Der Prinz und seine Kindheitsfreundin von ElfSedan ================================================================================ Kapitel 1: Der Prinz hat andere Pläne ------------------------------------- Von einem der Fenster auf einem Flur im zweiten Geschoss des prächtigen Barockschlosses beobachtete Kazuha missmutig, wie erneut eine Prinzessin mit Gefolge auf dem Schlosshof eintraf. Diesmal war es Prinzessin Momiji von Kyoto. Sie zählte schon nicht mehr mit, die wievielte Heiratskandidatin dies war und jedes Mal war sie froh, wenn sie wieder verschwanden. Es war nicht so, dass sie als Zofe ein Anrecht darauf hatte, für den Prinzen zu beurteilen, welche dieser Frauen gut für ihn wäre, doch in ihren Augen war es keine. In ihren Augen, wäre es auch in Ordnung, wenn er überhaupt nicht heiratete oder wenn… Kazuha schüttelte schnell den Kopf. Sie musste sich darauf konzentrieren, ihre guten Umgangsformen zu bewahren. Sie war eine Zofe. Eine Gesellschafterin für seine Majestät, den Thronfolger dieses Landes Osaka, seine Hoheit Prinz Heiji. Den aktuell scheinbar gefragtesten Junggesellen der Welt. Erneut schüttelte sie den Kopf. Nein. Dieser zynische Unterton. Wieder falsch. Politische Hochzeiten waren normal in seinem Stand. Er konnte nichts dafür, dass dieses Land mit seiner militärischen Übermacht die umliegenden Länder so sehr beunruhigte, dass man sich durch eine Hochzeit mit dem Land gut zu stellen versuchte. Kazuha löste sich vom Fenster. Und er konnte auch nichts dafür, dass die Tradition von Osaka es verlangte, dass ein Thronfolger nur bereits vermählt den Thron besteigen durfte. Im Idealfall sogar schon mit Nachkommen. Man wollte im Angesicht dieser Militärmacht durch eine ununterbrochene Erbfolge verhindern, dass das Land in falsche Hände geriet. Denn es war ein friedfertiges Land – trotz der Macht. Zumindest seit Heijis Vater, König Heizou, der diese Macht hauptsächlich zum Schutz einsetzte. Schutz vor Angriffen von außerhalb – und auch als Unterstützung der Nachbarländer. Heiji würde dies hoffentlich eines Tages so fortführen. Kazuha war da sicher, doch das Volk erlebte ihn doch eher noch als zu temperamentvoll, hitzköpfig, kindisch, unzuverlässig… Kazuha seufzte. Gut, manchmal, da war er durchaus ein schwieriger Charakter – allein schon, als sie als Kinder aufeinander trafen und sie in Anbetracht dieses verzogenen, vorlauten Jungen sich wunderte, wie er überhaupt hatte als Prinz geboren worden sein können – aber gleichzeitig erlebte sie ihn seit sie älter geworden waren oft so… Sie stockte in dem Gedanken, als sie eine Bewegung im Flur wahrnahm. Einer der Wandvorhänge hatte sich bewegt. Sofort wusste die junge Zofe, was das bedeutete und sie verengte die Augen, bevor sie mit hastigen Schritten in Richtung des Wandbehanges lief. Schnell blickte sie sich um, dann schlüpfte sie dahinter. Sie betätigte den versteckten Hebel für den geheimen Durchgang und erwischte den erwarteten Ausbrecher tatsächlich darin, wie er sich gerade schnellen Schrittes entfernte. „Halt!“, rief sie ihm mahnend nach und folgte ihm, nachdem sie die Tür hinter sich wieder sorgsam geschlossen hatte. Zwar sah sie ihn nur im Halbdunkeln und nur von Hinten, doch sie hätte ihn unter Hunderten wiedererkannt. Sie hob den Rock ihres Kleides an und lief ihm über den kalten Steinboden nach. „Hoheit!