Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 1: James – August 1983 ------------------------------ Rene blieb nur kurz am Eingang stehen, sah sich um und kam zu mir herüber. Kumpelhaft klopfte er mir auf die Schulter, dann setzte er sich auf den freien Hocker neben mich. »Was gibt es denn so Wichtiges?« Bevor ich antwortete, schob ich ihm eines der beiden Pinnchen zu, die vor mir standen. Er würde es gleich brauchen. Er warf mir einen skeptischen Blick zu und ernsthafte Sorge zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Bis jetzt hatte er wohl gehofft, dass das, was ich ihm so dringend sagen wollte, etwas Erfreuliches war. »Lillian war vorhin bei mir. Sie ist schwanger.« Einen Moment starrte er mich an, als erwarte er, dass ich in Gelächter ausbräche und ihm erklärte, dass es nur ein Witz war. War es leider nicht. Als er das erkannte, griff er nach dem Pinnchen und stürzte es in einem Zug herunter. Ich tat es ihm gleich und beschwerte mich auch nicht, als er mit einem Fingerzeig zwei neue bestellte. Erst als auch die zweite Runde leer war, wandte er sich wieder mir zu. Seine Miene zeigte eine Mischung aus Wut, Verwunderung und Misstrauen. »Warum hat sie mir nichts davon erzählt?« »Sie wollte morgen mit dir reden. Aber erstmal wollte sie es nur mir erzählen.« Ich wusste, dass ich das Unausweichliche mit dieser Antwort nur hinauszögerte, aber ich wollte mir diese wenigen Sekunden erkaufen. Ich musste das doch selbst erst einmal verarbeiten. »Warum? Habe ich nicht genauso ein Recht, das zu erfahren?« Die Wut übernahm eindeutig die Führung. Er fühlte sich ausgeschlossen, und das zurecht. Deshalb hatte ich auch noch am Abend mit ihm reden wollen. Ich atmete tief durch. »Weil ich der Vater bin.« »Was macht dich so sicher? Verschweigt ihr mir etwas?« Verletzung und noch immer Misstrauen. Ich verstand ihn, hatte aber so gehofft, dass es nicht dazu kommen würde. Beruhigend schüttelte ich den Kopf. »Nein, wir verschweigen dir nichts. Glaub mir, das war sicher nicht beabsichtigt. Es war ... Wie hoch standen die Chancen, dass es bei nur einem Mal wirklich schief geht?« Seine Augenbrauen senkten sich skeptisch. »Auch davon habt ihr mir nichts erzählt.« Nun musste ich doch etwas lächeln. »Weil du dabei warst. Erinnerst du dich nicht mehr an Independence Day?« Er senkte den Kopf und wich meinem Blick aus. Natürlich erinnerte er sich. Wir hatten nach der Feier zusammen bei Em und Kas im Wohnzimmer auf der Matratze gepennt, weil wir zu stoned waren, um nach Hause zu gehen. Irgendwann in der Nacht war ich aufgewacht, Lillian lag nicht mehr bei uns, dafür hatte sich Rene dich an mich gedrängt. So dicht, dass ich spüren konnte, dass die Drogen nicht nur bei mir einen aufreizenden Nachklang hatten. Eine Weile wartete ich, hoffte, dass Lilly wiederkam und sich wieder zwischen uns legte, doch es war nichts von ihr zu hören. Ich vermutete, dass sie auf Toilette eingeschlafen war. Doch das ließ mich mit einem Problem zurück: Rene, der noch immer dicht an mich gedrängt lag und meine Lage durch seinen unruhigen Schlaf nicht gerade verbesserte. Irgendwann wurde es mir zu bunt und ich weckte ihn, indem ich ihm mit der Taschenlampe von neben dem Bett ins Gesicht blendete. Kaum hatte er ein Auge grummelnd geöffnet, drohte ich ihm: »Entweder lässt du dich von mir blasen oder du rutscht ein Stück weg!« Verständnislos blinzelte er mich eine Weile an, brauchte wohl etwas, bis meine Worte im richtigen Bereich seines Gehirns angekommen waren. Geduldig wartete ich darauf, dass er mich endlich losließ und rutschte, doch nach und nach mischte sich Neugierde in seinen Blick. Neugierde, die durch die Drogen noch genähert wurde. Sonst hätte er sie wohl nie so deutlich gezeigt. »Dein Ernst?« Ich lachte leise auf. Als hätte ich jemals Zweifel daran aufkommen lassen, dass ich ihn nicht ganz unterinteressant fand. Erst nachdem wir geklärt hatten, dass er keinerlei Ambitionen in der Richtung hatte, hatte ich das zurückgefahren. »Aye.« Mir war bewusst, dass seine Zustimmung zu meiner Drohung nichts an seiner Einstellung änderte und es reine Neugier war, aber warum hätte mich das abhalten sollen? Mich interessierte schließlich auch, was er Lilly zu bieten hatte. Und es ausschlagen, nur weil klar war, dass es keine Wiederholung gab und er es nicht erwidern würde? Unfug! Rene löste gerade seine Finger aus meinen Haaren und ich hatte noch seinen Geschmack auf der Zunge, als neben uns ein heller, tadelnder Schnalzlaut erklang. Ertappt sahen wir beide in die Richtung des Geräusches. Keiner von uns hatte darüber nachgedacht, was Lilly wohl davon halten würde. Doch sie verlor kein Wort darüber. Stattdessen kam sie näher, küsste erst Rene und dann mich. Ihre Finger, die über