Together through timeless justice von Daelis ================================================================================ Kapitel 6: Nicht wie geplant ---------------------------- „Schon wieder? Was wollen diese Aasgeier nur immer hier?“, war das Erste an diesem Morgen, das ich von meinen Kollegen hörte. Mit erhobener Hand grüßte ich still in die Runde, um die Unterhaltung nicht zu stören. Himeno, die Chemielehrerin hatte die Arme verschränkt und starrte grimmig zu Hizashi, der kaum weniger genervt dreinsah. „Bad Media. Du weißt doch, wie die sind“, meinte er abfällig. „Was ist denn los?“, wandte ich mich flüsternd an Nemuri, die ein Stück abseits stand. „Die Presse belagert mal wieder das Fronttor“, erklärte sie mir leise und seufzte dann. „Das kommt häufiger vor, aber dieses Mal ist es besonders schlimm. Dass der berühmteste aller Helden, All Might, nun hier unterrichtet, sorgt für allerlei Furore. Es würde mich nicht wundern, wenn es draußen schon wild hergeht, weil jeder ein Interview mit ihm möchte“, fuhr sie fort, nickte dann aber in Richtung Fenster. Fragend hob ich eine Braue, doch da hörte ich schon Hizashi, der unsere Unterhaltung wohl mitbekommen hatte. „Aasgeier, sag ich doch“, zischte er mit Blick zum Fenster, an das ich nun herantrat, um mir selbst einen Überblick zu verschaffen. Das erwies sich als ziemlich leicht, denn von hier aus hatte man eine hervorragende Sicht auf das Eingangsportal, an dem sich gute zwei Dutzend Reporter drängelten. Daran musste man sich wohl gewöhnen, wenn man mit so vielen bekannten Profi-Helden zusammenarbeitete, wie ich es nun tat. Zum Glück interessierte sich die Presse nicht für Archäologen. Dieser Presserummel war nur ein Grund mehr, wieso das Leben als Superheld absolut nichts für mich gewesen wäre. „Hast du denn gar nichts mitbekommen? Sie sind schon in aller Frühe hier aufgelaufen“, ließ mich Nemuris Stimme meinen Blick wieder von den Reportern abwenden. Fragend blickte ich zu meiner Kollegin und schüttelte den Kopf. „Nein, überhaupt nicht“, gab ich unumwunden zu. „Ich war heute Morgen auf der Ausgrabung“, erklärte ich schulterzuckend. „Ah, das neue Gebäude. Ich habe davon gehört. Und? Schon was gefunden?“, schmunzelte Nemuri, wohl nicht ahnend, dass sie mit dieser Bemerkung bei mir offene Türen einrannte. „Ja und es ist wunderschön!“, ereiferte ich mich enthusiastisch. „Ich habe einige Tonscherben einer Kanope gefunden, die sich sehr wahrscheinlich in der der 9. Dynastie einordnen lassen. Eine genaue Analyse muss natürlich im Labor vorgenommen werden, doch die Vermutung liegt angesichts der Nähe zum Fundort der Helden-Tafel nahe, dass die Tafel entweder zu Zeiten Sethos‘ I. oder Ramses II.“, plauderte ich munter weiter. „Kanopen dieser Qualität müssten zu einem sehr bedeutenden Grab gehören. Es ist also gut möglich, dass es nicht allzu weit entfernt liegt.“ Nemuris Grinsen wurde breiter, was mich nur umso mehr dazu verführte, weiterzuerzählen. „Mit etwas Glück finden wir auch die anderen Kanopen des Sets. Nicht auszudenken, wenn man sie intakt finden könnte.“ „Ist das denn wahrscheinlich?“, unterbrach Nemuri mich kichernd. Was war denn daran so lustig? Ich fand das Ganze eher unglaublich aufregend. „Nein, leider nicht“, seufzte ich entmutigt, „eher im Gegenteil. Wenn die Kanope sich außerhalb des Grabes befand, hat sie vermutlich ein Grabräuber aus dem Grab mitgenommen. Das ist nicht unüblich. Die allermeisten bedeutsamen Gräber wurden bereits vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden geplündert.“ „Was ist überhaupt eine Kanope?“ Entgeistert sah ich Nemuri an. „Du weißt nicht, was eine Kanope ist?