeden Tag reicht uns der kleinste Streit,

um aufeinander loszugehen.

Frag mich nicht wieso, ich liebe dich!

Frag mich nicht wieso, ich liebe dich!

Frag mich nicht wieso, ich liebe dich!“
 

Tja ... da war Joey noch baffer ...
 

Aber nach Setos kleinem Gesang und dem durchaus punkig tanzbaren Song wurden sie beide auseinander gerissen und wieder musste sich das Bräutigamspaar um all ihre Gäste gleichzeitig kümmern. Sie tanzten mit allen möglichen Leuten und fanden zwischendurch nur unter größter Anstrengung mal die Möglichkeit, etwas zu essen.

Auf alberne Hochzeitsspiele wurde glücklicherweise verzichtet, aber das hinderte niemanden daran, so richtig viel Spaß zu haben und ausgiebig dieses schöne Ereignis zu feiern.

Und sogar Joey hatte mal was, worüber er sich ziemlich lange freuen konnte ...
 


 

Chapter 20
 

Langsam wurde es später und später und die Feier war noch immer in vollem Gange. Die Gäste hatten Spaß, die Musik war absolut tanzflächenlockend, das Essen war lecker und wer nicht beschwipst war, der war auch so lustig drauf. Die Kinder waren meist irgendwo in ihrer eingerichteten Spielecke, um sich die Zeit zu vertreiben und es fand sich auch immer jemand, der auf sie aufpasste und mit ihnen spielte. Bis auf Nini, welche sich wohl vorgenommen hatte, jeden Gast mindestens ein Mal zu nerven und ihn zu fragen, ob man denn auch Spaß hätte. Ja ja ...

Doch im Allgemeinen war es wirklich eine vorzeigbare Feier. Das Büffet wollte nicht leer werden und mit dem Eintreten der Nacht wurde auch die Lichttechnik mehr zur Disco umfunktioniert, da hatte sich der professionelle DJ doch gelohnt, denn nach ein paar Stunden wollte ja auch die Live-Band mal mitfeiern und nicht ‚arbeiten’.

Während die Kiddys also langsam müde wurden, wurden die Erwachsenen gerade erst richtig wach und tummelten sich auf der Tanzfläche. Schließlich war man jung und wollte die Nacht durchfeiern! Die Stimmung war ja auch entsprechend gelöst.
 

„Hey!“ Noah hörte diese Stimme an seinem Ohr und musste das Handy kurz absetzen, um sich umzudrehen. Da stand Jimmy vor ihm und sah ihn vorwurfsvoll an. Hatte man ihn also doch gefunden. Er hatte sich doch EXTRA in die ruhigste Ecke neben dem Kinderraum verkrümelt, da hier keine lauten Boxen standen und auch sonst weniger los war.

„Was?“ flüsterte er und hielt das Handy zu.

„Musst du schon wieder arbeiten?“ wollte er leicht beleidigt wissen. „Noah, hier wird gefeiert. Wenigstens heute Abend kannst du doch mal ...“

„Das ist aber wichtig“ rechtfertigte er sich rüde und nahm einfach das Telefon wieder ans Ohr. „Entschuldigen Sie, Mr. Kurawa. Was ich eigentlich sagen wollte: Wenn die Wertpapiere im Durchschnitt noch fünf Cent fallen, sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, das Ressort Finanzierung für das G7-Joint-Venture im nächsten Halbjahr abzustoßen. Ich hoffe, Sie haben bereits einen Entwurf ausgearbeitet für den Fall, dass wir vorher einen DT-Check zum ACR beim IG einreichen müssen. Ich will nicht so ein Desaster haben wie beim letzten Communicate-Over der DTE.“

Jimmy stand daneben und fühlte sich wie am Bahnhof. Was auch immer Noah da quatschte, wenn es sich erst auf das nächste Halbjahr bezog, hatte das doch wohl noch ein paar Tage Zeit, oder nicht? Überhaupt hatte Noah sich verändert. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass er sich auf der Hochzeit seines Bruders mit geschäftlichen Dingen belastete ... überhaupt sah ihm das nicht ähnlich. Sonst achtete er immer darauf, auch genug Zeit für Privates zu haben, aber Enrico hatte schon von Mokubas Sorgen berichtet, dass Noah in letzter Zeit mehr arbeitete als sonst. Es war also nicht bloß eifersüchtiges Geplänkel, sondern tatsächlich wahr, dass er etwas wenig Zeit für anderes als das Unternehmen hatte. Und jetzt, wo er mit der Hochzeitsorganisation durch war, musste er wohl Liegengebliebenes aufholen.

Doch noch während er das so dachte, legte er mit einem Schimpfen „Dann tun Sie das noch heute! Ich will das Papier morgen bis zehn Uhr auf meinem Schreibtisch haben!“ das Gespräch auf und seufzte genervt durch.

Genervt? Noah war sonst nie genervt ...

„Was ist denn?“ fragte er Jimmy zwar etwas ruhiger, aber trotzdem sichtlich genervt.

„Nichts weiter“ erwiderte er unsicher über diese Situation. „Ich wollte nur mal sehen, wo du bist.“

„Hier bin ich, wie du siehst. Hast du nichts zu tun?“

„Ähm ... außer feiern? Hier ist eine Feier, weißt du?“

„Ja, weiß ich. Ich hab sie selbst organisiert.“

„Noah, warum bist du so angefressen?“ fragte er direkt auf den Kopf zu. „Du arbeitest etwas viel, findest du nicht?“

„Du hörst dich schon an wie Mokuba. Und ich sage dir, du hast da keine Ahnung von. Also halte dich da bitte raus. Da kannst du mir nämlich nicht bei helfen. Im Gegenteil.“

„Entschuldige ... ich störe dann auch nicht weiter. Sorry.“

Er wollte sich umdrehen und gehen, aber da besann er sich wohl doch noch mal. Noah legte ihm die Hand auf die Schulter und seufzte tief.

