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Anime Evolution: Nami

Vierte Staffel
von

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Grenzen

Prolog:

Mit einem geradezu mörderischen Flackern in den Augen sah Kitsune mich an. Der Griff ihrer Rechten um mein Kinn war nicht weniger mörderisch, und das Feuer in ihrer Stimme hätte den Nordpol schmelzen können.

„Aki-chan, du stehst vor deiner größten Herausforderung! Heute oder nie, das ist die Devise! Dies ist der einzige Gegner gegen du niemals verlieren darfst! Hast du das verstanden?“

„Ja, Coach!“

Ihr Blick wurde noch etwas intensiver, ging mir durch und durch. „Wir haben hart für diesen Moment trainiert! Und ich werde nicht dabei zusehen, wie unsere Anstrengungen in einigen wenigen Sekunden den Bach runter gehen, klar?“

„Das will ich auch nicht, Coach!“

„Dann bist du bereit? Nimmst du es mit diesem Gegner auf? Machst du ihn fertig? Weist du ihn in seine Schranken? Zeigst du wer der Herr im Boxring ist?“

„Ja, Coach!“

„Ich kann dich nicht hören!“

„JA, COACH!“

„Bist du bereit?“

„JA, COACH!“

„Wirklich bereit?“

„JA, COACH!“

„Dann auf in den Ring und kämpfe!“

Hochmotiviert sprang ich auf. Wenn nicht jetzt, dann nie. Wenn nicht hier dann nirgends. Ich musste meine Angst im Griff halten, ich musste Vertrauen in meine Fähigkeiten haben. Ich musste zu mir stehen, dann konnte mir der Gegner, dieser Gegner nichts anhaben.

Zeigte ich aber nur einen Hauch von Schwäche, dann würde er mich töten, eiskalt töten.

Ich schaufte wütend. Das würde heute nicht der Fall sein.

Langsam öffnete sich vor mir die Außenschleuse und entließ die komprimierte Atmosphäre auf einen Schlag. Beinahe wäre ich mitgerissen worden.

Das bedeutete natürlich automatisch, dass sich das eisige Vakuum etablierte und die tödliche Eiseskälte des feindlichen Universums in die Schleuse drang. Diese Kälte würde binnen weniger Sekunden die Wärme aus allem ziehen, was mit ihr in Berührung kam. Die Wände, das Innenschott der Schleuse, den Beleuchtungskörper und meine KI-Rüstung, meinen einzigen Schutz vor der Eiseskälte, vor dem Tod durch ersticken.

Ich spürte eine Berührung an meinem Kopf. Kitsune legte ihre Stirn auf meine, und durch die Vibrationen der Schwingungen konnte ich hören, was sie sagte. Obwohl das Medium Luft hier mittlerweile fehlte. „Den ersten Schritt hast du getan, Aki-chan! Jetzt mach den zweiten! Lauf!“

Ich nickte, beflügelt durch meinen Erfolg und durch ihre Worte ermuntert. Ich verließ die Schleuse und trat ohne Raumanzug auf die eisige Oberfläche der AURORA. Dann lief ich los, in Richtung der fernen GRAF SPEE. Die Strecke betrug fünf Kilometer, die Schwerkraft war leicht herab gesetzt, so weit oben von dem Schwerefeldgenerator, und lag nur bei Null Komma neun eins. Und die Luft in meiner KI-Rüstung würde nicht ewig halten, selbst wenn ich meine KI-Kontrolle nutzte und den Bedarf meines Körpers nach Sauerstoff künstlich drosselte.

Was für ein Abenteuer. Was für eine Verrücktheit. Was für ein Spaß.
 

1.

„Und das ist wirklich notwendig?“ Unsicher sah ich Kitsune an.

„NATÜRLICH ist es notwendig! Du bist gerade fünf Kilometer durch ein nahezu absolutes Vakuum gelaufen, und das bei Minus zweihundertsiebzig Grad Celsius. Auf jeder Schule dieses Universums würde es da Kältefrei geben.

Du wirst sehen, ein entspannendes heißes Bad ist jetzt genau das, was du brauchst.“

Mit enormer Kraft schob sie mich vor sich her. Und gelangte so mit mir ins Bad.

„Moment mal, Kitsune-chan. Du wirst doch nicht etwa…“

„Hey, sehe ich vielleicht so aus, als könnte ich die Distanz zwischen Meister und Schüler nicht wahren?“

Indigniert sah ich sie an. „Willst du eine ehrliche Antwort?“

„Männer“, brummte sie. „Das ist wohl dein Wunschtraum, eh? Aber in Ordnung. Solltest du jemals den Wunsch verspüren, dir von Kitsune-sama den Rücken schrubben zu lassen, dann brauchst du nur Bescheid sagen, A-ki-ra-chan.“ Sie gab mir einen Klaps auf den Allerwertesten. „Und jetzt zieh dich aus. Oder willst du mit Klamotten ins Badewasser?“

Zu meiner Erleichterung verließ die Fuchsdämonin das Bad wieder. Nicht, dass ich Angst vor ihr hatte. Die verspürte ich lediglich mir und meiner Disziplin gegenüber. Vor allem was Kitsune betraf, konnte ich mir nicht wirklich sicher sein, ob meine Hormone mir mal nicht den letzten Rest Verstand fortspülten und ich… Nun ja. Vielleicht hatte sie Recht, und da war doch etwas Wunschdenken dabei. Vor allem ihre Meinung, dass wir Menschen – und speziell ich – zu steif mit dem Thema Sexualität umgingen, konnte sich in einen Männerverstand fressen wie Schwefelsäure durch Karton.

Ich legte meine Kleidung ab. In dem Punkt hatte Kitsune wohl recht, wenn sie meinte, ich könnte ein warmes Bad gebrauchen. Denn wenngleich ich die Kälte in meiner KI-Rüstung nicht gespürt hatte, so war ich doch von ihr umgeben gewesen, sie hatte stattdessen in meinem Verstand gewütet, und alleine der Gedanke an ein heißes Bad hatte etwas berauschendes.

Als hinter mir die Tür aufging, merkte ich mit Beklemmung, dass ich nackt war. Und das war keine gute Voraussetzung, einem so niedlichen Mädchen wie Kitsune zu widerstehen.

„D-das halte ich jetzt für keine gute Idee. Ganz ehrlich, keine gute Idee“, stotterte ich.

Die Tür schloss sich wieder, aber ich hörte nackte Füße über die Fliesen gehen. Dann drückten sich weiche Lippen auf meine nackte Schulter. Ich spürte wie ich eine Gänsehaut bekam.

„Was ist keine gute Idee?“, klang Megumis amüsierte Stimme hinter mir auf. „Dass ich meinem Mann den Rücken schrubben will?“

Erstaunt fuhr ich herum. Tatsächlich, Megumi! Meine Megumi! In einem wirklich niedlichen, hoch gerafften Yukata, damit der Saum nicht nass wurde.

„Mir? Den Rücken schrubben?“

„Warum denn nicht? Hast du es schon vergessen? Wir sind verlobt. Und ich habe dich schrecklich vermisst, Akira, so schrecklich vermisst.“ In ihren Augen schimerten Tränen.

Ich griff zu, schloss sie in die Arme. „Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid. Immer mute ich dir solche Seelenqualen zu. Immer behandle ich dich so mies. Wäre ich Yoshi oder Doitsu, dann hätte ich dieses egoistische Arschloch längst schon einmal richtig durchgeprügelt. Ich will dich nie wieder verlassen.“

„Akira“, hauchte sie und schmiegte sich an mich an. „Das habe ich auch vermisst. Deine starken Arme. Den Geruch deiner Haut. Wenn ich daran denke, was für ein dürres Kerlchen du mit dreizehn warst, hätte ich nie gedacht, dass du einmal genauso breit und noch größer als Eikichi werden würdest.“

„Wie nett. Aber in den dürren Kerl warst du doch hoffentlich auch schon verliebt?“

„Natürlich.“ Sie löste sich ein wenig von mir und sah mich tadelnd an. „Für mich gab es immer nur dich. Du hast mir das Leben gerettet, ungezählte Male. Du warst für mich da, nachdem meine Eltern gestorben waren. Und du… Du hast mich geliebt, ohne etwas dafür zu verlangen. Ohne etwas zu erwarten. Du warst für mich da, einfach so. Vom ersten Augenblick, den wir uns kannten, warst du für mich da.“ Sie lächelte schief. „Okay, für mich und Yohko, zugegeben. Aber du warst es, an dessen Hemdsaum ich mich geklammert habe, wenn ich Angst hatte. Du bist mein großes Vorbild und mein Held, Akira.“

„Rede nicht so einen Unsinn. Ich bin kein Held. Du hingegen hast drei lange Jahre an meiner Stelle die Erde verteidigt, als ich irgendwo im Nirgendwo schwebte. Wenn hier einer Held genannt werden kann, dann ja eher du, mein Schatz.“

„Das hast du schön gesagt. Das hindert mich aber nicht daran, dich auf ein ordentlich hohes Podest zu stellen.“

„Das passt. Mein Podest für dich ist auch ziemlich hoch, da können wir uns zuwinken.“

Sie lachte mit ihrer hellen Stimme auf. Es war Musik für mich. Ich konnte mich noch sehr gut an die zurückgezogene, eisige Megumi erinnern, die mir begegnet war, am ersten Tag, den ich bewusst in dieser Welt erlebt hatte…

Davon war sie Meilenweit entfernt. Sie lachte. Sie war froh. Und sie hatte schon einmal gedacht, sie würde mich als Sterbenden in den Armen halten. Für sie, für dieses wundervolle Mädchen, würde ich jeden Gegner besiegen. Sie war es wert. Sie war alles wert.

Ihr Blick bekam etwas amüsiertes. „Da du ja schon mal nackt bist, Akira, kann ich ja mal…“

„Kannst du ja mal was?“, fragte ich.

***

„Na, ist das nicht schön?“ Mit einem leisen Kichern leerte sie einen kleinen Holzbottich mit warmem Wasser über meinen Kopf aus. Oh, es war schön. Es war ein sehr angenehmes Gefühl.

„Fast so schön wie den Rücken von dir gewaschen zu kriegen.“

„Oder die Ohren geputzt.“

„Oder die Ohren geputzt.“

„Oder den Bauch geschrubbt.“

„Ja, auch das.“

„Oder deinen besten Freund.“

„War Yoshi hier?“, fragte ich argwöhnisch.

„Oh, du“, meinte sie lachend und goss noch einen Bottich über mir aus.

Ich langte nach ihr und zog sie näher zu mir heran. „Stimmt es eigentlich, dass Frauen nichts unter einem Kimono tragen, damit die Unterwäsche nicht aufträgt?“

„Erstens ist das ein Yukata, kein Kimono. Und zweitens, warum interessiert dich das? Du kennst den Inhalt doch schon.“

„Und ich werde nicht müde, ihn noch mehr kennen zu lernen. Darf ich das auch mal? Dich so richtig von oben bis unten abschrubben?“

Nachdenklich sah sie zur Decke. „Äh… Nein.“

„Wieso nein? Du durftest mich doch auch abschrubben!“

„Schon, aber du würdest zu lange brauchen.“

„Du bist fies“, warf ich ihr vor.

Sie lachte mädchenhaft. Ja, auch das konnte sie. Neben ihrer Seite als knallharte Hawk-Pilotin hatte sie auch einen sehr fraulichen Aspekt. Manchmal konnte ich nicht begreifen, womit ich sie verdient hatte.

„Wann heiraten wir eigentlich?“, fragte ich gut gelaunt.

„Hei-heiraten?“, fragte sie erstaunt.

„Ja, heiraten. Die Fortsetzung von verloben. Du weißt schon, Verlobung ist ein Eheversprechen.“

Sie ergriff mein Gesicht und kam mir ganz nahe. „Akira, ist das dein Ernst?“

„Warum sollte das nicht mein Ernst sein? Ich meine, wir sind vielleicht noch etwas jung, aber wir können ja schon mal drüber sprechen, oder?“

„Ich… Ich habe unsere Verlobung bisher immer wie eine Waffe benutzt, um mich gegen dieses und jenes durchzusetzen. Aber seit du im Daness-Turm unsere Verlobung verkündet hast, da… Da habe ich mich eigentlich nie so wirklich verlobt gefühlt. Irgendwie wird es mir jetzt erst bewusst, was das alles bedeutet.“ Sie errötete und sah zur Seite. „I-ich meine, heiraten. Wir beide. Unser Leben lang zusammen bleiben. Vielleicht Kinder kriegen. Eine richtige Familie gründen. Und eines Tages sogar Großeltern sein! Akira, das ist eine so große Aufgabe, etwas so bedeutendes.“

„Na, na. Du machst doch jetzt hoffentlich keinen Rückzieher?“

„Nein, ich verstehe nur gerade, was du mir eigentlich hast sagen wollen, damals im Daness-Turm.“

Ich zog ihre Stirn auf meine. „Was hältst du davon? Wir laden alle unsere Freunde ein und verloben uns noch mal. Aber diesmal richtig, mit einer zünftigen Feier, und nicht mit einer Fernsehansprache. Denn falls einer von uns im Konflikt mit den Göttern sterben muss, hat der andere wenigstens diese Erinnerungen und…“

„Sprich nicht von so was!“, sagte sie harsch, ließ mich los und sprang auf. „Das letzte Mal als wir so ein Thema besprochen haben, hat mich nur ein Riesenzufall vor dem Tod gerettet und du hast wochenlang geglaubt, ich sei wirklich tot. Und ich habe schon mal geglaubt, dass du gestorben bist. Zweimal, übrigens. Ich will das nicht mehr. Ich will es einfach nicht mehr.“

Ich sah sie an. Megumi zitterte erbärmlich und brach langsam in die Knie ein. Einen Arm hatte sie sich um den Leib geschlungen, der andere lag auf ihrem Gesicht. Tränen flossen zwischen den Fingern hervor.