“ Seit fast 15 Jahren hatte sie ihn tagtäglich gesehen und kannte vermutlich jedes Detail an seiner Silhouette, seine kompletten Bewegungen, seinen Gang – ja selbst den Geruch, den er verströmte – auswendig. Doch der Kerl reagierte nicht einmal, unbeirrt lief er weiter den Gang entlang. Ignorierte sie scheinbar bewusst. „Hey! Du kannst jetzt nicht gehen! Bleib gefälligst stehen!“, wurde sie nachdrücklicher und ließ nun auch die Umgangsformen sein. „Heiji!“ Endlich stoppte der Angesprochene und wandte sich ihr schon fast am Ende des Ganges zu. „Man, was willst du, Kazuha?“ Da war er wieder. Gegenüber dem höflichen Umgangston stellte er sich immer absichtlich taub. Betonte immer wieder, sie seien Freunde. Doch sorgte ein zu vertrauter Umgang für zu viel Aufsehen, als dass Kazuha das in Gegenwart anderer sein lassen würde. Und seit Neuestem schien er es mit der Taubheit auf dem Ohr gern auszureizen – zu ihrem Missfallen. Aber das war in dieser Situation nicht, was es zu diskutieren galt. „Da ist gerade ein komplettes Gefolge angekommen. Du kannst dich nicht einfach verziehen, was wirft das für ein Bild auf deine Eltern?“ Genervt verdrehte der Prinz die Augen und wandte sich wieder zum Gehen ab. „Das ist doch sowieso vergebene Liebesmüh. Ich hab keine Lust auf diese ewige Farce und die übertriebene Freundlichkeit. Die Weiber kriegen das doch nur immer wieder in den falschen Hals und machen mir nur noch mehr Probleme mit ihren weiteren Avancen. Ich hab’s ja versucht bei den ersten paar Kandidatinnen.“ Er tastete nach dem Stein, der ihnen den nächsten Durchgang öffnen würde. „Aber geh doch hin. Verpetz’ mich.“ Dann lachte er leicht und Kazuha ahnte bereits, was gleich folgte. „Oder vertrete mich. Bestimmt würdest du auch einen guten Ehemann abgeb-AUTSCH!“ Kazuha nahm die Faust wieder hinab, mit der sie ihm in die Niere geboxt hatte und Heiji rieb sich ein wenig beleidigt die Seite. Dann öffnete er den Durchgang und schlüpfte hindurch. Wie selbstverständlich hielt er ihr aber die Steintür offen, damit auch sie ohne Probleme hindurch kam. Kazuha kam dem nach, verschränkte auf dem Gang dahinter aber direkt wieder die Arme und baute sich drohend vor ihm auf, während er die Tür verschloss. „Aber du verletzt deine Pflichten als Kronprinz des Landes“, mahnte sie vorwurfsvoll. Sie wollte diese Moralpredigt eigentlich gar nicht halten, klang es doch so, als wollte sie ihn unter die Haube bringen mit einer dieser Prinzessinnen. Doch sie wusste um ihren Stand. Wusste, dass sie sich nicht von ihren Wünschen leiten lassen durfte. Heiji stemmte die Hände in die Seiten, scheinbar für einen Moment von dieser einen Kopf kleineren Zofe in die Schranken gewiesen und beeindruckt. Dann hob er aber eine Augenbraue und Kazuhas Hoffnungen auf einen demütigen, seinen Pflichten nachkommenden Prinzen schwanden nur noch mehr dahin. „Ich hab mir nicht ausgesucht, dieses Schicksal zu erben. Hätten sie mal für Geschwister sorgen sollen, dann hätten sie ein bisschen mehr Auswahl gehabt.“ Er zuckte leicht mit den Schultern. Dann schob er sich an ihr vorbei und ging in dem dunklen Geheimgang die steinernen Treppen hinab. Kazuha folgte ihm, eine Hand immer am kalten Gestein der Wand. Sie kannten diese Gänge seit ihrer Kindheit in- und auswendig, so oft waren sie bereits hindurch gelaufen und hatten darin gespielt. Und das war auch gut so, denn seitdem Kazuha für den Prinzen nicht mehr nur eine Freundin, sondern nun auch noch als Zofe und Gesellschafterin eingestellt war, hatte sie wohl auch den Beruf des Kindermädchens für den Prinzen