„Nein, entschuldige, Jimmy. Ich wollte dich nicht anmachen. Ich bin nur etwas überreizt im Moment.“

„Schon gut.“ Er drehte sich noch mal um und setzte ein vorbehaltloses Lächeln für ihn auf. „Du bist halt ein wichtiger Mann. Aber heute heiratet doch dein Bruder. Da solltest du ihm den Gefallen tun und nur heute Abend ein bisschen weniger machen. Morgen ist auch noch ein Tag.“

„Hm ... vielleicht.“

„Außerdem wollte ich dir sagen, dass Takato gerade gekommen ist“ redete er aufmunternd weiter. „Er wollte dich wenigstens begrüßen.“

„Takato? Wollte der nicht schon viel früher hier sein?“

„Ja schon. Aber er hatte noch Ärger im Sender wegen der Übertragung, doch jetzt ist er hier. Er hat sogar seinen neuen Freund mitgebracht. Den musst du dir angucken!“ Er griff Noahs Arm, hakte sich ein und schleifte ihn einfach wieder mit zurück. „Ich dachte schon, er bleibt ewig Single, weißt du? Er ist ja immer so wählerisch, aber sein Neuer ist echt schnuckelig.“

„Findest du?“

„Ja, total. Ich freue mich für ihn. Er hat’s verdient, endlich einen Schatzi zu haben. Er hat erzählt, dass sie sich kennen gelernt haben, als er bei Takato im Geschäft ne neue Hifi-Anlage kaufen wollte. Er hat ihm erst nen Sonderpreis gemacht und danach sind sie was trinken gegangen. Süß, oder?“

„Na ja ... wie heißt er denn?“

„Öhm ...“ War ja klar. Klatsch und Tratsch konnte Jimmy sich immer merken, aber mit Namen hatte er es nicht so. Wahrscheinlich war alles so interessant gewesen, dass er das Wesentliche mal wieder vergaß. „Auf jeden Fall passen sie voll gut zusammen. Er ist viel kleiner als Takato und hängt immer an ihm dran. Richtig niedlich, wie verliebt er ist. Da sieht man sofort, wer der Uke ist.“

„Ach, du meinst, so wie bei dir und Enrico?“

„Wieso?“

„Weil Enrico doch der typische Seme ist. Da erkennst du wohl in Takatos Neuem gleich nen Seelenverwandten, was?“

„Hey, lass das“ kicherte er und piekte ihn gemein in die Seite. „Du bist doch auch Seme, also muss Takato ja wohl dein Seelenverwandter sein. Hach, so Semes sind doch ne feine Sache.“

„Vor allem, wenn jeder seinen eigenen hat“ mischte sich plötzlich auch Mokuba dazwischen, trennte die beiden und hakte sich selbst in Noahs Arm ein. Ganz fieser Angriff von hinten. Er mochte es einfach nicht sehen, wenn ein anderer an Noahs Arm hing. Vor allem nicht Jimmy! Egal, ob er jetzt verheiratet war, er war trotzdem Konkurrenz. Er war zu hübsch und zu ukig. Viel ukiger als Mokuba und er durfte die Leine seines Hasen ja nicht allzu lang lassen ... nicht, dass das irgendwann doch nach hinten losging.

„Mokuba ...“ Da war auch Noah einen Moment verdutzt. „Wo kommst du denn so schnell her?“

„Ich hab dich auch gesucht. Und dann flirtest du hier mit Jimmy rum.“

„Ich habe nicht geflirtet. Wir haben uns nur unterhalten.“

„Ja, natürlich. Und deswegen hältst du ihn auch im Arm.“

„Ich halte ihn nicht IM Arm, sondern er sich AN meinem Arm. Sei nicht ...“

„Das stimmt, Mokuba“ versuchte auch Jimmy zu retten. „Wie oft soll ich es noch beteuern? Ich baggere nicht an Noah rum.“

„Ja, weil ich immer rechtzeitig zur Stelle bin“ giftete er ihn mit blitzenden, kohleschwarzen Augen an. „Ich sag’s dir zum letzten Mal: Hände weg von Noah.“

„Mokuba, es ist gut jetzt“ bat der noch höflich, aber leicht angedunkelt. Er verstand es ja, dass sein Häschen schnell eifersüchtig wurde, aber das musste auch irgendwo eine Grenze haben.

„Dann lass es einfach.“ Typisch, Mokuba musste immer das letzte Wort haben. Es war doch wohl Noahs Fehler, wenn er mit jemand anderem in aller Öffentlichkeit flirtete. Da musste man auf der Hut sein, wenn man ihn behalten wollte. Außerdem vernachlässigte Noah ihre Beziehung in letzter Zeit auffällig häufig. Lieber klopfte Mokuba vorher alle Büsche ab, bevor da doch was drin war. Wenn das weiter so ging, musste er ernsthaft nachforschen, ob sein Hase wirklich so viel arbeitete oder ob da etwas anderes hinter steckte. Irgendeinen Grund musste es haben, dass er in letzter Zeit so schwer anzusprechen war.

Durch die Menge hatten sie sich schnell hindurchgemogelt und auch, wenn Jimmy vorging, machte er sich etwas klein. Er war hier Gast und sich mit Mokuba anlegen wollte er auch nicht. Dafür war er zu sehr Pazifist. Der jüngste Kaiba konnte unter Umständen ganz schön bissig werden und das wollte er nicht provozieren.