Langsam erhob ich mich und verließ das Bad. Ich wollte sie umarmen, sie trösten, ihr haltlose Versprechen geben. Aber ich wusste, wie substanzlos sie sein würden. Wie wenig sie taugen würden. Wie sehr ich sie damit belügen und verletzen würde.

Stattdessen kniete ich mich neben ihr hin und sagte: „Es ist schwer, ich weiß. Und es wird nicht leichter werden. Im Gegenteil. Die Chance, dass ich im Konflikt mit den Göttern sterben werde, dass wir im Konflikt sterben werden, ist recht hoch. Und dies ist die letzte Möglichkeit für dich, etwas für dich persönlich zu ändern. Ich kann mich aus diesem Kampf nicht heraushalten, aber du kannst es.“ Ich fühlte wie ich zu frieren begann, obwohl der Raum gut geheizt war. Warum tat ich ihr das an? Warum tat ich mir das an? Die Antwort war einfach.

„Ich liebe dich, Megumi. Ich liebe dich wie nichts sonst in diesem Universum. Du sollst nicht leiden müssen, nur weil ich es tue. Du hast das Glück verdient. Du hast alles Glück verdient. Nein, antworte nicht. Denke drüber nach. Denke gut drüber nach. Tod und Zerstörung werden mir noch sehr lange folgen. Aber du… Du musst da nicht bei sein. Du musst diesen Weg nicht gehen.

Lass die Gedanken sacken, und wenn du meinst, dass du eine Antwort gefunden hast, teil sie mir mit. Ich werde sie akzeptieren, egal wie sie lautet.“ Langsam richtete ich mich auf. Und mit jedem Zentimeter, den ich mich von ihr entfernte, glaubte ich eine Meile Distanz zwischen uns aufzubauen. Sie hatte sehr gelitten in unserer Beziehung. Sie hatte viel Schmerz und Leid ertragen müssen. Und ich war zu einem großen Grad Schuld daran, egal von welchem Winkel aus man es betrachtete.

Ich zog mich an und verließ das Bad mit nacktem Oberkörper. Ich hatte ihr diese Chance geben müssen. Das war ich gerade ihr mehr schuldig als jedem anderen Menschen in dieser Galaxis. Egal ob sie Daina, Daima oder was weiß ich auch waren.

Aber ich hatte eine furchtbare Angst davor, dass sie mich diesmal wirklich zurückließ. Ich spürte, wie Tränen meine Wangen hinabliefen.

***

Ich konnte nicht anders, irgendwie fühlte ich einen gewissen Verlust in meiner Seele. Mit den letzten Schiffes des Cores war die Nachricht von der Aktion der Strafer gekommen, und mit ihr Kialis letzte Botschaft. Sie hatte den Abzug des Cores verschleiern wollen, um uns so viel Zeit wie möglich zu verschaffen. Und sie war bei dem Versuch gestorben, sofern man von ihr sagen konnte, dass das Ende ihrer Existenz mit dem Tod gleichzusetzen war. Aber ich weigerte mich zu glauben oder zu sagen, sie sei gelöscht worden. Das nahm ihr alles, was sie menschliches an sich gehabt hatte.

Aris, die Herrin des Paradies, verstand die Welt nicht mehr. Sie hatte nie die Erfahrung gemacht zu weinen, und nun schied ihr KI-Container so viel Wasser über die Augen aus, dass eine künstliche Existenz wie sie eigentlich hätte misstrauisch werden müssen. Aber das war sie nicht. Sie war zu sehr gefangen in ihrer tiefen Trauer, verkroch sich einfach in einer stillen Ecke und weinte. Es war ein Bild, das mir die Kehle eng werden ließ.

Ich war versucht, zu ihr zu gehen und sie zu trösten, aber ausgerechnet Laysan machte dabei einen adäquaten Job.

Maltran Choaster zog mich aus meinem Wohnzimmer auf den Gang.

„Der Aufbau des Computers vollzieht sich, Akira. Wir liegen im Zeitplan, und bald können wir das Paradies wieder aktivieren.“

Was der Offizier und mein Stellvertreter in der hierarchischen Struktur des Core-Militärs meinte, war natürlich das unförmige Gebilde, welches im Innenraum der AURORA in die Höhe wucherte. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatten wir dort über eine Million Anelph mit Hilfe eines Resonatortorpedos in der Zeit eingefroren; nun entstand dort ein Warteplatz für ein paar Millionen Daina und Daima. Viele würden ihre Körper wieder in Biotanks ruhen lassen; manche hatten nicht einmal mehr einen Körper und existierten nur noch als Gehirn oder als ihr KI. Das sparte Platz. Aber ich hasste es, so über dieses Thema zu denken.

„Das sind gute Neuigkeiten. Wir können alle ein wenig Normalität gebrauchen. Und dann kann Aris in das Paradies zurückkehren.“

Das war wohl die beste Lösung für uns alle. An diesem Ort, jener fiktiven Welt jenseits der Körperlichkeit, war die Herrin wohl wirklich am besten aufgehoben.

„Wirst du auch zurückgehen?“, fragte Maltran geradeheraus.

„Nein. Mein Paradies ist hier. Aber ich werde sie besuchen gehen, wie ich es bisher immer getan habe. Es gibt zu viele Dinge, die ich nur in meinem Körper vollbringen kann.“

„Ich verstehe.“ Ein wenig müde sah Maltran zu Boden. „Schade, ich hatte gehofft, wir würden gemeinsam nach Hause gehen.“

„Hier ist mein Zuhause, Maltran“, sagte ich ernst. Dann begann ich ein zaghaftes Lächeln. „In dem du immer willkommen bist, mein Freund.“

„Danke. Das höre ich gerne.“

Ich klopfte dem Mann auf die Schulter. Ich mochte ihn. Ich mochte ihn wirklich.

In diesem Moment kam Megumi aus ihrem Zimmer. Zuerst lächelte sie, als sie mich sah, dann aber huschten Schatten über ihr Gesicht und sie drückte sich an uns vorbei in die Küche.

„Habe ich was verpasst?“, fragte Maltran mit gerunzelter Stirn.

Ich schüttelte den Kopf. Es hatte mir weh getan, als sie ohne mich anzusehen an uns vorbei gegangen war. Natürlich, ich hatte sie wieder verletzt, wie schon so häufig. Und diesmal hatte ich ihr vielleicht richtig weh getan. Nicht unbedingt mit meinen Worten, aber eventuell, weil ich sie ausschloss. Aus meinem Schicksal, aus meinem Leben, aus meinem Herzen. Ich wollte das nicht. Aber ich hatte es ausgesprochen. Und nun konnte ich nur noch hoffen, dass sie mich nicht verließ. Dass sie bei mir blieb. Und dass wir beide nicht sterben mussten.

„Sag mal, wie war es eigentlich, nur mit einer AO-Rüstung geschützt durch Vakuum zu laufen?“

„Warm“, erwiderte ich. „Sehr warm.“

***

Auf dem freien Feld wuchsen die Plattformen schichtweise in die Höhe. Gewaltige Energieleitungen wurden gelegt, um die Versorgung der unzähligen Biotanks zu gewährleisten, und die gigantischen Hawks reichten bei den Aufbauarbeiten eine helfende Hand.

Es sah schon ein wenig wie in einer Puppenstube aus, wenn die humanoiden Kampfroboter mit den gewaltigen Schulterschilden die zerbrechlich wirkenden Biotanks in die Hände nahmen und nach genauen Anweisungen auf den verschiedenen Ebenen platzierten.

Zugleich waren diese Aufbaumaßnahmen ein Publikumsmagnet geworden. Wer erwartet hatte, dass Joan Reilley wieder ein Konzert geben würde, sah sich enttäuscht. Aber dennoch war das Interesse am neuesten Gast in der AURORA groß genug, um sogar Schulklassen dazu zu bringen, hierher Ausflüge zu machen. Unzählige AURORA-Mark wechselten den Besitzer, als gewiefte Geschäftsleute auch noch Buden aufstellten, um Essen und Ramsch zu verhökern. Das ganze nahm bei schönstem warmen Sonnenwetter beinahe schon Formate eines Frühlingsfestes an. Es fehlte eigentlich nur noch ein zünftiges Bierzelt.

Für all diese Dinge hatte Chiba natürlich keinen Blick. Der Stellvertreter und beste Mann von Ataka-samas Gruppe, der AURORA-Gumi, hatte alle Hände voll zu tun, in der Abwesenheit seines Herrn nicht nur die Geschäfte in der Stadt am laufen zu halten, anderen illegalen Banden, die auf der AURORA Fuß zu fassen versuchten, nachzuspüren und auch noch diese Kirmesbuden zu organisieren. Außerdem liefen Verhandlungen mit einigen noch nicht so bekannten Bands, die am Ort des legendären Joan Reilley-Konzerts an sie anknüpfen und die Massen begeistern wollten. Warum nicht, wenn sogar die legendäre Anelph-Band Garkan Front Interesse angemeldet hatte? Und ein wenig feiern hatte sicherlich jeder auf der AURORA verdient.

Natürlich war Chibas Arbeit damit noch nicht erschöpft. Abgesehen vom weltlichen Teil dieser improvisierten Veranstaltung und dem Geld verdienen war die Gumi auch dafür verantwortlich, die Sicherheit zu organisieren. Sicherheitskräfte und Yakuza arbeiteten dafür eng zusammen.

Also verwunderte es ihn nicht, als die Baustellensicherheit ihn sofort anrief, als sie mit der Situation sichtlich überfordert war.

Was den glatzköpfigen Yakuza schließlich erwartete war ein Lastwagen mit acht Biotanks terranischer Fertigung und einem jungen Sergeant, der mit seinem Lieferschein auf das Baugelände wollte.

„Lassen Sie den Mann passieren“, sagte Chiba zu dem Anführer der Straßenwache. „Er gehört zum Team von Spezialist Taylor. Er und ein siebenköpfiges Team werden mit Hilfe dieser Biotanks in das Paradies integriert werden, sobald es hochgefahren wird.“

Damit hatte er schon mehr Informationen preisgegeben als er eigentlich durfte, aber die Verwicklung von Henry William Taylor war keine wirklich wertvolle Neuigkeit und wäre spätestens am Abend bekannt gewesen, wenn der ehemalige Legat und jetzige Gefolgsmann von Akira Otomo mit seinem Forscherteam in die Tanks gestiegen wäre.

Stattdessen hatte er der Wache verschwiegen, warum Taylor in einen Biotank kletterte: Nämlich um mit Historikern und Linguisten die virtuellen Archive des Paradieses auf Hinweise aus der Vergangenheit zu untersuchen und Daten über die Götter zu sammeln.

Der Wagen fuhr an ihm und der Straßenwache vorbei. Chiba widmete sich wieder seiner Arbeit. Aber er wurde das Gefühl nicht los, dass Taylor einen wichtigen Beitrag für das Überleben der Menschheit leisten würde.

Komisch, dass ausgerechnet er als Yakuza darüber nachdachte. Aber an Bord der AURORA sein zu dürfen veränderte viele Dinge, sogar die Sichtweise eines alten Gauners, der nie zu hoffen gewagt hätte, bei etwas so wichtigem wie der Rettung der Menschheit einmal eine noch so kleine Rolle spielen zu können.
 

2.

Poseidon hatte einen riesigen Vorteil. Seine Lage inmitten des Serenity-Meeres bescherte der Flottenzentrale einen wundervollen fiktiven Sonnenaufgang, einen traumhaften Tag und einen noch schöneren Abend. Natürlich wanderte die Sonne nicht wirklich über den Himmel. Aber sie wurde morgens aufgefahren und abends gedimmt, wobei verstärkt Rottöne in den holographischen Himmel eingeflochten wurden. Es war phantastisch. Nur leider hatte ich gerade keine Zeit, den Sonnenuntergang zu bestaunen.

