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Fallen

von

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Desolate

Anmerkung der Autoren:

Erst einmal bedanken wir uns wieder an unseren Lesern und Kommischreibern.

Wir freuen uns sehr, dass auch nach all der langen Zeit immer noch so viel von euch an unserer Story interessiert sind und hoffen dass wird auch weiter so bleiben.

Der folgende Part ist eine Sightsence zur Fallen jedoch direkt hier angeknüpft da sie mit zu Part 14 gehört, allerdings aus einer anderen Perspektive geschrieben.
 

Desolate
 

» » Erinnerung (Flashback)
 

29.01.2001
 

Die deckenhohen Fenster waren mit Schneeblumen überzogen.

Hunderte von zerbrechlichen Gebilden, verspielt und fantasievoll, kleinen Feen gleich, die mit ihren winzigen Fingern Geschichten in die Luft zeichneten, ein feiner Staub des Universums, der in Form von tanzenden Flocken vom Himmel herab schwebte und welchen die törichten Menschen für gefrorenes Wasser hielten.

Sie überzogen das kalte Glas zu einem guten Drittel, ließen das in den großen Raum fallende Licht schleierhaft wirken, nicht klar und hell, wie man es von der Sonne gewöhnt war, sondern sanfter, große Schwingen der Zeit, die ihren Atem anhielt.

Der Winter lugte durch die geöffnete Tür des Balkons hinein, sein eisiger Atem sichtbar in der warmen Luft, die ihn lockte noch einen Schritt näher zu tun, sich fallen zu lassen in diese so verlockende Geborgenheit, doch der Winter zögerte... und wich mit einem erschrockenen Sprung zurück, als eine Hand grob über die Scheibe fuhr, die feinen Muster mit einem schroffen Schlag davon wischte, wütende Schritte in dem weißen Schnee hinterlassen wurden, der auf den Fliesen des Balkons lag.

Mehrere der Eiszapfen brachen, als die gleichen Hände die aufwendig gearbeitete Balustrade griffen, ein einziges Mal heftig daran zerrten, bevor der Kopf des blonden Mannes ebenfalls auf diese sank.

Im Inneren des Raumes war der Zeichenblock auf den großen, dunklen Schreibtisch geworfen worden und mit seinen umgeschlagenen Seiten bildete er einen starken Kontrast zu dem sonst akribisch aufgeräumten Mobiliar.

Auf der letzten benutzen Seite vermochte man weiche Linien einer unvollendeten Skizze zu sehen... Gesichtszüge, ebenmäßig, wie das erschaffene Antlitz einer Puppe, sanft geschwungen und mit behutsamer Präzision ausgearbeitet, umrandet von offen fallendem Haar, fließend wie ein Wasserfall... einige der Strähnen streichelten über die Wange, da die Person den Kopf zur Seite geneigt hatte.

Die schönen Lippen waren leicht geöffnet, ihre Konturen in sanften Stufen unterschiedlichsten Graus, so das man der Täuschung erliegen konnte, es würde sich um eine Photographie handeln.

Am meisten jedoch fesselten die Augen... zwei Tiefen voll von Kummer, Angst und Schmerz... sie schrieen in einer lautlosen Verzweiflung, Hilfe die ihnen verwehrt blieb, selbst wenn man die rettenden Finger direkt vor ihnen ausstreckte.

Sie schienen in Furcht vor der Kälte, die in den Ketten ruhte zu beben die man ansatzweise auf dem unteren Rand der Zeichnung erkennen konnte, feine unbrechbare Glieder aus Metall die in die weiße Haut schnitten, Blut hervorbrachten... nicht viel, nur einige Tropfen, dennoch, selbst sie hielten eine verheerende Auswirkung.

Zierliche Finger lagen ineinander, wie als würde eine Mutter ihr Kind bei der Hand nehmen, um es zu trösten, wenn es nach einem schlimmen Traum weinend erwacht war.

Die Ränder der Zeichnung waren verschwommen, wirre Formen und Striche, an einigen Stellen wie Nebel, an anderen wiederum Kratzern gleich, bestimmte Punkte sanft, kaum zu erkennen, andere stark hervorgehoben und wenn man es länger betrachtete, begannen sich Worte abzuheben.... 'Despair'...'Sorrow'...'Final'...'End'.
 

Kyos Schultern bebten unter den heftigen Atemzügen, die kalte Luft brannte in seinem Rachen, seinen Lungen, doch es interessierte den Sänger nicht.

Er hasste das Zeichnen.

Wann immer sich seine sogenannte Muse zu Wort meldete – er bezeichnete sie lieber als lästige Kreatur einer Hölle - verfiel er in einen Zustand, den er gerne als eine absolute Taubheit betitelte, nichts das um ihn herum geschah, interessierte ihn dann noch.

Selbst wenn seine Wohnung in Flammen stehen würde, auffallen täte es dem Blonden aller Wahrscheinlichkeit nach erst, wenn das Feuer bereits unter seinem Hintern brannte.

Zumeist war ihm gar nicht bewusst, was für einen aufgewühlten Dreck aus seiner Seele er da eigentlich zu Papier brachte, die Impulse und Motive schlicht nicht zu begreifen, nur der Drang ließ sich nicht unterdrücken... Kyo hatte in seiner Jugend Eisenbahnwaggons, Holzbretter und abrissreife Häuser als Leinwand genutzt, ohne eine Pause, ohne das er wirklich realisierte was er da tat.

In gewisser Weise war es auch wenn er seine Texte zu Papier brachte... dementsprechend war wohl ein und dieselbe Muse dafür verantwortlich.

Schneeflocken tanzten vom Himmel herab, legten sich auf die blonden Strähnen, sie waren wohl von den höher gelegenen Flächen davon geweht worden, denn die Sonne streichelte seinen Rücken in dem sinnlosen Versuch ihn ein wenig zu wärmen und erst als sich eine Hand auf seine Schulter legte, hob der Kurzhaarige seinen Kopf.

„Dein Handy hat vibriert.“

Dies ruhige Stimme erreichte ihn, der größere Mann wich einen Schritt zurück, als er sich herum drehte, streckte ihm behutsam das kleine Gerät entgegen... er sah nicht gut aus, blass, in sich zusammengesunken, die Augen von Schatten unterlegt.

Kyo wusste, dass der Andere weder ordentlich schlief noch aß, in seinen Schuldgefühlen ertrank, die mit jedem Tag, an welchem das Telefon still blieb, größer wurden.

„Danke.“

Ihre Finger streiften sich nur minimal, dann ein schwaches Lächeln, bevor sich der Gitarrist herum drehte, in die Wohnung zurückkehrte, der Kleinere folgte einen Moment später, blickte dabei auf das Display, um das zu lesen, was auch der Jüngere unweigerlich gesehen haben musste.
 

from: Shinya Handy

to: Kyo Handy

time: 15.25
 

message: Bitte, sag mir, dass alles in Ordnung mit dir ist.
 

Seine Stirn legte sich in tiefe Falten, die Art, wie Shinya diesen einen Satz formuliert hatte, sorgte ihn, er klang verzweifelt vollkommen entgegen der gewählten und überlegten Ausdrucksweise seines Freundes.

Mit einer müden Bewegung ließ er sich in den Sessel fallen, legte den Kopf in den Nacken, um einen Moment lang die Augen zu schließen, eine Hand über diesen, als er seine Nase massierte, blind eine Antwort schrieb.
 

from: Kyo Handy

to: Shinya Handy

time: 15.59
 

message: Ich bin in Ordnung, Fukai.
 

Das Handy ließ er auf seinen Schoss fallen, konzentrierte sich ganz auf seine Atmung, er fühlte das ferne Brennen der Tränen, ein Gefühl, dass ihn in den letzten Tagen konstant begleitete, massiv störte, weil er es nicht unterdrücken konnte, doch dafür war es zu schwer, zog mit einer eiskalten Klaue an seiner Seele.

Es machte ihn zornig, diese Ruhelosigkeit und Hilflosigkeit... Kyo waren die Hände gebunden, es gab absolut nichts, dass er für den Kleineren tun konnte, selbst wenn er jeden Tag Stunden auf das Telefon starrte, sich nach der Stimme seines Freundes sehnte, ihm Halt geben wollte.

Der Blonde war sich sicher, dass ihn Shinya dringend brauchte und auch wenn er um den starken Willen Toshiyas wusste, warf sich immer wieder die Frage auf, ob der Bassist es schaffen würde, emotionale Belange affektierten den hübschen Mann weit mehr als ihn selbst.

So konnte er nur hier sitzen, sich mit seinen Gedanken duellieren, die ihn schamlos auslachten, wenn er auf den Dunkelhaarigen schimpfte, an seiner Stelle sein wollte... er sehnte sich danach, Shinya festzuhalten, um endlich diesen Nebel an einsamer Trauer zu vertreiben, diese Verzweiflung, die in den feinen Zügen lag, immer dann sichtbar wurde, wenn der Drummer geglaubt hatte, niemand würde ihn ansehen.

Aber sie hatten es bemerkt, jeder einzelne von ihnen, selbst Die... was wohl die Schuld intensivierte, die nun auf den Schultern des Rothaarigen lag, bedenklich an diesem zehrte, doch als Kyo den Anderen darauf angesprochen hatte, war ihm stumme Abweisung entgegen geschlagen, dann leise Worte, dass es nur eine 'Phase' sei, Die schon mit sich klar kommen würde.

Die dunklen Augen Kaorus hingegen sagten etwas ganz anderes.

Sie lagen konstant auf dem anderen Gitarristen, verdunkelten sich mit jeder Stunde, füllten sich mit Tränen, die ihr Leader nicht zu vergießen bereit war und die zurück gekämpft wurden, wenn die Tür ins Schloss fiel, Die für Stunden verschwand, ohne ein Wort, ohne ein Zeichen.

Kyo hatte sie gesehen, eine dieser Szenen, die an seinem Herzen zehrten und dennoch war er unfähig gewesen zu handeln, selbst als er Kaoru in die Arme geschlossen hatte, dieser in dem dunklen Flur gestanden hatte... so vollkommen alleine... um sie herum hätten wahrscheinlich Hunderte von Menschen gewesen sein können, den Älteren hätte es nicht interessiert.

Und so sehr sich der Sänger wünschte, dass er in diesen Sekunden eine Stütze war, er wusste es besser... denn er war nicht Die und niemand konnte den Größeren ersetzen, nicht einmal im Ansatz.

Doch keiner von ihnen sagte etwas, sie wanderten weiter, Tag für Tag, in ihrer eigenen, persönlichen Hölle.

Bei den Göttern, er wünschte sich so sehr, einfach zusammenbrechen zu können, etwas zu zerschlagen, oder zu schreien, um das Gift der Sorge aus seinen Körper zu holen, dass ihn innerlich zermürbte und er flehte, das Kaoru und Die es auch taten, es wäre ihm egal, wenn sie alle wie heulende Kleinkinder auf dem Teppich saßen, ihm waren die brennenden Augen und die laufende Nase gleich... solange nur dieses verdammte Schweigen verschwinden würde, diese Fassade mit der sie sich begegneten.

Das Handy vibrierte auf seiner Brust.
 

from: Shinya Handy

to: Kyo Handy

time: 16.05
 

message: Gott sei Dank.
 

Die Worte schienen atemlos, es war schwer zu erklären, denn immerhin standen sie lediglich auf seinem Display, trotzdem war es ihm, als würde er die Stimme seines Freundes wispern hören können, direkt hier, in seinem Ohr, als wenn Shinya in seinen Armen lag... Sehnsucht flammte schmerzvoll in seinem Inneren auf und auch andere Empfindungen, die er all die Jahre sorgsam behütet verborgen hielt... sie übermannten ihn, je länger die Nächte wurden.

Mit einer Hand nahm er sich das schwache ihn umgebene Licht, verbarg sich, bis seine Atmung nicht mehr diesem jämmerlichen Winseln glich, dann starrte er auf das kleine Gerät hinab... Kyo wusste, er sollte antworten, doch was?

Halfen tröstende Worte mehr, als ein simples nochmaliges Bestätigen, dass es ihm gut ging?

Sollte er den Jüngeren sinnbildlich in die Arme nehmen?

Ihn halten, wieder und wieder versichern, dass er da war, dass der Andere zu ihm kommen konnte... sich ihm anvertrauen?

Kyo war bereit die Last zu bürden, die auf den Schultern des Braunhaarigen lag, er wollte es... würde sich in den Dreck werfen und Grenzen überschreiten, die er für niemanden anderen zu brechen bereit war.

Solange es Shinya besser ging.

Bis die dunklen Augen nicht in ihrem eigenen Kummer ertranken.

Alles, damit er ein ehrliches Lächeln auf den feinen Zügen sehen konnte.

Seine Finger bewegten sich, tippten und sendeten die kurze Nachricht, ohne das sein Geist Zeit hatte, wirklich zu folgen.
 

from: Kyo Handy

to: Shinya Handy

time: 16.10
 

message: Was ist passiert?
 

Kyos Gedanken und Gefühle... sie mussten in seinem Inneren verschlossen bleiben, der Blonde konnte Shinya unmöglich noch mehr aufbürden... würde ihm dies niemals aufbürden, dazu stand zu viel auf dem Spiel.

Lieber genoss und litt der Vocal unter dieser innigen Freundschaft und dem Wissen, dass er weiter durch die Wälle des Drummers drang als jeder andere, als das er es riskierte, alles zu verlieren.