Da war es gut, dass sie schnell bei der angesteuerten Gruppe ankamen und er sich in Enricos Arme flüchten konnte. Da war es wenigstens sicher, denn Rico war groß und stark und würde sicher für ihn Partei ergreifen, selbst wenn er an Noahs Arm gehangen hatte - was für ein Glück, dass sein Mann nicht besonders eifersüchtig war, dafür war er viel zu selbstbewusst.

Aber dieses Thema kam gar nicht mehr zur Sprache, als Takato Noah gegenüberstand und dafür sogar sein angeregtes Gespräch mit Yugi unterbrach.

„Ich dachte schon, du kommst nicht mehr!“ lächelte Noah, als sie sich umarmten und sich freundschaftliche Wangenküsse schenkten.

Das allein passte Mokuba auch schon wieder nicht und dementsprechend dunkel schaute er die beiden auch an. Takato war für seinen Geschmack auch viel zu gutaussehend. Nicht wesentlich kleiner als Noah, kurzes, nach hinten geföhntes, brünettes Haar, eine kleine, spitze Nase und ein dazu passend spitzes Kinn, aber sein Gesicht war wirklich schön anzusehen. Im Allgemeinen war er relativ kräftig, durchtrainiert und dieser feine Nadelstreifenanzug stand ihm wirklich gut. Eigentlich zeigte nur beim näheren Hinsehen das kleine bisschen Make-Up auf seinem Gesicht, dass er ans andere Ufer gehörte.

„Das dachte ich auch“ meinte Takato und klopfte ihm kumpelhaft auf die Seite. „Aber als du noch einen Chauffeur geschickt hast, musste ich ja doch einen Zahn zulegen. Mensch, so Limousine könnte ich jeden Tag fahren. Und der Champagner war bestimmt auch nicht besonders preiswert.“

„Gehört alles zum Gesamtpaket“ nickte Noah. „Danke noch mal, dass du dich um das Handling mit den Medien gekümmert hast. Das hat uns wirklich viel Arbeit abgenommen.“

„Aber nein, ich muss mich bedanken. Hab ich bei Yugi auch schon getan“ lächelte er kurz zu dem herunter, bevor er Noah wieder ansah. „Diese Hochzeit öffentlich zu machen, ist doch wirklich eine der besten Gelegenheiten, unsere Flagge mal in den Wind zu halten und damit zu zeigen, dass wir nicht die sexbesessenen Homos sind, als die wir immer abgestempelt werden. Ich bin auf die Reaktionen in den nächsten Tagen gespannt. Bis jetzt schien es ja ganz gut aufgenommen zu werden.“

„Das hoffen wir doch. Danke auf jeden Fall, dass du dich da so engagierst.“

„Klar, gerne. Aber jetzt möchte ich dir gern jemanden vorstellen.“

„Ja, Jimmy hat schon erzählt, dass du einen neuen Freund gefunden hast.“

„Na ja, eigentlich hat er viel mehr mich gefunden“ schmunzelte er, griff nach hinten und zog seinen neuen Schatzi ein Stück nach vorne. Der hatte sich so brav hinter ihm versteckt, um nicht zu stören, doch jetzt wurde er trotzdem nach vorn gezerrt.

Und genau wie Jimmy erzählt hatte, sah man sofort, dass er das Ukelos gezogen hatte. Im Gegensatz zu Takato war er nämlich nicht besonders groß, eher mit Mühe 1,70 m und Noah sah auf den ersten Blick, dass der zwar schwul war, aber wohl noch nicht so lange geoutet. Er trug einen dunkelblauen Anzug mit leuchtend weißem Hemd und der erste Schritt zur neuen Persönlichkeit waren wohl die paar Rüschen vorne, ein Kettchen um den Hals und zwei Ringe an den schlanken Fingern. Außerdem war das Ohrloch auch noch nicht ganz verheilt und noch etwas rot, aber er trug denselben Ohrring wie Takato. Mit seinen hellblauen Augen und den sichtlich dunkelrot getönten Haaren wirkte er aber trotzdem sehr hübsch. Vorher war er wohl eher ein unauffälliges Geschöpf, aber Takato war schon dabei, ihn sich zurechtzuschwulen. Immerhin musste sein Freund doch zu seinem Image passen und so jung wie er war, schien man aus ihm noch einiges herauskitzeln zu können.

„Das ist Yoru“ stellte er stolz vor. „Meine neue Eroberung.“

„Guten Abend“ lächelte Noah freundlich und schüttelte ihm die Hand.

„Guten Abend, Mr. Kaiba“ entbrachte er freundlich, aber auffällig nervös. Es wäre wohl für jeden ungewohnt, wenn man spontan in so eine Gesellschaft hineingeriet. Dass Takato der Leiter der Schwulen- und Lesbenvereinigung war, hatte er ja sicher gewusst. Aber sicher nicht, dass er als seine Begleitung auf so prominente Feiern eingeladen wurde.

„Du kannst ruhig Noah zu mir sagen. Takatos Freunde sind auch meine Freunde.“

„Natürlich, danke Noah ...“

„Und das hier ist mein Partner Mokuba“ stellte er das klammernde Etwas an seinem Arm vor.

„Hallo Yoru“ nickte er nur kurz zur Begrüßung. „Darf ich mal fragen, wie alt du bist?“

„Ähm ... warum?“

„Yoru ist 22“ antwortete Takato für ihn. „Er ist noch ein bisschen schüchtern. Das hier ist das erste Mal, dass wir als Paar auf eine offizielle Veranstaltung gehen.“

„Du bist noch nicht so lange geoutet, oder?“ fragte Noah freundlich nach.

