Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 30: Lance – Februar 2016 II ----------------------------------- Das hatte mir gerade noch gefehlt ... Ich parkte neben James’ Auto und ließ die Tür hinter mir lautstark zuknallen. Kurz kam mir der Gedanke, doch woanders hinzufahren, aber ich wusste genau, dass er auch noch am späten Abend da wäre. Ich würde ihm nicht entkommen. Und ich hätte eh nicht gewusst, wohin ich sollte. »Abend!«, rief ich, als ich in die Wohnung kam. Vielleicht schaffte ich es in mein Zimmer, bevor mich jemand aufhielt. »Oh, hallo Schatz. Schon wieder zurück?« Wie konnte ich auch sowas hoffen, wenn Mum daheim war ... Auch wenn es scherzhaft von ihr gemeint war, hätte ich auf Latisha hören sollen: Es war keine gute Idee, zu den Eltern zurückzuziehen, war man einmal ausgezogen. Nur noch ein paar Monate, dann konnte ich mir wieder etwas Eigenes leisten ... »Es wurde uns zu kalt und es lief heute eh nicht so gut.« »Ach, wie schade. Magst du dich mit zu uns setzen?« »Ja, sicher. Ich zieh mich nur kurz um.« Ich hatte keinen Nerv dafür, aber ich durfte mir nichts anmerken lassen. Auf die Fragerei, wenn sie mitbekamen, dass etwas nicht in Ordnung war, hatte ich keine Lust. »Natürlich, komm erstmal richtig an.« Lächelnd küsste sie mich auf die Wange und ging zurück zu James und Dad ins Wohnzimmer. Es dauerte keine drei Sätze, da begann James nach Isaac zu fragen. Ich versuchte – versuchte es wirklich! – ihm ruhig und neutral zu antworten, doch er hörte einfach nicht auf. Immer wieder kamen neue Fragen. Dabei wollte ich gerade wirklich nicht über Isaac reden. Irgendwann platzte mir der Kragen: »Warum fragst du ihn nicht einfach selbst, was er so macht? Vielleicht erzählt er es dir ja. Ich habe nämlich keine Ahnung.« James blinzelte ein paar Mal verwirrt, bevor er langsam nickte. »Habt ihr euch gestritten? Bist du deshalb so schlecht drauf?«, zog Dad sofort die richtigen Schlüsse. Noch bevor ich auf seine Fragen antworten konnte, setzte Mum besorgt nach: »Was ist denn passiert?« Ja, ganz klasse! Genau darum hatte ich schon keine Lust mehr auf zu Hause gehabt, sobald ich James’ Auto sah. Wäre er nicht gewesen, hätte ich gute Chancen gehabt, dass meine Eltern nicht mitbekamen, dass etwas vorgefallen war. Zumindest so lange, bis ich von mir aus bereit war, mit ihnen darüber zu reden. »Scheinbar vertraut Isaac mir nicht mehr. Zumindest nicht genug, um mir zu sagen, dass er sich seit über einem Jahr mit jemandem trifft und verliebt ist.« Moment, war das ... Ach verdammt! Jetzt war es raus und ich konnte es auch nicht mehr zurücknehmen. »Lieber soll ich das ganz zufällig herausfinden, indem ich ihm über den Weg laufe.« »Isaac hat einen neuen Freund, von dem er dir nichts erzählt hat?«, fragte Mum noch einmal verwundert nach, ob sie mich richtig verstanden hatte. »Nee. Scheinbar hat Isaac einseitig Schluss gemacht. Und sie waren wohl auch nicht zusammen, aber ineinander verliebt und wussten das auch, aber eben trotzdem nicht zusammen und ... keine Ahnung, was dieser Scheiß schon wieder heißen soll!« James warf mir diesen Blick zu, den ich viel zu gut kannte und hasste: Ihm gefiel etwas, was ich gesagt hatte nicht, aber er würde es nicht direkt sagen, sondern darum herum schwafeln. »Hat er denn gesagt, dass er nicht weiß, wie er es nennen soll? Oder ist das deine Interpretation?« »Er hat gar nichts gesagt!«, fuhr ich stellvertretend James an. »Lieber hat er mir vorgeworfen, dass ich es ja eh wie immer nicht verstehen würde und ihn zu irgendwelchen Sachen drängen würde. Aber was kann ich denn dafür, dass er immer nur um den heißen Brei herumredet, statt zu erklären, was er meint?« »Ich fand jetzt nicht, dass Isaac jemals unklar gewesen wäre, was seine Beziehungen angeht«, warf Dad ein, schwächte es jedoch sofort wieder ab. »Aber du hast da sicher mehr mit ihm drüber geredet als ich.