“, rutschte mir die Frage heraus, ehe ich darüber nachdenken konnte. Entschuldigend grinsend zuckte die Profiheldin mit den Schultern. Noch während ich vollauf damit beschäftigt war, Nemuri nicht nur zu erklären, was eine Kanope war, sondern auch, welch immense Bedeutung sie für die Begräbnisriten der alten Ägypter hatten, tröpfelten nach und nach auch die anderen Lehrer ins Lehrerzimmer, pünktlich zum Ende der ersten Doppelstunde. Irgendjemand hatte sich auch etwas aus der Cafeteria geholt, dem Geruch nach geschmolzenem Käse nach zu urteilen. Doch nicht einmal der war verführerisch genug, um mich vom Thema ablenken zu können. Wenn ich nicht gerade einen meiner ehemaligen Kollegen aus Ägypten am Telefon hatte, hatte ich ja sonst hier niemanden, den ich zum Thema Ägypten vollblubbern konnte. „Du liebst dieses Land wirklich, oder?“, meinte Nemuri unvermittelt und ließ mich damit innehalten. Verdattert nickte ich. „Ja, natürlich. Ägypten ist... na ja... Seine Kultur hat mich schon als kleines Mädchen fasziniert. Es ist voller Wunder, voller Geheimnisse und unglaublicher Geschichten!“ Wie von selbst war ich wieder in meine Begeisterung verfallen und erntete von Nemuri ein unverhohlenes Kichern. Gerade, als sie sich anschickte, etwas zu sagen, schob sich Nezu durch die Tür herein, was ein allgemeines Begrüßungsgemurmel nach sich zog. „Hallo. Schön, dass alle hier sind. Was ich zu sagen habe, sollten besser alle hören“, ergriff Nezu das Wort. „Ab heute beginnen unsere neuen Vertrauenslehrer offiziell mit ihrer Arbeit, die natürlich auch unseren Schülern vorgestellt wird. Bitte erinnert unsere Studenten daran, dass wir für sie da sind und ihnen bei ihren Problemen beistehen. Die freien Termine unserer Vertrauenslehrer können sowohl im Sekretariat als auch online einseh- und buchbar. Selbstverständlich werden alle Gespräche vertraulich behandelt.“ Nezus Lächeln ließ mich schaudern. Er verkaufte diese Sache, als wäre es von langer Hand geplant gewesen. „Offenbar haben die ersten Schüler sogar schon von eurer Einsetzung gehört“, plauderte der Direktor munter weiter, während sein Blick erst zu All Might glitt, dann zu mir. „Der erste Schüler hat sich sogar schon entschieden, sich dir anzuvertrauen, Daelis.“ Ach, echt? Etwas ungläubig sah ich den Direktor an, der mir aufmunternd zunickte. „Du findest die Login-Daten in deinem E-Mail-Fach“, merkte Nezu noch an, ehe er sich Aizawa zuwandte, der dem Direktor etwas zuraunte, das ich nicht hören konnte. Da ich noch eine Freistunde hatte, steuerte ich direkt das Vertrauenslehrerbüro an. Wieso hatte ich das Gefühl, dass vielleicht niemand zum Termin käme? Teenager waren wirklich nicht gerade dafür bekannt, dass sie sofort bereut waren, darüber zu sprechen, was sie bewegte. Ganz davon abgesehen, dass ich sowieso damit gerechnet hätte, dass die meisten Studenten sich viel lieber an ihr Idol wenden wollten als an eine quirklose Geschichtslehrerin. Vielleicht hatte ich mich damit geirrt. Umso neugieriger war ich, wen ich heute beraten sollte. Mit dem Namen, den ich dann jedoch im Kalender sah, hatte ich wirklich nicht gerechnet. Neito Monoma. Ausgerechnet Neito! Dem Jungen mangelte es ja nun wirklich nicht an einem gesunden Ego oder Selbstsicherheit, eher im Gegenteil. So wie ich ihn bisher kennengelernt hatte, fiel es mir wirklich schwer, zu erraten, welche Probleme Neito mit sich herumtrug. Womöglich überraschte er mich und erwies sich hinter seiner egozentrischen Maskerade als sensibler, einsamer Junge? Nachdenklich rief ich seine Schülerakte auf und überflog diese. Wirklich schlauer fühlte ich mich nach meiner Lektüre allerdings auch nicht. Ein unauffälliger Teenager mit einem unauffälligen Leben, soweit man das