„Nein“ musste er leicht rot zugeben. Also hatte er richtig getippt. Der Süße da war ein Frischling und konnte damit noch nicht so umgehen. Er wurde von Takato wohl so ziemlich ins kalte Wasser geworfen. Nicht umsonst war der große Vorsitzende als Schwulmacher bekannt. Er suchte sich ständig Leute, die er outen konnte. Das war seine auserkorene Mission: Sexuelle Befreiung für alle. Damals hatte er sich auch Jimmy angenommen und man sah ja, was für ein warmes Brüderchen dabei herausgekommen war. Aber es ging ihm gut damit. Umso schöner, dass er jetzt jemanden gefunden hatte, den er nicht nur missionieren, sondern auch lieben konnte.

„Ach, keine Angst. So schlimm ist das nicht“ sprach Jimmy ihm fröhlich zu. „Takato ist echt ein Schnuckel, mit dem hast du einen guten Fang gemacht.“

„Ich weiß“ antwortete er leise und schlug seinen beschämten Blick zu Boden.

„OH! Ist er nicht süß?“ quietschte Takato und musste ihn einfach knuddeln. „Er ist wirklich das süßeste Kerlchen von allen.“

„Hör auf, zu sagen, dass ich süß bin“ meckerte er leise, ließ sich aber trotzdem von ihm im Arm halten. Das war wohl auch noch ungewohnt, dass man sich jetzt als süß betiteln lassen musste.

„Aber wenn es doch so ist?“

„Komm schon, sei lieb zu ihm“ lachte Noah, als das Gesicht seines Süßen immer roter wurde. „Am Anfang ist das noch ungewohnt, also überfall ihn nicht gleich.“

„Ja ja, ich hab ja Verständnis“ seufzte er und ließ ihm wieder etwas freie Luft zum Atmen. „Aber ich war schon lange nicht mehr so verliebt. Am liebsten würde ich die ganze Zeit nur noch knuddeln.“

„Dabei ist er sonst gar nicht so kuschelig“ zwinkerte Noah. „Ich glaube, unser Takato entdeckt gerade selbst ganz neue Seiten.“

„Irgendwie ja. Aber ich liebe das“ schwärmte er. „So schnell wird mein Yoru mich nicht mehr los. Aber spätestens wenn er meine Schwester erlebt, wird er froh sein, dass er schwul ist.“

„Oh ja“ stimmte Mokuba auch mit großen Augen zu. „Du hast Takatos Schwester noch nicht kennen gelernt?“

„Nein“ gab der Kleine erschrocken zu. „Ich hab nur schon gehört, dass sie ...“

„Sag es ruhig, sie ist ein Mannsweib“ lächelte der Schwulmacher. „Sie ist ja nicht ohne Grund für den Lesbenteil des Vereins zuständig. Glaub mir, die sagt knallhart, was ihr in den Sinn kommt. Dagegen bin ich noch richtig zahm.“

„Ja, die ist echt heavy“ nickte Mokuba eifrig. „Sie ist ja ganz lieb, aber ziemlich laut.“

„Das muss auch ein hartes Los sein“ überlegte Yugi. „Wenn der Sohn schwul ist und die Tochter lesbisch. Was sagen denn eure Eltern dazu?“

„Takatos Eltern sind lieb“ antwortete Yoru vertrauensvoll. „Wir waren letztes Wochenende da und sie waren sehr freundlich. Sie haben mir sogar Tipps gegeben, wie ich es ... na ja, wie ich es meinen Eltern beibringen soll.“

„Ja, das ist bestimmt das Schwerste“ stimmte Yugi zu. „Aber du schaffst das sicher. Wenn du es richtig verpackst und es ihnen schonend sagst, dann verstehen sie es sicher. Wenn sie dich lieben, werden sie es verstehen.“

„Wie war das denn bei dir?“ wollte er ganz vorsichtig wissen. „Ich meine ... dein ... dein Mann ist ja auch nicht so ... gewöhnlich.“

„Ach, das wurde ganz toll aufgenommen“ lächelte Yugi. „Ich hab ja keine Eltern mehr, aber mein Großvater hat ganz toll reagiert. Weißt du, er wusste ja schon, dass mein großer Bruder mit einem Mann zusammenwar und da hat er bei mir niemals was dagegen gesagt. Eher im Gegenteil. Er hat Seto sofort für sich adoptiert.“

„Ja? Wirklich?“

„Ja, klar. Manchmal geht Seto ihn auch einfach mal so besuchen. Die beiden mögen sich wirklich. Schade, dass Opa schon nach Hause gefahren ist, sonst könnte er dir auch was erzählen. Aber er ist ja nicht mehr der Jüngste, weißt du?“

„Na ja, gerade dann. Ist das nicht eher die ältere Generation, die ... na ja, so einen Lebensstil ... nicht so ... gut findet?“ Wie schüchtern er sich die Worte zurechtkramte. Er wollte nichts Falsches sagen und so frei über seine Partnerwahl zu sprechen, fiel ihm sichtlich schwer.

Doch den anderen, selbst Takato fiel das extrem ins Auge, dass er mit Yugi ganz anders sprach. Sonst war er immer so schüchtern und hielt sich eher noch zurück. Als würde er in Yugi ganz plötzlich Vertrauen haben und das Gefühl, über alles mit ihm sprechen zu können. Kein Wunder, der Zwerg sah nicht besonders bedrohlich aus und war ein sanfter Gesprächspartner. Es war leicht, mit ihm eine Konversation zu finden.