Seine Liebe zu dem Jüngeren, war ein gut gehütetes Geheimnis und sie würde es auch bleiben, selbst wenn man ihm die Seele aus dem Körper heraus riss.

Der Blick fiel auf die Zeichnung und für einige sehr lange Sekunden sah er sie nur an, verlor sich in der Surrealität seiner Gedanken, bis das kleine Gerät erneut vibrierte, ihn zurück riss und bewusst machte, dass er die Konturen des Drummers mit seinen Fingern nachfuhr, nun auf den Lippen ruhte.

Ein leiser Fluch löste sich aus seiner Kehle, derweil er den Block schloss und unter einen Stapel an Hefter schob, die dadurch in eine hoffnungslose Unordnung gerieten, aber damit würde Kaoru leben müssen.
 

from: Shinya Handy

to: Kyo Handy

time: 16.12
 

message: Nichts... gar nichts... aber ich bin so froh, dass es dir gut geht.
 

Kyo würde nach England zurück fliegen.

Er würde jetzt sofort losgehen, zum Flughafen fahren und die erste Maschine nehmen, die ihn in Richtung der beiden Jüngeren brachte.

Es machte ihn absolut wahnsinnig, nicht zu wissen, was genau vor sich ging, warum Shinya ihm in dieser Art und Weise schrieb.

Ohne es wirklich zu realisieren, erhob er sich, lief durch den Flur zu seiner Jacke, hatte sie bereits übergestreift, als sich sein Geist dazu entschied, die Kontrolle über den Körper zu übernehmen, ihm aufzuzeigen, wie dumm und kindisch er sich gerade benahm... es interessierte seine Gefühle zwar einen Dreck, dennoch verharrte er, die Finger um den Schlüssel gelegt, der an der Wand hing.

„Kaoru! Ich bin kurz unten!“

Keine Antwort, aber er hatte auch keine erwartet, im wesentlichen hatte er nur gerufen, damit dem Gitarristen nicht auch noch der Zweite stumm und ohne ein Wort verschwand.

Die Tür zog er leise hinter sich ins Schloss, er hatte nicht vor, weit zu gehen, lediglich vor das Haus, wo er sich auf die breiten Treppenstufen fallen lassen konnte... der Komplex lag abgeschieden, fast in einem kleinen, aber dunklen und maroden Park hinein, so dass sowieso niemand her kam, bei diesem Wetter schon gar nicht, Kyo würde also seine Ruhe haben... keiner würde ihn hören können.
 

from: Kyo Handy

to: Shinya Handy

time: 16.22
 

message: Kann ich dich anrufen?
 

from: Shinya Handy

to: Kyo Handy

time: 16.26
 

message: Ja.
 

Ein einziges Mal atmete er tief durch, schloss die Augen, nachdem er sich hatte auf eine der oberen Stufen fallen lassen, legte den Kopf in den Nacken, um ihn einen Moment später in die geöffnete Hand zu stützen.

Eine Sekunde lang herrschte Stille, dann das Freizeichen, das kaum eine Chance hatte, denn sofort wurde abgenommen und auch wenn Shinya ihn nicht begrüßte, wusste er, dass der Jüngere da war.

„Warum diese Nachrichten, Fukai?“

Seine Stimme war leise, behutsam... seit je her sprach er in solch beunruhigenden Situationen mit seinem Freund, als würde dieser aus zerbrechlichen Kristall bestehen, er wusste, dass dies bei weitem nicht so war, aber er konnte sich dennoch nicht helfen – wenn er Shinya schon nicht bei sich hatte, um ihn in den Arm zu nehmen, dann wollte er seine Nähe zumindest in der Art, wie er sprach schenken.

„Habe ich dich mit ihnen geweckt?“

Der Jüngere klang ebenso verzweifelt wie die Worte seiner SMS und obgleich Kyo das bereits geahnt hatte, war es schmerzvoll, so sehr, dass es sein Innerstes zu versengen schien, die unterdrückten Tränen sofort zurückkehrten... Gott, wie er sich wünschte, helfen zu können.

„Nein.“

„Gott sei Dank.“

Ein leises Flüstern, so hilflos... so unglücklich, es zerstörte Kyo, es hören zu müssen, unfähig etwas gegen die Dämonen tun zu können, die auf dem Braunhaarigen lasteten.

In seiner Innentasche lag ein kleiner Block, der Blonde hatte immer und überall etwas zu schreiben dabei, kleine Bücher wie dieses, hortete er, wie andere Menschen Briefmarken und nun holte er ihn heraus, schob ihn neben sich ein Stück weit fort, sodass er nicht damit beginnen würde, darin zu schreiben oder zu zeichnen, steckte sich stattdessen eine Zigarette an, der eigentliche Gegenstand, nachdem er in seinen Taschen gesucht hatte.

„Willst du mir sagen, warum du so aufgewühlt bist?“

Für einen Moment herrschte erneutes Schweigen, nur das Atmen seines Freundes, bebend, selbst wenn sich der Sänger sicher war, dass es vor ihm versteckt werden sollte.

„Ich habe schlecht geträumt... hatte Angst um dich... wo bist du?“

Seine Brauen zogen sich zusammen, als die Erinnerungen wieder kehrten, Bilder vor seinen Augen erschienen, die nicht an diesen Ort passten, nicht in diese Zeit, es lag bereits fast ein ganzes Jahr dazwischen und dennoch, das Gesicht des Zierlicheren tauchte ebenso klar auf, wie das Mantra aus leisen Entschuldigungen, derweil Shinya seine Hand gehalten hatte, mit dem Daumen immer wieder über sie gefahren war, aufgelöst in seine Schuldgefühle, die vollkommen unnötig waren.

Kyo selbst hatte sich in diese Lage gebracht, die Träume des Zierlicheren hatten damit nicht im geringsten zu tun, sie waren lediglich eine Vorahnung, eine sehr wichtige, denn der Blonde war sich nicht sicher, ob er zu sich gekommen wäre, hätte der Andere nicht Kaoru alarmiert, nachdem er selbst nicht mehr auf die Telefone reagiert hatte.

Er hatte seine Freund beruhigt, ihm wieder und wieder gesagt, dass es nichts gab, wofür sich der Braunhaarige entschuldigen müsste, er hatte versucht, dem zum ersten Mal wirklich verletzten Shinya zu sagen, dass Träume wichtig waren, egal ob gut oder schlecht, aber dass man sich nicht zu sehr von ihnen beeinflussen lassen sollte und genau dies wiederholte er nun, leise, zärtlich auf den eisigen Stufen des Einganges sitzend.

„Bei Kaoru, momentan in seinem Arbeitszimmer. Warum diese Empfindung, Shinya? Ich habe dir schon einige Male gesagt, dass du dich vor deinen Träumen nicht fürchten darfst. Sie sind nur dein Unterbewusstsein, versuchen dich zu jagen, dir Dinge aufzuzeigen, die nicht wahr sind. Sie sind der innere Kampf deiner selbst und wenn du zulässt, dass sie sich deiner bemächtigen, wirst du nur fallen.“

Ein unterdrückter Ton, welcher klang als würde der Kleinere mühselig einatmen müssen, fast an der Luft ersticken, die in seine Lungen drang und auch die dunkle Stimme wurde noch leiser... so nahe sich gänzlich zu verlieren.

„Ich weiß... aber es ist so schwer geworden.“

Nun war es an ihm, an der kalten Luft zu würgen, der Schmerz in seinem Inneren hatte sich mit diesen simplen Worten um ein vielfaches verstärkt, das sengende Brennen war nun zu einem Feuersturm geworden, welcher sich gierig und ohne Rücksicht durch eine jede Faser seines Leibes brannte.

„Was ist schwer, Shinya? Die Träume, oder das Wissen einem neuen Tag ins Gesicht blicken zu müssen?“

Sein Freund schluchzte, bei den Göttern, ein kleines, verlorenes Kind, dass stumm um Hilfe schrie und das doch keiner hören konnte.

„Woher weißt du das? Warum sagst du das?“

Quälende Fragen, die Kyo nicht beantworten wollte, weil er Angst hatte, er fürchtete, hier einfach zusammenzubrechen und dem Anderen alles zu offenbaren... das er die feinen Unterschiede in den Worten hören konnte, die Schwankungen in der Stimme, nicht jetzt, wo es selbst einem Dummkopf auffallen würde, sondern schon vor Monaten, zu dem Zeitpunkt an dem der Drummer begonnen hatte, sich zu verändern.

Es lag kein entschuldigendes Lächeln mehr in den Absagen, nur eine undefinierbare Schwere, etwas das der Blonde bis zum heutigen Tag nicht greifen konnte.

Der Jüngere hatte sich eingeschlossen, in mehr Mauern, als er je einen anderen Menschen besitzen hatte sehen und es war schwer, daran zu arbeiten, sie Stück für Stück zu senken und dennoch hatte der Sänger es geschafft, zumindest soweit, dass Shinya sich soweit fallen ließ, um Tränen zu vergießen.

Was für ein bitterer Erfolg.

Und dennoch blieben seine Worte ein sanftes Streicheln, es war das Einzige, dass er geben konnte, alles andere war der Blonde gezwungen in seinem Inneren einzusperren, mit Ketten und einem ständigen Schwur an sich selbst gesichert.

„Weil du dich mir öffnest, ohne etwas zu sagen... ich kann es an deiner Stimme hören, an deinen Worten lesen... du liegst gerade, habe ich nicht Recht? Eng in dich zusammengerollt, um die fehlende Wärme zu ersetzen, weil Toshiya dich allein gelassen hat.“

Einen flüchtigen Augenblick kehrte die ihm so bekannte Eifersucht zurück, doch er verdrängte sie sofort, sie war absolut fehl... es ging hier nicht um ihn, sondern um den schluchzenden Shinya, der klang, als würde er jeden Moment an seinen eigenen Tränen ertrinken.

„Es tut mir so sehr leid... bitte, verzeihe mir...“

„Es gibt nichts, das ich dir verzeihen müsste, du bist zu mir gekommen und dass ist alles, was zählt.“

Trösten, beruhigen, versuchen, für den Kleineren da zu sein... und dennoch, so machtlos, er war schlicht so machtlos!

„ Aber ich habe dich beinahe vergessen, Kyo... wie konnte ich das nur tun?“

Die Frage einer verzweifelten Seele, auf welcher viel zu viel lastete, die mit jedem Schritt mehr und mehr aufgab, in allem was sie tat, Fehler sah, ein Versagen, dass gar nicht da war, aber für sie war es unmöglich dies zu erkennen.

„Du hast mich nicht 'vergessen', hör auf, dir so etwas einzureden. Ich weiß nicht genau, was dich zwingt, so zu handeln, wie du es tust, aber nicht einmal hatte ich das Gefühl, du würdest mich deswegen schlechter behandeln, oder gar vergessen. Lass dich nicht von all diesen Vorwürfen zerreißen, hebe deinen Kopf mit dem Stolz, den ich von dir kenne. Geh voran und bleib stark.“

Kyos Name zwischen den heftigen Atemzügen des anderen und in seinen Augen brannten die Tränen, erzwangen ihr recht zu fallen, derweil seine Schultern in stummen Schmerz bebten, das Gesicht in der Hand verbogen, so in sich zusammengekauert, dass ihm jeder Knochen weh tat, aber es war egal.

Alles war egal, solange es Shinya gut ging... so lange er diesem hatte ein wenig Kraft schenken können.

„Ich werde es versuchen.“

Seine Liebe würde es versuchen... mehr wünschte er sich nicht, von diesem, nur den Mut, noch einen weiteren Schritt zu tun, ganz gleich wie schwer dieser auch erschien.

„Das ist alles, was ich von dir verlangen kann.“

Stille hüllte sie lange Minuten ein, dann ein kleines Geräusch und im ersten Augenblick, dachte der Vocal, ihre Verbindung wäre unterbrochen worden, doch dann erreichten ihn weitere Worte, so sanft, dass es sein gebrochenes Herz in noch mehr Stücke riss.

„Ich danke dir so sehr...“

Kyo biss seine Lippe blutig, schüttelte seinen Kopf, der Andere konnte es sowieso nicht sehen, er war es nicht wert, dass man ihm dankte.

„Wofür? Ich sollte dir danken. Shinya, ich bitte dich... achte auf dich. Ich sorge mich.“

Ein leises 'Okay', dann legte sein Freund auf und der Sänger ließ sein Handy achtlos fallen, als er die Arme um seinen Körper schlang und sich dem Fall ergab, der nur darauf gewartet hatte, dass Shinyas Stimme sich verlieren würde.

Schnee hüllte den kleinen Mann ein, derweil dessen ganzer Körper sich schüttelte, sich Laute brachen, die an ein Tier erinnerten, dass man angeschossen und zum sterben in einer dunklen Ecke liegen gelassen hatte... und ein Teil von Kyo fühlte sich tatsächlich so.
 

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30.01.2001
 

Es war bereits nach Mitternacht, als die Kinder des Windes versuchten in eines der spärlich erleuchteten Fenster, einer der Wohnungen in dieser Stadt zu gelangen, wurden sie jedoch zurück gewiesen, von dickem Glas, welches sich vor ihnen erstreckte, hatte der Bewohner ihnen jeglichen Zugang verwehrt.

Trotzdem versuchten sie es weiter, die leichten Schneekristalle wirbelten durch die Nacht, peitschten gegen die undurchdringliche Wand, in der Hoffnung, doch noch irgendwie in die kleine Küche dringen zu können.