„Wiederhole das noch mal, Doitsu.“

„Ein riesiges Wespennest! Wir haben einhundertsechzig Schiffe aller Klassen und über viertausend Banges gezählt! Akira, das glaubst du nicht! Diese Streitmacht ist stark genug, um diesen Außenposten zu überrennen!“

„Was schlägst du also vor?“

„Zuschlagen, bevor sie zuschlagen. Wir vernichten so viele von ihnen wie möglich. Und dann bieten wir dem Rest die Kapitulation an.“

Ich sah zur Seite. „Sakura?“

„Machbar.“

„Mako?“

„Sag mir was du mitnehmen willst, und du kriegst es. Am besten springen wir gleich mit der ganzen Flotte. Die AURORA sollte ohnehin den Standort wechseln, bevor sie das Bakural-System und die Station TAMARD durch ihre Anwesenheit gefährdet.“

Yoshi drängte sich ins Bild. „Wenn ich auf der taktischen Seite etwas sagen darf…“

„Nur zu, Gyes Top.“

„Solange ich hier noch was zu sagen habe, als eigentlicher Einsatzleiter“, sagte er mit einem Seitenblick auf Doitsu, „die Kaisertreuen haben ihn mit Blue Lightning verwechselt. Ab dem Moment hatten sie die Hosen voll. Ich frage jetzt nicht wie Iovar dazu kommen konnten dich zu fürchten, Akira. Und ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht wissen. Aber können wir das nicht benutzen? Vielleicht geben sie kampflos auf. Diese Region kann wahrlich etwas Frieden gebrauchen.“

„Und bei der Gelegenheit kannst du mir Hina und die anderen schicken“, mischte sich nun meine Schwester Yohko ein. „Notfalls kläre ich die ganze Situation nur mit den Otome.“

„Hört hört wer da so laut bellt. Nur mit dem beißen hapert es noch etwas“, spottete Doitsu und schob seine Brille wieder die Nase hinauf. Dabei entstand ein gleißender Effekt auf den Gläsern.

„Ich beiße dich gleich mal. Alles was meine Otome brauchen ist mehr praktische Kampferfahrung. Und da wir hier auch gegen KI-Meister der Iovar antreten werden, ist die Situation ideal.“

„Wir kommen rüber. Alarmiert die ganze Flotte. Unser nächster Halt ist das Paskem-System. Von dort springen wir gemeinsam mit den Gyes und der Otome-Kompanie nach Tautor.“ Ich sah zu Megumi und Sakura herüber. „Wenn es genehm ist.“

Beide Frauen nickten kurz angebunden.

Also sah ich Kei an, der sich zu meiner vollkommenen Überraschung mit Ami Shirai verlobt hatte. Diese Verlobungssache grassierte allmählich, wie ich fand. Wenn ich heiratete, machten sie mir das dann auch alle nach? Irgendwie ernüchterte mich dieser Gedanke. Vom heiraten war ich wohl gerade sehr weit entfernt. „Einwände, Flottenchef?“

„Nicht die Spur. Wir müssen uns ohnehin langsam in Bewegung setzen, wenn wir nicht das nächste Ziel der Götter sein wollen. Wegen der ADAMAS sind wir ohnehin auf deren Abschussliste, schon vergessen? Und sobald sie raus kriegen, dass wir die Core-Zivilisation an Bord haben, wird es nicht besser.“

„Dann ist es beschlossen. Wir brechen mit allen Schiffen so schnell es möglich ist auf. Yoshi, Doitsu, Yohko, wir sind in einer Woche da.“

„Das nenne ich fix“, staunte Yoshi.

„Wir probieren das neue Verfahren aus und springen schon früher als wir eigentlich könnten“, erklärte ich.

Mein Blick ging in die Runde. „Ausführung.“

Kurz darauf brodelte der Raum vor Dynamik.

***

Die beiden Männer standen schweigend vor dem Panorama-Fenster und sahen auf die Skyline von Manhattan herab. Die Stadt war nicht in Gewalt und Tod versunken, brannte nicht an ungezählten Ecken und drohte nicht für immer von der Landkarte getilgt zu werden. Natürlich hatten die Kronosier die Stadt nicht ohne Kampf übernehmen können. Aber die Tatsache, dass das New York Police Department noch immer die zivile Exekutivkraft war und die New Yorker die Oberherrschaft der Kronosier für den Moment still akzeptierten hatte vieles verhindert, was durchaus zu einem Meer von Blut hätte führen können.

Nun, die Kronosier und ihre Truppen hielten sich auch bemerkenswert zurück. Nach der Niederlage des militärischen Flughafens und der Kapitulation der Nationalgarde beschränkte sich die kronosianische Präsenz auf Washington D.C., Norfolk und die großen Militärbasen.

Präsident Wilson war noch immer im Amt und der Generalstab nicht abgesetzt. Aber das Militär der U.S.A., vom einfachen G.I. bis hin zum Mechaträger stand unter Arrest.

Wie lange dieser Zustand aufrecht erhalten werden konnte stand in den Sternen, wirklich in den Sternen. Doch im Moment war die Lage ruhig.

Der linke Mann war Legat Gordon Scott, der neue Anführer des wiederauferstandenen Legats. Der rechte ließ sich Michael Berger rufen und war seit einigen Wochen die treibende Kraft und der Hauptgeldgeber der Kronosier geworden. War Scott das Aushängeschild, so konnte man den Naguad neben ihm ohne weiteres als die graue Eminenz bezeichnen, die im Hintergrund die Fäden zog.

Die Kronosier und ihre Truppen wurden benutzt, das war Scott klar. Aber er hatte dem willentlich zugestimmt. Denn in diesem Kampf gab es vielleicht etwas, was er und seine Leute sonst nie erreicht hätten: Einen Platz zum leben.

Im langen Krieg gegen die UEMF, in den ungezählten Versuchen unfähiger Anführer, nach Zerstörungsorgien und immensen Verlusten, denen ihre Besten wieder und wieder zum Opfer gefallen waren, nach vielen Versuchen, das Blatt entscheidend zu wenden, bis hin zum Verrat der Position der Erde an die Naguad, nach all dem wusste Gordon Scott, dass seine Leute, sein Volk, in einer unheilvollen Position standen. Sie waren weder Fisch noch Fleisch. Als Herren des Mars hätten sie gut leben können, aber der Mars gehörte nun der UEMF, und die UEMF war nicht die Erde.

Viele Staaten waren Mitglieder der United Earth Mecha Force. Während des Krieges einen Keil zwischen sie zu treiben hatte sich als schwierig und letztendlich sinnlos erwiesen. Aber mit dem Sieg auf dem Mars, den der Enkel dieses Mannes herbeigezaubert hatte wie ein Magier war die innere Geschlossenheit zugunsten von nationalistischer Tendenzen zersprungen wie ein Glas in das man heißes Wasser gefüllt hatte.

Doch die UEMF hatte überlebt. Sie war längst eine Organisation geworden, die über den Staaten stand. Viele Stimmen machten Eikichi Otomo den Vorwurf, die UEMF-Streitkräfte wie seine Hausarmee zu führen und zu behandeln, aber Scott wusste es besser. Nur wenn die UEMF weiterhin unabhängig agierte, unbeeinflusst von den Mitgliedsstaaten, nur wenn sie ihren Auftrag, die Erde, den Mars und den Mond zu schützen weiterhin selbstständig wahrnahm, konnte sie funktionieren. Und sie funktionierte gut, selbst nun, wo so viele Staaten aus dem Bündnis ausgebrochen waren, selbst jetzt, wo die U.S.A. und viele andere Staaten kronosisch besetzt waren. Selbst jetzt, unter der ultimativen Bedrohung. Scott konnte nicht anders und musste vor Otomo den Hut ziehen. Der Mann hatte die Zeichen der Zeit stets gesehen und immer auf sein Ziel hingearbeitet, die Welt selbst schützen zu können, auch wenn alle Staaten der Welt ihm den Rücken zukehrten. Eikichi Otomo war nicht zum König der Erde geworden, nicht zum Regenten. Nein, er war ihr Verteidiger, ihr Oberster Paladin. Und für dieses Ziel hatte er seine eigenen Kinder geopfert, wieder und wieder in den Kampf geworfen. Er hatte das auf die Waagschale getan, was ihm das Kostbarste war. Nicht einmal die verrücktesten Legaten – von denen es einige gegeben hatte – waren jemals so weit gegangen.

Und nun, an einem Punkt der Entwicklung, an dem der überlebende Legat, an dem die kronosischen Kräfte ins Spiel hatten zurückkehren können, an dem sie wieder eine Macht darstellten, war Michael Berger zu ihnen gekommen und hatte sie erobert. Er war als Investor gekommen, hatte schleichend die Macht an sich gerissen, und sogar Mother, den allmächtigen Avatar der kronosischen Biocomputer auf seine Seite gebracht.

Und seit einiger Zeit ging das Gerücht um, Flieder wäre auf seiner Seite. Wie er dieses Kunststück hätte vollbringen sollen war Scott schleierhaft, denn Flieder war der Codename für eine KI-Assasinin, die während der ersten AURORA-Expedition, Unternehmen Troja, verschollen war.

Aber wenn das wirklich stimmte und die Algerierin nun für Berger arbeitete, dann würden die meisten Kronosier und ihre Söldner nichts entgegen setzen können. Von den KI-Meistern der Organisation war die selbst unter jenen, die KI-Assasinen geworden waren, die Beste und die Gefährlichste.

Unvermittelt begann der Legat zu sprechen. „Michael, wann rotten Sie uns aus?“

Amüsiert sah der Naguad herüber und zog dabei beide Augenbrauen hoch. „Wie meinen?“

„Wann endet unsere Nützlichkeit für Sie? Wann kommt die UEMF und hebt uns aus?“

„Sie glauben, dass die UEMF mit mir als willigen Helfer von innen Ihre Organisation auslöschen wird? Seien Sie nicht albern.“

„Wir sind Ihr Feind“, warf Scott ein.

„Das fällt Ihnen aber reichlich spät ein. Immerhin bin ich schon ein paar Monate in diesem Laden“, spottete der Fioran.

„Wenn Sie es tun, waren Sie uns wenigstens vor. Einige von uns wollen selbst entscheiden wie sie gehen.“

Nun wandte sich Michael dem Legaten zu. „Gordon, Sie haben mein Wort: Die UEMF wird die Kronosier nicht vernichten. Im Gegenteil. Sie wird eines Tages an das Legat herantreten und ihm eine vollwertige Mitgliedschaft anbieten. Vielleicht nicht als gleichberechtigte Organisation, aber doch als zukünftige wertvolle Stütze zur Rettung der Menschheit. Sie wissen, um was es uns geht.“

„Ja, und da wird ein Störfaktor wie die Kronosier irgendwann einmal tödlich sein.“

„Nur wenn die Kronosier ein Störfaktor sein wollen.“ Michael lachte leise. „Mein Enkel Akira hat den Mars erobert. Erinnern Sie sich?“

„Ja. Ich war hier auf der Erde, als es geschah.“

„Sie haben dadurch fast alle Mitarbeiter auf dem Mars verloren, dazu Dutzende Schiffe. Außerdem konnten mit den aus dem Core gezogenen Daten fast zwei Drittel aller Nester auf der Erde ausgehoben werden können. Der Rest wurde unerbittlich gejagt.“

Scott nickte dazu. Er erinnerte sich noch sehr gut an das erste Jahr nach der Eroberung. Mother war mit der Abschaltung der einzelnen Komponenten immer schwächer geworden, hatte die überlebenden Legaten immer weniger beschützen können, und als gejagter Mann war Scott mit seinen wenigen treuen Gefolgsleuten von Versteck zu Versteck gehetzt worden, bis es ihm irgendwann gelungen war, seine Spuren gut genug zu verwischen. Danach hatte er sich angesehen, was von den Kronosiern noch übrig geblieben war und hatte zu seinem Entsetzen feststellen müssen, dass das neue kronosische Volk im großen und ganzen loyal zur UEMF stand. Dennoch war das Legat nicht geschlagen worden; nicht vollständig geschlagen worden. Er hatte sich erholt, über Mother Kontakt zu den anderen Überlebenden aufgenommen, enorme Gelder abgerufen, die sie über Scheinfirmen in neutralen Staaten gebunkert hatten. Damit hatte er Firmen unterwandert, neue gegründet und anschließend aus den Trümmern wieder das aufgebaut, was ihm möglich war. Es hatte genug sein sollen, den Kampf eines Tages wieder aufzunehmen. Es hatte genug sein sollen, den Legat wieder entstehen zu lassen und diesmal mit Kronosiern zu besetzen, die ihren Job verstanden. Die sich einem höheren Ziel verpflichtet fühlten und nicht der kurzsichtigen Gier nach Reichtum und Macht.