„Och, mein Opa ist da wirklich klasse“ lächelte er. „Das war er schon immer. Er hat mir die Sache leichter gemacht als ich mir selbst. Ich weiß noch, als ich ihm Seto das erste Mal als meinen Freund vorgestellt hab. Ich hab vorher schon mit ihm über vieles gesprochen und so wusste er, was auf ihn zukam. Er hat extra für uns gekocht und seine berühmte Schokotorte gemacht. Damit hat er sich in Setos Herz gekocht und als Seto ihm am Abend sogar seinen Computer neu einrichten konnte, waren die beiden die besten Freunde. Glaube mir, Vorurteile sind das Schlimmste, was es gibt. Mein Opa ist überhaupt nicht alt und verkorkst und Seto ist nicht so ein harter Kerl wie man meint. Sind deine Eltern denn vorurteilsbehaftet?“

„Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht“ antwortete er offen. „Wir haben nie über solche Dinge gesprochen. Weißt du, ich komme aus einer ziemlich bürgerlichen Familie und sie sind zwar in vielen Sachen sehr offen, aber ich weiß nicht ... na ja, wie das ‚da’ so aussieht. Ich hab schon ein bisschen Angst davor, sie zu besuchen.“

„Ich glaube, das brauchst du gar nicht“ sprach Yugi ihm gut zu und die anderen überließen ihm einfach das Feld. So viel wie jetzt hatte Yoru ja den ganzen Abend noch nicht gesprochen. Er wagte sich sogar aus Takatos Armen hervor, als Yugi auf ihn zutrat und mit ihm sprach. Anscheinend hatte der kleine Pharao irgendetwas an sich, was ihn vertrauenswürdig machte. „Schau mal, dein Takato ist doch ein ziemlich hübscher Kerl, oder?“

Yoru nickte nur und wurde wieder etwas rot auf den Wangen. Doch ja, seinen Schatz fand er schon ziemlich hübsch.

„Siehst du? Außerdem ist er doch auch sehr gebildet und hat als Verkäufer einen guten Job. Er engagiert sich in einer sozialen Einrichtung und weiß sich zu benehmen. Warum sollten deine Eltern ihn nicht mögen?“

„Na ja ... ich weiß nicht?“

„Ich glaube, das mit euch beiden wird was“ zwinkerte er ihm ganz lieb zu. „Das hab ich im Gefühl. Ich kenne euch zwar nicht so gut, aber Mokuba hat mir schon viel Gutes über Takato erzählt. Mit dem machst du dein Glück, ganz bestimmt.“

„Ja ... bestimmt“ flüsterte er und schaute verliebt an seinem Schatz hoch. Der war auch ganz ruhig geworden und ließ seinen schüchternen Yoru einfach reden. Es war doch nur gut, wenn er jemanden gefunden hatte, mit dem er sprechen konnte.

Die beiden hätten bestimmt auch noch sehr gut weitergeredet, wäre nicht plötzlich Nika bei ihnen aufgetaucht und hätte Yugi am Arm gezogen.

„Sorry“ schnaufte sie ganz außer Atem.

„Was ist denn?“ guckte Yugi sie erschrocken an. „Was rennst du hier so rum?“

„Yugi, du musst dem ein Ende setzen“ flehte sie. „Yami räumt das Büffet auf und Seth ist mit Mokeph Zigaretten holen. Bitte, bring da irgendwie Ruhe rein. Auf uns hört er ja nicht.“

„Was soll das heißen, er räumt auf?“

„Er schüttet alles zusammen, was zusammen gehört.“

„Oh je ...“

„JA GENAU! Wenn Seth nicht da ist, wen sollen wir denn sonst fragen?“

„Entschuldige bitte“ bat Yugi noch schnell zu Yoru. „Ich muss mal eben meinen großen Bruder bändigen. Wir sehen uns bestimmt später irgendwie noch mal.“

„Ja, hoffentlich“ lächelte er zurück und schon war Yugi mit Nika in der Menge verschwunden, um das Büffet davor zu retten, neu sortiert zu werden. Das war so klar! Wenn Seth weg war, wurde Yami schnell langweilig und er suchte sich andere Betätigungsfelder. So etwas gehörte unter Aufsicht gestellt!

„Yugi ist sehr nett“ befand Yoru zufrieden. „Ob sein Bruder auch so ist?“

„Yami? Um Gottes Willen!“ lachte Mokuba. „Nein, die beiden sind was das angeht ziemlich verschieden. Wenn du bei Yami das Thema Sex anschneidest, läufst du Gefahr, eine persönliche Lehrstunde zu bekommen. Glaube mir, das wünschst du dir nicht. Außerdem ist Yugi auch nicht das, was er scheint.“

„Wie? Er schien doch ganz nett ... oder nicht?“

„Doch, nett ist er“ schmunzelte der Wuschel ziemlich breit. „Aber er ist ein ziemlicher ... wie hat Yami das noch ausgedrückt? Ein kleiner Super-Seme.“

„Was?!“ Das schockte den armen Yoru doch jetzt wirklich. „Yugi ist ...?“

„Seme, jupp“ grinste er noch breiter. „Das hast du nicht gewusst? Yugi liegt immer oben.“

„Nein, du verarscht mich doch!“

„Doch, ehrlich. Mein großer, böser Bruder ist Yugis kleiner Uke. Kannst du mir ruhig glauben. Yugi ist ziemlich durchsetzungsfähig und dominant. Der hat den Drachen total unter Kontrolle und wenn er nur dreißig Zentimeter größer wäre, würde er wohl auch anders wirken. Nur weil er so klein ist, sollte man ihn nicht als Uke abstempeln, denn er ist wirklich alles andere als das.“

„Aber Yugi und Seto haben sich gesucht und gefunden“ meinte Noah. „Yugi ist nur so ein Oberseme, weil Seto auch der Oberuke ist. Die haben sich gegenseitig geformt. Das bezieht sich ja nicht nur aufs Schlafzimmer, sondern aufs ganze Zusammenleben. Seto ist ziemlich anspruchsvoll, aber letztlich hat immer Yugi das letzte Wort in allem.“

„Wir haben sogar das Beweisfoto“ grinste Mokuba. „Seto hatte beim Torteschneiden die Hand unten. Das sagt doch wohl alles.“

„Es ist nicht immer alles so wie es scheint“ lächelte James ihn lieb an. „Als ich Rico zum Beispiel diesen Sommer kennen gelernt habe, da hat er gleich gesagt, dass er kein Interesse an Männern hat. Und nicht mal drei Monate später wollte er mich plötzlich heiraten.“

„Dann bist du ja auch noch nicht so lange schwul“ stellte Yoru erstaunt fest.