« »Ich muss da Lance zustimmen, Isaac ist manchmal etwas ... Zwischen dem, was er will, dem, was er glaubt zu wollen, und dem, was er denkt wollen zu müssen, verliert er scheinbar oft selbst den Überblick«, sprang James mir trotz meines Aussetzers bei. »Ich bin mir auch nicht immer ganz sicher, was genau in ihm vorgeht. Aber das muss ich auch nicht unbedingt. Und eigentlich dachte ich, dass du ihn unterstützt, auch wenn er nicht der Typ für konventionelle Beziehungen ist.« »Ja, natürlich! Mir ist doch egal, was er mit seinen Betthasen macht! Hauptsache alle kommen da gut wieder raus.« Was war das denn für eine Unterstellung?! »Dafür hast du aber ziemlich abfällig darüber geredet ...« »Was? Nein! Soll er doch machen, wenn es ihn glücklich macht!« Ich atmete tief durch und beruhigte mich etwas. »Ich will nur nicht, dass er sich wieder unbedacht in etwas verrennt, weil er nicht merkt, dass andere sein Verhalten komplett fehlinterpretieren. Außerdem dachte ich bisher, dass er mir die Menschen vorstellt, die ihm wichtig sind. Es fühlt sich scheiße an, dass er das plötzlich nicht mehr macht. Als würde etwas nicht so gut laufen, wie er behauptet.« Vor allem, wenn er offenbar komplett den Kontakt abbrach. Auch wenn der Mann nett gewirkt hatte, konnte ich das ungute Gefühl nicht abstellen, Isaac wäre wieder in eine scheiß Beziehung hineingestolpert, über die er sich nicht traute zu sprechen. Dabei hatte ich mir doch geschworen, besser auf ihn aufzupassen ... Nun klang James etwas alarmiert. »Wie meinst du das?« Ich rang den Ärger nieder. Wie konnte dieser Mann nur noch immer so ahnungslos sein, was Isaacs Vergangenheit anging? Selbst meinen Eltern war mittlerweile bewusst, dass etwas so richtig schiefgelaufen war zwischen ihm und Peter, akzeptierten jedoch, dass er nicht darüber sprechen wollte. Doch James tat immer so, als interessiere ihn Isaacs Leben, schien diesen Aspekt jedoch schon fast absichtlich zu ignorieren. Da es mir nicht zustand, ihn darüber aufzuklären, ging ich auf den anderen Teil ein: »Isaac hatte schon mehrmals Leute, die dachten, er wäre mit ihnen fest zusammen, hat es aber nicht bemerkt. Und dann gab es natürlich Drama. Ich würde gern wenigstens für ihn da sein können, wenn es ihm deshalb wieder schlecht geht, wenn er schon nicht vorher mit mir darüber redet.« »Du weißt, dass du ihn nicht dazu zwingen kannst, mit dir zu reden«, erklärte meine Mutter ruhig. »Ja, ich weiß ...« »Es kann trotzdem nicht schaden, ihm zu sagen, wie du dich dabei fühlst und welche Sorgen du dir machst. Dann weiß er wenigstens, dass er mit dir darüber reden kann.« Aufmunternd lächelte James mich an. Ich schnaufte leicht amüsiert. Als hätte ich das Isaac nicht schon so oft gesagt. »Ja, vermutlich sollte ich das mal wieder tun ...« »Ich bin sicher, Isaac hatte einen Grund, dir nichts von seiner Bekanntschaft zu erzählen. Vielleicht tut er es ja doch noch, wenn er sicher ist, dass du dich wirklich dafür interessierst und ihn nicht für seine Entscheidung verurteilst.« Prüfend sah ich James einen Moment an, bevor ich ungläubig den Kopf schüttelte und aufstand. »Ich bin dann mal telefonieren.« Was er sagte, klang vernünftig, doch gleichzeitig fragte ich mich, ob es sinnvoll war, auf einen Mann zu hören, dessen engerer Kreis seit Jahrzehnten ausschließlich aus meinen Eltern – und vielleicht noch Isaac – zu bestehen schien. So weit schien es mit seinen sozialen Kompetenzen also auch nicht her zu sein. Andererseits war wohl ich der Letzte, der da die Klappe aufreißen sollte ... »Bestell Isaac schöne Grüße von uns«, bat mein Vater mich noch im Hinausgehen. Isaac nahm recht schnell ab. »Hi.« Ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass die knappe Antwort kalt wirken sollte, er jedoch, wenn er wirklich abweisend war, ganz anders reagierte. »Hi Isaac. Können wir uns darauf einigen, dass wir beide Dinge gesagt haben, die wir nicht hätten sagen sollen, die Entschuldigungen überspringen und gleich zu den wichtigen Sachen kommen?« Erleichtert lachte er. »Ja, bitte.« »Hast du wirklich geglaubt, dass du mir nicht von – Toni? – erzählen kannst?« »Tino. Und ja. Also zumindest teilweise.