Wobei er sich nie ganz sicher war, was ihn damals überhaupt dazu veranlasst hatte, alle Brücken hinter sich abzubrechen, um ausgerechnet jener Organisation beizutreten, welche die Städte der Welt angriff. Hatte er auf der Seite der Sieger sein wollen? Hatte er die Chance gesehen, Einfluss auf die Kronosier zu nehmen? Wollte er etwas besser machen? Wollte er Ziele erreichen? Ein kluger Mann hatte mal gesagt: Es gibt kein Volk. Es gibt nur den kleinsten gemeinsamen Nenner, und das ist eine Meinung von vielen tief in jedem Menschen.

Dieser Mann hatte gemeint, dass es Homogenität nicht gab. Man konnte ein Rudel Fußballfans nur als Gruppe zählen, solange es um Fußball ging. Kam Handball hinzu, verließen einige die Gruppe und andere kamen hinzu. Wenn man das Spiel lange genug fortsetzte, dann hatte man irgendwann in der Gruppe nicht mehr ein einziges Gesicht aus der Gruppe der Fußballfans. Und die meisten, welche die Gruppe verlassen hatten oder ihr beigetreten waren, hatten mit nicht einmal einem Drittel gleiche Interessen. Zudem waren sie unorthodox verteilt, sodass nur Gruppen mit kleinster und klarster Aussage wirklich groß wurden. War die Aussage komplexer, schrumpfte die Gruppe.

Bei Fußball war die Gruppe groß, ging es aber um verschiedene Vereine, spalteten sich die Interessen.

In der Politik war das nicht anders. Das große Thema, das sie erst alle zu Kronosiern gemacht hatte, das war Macht gewesen. Einige hatten ihr gehuldigt, andere hatten in ihr gebadet, wieder andere hatten sie rücksichtslos gebraucht. Aber Macht hatten sie alle haben wollen.

Geld war eine Form dieser Macht gewesen. Mit Geld hatten sie Rekruten angelockt, mit ihnen die Streitkräfte aufgebaut, ihr Heer formiert. Damals war er selbst einer dieser Rekruten gewesen, hatte gegen die Länder der Erde gekämpft. War früh und schnell befördert worden, hatte ein eigenes Schiff bekommen und selbst Autorität ausgeübt. Damals war ihm eine andere Form der Macht bewusst geworden. Macht durch Ausstrahlung. Seine Untergebenen hatten ihn respektiert, verehrt, und er hatte diese Macht über sie nie missbraucht, stets so gelenkt, dass sein Schiff am besten funktionierte, die beste Leistung zeigte.

Aber dieser Respekt war es letztendlich gewesen, der ihm die große Lücke zwischen Legat und den einfachen Kronosiern und Söldnern gezeigt hatte.

Auch wenn das Legat gerne zum Besten gab, warum es die Erde hatte erobern wollen hatte es genügend unter ihnen gegeben, die die immense Chance gesehen hatten. Die Chance, die Erde nachhaltig zu verändern, die Menschen zu verändern.

Scott sah auf seine Hände hinab. Ja, mit ihnen hatte er das Schicksal wenden wollen. Er hatte es besser machen wollen. Und er hatte versucht in das Legat aufzusteigen, Einfluss auf die Politik zu nehmen, etwas zu verbessern, zu verändern. Und dann war er ins Legat gekommen, hatte Einfluss auf die Politik genommen. Und war auf der Erde gewesen, als Akira Otomo alles zerstört hatte, was er überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte. Sein Werk hatte noch nicht begonnen und war schon vernichtet worden.

Und die Erde? Hatte sie sich verändert? Verbessert? Nein, sicher nicht. Lediglich die UEMF existierte weiterhin, wie ein winziges Zeichen der Vernunft.

„Und jetzt“, sagte Michael Fioran, genau in dem Moment, in dem der Legat mit seinen Gedanken wieder an das hier und jetzt dachte, „stehen Sie hier und haben Macht. Macht genug, um jene Staaten zu erobern und zu kontrollieren, die aus falschen Stolz, aus Unvernunft oder einfach aus Trotz unseren großen Plan zur Rettung der Menschheit sabotieren würden. Ich weiß, das ist Hybris, hoffnungslose Überlegenheit, aber ich stehe dazu. Ich stehe auch mit meinem Wort dafür gerade. Ich will der Welt ihre Chance geben, und ich weiß, dass Sie es auch wollen. Die Kronosier, die Sie um sich versammelt haben, Legat Scott, sind nicht einfach nur jene, die uns über die Jahre nicht in die Netze gerieten. Es sind jene, mit denen ein Idealist wie Sie zusammenarbeiten kann.

Hätte ich nicht die Vernunft gesehen, hätte ich nicht den Willen gesehen etwas zu verändern, hätte ich das Legat auslöschen können.

Nun ist es wichtig, dass Sie etwas begreifen, Legat Scott. Sie werden niemals alle Menschen ändern können. Sie werden niemals alle Ziele erreichen können. Alle die Ihnen heute zujubeln können Sie morgen schon ausbuhen. Ziele sind abstrakt, und das müssen sie auch bleiben, sonst werden sie nie Wirklichkeit. Was ist schon Weltfrieden? Was Gewaltlosigkeit? Was die Abschaffung aller Waffen? Was das harmonische Zusammenleben von Mensch und Natur? Abstrakte Ziele, die wir nicht erreichen können. Aber wir können nach ihnen streben. Jeden Tag nach ihnen streben.

Sie können keinen perfekten Staat erschaffen, nicht solange es Menschen gibt, die ihn bewohnen. Sie können dem nur sehr, sehr nahe kommen. Und jene, die heute an Ihrer Seite streiten können Sie morgen schon hintergehen. Das ist der Lauf der Dinge, das ist der Wechsel der Welt. So geschieht es, so ist es.

Veränderungen, die Bestand haben wollen, müssen langsam vonstatten gehen und ins Bewusstsein der Menschen einsickern. Sie können Grundlagen legen, aber die Menschen nicht zwingen, niemals zwingen. Aber alle, die diese Grundlagen annehmen, sich zu eigen machen, sind ein weiterer entscheidender Schritt auf dem Weg zum abstrakten Ziel.“

„Sie wollen mir also sagen, was ich bisher getan habe ist eigentlich sinnlos, meine Ziele kann ich nur mit Gewalt durchsetzen oder ihnen sehr viel Zeit geben, aber ich soll trotzdem weitermachen?“

„Im Prinzip ja. Sie müssen begreifen, dass Sie nützlich sind, wenn Sie Ihre Ziele weiterhin verfolgen, Gordon. Sie können Dinge tun, die der UEMF verwehrt sind. Sie können Menschen erreichen, die trotz aller Vernunft nie auf uns hören würden. Es heißt, nur Nixon konnte nach China gehen. Und es scheint, dass wir in diesen Tagen unseren eigenen Nixon brauchen, einen Gestrauchelten, der das Richtige tut, um die Welt zu stabilisieren.“

Der Naguad sah gen Himmel. „Seit zwei Wochen befinden sich Erde, Mond und Mars in eigenen Daimon, Dämonenwelten. Diese Zeit ist unerbittlich verflossen. Die große Spinne hat gesagt, dass wir das KI dieser Welt gut ein Jahr sammeln können, bevor der Bedarf des Liberty-Virus so hoch wird, dass nicht mehr nur freies KI, sondern auch die lebenden Dinge selbst angezapft werden. Das wird zwangsläufig zu ihrem Tod führen. Für den einen schneller, für den anderen langsamer. Aber das brauche ich Ihnen als Projektleiter Youma ja nicht zu erklären.“

Scott räusperte sich verlegen. Youmas künstlich aus KI herzustellen und zur Sammlung von weiterem KI zu benutzen hatte sich damals wie eine tolle Idee angehört, war aber dank der Magischen Youma Slayer schnell nach hinten losgegangen. Im Prinzip taten seine ehemaligen Gegner heute das gleiche wie damals er und Tora. Und das Ergebnis würde das gleiche sein, irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft. Doch während ihre Youmas immer nur wenige Menschen gefährdet hatten, hatte Michael Fioran die zweifelhafte Ehre, gleich drei Welten nach und nach zu entvölkern. Sie gingen ein hohes Risiko ein, aber immerhin hatte ihr Gegner, ihr letzter Gegner auch das größte Gefahrenpotential. Falls dahinter nicht noch ein stärkerer, mächtigerer, verheerenderer Gegner lauerte.
 

Übergangslos wurde Gordon Scott aschfahl, als sich eine riesige Pupille vor das Aussichtsfenster schob und ihn beobachtete. „Michael, was ist das?“

„Das ist der Marsmallow-Mann.“ Michael lächelte amüsiert. „Er ist das KI-Biest, welches in New York das freie KI sammelt. Wir orientieren uns bei der Kreation der KI-Biester an Legenden, Vorlieben und Wappen. Und New York hat sich diese Gestalt für die Kreatur gewünscht, die ihr freies KI absorbiert.“

Das Gesicht des Fioran wurde ein wenig düster. „Oder sie einst alle töten wird. Entweder macht es das KI-Biest, nach und nach, oder die Daimon fällt zusammen, und die Götter tun es. Mit einem Schlag.“

Michael winkte freundlich. Die Pupille wich etwas zurück, und eine riesige weiße Hand erschien, die eifrig zurückwinkte.

„Er ist riesig.“

„Er ist immateriell, keine Sorge. Aber seine Größe zeigt ganz deutlich wie viel freies KI diese Gigantstadt zu bieten hat.“

Der Marshmallow-Mann trat noch weiter zurück, winkte weiterhin und lächelte dabei, bevor er seinen Weg fortsetzte.

„Dies ist der achtzigste Stock“, sagte der Legat fassungslos.

„New York hat fast zwanzig Millionen Einwohner“, erwiderte der Naguad.

„Unglaublich. Hätte ich jemals ein so großes KI-Biest geplant, hätte man mich ausgelacht. Aber Sie erschaffen es einfach. Respekt.“

„Manche Dinge geschehen nur, wenn man sie selbst macht. Merken Sie sich das als Lektion, Gordon.“

Der Legat sah dem KI-Biest nach und dachte über diese Worte nach. Wenn er selbst es nicht tat, wer würde es dann tun? Wenn er die Zukunft der Kronosier nicht gestaltete, wem durfte er es überlassen? „Erzählen Sie mir von dieser Partnerschaft mit der UEMF, Michael Fioran.“

***

„Es ist unglaublich! Eine riesige Wölfin streift durch Rom, erklimmt die Spanische Treppe, rennt um das Collosseum herum und spielt mit den Kindern!“

„In Berlin tobt der Bär, genauer gesagt der Berliner Bär. Das beliebte Wahrzeichen der Stadt wurde lebendig und erfreut als lustiger, brummender Gigant die Menschen zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz.“

„Los Angeles, die Stadt der Engel, trägt seit heute ihren Namen zu Recht. Denn über der Stadt schwebt ein strahlender Engel mit seinen schneeweißen Flügeln und betet in religiöser Verzückung für das Heil dieser Welt.“

„Mexico City hat einen neuen Helden! Ein mächtiges Wesen ist erschienen wie ein Sendbote Gottes und hat die herrliche Stadt und den mächtigen Talkessel, in dem sie liegt zu seinem Nest erkoren. Der prächtige Leopard erweist der Stadt mit seiner Anwesenheit die Ehre.“

„Tokyo ist um ein Wunder reicher. In Roppongi streift eine riesige Gestalt herum, eine fünf Meter große, dicke, aufrecht gehende Katze mit quittegelbem Fell und einem fröhlichen Grinsen im Gesicht, die mit den Kindern spielt, sie auf seinem Fell toben lässt und zu jedermann freundlich ist. Tokyo ist stolz auf dieses Symbol und auf das einzige materielle KI-Biest zugleich.“

„Kairo ist der Hort der islamischen Kultur. Und Kairo ist eine enge, verwinkelte eigene Welt. Seit dem heutigen Tag ist Kairo aber auch die Stadt der Wunder, denn über der Stadt segelt ein riesiger Wüstenfalke, der mit wachem Auge über sie wacht wie einst die antiken Götter über das Sagenreich der Pharaonen.“

„In Kalkutta neigen die Gläubigen das Haupt vor den Göttern, denen es gefallen hat, uns in der schwersten aller Stunden ihren Beistand zu zeigen, indem sie uns einen riesigen weißen Elefanten sandten, der unübersehbar über die Gebäude der Stadt hinausragt und sie unter seinem mächtigen Bauch beschützt. Dies ist die Zeit der Wunder.“

„…Ein prachtvoller schwarzer Stier in Madrid… …geht ein riesiger Löwe durch London… …hat Paris, die Stadt der Liebe, nun seinen eigenen Cupido… …Holla! Nun hat Rio letztendlich alles, was es auf dieser Welt gibt, denn seit heute tanzt eine riesige Sambafee durch unsere Straßen… …liegt ein riesiger Panda auf dem Platz des Himmlischen Friedens und verträumt seinen Tag im schönen Peking… …hat Moskau seinen eigenen russischen Bären… …streicht seit gestern ein gigantischer Tiger durch Shanghai, dessen Schwanz sogar noch die Hochhäuser streift… …in Hamburg fliegt die weiße Taube übern Kiez und in München strolcht ein echter Wolpertinger durch die Straßen… …sitzt seit Stunden ein gigantischer Koalabär neben der Staatsoper von Sidney und genießt die Sonne…“
 

3.