„Ich?“ lachte Enrico ungläubig. „Ich bin überhaupt nicht schwul. Bestimmt nicht!“

„Aber ... du ...?“

„Ich bin durch und durch hetero. Ich schwöre es dir.“

„Das stimmt“ argwöhnte Jimmy skeptisch. „Ich hab neulich einen Playboy in seinem Koffer gefunden. Und der hatte ein aktuelles Datum.“

„Musst du das jedem erzählen, James?“

„Ja, muss ich“ stritt er zurück. „Du bist verheiratet! Wieso kaufst du dir dann solche Heftchen?“

„Na komm, der Playboy ist kein Heftchen.“

„Ach, jetzt sag nur, du liest das wegen den interessanten Artikeln da drin?“

„Sage ich ja gar nicht. Ich habe mir den gekauft, weil ich das Cover schön fand und mir auch die anderen Bilder ansehen wollte. Die sind wirklich gut geworden und das Fräulein darauf ist doch wirklich herzeigbar.“

„Du siehst, es ist nicht alles, wie es scheint“ schlichtete Noah. „Enrico ist mit nem Mann verheiratet, ohne richtig schwul zu sein. Oder frag mal Mokuba. Der hat nie darüber nachgedacht, in welches Lager er gehört.“

„Das musste ich auch nie“ erzählte der. „Seit ich 14 bin, bin ich in Noah verliebt. Jetzt bin ich 23 und liebe ihn immer noch. Die Frage nach der Ausrichtung stellte sich da nie wirklich, denn jemand anderes außer Noah kam nie in Frage. Und dass er schwul ist, wusste ich von Anfang an. Aber ein Problem war das nie.“

„Moki war mein erster Freund, meine erste Liebe“ lächelte er seinen süßen Wuschel verliebt an. „Der erste und einzige Mann in meinem Leben.“

„Das hättest du jetzt nicht gedacht, was?“ lachte Enrico, als er Yorus verwirrtes Gesicht sah. „Aber soll ich dir mal den größten Hammer erzählen zum Thema ‚Es ist nicht alles, wie es scheint’? Hast du die Frau eben gesehen, die Yugi abgeholt hat?“

„Die Schwarzhaarige?“ zeigte er verdutzt in die Menge. „Warum? Ist sie lesbisch? So sah sie gar nicht aus.“

„Nein, sie ist nicht lesbisch“ sprach er heiter weiter. „Sie ist verheiratet und bereits Mutter einer kleinen Tochter. Aber kannst du dir vorstellen, dass sie mal so aussah wie ich?“

„Wie? ... Wie du? ...“

„Nika ist meine Halbschwester, aber als sie noch Nikolas war, war sie mein Halbbruder. Sie hat erst dieses Jahr ihre OP gehabt und ist auch offiziell eine Frau. Soviel zum Thema.“

Das setzte dem doch jetzt die Krone auf. DAS hätte er nicht gedacht. Erst die Verwirrung darüber, dass der freundliche, kleine Yugi der große Seme war und jetzt war die schönste Frau im Raum mal ein Mann gewesen ... vieles war nicht so wie es schien.

„Aber ...“ fragte er vorsichtig. „Ist ihr das nicht unangenehm, wenn du das so einem Fremden erzählst?“

„Also erst mal bist du ja nicht fremd. Takato ist ein Freund von Jamey, also bist du als sein Partner auch mein Freund und als mein Freund bist du auch Nikas Freund. Und zweitens macht sie da kein großes Geheimnis drum. Sie ist nämlich auch der Auffassung, dass sie mit ihrem Beispiel zeigen möchte, dass auch ‚unnormale’ Dinge ganz ‚normal’ sein können, wenn sie im richtigen Licht gesehen werden. Natürlich bindet sie das nicht jedem auf die Nase und das tue ich ja auch nicht. Aber ich habe das Gefühl, du bist ja schon offen für so etwas, oder?“

„Na ja ...“

„Also, jetzt ist es aber wirklich gut“ lächelte Takato und nahm seinen Süßen schützend in seine Arme. „Ich wollte ihn vorstellen und nicht schocken lassen.“

„Sorry“ lachte Mokuba ihn lieb an. „So sind wir nun mal. Wir sind schon ein Freakverein, das wissen wir. Pass auf, dass du uns nicht zu nahe kommst, das ist ansteckend.“

„Ich weiß auch was, was ansteckend ist.“ Jimmy grinste bis über beide Ohren, aber die übrigen standen einen Moment auf dem Schlauch.

Sie sahen ihn an ... sahen ihn an ... sahen ihn an ... bis der Wasserstau im Schlauch mit einem BÄNG platzte.

„JIMMY!“ rief Takato überwältigt und umarmte ihn sofort. „Denkst du dasselbe wie ich?“

„Ich glaube schon!“

„Warum? Was denn?“ wollte auch Noah wissen.

„Noah?“ grinste Takato ihn breit an. „Hast du heute deinen Regenschirm dabei?“

„Natürlich nicht“ antwortete Mokuba für ihn. „Draußen ist glühend heißer Sommer. Noah braucht keinen Regenschirm.“

„Sehr schön“ zwinkerte Jimmy und Noah musste doch etwas verzweifelt lächeln.