Der sich in diesem Raum befindliche junge Mann, bekam von dem Kampf der Naturgewalt allerdings nichts mit, starrte tief versunken auf eines der vielen Blätter, welche sich vor ihm befanden, den Tisch beinahe bedeckten.

Die Augen des Violetthaarigen tränten bereits, konnte er kaum etwas erkennen, in dem leichten Schein der Kerzen, welche er entzündet hatte.

Natürlich wäre es ein leichtes gewesen, einfach dem elektrischen Licht die Vorherrschaft zu überlassen, doch der Wohnungsbesitzer fühlte sich wohler mit dem spärlichen Schein, hatte deswegen zu den altertümlichen Mitteln gegriffen.

Der Leader der Band Dir en greys, versuchte die ständig wiederkehrende ruhelose Zeit zu nutzen und saß so auch Heute, vor einem der Songtexte ihres Sängers.

Der Blonde schien von der Muse gefangen, reichte ihm Kyo beinahe schon, übertrieben gesagt, jede Stunde eine neue Idee.

Dies war für den Violetthaarigen allerdings nicht verwunderlich, konnte Kaoru die Gründe erahnen, schon alleine wenn er die Lyric las, welche der Sänger nieder geschrieben hatte.
 

hanarenai hanaretakunai kedo

kimi no kotoba ga kokoro ni fukaku tsukisasaru hora

hanarenai hanaretakunai kedo

nami de kiete yuku kimi no ashiato mata hitotsu zutsu’ [1]
 

Die Worte könnten für ihre derzeitige Situation nicht treffender sein, beschrieben sie all das, was ein jeder von ihnen dachte, auch wenn es den Blonden wohl am meisten betraf.

Das schlimmste jedoch war diese Ungewissheit, die sie ständig verfolgte, die Ahnungslosigkeit, wie es weiter gehen sollte, wie es ihren abwesenden Freunden ging und dennoch hatte Kaoru weiterhin versucht, sich wie immer in seine Arbeit zu vertiefen, den Alltag walten zu lassen, saß er nicht umsonst hier, um für die Texte des Vocal die Musik zu schreiben, die Gitarre auf seinem Schoß.

Immer wieder spielte seine Hand ein paar Akkorde, schrieb er die Noten auf, doch wie auch schon die letzten Tage, konnte sich der Leader einfach nicht darauf konzentrieren, schweiften seine Gedanken ständig ab, mal zu Kyo, der erst seit Kurzem, nach dem Wunsch Toshiyas, bei ihm wohnte, weiter zu Die und dann zu ihren Jüngsten, die Hunderte Kilometer weit weg von ihnen waren.

Ein Seufzen löste sich von dem Ältesten, es hatte einfach keinen Sinn, so sehr er es auch versuchte, im Gegensatz zu Kyo, schien sich seine Muse von ihm fern halten zu wollen, fand er nicht einmal einen Anfang für das Stück.

Vielleicht war es ein Wink des Schicksals, welches ihm deuten wollte, das es besser wäre, die Arbeit einfach sein zu lassen oder sie wenigstens für diesen Text an jemand anderen abzugeben.

Ihm fiel auch auf Anhieb die passende Person für diesen Job ein, hatte diese eine Ablenkung bitter nötig.

Wie um sich selbst die Bestätigung zu geben, nickte der Violetthaarige für sich, er würde die Lyric seinem Geliebten anvertrauen, sollte dieser die Musik dafür schreiben, würde es eine Aufgabe für den Jüngeren sein, die ihn eine zeitlang beschäftigen und ablenken würde, von dessen Kummer, dies zumindest erhoffte sich der Leader.

Ein Geräusch holte den Gitarristen aus seinen Gedanken, er identifizierte das leise Klicken als das Schloss einer Tür, welche so eben geschlossen wurde, bestätigten sich entfernende Schritte seinen Verdacht, schon wieder hatte Die seine Wohnung ohne ein Wort verlassen und abermals seufzte der Leader tief.
 

Wie oft war es jetzt vorgekommen, das der Rothaarige mitten in der Nacht einfach auf stand und verschwand? Kaoru wusste es nicht, hatte aufgehört zu zählen, doch jedes Mal, wurde er beinahe Krank vor Sorge um seinen Geliebten.

Machte sich Gedanken, während der Größere zu dieser Zeit durch die Straßen streifte, wartete jedes Mal mehrere Stunden, bis der Gitarrist wieder kommen würde, war es einmal bereits schon früh am Morgen gewesen, als sein Freund endlich wieder auftauchte.

Zu Anfang, hatte sich der Leader nichts dabei gedacht, es einfach damit abgetan, dass der Jüngere etwas frische Luft schnappen wollen würde, doch nachdem sich die Ausflüge gehäuft hatten, sich mehrmals am Tag wiederholten und der Andere immer länger draußen verweilte, als auch immer schweigsamer wurde, war es zu einem Problem geworden, welches Kaoru seit dieser Erkenntnis, zu bekämpfen versuchte.

Leider musste sich der Ältere selbst eingestehen, dass er sich, was dies betraf, zu sehr von seinen Gefühlen leiten ließ, denn wann immer er mit Die darüber geredet hatte, waren diese Gespräche nicht selten im Streit auseinander gegangen, ausgelöst von ihm, da er jedes Mal wieder die Beherrschung verlor.

Aber war es denn nicht verständlich?

Er machte sich die größten Sorgen und wann immer der Kleinere eine frontale Konfrontation mit dem Rothaarigen suchte, bekam dieser den Mund nicht auf oder versuchte ihm einzureden, das alles in Ordnung war, doch dies stimmte nicht, der Leader sah es mit den eigenen Augen und auch Kyo hatte es bereits mehr als einmal erwähnt.

Kaoru schüttelte den Kopf, es war zum verzweifeln, all die Probleme, sie entglitten immer mehr seinen Händen.

Er wusste schon bald nicht mehr, was er ihrem Management erzählen sollte, vertröstete es immer wieder damit, das sie noch ein bisschen Auszeit benötigten, doch die Ausreden wurden immer knapper.

Die Presse saß ihnen im Nacken, dessen war er sich bewusst, zerrissen sich gerade zu danach, etwas zu finden, über dass sie sich auslassen konnten, denn es hatte nicht lange gedauert, bis ein paar Journalisten erfahren hatten, das sowohl Shinya als auch Toshiya nicht mit ihnen zurück nach Japan gekommen waren.

Von überall her erklangen Rufe nach Antworten, welche der Leader nicht geben konnte und die Situation mit Die, war ein Punkt, der alles noch weiter erschwerte.

Der Rothaarige befand sich in seiner direkten Nähe, doch dieser schwieg sich aus, redete nicht mit ihm, wie als wäre auch sein Geliebter Meilenweit von ihm entfernt.
 

All die Last, die seit den letzten Wochen auf seinen Schultern ruhte, schien mit jedem Tag schlimmer zu werden.

Kaoru war mittlerweile schlicht überfordert in seiner Position, trug er eben als Leader die Verantwortung in ihrer Band und auch, da er der Älteste von ihnen war, musste er sich zusammenreißen, versuchen wieder alles in einen geregelten Ablauf zu bringen, aber der Violetthaarige wusste nicht, wo und mit was er beginnen sollte.

Den Drang, seinen Kopf einfach auf die Tischplatte zu knallen, unterdrückte der Braunäugige, griff stattdessen nach der Tasse Kaffee, welche noch immer unberührt vor im stand, doch kaum einen Schluck genommen, war er versucht das Getränk wieder auszuspucken.

Es war kalt, nicht zum ersten Mal, passierte ihm dies ständig, lief ein Schauer über seinen Rücken, er hasste kalten Kaffee und ganz sicherlich glaubte er nicht an das Gerücht ‚kalter Kaffee macht schön’, eher das Gegenteil, denn die tiefen Augenringe die sein Gesicht zierten, ließen ihn aussehen wie einen Zombie.

Kurzerhand erhob sich der Musiker, nahm die Tasse mit sich und goss deren Inhalt in das Waschbecken, nahm die Thermoskanne aus der Kaffeemaschine, öffnete diese, atmete tief durch, als ihm der heiße Dampf entgegen stieg, dann befüllte er das Porzellan erneut und dieses Mal war die Temperatur des schwarzen Gebräus zu seiner vollsten Zufriedenheit.

Allerdings kam der Leader nicht in den Genuss, sich das koffeinhaltige Getränk einzuverleiben, denn da ging sie hin, seine Hoffnung, wenigstens Einer würde die Nacht durchschlafen - Kyo betrat den Raum.

Dies wurde langsam wirklich zur Routine, den beinahe jedes Mal traf der Ältere seinen Freund zu der selben Zeit, hier in der Küche an, seinem derzeitigen Arbeitszimmer, der Sänger hatte ihn schließlich aus seinem eigenen vertrieben.

Allerdings erkannte der Langhaarige sofort das etwas nicht in Ordnung sein konnte.

Die leichten Falten auf der Stirn des Blonden, waren tiefer als sonst und auch der abwesende Ausdruck, als wüsste der Vocal nicht einmal wo er sich befand, bereiteten dem Älteren Sorgen, weswegen er seinen Kaffee für den Moment bei Seite stellte, zu dem Vocal trat, als dessen schleppende Schritte vor dem Kühlschrank halt machten.

Der Braunäugige nutzte diese Möglichkeit, um eine Hand auf die Schulter des Kleineren zu legen, woraufhin der Kurzhaarige augenblicklich zusammen zuckte, ein seltener Anblick, denn normalerweise nahm Kyo seine Umgebung immer wahr.

Die logische Schlussfolgerung des Leaders daraufhin war, irgendetwas musste geschehen sein, dessen Ursprung und Ausmaß er noch nicht kannte, eine Tatsache, die geradezu danach verlangte, mit dem Sänger zu sprechen.
 

„Verdammt, willst du mich umbringen?“

Mit dieser Reaktion hatte Kaoru zwar nicht so schnell gerechnet, jedoch zeigte es ihm, das der Blonde aus seinen Gedanken erwacht war.

„Ich habe dich doch nicht etwa erschreckt?“

Nicht mehr als ein Knurren durchbrach die sonstige Stille in dem kleinen Zimmer, als Kyo sich von ihm abwand und sich stattdessen seinem ursprünglichen Ziel widmete.

Der Größere zuckte mit den Schultern, würde warten, bis der Sänger von der Milch, welche dieser soeben an sich genommen, getrunken hatte, ging derweilen zum Tisch zurück, um sich endlich seinen Kaffee zu gönnen.

Kaum hatte der Leader von dem schwarzen Gold gekostet, wurde die Tasse abermals verbannt, während er sich auf einen der Stühle setzte, seine Arme ineinander verschränkte und die Augen auf seinen Gegenüber legte, diesen beobachtete.

Der Kleinere hatte den Kühlschrank wieder geschlossen, lehnte nun gegen diesen, die Verpackung der Milch in seinen Händen drehend und den Blick gen Boden gerichtet.

Einen Herzschlag lang wurde diese erdrückende Ruhe nur durch das Heulen des Windes, welcher noch immer verzweifelt Zugang in die Wohnung des Violetthaarigen suchte, unterbrochen, ehe sich der Ältere leise räusperte.

„Hab ich was im Gesicht?“

Die Mundwinkel des Gitarristen zuckten leicht, auch wenn ihm nicht zum lächeln zu mute war, aber diese Aussage war so typisch für den Sänger, dass er nicht anders konnte, als zu schmunzeln.

„Nein, nicht dass ich etwas erkennen könnte.“

Wieder folgte nur ein missmutiger Laut, war sich Kaoru schon allein von der Körperhaltung des Anderen darüber bewusst, das diesem seine musternden Augen unangenehm waren.

Niemals würde Kyo dies freiwillig zugeben, eher gefror die Hölle zu Eis, bevor ihr Vocal sich irgendetwas anmerken ließ, doch dieser vergaß, wie lange der Violetthaarige ihn mittlerweile kannte.
 

Die Milchpackung wurde noch einmal von der rechten in die linke Hand gelegt, öffnete der Kurzhaarige den Tetrapack ein weiteres Mal, sich einen Schluck gönnend.

„Hast du nichts besseres zu tun, als mich anzustarren?“

„Nun ja, wie du siehst, habe ich eigentlich versucht zu arbeiten, aber so recht will mir dass nicht gelingen.“

Der Blonde ging nicht weiter auf diese Aussage ein, warf nur einen kurzen Blick auf den mit Songtexten, beladenen Tisch, ehe sich seine Augen wieder desinteressiert auf den Boden richteten, doch Kaoru wusste umzugehen mit dieser abwehrenden Handlung.

„Willst du mir nicht vielleicht irgendetwas sagen?“

Die Schultern des Kleineren zuckten.

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

Der Leader ließ sich durch das Verhalten seines Freundes nicht abweisen.

„Keine Spielchen Kyo. Vor zwei Jahren mochte es noch funktioniert haben, dass ich mich von dir habe täuschen lassen, aber mittlerweile weiß ich, wie ich deine Gesten zu verstehen habe oder willst du mir wirklich glauben machen, dass es für dich natürlich ist, dass du deine Umgebung nicht mehr wahr nimmst? Sage mir, wenn ich mich irre, aber es gibt doch sicherlich einen Grund, warum du vor wenigen Minuten noch zu abwesend warst, um zu bemerken wo du dich befindest und zu erkennen, dass du nicht alleine bist.“

„Schon gut, schon gut, erspar mir deine Moralpredigen.“

„In Ordnung. Sag mir was los ist.“
 

Der Vocal spannte sich für einen Moment an, atmete dann tief ein, ließ die Luft nur langsam wieder seinen Lungen entweichen, ehe er zu reden begann.