So ein Sprung war doch was feines. Nichts zu tun, niemand zu bekämpfen, man hatte Freizeit! Richtige Freizeit! Was für ein exotisches Wort. Ich hätte nie gedacht, dass es mir bei dem scharfen Training von Kitsune je wieder so leicht über die Lippen gehen würde.

Herrliche, langweilige, unbeschwerte Freizeit. Zwar nur in meinem Garten, aber immerhin.

„Kannst du mir was erklären, Kitsune-chan?“

Die Fuchsdämonin öffnete ein Auge einen Spalt weit, gähnte und drehte sich auf die andere Seite. Das hätte wirklich süß ausgesehen, wenn sie gerade ein Fuchs gewesen wäre. So aber war es doch etwas irritierend, wenn ein Mensch sich so verhielt. Hätte nur noch gefehlt, dass sie sich zwischen den Beinen gekratzt hätte.

„Kitsune-chan?“

„Was denn?“, murmelte und wälzte sich wieder in meine Richtung. „Ich habe Pause.“

„Die du ausnutzt, um im Bikini ein Sonnenbad zu nehmen“, murrte ich.

„Pause ist Pause. Aber für den großen Ningen-Helden Akira Otomo mache ich eine Ausnahme. Also, Reyan Oren, schütte mir dein Herz aus. Ich höre dir zu, für eine kalte Cola.“

„Das ist Erpressung“, warf ich ihr vor, angelte aber gehorsam eine der kalten Flaschen aus der Kühltasche. „Hier, bitte.“

„Danke. Du bist ein Lebensretter. Bis zur Tasche hätte ich es nie geschafft. So, und jetzt klage der Tante dein Leid.“

„Tante ist gut“, murmelte ich. „Mir geht eine Sache nicht mehr aus dem Kopf.“ Ich blinzelte. Es war fast Mittag, aber ich hatte keine Probleme, mich der moderaten Sonne der AURORA auszusetzen. Meine Fähigkeiten als KI-Meister würden selbst einen schweren Sonnenbrand ausheilen. Ach was, von vorne herein verhindern. Ich brauchte nicht mal Sonnenöl, und das machte das Leben als KI-Meister doch sehr angenehm.

Ich ließ meinen Blick über den Garten schweifen. Kei und Ami lagen faul im Pool, Laysan und Sakura spielten miteinander Ball und versuchten Makoto dazu zu bewegen, mitzumachen. Und Megumi unterhielt sich mit Joan. Dabei trafen mich immer wieder böse Blicke der Diva, also konnte ich mir schon denken, worüber sie sprachen.

„Also, was willst du? Erst bringst du mich um meine Pause und dann bist du stumm wie ein Fisch.“

„Entschuldige.“ Ich räusperte mich vernehmlich. „Es gibt da eine Frage, die mich quält, und zwar…“

„Wenn du wissen willst, wie ich entstanden bin, also das war so: Wenn ein Fuchsdämon und eine Fuchsdämonin… Was?“

„Der Witz ist alt, Kitsune-chan. Außerdem weiß ich, dass deine Vorfahren ein Adler-Dai und ein Wolf-Dai waren. Wie du jemals dazu gekommen bist, die Füchse anzuführen ist mir schleierhaft.“

„Der Job war halt gerade frei. Und da ich nichts besseres vorhatte und zudem die mächtigste Dai seit zehntausend Jahren war, habe ich halt den Posten übernommen. Außerdem mag ich den niedlichen Tierkörper.“ Sie lächelte mich über den Rand ihrer Sonnenbrille an. „Du doch auch, Aki-chan.“

„Nicht nur den Tierkörper“, erwiderte ich.

„Oooh, das hast du so süß gesagt! Ich bin ja hingerissen! Hin-ge-ris-sen! Aki-chan, du bist so ein niedlicher Daina, ich könnte dich den ganzen Tag drücken.“

„Mehr als ohnehin schon?“, fragte ich aus meiner sehr unbequemen Pose, in die Kitsune mich gerissen hatte, ohne dass ich den Hauch der Chance auf eine Gegenwehr gehabt hätte. Nun, manche Männer hätten bestimmt dafür getötet, wären sie von der niedlichen Dai mit dem Gesicht auf ihren Busen gedrückt worden; und im Gegensatz zu Sakuras üppiger Oberweite blieb mir hier noch die Chance zu atmen.

Aber die schmerzenden Blicke in meinem Nacken zeigten mir, dass das was ich hier tat nicht gerade von Vorteil für mich war. Oder vielmehr was ich mir antun ließ.

„Oh, da ist ja jemand eifersüchtig. Und das, obwohl Megumi-chan dich schon die ganze Woche so kalt behandelt. Was meinst du, Aki-chan, wollen wir ihr mal etwas geben, das sie so richtig eifersüchtig macht?“

„Es liegt nicht an ihr“, erwiderte ich. „Es liegt an mir.“

„Was?“ Überrascht ließ sie mich wieder los. „Was hast du getan?“

„Ihr die Wahl gelassen. Immerhin wird die Situation immer gefährlicher für uns und sie sollte die Chance haben, sich zurückzuziehen, wenn sie es wünscht.“

„Akira, du bist ein Idiot.“

„Ja, Sensei. Ich weiß, Sensei. Aber ich wäre meines Lebens nicht mehr froh geworden, wenn ich es nicht ausgesprochen hätte.“

„Ein Riesenidiot“, stellte sie fest. „War es das, was du wissen wolltest?“

„Eigentlich nicht, das wusste ich schließlich schon vorher“, erwiderte ich brummig.

„Worum geht es?“

„Um die Trennung von meinem Körper. Ich war zeitweise achtzig oder mehr Lichtjahre von ihm entfernt, oder?“

„Ja, das dürfte in etwa hinkommen. Und? Was ist damit?“

„Ich konnte mit meinem Körper als Relais mit Ai-chan kommunizieren.“

„Ja, das ist mir auch aufgefallen. Eine Meisterleistung. Auch einer der Gründe, warum Kuzo-sama zugestimmt hat, deine weitere Ausbildung in meine Hände zu legen. Du hast enormes Potential.“

„Das mag ja sein, aber wie ist das möglich? Ich meine, es ist ja schon verrückt genug, diese Entfernung zurückzulegen. Aber wie kann ich mit meinem Körper über diese Distanz verbunden gewesen sein?“

Kitsune zuckte mit den Achseln. „KI.“

„KI? Das ist alles?“

„Natürlich nicht dein eigenes KI. Kannst du etwas mit dem Begriff… Warte, wie nennt Ihr Menschen es? Ley-Linien. Kennst du das Wort?“

„Ley-Linien. Hm, da klingelt was.“

„Man nennt sie auch Erdenergielinien. Nun, die Wahrheit ist, sie sind Teil des planetenumspannenden elektromagnetischen Feldes und überziehen die ganze Welt. Diese Energie fokussiert sich an manchen Orten zu langen Strängen, dies sind die Ley-Linien. Das gleiche gibt es auch auf stellarer Ebene, nur eben nicht als Elektromagnetismus, sondern als gravitatorische Kraft. Wir nennen diese Linien, die sich durch den Weltraum pflanzen, Lokk-Linien. Als du mit deinem Körper kommuniziert hast, hast du dich der Kraft der Lokk-Linien bedient. Lokk-Linien sind nur bedingt Teil des Einstein-Raums. Sie haben sich tief in die Raumzeit des Universums eingegraben, bilden fast eigene kleine Universen. Das macht sie für den Weltraum aber noch wichtiger. Und das ist das besondere daran: Dein Verstand war in der Lage, auf den Lokk-Linien in Nullzeit achtzig Lichtjahre und mehr zu reisen, beziehungsweise sich der Linien als Sprachrohr zu bedienen. Sieh es wie eine große Stimmgabel.“

„Ich verstehe“, log ich.

Kitsune seufzte. „Und Dai-Kuzo-sama isst gerne Fischbrötchen. Sei froh, dass das die einfache Erklärung war. Die komplizierte willst du gar nicht hören.“

„Das heißt also, ich war nicht mit einer superlangen und hauchdünnen Nabelschnur permanent mit meinem Körper verbunden?“

Kitsune sah mich an als hätte sie einen Idioten vor sich. Vielleicht stimmte das sogar. „Sag mal, was hast du geraucht? Achtzig Lichtjahre, Aki-chan! Achtzig! Egal wie dünn diese Nabelschnur auch sein mag, bei dieser Entfernung wäre von dir nicht mehr genügend übrig geblieben, weil deine ganze Substanz für die superlange Nabelschnur drauf gegangen wäre!“

Misstrauisch musterte sie mich. „War das deine weltbewegende Frage?“

„Ich wollte es ja nur mal wissen“, murmelte ich verstimmt. „Immerhin sagt man ja bei außerkörperlichen Erfahrungen, dass man mit einer Art Nabelschnur mit dem eigenen Körper verbunden bleibt.“

„Aki-chan… Hör auf dem Fernsehen zu glauben.“

„Ich meine ja nur.“

„Du meinst zuviel. Deswegen hast du auch Megumi so vor den Kopf gestoßen.“ Sie seufzte viel sagend. „Männer halt. Was wundert mich das überhaupt noch? Hör zu, Aki-chan, wenn du Megu-chan so etwas sagst, dann brauchst du dich nicht zu wundern, wenn sie dein Angebot annimmt, klar?“

„Ja, ich weiß“, murmelte ich bedrückt.

„Aber wenn sie das tut, kannst du jederzeit zu Kitsune-sama kommen. Ich finde dann schon einen Weg, dich zu trösten.“ Sie zwinkerte mir zu.

Unwillkürlich fragte ich mich, ob es angemessen war, eine eiskalte Dusche zu nehmen.

***

Der Einloggvorgang in den gigantischen virtuellen Raum, der das Paradies von Daima und Daina bildete, ging nicht ohne Folgen an Henry Taylor vorbei. Bereits zweimal hatte er lange Zeit in einem Heiltank verbringen müssen, und das beide Male, weil ihn dieser junge Strolch und Tausendsassa Akira dahin verfrachtet hatte. Deshalb hatte er seine Erfahrung mit der virtuellen Welt auf der anderen Seite.

Aber dies hier, dies war der Ursprung der Virtuell-Welten aller Biocomputer weltweit, aller existierenden K.I.-Netzwerke, die von menschlichen Gehirnen unterstützt wurden.

Dies war das gelobte Land für jeden Escaped und jeden ernsthaften Forscher.

Henry hielt kurz an sich, als er auf ziemlich wackligen Beinen zu stehen kam. Er sah an sich herab, und nichts erinnerte ihn daran, dass er gerade in einen gigantischen Biocomputer eingeloggt hatte. Selbst in der virtuellen Welt der heimischen Biocomputer war er sich immer bewusst gewesen wo er war, und woraus seine Umgebung bestand. Aber dies hier fühlte sich an wie… Die Realität.

„Geht es?“, fragte eine besorgte Stimme neben ihm.

Henry William Taylor sah zur Seite und zwang sich trotz aufsteigender Übelkeit zu einem Lächeln. „Natürlich, Ai. Die Intensität des Landes hat mich nur für einen Moment überrascht.“

Er ließ seinen Blick über die große weite Wiese schweifen, über der ein strahlend blauer Himmel hing. „In den anderen Biocomputern haben die Menschen geglaubt, in der Realität zu sein, solange ihnen niemand bewusst gemacht hat, dass sie in einer Scheinwelt leben. Das hat sich Akira zunutze gemacht und ist aus eigener Kraft aus ihr aufgebrochen. Hier aber musst du wissen, dass es noch eine andere Realität gibt, sonst fängt diese dich ein.“

Henry wandte sich um. Sein Team schien vollzählig zu sein. Gerne hätte er Sarah Anderson dabei gehabt, aber die wichtigste Wissenschaftlerin der Escaped gab ja lieber ihrem Zigeunerblut nach, um als Youma Slayer und Anführerin bei den Otomes wüste Abenteuer zu erleben, anstatt wertvolle Grundlagenforschung zu betreiben. Mann, wie er die junge Frau beneidete.