denn behaupten konnte. Wenn er jedoch zu mir kam, würde es wohl kaum um seinen Quirk gehen, sondern eher um etwas persönliches. Zumindest nahm ich das an. Bei Heldenfragen hätte Neito sicherlich All Might sprechen wollen. Mir blieb also nichts, als einfach abzuwarten, was mir der Junge erzählte. Dass er tatsächlich auf die Minute genau anklopfte, überraschte mich letztlich aber doch. Bis zuletzt war ich mir nicht sicher gewesen, ob er es sich nicht überlegen und fernbleiben würde. Als er eintrat, erhob ich mich, um ihn zu begrüßen. „Hallo Monoma-san. Bitte, setz dich doch“, lud ich ihn mit dem freundlichsten Lächeln, das ich zustande brachte, ein. „Danke, Sensei.“ Er verbeugte sich höflich und wartete, bis ich mich auf den Stuhl neben ihm setzte, ehe er meiner Einladung folgte. So arrogant und überheblich er sich auch gegenüber der Klasse 1-A verhielt, mir gegenüber war er erstaunlich respektvoll und höflich. „Darf ich ganz offen sprechen?“, ergriff er das Wort, ehe ich nachfragen konnte, was ihn bedrückte. Überrascht sah ich den sonst so selbstbewussten Schüler an, der jetzt fast ein wenig kleinlaut, aber auch angespannt wirkte. „Aber natürlich. Alles, was wir besprechen, bleibt unter uns“, ermutigte ich ihn. So ohne den Schreibtisch zwischen uns fühlte sich die ganze Situation gleich vertraulicher an. Offenbar ein Eindruck, den auch Neito hatte, denn, wenngleich er auch kurz zögerte, sprach er schließlich von sich aus. Er sei von einem Mitschüler bedroht worden, berichtete er mir, die Augen verengt, als müsse er angestrengt darüber nachdenken. Als er jedoch erklärte, dass er lediglich einen anderen Schüler hatte kennenlernen wollen und deshalb dann bedroht worden sei, kehrte seine arrogante Attitüde zurück und er klang eher eingeschnappt als emotional verletzt. Er klang jetzt wieder mehr wie der Neito, den ich auch aus dem Manga und Anime kannte. Nicht gerade ein Sympathieträger wie er im Buche stand, doch sicher jemand, hinter dessen Fassade sich mehr verbarg, als es der erste Blick preisgab. „Du wurdest doch nicht angegriffen oder verletzt?“, erkundigte ich mich betont besorgt und könnte schwören, dass Neitos Blick triumphierende Züge annahm, als er den Kopf schüttelte. „Nein, Sensei. So weit kam es um Glück nicht.“ Ich nickte zufrieden. „Du möchtest wir wohl nicht unbedingt erzählen, wer diese Schüler waren, oder?“, fragte ich, ahnte aber die Antwort bereits. „Ich möchte wirklich niemanden in Probleme bringen“, erwiderte er so scheinheilig, dass ich ihm als einer seiner Mitschüler jetzt wohl auch gerne mal eine gelangt hätte. Doch als Lehrerin kam das natürlich nicht in Frage. Also beließ es ich bei einem nicht weniger unaufrichtigen Lächeln. Kleines Aas. „Natürlich, das verstehe ich. Dann erzähl mir doch vielleicht, was genau passiert ist“, forderte ich ihn auf. Neito mochte sich hier als Opfer hinstellen, sich vielleicht sogar als solches sehen, doch mein Bauchgefühl war sich eigentlich ziemlich sicher, dass die Sache nicht so einfach war und der narzisstische Bengel jemanden provoziert hatte. Bakugo konnte ich schonmal ausschließen, denn der hätte ihm vermutlich eine verpasst, anstatt nur zu drohen. „Sie versprechen, dass Sie es niemandem erzählen?