Back to December von Khaleesi26 (Eine Michi Kurzgeschichte) ================================================================================ Kapitel 4: 1 Tag vor Weihnachten - vor 12 Jahren ------------------------------------------------ Weihnachtsgeschenke auf den letzten Drücker zu besorgen war wirklich eine saublöde Idee. Was für ein Stress! Nun lebte ich schon seit einem Jahr wieder in Tokyo und mein Freundeskreis hatte sich erheblich erweitert. Ich weiß noch, wie ich letztes Jahr niemanden außer Sora kannte und sich das irgendwie befremdlich anfühlte. Aber inzwischen war ich dem Cheerleader Team der Schule beigetreten, beteiligte mich ehrenamtlich an außerschulischen Aktivitäten und hatte es geschafft, viele neue Freundschaften zu schließen – unter anderem mit Kari, die Tai’s jüngere Schwester war. Wir lernten uns bei einem seiner Fußballturniere kennen und trafen uns seitdem regelmäßig. Sie war etwas jünger, aber das störte mich nicht. Für ihr Alter war sie schon sehr reif. Ganz im Gegensatz zu Tai, ihrem großen Bruder. Apropos Tai. Was würde er sich wohl zu Weihnachten wünschen? Mit zweifelndem Blick stand ich vor einem riesigen Bücherregal, weil ich gerade für Sora ein Buch gekauft hatte. Aber Tai war sicher nicht der Typ für Bücher. Was mochte er eigentlich? So genau wusste ich das gar nicht. Der Kerl hatte ja nur Fußball und Mädchen im Kopf. Zumindest machte es so den Anschein, weil ihn die meisten Mädchen anschmachteten. Zumindest das wusste ich von ihm: Tai war beliebt, besonders bei der weiblichen Fraktion. Ich wusste noch genau, wie mir neulich eine Klassenkameradin einen Liebesbrief für ihn zugesteckt und mich gebeten hat, ihn ihm zu geben. „So nahe stehen wir uns nicht“, hatte ich gesagt, aber sie lief nur rot an und ließ sich nicht beirren. „Na ja, zumindest seid ihr beide im Sportclub und ich sehe euch oft miteinander reden.“ Ja, das stimmte schon. Aber das lag hauptsächlich daran, dass Tai mich ständig um ein Date bat. Allerdings konnte ich das bis jetzt nicht sonderlich ernst nehmen, weil viele Jungs an der Schule mit mir ausgehen wollten. Und Tai war viel zu sehr Macho, um sich nicht in die Schlange einzureihen und allen die Show zu stehlen. Die Trophäe für irgendeinen Typen zu spielen, darauf hatte ich keine Lust. Wiederwillig hatte ich ihm dann den Brief überreicht, den er direkt vor meinen Augen ungelesen in den Mülleimer geschmissen hatte. Das sagte doch schon alles darüber aus, wie er mit Mädchen umging. Nein, nicht mit mir Taichi Yagami. Allein bei dem Gedanken daran wurde ich so wütend, dass ich mich dazu entschied, ihm ein ganze anderes Geschenk zu besorgen: den hässlichsten Schal, den sie im Geschäft hatten. Ein diabolisches Grinsen schlich sich auf meine Lippen, als mir die Verkäuferin die Tüte überreichte. Das hatte er verdient. Als ich das Geschäft verließ und nun endlich alles beisammen hatte, lief ich geradewegs Sora in die Arme. „Huch“, sagte ich, als ich abrupt vor ihr stehen blieb. „Was machst du denn hier?“ Sora wirkte sichtlich überrascht mich hier zu sehen, als wüsste sie nicht ganz genau, dass ich heute hier sein würde, um die letzten Geschenke zu besorgen. Denn ich hatte sie heute Morgen angerufen und gefragt, ob sie Lust hätte, mich zu begleiten. Umso mehr erstaunte es mich, sie hier zu sehen, denn sie hatte mir erzählt, sie wäre bereits mit Matt verabredet. Doch nun tauchte jemand völlig anders an ihrer Seite auf. Tai. „Und, hast du was gefunden?