„Was seid ihr?“, herrschte ein Mann sie an. Äußerlich sah er aus wie Mitte dreißig, aber die Augen waren alt, uralt, weit älter als er bei Naguad gesehen hatte, die schon tausend und mehr Jahre hinter sich gebracht hatten.

„Wie, was seid ihr?“, fragte Henry verdutzt.

„Seid ihr Daima oder Daina?“

Henry zog die Stirn kraus. „Spielt das eine Rolle?“

„Natürlich spielt das eine Rolle! Es entscheidet auf welche Seite des Paradies ihr dürft! Dies hier ist die Hälfte für die Daina! Und dort drüben ist das Gebiet für die Daima!“

„Ist es denn so wichtig? Warum können wir nicht gehen wohin wir wollen?“

„Es gibt Regeln im Paradies. Und damit es ein Paradies bleibt, gehen sich Daima und Daina aus dem Weg. Ich war ja von Anfang an dagegen überhaupt Daina aufzunehmen. Oder man hätte wenigstens zwei getrennte Paradiese errichten können. Aber das hätte ja einen Rückschlag bei der Rechnerleistung bedeutet. Und deshalb frage ich euch: Seid ihr Daima oder Daina?“

„Was sagt denn die Herrin dazu“, fuhr Henry dem Mann in die Parade.

„Die Herrin? Sie ist für die Außenpolitik zuständig. Den Rest regeln wir hier drin immer noch selbst. Also, beantworte meine Frage.“

Henry wandte sich kurz um und musterte sein Team. Zwei seiner Leute waren Anelph, einer ein Naguad aus dem Arogad-Haus und ihm schon seit dieser Zeit als Historiker zugeteilt. Dann waren da noch Ai und drei terranische Wissenschaftler. Er hatte Glück. Es ging genau auf. „Wir vier sind Daima“, sagte er und deutete auf die Anelph und den Arogad, „und jene vier sind Daina.“

„Dann ist es entschieden. Ihr Daima geht da rüber. Und ihr Daina kommt einfach mit mir.“

Ai Yamagata zögerte einen Moment.

„Du übernimmst die Koordination über die andere Hälfte des Teams“, erklärte Henry mit ruhiger Stimme. „Die Ziele sind bekannt. Wir können jederzeit miteinander in Verbindung treten oder uns ausloggen. Und vergiss nicht, Akira erwartet brauchbare Ergebnisse.“

„Ja“, murmelte sie schwach und sah ihn dabei an, dass so mancher Hundewelpe auf diese flehentlich bittenden augen neidisch geworden wäre.

Henry konnte nicht anders, auch wenn dies nur eine virtuelle Welt war, er gab ihr einen langen, gierigen und erfreulich von ihr erwarteten Kuss.

„Geh jetzt“, sagte er zu Ai und schickte sie mit einem Klaps auf ihr wohlgeformtes Hinterteil auf den Weg.

Zögernd folgte sie mit ihrem Dreierteam dem Daina, der sie gerade lautstark für das fraternisieren mit einem Daima tadelte. Diese Grenzen zu ziehen hatte keinerlei Sinn, wenn sich irgendjemand vornahm, sie wieder einzureißen.

Henry sah ihr einen Augenblick nach, dann winkte er den übrigen drei Forschern. „Herrschaften, auf uns wartet eine Menge Arbeit.“

„Verstanden.“

Gemeinsam setzten sie sich in Bewegung, auf das Gebiet der Daima zu.
 

4.

Bei unserer Ankunft im Pascem-System herrschte große Betriebsamkeit. Ein Probelauf des KI-Einspeisers für die Triebwerke verschaffte uns die Möglichkeit, die AURORA weit über das normale Maß zu beschleunigen und den Abstand zur SENCAN, dem Trägerschiff für das Gyes-Regiment binnen eines Tages zu überbrücken. Etwas, wofür wir sonst vier gebraucht hätten. Das war ein sehr erfolgreicher Probelauf und ließ uns alle für die Zukunft hoffen.

Der nächste Schritt würde der Sprung zurück nach Tautor sein, in dem die Kaisertreuen den Raum, aber nicht die Planeten beherrschten. Mit der Streitmacht der AURORA, den verbündeten Iovar-Einheiten, vereinzelten Schiffen anderer Verbündeter der Intendenten-Flotte sowie zweitausend Raidern hoffte ich die Situation sehr schnell klären zu können.

Aber da gab es etwas, was beinahe noch wichtiger war.

Und es begann, als die Gyes und die Otomes für Reparaturen und Wartungen auf die AURORA zurückkehrten.
 

Es herrschte auch im Wartungshangar rege Betriebsamkeit. Ein Regiment, das bedeutete einhundertzwanzig zum Teil schwer beschädigte Mechas. Wir konnten von Glück sagen, dass wir die Besten geschickt hatten, sonst wären wir nicht mit einem dunkelvioletten Auge davon gekommen. Mit einem regulären Daishi-Regiment hätte man uns den Kopf abgeschlagen.

So aber hatte es gereicht, um den Gegner auf Abstand zu halten und das System wieder zu verlassen. Gute taktische Entscheidung. Besser als ein Last Man Standing-Gefecht, das alle in den Untergang riss.

Ich grinste wölfisch, als die Piloten der Hawks, Sparrows, Eagles und Phoenix sowie die beiden Begleitmannschaften der LRAO zum Debriefing gerufen wurden.

Leiten würde Makoto die Nachbesprechung. Dafür gerade stehen Doitsu. Denn der eigentliche Missionsbefehlshaber, mein alter Freund Yoshi Futabe, würde mir Rede und Antwort stehen müssen.

Ich konnte mir vorstellen, wie irritiert er sein musste, wenn er von Makoto gleich wieder aus dem Briefingraum gejagt wurde. Wenn er auf diesen Konferenzraum zuging, ohne zu wissen, was ihn erwartete. Wenn er die Tür öffnete, eintrat, und mich sah.

„Hallo, Ralf“, empfing ich ihn.

Yoshi erstarrte in der Tür.

„Komm rein und mach hinter dir zu. Es gibt kein Entkommen.“

„Bist du irre, diesen Namen zu nennen, Akira?“, zischte mein bester Freund wütend und schloss die Tür hinter sich. „Haben wir nicht zusammen beschlossen, alles auf sich beruhen zu lassen und fortan einfach nur zu leben?“

Ich grinste ihn böse an. Langsam hob ich das an, was ich seit seinem Eintritt auf meinem Schoß gestreichelt hatte. Eine ziemlich geknickte Kitsune in Fuchsgestalt, die sich ohne Gegenwehr am Nackenfell anheben ließ. „Ich habe nichts verraten!“, beteuerte sie.

„Setz dich, Yoshi.“

„Akira, wenn wir mal ganz ehrlich sind, dann…“

„ICH SAGTE, SETZ DICH!“

„Jawohl!“ Gehorsam nahm er mir gegenüber Platz.

„Weißt du, Yoshi, mein guter alter Freund, mir sind von vorne herein so viele Unstimmigkeiten in dieser Welt aufgefallen“, sagte ich nachdenklich und begann Kitsune wieder zu kraulen.

„Oh, ja, weiter oben zwischen den Ohren, bitte.“

„Zum Beispiel diese hahnebüchene Geschichte über eine superdeformierte Gottheit, die uns beide in diese Welt versetzt hat. Oder diese vollkommen verblödete Aussage von Kuzo-sama mit der Wiedergeburt in diesem Universum.“

„Also, ich fand das sehr schlüssig“, brummte Yoshi beleidigt.

„Weißt du, wenn ich so drüber nachdenke, dann fallen mir doch einige Sachen auf. Zum Beispiel: Warum sieht Kitsune dieser superdeformierten Gottheit so ähnlich?“ Ich hob sie wieder am Nackenfell an und sah ihr in das verlegen lächelnde Gesicht.

„Äh, gute Gene?“

„Oder warum habe ich absolut keine Erinnerung an die andere Welt? Ich sehe immer nur diesen Raum, uns beide im Raum und die superdeformierte Gottheit, die meinen Wunsch erfüllt. Warum weiß ich nicht mehr? Hatte ich Familie? Wie waren die Namen meiner Familienmitglieder? Wie hießen unsere anderen Freunde? Immerhin sollen wir dort ein ganzes Leben verbracht haben, oder?“

„Vielleicht hat Dai-Kuzo das alles gelöscht weil sie meinte, es wäre fortan unsinniger Ballast für uns?“

„Dem widerspricht aber dein Vorschlag, Kuzo zu bitten unsere Erinnerung an das andere Universum auszulöschen. Hast du das schon vergessen?“ Wieder begann ich Kitsune zu kraulen. Diesmal aber zitterte sie erheblich auf meinem Schoß.

„Jeder Mensch sollte mindestens Eltern haben, oder? Und selbst wenn er die nicht hat, irgendjemanden, der ihn groß gezogen hat. Hast du Eltern, Yoshi? Ich kann mich nicht daran erinnern, in der anderen Welt welche gehabt zu haben. Da ist nichts, absolut nichts.“

Nachdenklich runzelte ich die Stirn. „Aber da gibt es vielleicht etwas, was Licht in dieses Dunkel bringen kann. Was war es doch gleich? Ach ja, deine Geburtsurkunde!“

Freudestrahlend griff ich unter den Tisch und zog ein Papierdokument hervor. Mit einer leichten Drehung aus dem Handgelenk warf ich es Yoshi zu.

„Und oh Wunder, was steht denn da für ein Geburtsname? Lesen wir da wirklich, ich betone: Wirklich Yoshi Ralf Futabe?“ Mein Lächeln wurde immer mehr zur Fassade. Ich ließ meine Augen vor KI aufleuchten und meine Körperaura Funken schlagen. „Hast du mir nicht was zu sagen, Ralf?“

Mein alter Freund schluckte hart. „Äh…“

***

Niedergeschlagen saß Yoshi alias Ralf am Tisch und starrte auf die Tischplatte herab. Neben ihm hockte Kitsune, diesmal als Mensch, aber nicht weniger deprimiert.

„Darf ich euch also zusammenfassen? Dieser irrwitzige Plan stammt also von Opa und Kuzo“, sagte ich in einem strengen Tonfall, den ich sonst nur benutzte wenn ich die Fehler von Piloten tadelte. „Nachdem sich meine Erinnerung selbst nach Jahren nur lückenhaft wieder einstellte habt ihr euch zu einer Schocktherapie entschlossen. Entdecke die Welt noch mal, und das mit kindlicher Begeisterung. Ihr habt mir eingeredet, ich würde in einer parallelen Welt existieren, und um es glaubwürdiger zu machen, hat Yoshi mitgemacht. Uns beiden wurde partiell das Gedächtnis blockiert, um seine Reaktionen glaubhafter zu machen, und dann kam Kitsune vorbei und hat getan, als würde sie uns in eine Welt versetzen, die aus einem Manga stammt. Warum aus einem Manga?“

Zerknirscht sah Yoshi mich an. „Daran bin ich wohl Schuld. Du hast irgendwann mal gesagt, die Hawks, die Daishis und die Antriebe kämen dir so vor wie frisch einem Manga entsprungen. Also haben wir dir eingeredet, du wärst verjüngt worden und müsstest wieder auf die Schule gehen, in einer Welt, in der es tatsächlich Mechas gab. Das haben wir vor allem getan, damit Megumi endlich wieder mit dir sprechen kann. An sie hast du dich ja kaum noch erinnert, und wir konnten das nicht mehr mit ansehen.“

„Und du hast brav mitgemacht. Und hat mir diese hanebüchene Geschichte aufgetischt.“

„Welche? Die mit den KI-Fähigkeiten, die ich plötzlich entdeckt habe? Diesen Teil meiner Erinnerung hat Kuzo amnesiert.“

„Nein, den Part, in dem du mit Dai-chan zusammengestoßen bist! Du hast doch längst gewusst, dass er auf Sarah und damit auf die Escaped aufgepasst hat, mit der ich in diesem Supercomputer gefangen gewesen war.“

„Was? Das? Oh. Sorry, aber du hast mich als erster in die UEMF geholt. Bis dahin war ich über Interna nicht informiert. Meine Eltern sind zivile Mitarbeiter, keine militärischen, genau wie mein Opa.“

Bei diesem Rückschlag verschlug es mir kurz die Sprache. Aber ich hatte mein Pulver noch nicht verschossen. „Deinen deutschen Namen hat Kuzo verwendet, weil ich ihn im Zusammenhang mit dir kannte. Anschließend wurden alle Dokumente bereinigt, um mich nicht durch einen unerklärlichen Zufall auf die Wahrheit zu stoßen.“

„Bis auf meine Geburtsurkunde. Mist, ich hätte nicht gedacht, dass… Warte mal, warte mal, wir haben meine Geburtsurkunde gefälscht! Und wie kommst du da überhaupt ran, hier auf der AURORA, mitten zwischen den Sternen?“

Ich grinste wohlgefällig. Oberwasser, oh wie ich das liebte. „Keine Ahnung. Eines Tages hatte ich das Ding einfach in der Hand.“ Dass ich in diesem Moment vor einem Drucker stand, erwähnte ich vorsichtshalber nicht.