„Es... ich habe eine Nachricht von Shinya bekommen.“

Interessiert wanderte ein Augenbraue des Leaders nach oben, wartete er darauf, dass Kyo weiter sprechen würde.

„Er hat mir heute Nachmittag... nein, besser gestern, gegen viertel vier unserer Zeit eine Sms geschickt.“

„Und was hat er gesagt? Wie geht es ihm und Toshiya? Wann werden sie zurück kommen und wie wird es jetzt weiter gehen? Hat er schon eine Entscheidung gefällt und ist alles in...“

Ein Knurren des Sängers unterbrach den Langhaarigen in seinem Redeschwall.

„Willst du nun wissen was vorgefallen ist oder mich weiter mit Fragen löchern?“

Ein leicht genervter Ausdruck lag auf dem Gesicht des Blonden, als dieser seinen Blick auf ihn heftete.

„Entschuldige, sprich weiter.“

Dem Leader war es unangenehm, so aus seiner Rolle gefallen zu sein, war es eigentlich gar nicht seine Art, solch ein Verhalten an den Tag zu legen, doch die letzte Zeit hatte dermaßen an seinen Nerven gezehrt, war er um jede Nachricht ihrer beiden abtrünnigen dankbar.

Die abwehrende Mimik schwand und auch die nächsten Worte des Vocal zeugten davon, das dieser schlicht einfach selbst mit allem überfordert war, wichen auch die Augen wieder von den seinen um sich abermals dem Boden zu zuwenden.

„Schon in Ordnung... ich weiß, dass du dir auch nur Sorgen machst...“

Ein Seufzen löste sich von den Lippen des Blonden, schien es, als versuchte der Kleinere sich erst zu sammeln, die richtigen Worte zu finden, denn Kaoru wusste, dass es Kyo schon immer schwer gefallen war, über dass zu reden was ihn bedrückte, verarbeitete dieser seine Emotionen viel lieber in seinen Songtexten.

„Ich weiß nicht genau was ich dir erzählen soll, wir haben nicht viel miteinander geredet. Shin hat mich angeschrieben, weil er wissen wollte, ob ich in Ordnung bin. Ich war ein wenig überrascht, weil es keinen Grund für mich gibt weswegen sich der Kleine sorgen sollte, jedenfalls haben wir danach miteinander gesprochen.“

Der Leader wartete geduldig darauf, das sein Gegenüber weiter erzählen würde, aber nachdem dieser auch nach einer Minute noch immer schwieg, ergriff er selbst das Wort.

„Kyo, was hat er gesagt?“

Die dunklen Opale des Vocal suchten erneut die seinen, schienen eine Frage in sich zu tragen, doch wirkten sie unergründlich wie eh und je.

„Wenn jemand dir sagt, dass er Angst hat dich zu vergessen, dir ohne Worte, allein in seinem Handeln zeigt, das er leidet, du jedoch selbst nur unfähig daneben stehen kannst, was würdest du tun?“

„Warum fragst du mich das?“

„Antworte einfach.“

„Ich weiß es nicht, dass würde von der Situation abhängen. Aber was hat das mit Shinya zu tun?“

„Du kennst die Antwort bereits.“

Ein nachdenklicher Ausdruck zierte das Gesicht des Älteren, wusste dieser zuerst nichts mit dieser Aussage seines Freundes anzufangen, doch als er darüber nach dachte, kam die Erkenntnis, nickte er für sich selbst und seufzte leise.

„Ich verstehe, dann hat er auch dir nichts weiter gesagt, verlief euer Gespräch entgegen, dem was ich erhofft hatte.“

„Was hast du denn erwartet? Nur weil ich eine engere Verbindung zu ihm habe, sein bester Freund bin, vertraut er auch mir nicht alles an. Kaoru, du kennst Shinya, noch nie hat er sich eine Schwäche anmerken lassen oder darüber geredet. Er war der einzige von uns, der immer Stärke gezeigt hat, so ist es auch dieses Mal. Aber ich weiß... nein, ich bin mir sicher, das es etwas gibt, dass unseren Drummer schwer belastet, nur leider kann auch ich nicht sagen, was es ist. Eines jedoch ist gewiss, es hat nichts mit den Streitigkeiten zwischen Die und ihm zu tun, es ist etwas Anderes.“

„Ich weiß.“
 

Die Worte waren nur leise gesprochen worden, doch laut genug, das Kyo sie verstanden hatte, daraufhin seinen Leader mit einem intensiven Blick und einer hochgezogenen Augenbraue fixierte.

Der Ältere jedoch, starrte unentwegt auf das Porzellan in seiner Hand, analysierte die Tasse, als würde er sie Stück für Stück systematisch auseinander nehmen und anschließend wieder zusammen setzen wollen und dennoch spürte er die wachsamen Augen des Sängers auf sich ruhen.

Einen langen Moment, sprach keiner der beiden ein Wort, kehrte wieder diese bedrückende Ruhe in den kleinen Raum, ehe Kaoru sich rührte, abermals einen Schluck seines Kaffees zu sich nahm, dann das Gefäß wieder auf den Tisch abstellte.

„Ich habe keine Ahnung in wie weit Shinya mit dir über so etwas spricht, kann nur durch deine Reaktion darauf schließen, dass er dir gegenüber nichts erwähnt hat... ich habe in den letzten Wochen öfter mit ihm gesprochen. Das erste Mal, dass ich ihn beiseite genommen habe, ist schon eine Weile her. Ich denke du wirst dich erinnern, es war an dem Tag, als er mehr als dreimal aus dem takt gekommen ist.“

Der Blonde nickte.

„Ja. Es war vor etwa zwei Monaten. Ich weiß was damals geschehen ist, besonders deswegen, weil Toshiya und ich, deinen liebsten beruhigen mussten, der sich mächtig aufgeregt hatte, während du mit unserem Drummer nach draußen gegangen bist.“

„Die hat mir davon erzählt und auch ich habe noch eine weile auf ihn einreden müssen, aber zurück zu unserem Jüngsten. Natürlich war es meine Pflicht als Leader unserer Band nachzuhaken, warum er sich so oft verspielte und wie immer hat er sich nur entschuldigt, mir gesagt dass es nicht mehr vorkommen würde. Dies war an sich für mich in Ordnung und auch kein Problem, dennoch hatte ich das Gefühl, das Shinya schon länger nicht bei der Sache war. Ich wusste nicht, in wie fern es Totchi und Die aufgefallen war, bei dir war ich mir sicher, das du es bemerkt hattest, aber gerade wegen den anderen beiden wollte ich mit Shin alleine reden. Aber du kannst dir denken, er hat nichts gesagt, behauptet es wäre alles in Ordnung. Danach habe ich es zwar noch weitere male versucht, dennoch hat er wieder geschwiegen, bis ich aufgegeben habe. Ein schwerer fehler, den ich mir jetzt eingestehen muss, da ich hartnäckiger hätte sein müssen, schon allein weil ich der Älteste bin.“
 

„Und was hätte es dir gebracht? Glaubst du, dass ich nicht selbst oft genug bei ihm gewesen bin?“

Der Violetthaarige schüttelte den Kopf, ein deutliches Nein. „Ich war beinahe täglich bei ihm, hab nachgefragt, was los ist und immer wieder hat er behauptet, es wäre nichts. Ich bin sein bester Freund, also sollte ich doch eigentlich schon mehr Möglichkeiten haben, zu ihm durch zu dringen, aber auch mir gegenüber hat er eisern geschwiegen. Also, frage ich dich, oh Leader-sama, was hätte es dir gebracht, wenn du ihn weiter bedrängt hättest?“

„Wahrscheinlich hätte er sich nur noch mehr zurück gezogen.“

„Nicht nur wahrscheinlich, er hätte sich soweit von uns abgekapselt, dass er mit niemanden mehr geredet hätte.“

„Du hast recht Kyo, dennoch... ich werde das Gefühl nicht los, dass ich etwas hätte dagegen tun können. Dann wäre es erst gar nicht soweit, wie jetzt gekommen.“

„Hör auf dir Vorwürfe einzureden, dass hat doch keinen Sinn, denn du weißt so gut wie ich, dass es nichts gebracht hätte.“

„Ich bin mir dessen bewusst, deswegen weiß ich langsam nicht mehr was ich tun soll. Dieser ganze Mist wächst mir langsam über den Kopf.“

„Du redest nicht zufällig von unserem Management? Ich habe deine Gespräche mit Sato-san mitbekommen.“

„Ja, mir war klar, dass es einem von euch nicht entgehen würde, schließlich ruft er fast täglich an und immer wieder muss ich mir neue Ausreden einfallen lassen. Schlimm genug, dass ich ihm nicht mal sagen kann, warum Totchi und Shin in England geblieben sind. Deswegen wird es Zeit, dass sich endlich etwas ändert und deswegen werde ich selbst noch mal bei den beiden anrufen. Wenn ich schon hier nichts sinnvolles verrichten kann, dann will ich es eben anders versuchen.“

„Du meinst Die?“

„Wen denn sonst oder siehst du hier noch jemand anderen, der mir nur Kummer bereitet? Wenn ich wenigstens zu ihm durchdringen könnte.“

„Er streunt schon wieder durch die Straßen.“

“Ja, ich weiß und kann nichts dagegen tun. Er redet ja nicht mit mir, deswegen werde ich jetzt versuchen, mit unseren Jüngsten in Kontakt zu treten. Es wird Zeit, dass die beiden Nachhause kommen, vielleicht ändert sich dann auch endlich was bei uns und Die wird wieder normal.“

„Wenn du meinst, dass es einen Sinn hat. Ich werde dich nicht daran hindern, aber sei dir bewusst Kao, Shinya wird dir nichts sagen.“

„Das werden wir ja sehen.“

Kyo, welcher die Worte sehr wohl mitbekommen hatte, blickte seinen Leader für einen Moment lang mit einem skeptischen Gesichtsausdruck an, ging jedoch nicht weiter auf das Gesagte ein.

„Ich bin im Wohnzimmer, sollte irgendetwas sein.“
 

Der Leader nickte nur, hörte an den leisen Schritten, das Kyo die Küche verließ, während er zwischen den Stapeln an Papier nach seinem Handy suchte.

Er wusste, das es hier irgendwo sein musste, schleppte er es die ganze Zeit mit sich durch die Gegend, stand es schließlich selten still.

Ein triumphierender Laut entwich den Lippen des Violetthaarigen, nachdem er das mobile Gerät endlich gefunden hatte.

Er deaktivierte die Tastensperre und wunderte sich nicht zum ersten Mal darüber, das der Akku noch voll war, ehe er auf den Display starrte.

Kaoru hatte eine SMS bekommen, doch er ignorierte sie, wusste auch so schon, von wem sie war.

Stattdessen wählte er das Menü des Handys, um auf sein Telefonbuch zu kommen.

Gezielt gab er den ersten Buchstaben eines Namens ein, wartete darauf, dass ihm der komplette Name angezeigt wurde.

Kaum war dies geschehen, musste er nur noch auf den Telefonhörer tippen, würde dann die Nummer der angezeigten Person gewählt werden, allerdings verharrte der Langhaarige, atmete nochmals tief durch, ehe er den weiteren Schritt tat.

Der Gitarrist erhob sich, während er wartete, trat zum Fenster und öffnete dieses, ehe er sich wieder setzte.

Es klingelte, einmal, zweimal, dreimal und auch ein viertes Mal, ehe er hörte wie abgenommen wurde, die Stimme seines Gesprächspartners ertönte.
 

„Ja?“

„Hallo, Shinya. Wie geht es dir?“

„... Ich bin in Ordnung.“

Der Ältere seufzte leise, dass war so gar nicht dass, was er von dem Braunhaarigen hatte hören wollen und er wusste automatisch, es war gelogen. Dennoch blieb er ruhig, auch wenn es in seinem Inneren anders aussah, sich ein Sturm zusammen braute.

„Ich würde mich wirklich freuen, wenn du aufhören könntest, mich zu belügen.“

„Kaoru?“

„Ich mag nicht vor dir stehen, aber allein deine Stimme sagt mir, dass etwas nicht stimmen kann... dazu hätte ich vorhin nicht einmal Kyos Gesicht sehen müssen, nachdem er mit dir gesprochen hatte.“

„Was möchtest du denn hören?“

„Was hältst du von der Wahrheit?“

„Das kann ich nicht.“

Dieser eine Satz, brachte das Gewitter in dem Violetthaarigen zum Ausbruch.

Nicht nur das Shinya weiterhin beharrlich schwieg, ihnen scheinbar gar nicht vertraute, sondern sie, vor allem Kyo absichtlich verletzte, brachten das Fass zum überlaufen.

„Verdammt, Shinya! Hör auf damit! Du verletzt uns, Kyo... dein Schweigen treibt ihn in den Wahnsinn. Weißt du eigentlich, wie er leidet?“

„Das ist unfair.“

„Nein Shinya, du bist es!“

„Bitte... bitte verzeih mir... aber ich kann es einfach nicht... es ist zu gefährlich.“

Verzeihen, der Jüngere erwartete allen Ernstes, dass er es einfach weiter ignorierte, das der Braunhaarige sie und ihr Lebenswerk vernichtete. Dieser verdammte egoistische... der Leader fand keine Beschreibung, für das, was Shinya in diesem Moment für ihn war. Die Wut in ihm schnürte beinahe seine Kehle zu und er konnte die nächsten Worte nicht mehr verhindern, zu verblendet in seinem Zorn, um zu bemerken, wie Unrecht er seinem Freund tat und wie abwertend er jetzt reagierte.