“, riss mich Neito aus meinen zugegeben abfälligen Überlegungen. Ich nickte. „Aber natürlich. Ich verspreche es. Niemand erfährt nur ein Wort von mir“, betonte ich ernst und meinte, was ich sagte. Ob ich Neito nun leiden konnte oder nicht, durfte hier keine Rolle spielen. Letzten Endes durfte es einfach nicht wichtig sein, was ich als Person über ihn dachte. Als Vertrauenslehrerin war es meine Verantwortung, ihn zu beraten, ein offenes Ohr zu haben, ihn ernst zu nehmen und nach bestem Wissen und Gewissen zu helfen. Er vertraute sich mir an und es war nur fair, wenn ich mich auch vertrauenswürdig verhielt. Und wer wusste schon, ob mich der Junge nicht vielleicht doch noch überraschte und sich als eigentlich ganz nett herausstellte? Neitos Schauspiel war nicht wirklich überzeugend. Wenn er so den Verknallten mimte, musste ich wohl davon ausgehen, dass er nie wirklich verliebt gewesen war. Aber ich ließ es unkommentiert und hörte nur aufmerksam zu, als Neito mir erzählte, dass er ein sehr hübsches Mädchen angesprochen habe. Sie habe so nervös gewirkt, also habe er sie beruhigen und sich mit ihr anfreunden wollen. So harmlos Neito versuchte, das alles klingen zu lassen, konnte ich doch nicht anders, als davon auszugehen, dass er mir etwas sehr Wichtiges vorenthielt. Neitos Art und Weise, Freundschaften zu schließen, war vielleicht nicht so harmlos, wie es im ersten Moment klang. „Sie ist inzwischen in der 1-A, aber wir haben uns schon bei den Prüfungen getroffen“, erklärte er mir mit einer Trauermiene und demonstrativem Seufzen. Schon klar, armer Junge. Glaubte er wirklich, dass ich ihm dieses Laientheater abkaufte? „Und sie hat dich dann bedroht?“, hakte ich skeptisch nach. Neito schüttelte den Kopf. „Nein, sie war schüchtern und sehr süß“, erklärte er nun tatsächlich mit einem Schmunzeln, das ich einfach nur als hinterlistig empfand. Was hatte er von dem armen Mädchen gewollt, dass er so dreinsah? Hatte er sie bedrängt? Im Stillen konnte ich nicht anders, als direkt etwas Mitleid für das Mädchen zu empfinden. Wen er da wohl belagert hatte? Gedanklich ging ich die Mädchen der 1-A durch. Vielleicht Momo? Schüchtern war die allerdings sicher nicht. Ochaco könnte ich mir noch vorstellen anhand der Beschreibung. „Bedroht hat mich ein Junge“, riss mich Neito aus diesen Überlegungen und sah nun extra kleinlaut drein. Was für ne linke Bazille. „Ein Junge?“, hakte ich nach und noch ehe ich fragen konnte, was der denn gesagt hatte, ergriff Neito das Wort. „Genau. Er war wohl eifersüchtig, weil ich mich mit dem hübschen Mädchen unterhalten habe“, schnaubte er abfällig und verschränkte die Arme. „Ich habe ihm noch erklärt, dass ich das Mädchen bloß habe kennenlernen wollen, doch er wurde direkt unfreundlich und hat mir gedroht.“ Klang für mich irgendwie nicht schlüssig. In dieser Geschichte fehlte doch irgendetwas. Wieso sollte sich jemand einfach dazwischen schieben? War der Junge vielleicht der feste Freund des Mädchens? Wenn ja, wüsste ich wirklich gern, wer die beiden gewesen waren. Wahrscheinlicher aber, fand ich, war es wohl, dass Neito das Mädchen bedrängt hatte und ihr jemand beiseite gesprungen war, um den Jungen vor mir zu verjagen. Zugegeben war eine Drohung dabei nicht die eleganteste Lösung, doch so wie Neito hier auf die Pauke haute, übertrieb er vielleicht auch einfach gnadenlos und die Sache war eigentlich sehr viel harmloser, als er es darstellte. Na, vielleicht bekam ich ja noch etwas mehr aus ihm heraus, damit ich die Lage einschätzen konnte. Solange Neito keine Namen nannte, konnte ich ja nur herumraten. „Sicher wird er doch etwas gesagt haben, dass einen Hinweis darauf gibt, was ihn störte“, versuchte ich vorsichtig nachzubohren. „Vielleicht könnten wir ja ein gemeinsames Gespräch mit ihm suchen, um diese Sache friedlich beizulegen?“, schlug ich noch vor. Neitos Miene verriet mir allerdings, dass er das eigentlich gar nicht wollte. „Dieser Zausel ist ein Rüpel!“, ereiferte er sich wütend. „Bei allem Respekt, Sensei, aber ich glaube nicht, dass das etwas bringt.