“, fragte er sie, als er neben sie trat, bemerkte mich jedoch erst danach. „Oh … Mimi.“ Wieso wirkt er mindestens genauso entsetzt wie sie? „Ja, hi“, erwiderte ich und hob die Hand zum Gruß. „Ist Yamato auch bei euch?“ Suchend sah ich mich um, konnte ihn jedoch nirgendwo entdecken. „Nein, äh … der hatte leider doch keine Zeit“, antwortete Sora unsicher. Wieso kam mir das nicht ehrlich vor? Und wieso waren die beiden zusammen hier? Alleine? Das kam mir komisch vor. „Und was macht ihr dann hier?“, hakte ich nach. „Wir, ähm … also, wir …“ Warum stammelte sich Sora hier einen ab? „Ich hatte sie gebeten, mit mir ein Weihnachtsgeschenk auszusuchen“, antwortete Tai an ihrer Stelle. „Du weißt ja, ich bin nicht besonders gut in so was.“ Natürlich. Also ging sie lieber mit ihm shoppen als mit mir? Wer’s glaubt. „Na, wenn das so ist, will ich euch nicht weiter aufhalten. Bis dann“, erwiderte ich nur und ließ die beiden stehen. Ich war ohnehin fertig hier. „Aber Mimi …“, rief Sora mir noch hinterher, aber ich tat so, als hätte ich es nicht gehört. Was ich nicht ignorieren konnte war Tai, der ebenfalls meinen Namen rief und eine Sekunde später neben mir auftauchte. „Hey, warte doch mal.“ „Wieso?“, fragte ich und ging einfach weiter, ohne ihn auch nur anzusehen. Natürlich hatte er kein Problem damit, mit mir Schritt zu halten. „Du bist sauer“, stellte er nüchtern fest, woraufhin ich auflachen musste. „Wie kommst du denn darauf?“ „Ist nur so ein Gefühl.“ Nun blieb ich doch abrupt stehen, um ihn wütend anzufunkeln. „Nein, gar nicht, Tai. Ich verstehe das schon. Sehr gut sogar.“ Tai sah mich zweifelnd an. „Was verstehst du?“ Ich stöhnte genervt auf. „Ich weiß genau, was hier abgeht, ok? Ich weiß, dass es zur Zeit etwas bei Sora und Yamato kriselt. Aber ich hätte nicht gedacht, dass du diese Chance gleich nutzt, um dich an sie ran zu machen. Und ich hätte auch nicht gedacht, dass sie sich auf dich einlässt.“ „Was?“, platzte es amüsiert aus Tai raus. „Aber so ist das doch gar nicht.“ „Ach, und warum lügt sie mich dann an und erzählt mir, sie wäre mit ihrem Freund verabredet, während sie sich dann doch heimlich mit dir trifft?“ „Wir haben uns nicht heimlich getroffen. Was denkst du bitte von uns?“ Ein Zischen kam mir über die Lippen. „Tja, anscheinend genau das. Ich bin echt enttäuscht von euch. Von euch beiden.“ Ich wollte weitergehen und ihn stehenlassen, doch er hielt mich am Handgelenk fest. „Hey, lass mich los!“ „Okay“, sagte er beschwichtigend und hob die Hände. „Ich verstehe, wie das für dich aussehen muss. Aber so ist es nicht, das schwöre ich.“ Misstrauisch hörte ich ihm zu und verengte dabei die Augen zu Schlitzen, in der Hoffnung, irgendwie in seinen Kopf schauen zu können und rausfinden zu können, ob er log. Aber soweit ich wusste hatte Tai mich noch nie angelogen. Das passte auch gar nicht zu ihm. Seufzend fuhr ich mir durch’s Haar und gab mich geschlagen. „Na, schön“, sagte ich widerwillig. „Aber was sollte das dann eben?“ Nun vergrub Tai die Hände in den Hosentaschen und sah beschämt zu Boden. „Ich habe sie gebeten, mit mir zusammen ein Weihnachtsgeschenk für dich auszusuchen.“ Sprachlos öffnete ich den Mund. Ein Geschenk? Für mich? „Jetzt schau doch nicht so“, gab Tai kleinlaut von sich. Anscheinend war ihm dieser Umstand äußerst peinlich. „Wir kennen uns noch nicht so gut und ich weiß nicht, was du magst. Sora kennt dich viel besser, also habe ich sie um Hilfe gebeten.