„Moki“ seufzte Enrico tief. „Ich glaube, das war ein Insider.“

„Nein“ flehte Noah dann ängstlich, als Jimmy ihn auch weiter so unheilverheißend anblickte. „Ich war angetrunken an dem Abend.“

„Egal!“ sprachen Takato und Jimmy wie aus einem Munde.

„Komm schon, du kannst toll singen und tanzen“ bettelte Jimmy. „Bitte! Bevor ich nach Portugal in mein Kaff zurückmuss.“

„Du willst es doch auch“ griente Takato verschwörerisch. „Komm schon, Noah. Zur Feier des Tages. Oder müssen wir dich erst wieder abfüllen?“

„Ihr gebt ja doch keine Ruhe, oder?“

„Genau!“ Und schon wurde Noah links und rechts an den Armen gegriffen und weg geschleift.

Zurück blieben Mokuba, Enrico und der kleine Yoru und wussten nicht, was jetzt überhaupt Sache war. Ihre Liebsten waren ja wohl ein eingeschworenes Trio, da konnte man schlecht mithalten.

„Tjaaaa“ streckte Enrico sich weit nach oben zur Entspannung. „Was machen wir jetzt? Tanzen oder Trinken?“

„Trinken“ plädierte Mokuba. „Oder Yoru?“

„Ähm ... ja, wenn ihr mich mitnehmt.“

„Klar doch, aber dann nicht ans Büffet. Wer weiß, ob Yugi den Kampf gewinnen konnte. Gehen wir an die Bar. Da gibt’s bestimmt auch Zigaretten.“

„Ich denke, du willst Arzt werden?“ stichelte Enrico, während sie beide zusammen den schüchternen Yoru unter ihre Fittiche und mit in Richtung Bar nahmen. „Warum rauchst du dann? Das ist kein gutes Beispiel.“

„Bei mir ist das was anderes. Mir schadet das nicht“ zwinkerte er. Enrico wusste schon, warum ihm das nicht schadete. Es gab schwerlich irgendwelche Substanzen, welche einem Heilhexer schaden konnten. Solange er nicht fünf Schachteln am Tag vernichtete, blieb er kerngesund.
 

„COOL! COOL! JAAAAA! STRIPTEASE!!!” schallte Yamis Stimme durch den Saal und seine Hände klatschten laute Anfeuerung. Anscheinend hatte er etwas Interessanteres als die Büffetneuordnung gefunden.

Die Musik sollte eigentlich nur eine kurze Pause machen, um dann gleich weiter laut aus den Boxen zu schallen, aber da kam nichts mehr.

Auf der improvisierten Bühne ging ein Spotlight an und da standen die drei Ausgebüchsten. Noah ganz links, Jimmy in der Mitte und Takato ganz rechts. Die drei Oberschwulen vom Dienst vor aller Augen.

„Hi! Hi! Hi!“ sprachen sie nacheinander laut in die Mikros, welche vor ihnen standen.

„We are your weathergirls“ grinste Jimmy. „And we have good news for you!”

„Better listen!” griente Takato und langsam setzte auch die altbekannte Musik an, die ja wohl jeder schnell zuordnete.

„Get ready all you lonely boys and leave those umbrellas at home!” rief Noah und wie eine geübte Boygroup streckten sie alle ihre Hände in die Höhe und läuteten mit einem einhelligen

„ALL RIGHT!“ den Höhepunkt der Party ein.

Und natürlich begannen sie zu singen. Der DJ hatte das richtige Lied, sogar in Karaoke-Version und machte ihnen die Sache mit dem richtigen Pop-Licht ein wenig schmackhaft.

Sie sahen schon prima aus, zwei Semes und in ihrer Mitte ein kleiner Uke. Bekennend schwul und stolz darauf.
 

**Heute schon Wetterbericht gehört?**

** http://youtube.com/watch?v=lkJEOoK-51s **
 

„Feeling is rising - uh rising!

Das Gefühl steigt auf - oh, so hoch!

Barometer's getting low - how low boy, uh-oh!

Das Barometer fällt - so tief, Jungs! Oh oh!

According to all sources - what sources now!

Allen Quellen nach - und was für Quellen!

The street's the place to go - we better hurry up!

Man sollte auf die Straße gehen - wir sollten uns beeilien!

'Cause tonight for the first time - first time!

Denn heute Nacht zum ersten Mal - zum allerersten Mal!

Just about half past 10 - half past 10!

Genau um halb elf - um halb elf!

For the first time in history

Zum ersten Mal in der Geschichte

It's gonna start raining meeeeen!

Wird es Männer regnen!“
 

Die ruhige Musik endete und mit einem Knall gingen die bunten Scheinwerfer an, die Discokugel begann sich zu drehen und die drei legten einen so dermaßen mitreißenden Gruppentanz auf die Bretter, dass spätestens jetzt jeder im Raum hinsah.

Das passte doch wirklich mal zur ersten Homo-Hochzeit der Stadt. Eine ganz persönliche Wettervorhersage von den Stammgästen der Schwulenclubs, die noch immer im Untergrund kräuchelten, jetzt nach oben getragen und für alle visuell dargestellt wurden.

Und Spaß hatten die drei auch noch dabei. Sie griffen sich ihre Mikros und sangen fast lauter als der DJ die Musik drehen konnte.
 

„It's raining men, Hallelujah!

Es regnet Männer, Hallelujah!

It's raining men, Amen!

Es regnet Männer, Amen!

I'm gonna go out, I'm gonna let myself get

Ich muss nach draußen, ich lasse mich anlachen

Absolutely soaking wet

Absolut triefend nass

It's raining men, Hallelujah!

Es regnet Männer, Hallelujah!

It's raining men, every specimen

Es regnet Männer, alles Ansichtsexemplare

Tall, blond, dark and lean

Groß, blond, dunkel und schlank

Rough and tough and strong and mean!