“ Und wieso zum Fick bist du dann hier? Ich atmete tief durch und bemühte mich um ein Lächeln. „Man sollte es immer versuchen. Manchmal überraschen einen die Menschen, von denen man es am allerwenigsten erwartet“, versuchte ich ihn zu überzeugen, aber Neito schüttelte nur den Kopf, als wechselte ich das Thema. „Das Mädchen... hast du seitdem nochmal mit ihr sprechen können? Wenn sie dich auch kennenlernen möchte, trefft ihr einander doch hier in der Schule bestimmt“, meinte ich leichthin und hatte damit wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Neito zog die Nase verräterisch kraus. „Sie verbringt viel Zeit mit diesem Idioten“, brummte er missgelaunt. „Er ähnelt viel mehr einem Schurken als einem Helden. Sogar sein Quirk verrät es schon“, fuhr er abfällig fort. Mich ließen die Worte jedoch aufhorchen. Was für ein Quirk sollte es denn sein, der angeblich nicht für einen Helden angemessen war? „Wieso denn das?“, fragte ich auf gut Glück und hatte fast nicht erwartet, darauf eine Antwort zu bekommen, doch Neito hatte sich in Rage geredet. „Er manipuliert damit andere Menschen gegen ihren Willen. Nicht besonders heldenhaft. Würde mich nicht wundern, wenn er den Heldenkurs sehr bald wieder verlässt.“ Arrogant bis zuletzt. Sein eigener Quirk konnte immerhin ähnlich wenig wohlwollend ausgelegt werden. Mit seinem Copycat kopierte er einen Quirk immerhin und zweifellos nicht immer mit Einverständnis der Person. War das vielleicht auch hier der Fall gewesen? Hatte er den Quirk des Mädchens kopieren wollen, die das abgelehnt hatte? Vorstellen konnte ich mir das bei Neito nur zu gut. „Ich denke, du solltest versuchen, mit diesem Schüler zu sprechen. Gewiss gibt es Gründe für sein Verhalten, auch wenn du sie noch nicht kennst. Es wäre doch schön, wenn ihr diesen Zwist beilegen könntet“, lenkte ich um. Dass Neito mir etwas verschwieg, war mir klar. „Aber Sensei, diese Zauselkopf...“, begann Neito hörbar verärgert, doch ich hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. „Versuch es doch erst einmal. Vielleicht gab es auch einfach nur ein Missverständnis?“, lächelte ich ihn aufmunternd an, als hätte ich nicht so einige Zweifel an seiner Geschichte. „Ich glaube, wenn du vernünftig und höflich mit ihm sprichst, wird sich das Ganze gewaltfrei aufklären können. Vielleicht werdet ihr ja sogar Freunde?“ Neito sah mich jetzt auch gar nicht so zufrieden an, nickte aber. Ihm war wohl klar, dass ich mich hier nicht einfach auf seine Seite schlagen würde. Aufmunternd legte ich eine Hand auf seine Schulter. „Kopf hoch. Manchmal werden genau die unsere besten Freunde, mit denen wir zuerst gar nicht auskamen.“ Okay, nein. Das glaubte ich nicht wirklich, zumal ich inzwischen die Ahnung hatte, dass es sich bei dem Schüler, von dem Neito sprach, um Shinsou handelte. Falls ja, hatte der garantiert einen ganz hervorragenden Grund gehabt, sich Neito in den Weg zu stellen. „Danke, Sensei. Ich werde Ihren Rat natürlich befolgen“, nickte er mir noch zu, ehe er sich erhob. „Pass auf dich auf Monoma-san“, verabschiedete ich den narzisstischen Bengel, konnte mir aber ein kleines Seufzen nicht verkneifen, kaum dass die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass mir nun leider auch nicht mehr allzu viel Zeit blieb, herumzuschnüffeln, von welchem Mädchen Neito gesprochen hatte. Die nächste Stunde würde bald beginnen und mich rief der Unterricht. Vielleicht hatte ich ja danach, in der Mittagspause etwas Zeit. Die meisten Mädchen der Klasse 1-A kamen zwar nicht in Frage, aber wenn ich es logisch anging, könnte ich den Kreis sicher eingrenzen. Im Fragefall müsste ich einfach Erenya fragen. Wenn Neito eine ihrer Mitschülerinnen oder sogar sie belästigt hatte, würde ich es rauskriegen. Soweit mein Plan, doch den durchkreuzte Direktor Nezu direkt, als ich pünktlich zur Mittagspause ins Lehrerzimmer schneite, einen Blaubeermuffin im Gepäck, den ich im Stillen bereits in einer ruhigen Ecke wegkrümelte. Doch noch ehe ich mich hinsetzen konnte, fiel mein Blick auf die Mausratte, die mich abwartend ansah. Dennoch ließ er sich einen Moment Zeit, ehe Nezu meinte: „Hast du einen Moment? Ich würde gerne eine Kleinigkeit mit dir besprechen.“ Mit einer einladenden Geste deutete er auf seine Bürotür und ging dann auch schon voran. Stumm seufzte ich meinen Muffin an, ließ ihn dann aber einfach auf meinem Platz stehen und folgte Nezu. Es half ja doch nichts und letzten Endes war er halt mein Chef. Wortlos schloss ich die Tür hinter mir und nahm Platz, als Nezu mir dies bedeutete. „Es geht um das Training der Klasse 1-A morgen“, begann der Direktor unerwartet und übersprang damit jede Form von Smalltalk. Allein das ließ mich aufhorchen. Normalerweise liebte er es doch, sich erstmal Ewigkeiten mit unwichtigem Blabla aufzuhalten. „Training?“, hakte ich nach und bereute die Frage sofort. „Die Klasse wird morgen zum U.S.J. reisen, dem Unforeseen Simulation Joint. Dort werden sie unter Aufsicht in unterschiedlichem Gelände Rettungsmaßnahmen erproben“, erklärte mir Nezu. Ich nickte langsam. An das U.S.J. konnte ich mich gut erinnern – und noch besser daran, was da passieren würde. „Du wirst Aizawa und All Might unterstützten. Das wird dir sicher auch eine interessante Erfahrung sein“, meinte er gut gelaunt, während mein Lächeln nun völlig gefror. Ich sollte mit ins U.S.J.? Das war ne richtig, richtig miese Idee. Also so richtig kacke. Das konnte einfach nur gut gehen? Was sollte ich da überhaupt? Von Rettungsaktionen verstand ich halt mal gar nichts. Helfen konnte ich also nicht. Stattdessen würde ich aber nicht zu knapp im Weg stehen, mit etwas Pech sogar draufgehen. Eigentlich sollte ich nämlich nicht da sein. Der Plot des Mangas sah mich nicht vor. Ich schluckte. „Ich glaube wirklich nicht, dass das nötig ist“, versuchte ich mich halbherzig herauszureden. In meinem Kopf herrschte absolutes Chaos. „Ah, keine Scheu. Es ist wichtig, dass du einen Einblick in den Alltag der Schüler bekommst“, meinte Nezu nur gut gelaunt. „Nummer 13 wird euch am U.S.J. erwarten. Ich bin mir sicher, ihr werdet euch fantastisch verstehen“, plauderte Nezu weiter, ehe er sich dann doch in Smalltalk verließ, dem ich nur mit halbem Ohr zuhörte. Ich im U.S.J., das war eine saublöde Idee. Das konnte nur schief gehen. Ich war sowas von am Arsch! Steifbeinig verließ ich das Büro schließlich mit nur einem einzigen Gedanken: Ich musste diesen Mist irgendwie umgehen. Vielleicht sollte ich einfach behaupten, dass ich krank war? Blöderweise würde man dann wohl Recovery Girl zu mir schicken, die meine Lüge schneller durchschauen würde, als ich meinen Namen buchstabieren könnte. Also war das keine Option. Meine Versuche, mich gegenüber Nezu herauszureden, weil es doch völlig unnötig wäre, dass ausgerechnet ich mit zum U.S.J. ging, waren völlig vergeblich gewesen und die Argumente waren mir schnell ausgegangen. Die Wahrheit würde mir Nezu nie glauben, zumal ich ja keine Beweise dafür hatte, dass eine Handvoll durchgeknallter Schurken, deren Schirmherr indirekt All for One war, das U.S.J. ausgerechnet an diesem Tag angreifen würde, mit dem Ziel, All Might zu töten. Irgendwie musste ich einen Weg finden, mich aus dieser ganzen Sache während des Angriffs rauszuhalten. Am besten auf eine Weise, die mich nicht tötete, denn anders als meine Schüler hatte ich keinen Quirk, mit dem ich mich auch nur im entferntesten verteidigen könnte. Allein der Gedanke daran sorgte dafür, dass