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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 5
 

Es kam ihm vor als hätte er nur einen kurzen Moment die Augen geschlossen, aber als er sie wieder auftat, blinzelte ihm die Morgensonne entgegen.

Der gestrige Abend floss noch immer durch seine Knochen, so wohlig und seicht, so vertraut und intensiv.

Er hatte diese Minuten im Schlossgarten mehr genossen als alles, woran er sich bisher erinnern konnte. Als König hatte er viele Genüsse, welche andere Leute nimmer erleben würden, aber so ein Moment voller Magie mit einem so wundervollen Menschen ... dieses musste ein Geschenk der Götter an ihn gewesen sein.

Und auch nach ihrem kleinen Spaziergang auf dem weichen Gras, war die Stimmung zwischen ihnen viel entspannter. Gesprochen hatten sie nicht mehr viel, denn Worte schienen nicht mehr viel Verwendung zu haben, keine Notwendigkeit.

Sie waren einfach nur wieder hinauf ins Zimmer gegangen und hatten sich gemeinsam aufs Bett gelegt. Ihr Hände hatten sich nicht losgelassen, denn allein das war mehr als nur ein Händedruck. Mehr Erfüllung konnte man sich nicht wünschen.

Irgendwann war Atemu dann der Ruhe verfallen. Der Blick in diese tiefblauen Augen war wie eine ganz eigene Welt, welche ihn gefangen hielt, obwohl die Tore offen standen. Er hatte den Menschen Seth gesehen. Für einen kurzen Moment war er da. Und er war so wundervoll wie niemals jemand vor ihm gewesen war. Sein Atem war so ruhig und regelmäßig, seine Hand so warm und kräftig, seine glänzenden Lippen so sinnlich, dass man mehr hatte, wenn man nur davon träumte als sie zu berühren. Wie ein Kunstwerk, welches seine Schönheit nur im vollen Bilde entfalten konnte.
 

„Ich wollte nicht einschlafen“ murmelte Atemu leise zu sich selbst und rieb sich müde die Augen.

Langsam stellte er fest, dass sich der Raum verändert hatte. Nicht nur das gebrauchte Geschirr und seine abgelegte Kleidung war verschwunden, weil jede Nacht auf leisen Sohlen seine Diener herbeischlichen und alles in Ordnung brachten.

Er lag auch im Bett, zugedeckt und warm. Aber etwas fehlte.

Sein letzter Blick ging in das tiefste Blau und nun blendete ihn die Morgensonne.

Er roch an seinem Handgelenk und der intensive Duft des gestrigen Abends war mit Mühe zu erahnen, wenn man wusste, dass es ihn gegeben hatte.

Verflogen war die Magie der Nacht und der grausige Tag wollte ihn zurückholen.

Ein Schrecken jagte durch seine Eingeweide als er an Seth dachte. Gestern Nacht hatte er noch neben ihm gelegen, ihn angesehen und seine Hand gehalten. Am nächsten Morgen waren alle Sklaven verschwunden und er hatte keinen von ihnen jemals wiedergesehen.

Und wenn er Seth nun auch niemals wiedersah?

Nein, das durfte nicht sein. Seth hielt sein Herz in den Händen, er durfte nicht fortgehen. Niemals mehr durfte er zurück ins Nichts verschwinden. Er war gestern plötzlich da gewesen und nun war er ebenso plötzlich wieder weg.

War er nur ein Traum gewesen? Ein Streich der Nachtbilder?

Aber der laue Geruch an seinem Handgelenk erinnerte ihn daran.

Er war kein Traum gewesen. Er war der erste Traum, der auch über den Tag dauern sollte. Atemu durfte ihn nur nicht verlieren und vergessen.
 

Mit einem Satz sprang er auf und griff sich seinen Morgenmantel vom Stuhl, zog ihn an noch während er zur Tür hastete.

„Majestät, Ihr seid wach“ stellte der Diener, welcher immer in der Ecke seines Raumes auf Befehle wartete, fest. „Wartet doch, ich bringe Euch Frühstück.“

„Wo ist Seth?“ fragte er ohne ein Guten Morgen zurück.