Rau und hart und stark und zeigbar!“
 

Die Menge der Gäste begann, ihnen zuzujubeln, klatschte im Takt mit den Händen oder einige sangen sogar laut mit.

Und die drei hatten wirklich überhaupt keine Skrupel, sich so richtig auszuleben. Na und? Sie waren halt schwul und warteten auf einen Männerregen! War doch alles prima! Und Spaß machte es auch.

Wirkliche Tanzschritte hatten sie zwar nicht, aber dafür echte Entertainingqualitäten. Sie rissen alle anderen mit, sangen laut und klar und meinten, was sie sangen. Sie feuerten alle anderen zum Mitmachen an und tanzten umeinander, unterhielten ihr Publikum.

Ja, man konnte sich richtig vorstellen, wie die drei zusammen auf Clubtour gingen und sich in den Nachtbars bei Gleigesinnten amüsierten, die Konservativen missionierten mit ihrer lebenslustigen, starken Art.
 

„God bless Mother Nature

Gott sengne Mutter Natur

She's a single woman too

Sie ist doch auch nur eine Frau

She took on the heavens

Sie nahm sich den Himmeln an

And she did what she had to do

Und tat, was sie tun musste

She fought every angel

Sie kämpfte gegen jeden Engel

She rearranged the sky

Sie schuf den Himmel neu

So that each and every man

So dass jeder einzelne Mann

Could find the perfect guy!

Den perfekten Typen finden kann!
 

It's raining men, Hallelujah!

Es regnet Männer, Hallelujah!

It's raining men, Amen!

Es regnet Männer, Amen!

It's raining men, Hallelujah!

Es regnet Männer, Hallelujah!

It's raining men, Amen!

Es regnet Männer, Amen!“
 

Die Musik wurde wieder ein wenig leiser, ein wenig verheißungsvoller.

Das Licht dunkler und ihre Stimmen tiefer.

Die Luft kribbelte, als sie ihre Köpfe zusammenrotteten und jeder wartete nur noch auf den großen Knall. Die Musik war so quälend ruhig, dabei wollte jeder nur noch laut mitsingen bei Noah und seinen beiden Freunden.
 

„I hear stormy weather movin' in

Ich höre stürmisches Wetter auf uns zukommen

'Bout to break it, about to begin

Gleich beginnt es, gleich bricht es herein

Hear the thunder, don't you lose your head

Höre den Donner, verliere jetzt nicht den Kopf

Rip up the roof and stay in bed - rip up the roof and stay in bed!

Reiß das Dach ein und bleib im Bett - reiß das Dach ein und bleib im Bett!”
 

Endlich kamen sie zum großen Finale, drehten noch mal richtig auf. Getragen von dem Jubeln der Menge gaben sie alles, sangen bis ihre Stimmen sich überschlugen und ihr Lachen war so ehrlich.

Sie hatten Spaß an sich und ihrem Leben und das übertrug sich auch auf alle anderen. Das bunte Licht, die lebensfrohe Musik und dieses gewisse Etwas, was heute Abend in der Luft lag. Es passte einfach alles zusammen.
 

„God bless Mother Nature

Gott sengne Mutter Natur

She's a single woman too

Sie ist doch auch nur eine Frau

She took on the heavens

Sie nahm sich den Himmeln an

And she did what she had to do

Und tat, was sie tun musste

She fought every angel

Sie kämpfte gegen jeden Engel

She rearranged the sky

Sie schuf den Himmel neu

So that each and every man

So dass jeder einzelne Mann

Could find the perfect guy!

Den perfekten Typen finden kann!
 

Feeling is rising - uh rising!

Das Gefühl steigt auf - oh, so hoch!

Barometer's getting low - how low boy, uh-oh!

Das Barometer fällt - so tief, Jungs! Oh oh!

According to all sources - what sources now!

Allen Quellen nach - und was für Quellen!

The street's the place to go - we better hurry up!

Man sollte auf die Straße gehen - wir sollten uns beeilien!

'Cause tonight for the first time - first time!

Denn heute Nacht zum ersten Mal - zum allerersten Mal!

Just about half past 10 - half past 10!

Genau um halb elf - um halb elf!

For the first time in history

Zum ersten Mal in der Geschichte

It's gonna start raining meeeeen!

Wird es Männer regnen!“
 

Bei den letzten Zeilen sang der ganze Saal mit, klatschte und hüpfte.

Die drei hatten es wirklich drauf, den Leuten einzuheizen und sie mitzureißen. Egal, ob man nun schwul war oder nicht, man fühlte sich in diesem Moment einfach zugehörig. Die Musik rann bis unter die Decke und zu den offenen Fenstern hinaus. Das Licht so hell und wild wie die wilden Drei auf der Bühne.
 

„It's raining men, Hallelujah!

Es regnet Männer, Hallelujah!

It's raining men, Amen!

Es regnet Männer, Amen!

It's raining men, Hallelujah!

Es regnet Männer, Hallelujah!

It's raining men, Amen!

Es regnet Männer, Amen!

It's raining men, Hallelujah!

Es regnet Männer, Hallelujah!

It's raining men, Amen!

Es regnet Männer, Amen!

It's raining men, Hallelujah!

Es regnet Männer, Hallelujah!

It's raining men woah woah woah woah woah woah, Amen!

Es regnet Männer woah woah woah woah woah woah, Amen!

It's raining men - tall and blond and dark and lean

Es regnet Männer - groß und blond und dunkel und schlank

It's raining men - and rough and tough and strong and mean

Es regnet Männer - und rau und hart und stark und zeigbar

It's raining men - come on! - Hallelujah!

Es regnet Männer - kommt schon! - Hallelujah!

It's raining men, Amen!

Es regnet Männer, Amen!”



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück