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Invasion der Brezeln

Autor:  kurotowa
Neulich musste in meiner Heimatstadt eine alteingesessene Drogerie schließen, und ich war sehr erschüttert als ich sehen musste, was nun in die leeren Räume des Geschäftes eingezogen war:
Eine Billigbäckerei der übelsten Sorte (Motto: "Wir backen - Du König"), ein steriles Warenlager für aufgebackene Mehlpampe, beleuchtet durch kaltes Neonlicht - und mit Schleuderpreisen, die nur drauf zurückzuführen sein können, dass noch Restposten von verstrahltem Weizen aus der Gegend von Tschernobyl entdeckt, oder Sklavenkinder in den chinesischen Brötchenbergwerken extra viel ausgepeitscht wurden.

Ich kann verstehen, dass die Nachfrage nach billigem Brot durch die wirtschaftliche Lage, Arbeitslosigkeit etc. in Deutschland sicherlich gegeben ist, aber habt ihr mal in einer solchen Billigbäckerei eingekauft? Ich habe es bisher nur zweimal gewagt und war jedesmal ur beleidigt, dass man so etwas überhaupt als Nahrungsmittel bezeichnen darf, ohne den Kunden gleichzeitig ein paar Evolutionsstufen herunterzusetzen.
Und gerade die Brötchen in jener Bäckerei, in der ich ´König wäre´, sahen aus, als ob sie eine Krankheit hätten - die Kruste bleich und ausgewaschen... Das sonst so bräunende, knackige Licht des Großraumbackofens war für sie mehr ein neblig-trüber Novembertag gewesen; sie flehten einen durch das Schaufenster an: "Iss uns, damit wir es hinter uns haben...!", fielen dann kraftlos auf ihr hölzernes Krankenlager zurück... und ich bekam ein schlechtes Gewissen.
War dies die Taktik, mit der die Leute in solche Bäckereien gelockt wurden? Mitleid? Und sollte ich aus reiner Menschengüte meine eigene Gesundheit riskieren? Ich pfiff auf die Erhebung in den Adelsstand und drehte mich brüskiert um.

Hier kam die nächste Überraschung: Der Billigbäcker hatte schräg gegenüber der Filiale einer anderen Bäckereikette aufgemacht. Einfach so. Etwa 10 m entfernt. Hatte sich der Mensch, der den Franchise-Vertrag für den Billigladen unterschrieben hatte eigentlich mal den Standort angeguckt?
Wobei... Ich kam ins Grübeln... Hatte nicht letztes Jahr am Marktplatz, 60 m entfernt ein neuer Backladen mit Cafe aufgemacht...? Ich zählte im Kopf die Bäckereien in der Altstadt dieses (nun wirklich nicht großen!) Marktfleckens durch und kam spontan auf 6. Und drei weitere Bäckereien hätte ich in weniger als 5 Minuten erreichen können.
Mein Gott, diese Stadt war vollgestopft mit Gebäckläden!

Mir kam ein furchtbarer Verdacht. In Gedanken ging ich nun die Fußgängerzone der zweiten Stadt durch, die ich fast täglich durchstreife (-n muss), Bergisch Gladbach - und brach zusammen:
Auf einer Strecke von etwa 220 m befanden sich 8(!) Bäckereifilialen! Das bedeutete, etwa alle 27 m konnte man Brot kaufen!!
Und auch hier fiel mir auf, dass die jüngsten Geschäfte Billiganbieter waren, die sich ungeachtet der bestehenden Strukturen in das ohnehin schon hohe Gebäck-Gebirge hineingequetscht hatten - dort, wo soeben irgendein Geschäft pleite gemacht und leere Räume hinterlassen hatte.
Okay, das muss im Grunde nicht schlecht sein: Bäckereien riechen zumindest besser als 1 Euro-Läden, Geschäfte für gerade benutzte Kauknochen oder nasse Hunde; das Interessante an der Sache ist, dass selbst die alteingesessenen Bäckereien dennoch weiterhin gut über die Runden zu kommen scheinen und am Abend nur noch wenig Ware in den Regalen liegen haben.
Sind wir so versessen auf goldgelbes Backwerk, dass wir, wenn ein paar neue Brotversorgungsrampen aufmachen, gar nicht anders können, als diese leerzufuttern? Trotz ständig steigender Getreidepreise? Droht eine Überflutung mit Vital-Vollkornbrötchen, pseudo-französischen Minibaguettes und Plunder - eine Invasion der Brezeln?

Nicht unbedingt, denn wenn die wirtschaftliche Lage weiterhin so schlecht bleibt, werden die Billigbäckereien die übrigen, teureren Bäckereien in der Umgebung irgendwann verdrängen, und so das Niveau und die Qualität des Backwerks enorm abnehmen.
Was bleibt wird ist ein Sumpf aus mittelmäßigem Kram für die Masse, und nur wenige, wirklich gute und deshalb teure Bäckereien für die betuchteren Leute. Es ist unheimlich traurig zu sehen, wie sich die Lage schon jetzt immer mehr zum Schlechten verändert, gerade bei einem Thema wo ich wirklich stolz bin, aus Deutschland zu kommen, denn wenn wir eines können, dann ist das (nein, nicht Weltkriege anzetteln!): Brot backen!

Hoffen wir, dass es nie zu diesem Szenario kommen wird, und kaufen so weit es uns möglich ist bei den guten Bäckereien ein, die faire Löhne zahlen und Brot backen, das auch wirklich nach Brot schmeckt - und nicht irgendeinen Getreideschwamm mit schlabbriger Kruste, der lediglich den Bauch füllt, aber ungenießbar ist. Das tun Backsteine auch.
Wir wollen es doch nicht SO WEIT kommen lassen:






(Hier übrigens der Beweis. Jede Brezel steht für eine Bäckerei(-filiale))

Wipperfürth (Altstadt):



Bergisch Gladbach (Mitte):
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Datum: 28.12.2011 18:53
Ich hab doch gesagt, dass das in Deutschland UR schlimm ist! In Neuss is es noch ärger!!!
The more we struggle in every moment, the more we feel alive.


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