inne. Oft genug musste sie ihm hinterher jagen, wenn er wieder ausbüxte und durch das Land und teilweise auch bis in die Nachbarländer auf seine selbst gewählten Streifzüge ging. Land und Menschen kennenlernen. Kriminalfälle aller Art lösen. Freiheiten des gemeinen Volkes genießen. So nannte er das. Sie folgte ihm überall hin, um ihn im Auge zu haben, auf ihn aufzupassen. Seine Identität zu wahren, damit man nichts über diese Eskapaden des Prinzen mitbekam. Doch am Ende konnte sie immer nur hilflos zusehen, wie er wieder Dummheiten machte. Obwohl er dabei viel Gutes tat, war das für jemanden seines Standes nun einmal kein angemessenes Verhalten. Immerhin lernte er so aber auch vieles über sein Land und dessen Leute. Auf Augenhöhe und aus ihrem Blickwinkel statt aus der Sicht des Prinzen, vor dem sie knieten und huldigten. Vielleicht war das auch das Argument, das seine Eltern am meisten besänftigte, denn gerade sein Vater konnte ihm gegenüber sehr streng werden. Aber vielleicht wollten seine Eltern ihn gerade wegen dieser Herumtreiberei nun auch so langsam unter die Haube bringen. Oder es war zumindest einer der Gründe. So sagte man doch, Männer würden ruhiger mit einer Frau an ihrer Seite. Angestrengt seufzte Kazuha bei diesem Gedanken, als sie die letzte Kammer vor dem geheimen Ausgang erreichten. Wie viele Prinzessinnen es wohl auf dieser Welt noch gab? Wie oft würde sie noch dieses Schauspiel mit ihm durchspielen müssen, obwohl er vermutlich schon lange wusste, dass sie ihn nur halbherzig aufhielt? Zumindest vermutete sie das bei seiner Intelligenz. „Deine Eltern werden echt wütend. Waren sie schon beim letzten Mal. U-und die Prinzessinnen erst!“ Sie versuchte zumindest, Nachdruck in ihre Stimme zu legen. Scheinbar bemerkte er das und sah ein wenig irritiert über die Schulter zu ihr, bevor er die Stirn runzelte. „Passiert ist dennoch nichts. Was wollen diese Prinzessinnen machen, wenn ich mich gegen das Treffen weigere? Mich mit ihren Fächern bewerfen? Oder den Taschentüchern?“ In seiner Stimme klang der pure Sarkasmus mit und mürrisch verzog Kazuha das Gesicht. „Ein Fächer kann sehr wohl eine nützliche Waffe sein.“ Sie seufzte angestrengt. „Ich meinte aber eher, dass deine Eltern dich bestrafen könnten…, oder die Länder sich womöglich beleidigt fühlen und einen Krieg anzetteln.“ Heiji zog ein einfaches Leinenhemd aus einem Stapel Kleidung und warf ihr einen vielsagenden Blick zu. „Einer überragenden Militärmacht den Krieg erklären? Da können sie sich ja direkt selbst anzünden.“ Scheinbar ohne jegliche Scham begann er, seine Sachen abzulegen. Kazuha errötete beim Anblick seines nackten Oberkörpers und wandte schnell den Blick ab, dann drehte sie sich komplett um. Den Blick behielt sie lieber trotzdem gesenkt, bei Heiji wusste man nie, wann er das nächste Mal vergaß, dass er sich gerade umzog. „N-na gut, dann denke doch nur daran, dass du bei der Audienz mit Prinzessin Sonoko von Tokyo deinen jetzigen besten Freund Shinichi kennengelernt hast!“, erklärte sie dann in einem Anflug aus Trotz und Missmut. Und direkt hätte sie sich selbst schlagen können, da sie die Folgen bereits ahnte. Vorsichtig spähte sie nach hinten, doch das Rascheln von Stoff hatte bereits innegehalten. Dann kam er näher und stützte sich mit einer Hand an ihr vorbei an der Wand ab, lehnte sich neben ihr nach vorn und legte ein überlegenes Grinsen auf. „Eine wirklich tolle Idee, Kazuha! Wir sollten Shinichi wieder einen Besuch abstatten“, flötete er fröhlich. „Dann geht’s heute nach Tokyo!