„Also, Ralf, Ziel dieser Schmierenkomödie war was?“

„Wir wollten dein Interesse für die Welt wieder wecken. Akira, du bist mein bester Freund, und dich so zerstückelt zu sehen konnte ich nicht ertragen. Du warst der alte Akira mit vielen, vielen Löchern, und das konnte ich einfach nicht mit ansehen. Also dachte ich mir, ein neuer Akira, der die Löcher alleine wieder füllt, wäre besser als dieses Wrack!“

„Danke für das Wrack“, murrte ich.

„Wir haben es nur gut gemeint. Wobei mir jetzt erst bewusst wird, dass ich damals tatsächlich Dai-Kuzo-sama begegnet bin. Sie hat mich in den Plan eingeweiht und meine Zustimmung eingeholt.“ Yoshi errötete. „Hat sie mich geküsst? Hat sie mich wirklich geküsst?“

Ich runzelte die Stirn. Das weckte Erinnerungen.

„Oh, das“, kam es von Kitsune. Sie lächelte breit und machte eine wegwerfende Geste. „Das ist ihre Art, interessante Leute kennen zu lernen. Es ist ein KI-Scan. Ein ziemlich präziser, wenn ich mal so sagen darf.“

„Aha. Ein angenehmer Scan“, nuschelte ich.

Yoshi nickte dazu.

„Aber es ging nicht nur darum, dich wieder für die Welt zu interessieren, die dir so übel mitgespielt hat. Oder Megumi die Chance zu geben, wieder mit dir zu kommunizieren. Es ging auch darum, deine selbstzerstörerische Ader zu bekämpfen.“ Kitsunes Blick wurde ernst. „Denn immer wenn du eine deiner riesigen Gedächtnislücken entdeckt hast, kam es vor, dass du destruktiv, leicht katatonisch oder depressiv wurdest. So wie du warst, hättest du nicht weiter leben können, ohne irgendwann über dich selbst zu stolpern. Deshalb haben wir uns entschlossen, dir einen totalen Neuanfang in einer für dich neuen Welt vorzugaukeln. Und es hat ja auch sehr gut geklappt. Bereits am ersten Tag warst du aufmerksamer. Wacher. Mitfühlender. Denn genau an diesem Tag hast du das erste Mal von dir aus ein Wort mit Megumi gewechselt. Das ist dir vorher immer schwer gefallen, weil du sie mit deiner Schwester assoziiert hast. Und die Erinnerung an Yohko war eine der Lücken, die dich destruktiv machte.“

„Aha. Ich war also ein Soziopath.“

„Nein. Du warst verwundet. Und wir haben alles riskiert, um dich zu heilen.“ Yoshi sah mich ernst an. Aber dann umspielte ein Lächeln seine Lippen. „Und ich glaube, es ist uns ganz gut gelungen. Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem du zu mir gekommen bist und gesagt hast, du würdest in dieser Welt bleiben wollen? Das war ein wundervoller Tag. Für mich, für diese Welt und für all die Menschen, die dich lieben. Vielleicht auch für die, die dich fürchten. Davon gibt es auch einige.“

„So ist das also“, murmelte ich nachdenklich. Sich die Wahrheit selbst zusammenzureimen war so eine Sache. Alle Vermutungen bestätigt zu sehen war jedoch ein ganz anderes Kaliber.

„Wie bist du uns eigentlich auf die Schliche gekommen?“, fragte Kitsune verdutzt. „Hast du etwa erkannt, dass die superdeformte Gottheit und ich ein ähnliches Temperament hatten?“

„Oder war es mein deutscher Name? Hing dir Ralf im Gedächtnis?“

„Nein, weder noch. Mir ist einfach aufgefallen, dass ich gar keinen deutschen Namen habe. Ich meine, damals im Zimmer, als ich dir von meiner Idee erzählt habe, in einer Welt zu leben, die wie ein Manga aufgebaut ist, hast du mich nicht einmal mit Namen angeredet. Und ich wusste meinen Namen ja nicht mal selbst. Das hat mir all die Jahre zu schaffen gemacht. Und dann wusste ich endlich, woran ich war.“

Etwas kleinlaut sahen mich die beiden an. „Bist du böse auf uns, Akira?“

„Wer weiß alles davon?“

„Eikichi, Michael, Dai-Kuzo, ich, Okame, Yoshi natürlich, Eridia und Yoshis Opa. Das dürften alle gewesen sein.“

„Hm. Verstehe. Nein, ich bin euch nicht böse. Denn in einem wichtigen Punkt habt ihr ja Recht. Ich will ja in dieser Welt bleiben. Schön, dass ich nun weiß, dass ich gar keine andere Wahl habe.“ Ich erhob mich und schlug beide Hände auf den Tisch. „Und jetzt, Herrschaften, lasst uns was für diese Welt tun und die nächste Schlacht vorbereiten!“

***

Für diesen Schlag würden nur Schiffe der UEMF und der verbündeten Anelph und der Naguad teil nehmen. Ich brauchte dringend einen klaren Beweis dafür, warum dieses Schiff mein Flaggschiff war, warum diese Leute mein Schutz sein sollten.

Wenn sie sich in den Augen aller Verbündeter bewährten, würde dies auch meinen Kurs als Anführer des Cores und Berater des Intendenten gegenüber der UEMF bestätigen. Ich profitierte also doppelt und dreifach davon.

Den Sprung ins Nachbarsystem würden wir auf eine, nun, unkonventionelle Art vornehmen. Nachdem sich der Antrieb als den Belastungen eines KI-verstärkten Normalflugs gewachsen gezeigt hatte, planten wir nun den nächsten, mächtigen Schritt vorwärts. Wir würden mit Hilfe von KI durchstarten, das Wurmloch aufbauen und im Feindgebiet weiter KI-verstärkt fliegen. Ein Gewaltakt sondergleichen.

Anstatt der zwei Wochen, die uns dieses Manöver normalerweise kosten würde, veranschlagten unsere Wissenschaftler lediglich zwei Tage. Grund genug, um Prime Lightning kurz vor der vielleicht entscheidenden Schlacht auf Herz und Nieren zu prüfen.
 

Ich stand also mit Karl an der Bay von Prime und nahm Diagnosen vor. Einige Segmente hatten wir bereits ausgetauscht, sie waren der dauerhaften Belastung nicht gewachsen gewesen. Aber ein wenig Verschleiß gab es immer.

„Akira. Willst du Primes Reaktor nicht endlich gegen die Batterien austauschen lassen? Mit den Batterien fliegst du sicherer. Und du drohst nie, in einer gewaltigen Kernfusion zu verpuffen. Erinnere dich, Blues Ende hast du auch nur überlebt, weil er mit den Fusionsbatterien ausgerüstet war. Da gab es nicht viel was hätte hochgehen können.“

Mahnend sah ich Karl an.

Der grauhaarige Mann runzelte die Stirn. „Ich sags ja nur, weil ich um dich besorgt bin, Junge.“

Ironisch zog ich die Augenbrauen hoch.

„Ich hätte es auch vor der Schlacht geschafft, wirklich.“

Nun runzelte ich die Stirn.

„Okay, okay.“ Mit einem leisen Fluch zog er seine Schirmmütze tief ins Gesicht und widmete sich seiner Diagnoseeinheit. „Du kannst es mir nicht verübeln, dass ich es versucht habe, Akira.“

„Nein, das tue ich wirklich nicht“, erwiderte ich amüsiert. „Ich kann niemandem etwas lange übel nehmen. Außer mir selbst vielleicht.“

Dumme Worte, ganz dumme Worte. Die führten mir nur wieder vor Augen, was ich den Menschen in meiner Umgebung wissentlich angetan hatte. All meinen Freunden, all den geliebten Menschen, mit meinem Exil, mit meiner Entführung. Wie schwer hatte ich sie alle verletzt? Vor allem Megumi…

Meine Gedanken schweiften zurück in eine einfachere Zeit. Die Zahl der Frauen, die sich für mich interessiert hatten war damals erheblich höher gewesen. Ich dachte da nur an Hina und Akane, die mittlerweile beide in sehr glücklichen Beziehungen steckten, auch wenn es lange Zeit für Akane schlecht ausgesehen hatte. Oder Joan, tja. Bei meiner Cousine Sakura war ich mir auch nie wirklich sicher gewesen, wie sehr sie mich liebte. Und auch meine Fioran-Cousine Sora hatte immer einen recht merkwürdigen Blick, wenn sie in meiner Nähe war. Und wenn ich an Yuna dachte, musste ich leider feststellen, dass mich die Lencis bereits viel zu sehr ins Herz geschlossen hatte. Nein, das waren Beispiele aus der Gegenwart, und sie überspielten, wie viele Frauen in der Vergangenheit in mich vernarrt gewesen waren.

Insgeheim war ich ja froh, dass ich für Lonne nie mehr gefühlt hatte als ein großer Bruder für seine kleine Schwester fühlen durfte, denn eigentlich war der weißblonde Wirbelwind vom Mars eigentlich genau Akira Otomos Beuteschema gewesen. Wahrscheinlich hatte ich es immer geahnt oder gewusst, dass sie meine Schwester war. Zumindest interpretierte ich das in meine damaligen Gedanken und Gefühle hinein.

„Akira.“

Oh, ja, beim Klang dieser Stimme fiel mir die wichtigste Frau von allen wieder ein. Megumi. Meine Megumi. Ich hatte es ernst gemeint als ich gesagt hatte, ich würde sie heiraten wollen. Aber ich hatte es auch ernst gemeint als ich gesagt hatte, ich würde ihr die Wahl lassen. Aber wenn sie sich entschied, wenn sie sich für mich, für die Gefahr, für den drohenden Tod und ein Leben in Unsicherheit entschied, dann würde ich sie packen und nie wieder loslassen, denn dann hatte alle Chancen… „Was ist denn, Karl?“

„Es ist nicht sehr nett von dir, ein Mädchen zu ignorieren, Akira“, mahnte er mich mit Spott in der Stimme.

Überrascht fuhr ich herum. Tatsächlich stand dort Megumi! Wie dumm konnte ein einzelner Mann eigentlich sein? Verlegen senkte ich den Blick. „Entschuldige, ich war in Gedanken. Ich… Du trägst ja wieder dieses hübsche Sommerkleid.“

„Schön, dass dir das auffällt. Mein Haar ist auch etwas länger. Hast du das auch gesehen?“, tadelte sie mich.

„Natürlich ist es mir aufgefallen. Aber… Entschuldige, Männer sind nicht gut in solchen Dingen. Sie übersehen offensichtliches manchmal.“

„Ja, das bin ich ja mittlerweile von dir gewöhnt.“ Sie musterte mich mit einem abwertenden Schnauben. „Musst du einen Overall tragen? Kannst du nicht wenigstens deine Uniform anziehen?“

„Vielleicht eine etwas dumme Idee für einen Checkup“, konterte ich pikiert. War sie hier um mich maßzuregeln?

„Mit Uniform wäre es aber schöner“, widersprach sie und sah verlegen zur Seite.

„Schöner?“ Irritiert sah ich sie erröten.

„Ich habe mich entschieden, du großer blöder Holzkopf.“ Sie sah mir direkt in die Augen. „Du kriegst jetzt meine Antwort, okay?“

Ohne zu zögern griff sie nach dem Kragen des Overalls, zog mich zu sich heran und gab mir einen sehr intensiven Kuss, der so überraschend für mich kam, dass ich weder meine Hände um sie legte, noch ihre wild tanzende Zunge im Zaum halten konnte.

„Wow“, machte ich, nachdem sie mich freigegeben hatte. „Und wie lautet deine Antwort nun?“

„Du bist ein Idiot, Akira“, tadelte sie mich mit leiser Stimme, und zog mich erneut zu sich. Diesmal schloss ich meine Hände um sie und drückte sie an mich. Nie wieder gehen lassen, das war das Motto der Stunde.
 

5.

Es bedeutete nicht unbedingt ein Risiko als Daima in den Daina-Bereich zu wechseln, immerhin existierte man im Paradies nur begrenzt körperlich. Aber die Zahl der Gesprächspartner nahm doch rapide ab und tendierte gen Null.