„Seth? Mein Pharao, von wem sprecht Ihr? Möchtet Ihr vielleicht in den Tempel gehen? Wartet einen Moment, ich bringe Euch Euer Tempelgewand.“

„Nein, der Sklave, der gestern hier war“ setzte er schnell noch mal nach. „Wo ist er?“

„Euer Sklave?“ Das verwirrte den Diener sichtlich. Dass der König nach einer Nacht seinen Sklaven noch mal sehen wollte, war absolut unüblich, wenn nicht sogar anrüchig. „Mein Pharao, er wurde heute Morgen abgeholt. Wie jeder Lustsklave.“

„Was passiert mit den Sklaven, nachdem sie bei mir waren? Kannst du mir das sagen?“

„Sie werden bewertet und weitergegeben“ antwortete der verwirrte Diener. „Weshalb stellt Ihr so eigenartige Fragen?“

Aber darauf antwortete der König schon nicht mehr. Mit schnellen Schritten verschwand er aus seinem Gemach und gab dem armen Diener nicht mal mehr die Möglichkeit, ihm die Tür zu öffnen. Viel wichtiger war jetzt, dass er Seth fand, bevor er fortgebracht wurde. Er hatte sich niemals Gedanken darüber gemacht, was mit den Sklaven eigentlich danach geschah, wenn sie ihn verließen. Er wusste jetzt nur, dass er Seth nicht gehen lassen wollte. Sein Diener hatte gesagt, sie würden bewertet und weitergegeben werden. Was sollte das heißen?

„FATIL!“ schrie er laut durch die Gänge des Palastes. Der einzige, der ihm jetzt auf die Schnelle weiterhelfen konnte, war sein Palastvorsteher. Nur Fatil wusste immer, wer sich wo aufhielt. Und er wusste auch ganz sicher, ob die Sklaventransporte die Stadt heute schon verlassen hatten. „FATIL! ZUM DONNER WO BIST DU?“

„Der König sucht Fatil!“ rief ein Diener weiter zum nächsten.

„Fatil! Der König sucht Fatil!“ rief der dann weiter um die Ecke.

So spannte sich in Windeseile eine Nachrichtenkette von einem Diener zum nächsten, um den Wunsch des Pharaos so schnell wie möglich zu erfüllen.

Atemu währenddessen trat nervös von einem Fuß auf den nächsten. Wenn er jetzt noch weiter herumlief, würde es noch länger dauern, bis er etwas herausfand. Nur einen Moment geduldig warten und dann würde er gleich mehr wissen. Aber wie sollte man geduldig warten, wenn einem das Herz bis zum Halse schlug?

Er musste wirklich einen merkwürdigen Anblick für seine Wachen und Diener sein. Nur im Morgenmantel bekleidet, ohne Schuhe, ohne Krone auf dem Haupt, seine Haare ungekämmt, seine Augen ungeschminkt. So durfte doch kein König aussehen.

Aber der König war gestern irgendwo auf der Strecke geblieben - jetzt suchte Atemu den Mann, der ihm sein Herz berührt hatte.

>Seth, wo bist du nur?< Nur noch dieser eine Gedanke hallte durch seinen Kopf. Wenn er ihn einfach so verschwinden ließ, würde er seine Spur nie wieder aufnehmen können. Wer wusste schon, in welche Hände sein Göttertraum danach geraten würde? Vielleicht bekam er einen Meister, der ihn nicht gut behandelte?

Außerdem fühlte Atemu sich jetzt schon einsam ohne ihn.

Wo konnte er denn nur hin sein?

„Ihr habt nach mir gerufen, mein König?“ sprach ihn eine Stimme von der Seite an.

„Fatil! Den Göttern sei Dank, dass du da bist!“ rief Atemu und drehte sich geschwind zu ihm herum. Sein Palastvorsteher hatte einen Plan und Informationen über alles, was sich in diesen Wänden abspielte. Dieser Mann im besten Alter und Vater dreier Kinder genoss das vollste Vertrauen seines Königs und hatte sich schon in vielen schweren Situationen als loyal und verlässlich bewiesen. Für den Palast war er ein Segen und auch für Atemu, denn Fatil war ihm immer wie ein zweiter Vater gewesen.

„Guten Morgen, Pharao“ erwiderte er leicht überrumpelt und machte eine kurze Verbeugung. „Ihr seht blass aus. Habt Ihr nicht gut geruht?“

„Fatil, der Sklave von gestern Abend. Weißt du, wo er jetzt ist?“

„Euer Sklave? Ihr meint das Geschenk von Taresis, welches Euch gestern gebracht wurde? Ich habe gehört, Ihr habt ihn mit in Euren Palastgarten genommen.“

„Ja ja ja, wo ist er jetzt? Er war einfach fort heute Morgen. Ohne Abschied!“

„So wie jeder Sklave, Majestät.“

„Fatil, wo ist er?“ drängte er, hatte ihn schon ziemlich verärgert am Kragen gepackt und funkelte ihn aus tiefsten Augen an. „Sag mir sofort, wo er ist oder ich lasse dich ins Verließ werfen! Wo ist mein Sklave?“

„Er wird gerade zum Transport geschickt, um die Stadt zu verlassen. Unten in der Palasteinfahrt der Lieferanten. Aber was wollt Ihr denn von ihm? Hat er Euch bestohlen?“

„Er hat mir etwas gestohlen, von dem ich nicht mal wusste, dass ich es habe“ antwortete er und drehte sich hastig herum.