« Bevor ich fragen musste, erklärte er: »Ich weiß, dass du dich gefreut hättest, aber du hättest auch wieder versucht, mich zu überreden, dass es eine Beziehung werden muss. Du versucht, mich zu verstehen, das weiß ich, aber es war auch bei Toby und Roger so. Du hast erst ganz zum Schluss eingesehen, dass es nicht funktionieren würde. Aber bis dahin hab ich es auch immer wieder deshalb versucht, weil du mir dazu geraten hast – und weil ich eben dachte, es muss funktionieren und ich bin es ihnen schuldig. Ich wollte nicht, dass es bei Tino auch passiert. Ich wollte nicht, dass ich irgendwann keinen anderen Ausweg mehr sehe, weil ich denke, es muss auf eine bestimmte Weise funktionieren. Und ich wollte nicht, dass er es beendet, weil ich zu sehr darauf dränge. Aber vor allem wusste ich nicht, wie ich es dir erzählen soll. Ich dachte immer wieder, ich erzähle es dir, wenn ›etwas Wichtiges‹ passiert, ohne zu wissen, was genau das sein sollte. Und als ich mit ihm übers Wochenende weggefahren bin und wir dann zu Weihnachten unser erstes wirkliches Date hatten, da fühlte es sich zu spät an ... Was sollte ich denn sagen: ›Hey, Lance, es gibt da einen Mann, mit dem treffe ich mich seit einem Jahr regelmäßig, und irgendwie läuft da was, aber auch nicht so wirklich, aber ich bin verdammt glücklich damit, also bitte quatsch mir da nicht rein‹?« Ich musste mir aktiv ins Gedächtnis rufen, dass Isaac mir mit der Aussage nicht an den Karren pissen, sondern nur seine Grenzen verdeutlichen wollte, doch so von ihm gesagt zu bekommen, was er von mir dachte, machte mich wütend. Ich wollte doch auch nur, dass er glücklich war. War das denn so falsch? »Er hat dir also wirklich nichts getan?« »Was?! Wie kommst du darauf?« Isaacs Überraschung und Irritation klangen glücklichweise ehrlich. Erleichtert atmete ich durch. »Du bist fast erstarrt, als er nach dir gerufen hat. Ich hatte Angst, dass du mir nicht von ihm erzählt hast, weil es nicht gut zwischen euch läuft – er dir vielleicht sogar etwas antut – und du dachtest, du kannst damit nicht zu mir kommen.« »Lance, nein! Ich ...« Merklich nach Worten ringend brach Isaac den Satz ab und begann nach einem Moment neu. »Danke, dass du auf mich aufpasst, aber das war wirklich nicht der Fall. Ich hab aus der Sache mit Peter gelernt und würde zu dir kommen, wenn wieder so etwas passiert. Versprochen.« »Okay. Das ist beruhigend zu hören. Oder noch besser: Wenn wieder so eine Scheiße passiert, dann lauf diesmal direkt weg.« Er lachte leicht. »Mach ich.« »Aber warum hast du dann ...? Du hast mit ihm Schluss gemacht, oder? Warum, wenn es doch so gut war?« Leise seufzte er, dann erzählte er mir alles, was er über ein Jahr für sich behalten hatte: Was passiert war, nachdem er die Sache mit Toby und Roger geklärt hatte, wie sie sich verliebt hatten, von ihrem Urlaub in Maine und dem romantischen Spaziergang, von dem Date an Weihnachten, für das er die Einladung meiner Familie ausgeschlagen hatte, aber auch, warum er sich entschieden hatte, Tino nicht mehr zu treffen. »Isaac ... Du bist ein Vollpfosten!«, erklärte ich ihm, als er fertig war. Niedergeschlagen stöhnte er. »Ich weiß.« Ich wartete eine Weile, ob er selbst noch etwas dazu sagen wollte, dann fragte ich: »Was machst du jetzt wegen deinem Handy?« »Mir bleibt ja nicht viel anderes übrig, als es bei ihm abzuholen.« Am liebsten wollte ich ihm sagen, dass er sich dann auch gleich mit Tino vertragen sollte, doch ich ließ es. Wenn Isaac nicht von mir hören wollte, was gut für ihn war, dann halt nicht. Dann hoffte ich eben, dass er selbst darauf kam. »Soll ich mitkommen?« »Nein, brauchst du nicht. Ich schaffe das auch allein.« Notgedrungen glaubte ich ihm, auch wenn er selbst nicht so sicher klang. »Na gut.« »Aber kannst du morgen vorbeikommen, damit wir ihm schreiben können wegen einem Termin?« »Ja klar.« Er wollte also doch noch meine Hilfe. Das war irgendwie beruhigend. »Wann soll ich da sein?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)