sich mein Magen umdrehte. Helfen konnte ich keinem, das war mir klar. Das Beste, was ich tun konnte, war dafür zu sorgen, dass die Hilfe vorbereitet war und schnell einträfe, wenn es dann soweit war. Vielleicht sollte ich einen anonymen Hinweis schicken? Die Idee war nicht einmal blöd. Ein Zettel im Briefkasten. Klar, man würde dem skeptisch begegnen, aber dann wären die Helden alarmiert und das würde die Zeit, die sie dann brauchten, um einzutreffen, vielleicht ein bisschen abkürzen. Was sonst könnte ich tun? Vielleicht den Schülern gegenüber Hinweise streuen, wie sie ihre Quirks zum Selbstschutz benutzen konnten? Nochmal darauf hinweisen, wie wichtig es war, auch auf sich selbst zu achten, wenn man anderen Leuten helfen wollte? Diese Gedanken suchten mich noch den Rest des Schultages und darüber hinaus heim. Nach meiner letzten Stunde hockte ich im Lehrerzimmer, wo noch immer der Blaubeermuffin stand, den ich mit mittags erbeutet hatte. Irgendetwas musste es doch geben, das ich tun könnte, um den Vorfall im U.S.J. soweit zu beeinflussen, dass weniger Leute zu Schaden kamen. Dabei dachte ich vor allem an Nummer 13. Sie wurde doch ziemlich schwer verletzt. Angestrengt rieb ich mir die Stirn. Verdammt! Ich konnte doch nicht einfach nur aufs Beste hoffen! Es mochte zwar keine Toten geben, doch von einem guten Ausgang konnte man wohl dennoch nicht sprechen. Allein die Informationen, mit denen Kurogiri und Shigaraki entkamen und welche damit bei All for One landeten, würden später große Auswirkungen haben. Müsste ich raten, verriet All Mights Zustand seinem ärgsten Feind, wie schlecht es um den Nummer Eins-Helden stand und dass er seinen Quirk sehr wahrscheinlich bereits weitergegeben hatte. Von alledem mal abgesehen, gab es noch zwei ganz elementare weitere Probleme: Erenya und mich. Während Erenya als Schülerin einfach plötzlich mitten drin wäre und sich, so wie ich sie kannte, niemals zurückhalten würde, damit der Plot einfach wie gewohnt weiterging, hatte ich keinen Quirk und könnte mich unter Umständen nicht einmal gegen die widrigen Umstände verteidigen, in denen ich innerhalb des U.S.J. landen könnte. Eine totale Katastrophe. Wie sollte ich Eri klarmachen, dass sie sich bedeckt halten musste? Wenn sie sich zu sehr einmischte, könnte sie damit nicht nur sich selbst in größte Gefahr bringen, sondern den gesamten Boku No Hero Academia-Plot. Nur daran zu denken, bereitete mir schon tierische Kopfschmerzen. Frustriert fuhr ich mir mit den Fingerkuppen über die pochenden Schläfen. Okay, also stand oben auf meiner Liste, dass ich Erenya eine Nachricht zuschieben musste, um sie daran zu erinnern, dass sie auf sich aufpassen sollte, wenn der Angriff auf das U.S.J. begann. Vor Ort könnte ich versuchen, mit ihr zusammen abgetrieben zu werden, um sie dann persönlich auszubremsen – oder es wenigstens zu versuchen. Wenn sie sich dazu entschied, ihre Pheromone gegen mich zu benutzen, wäre ich vermutlich schnell ein typisch blondes Dummchen und machte jeden Mist mit. Da musste ich einfach darauf vertrauen, dass Eri das niemals tun würde. Am besten wäre es natürlich, wenn wir beide sonst niemanden bei uns hätten. Dann konnten wir offen sprechen und würden den Plot nicht stören, der dann wie vorgesehen stattfände. Blieb noch ein weiteres Problem. Kurogiri. Oder ich. Je nachdem, wie man es sehen wollte. Denn nicht nur, dass ich eine noch wehrlosere Geisel darstellte als alle Schüler, Kurogiri wusste auch, dass über keinen Quirk verfügte und wer ich war, immerhin war er schon in der Grabungsstätte aufgelaufen. Wenn er mich entdeckte, würde er die Chance sicher nutzen, um mich dieses Mal loszuwerden, nachdem ich das