Henry Taylor war dennoch in den Daina-Bereich gekommen. Ai Yamagata nahm ihn in Empfang und führte ihn in eine Katakombe, die sich urplötzlich vor ihm im immergrünen Rasen auftat. Sie stiegen die Stufen bei schlechter Beleuchtung herab, passierten eine düstere Katakombe und fanden ein weiteres Treppenhaus. Dies ging fünfmal so, dann befanden sie sich nach Henrys objektiver Meinung dreißig bis vierzig Meter unter dem Paradies.

Doch als er die letzte Stufe passieren wollte, stürzte seine Welt. Er ging nicht mehr abwärts, sondern aufwärts. Und er ging auch nicht in die Finsternis hinab, sondern in sie hinauf.

Es war nicht länger eine Katakombe, sondern ein unendlich weites Firmament, durchsetzt mit hellen Sternen, dem gütig strahlenden galaktischen Zentrum und einem riesigen grünen Mond, der friedlich auf die Welt herab schien. Es war beinahe taghell, aber es reichte noch, um als gemütlich zu gelten.

„Wo sind wir hier?“, flüsterte er.

„Dies hier ist ein weiterer Teil des Paradies. Dieser Teil nennt sich Abendtraum. Es gibt auch ein Meer, eine Welt für Sonnenaufgang und für Sonnenuntergang sowie einige kleinere Bereiche, in denen die Daina ihren Interessen an der realen Welt nachgehen können. Sag bloß die Daima haben so etwas nicht.“

„Nicht, dass ich es bisher entdeckt hätte.“ Mist. Wenn er zurück war, würde er intensiv nach solchen Bereichen Ausschau halten müssen.

Ai führte den Agenten, den Legaten und jetzigen Historiker auf eine kleine Veranda. Dort hockte ein uralter Daina auf einem Liegestuhl und nippte ab und an vom Cocktail, der auf dem Tisch neben ihm stand. Er war allein, und das musste seinen Grund haben, denn der Bereich Abendtraum war eigentlich sehr gut besucht.

„Das ist er?“

Ai Yamagata nickte. „Das ist er.“

Der Alte zog die Stirn in ungezählte Falten. Sogar die schienen noch eigene Falten zu haben. Ihn uralt zu nennen wäre sicherlich ein maßloses Kompliment gewesen. „Was sollen denn diese ewigen Störungen? Zuerst der Umzug des Paradies wegen diesem Daina-Kind, das sich Soldat schimpft, und nun zwei Gesprächspartner am gleichen Tag. Die Zeiten sind sehr hektisch geworden.“

„Du ahnst ja gar nicht wie hektisch, Alter“, sagte Henry anstelle von einer Begrüßung. „Entschuldige dass wir deine Ruhe stören, aber wir müssen alle Opfer bringen, wenn die Menschheit überleben will.“

Der alte Mann beobachtete ihn für eine Sekunde interessiert. „Du kommst von Mu, nicht wahr? Genau wie deine junge Freundin.“

„Mu?“, wiederholte Henry. Er hatte Hinweise auf diesen Begriff gefunden, vor allem in den Fioran-Archiven auf Nag Prime. Sie bezogen sich auf einen vernichteten Kontinent auf der Erde.

„Meinetwegen Lemur oder Atlatas. Oder Olympo. Oder Ragnirak. Es gibt ein halbes Dutzend Namen für diese Welt, je nachdem ob man sie liebt oder verabscheut.“

Henry beschloss auf das Spiel einzugehen. „Ja, das bin ich.“

„Setz dich“, sagte der alte Mann und deutete auf einen Stuhl, der aus dem Nichts erstand. Das war erstaunlich, denn um Missbrauch vorzubeugen verfügten die normalen Bürger des Paradies nicht über die Fähigkeit, willentlich Materie zu erschaffen. Man stelle sich vor, wie rivalisierende Daima und Daina sich auf der grünen Wiese gegenseitig mit Hochhausprojekten zu übertrumpfen versuchten.

Gehorsam nahm Henry Platz.

„Ich bin es nicht gewohnt, so viele Worte am Stück zu sprechen. Ich bin es auch nicht mehr gewohnt lange Zeit aktiv zu bleiben. Ich werde mich bald wieder in meinen Schlaf zurückziehen, zumindest bis ihr den Core wieder abbaut und neu errichtet. Das wird zwar noch etwas dauern, aber selbst ein Jahr im süßen Vergessen ist es wert, durchträumt zu werden.“

„Na, dann hoffe ich doch, dass du noch lange genug wach bleibst, um mir ein paar Fragen zu beantworten. Sicherlich weißt du schon, was wir im Auftrag von Akira Otomo suchen, Alter.“

„Deine liebreizende Freundin hat es mir bereits erzählt. Ein außergewöhnlicher Mensch. Sehr stark. Sehr erfahren im Umgang mit dem KI.“

„Müsstest du nicht AO sagen?“

„Ich bin kein Daima. Normalerweise ist es mir egal, wie mich jemand bezeichnet, in welchen Topf er mich wirft. Aber KI ist die wesentlich ältere Bezeichnung, und ich bin zu alt um mich noch umzugewöhnen.“ Er seufzte tief. „Ai sagte mir, ihr sucht Alte. Nun, ich bin sehr alt. Du hast einen gefunden, schätze ich. Und was willst du von einem Alten, Henry William Taylor?“

„Wie du sicher weißt sind wir mit den Göttern aneinander geraten.“

„Ja. Dieses Kind, Akira Otomo, hat sie herausgefordert. Ein interessanter Bursche.“

„Und du weißt, dass wir nun nichts dringender brauchen als Informationen über die Götter.“

„Bah! Ihr braucht keine Informationen über die Götter! Ihr braucht Informationen über euch selbst! Darin liegen Antworten! Alle Antworten!“

Der Alte sah ihn mit flammenden Augen an. „Sean O´Donnely, bist du bereit diesen Weg zu gehen? Bist du bereit, tiefer in die Vergangenheit einzutauchen als je ein Mensch zuvor? Kannst du ertragen, was du sehen wirst?“

Erschrocken fuhr Henry auf. „Wer bist du, Alter?“

„Das ist die falsche Frage. Nicht ich, sondern wir.“ Er lächelte dünn, und dabei schien sein Gesicht zu flackern. Henry glaubte schattenhaft zu erkennen, dass dabei Dutzende Gesichter über das eigentliche Gesicht huschten. „Wir sind Dai, Sean. Und wir werden unser Wissen mit dir teilen, Archivar von Akira Otomo.“

Der Alte erhob sich und streckte eine Hand nach ihm aus. „Bist du dazu bereit?“

Henry winkte ab, als Ai in Abwehrstellung ging. Dazu schüttelte er dezent den Kopf, und die japanische UEMF-Agentin entspannte sich wieder.

Langsam ergriff Henry die dargebotene Hand. „Es ist mein Beruf.“

„Wohl eher deine Berufung“, erwiderte der Alte spöttisch.

Dann füllte Licht Henrys Bewusstsein aus, bis seine Augen vor Schmerz zu verglühen drohten.
 

Epilog:

Als Henry die Augen wieder aufschlug, fühlte er sich wie ein lange eingestellter Daishi, dessen Reaktor mit Gewalt und unter Umgehung aller Sicherheitsvorkehrungen hoch gefahren wurde. Sein Kopf schmerzte, als hätte jemand seinen Schädel geöffnet und die Gehirnmasse mit einem Löffel umgekrempelt und das Licht flackerte vor seinen Augen.

Licht? Mühsam zwang er sich dazu, die Augen offen zu halten. Tatsächlich, er sah in einen Leuchtkörper. Genauer gesagt schie die ganze Wand ein Leuchtkörper zu sein.

Als sein Empfinden für das hier und jetzt zurück kam korrigierte er sich. Er lag und starrte an die Decke.

Langsam, immer darauf bedacht, die Hornissen in seinem Kopf nicht zusätzlich zu verärgern, richtete er sich auf. Herrlich wenn man sich fühlte wie nach einer durchsoffenen Nacht, ohne den Spaß gehabt zu haben. Was war überhaupt passiert? Er erinnerte sich an Ai, die gemeinsame Mission im Paradies der Daina und Daima und an den Alten. Oder besser gesagt, die Alten. Wo war er? In einem neuen Aspekt des Paradies?

Ächzend wuchtete er sich auf die Beine. Er hatte auf einer Art Futon gelegen. Der Futon ruhte in einem ansonsten nackten Zimmer, das in gehaltvollen Beigetönen dekoriert war. Eine Tür links von ihm führte irgendwo anders hin. Und direkt vor ihm existierte eine gewaltige Fensterfront, die den Ausblick auf einen unendlich blauen Himmel freigab.

Henry trat an an das Fenster heran. Es löste sich vor ihm auf als hätte es nie existiert.

„Guten Morgen, Reyan Oren Sean. Hier spricht ihre persönliche K.I. Lucus. Wünschen Sie einen Überblick über die Kampflage?“

„Kampflage?“, fragte Henry leise, aber die K.I. schien die fragende Betonung nicht erkannt zu haben.

„Die Kampflage im von Daima und Daina beanspruchten Raum hat sich gegenüber dem Vortag nicht verändert. Noch immer beansprucht das Daima-Großkonsortium die Systeme Lyra, Lega und Mereuze als Teil ihres expansiven Territoriums. Dai Mentro Zirkos hat dazu gesagt, dass die Lemurische Föderation keines der System aufgeben wird. Auf der anderen, dem galaktischen Zentrum zugewandten Seite kam es erneut zu schweren Zusammenstöße zwischen Daima-Truppen und Einheiten der Götter. Die Basis Lekon und die Außenposten auf Virrte und Songmar wurden vernichtet. Erneut hat Tyrann Orestal um den Beistand der Lemurischen Föderation gebeten. Das Anliegen wird mit Priorität im Rat diskutiert, und es ist abzusehen, dass wir bald eine Flotte zur Unterstützung der Orianischen Koalition entsenden werden, um dem Treiben der Götter Einhalt zu gebieten. Innenpolitik. Hochkanzler Odinus hat erneut Dai Mentro Zirkos damit beauftragt, die…“
 

„STOPP!“, rief Henry. „Verschieben wir das auf später. Nenn mir erst einmal Ort, Datum und Uhrzeit. Sei dabei so präzise wie möglich.“

Die Stimme der K.I. verstummte für ein paar wertvolle Sekunden. Henry nutzte die Zeit, um durch den leeren Fensterrahmen zu treten. Nun stand er auf einem gefliesten Balkon. Warmer Südwind umspielte seine Haare und trug ihm die angenehme salzige Seeluft zu. Er sah den Balkom hinab und erkannte einen weitläufigen Sandstrand, der direkt an einem gewaltigen Ozean zu liegen schien. Links und rechts von ihm erhoben sich Dutzende Häuser. Und jedes verfügte über ein paar hundert dieser Balkons, auf dem er stand.

Dazu schien die Sonne mit warmem, sanftem Licht auf ihn herab. Okay, die Sonne kannte er. Und langsam dämmerte ihm die Wahrheit.

„Ihr befindet euch auf Lemur, dem Hauptkontinent von Atalantis, der Haupt- und Ursprungswelt der Dai. Im Moment seid Ihr in Eurem Appartement am Raumhafen der Hauptstadt Attala. Es ist der fünfzehnte dritte des Jahres siebentausend n.E. des offiziellen Kalenders. Es ist exakt eine Stunde vor Mittag. Ihr habt erst wieder um zwei Uhr Nachmittags einen Termin. Wir…“

„Stopp. Was bedeutet n.E.?“

„N.E. bedeutet nach der Expansion und bezeichnet jenen Zeitraum, an dem die Dai das erste Mal von ihrer Heimatwelt aufgebrochen sind, um mit ihren Gefährten das Universum zu bereisen.“

Henry seufzte schwer. Das war ja schlimmer als der Kopfschmerz. Er war in der Vergangenheit, noch schlimmer, in der allertiefsten Vergangenheit! Glücklicherweise aber schien es sich bei dieser Welt um die Erde zu handeln. Was er nun noch klären musste war, ob er wirklich durch Raum und Zeit hierher versetzt wurde, oder ob es sich um eine Konstruktrealität handelte, wie Akira sie erlebt hatte.

Und dann würde er so viel wie möglich heraus finden müssen.

Hm, langsam begann ihm die Situation Spaß zu machen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2007-12-11T09:50:24+00:00 11.12.2007 10:50
Wie immer cool! hatte ich hier auch vergessen, ein Kommi zu hinterlasen?? Ich bin wirklich dämlich!!
Von:  Subtra
2007-12-07T15:47:57+00:00 07.12.2007 16:47
Sehr gute Fortsetzung ich hoffe es geht schnell weiter wobei ich jetzt nicht weiß was ich lieber fortgesetzt haben will Nami oder Crossover ^^


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