meine Schulter strichen und mir sanft bedeuteten, mich auf den Rücken zu drehen, waren feucht und sie verströmte einen verführerischen Duft. Wie lange hatte sie unser Treiben im Schein der Taschenlampe wohl schon beobachtet? Niemand von uns sprach ein Wort, Rene und ich hatten nur noch Augen für unsere wunderschöne Lilly, wie sie sich grazil über mir bewegte. Nur einen Augenblick zögerte sie, bevor sie sich auf mich nieder senkte. Mir war bewusst, dass es gegebenenfalls eine schlechte Idee war, aber das war mir in dem Moment egal. Niemand von uns hatte etwas zur Hand und wir wollten ganz sicher nicht den kleinen Ritter und seine Eltern wecken, indem wir die Wohnung verließen. Diese Zeit hätten sich auch weder Lilly noch ich nehmen wollen. Ich wusste nicht, wann Rene eingeschlafen war, eine Weile hatte er Lilly noch zärtlich gestreichelt, doch irgendwann hörte ich neben mir nur sein leises, gleichmäßiges Schnarchen. Leicht strich ich mit dem Daumen und den Fingerspitzen über Renes Hüfte. Nur eine kurze Berührung, doch sie ließ ihn wieder aufblicken. »Und wie geht es jetzt weiter?« »Ich werd mit Lillian Schluss machen ...« »Was?!« Rene sprang mit geballten Fäusten auf. Ich seufzte leise. Ich verstand, dass er wütend war. Deshalb hatte ich es auch ihm zuerst sagen wollen und Lillian um etwas Bedenkzeit gebeten. Ich hoffte, dass er es eher verstehen und mir beistehen würde. »Hör mir erstmal zu.« Sanft drückte ich ihn an der Schulter wieder auf den Hocker. Beschwichtigend sprach ich auf ihn ein. »Ich bin kein Familienmensch. Daraus hab ich nie ein Geheimnis gemacht. Ich wäre nie da, um ihr zu helfen. Ich bin doch ab nächster Woche schon wieder für zwei Monate unterwegs.« Erneut ballten sich seine Hände. »Und während du unterwegs bist, muss sie ihre Karriere opfern! Oder hoffst du, dass sie es dann ... wegmachen lässt?« »Nein! Hast du sie noch alle!« Niemals würde ich versuchen, dass sie das Kind loswurde! Es war unser Kind! Wenn sie sich von sich aus dafür entschied, dann würde ich die Entscheidung akzeptieren, aber nie würde ich sie in diese Richtung drängen. »Ich meine, wenn sie das so möchte ... Aber sie hat sich schon etwas darüber gefreut.« Rene nickte, schien aber nur teilweise zufrieden mit der Antwort. »Lillian muss ihre Karriere sowieso für eine Zeit hintanstellen. Wenn ich weitermache, kann ich ihr die richtigen Kontakte vermitteln, sobald sie wieder einsteigen kann.« Davon hatte sie deutlich mehr, als wenn ich versuchte, etwas für sie zu sein, was ich einfach nicht war. Ein Kind passte nicht in mein Leben. »Und wie stellst du dir das vor, wenn du sie allein lässt? Sie ...« Mein Lächeln ließ ihn verstummen, sodass ich ihn korrigieren konnte, bevor er noch mehr falsch verstand: »Ich lasse sie ja nicht allein.« Erst als ich ihm meine Hand auf die Schulter legte, verstand er. »Aber ... Das kann nicht dein Ernst sein!« »Warum nicht? Uns ist beiden klar, dass du der bessere Vater bist. Lillian hätte sich, wenn es geplant gewesen wäre, sowieso für dich entschieden. Und es braucht keine zwei von uns.« »Aber ...« Was auch immer er erwidern wollte, blieb ihm im Hals stecken. Ich wartete, ob nicht doch noch etwas kam, dann erklärte ich: »Ich habe nicht vor, dich und Lilly damit allein zu lassen. Ihr bekommt von mir alle Unterstützung, die ich euch bieten kann. Aber bitte, zwingt mich nicht, Vater zu werden.« »Stattdessen soll ich Vater werden?« Die Wut hatte nachgelassen und ich konnte in seinem Blick sehen, dass er zumindest ernsthaft über den Vorschlag nachdachte. »Du wolltest es doch sowieso werden, oder nicht?« »Ja, aber noch nicht jetzt!« Ein verzweifeltes Lachen entrang sich seiner Kehle. »Wie stellst du dir das vor? Lillian ist gerade erst mit der High-School fertig und mein Job reicht nicht für uns beide und ein Kind.« »Ich hab doch gesagt, dass ich euch helfe!« Frustriert seufzte ich. »Ja, mir ist klar, dass das auch nur bedingt hilft, aber es wäre doch auch nicht anders, wenn ich mich darum kümmere. Vielleicht sogar schlimmer.« Eine Weile schwiegen wir, bevor Rene mir direkt in die Augen sah. »Lass mir Zeit, darüber nachzudenken. Und wenn wir mit Lillian reden, solltest du ihr vielleicht erst sagen, was du dir vorstellst, statt sie direkt zu verlassen.« Er lächelte leicht und klopfte mir aufmunternd auf den Oberarm. »Ich verstehe nämlich immer noch nicht, warum du das unbedingt tun willst. Dem Kind ist es egal, was seine Mama und Onkel tun, wenn es nicht dabei ist.« Das brachte mich dann doch zum Lachen. »Nur bis zu einem gewissen Alter.« Er schmunzelte ebenfalls. »Bis dahin ist uns sicher etwas eingefallen. Na los, bezahl und dann schauen wir bei Lilly vorbei, ob sie noch wach ist.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)