“ Ich stand immer noch da und sah völlig verdattert zu ihm auf. Mir fehlten die Worte. „Jetzt sag doch etwas“, meinte er irgendwann verlegen, als ich immer noch nichts geantwortet hatte. So schüchtern kannte ich ihn sonst nicht. „Du findest das sicher total lächerlich, oder?“ Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. „Nein, eigentlich finde ich es sogar ziemlich süß.“ Überrascht sah Tai mich an. „Ach ja?“ Ich nickte kichernd. „Ja! Vor allem, weil du sonst immer so tust, als könntest du alles und bei so einer Kleinigkeit brauchst du dann Hilfe von einem Mädchen. Das ist schon irgendwie süß.“ Tai stimmte in mein Lachen mit ein, als er merkte, dass ich es ihm nicht übel nahm. „Wenn du mich so süß findest, wieso gehst du dann nicht mit mir aus?“ Lachend schüttelte ich den Kopf. Er konnte es einfach nicht lassen. „Weil du es nicht ernst meinst.“ „Woher willst du wissen, dass ich es nicht ernst meine?“ Mein Lachen verstummte, als ich bemerkte, wie ernst er mich dabei ansah. Für ein paar Sekunden verloren sich unsere Blicke ineinander. Es war das erste Mal, dass er kein freches, schiefes Grinsen auf den Lippen hatte, sondern mich einfach nur ansah. Genauso wie ich ihn. Seine braunen, warmen Augen fixierten mich und das erste Mal begann mein Herz schneller zu schlagen. Ich zuckte zusammen, weil ich vor diesem unbekannten Gefühl, dass sich gerade in meiner Brust ausbreitete erschrak. So hatte ich das noch nie empfunden. „Ähm … ich habe auch ein Geschenk für dich“, unterbrach ich schließlich die Stille zwischen uns, aus Angst, er könnte irgendwie merken, was ich gerade empfinde. Dann hielt ich ihm die Tüte entgegen. „Aber Weihnachten ist erst morgen“, meinte Tai daraufhin. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich will aber, dass du es jetzt schon bekommst.“ Tai lächelte und öffnete die Tüte. Als er den Schal rauszog, den ich ausgesucht hatte, erstarb sein Lächeln jedoch schnell. „Wow“, sagte er ehrfürchtig. „Es war doch gut, dass ich Sora um Hilfe gebeten habe. Ich hatte ja wirklich keine Ahnung von deinem Geschmack.“ Ich musste laut drauf los lachen. „Tut mir leid“, entgegnete ich. „Ich weiß, er ist super hässlich.“ Tai stimmte in mein Lachen mit ein und grinste dann, als er sich den Schal mit dem übertriebenen Weihnachtsmuster um den Hals warf. „Da hast du recht, er ist hässlich. Aber ich werde ihn tragen. Jeden Tag, bis du endlich mit mir ausgehst.“ Lachend verdrehte ich die Augen. „Dann hoffe ich, du stehst im Sommer aufs Schwitzen.“ „Oh, du unterschätzt mich, Mimi Tachikawa.“ Ein siegessicheres Grinsen huschte über sein Gesicht. Ich nahm meine restlichen Einkaufstüten und verabschiedete mich von Tai. „Ich muss jetzt nach Hause. Wir sehen uns.“ Tai winkte mir noch zu, als ich mich schon entfernt hatte und noch mal umdrehte. Er grinste über beide Ohren, was irgendwie süß aussah, vor allem mit diesem super albernen Schal um den Hals. „Ich verspreche es, Mimi. Ich trage diesen Schal so lange, bis du mit mir auf ein Date gehst.“ Zuversichtlich zwinkerte ich ihm zu und glaubte im Traum nicht daran, dass er diese Ankündigung wahrmachen würde. Doch er tat es. Er trug diesen verdammt hässlichen Schal jeden Tag, sogar in der Schule und beim Sport. Er wurde dafür ausgelacht, doch das war ihm egal. Er trug ihn weiterhin, Tag für Tag. Im kommenden Frühling entschied ich mich dann, ihn von seinem Leid zu erlösen und ging mit ihm aus. Das war der Anfang von etwas ganz Besonderem. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)