„Wenn du in irgendetwas verwickelt bist, dann solltest du es endlich sagen! Ich werde nicht tolerieren, dass du die Band zerstörst!“

Kaoru wartete einige Atemzüge lang, doch niemand antwortete, etwas, dass ihn in seiner Rage noch mehr antrieb.

„Was ist los? Hat es dir die Sprache verschlagen, weil man endlich offen mit dir spricht, dir vor Augen führt, was du einem jeden Einzelnen von uns an tust?“

Wieder einige Sekunden lang wartete der Ältere... nichts, nur das leise Rauschen in der Leitung.

„Shinya? Verdammt, sag endlich was! Hörst du mir überhaupt noch zu? Shinya ich warne d...“

Mit einen mal verstummte der Ältere, konnte er ein schmerzvolles Keuchen an seine Ohren dringen hören, wartete, doch schweigen am anderen Ende.

„Shinya, warst du das? Ist alles in Ordnung? Sag etwas.“

Niemand antwortete ihm und er sprach einfach dass aus was ihm gerade durch den Kopf ging.

„Versuchst du es jetzt etwa auf die Mitleidstour?“

„Wohl kaum!“
 

Überrascht zuckte der Leader zusammen, als ihn diese Wörter trafen, in solch kalter Art und Weise gesprochen, dass es ihn fröstelte, als würde er draußen auf dem Balkon in mitten des Schneetreibens stehen, anstatt in seiner Küche zu sitzen.

Ein Brocken hatte sich in seinem Hals gefangen, welchen er erst einmal runterschlucken musste, ehe er wieder fähig dazu war, etwas zu sagen.

Es war nicht der Drummer gewesen, der dieses heftige Schauergefühl in ihm ausgelöst hatte, nein, er kannte jedoch die Stimme, welche er noch nie in einem solchen Ton gehört hatte.

„Toshiya, was ist mit Shinya ist er verletzt, dass war doch er den ich gehört habe?“

Das Telefonat lief nicht besser als zuvor, denn auch der Bassist hielt es wohl nicht von Nöten, ihm zu antworten, hörte er nur dessen, leises atmen.

„Toshiya verdammt noch mal, ich weiß, dass du noch dran bist! Wenn du schon nicht im Stande dazu bist, etwas zu sagen, dann gib mir Shinya! Ich will wissen was los ist bei euch!“

Der Gitarist unterdrückte stark den Drang, das Telefon in seiner Hand gegen die Wand zu werfen. Was viel dem Schwarzhaarigen eigentlich ein? Konnte dieser nicht verstehen, dass er sich sorgte und warum zum Teufel sagte dieser Mistkerl nichts?

„Hör zu. Ich warne d...“

„Ich werde ihn dir nicht geben!“

„Du elender Ignorant, ich mache mir Sorgen! Was fällt dir eigentlich ein, jetzt gib ihn mir endlich oder sag mir was los ist! Toshiya? Toshimasa Hara treib es nicht zu weit!“
 

„Sei nicht zornig auf ihn Kaoru... er will mich nur beschützen.“

„Shinya?“

„Was ist passiert? Warum hast du so gestöhnt, weswegen klingst du, als ob du Schmerzen hast?“

„Ich hatte einen Unfall.“

Die ganze angestaute Wut war mit einem Mal verflogen, nachdem er diese Worte vernommen hatte, nur noch die Sorge um seine Beiden Freunde überwog all den anderen Stress und Kummer, als auch die ungeklärten Fragen, die ihn bis zu diesem Zeitpunkt beschäftigt hatten.

„Wann?“

„Gestern Nacht.“

„Was ist passiert?“

„Toshiya wurde... angegriffen... ich habe mich verletzt, als ich ihm geholfen habe.“

„Wie schlimm ist es?“

„Eine Stichwunde am Unterarm... sie musste genäht werden.“

„Wie viel?“

„Einundzwanzig Stiche.“

„Ich möchte, dass ihr nach Hause zurück kommt.“

„Wir werden morgen fliegen.“

Aufgelegt, er hörte nur noch das regelmäßige tuten, welches ihm zeigte dass das Gespräch beendet war

Ein tiefes Seufzen löste sich von seinen Lippen und sein gesamter Oberkörper sackte in sich zusammen.

Erst jetzt, nachdem sein Kopf wieder klarer wurde, der Zorn und die Rage entgültig verflogen war, wurde er sich dessen bewusst, was er eigentlich getan hatte. Gott, wie hatte er sich nur so gehen lassen können?

„Verzeiht mir ihr beiden, ich habe mich zu sehr von meinen Gefühlen leiten lassen und die Beherrschung verloren. Ich hoffe nur, dass ihr wisst, dass ich es nicht ernst gemeint habe.“

