Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 45: Roger – Juni 2019 III --------------------------------- Die Morgensonne zauberte einen hypnotisierenden Schimmer auf Rickys Haare. Immer wieder wanderte mein Blick darüber. Am Schopf hielten sie sich noch recht gut im Zopf, doch bereits an den Schultern hatten sich einzelne Strähnen daraus gelöst und etwa auf der Mitte des Rückens schien eines der Haargummis verloren gegangen zu sein, sodass sich die Haare ausbreiteten und die Spitzen fast bis zu seinem Steißbein reichten. Und mit jedem weiteren Augenblick, jedem Mal, dass ich den Blick erneut von oben ansetzte, wurde der Klotz in meinem Magen schwerer. Zuerst verstand ich ihn nicht. Ich hatte mich beim Aufwachen darauf gefreut, Ricky zu sehen, der Anblick, wie er noch immer mit dem Gesicht gegen Tobys Brust gedrückt an meinem Mann gekuschelt lag, hatte dasselbe Knistern in meinem Bauch ausgelöst wie das Kuscheln am Vorabend, ein Gefühl, das sich schon in den letzten Wochen und Monaten angekündigt hatte. Doch nach und nach hatte es sich immer mehr zu einem Punkt zusammengezogen, war eher in ein dumpfes Summen übergegangen und lag nun seit einigen Minuten stumm und schwer da. Dann kam die Erkenntnis, das Bewusstsein, was hier passierte. Was wir diesem wundervollen Mann zwischen uns antaten. Endlich konnte ich den Blick lösen, musste es sogar tun. Stattdessen sah ich in das Gesicht meines Mannes, der im Schlaf selig lächelte. Ob es ihm auch noch bewusst werden würde? Also bevor ich es ihm sagt. Denn das musste ich; dringend. Wieder einmal würde ich der Vernünftige von uns beiden sein müssen, während er sich in seinen Gefühlen verlor. Ich hasste es, ihn enttäuschen zu müssen. Ricky zog meine Aufmerksamkeit wieder auf sich, indem er sich herumdrehte. Er sah noch immer müde aus, dennoch hatte er die Augen geöffnet und lächelte mich an. Ich rang mir eine Erwiderung ab, stand aber auf, als er Anstalten machte, dichter an mich heranzurutschen. »Ich muss mal ins Bad«, flüsterte ich, um meinen Mann nicht unnötig zu wecken. Da ein leicht fragender, aber auch enttäuschter Ausdruck über Rickys Gesicht wanderte, strich ich ihm sanft über die Schulter. Nein, es war nicht seine Schuld. Es waren Toby und ich, die nicht aus ihren Fehlern lernten. Da ich mir im Bad Zeit gelassen hatte, war das Schlafzimmer verlassen, als ich wieder zurückkam. Doch Tobys und Rickys Stimmen führten mich zielsicher ins Wohnzimmer, wo Ricky am Boden saß und mit Diego und Chico herumtollte, während Toby in der Küche Frühstück zubereitete. Ricky sollte also noch bleiben. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und machte mich auf den Weg in die Küche, um Toby zu helfen. Ricky blickte auf und grinste mich schelmisch an. »Kann ich ins Bad?« Ich nickte nur und sah ihm nach. Tobys Shirt, das er sich übergeworfen hatte, war ihm zwar viel zu groß, doch es bedeckte seinen nackten Hintern nicht wirklich, als er das Zimmer verließ. »Was ist los?« Toby kam um den Küchentresen herum und sah über die Schulter zu mir, während er Teller auf dem Tisch stellte. Ich ließ das Seufzen aus meinen Lungen frei, nahm Diego auf den Arm und ging auf meinen Mann zu. »Später, okay?« Aufmerksam legte er den Kopf schief und kraulte Diego hinter dem Ohr. »Bist du sicher?« »Ja, ist okay.