Zum Inhalt der Seite

Einzelposting: „Ich will keine Kritik!” - Was haltet ihr davon?


Links hierher: http://www.animexx.de/forum/thread_5473665/-1/15261147744820/
http://desu.de/KnrKlPJ




Von:   abgemeldet 12.05.2018 10:46
Betreff: „Ich will keine Kritik!” - Was haltet ih... [Antworten]
Ui, das ist ja quasi mein Thema und keiner gibt mir bescheid? Was seid ihr nur für gemeine Leute? XD

Zunächst einmal muss ich erklären, dass es mehrere Arten von Kritik gibt. Zusätzlich lässt sich Kritik grundsätzlich vom Verriss abgrenzen. Ein Verriss ist eine getarnte Kritik, um den zu kritisierenden öffentlich zu demütigen. Meist, indem man ihm kommunikative Logikfallen stellt, die er/sie nicht ausweichen kann. Eine Kritik hingegen ist dazu da, eine besserung der Zustände zu erreichen. Das geht über mehrere Wege. Es gibt also nicht wirklich "konstruktive Kritik", da Kritik immer konstruktiv ist. Wenn nicht, dann ist sie ein Verriss oder nur eine leere Worthülse. (Letzteres wäre z.B.: "Ich mag keine Meerjungfrauen, also ist dein Bild hässlich.")

Aber auch jede kritisierte Person reagiert unterschiedlich. Ich habe bisher oft erlebt, dass meine Kritik gern angenommen wird. Ich gliedere sie grundsätzlich in Elemente, die ich in einem Werk gut finde und solche, die dem Künstler helfen kann, seine eigene Gedankenwelt noch klarer darstellen zu können. Meist vom technischen Aspekt her. Also wie z.B. Tonwerte überhaupt funktionieren oder dreidimensionale Körper aufgebaut sind. Das sind grundlegende Dinge, die wir schon in der Schule lernen sollten, da sie nicht nur für Künstler essentiell sind. Wird uns dort aber nicht beigebracht.

Wie dem auch sei. Der Kritiker reagiert unterschiedlich. Die einen nehmen es dankend an, die anderen lehnen es komplett ab. Der Grund dafür ist das gesellschaftliche Denken über Kritik. Denn wenn wir das Wort "Kritik" schon hören, assoziieren wir es mit etwas negativem. Das ist aber gar nicht Sinn der Sache. Auch positiv soll eine Kritik nicht sein, sonst würde sie nicht ernst genommen. Sie soll den zu Kritisierenden helfen, auf eine neue Stufe seines Könnens zu steigen. Eine Kritik für einen Sportler wäre es, bei einem Sprung den Fuß anders aufzusetzen. Dabei wird nicht die Person an sich kritisiert, sondern die Haltung des Fußes analysiert und gegebenenfalls die Möglichkeit erörtert, ihn anders einzusetzen.

Viele Kritiker aber sehen das heutzutage als Möglichkeit, den zu Kritisierenden als Negativbeispiel darzustellen. Ungefähr so: "Deine Linien sind falsch. Die sind viel zu dick und wirken unspektakulär. Müsste der Charakter nicht anders stehen? Und überhaupt ist die Bildaussage eher langweilig." Hier ist der Kritiker in der Schuld, dem zu Kritisierenden keine Möglichkeit zu geben, sich weiter zu entwickeln. Er sagt ihm nicht, was man besser machen kann. Keine Option wird ihm gelassen. Keine Alternative, an der der zu Kritisierende erkennt, wie er sich und seine Werke optimieren kann.

Leider ist das heute ein übliches Verfahren. Man muss sich nur mal die Filmkritiken im Internet anschauen. Die meisten Kritiker haben oft gar keine Ahnung von Filmen oder Darstellung von Kunst. Sie haben sich selbst nie mit den Hintergründen der Schaffensprozesse befasst. In der bildenden Kunst ist das übrigens genauso. Oft sehe ich Kritiker, die keinen blassen Schimmer von der wissenschaftlichen Seite der Kunst haben. Aber es gibt auch fähige Kritiker! Nur viele der zu Kritisierenden haben das Mindset, dass jeder Kritiker selbst keine wirkliche Ahnung haben und den zu Kritisierenden nur vor der Öffentlichkeit bloßstellen wollen. Darum reagieren sie dann mit Ablehnung oder Entschuldigung. Auch denen gegenüber, die mit der Kritik den Künstler zur Selbstentfaltung verhelfen wollen, weil sie alle Kritikformen sowie den Verriss miteinander verwechseln. Sehr oft lese ich etwas von der "Diskussionskultur in Deutschland". Aber die meisten wissen gar nicht, wie man ein neutrales Gespräch mit offener Kritik führt.

Ich war früher selbst nicht anders. Bis einige ehemalige Animexxkünstler, die heute einige zehntausend Dollar im Monat verdienen, mir klar machten, was mit meiner Kunst nicht stimmt. Ich entschloss, mal genau zuzuhören, was sie mir zu sagen haben. Erst einige Jahre später verstand ich es auch. Und genau das muss ein Kritiker beachten. Heute bin ich selbst in der Lage dazu, technische Tipps in der Kunst zu geben.