„Denkst du nicht, dass diese Einsicht etwas zu spät kommt?“

Der Gitarrist blickte auf, traf auf den kühlen Blick des Sängers, welcher im Türrahmen stand, er hatte den Kleineren gar nicht kommen gehört.
 

~~~~~~~~~
 

...bitte, gib mir die Chance wenigstens einen Teil meiner Dummheit auszubügeln... ich habe nicht das Recht, es von dir zu verlangen, aber ich will, dass du weißt, dass es mir so sehr leid tut...
 

Diese Worte jagten Die, wieder und wieder, auch wenn er sie selbst ausgesprochen hatte, brannten sie in seiner Erinnerung, zwangen ihn, sie tausendfach nieder zu schreiben, auf jedes noch so winzige Stück Papier das er fand... sie ließen ihn nicht los... sie waren eine endlose, selbst auferlegte Tortur, die dem Gitarristen trotz allem zu gering erschien... noch ging es ihm viel zu gut, noch bereute er nicht tief genug.

Schnee fiel stumm vom Himmel herab, verwischte seine Fußspur, als wäre er nie an diesem Ort vorbei gekommen, niemand beachtete ihn, zusammengesunken innerhalb seines Mantels, unter welchen er das rote Haar versteckt hatte.

Seine Finger waren eiskalt, die Handschuhe hatte er mit voller Absicht zu Hause liegen gelassen und wenn er zurück ging, dann würde er sich im Schlafzimmer einschließen, seine Gitarre nehmen und auf ihr spielen, bis ihm die Schmerzen die Sinne raubten.

Wie hatte er das nur tun können?

Warum konnte sich sein Verstand nicht ein einziges Mal ein wenig früher melden?

Er hatte über all diese letzten Monate immer wieder Fehler gemacht, ohne sie zu sehen, verblendet von seiner Wut auf den Jüngeren, der ihm ab wies, als würde er derjenige sein, an den sich Shinya nur wenden würde, wenn alle anderen Optionen versiegt waren.

Doch eine absolute Parade der Ignoranz waren die vergangenen Wochen gewesen... explizit zwei Situationen, die Die in seinem Kopf 'Die Klippe' und 'Der Anruf' nannte – als würde er sein gesamtes Leben in Abschnitte einteilen können, die er dann mit Titeln wie bei einem schlechten, billig produzierten Film versehen konnte.

Der Weg vor ihm war dunkel, wenig einladend und selbst für einen Mann seiner Größe nicht ungefährlich, aber das war dem Gitarristen gleich, vielleicht hoffte etwas in ihm darauf, dass man ihn überfallen, ausrauben und zusammenschlagen würde, er konnte gar nicht beginnen, das Maß an körperlichen Schmerz zu sammeln, um dem ebenbürtig zu sein, was Shinya emotional empfinden musste.

Ein Schluchzen brach sich, doch er unterdrückte es, zwang sich zu einer absoluten Stille, ebenfalls ein Teil seiner Strafe, wenn er offen äußerte, wie sehr er in sich zerrissen war, dann würde er nur ein Feigling sein, der vor allem davon rannte.

Es hatte einige Tage gebraucht, um sich seiner Schuld vollkommen bewusst zu werden... begonnen hatte es erst auf ihrem Rückflug, doch selbst zu diesem Zeitpunkt hatte es der Rothaarige davon gewischt, als würde er sich etwas Lästigem entledigen müssen.

Damals war die Reue nur eine winzige Stimme in seinem Unterbewusstsein, eine leise Frage, die er sich stellte, ob seine Worte nicht zu harsch waren, doch über ihr lag sein Beschützerinstinkt – er hätte Kaoru töten können, verdammt! - und sein Zorn: Shinya würde die Verantwortung tragen, wenn ihre Band seinetwegen zerbrach, sich ihr Traum in nichts weiter als Rauchschwaden und Erinnerungen auflöste.
 

Später, als sie in ihrem Apartment ankamen, war seine Wut ungebremst, denn nun hatte sie auch noch Toshiya im Stich gelassen, war stattdessen bei dem Kleineren geblieben, um ihm sein Händchen zu halten - Die hatte es einfach nicht verstanden, warum waren sie noch immer alle so verdammt nachsichtig mit ihm!

Kyo hatte ihn den gesamten Flug über nicht eines Blickes gewürdigt, schien sich eingekerkert zu haben in seiner eigenen, kleinen Welt, in welcher er weder jemanden sehen, noch etwas registrieren wollte, doch das konnte ihm – Die – ja auch egal sein, vielleicht würden sie ja irgendwann einmal aufwachen und erkennen, dass er Recht hatte, dass es sie nicht weiter brachte, wenn sich der Drummer immer nur bei ihnen entschuldigte, aber nichts änderte.

Kaoru hatte sich beinahe sofort in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen, ohne Zweifel um darüber zu sinnieren, wie er die folgenden Telefonate handhaben sollte, die den Älteren nun erwarteten, denn selbst wenn er dem Management keine genauen Details mitteilte, irgendeinen Grund musste er ihnen schon nennen.

Und er selbst war währenddessen in einem Anfall von stummer Rage durch die weitläufige Wohnung gewandert, bis er sich auf die Taschen gestürzt hatte, einfach um seinen Händen etwas zu tun zu geben, dass nicht darin ausartete, dass er etwas zerstörte.

Kleidung wurde grob sortiert und in die Maschine verfrachtet, selbst wenn der Rothaarige wusste, dass es Mei nicht gerade glücklich stimmen würde, ihr Hausmädchen hatte da ihre eigene spezielle Methode, die Wäsche zu machen.

Kurz darauf räumte er die Hefter, Berichte und Akten weg, die Kaoru immer mit sich nahm und letzten Endes die Post, die sie bekommen hatten, die er einfach auf den Küchentisch beförderte, bevor er sich mit einem frustrieren Seufzen in den erstbesten Stuhl fallen ließ, nach dem ersten Brief angelte.

Ihr Leader hatte einfach alle Post eingesammelt die in irgendeiner Form in den Apartment vorhanden gewesen war, so handhabten sie es auf all ihren Reisen, schlicht weil der Violetthaarige am besten organisiert war und nun sortierte Die die Umschläge nach Namen – halbherzig, wie er zugeben musste – bis er den Namen 'Shinya' las, die einzelnen Buchstaben sanft und extrem sauber geführt.
 

Wenn man Die jetzt und im Nachhinein fragen würde, wie er es wagen konnte, so sehr in die Privatsphäre einer seiner Freunde einzugreifen, etwas zu lesen, dass nicht für ihn bestimmt war – das der Kleinere so offensichtlich verschlossen hatte – dann könnte er keine Antwort geben, doch er hatte es getan.

Der Gitarrist hatte den Brief aus der zugeklebten Schutzfolie genommen, das Kuvert mit einem Messer geöffnet und den Bogen auseinander gefaltet, der nicht an ihn gerichtet war.

Das Kaoru das Poltern des zu Boden fallenden Messers nicht gehört hatte, erstaunte ihn, nun, wo sich die Szene erneut vor seinem inneren Auge abspielte, wieder und wieder in einer endlosen Monotonie.

Es war ein so sanfter Text gewesen, der auf diesem tiefblauen Papier gestanden hatte... ein Songtext und auch wenn es einen Moment gedauert hatte, Die wusste woher er stammte.
 

So full of joy, you are a child of spring

With a beauty that is pure

An innosence endures
 

You flow right through me like a medicine

Bringing quiet to my soul

Without you I'm not whole [2]
 

Darunter hatte er Worte gelesen, die ihn bis in das Innerste seiner Seele erschüttert hatten, die ihm augenblicklich die Luft zum atmen nahmen... wie nur?

Wie konnte Shinya über so etwas schweigen, wie konnte er es so einfach in sich verbergen, allen sagen, dass er okay war, nur müde oder etwas angegriffen, weil seine jungen Nachbarn wieder die gesamte Nacht lang eine Party gefeiert hatten?

In diesen so elendig langen Minuten, die der Rothaarige nur auf den Brief starrte, fiel ihm jede einzelne Situation ein, in welchen Shinya ein Fehler unterlaufen war, in denen er abwesend gewirkt hatte, in einer Trance aus der man ihn wecken musste.

Die erinnerte sich an die dumpfen Augen, nach einer langen Nacht im Studio, er erinnerte sich an die Tage an denen der Drummer die Kleidung des Vortages trug, offensichtlich nicht zu Hause gewesen war... ihm fielen all diese Notenblätter ein, die Shinya in ihren kurzen Pausen füllte, Übungen, wie der Kleinere sie nannte.

Er rief all die Situationen zurück, in denen ihnen der Langhaarige abgesagt hatte.

Die schloss seine Augen und blendete alle anderen Gesichter aus, das Seufzen von Kaoru, den Schmerz von Toshiya und die schreiende Sorge von Kyo.

Nur Shinya.

Allein sein Gesicht.

Allein seine Augen, seine Mimik, seine Konturen.

Und er hasste sich dafür, dass er es nicht gesehen, seine Augen vor etwas so offensichtlichem verschlossen hatte.

Bei den Göttern, warum war ihm nicht aufgefallen, das der Kleinere wirkte, als würde er in Tränen ausbrechen, das seine kühle Stimme in Wahrheit bebte, wenn man sich nur darum scherte genau hinzuhören.

Die sanft geschlossenen Türen, die stille Präsenz des Langhaarigen, die man gut und gerne vergessen konnte – und der Rothaarige hatte es getan, in seiner verletzten Wut, weil er immer wieder abgewiesen worden war.

An einem kleinen zugefroren See stoppte der Gitarrist schließlich, ließ sich an seinem Ufer einfach in den Schnee fallen, die Knie an die Brust herangezogen und die Hände in den dichten Strähnen verborgen, derweil er auf das starre Wasser blickte, sich von seinen unzähligen Erinnerungen überschwemmen ließ, egal, wie sehr sie ihn auch schmerzten.
 

»Die Tür öffnete sich leise und obgleich die Nerven des Rothaarigen blank lagen, schob er sich letzten Endes doch in den Raum hinein.

Shinya und er hatten sich zum wiederholten Male gestritten und wie üblich waren sie beide zu stolz, um den ersten Schritt zu tun, auf den Anderen zu zugehen und um Verzeihung zu bitten und das er nun doch hier her zurückgekehrt war, lag an Kyo, der ihm vor seinem Apartment abgefangen hatte.

Von einem so engen Freund mit körperlicher Gewalt bedroht zu werden, war etwas wirklich gruseliges und sehr effektiv, denn der Blonde hatte nicht den geringsten Zweifel übrig gelassen, dass er seine heiser heraus gewürgten Worte in die Tat umsetzen würde, wenn Die – und er zitierte – seinen kleinen, knöchernen Arsch nicht sofort in Richtung des Studios schwang und sich Shinya zu Füßen warf.

Den letzten Teil des Befehls würde er missachten, der Drummer und er waren schließlich kein Liebespaar, doch eine simple Entschuldigung würde er des lieben Friedens Willen über die Lippen bekommen.

Doch kaum, dass er dem schmalen Mann gegenüberstand – welcher ihm abgewandt auf der anderen Seite des Raumes verweilte – war seine Kehle wie zugeschnürt, kehrte sein Starrsinn zurück, den er nach einem weiteren Moment einfach nieder trampelte, Herr Gott, wie schwer konnte das hier schon sein?

„Shinya?“

Der Angesprochene wirbelte herum, als hätte man ihm in den Rücken geschossen und sofort waren die Gesichtszüge versteinert, alle Mauern des Schutzes hochgezogen und die spitze Zunge zur Verteidigung bereit gestellt.

„Die.“
 

Okay, es konnte sehr schwer sein... noch nüchterner hätte wohl nur ein Pathologe seinen Namen ausgesprochen, doch der Rothaarige zwang sich zu einem wackligen Lächeln.

„Ich hatte gehofft, dass du noch hier sein würdest.“

Keine Antwort, nur ein sachtes Senken des Kopfes, derweil Die beobachten konnte, wie sich die Muskeln des Kleineren entspannten, wie als müsste dieser den direkten Befehl an eine jede Einzelne von ihnen geben.

„Ich möchte mit dir reden.“

Und Zack, alle Anspannung war wieder da, aber er ging auch darüber hinweg, ließ sich stattdessen auf die Couch nieder und forderte mit einem freundlichen Klopfen auf die Polster dazu auf, dass sich sein Freund – ja, verdammt, das war Shinya für ihn! - neben ihn sinken ließ.

Seiner stummen Bitte wurde nur langsam Folge geleistet und auch wenn er gerne einen Arm um den Drummer gelegt hätte, so viel wollte er seinem Glück nicht zumuten und so schwieg er einfach ein paar Minuten in denen sie nur zusammen saßen.

„Ich möchte mich für heute Nachmittag entschuldigen. Ich habe die Kontrolle verloren und überreagiert.“

Shinya sah ihn nicht einmal an.

„Akzeptiert.“

Die würgte an der eisigen Stille zwischen ihnen und an seinen nächsten Worten.

„Ich hätte deine Skizze nicht zerreißen dürfen.“

„Es ist geschehen und egal. Lass es uns einfach vergessen.“

„Shinya... warum machst du es mir so extrem schwer?“

Eigentlich hatte Die diese Frage nur denken wollen, doch nun war sie ihm doch heraus gerutscht, was prompt die Augen eines Habichts auf den Plan rief, als der Kleinere die Stirn in tiefe Falten legte.

„Könntest du dich vielleicht genauer erklären?“

Der Gitarrist wedelte mit den Armen, versuchte durch Worte, Mimik und Gestik seinen Standpunkt klar zu machen.

„Ich meine das alles hier! Wir sitzen hier nebeneinander als würden wir uns nicht kennen und führen ein Gespräch, dass kälter ist, als die, die ich mit der Dame meines Einkaufsladen führe.“

In den dunklen Augen des Kleineren blitze es, doch ob es Zorn war oder etwas anderes konnte der Ältere nicht erkennen, dazu war es zu schnell verschwunden.

„Du und ich haben momentan nicht gerade das, was man eine Basis nennen könnte.“

„Und du hilfst mir nicht dabei, das wieder zu ändern!“

Die wusste, dass dies der falsche Weg war, dass sein Temperament mit ihm über die Stränge schlug... doch seine Wut wurde im Grunde nur aus Verzweiflung geboren, zwischen ihm und dem Drummer entstanden immer größere Kluften und er wusste einfach nicht, wie er diese wieder beseitigen sollte.

„Warum sollte ich das, wenn jede meiner Reaktionen sofort mit deinem Unmut geahndet wird?“

„Ich würde doch nicht so reagieren, wenn du mir eine Chance einräumen würdest!“
 

Shinya schnaubte leise und für einen winzigen Moment glaubte der Rothaarige, dass dieser Laut einen anderen überdecken sollte, nichts weiter, als ein Versuch zu fliehen, wie auch die nächste Handlung, denn der Jüngere erhob sich, sprach ihm dem Rücken zugewandt.

„Vielleicht solltest du überlegen, warum das so ist und wann du mir das letzte Mal eine Chance eingeräumt hast.“

Ein, zwei Sekunden blieb der Größere einfach nur sprachlos zurück, Zeit in welcher Shinya wieder zu der anderen Seite des Raumes trat, dann war er mit langen Schritten bei dem Anderem, packte diesem am Arm, um ihn zu sich herum zu zerren.

Das Buch welches Shinya in den Händen gehalten hatte, fiel mit einem dumpfen Poltern auf den Boden.

Und dann fühlte sich Die in eine 'Slow-Motion' versetzt, ihrer beiden Blicke senkten sich, beide starrten sie auf die geöffneten Seiten und die in violett geschriebenen Worte.

Wieder einen Herzschlag später befand sich das kobaltblaue Buch in seinen Händen, hämmerte der Puls in seinem Hals und tobte ein Zorn durch Die, der alles Vorangegangene nichtig machte.

„Was ist das? Shinya, was ist das?!“

Die Finger des Gitarristen bebten, während er dem Anderen die Seiten quasi in den Bauch stieß, welcher nur kühl den Kopf abgewandt hielt.

Da keine Antwort kam starrte Die zurück auf die sauber geschriebenen Worte, sie alle waren in englisch und dem, was Kyo in seinen Anfällen der Rage aus seinem Inneren schrie in jeder Hinsicht ebenbürtig, er erkannte 'Zorn' und 'Rage', 'Verzweiflung' und 'Hoffnungslosigkeit', er las 'Ozean' und 'Tod', 'Mond' und 'Klingen'... dort stand die 'Seele' direkt neben 'schlachten', 'zerfetzen', 'weinen' und 'kreischen' glichen einer Spirale in dessen Kern stand, was Die wohl am meisten schockte: 'Nehmt mir meine Augen, damit ich nicht mehr sehen muss. Nehmt mir mein Gehör, damit ich endlich in Stille gehüllt sein kann. Nehmt mir meine Stimme, damit ich endlich schreien kann.'«
 

Shinya hatte ihm nicht auf seine Frage geantwortet, ihm nur das Buch weggenommen und sanft in seiner Tasche verwahrt, während Die um seinen Atem kämpfte, keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und als es ihm schließlich gelang, war der Jüngere verschwunden.

Eine halbe Stunde später hatte der Gitarrist vor der Tür seines Geliebten gestanden, erzählte was geschehen war, mit sich überschlagener Stimme und so wirr, dass Kaoru ihm nicht einmal im Ansatz folgen konnte, die generelle Botschaft aber verstand und sofort Kyo informierte, der, seinerseits in Panik versetzt, die Tür zu dem Apartment des Braunhaarigen eintrat, als dieser nicht öffnete.

Alles weitere waren Erinnerungen an Schreie, Tränen und Vorwürfe, Kaoru, dessen Stimme über all ihre hinweg donnerte, Shinya, der in einen Bademantel gekleidet auf der Couch saß, den Stoff zwischen den Händen gepackt, der Blick starr nach geradeaus gerichtet.

Diesen Verrat hatte der Drummer ihm nicht verziehen, dessen war sich der Rothaarige bewusst und vielleicht war dieses Wissen nur ein weiterer Stein der den Berg der Schuld auf seinen Schultern ausmachte.

Ihr schlechtes Verhältnis wurde nach diesem Zwischenfall katastrophal, Shinya sprach nur mit ihm, wenn es absolut notwendig war und blockte jegliches Thema welches außerhalb ihrer Musik lag ab.

Er hatte das Buch vor den Augen aller Anderen verbrannt, sie einzeln mit einem harten, undefinierbaren Blick bedacht und kühl gefragt, ob man die Worte nun vergessen würde können, dass sie nichts bedeuteten.

Niemand von ihnen hatte das gekonnt, aber sie hatten es fallen gelassen und all der Schmerz, die Sorge, die Verständnislosigkeit in Die ballte sich zusammen, solange, bis er den Kleineren zu verachten begann, ihm einen jeden seiner Fehler vorhielt, stichelte und ohne eine jede Rücksicht in Shinyas schmalen Rücken fiel.
 

Tränen lösten sich, glitten stumm über seinen frierenden Wangen, als der Rothaarige einen Zettel in seinen Fingern drehte, den er am Tag ihrer Abreise in seiner Manteltasche gefunden hatte, Zweifelsohne von Shinya, der ihm zwar keine direkten Worte geschrieben hatte, da er sich in eine Lyric geflüchtet hatte, doch die Aussage begriff Die nur allzu deutlich und nun las er sie erneut, jedes Wort für sich sprechend.

„Wir sind an einem Punkt an dem wir nicht zurückkehren können – und das Einzige, was wir auf dem gesamten Weg gelernt haben ist, wie wir uns gegenseitig verletzen können.[3]“

Gott, wenn er es doch nur wieder gut machen könnte!

Ein Schluchzen brach sich in seiner Kehle, als er sein Gesicht in seiner Hand verbarg, uninteressiert ob der schmale Zettel dabei zerknittern würde.

Er wollte nicht eine Minute länger mehr warten – er wollte Shinya in seine Arme nehmen und um Vergebung betteln.

Die Zeit zurückdrehen würde er nicht können... aber er konnte versuchen, seine Fehler wieder gut zu machen.

Noch immer weinend kam Die auf seine Beine, jeder Knochen schmerzte vor Kälte und an den Rändern seiner Augen verschwamm die Umgebung, ein Zeichen, dass es für heute reichte.

Die schleppenden Schritte zurück waren hart, schienen mit jeder Nacht schlimmer zu werden und als sich die kalten Finger des Rothaarigen um das Geländer legten, fiel dessen Kopf in den Nacken, die Brauen zusammengezogen, als er die Stimmen hörte, die sich in furiosen Zorn erhoben hatten. .

Hinter dem Fenster im zweiten Stockwerk konnte er Schatten und energische Bewegungen ausmachen, hörte etwas krachen und zerbrechen.

Stritten sich Kaoru und Kyo?
 

Er war sich nicht sicher, aber die innere Unruhe, dass es so sein könnte trieb ihn zur Eile an und so stolperte er die Treppen nach oben, schaffte es kaum, die Tür zu öffnen und als er schließlich in die Wohnung und somit in die Küche polterte, fielen seine Schlüssel von kraftlosen Fingern.

Sein Geliebter saß auf dem Küchenboden, wirkte benommen, die eine Wange deutlich gerötet, Kyo hingegen vibrierte in Rage, die Hände zu Fäusten geballt, inmitten eines Chaos von Noten, Lyric und Scherben, die aggressive Stimme nasal, heiser.

„Nimm deine Worte zurück!“

Keine Reaktion von dem am Boden Kauernden, zu welchem der Rothaarige nach einem Moment stürzte.

„Kaoru! Nimm deine Gott verdammten Worte zurück oder breche dir jeden Knochen einzeln!“

Die Stimme des Sängers donnerte wie ein Orkan und Die, in sein selbst ausgelöstes Gefühlschaos gestürzt, wurde innerhalb eines Momentes von diesem davon gerissen, als er nach oben schnellte und Kyo am Kragen gegen die nächste Wand drückte, seinerseits schnarrte.

„Zum Teufel, komm runter!“

„Runter kommen! Ich habe nicht einmal angefangen!“

Ohne eine jegliche Mühe befreite sich Kyo und eine Sekunde später fand sich auch Die am Boden wieder, ohne so recht zu wissen, wie er dahin gekommen war.

„Du kommst hier rein, ziehst deine Schlüsse, ohne das du eine Ahnung hast, was hier abgeht! Du siehst nur deinen Kaoru und denkst automatisch das der Andere schuld haben muss! Du hast nicht den blassesten Schimmer, was er hier abgezogen hat!“

„Dann erkläre es mir, verdammt!“

Nun war es der Leader der grollte, tief und dunkel, ein Raubtier, dass man versuchte einzufangen.

„Und du bist wohl die Unschuld in Person, nicht wahr? Alles was du einem vor die Füße wirfst ist vollkommen in Ordnung oder was!? Ich habe einen Fehler gemacht, ja! Aber ich trage nicht die alleinige Schuld!“

~~~~~~
 

“Ich weiß, dass ich falsch reagiert habe.”