Fatil sah ihm ziemlich stutzend nach wie der edle König in diesem Aufzug durch die Palastgänge stürmte, seine Türen selbst öffnete und dabei nur einen Morgenmantel ohne Krone trug. Und diesen Blick hatte er in all den Jahren bei ihm noch nie entdecken können. Er kannte Atemu seit seiner Geburt, aber noch niemals hatte er ihn bei einer Sache so elanvoll erlebt.

„Oh, mein König“ seufzte er schweren Herzens als er dieses Rätsel für sich aufgeklärt hatte. „Wenn Ihr da mal keinen Fehler begeht. Er ist ein Sklave, Ihr ein König. Vergesst das nicht.“
 

So schnell er konnte, hastete der Pharao durch die Gänge, stieß Diener und Gäste zur Seite und bot sicher nicht den edlen und beherrschten Anblick, den er als Herrscher bieten sollte. Aber das war ihm egal. Auch als er den unteren Teil des Palastes erreichte, den sonst nur die Bediensteten betraten, kümmerte ihn das Erschrecken der Leute wenig.

Er musste zu ihm! Er durfte ihn nicht fort lassen! Nicht bevor er ihn in Sicherheit wusste.

Und er kam gerade rechtzeitig.

Die dritte Tür, welche er der Reihe nach aufriss, war endlich die richtige.

Doch er sah nicht das, was er sich erhofft hatte.

Er erblickte seinen edlen Seth blutüberströmt und ihn Fesseln am Boden knien. Neben ihm zwei Männer, welche wohl eindeutig über seine Zukunft verhandelten. Der eine dick mit einem schwarzen, verfilzten Bart und schmutzigem Stoffgewand. Der andere ziemlich kräftig, mit gedrungenem Gesicht, kleinen Augen und einer eingedrückten Nase. Edelmänner waren die beiden sicher nicht

„So viel gebe ich dir nicht“ stritt der Mann mit der platten Nase. „Sieh ihn dir doch an. Du hast ihn ja halb tot geprügelt. Die Kosten für ihn wären zu hoch.“

„Gut, dann zwei Goldmünzen“ feilschte der Dicke sich herunter. „Hast du eigentlich eine Ahnung, was ich alles in seine Ausbildung gesteckt habe? Er ist gesellschaftlich gebildet, er beherrscht Tanz, Gesang und Kunst. Ja, er kann sogar lesen! Er wurde eigens für den König ausgebildet.“

„Ja, und er hat versagt. Zwei Goldmünzen sind zu viel. So viel Geld bringt er mir doch niemals ein. Und was soll ich mit gesellschaftlicher Bildung? Wenn er die Beine breit macht, reicht mir das.“

„Aber er ist gesund und hat keine ansteckenden Krankheiten. Er ist gut genährt und wenn du ihm das bisschen Blut abwischst, macht er richtig was her. Komm schon. Zwei Goldmünzen sind nicht viel.“

„Ich gebe dir eine Silberdukate, mehr nicht.“

„EINE Silberdukate? Da kann ich ihn ja gleich zur Feldarbeit verhökern.“

„Dann mach das doch. Wer will schon einen Sklaven auf dem so viel Schande lastet?“

„Aber ... ich kann ...“ wollte Seth leise sagen, doch sein Kommentar war hier nicht erwünscht.

„Halt den Rand“ schimpfte der Dicke und trat ihm so krachend gegen den Kopf, dass der arme Sklave ohne Gegenwehr auf den harten Steinboden knallte und sein warmes Blut in die Ritzen der Platten sickerte.

„Eine Silberdukate und ich befreie dich von ihm“ lachte die platte Nase.

„Ach, verdammt“ fluchte der Dicke zischend vor sich hin. „Ist mir egal. Kannst ihn geschenkt haben. Schaff mir das Miststück nur aus den Augen.“

Der König war geschockt. Er wusste ja, dass man mit Sklaven häufig schlecht umging, aber er hatte gehofft, dass seine Gesetze ihnen wenigstens ein bisschen Menschlichkeit sicherten. Aber hier wurde über ihn gesprochen als wäre er ein verletztes Tier oder Wert. Das war nicht im Sinne seines Gesetzes.