Dazu habe ich mir ein ganz bestimmtes Vorgehen zurecht gelegt. Speziell auf die Kunst zugeschnitten:
Zunächst lobe ich das Werk in den Punkten, in denen es mir aufgefallen ist. Das sind oft grobe Züge und Elemente, die den ersten Eindruck vermitteln. Darauf sage ich dem Künstler, dass ich nun einige Hinweise geben möchte, wie das Werk noch stärkere emotionale Effekte auf den Betrachter haben könnte. Währenddessen sage ich ihm, welche Elemente ganz gut aussehen, aber wie die Anordnung oder Machart noch optimiert werden kann. Ich bekräftige den Künstler damit also in den Dingen, die er schon (wahrscheinlich unbewusst) beherrscht. Darauf kann man dann aufbauen, um andere Elemente, die er noch nicht so gut beherrscht, zu kritisieren. Das heißt konkret. Man sagt dem Künstler erst dann(!), was einem nicht gefällt, gibt ihm aber auch die Möglichkeit, sich darin zu entwickeln, indem man Alternativen beschreibt. Ungefähr so: "Der Kopf ist etwas zu klein geraten. Wenn du aber die Proportion des Gesichts anpasst, die Augen vergrößerst und die Haare nicht als primären Fokus des Kopfes darstellst, kommt dieser besser zur Geltung."

So und nicht anders sollte Kritik funktionieren. Es gilt dabei eine bestimmte Formel zu beachten: Neutrale Analyse, dann positive Merkmale, dann Merkmale, die dem Kritiker nicht gefallen und dann dem Künstler Alternativen bieten, wie er diese negativen Merkmale ausräumen kann. Das höchste Anliegen des Kritikers ist dabei nicht das Veröffentlichen seines eigenen Könnens, sondern es sollte stets die Optimierung der Fähigkeiten des Künstlers im Vordergrund stehen. Was der Künstler mit der Kritik anfängt, ist aber seine Sache. Da darf der Kritiker dann nicht mehr reinreden.

Um aber zum Thema zurückzukommen: Genau diese Formel ist aber das Problem, genauer die Nichtbeachtung dieser. Das Verständnis von Kritik ist heute, nur die negativen Merkmale eines Werkes hervorzuheben. Darum lehnen viele Künstler eine Kritik kategorisch ab oder beachten sie nicht oder entschuldigen sich für ihr Tun.
Es gibt also drei Reaktionen des zu Kritisierenden:
1. Ablehnung
Er findet den Kritiker generell im Unrecht. Er lehnt alles ab, was der Kritiker sagt. Eine Möglichkeit damit als Kritiker umzugehen, ist es, den zu Kritisierenden einzulullen. Ihn zu beruhigen. Dazu zunächst erstmal klären, was der Kritiker gut findet.
2. Ignoranz
Der zu Kritisierende geht nicht darauf ein und macht so weiter wie bisher. Hier kann man zwar weitere Werke des Künstlers kritisieren, aber es wird seine Meinung nicht ändern. Der Künstler sieht sich im Recht, auch wenn er falsch liegt. Ein häufig genanntes Argument dieser Sorte Künstler ist: "Ich schaffe es eh nicht, dieses Thema zu verstehen. Ich bin schlecht im Lernen, also beschäftige ich mich nicht damit." Hier kann der Kritiker nichts machen, außer sich über Jahre oder Jahrzehnte in Grundsatzdiskussionen mit dem zu Kritisierenden auseinander zu setzen.
3. Entschuldigung
Der zu Kritisierende sieht seine Fehler zwar und kommentiert die Kritik offen und ohne Vorbehalte, er wird aber nichts an seinen Werken ändern, weil er nicht weiß wie. Hier fehlt das Selbstbewusstsein des Künstlers. Der Kritiker muss hier besonders behutsam auf die Vorzüge der Werke des zu Kritisierenden eingehen. Der Künstler zweifelt an seinen eigenen Fähigkeiten. Er ist aber ein Rohdiamant, der sich noch selbst schleifen muss. Der Kritiker muss hier die Begeisterung im Künstler wecken, sich weiterentwickeln zu wollen.

Ihr seht schon, es ist ein riesen Thema. Und die Künstler sind nur bedingt daran Schuld, wenn sagen: "Ich will keine Kritik, ihr seid alle scheiße und nur meine Kunst ist toll." Sie sind genauso ein Opfer eines Systems, in dem Kritik vollkommen falsch eingesetzt wurde. Nur darum reagieren sie so ablehnend. Kritik sollte nur den letzten Rest aus dem Künstler herauskitzeln. Laut Duden ist eine Kritik eine "Fehler und Versäumnisse beanstandende, u.U. öffentliche Stellungnahme als Mittel zur politischen und gesellschaftlichen Weiterentwicklung". Und letzteres Tatbestandsmerkmal wird oft vergessen, obwohl es der Kernpunkt der Kritik ist. Weiterentwicklung. Und wir als Kritiker sind genauso in der Pflicht eine richtige Kritik zu schreiben, wie der zu Kritisierende die Pflicht hat, wenn er sich weiter entwickeln möchte, diese auch anzunehmen. (Wenn nicht, dann nicht)

Edit: Erstellt niemals ohne Zustimmung des Künstlers ein Overpaint oder Overdraw. Das kann ganz schnell nach hinten losgehen. Musste ich auch erst schmerzhaft lernen. Klar kann man mit diesen Methoden eine Kritik ganz klar unterstreichen, aber viele Künstler mögen es nicht, wenn man es out of the blue macht.
Geht schlafen!
Geschnitten oder am Stück.
Zuletzt geändert: 12.05.2018 10:52:09

Zurück zum Thread