Eine Augenbraue des Kleineren wanderte in die Höhe, ehe dieser die wenigen Schritte bis zu dem Tisch überbrückte, sich auf diesen stützte und sich zum ihm hinabbeugte.

„Vielleicht wäre Denken vorher angebracht gewesen. Wie du weißt, ist dein Kopf nicht nur zur Zierde deiner Schultern da.“

Die Aussage des Sängers war nicht gerade dass, was Kaoru jetzt hören wollte, er war es Leid und Müde, ob der ganzen Probleme die sie derzeit nicht loslassen wollten und Kyo machte es ihm mit seinen Vorwürfen nicht leichter.

„Hör zu, ich habe dir bereits gesagt, dass ich mich anders hätte Verhalten sollen, also. Denkst du nicht, dass mir das kühle Verhalten unseres Bassisten gereicht hat? Er hat mir deutlich genug gemacht, dass ich überreagiert habe. Du hättest ihn mal hören sollen, so kenne ich ihn gar nicht.“

Dass schon Toshiya ihn dermaßen unterkühlt behandelt hatte, schien den Jüngeren gar nicht erst zu interessieren, denn er holte bereits zum nächsten Seitenhieb aus.

„Ach nein, unser Bambi hat es geschafft, dir die Augen zu öffnen? Respekt, aber anscheinend hat dies nicht wirklich ausgereicht, schließlich hast du dich weiter aufgeführt wie ein wildgewordener Affe. Bist du dir überhaupt darüber bewusst, was du mit deinem Ausbruch angerichtet hast? Hast du eine Ahnung, wie es Shinya jetzt gehen wird und auch Toshiya?“

Der Leader konnte den Blonden ja auf der einen Seite verstehen, machte sich dieser auch nur Sorgen um seinen besten Freund, doch andererseits, war er nicht gewillt es damit auf sich beruhen zu lassen... schließlich hatte er eingesehen und dennoch war der Vocal nicht zufrieden, etwas, dass abermals Wut in ihn steigen ließ, was er jedoch noch weites gehend versuchte zu unterdrücken... der Gitarist hatte keine Lust sich jetzt auch noch mit seinem Gegenüber zu streiten.

„Verdammt noch mal, was willst du denn hören? Ich habe einen Fehler gemacht, es eingesehen und kann das Geschehene leider nicht mehr rückgängig machen. Sag mir Kyo, was verlangst du eigentlich von mir?“
 

Ein abfälliger Laut perlte über die Lippen des Blonden, glitt über in ein sarkastisches Lachen, bevor er ihm antwortete.

„Was ich von dir verlange? Nichts, denn wie du es selbst bereits gesagt hast, ist es jetzt mit der Reue sowieso schon zu spät. Du kennst Shinya selbst gut genug, um zu wissen was deine Worte angerichtet haben. Er ist stark, stärker als jeder von uns, aber auch er kann brechen, stürzt zuviel auf ihn ein. Dass ist es, was ich versuche dir klar zu machen. Keine noch so ehrlich gemeinte Entschuldigung reicht aus, um wieder gut zu machen, was du angerichtet hast.“

„Ach, schön dass zu hören. Bist du fertig?“

„Nein, noch nicht annähernd.“

„Kyo es reicht.“

„Der Meinung bist du Kaoru-sama...“ das letzte Wort hatte der Blonde dermaßen verachtend gesprochen, dass der Ältere leicht schlucken musste, doch zeigte er nicht, wie sehr der Sänger ihn verletzte, hörte stillschweigend zu, als dieser weiter sprach... „ aber ich bin noch lange nicht fertig.“

„Ach, danke für deine Anteilnahme, aber ich denke nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist für deine Predigten.“

„Das sagst du doch nur, weil du in deinem Stolz angekratzt bist. Du willst es nicht wahrhaben, dass ich Recht habe.“

Der Violetthaarige, bebte vor Zorn, war nahe daran zu explodieren.

Kyo glaubte also, ihm Vorwürfe machen zu müssen... gut, in Ordnung... er respektierte die Meinung des Sängers, doch würde er sogleich zum Gegenschlag ausholen, denn auch der Blonde hatte genügend Gründe, sich schuldig zu fühlen.
 

„Oh Kyo, der heilige Samariter, Retter in der Not. Du glaubst also wirklich, dass du mir Vorwürfe machen darfst, wenn du doch selbst mehr Dreck an den Schuhen kleben hast, als jeder Andere von uns?“

„Was willst du mir damit unterstellen? Nicht ich war es, der die beiden am Telefon dermaßen runter gemacht hat.“

„Nein, dass nicht... aber deine Schuld ist größer als die Worte, die ich in meiner Unachtsamkeit gesprochen habe.“

Die Augen des Blonden schienen ihn aufspießen zu wollen, dermaßen wütend funkelte in das tiefe Braun an.

„Ach, nun versuchen wir uns selbst zu retten, indem du mir die Schuld zu schiebst? Ist es das, oh Leader-sama?“

„Nein, so etwas habe ich nicht nötig. Es ist schlicht die Wahrheit dass...“ der Violetthaarige sprach nicht weiter, doch erhob sich aus seiner sitzenden Position, trat die wenigen Meter, welche sie trennten auf den Kleineren zu, blieb vor diesem stehen, die Lippen zu einem boshaften Lächeln verzogen, als alle Rationalität seinen Kopf verließ, er seine nächsten Worte dem Sänger geradezu entgegen spie. „... du versagt hast.“

„Was soll das heißen?“

„Ganz einfach, DU allein bist schuld daran, dass Shinya verletzt ist. Du, als sein bester Freund, der dafür hätte sorgen müssen, dass unser Drummer mit uns zurück kommt. Hättest du nicht versagt, wäre das alles nicht passiert.“

„Shinya ist verletzt?“

„Och das wussten wir noch nicht? Sollte sein „bester Freund“ so was nicht als Erster erfahren? Du meinst mich hier jetzt schlecht machen zu wollen, dabei bist du doch derjenige der nicht für Shinya da war. Dein geliebter Drummer, der ohne dich in London geblieben ist, weil du es nicht geschafft hast, ihn zu überzeugen mit uns zu kommen. Ja du, der sich hier als Gott aufspielt.“

Kyo glaubte nicht richtig zu hören, schüttelte den Kopf.

„Das ist nicht wahr und das weißt du.“

„Ach, weiß ich das? Sag mir Kyo, wenn es nicht der Wahrheit entspricht, warum treffen dich meine Worte dann so? Und versuche es erst gar nicht zu leugnen, ich sehe es dir an. Also, sag mir dass ich mich irre, überzeuge mich vom Gegenteil.“

„Verdammt noch mal, ist das ein Spiel? Bist du schon so tief gesunken?“

„Nein, nicht ich bin es, sondern du.“

„Nimm es zurück. Du weißt, dass es nicht stimmt.“

„Warum sollte ich? Nur weil du die Wahrheit nicht ertragen kannst?“

„Kaoru, ich warne dich...“

„So und jetzt willst du mir auch noch drohen? Gott, wie erbärmlich du doch bist, einfach...“

Der Langhaarige sollte die Worte nie zu Ende sprechen, denn ein harter Schlag am Kinn endete den begonnenen Satz augenblicklich und im nächsten Moment, fand sich der Leader Dir en greys auf dem Küchenboden wieder, eine Hand an die schmerzende Stelle in seinem Gesicht gelegt.

Sprachlos beobachtete er den Kleineren, wie dieser in seiner Wut den Tisch leer fegte und alles was sich darauf befunden hatte, mit einem Krachen auf dem Boden landete.

Einen Herzschlag später, wandte sich Kyo den restlichen Regalen zu, konnte Kaoru weiterhin nur dabei zu sehen, unfähig sich zu rühren.

Gläser, Stifte und eine Wasserflasche zerbrachen in Tausend Scherben, ehe der Blonde scheinbar zufrieden mit seiner Verwüstung, ein weiteres mal, schnaubend, dem Älteren Gegenüber trat.
 

Nur aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, wie eine weitere Person die Küche betrat, Die, sein Geliebter war zurück gekommen.

„Nimm deine Worte zurück!“

Kaoru reagierte nicht auf den Vocal, war noch immer zu beschäftigt mit dem pochenden Schmerz in seinem Kiefer, als dass er auf andere Dinge achten würde, nur, dass der Rothaarige neben ihm auftauchte, registrierte er.

„Kaoru! Nimm deine Gott verdammten Worte zurück oder breche dir jeden Knochen einzeln!“

Noch immer ignorierte Kaoru den kleinen Sänger, welcher seine Hände zu Fäusten geballt vor ihm stand, ihm Blicke schenkte, die jedem anderen das Blut in den Adern hätten gefrieren lassen und einen Bruchteil später, sah er den zweiten Gitaristen, wie dieser den Jüngeren am Kragen gepackt gegen die nächste Wand drückte.

„Zum Teufel, komm runter!“

„Runter kommen! Ich habe nicht einmal angefangen!“

Der Violetthaarige konnte nur zusehen, als Kyo sich im nächsten Moment aus dem Griff des Älteren befreite, auch diesem einen Kinnhaken verpasste, welchen den Größeren neben ihn zu Boden beförderte, er selbst sich augenblicklich zu diesem wand, um zu sehen, wie hart der Sänger getroffen hatte.

„Du kommst hier rein, ziehst deine Schlüsse, ohne das du eine Ahnung hast, was hier abgeht! Du siehst nur deinen Kaoru und denkst automatisch das der andere Schuld haben muss! Du hast nicht den blassesten Schimmer, was er hier abgezogen hat!“

„Dann erkläre es mir, verdammt!“

Ein tiefes Grollen löste sich aus dem Rachen des Leaders, er war nicht weiter gewillt, dem Blonden länger zuzuhören. Was glaubte dieser eigentlich, wer er war?

„Und du bist wohl die Unschuld in Person, nicht wahr? Alles was du einem vor die Füße wirfst ist vollkommen in Ordnung oder was!? Ich habe einen Fehler gemacht, ja! Aber ich trage nicht die alleinige Schuld!“

“Du verdammter...“

„Scheiße noch mal, hört endlich auf! Hört ihr euch eigentlich noch selber reden? Was ist in euch gefahren? Was ist passiert, dass ihr euch so dermaßen versucht fertig zu machen? Ich erkenne euch nicht wieder! Bitte hört auf, was ist nur geschehen? Was?“

Die schien mit der Situation überfordert, konnte Kaoru erkennen, wie dieser langsam anfing zu beben, dann immer heftiger, dessen Leib zitterte und genau jetzt, in diesem Moment, verflog all die Wut und Rage, die er bis eben noch in sich gefühlt hatte, als er seinen Geliebten so nervlich am Ende neben sich sitzen sah.

Bei Gott, was hatten Sie nur getan?

Wie hatten sie sich dermaßen in ihrer Wut verlieren können?