“ Erschrocken weiteten sich ihre Augen beim Anblick seines nackten Armes und sie stieß ihn etwas von sich, bevor sie noch mehr erblicken konnte. Dabei unterdrückte sie einen quietschenden Laut, den er nur zu gerne aus ihr herausgekitzelt hätte – das wusste sie. Das bewies auch sein Lachen. „Z-Zieht Euch bitte etwas über, Hoheit! I-Ihr erkältet Euch sonst noch!“ Heiji schnalzte leicht mit der Zunge, als sie zurück in den förmlichen Ton wechselte. Schließlich war dies immer ihr Zeichen, dass er zu weit ging. Und er mochte diese höfliche Umgangsform zwischen ihnen nicht, denn sie zeugte immer von Distanz. Doch er war brav, kam dem nach und streifte sich das Leinenhemd über, gefolgt von ein paar weiteren unauffälligen Sachen des normalen Bürgertums komplettiert durch einen unscheinbaren Kapuzenumhang, mit dem er sein Gesicht verhüllen konnte. „Wenn du mit mir kommen möchtest, solltest du etwas Angemessenes für die Reise zu Pferd anziehen.“ Kurz blickte er mit einem wissenden Schmunzeln im Mundwinkel über die Schulter zu ihr, dann trat er durch eine schwere Eisentür ins Freie. Kazuha blickte ihm wortlos nach. Einen Moment hielt sie inne und starrte einfach nur auf die offene Tür. Sie wusste manchmal wirklich nicht, wie sie es mit diesem unmöglichen Prinzen überhaupt aushalten konnte. Er spielte mit ihr auf solch eine neckische, freche und unverhohlene Weise, die beinahe schon an seiner Herkunft zweifeln ließ. Und doch bewies er immer wieder, wie gut er sie zu lesen wusste. Sie seufzte. Ob sie wohl wirklich solch ein offenes Buch war? Stumm entschuldigte sie sich bei Sir Goro – Heijis Leibwächter – während sie sich eines der praktischeren Kleider überwarf und es festschnürte. Der arme Goro hatte es auch nie leicht mit ihnen und würde auch heute wieder das Schloss vergeblich nach ihnen absuchen. Als Kazuha noch ihren Umhang anlegte und ins Freie trat, wartete Heiji bereits auf einem der Felsen, deren Anblick ihren Weg den Abhang hinab begleiten würden. Kurz warf er einen Blick auf die Kleiderwahl der Zofe, dann erhob sich der junge Mann königlichen Blutes in seiner nicht ganz so edlen Bekleidung von seinem noch weniger edlen gewählten Thron. „Auf geht’s nach Tokyo!“, erklärte er dann gehaltvoll und voller Vorfreude, während er seine Arme offen ausbreitete. Kazuha erwiderte nichts. Sie hatte ein schlechtes Gefühl bei dieser Sache, doch Heiji würde ohnehin nicht auf sie hören. Erstaunlicherweise hatte er es ja sogar irgendwie geschafft, am Fuße des Abhangs einen jungen Stallburschen überzeugen zu können, immer ein paar Pferde bereit zu halten und darüber Stillschweigen zu bewahren. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, so hielt ihn eben auch nichts davon ab. Doch wenigstens ging er nicht allein und sie konnte aufpassen, dass ihm nichts passierte. Sie wusste nicht, ob sie viel würde ausrichten können, aber zumindest würde sie es versuchen können. Und ihn vielleicht von der ein oder anderen Dummheit auch abhalten können. Deswegen bliebt ihr auch diesmal nichts anderes übrig, als seiner Hoheit, Prinz Heiji von Osaka, recht unelegant den steinigen Abhang hinab nach zu klettern und mit ihm zusammen Reißaus zu nehmen. Vor seinen Pflichten. Vor seinen Verehrerinnen. Nicht das, wofür sie eingestellt war. Doch wofür sie sich als seine Freundin berufen fühlte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)