« Es machte keinen Unterschied. Außer dass Toby glücklich darüber war, dass Ricky noch blieb. Ich beugte mich vor und gab ihm einen flüchtigen Kuss, während Diego ihm über die Wange schleckte. Nachdem Rickys Bahn abgefahren war, dauerte es eine Weile, bis Toby über den Parkplatz auf mich zu kam. Um den Hunden den Stress mit den Autos und Bussen am Bahnhof zu ersparen, hatte ich mich vorher von Ricky verabschiedet und etwas abseits gewartet. Toby nahm mir Chicos Leine ab und lief langsam los. »Also, was ist los? Du hast doch irgendwas, oder?« Ich schmunzelte, griff seine freie Hand und verflocht unsere Finger miteinander. Es war gruselig, dass er sowas mittlerweile erkannte. Noch vor zehn Jahren hätte er es übersehen. Und mir bereitete es noch immer Schwierigkeiten, es so direkt auszusprechen. Doch ich sah die Notwendigkeit. »Meinst du nicht, wir machen da einen Fehler?« »Was meinst du?« Er blieb an einer Ampel stehen. »Wir können Isaac nicht einfach so durch Richard ersetzen!« Das war nicht fair. Der Kleine hatte Besseres verdient; und Ricky auch. Während wir die Straße überquerten, deutete Toby mit fragender Miene einmal in Richtung Park und einmal in Richtung zu Hause. Nach einem Blick auf die Hunde deutete ich mit einem Kopfnicken nach Hause. Diego wäre sicher gern noch eine Weile gelaufen, aber Chico sah bereits erschöpft aus und wurde langsamer. Das Alter setzte seiner Hüfte zu. Toby schlug den angedeuteten Weg ein. »Ich bin nicht sicher, ob ich dich verstehe. Warum sollte es ein Problem sein, wenn wir uns mit Ricky treffen? Wann hast du Isaac das letzte Mal gesehen? Oder mit ihm gesprochen?« Ich schluckte. Ich wusste es nicht; wirklich nicht. Es war eine ganze Weile her. Eigentlich liefen wir ihm nur noch zufällig über den Weg. Er hatte mittlerweile sein eigenes Leben. Ich konnte nicht einmal sagen, wie dieses gerade verlief. »Das ist nicht der Punkt.« »Sondern?« Toby machte eine kurze Pause, ließ mir aber nicht genug Zeit zum Antworten. »Isaac wird immer einen wichtigen Platz in unseren Herzen haben; und in unserem Leben, wenn er das wieder möchte. Aber wir können ihm nicht ewig nachtrauern. Er hat seine Entscheidung getroffen. Er möchte keine Beziehung mit uns und wegen Caroline und Maxime auch nicht mehr zu uns kommen. Warum also sollte uns das hindern, unsere Nähe mit anderen zu teilen? Das haben wir immer getan.« »Ja, schon ...« Aber das mit Ricky war etwas anderes. Er war nicht eine unserer üblichen Affären, kein Zeitvertreib. Ricky war ... »Du hast dich in Richard verliebt, oder?« »Roger ...« Mit einem leichten Schmunzeln nahm Toby mein Gesicht zwischen seine Hände und näherte sich mir. Flüchtig sah ich mich um, bevor ich mich von ihm küssen ließ. Zärtlich strich er mir über die Wange. »Ich dachte, darüber sind wir schon lange hinweg. Glaubst du wirklich, ich könnte dir wegen einem Jungspund wegrennen?« Ich lächelte und machte mich aus seinem Griff frei, nahm wieder seine Hand. »Das meine ich nicht. Ich meine ... Fällt dir das nicht auf? Ricky darf und tut genau das, was Isaac immer getan hat. Du liebst ihn, ich ... ich weiß es nicht. Ja, ich mag ihn; sehr. Aber ich will nicht, dass er diesen Platz einnimmt. Ich will nicht, dass er uns so enttäuscht.« »Ist es das, wovor du Angst hast?« Tobys Daumen strich sanft über meinen Handrücken. »Ich kann das nicht noch einmal. Ich habe Angst, dass wir das nicht nochmal aushalten.« Tobys Finger verschränkten sich mit meinen und er drückte leicht zu. »Ich glaube nicht, dass das passiert. Dennoch: Wenn es dir damit besser geht, dann schreibe ich ihm, dass wir etwas Abstand wollen.« Dankbar lehnte ich mich leicht gegen seinen Arm. »Ja, bitte. Ich kann das nicht nochmal.« Traurig lächelnd nickte er. »Ist gut.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)