Kaoru schüttelte über sich selbst den Kopf, verstand es nicht und es kostete ihn einiges an Überwindung erneut die Augen ihres Sängers zu suchen, welcher wie steifgefroren vor ihnen stand.
 

~~~~~~~~
 

Alles in ihm schrie, laut, so ohrenbetäubend laut, kreischende Stimmen der Wut, eine von ihnen heftiger als die nächste, bis er das Gefühl hatte, dass sie aus seinem Kopf herausbrechen wollten, so sehr schmerzten sie ihn, nagten an den Knochen seines Schädels.

Immer wieder zuckten seine Finger leicht und würde er die eiserne Kontrolle verlieren, die er aus den Tiefen seines Seins hervorgezehrt hatte, dann würde er sich so lange schlagen, kratzen und verletzen, bis er die Besinnung oder den Verstand verlor.

Die Worte des Größeren hatten solch tiefe Wunden gerissen, waren wie Messer, mit welchen man ihn schnitt, sadistisch frohlockte, je mehr Blut hervor brach, je mehr er sich hilflos in den Gefühlen wälzte, die ihm seine Seele herausrissen.

Er war Schuld, Schuld, Schuld...

Für einige erstickend lange Momente, donnerten nur diese Worte durch seinen Geist, machten ihm glauben, dass sie wahr waren, doch gleichzeitig prügelte der Zorn auf ihn ein, tat das Gesagte als lächerlich ab, eine Lüge, die an den Haaren herbei gezogen war.

Kyo war wütend, so verdammt außer sich, er konnte kaum mehr etwas sehen, sein Blick schien sich auf einen winzigen Fokus zu minimieren, die Worte die Kaoru sprach gestochen scharf - sie waren noch immer giftig, abweisend und von schneidender Schärfe – Dies Stimme hingegen hörte er fast gar nicht, er drehte nicht einmal den Kopf in die Richtung des Anderen, nahm dessen Bewegungen nur aus dem Augenwinkel wahr.

Selbst seine eigene Stimme – dies verzerrte, unmenschliche Fauchen war nicht mehr als ein Rauschen in seinen Ohren, Kyo wusste nicht genau, was er da eigentlich sagte, mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendeine Beleidigung, wie tief diese unter der Gürtellinie landete, war ihm herzlich egal.

Der Sänger tat einen Schritt nach vorn, dass spürte er anhand der Scherben, die durch seine Socken drangen und ihm in die Füße schnitten, er war sich auch vage bewusst, dass er noch immer die Lippen bewegte, ohne zu wissen, ob hinter den Lauten eine tatsächliche Stimme war.

Kaoru starrte vom Boden zu ihm herauf, die Augen fast schwarz in dem jämmerlich schlechten Licht, dass durch die Scheiben drang, die Wange würde mit Sicherheit blau werden, schon jetzt sah man die ersten Anzeichen und doch unternahm der Leader nichts dagegen, wartete einfach ab, während der Abstand zwischen ihnen immer geringer wurde.
 

Einen Herzschlag später brach Kyo vor seinem Freund in die Knie, schlang die Arme mit einer erdrückenden Kraft um dessen Hals, die Augen fest geschlossen, das Gesicht eng gegen die Halsbeuge des Größeren gepresst.

„Sag, das es nicht wahr ist, sag, das dass nicht wahr ist...“

Die gleichen Worte die er auch in seiner Wut heraus gespieen hatte, doch nun waren sie ein gebrochenes Flehen, Kyo wusste nicht wohin all diese Rage verschwunden war, es war ihm auch egal, er brauchte nur eine Bestätigung von Kaoru, dass nicht er es gewesen war, dass es nicht seine Schuld war, dass Shinya nun verletzt und soweit von ihnen entfernt war.

Unter seinen Händen fühlte er den Leader beben, wahrscheinlich war dieser hoffnungslos überfordert, doch der Blonde konnte sich nicht helfen, er fühlte sich so leer und allein, stand sich mit seinen Reaktionen im eigenen Weg, ohne zu sehen, dass er eben dies tat.

Es war so leicht die ganzen belastenden Gefühle auf jemand Anderen abzuwälzen, all das, was weh tat in Ablehnung und Wut zu packen, aber die Konsequenzen waren so viel grausamer und sie brachten eine Schuld mit sich, der Kyo nicht entfliehen würde können.

Neben ihnen schluchzte Die, Gott, er hatte den Rothaarigen einfach vergessen und nun streckte er blind eine zitternde Hand aus, tastete nach den Fingern des Langhaarigen, bis er sie fand, den zweiten Gitarristen so an sich heran zog.

Die bebte am ganzen Leib, schien – wie auch er selber – nicht genügend Nähe zu den Anderen zu haben, presste sich dermaßen heftig gegen Kaoru und gleichzeitig ihn, dass der Leader nach hinten in den Schrank gepresst wurde.

In Kyos Seele brannte ein Schluchzen, doch er hielt es gefangen, verkrampfte seine freie Hand in dem Oberteil des Ältesten, fühlte, dass es der Rothaarige ihm gleich tat und dann saßen sie alle nur auf den Boden, rangen um Atem, bis sich leise Worte von den Lippen des ersten Gitarristen brachen.

„Du... bist nicht Schuld daran, das Shinya in England geblieben ist, Kyo.“

„Oh Gott...“

Der Vocal konnte kaum glauben, dass ihm diese Worte entflohen, sie waren... nicht er, entzogen sich jeder Definition, die er jemals gelernt hatte und schreckten ihn auf einem gänzlich anderen Level und nicht nur ihn, denn Kaoru – welcher inzwischen beiden Arme um sie geschlungen hatte, sie nun aus eigener Kraft noch näher zog – schluchzte heiser, begann zu weinen, unendlich stumm, nicht einmal der Atem wurde vollständig freigelassen.

„Es tut mir so leid, so leid.... ich weiß nicht, was in mich gefahren ist... ich war nur so verdammt zornig, weil du sie angeschrienen hast.“
 

Der Kurzhaarige blickte nicht einmal auf, als er die Worte murmelte, auch er weinte, so absolut erniedrigend, seine Würde sah ihn nicht einmal mehr mit der kalten Schulter an und das Biest seines Stolzes verkroch sich unter dem Küchentisch und legte sich die hässlichen Pfoten über die Augen.

„Mir tut es auch leid... ich hätte nicht sagen dürfen, dass du die Schuld an Shinyas Verletzung trägst...“

Kaoru rieb die Wange an dem Kopf des Vocal, eine Berührung, die instinktiv geschah, in den Wurzeln seiner Kindheit lag und welche dem Kleineren ein wenig Trost spenden sollte.

„Shinya... ist verletzt?“

Ein kaum zu vernehmendes Wispern, als sich Die ein Stück weit von ihnen löste, braune Augen voll von Tränen, die blasse Haut ungesund fahl, was durch die bebenden Lippen noch unterstützt wurde, als der Rothaarige ein Stück rückwärts rutschte, was der Älteste mit einem sanften Ruck verhinderte.

„Nicht... du wirst dich verletzen.“

Mit einem unsicheren Blick wand der Gitarrist seinen Kopf in die Richtung, in welche sein Geliebter zuvor mit einem Nicken gedeutet hatte, dann öffnete sich sein Mund in einem kleinen, atemlosen 'O', denn um ein Haar wäre er in den Haufen an Scherben geraten.

„Lasst uns ins Wohnzimmer gehen. Kyo, ich will mir deinen Fuß ansehen.“

Der Violetthaarige war der Erste, welcher sich mühselig erhob, mit nach vorn gesunkenen Schultern stand, um den Anderen aufzuhelfen, Die wehrte ab, als auch er stand, wollte, dass sich Kaoru um den Sänger kümmerte, doch dieser war noch damit beschäftigt, zu begreifen, warum der Größere seinen Fuß ansehen wollte, bis die Erinnerungen zurück kamen und mit ihnen natürlich auch prompt der Schmerz.
 

Das Licht ihm Wohnzimmer war gedämpft, sie alle würden etwas grelleres nun nicht vertragen und derweil sich der Rothaarige auf der Couch in einer der Ecken zusammenrollte, eine Decke um die Schultern, saß Kaoru auf dem Boden, Kyo auf dem Sessel vor ihm.

„Ich denke... ich sollte ganz von vorn beginnen, meine Sicht der Dinge zu schildern. Kyo... wird einspringen, wenn ich nicht in der Lage bin die Lücken vollständig zu füllen. Ist das okay?“

Ein Nicken von den beiden anderen Männern, doch der Blonde würde sich seinem Leader nun sowieso zu Füßen werfen... warum war er ihm nicht früher aufgefallen, dieser erdrückende Schmerz, welcher in jeder der langsamen Bewegungen lag?

Sein Blick war auf die feinen Hände fokussiert, die behutsam die Socke von seinem Fuß schälten, dann verharrten, derweil Kaoru die Wunde betrachtete und anschließend sacht weiter arbeitete.

Erschöpfung steckte in jeder einzelnen, gottverdammten Zelle seines Körpers, doch wie sehr sein Leib auch drängte, sein Geist konnte sich nicht beruhigen, schlich umher, wie ein gefesseltes, aufgebrachtes Tier, immer wieder leise grollend.

Zur Hölle... es würde eine lange Nacht werden.
 

End – Desolate
 

[1] Dir en grey – Undecided

we won't be seperated I don't want us to be seperated, but

your words pierce deeply through my heart don't you see?

we won't be seperated I don't want us to be seperated, but

the waves erase your footsteps again, one by one

(für die Richtigkeit der Übersetzung übernehmen wir keine Gewähr.)

[2] Hyde – Evergreen

[3] BSB – Something that I already know



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2008-05-15T16:12:19+00:00 15.05.2008 18:12
Jetzt wird erst erkennbar, wie sehr auch die restlichen Dirus
leiden, jeder für sich und doch auch zusammen, bis auf Die,
der schottet sich ab, was ich als nicht sehr gut empfinde...v_v
Kyo leidet und da kann man es ihm noch nicht
einmal verdenken, was er für Gedankengänge hat...
Wie sagt man doch gleich?
"Tränen sind Fenster der Seele"
So kann Shin seine Seele etwas erleichtern, wenn es auch nicht viel ist...
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Shinya und Kyo mehr als "nur" gute Freundschaft verbindet...
Seelenverwandt, würde ich den beiden nachsagen...
Das solche Situationen Kaoru dunkle Augenringe beschert, wundert mich gar nicht...
Kein Wunder das Kaoru ausrastet und so reagiert...
Wenn aber auch niemand was sagt und auf ihm ja eigentlich alles lastet,
dann darf man auch Mal ausrasten, auch wenn der Moment am Telefon,
nicht der Beste war...
Einsicht kommt nie zu spät...

Die öffnet einfach so einen Brief, der Shin gehört?
Das macht man doch nicht...

Also hier wird auch einmal mehr klar, wie eigentlich jeder einzelne aus
der Band, die eigene Hilflosigkeit, Shinya gegenüber stehend, verarbeitet.

Kyo in Sorge um seinen engsten Freund, sich sogar mit Die und Kyo "kloppend"
"Gehör" und Aufmerksamkeit verschaffend...

Die fast in Selbstmitleid verfallend, dafür aber seinen Stolz brechend...

Tja und Kao inmitten des Chaos, versuchend nicht unter zu gehen, was ihm
aber nicht so wirklich gelingen will...
*wenn ich ihn so auf dem Küchenboden neben Die sitzen sehe*
Obwohl er ja doch den Durchblick behalten möchte, aber wie wird Kyo auf weitere Worte von
Kao reagieren, wenn er seine Worte weiterhin in den vor ihm stehenden Vulkan, Namens Kyo,
wirft?

OK...jetzt denke ich das haben die drei gebraucht...V_V
Erst sich vor Hilflosigkeit gegenseitig fertig machend und sich anschließend heulend in den Armen liegen...
Nun scheinen die drei ja so langsam "vernünftig" zu werden...
Das es für alle nicht einfach ist, ist schon klar, aber reden und weinen ist ja wohl immer
noch besser als zu prügeln...

Jetzt kann man gemeinsam nach Lösungen suchen...was bestimmt auch noch besser klappen wird,
wenn erst einmal Shinya und Toshiya wieder zurück sind.

Wieder ein sehr gefühlsbetontes Kapitel...
Einfach nur toll!!!

Ich freu mich schon auf das nächste Kappi...


Lieben Gruß
Aya-chan60 ^__^








Von: abgemeldet
2008-05-09T10:06:03+00:00 09.05.2008 12:06
Bin noch hin und hergerissen, jetzt habe ich alle Kapitel gelesen und bin irgendwie enttäuscht, würde gerne wissen wie es weitergeht und wer weiß wann das nächste Kapitel kommt (OK außer euch *g*)..

Hat mir sehr gut gefallen, die Sicht mal aus der Perspektive von Die, Kaoru und Kyo zu lesen. Der Streit musste einfach mal sein, damit sie miteinander richtig reden konnten. Diesen Brief den Die gefunden hat, ist wohl einer dieser Stalkerbriefe, dann weiß er ja was mit Shinya ist und warum er so reagierte. Hat er seinen Freunden noch nichts davon erzählt?
Hach ich kann das nächste Kapitel gar nicht abwarten und hoffe wirklich das Shinya sich nichts antut!!! Das er und Toshiya wieder nach Japan reisen zusammen.
Bitte bitte schreibt bald weiter!!!
Wie immer ein mitreissendes Kapitel ^^
Rowan
Von: abgemeldet
2008-05-01T22:55:06+00:00 02.05.2008 00:55
o.o
Das ist.. übel...

Aber es ist gut, mal zu sehen, was bei den anderen drei abgeht.. xD

Gefühle, Gefühle... wer hätte das von den 'Eisbrocken' Kaoru und Kyo gedacht?
Tolles Kapitel, schnell weiterschreiben~
Bitte~
*knuff*
Von:  KatzeMorle
2008-05-01T19:45:51+00:00 01.05.2008 21:45
Wow so viele tolle Kapitel auf einmal.
Ich bin von jedem einzelnen begeistert. Dieses ist ganz besonders gut weil es jetzt auch mal die Seite von Die, Kaoru und Kyo zeigt.
Macht weiter so, bitte auch in dem Tempo.
Von:  UmbrellaXD
2008-05-01T16:18:56+00:00 01.05.2008 18:18
Q____________________Q


...endlcih action XDDD

Nein, ist echt toll... wie jedes mal XDDD
Ich hab das gefühl ich schrieb jedes mal das gleiche >.<

Aber diese Gefühlsausbrüche am Ende... ach eigentlcih in dem ganzen Chap waren ganz toll ;_________;
+schniff+

Ich kan das nächste Kapitel schon kaum erwarten XD Aber cih glaube, diesmal muss cih wieder warten XDDD


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