„Hier wird niemand verschenkt“ sagte er mit fester Stimme und trat endlich aus dem Schatten der Türzargen. Er wusste, dass er in seinem Morgenmantel und ganz ohne Schmuck und Schminke nicht wirklich aussah wie ein König, aber sein Gesicht war im ganzen Reiche bekannt. Und er würde es nicht dulden, dass in seinem Palast ein Mensch so unwürdig behandelt wurde.

„Pharao!“ Erst waren die zwei Sklavenhändler ziemlich überrascht, aber dann fielen sie doch auf die Knie und verbeugten sich vor seiner Macht.

„Ihr beiden verlasst sofort meinen Palast und werdet mir nie wieder unter die Augen treten“ befahl er und blieb hoch erhoben vor ihnen stehen.

„Aber, Pharao, Ihr habt ...“ wollte der Dicke sagen, aber sein Wort galt hier nichts.

„Habe ich dich aufgefordert zu sprechen? Ich denke nicht.“

„Verzeiht, Pharao.“

„Ihr beiden verschwindet sofort aus meinen Augen. Los, RAUS HIER!“ So sauer kannte er sich selbst gar nicht, aber was er gesehen hatte, machte ihn rasend. Sie hatten Seth gefesselt und geschlagen, seinen Seth.

Ohne mit ihren Augen noch mal das königliche Gesicht zu streifen, erhoben sie sich, um den Befehl zu befolgen und weiteren Ärger zu vermeiden. Sie wussten zwar nicht genau, wofür sie jetzt solche Ablehnung bekamen, aber dem Pharao widersprach man grundsätzlich nicht.

Der Dicke wollte noch nach dem niedergetretenen Sklaven greifen und ihn mitzerren, aber er wusste ja nicht, welch ein Fehler das wäre.

„Und er bleibt hier“ befahl Atemu mit eiserner Stimme. „Verschwindet jetzt, bevor ich meine gute Erziehung vergesse.“

Die beiden senkten den Blick fest auf den Boden und schlichen schnellen Schrittes zur Tür hinaus. Lieber schnell weg, bevor man sich den König zum Feind machte.

Doch sie waren schneller vergessen als sie gedacht hatten, denn der Sklave, den sie als so wertarm befanden, war dem Pharao das Teuerste auf Erden geworden.

„Seth“ sagte er schnell und kniete sich neben ihn, um vorsichtig seinen Kopf ein Stück anzuheben. Sein schöner Göttertraum sah schrecklich aus. Seine Unterlippe aufgeplatzt, seine Wange abgeschürft und seine Augen so tot. Gestern waren sie nur leer, aber nun waren sie wie tot. „Was haben sie nur mit dir gemacht, mein Seth?“

Vorsichtig drückte er den verletzten Kopf an sich und scherte sich nicht darum, dass er sich mit dem schmutzigen Blut den teuren Stoff ruinierte. Er wollte ihn nur noch festhalten und nimmermehr loslassen. Er hörte den röchelnden Atem und fühlte kaum noch Lebenswillen in diesem schlaffen Körper.

„Was haben sie dir nur angetan?“ trauerte er und wischte ihm ein paar Tropfen tiefroten Blutes aus den Augen.

„Pharao ... Ihr habt mich abgelehnt“ wisperte er niedergestreckt und unendlich müde.

„Nein, ich habe dich nicht abgelehnt. Seth, wie kommst du nur auf so etwas?“

„Ihr habt ... Ihr habt nicht ... mit mir das Bett geteilt. Ich habe versagt.“

„Du hast nicht versagt, Seth. Ganz bestimmt nicht. Nur weil ich nicht mit dir geschlafen habe, heißt das nicht, dass du versagt hast. Du hast mir viel mehr gegeben als alle anderen vor dir.“

„Ich verstehe ... Eure Worte nicht ... Pharao“ keuchte er und verdrehte nahe der Bewusstlosigkeit die Augen. Er brauchte jetzt Ruhe, denn sonst würde er noch völlig zusammenbrechen.

„Es ist gut, Seth. Es ist gut“ versprach er und küsste vorsichtig die geschundene Stirn seines Göttertraumes. „Schlaf ruhig ein. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas Böses geschieht. Du stehst jetzt unter meinem Schutz. Hörst du? Niemand wird dich jemals wieder demütigen.“

Ob er das noch gehört hatte, wusste Atemu nicht. Er fühlte nur wie der verletzte Körper in sich zusammensank und er das Bewusstsein verlor. Aber er würde sein Versprechen trotzdem halten.

Niemand sollte ihm jemals wieder wehtun.

Nie wieder.



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