letzte Mal durch pures Glück entkommen war. Ich konnte mir auch gut vorstellen, dass er mich nach der Helden-Tafel fragen würde, denn dass die hierher in die Yuei verlegt worden war, konnte sich der Nebelspinner sicher denken. Dumm war er nicht. Genau genommen wohl eher das einzig richtig clevere Mitglied der Schurkenliga zu diesem Zeitpunkt. Wo genau die Tafel verborgen war, wusste ich zwar nicht, aber ob mir Kurogiri das glaubte, war zu bezweifeln. Ich musste mich also unbedingt versteckt halten, damit er mich nicht bemerkte. Es war immerhin recht unwahrscheinlich, dass er ausgerechnet in U.S.J. nach mir suchen würde. Eine Lehrerin für Geschichte hatte ja eigentlich nichts in einem Katastrophenrettung-Simulationssaal verloren. Ganz in Gedanken versuchen starrte ich meinen Muffin an. Da ich nicht wusste, wohin es mich morgen dann genau während des Angriffs verschlagen würde, konnte ich mich auch nicht entsprechend vorbereiten, doch bequeme, leichte Kleidung, die mir Bewegungsfreiheit erlaubte und mich im Fragefall nicht behinderte, war absolute Pflicht. Außerdem könnte ich vielleicht für einen weiteren Erste Hilfe-Koffer im U.S.J. sorgen, um nötigenfalls schneller helfen zu können, wenn die Helden eintragen, um die Schurkenliga zum Rückzug zu zwingen. Wenn ich auch den Angriff nicht verhindern konnte, dann doch wenigstens eine Hilfe sein, wenn er vorüber war. Oh man, jetzt war es doch irgendwie frustrierend in einer Welt voller Quirks ohne einen solchen herumzulaufen. Was wäre es jetzt nützlich, irgendetwas Tolles zu können. Aber nein, ich war ein Normalo und damit ja schon quasi ein Exot. Völlig in meine Überlegungen versunken, wie ich den morgigen Tag nicht nur überleben, sondern ihn auch möglichst nicht verändern sollte, bekam ich gar nicht mit, wie sich der Muffin vor meinen Augen plötzlich bewegte. „Wow, du bist ja wirklich völlig neben der Spur“, bemerkte ich Nemuri erst, als sie ihre Hand auf meine Schulter legte. In der anderen hielt sie den Muffin, in den sie nun genüsslich biss. Verdattert starrte ich sie an und schüttelte zuerst den Kopf, ehe ich nickte. „Nein. Ja. Entschuldige. Ich war einfach... in Gedanken“, meinte ich ausweichend und zwang mich zu einem kleinen Lächeln. „Hab ich gemerkt“, schmunzelte meine Kollegin und patschte beschwichtigend auf meine Schulter. „Wie wäre es, wenn wir beide uns heute einen gemütlichen Mädelsabend im Okamoto’s machen?“, schlug sie vor, noch auf meinem Muffin herumkauend. Wäre ich weniger besorgt wegen Morgen, ich wäre wohl empört darüber gewesen, dass sie sich an meinen Süßigkeiten vergriff. Bei solchen Köstlichkeiten hörte der Spaß auf. Heute aber war mir das ziemlich egal. Mein ganzer Kopf war voll mit Sorgen um den morgigen Tag. Im ersten Moment wollte ich aus Prinzip absagen, um mir den Rest des Abends damit zu vergällen, mir das Hirn zu zermartern, und zwar vermutlich ergebnislos. Doch dann nickte ich. „Das klingt fantastisch. Dieses Mal lade ich dich ein“, meinte ich, nun aufrichtig lächelnd und erhob mich. „Aber...“, fügte ich grinsend hinzu und griff nach dem angebissenen Muffin, „wag es ja nicht, mir meine Süßigkeiten zu klauen.“ Nemuri stutzte erst, dann lachten wir beide. „Ich wusste nicht, wie innig eure Beziehung ist“, scherzte sie sofort mit. „Oh doch. Er ist der Traum meiner schlaflosen Nächte. Quasi der perfekte Partner“, schwärmte ich übertrieben und kicherte. Nemuri prustete los. „Für wie lange? Ein paar Stunden?“ Wir beide lachten gleichzeitig los und verwirrten All Might, der gerade ins Lehrerzimmer kam, damit merklich, als wir an ihm vorbeischlenderten, weiter über den Muffin scherzend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)