1000 Ways to Die in the West von Hotepneith (Die Memoiren eines Flohgeistes) ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. nach Jesus Sirach 3, 27-28   Während ich weiter hüpfte durch die noch immer heißen und recht einsamen Einöden, spürte ich, wie sehr das Yōki und das Blut des Daiyōkai in mir tobten. So stark, so mächtig, war ich nie zuvor gewesen! Allerdings war mir nur zu bewusst, dass das kaum ein Echo dessen war, dass dieser Hund, den ich da mit meinen letzten Versuchen getroffen hatte, an Macht besaß. Ich brauchte mich wahrlich nicht für stark halten, wenn das einige Tropfen Blut auslösten… Dennoch. Ich fühlte mich erfrischt. Nur leider, während ich erleichtert vor mir etwas wie Wald entdecken konnte, wurde mir immer deutlicher klarer, dass das wohl der letzte Trunk meines Lebens gewesen war. Es sei denn, Meister Nekohiko kannte einen Ausweg. Es würde doch nie wieder einen Daiyōkai geben, der mir sein Blut freiwillig spendete. Und mit einer Attacke auf eines dieser Wesen erfolgreich loszugehen, nun ja. Ich konnte seit heute nur zu gut abschätzen auf was ich mich da einlassen würde. Ich wusste von dem Hund ja nicht einmal den Namen, toll. Ich hätte mich auch nicht getraut ihn zu fragen, aber er war ganz sicher unter den Stärksten selbst der Daiyōkai. Im Notfall müsste ich das Schwebende Schloss aufsuchen, nach dem neuen Taishō fragen und ihm mein Dilemma erklären. War das ein Plan? Kaum. Ein ganzes Schloss voller Hunde und ich mittendrin? Das klang nicht nach einem Plan, das klang nach einer Selbstmordmethode. Ach du je. Seit diese Paradiesvögel mein Dorf angegriffen hatten, hatte ich einfach nur noch Pech und ich konnte nur hoffen, dass das nicht noch zu steigern wäre.   Endlich erreichte ich den Wald. Er war dicht und feucht und ich setzte mich erst einmal in den Schatten, versuchte mich zu erholen und nachzudenken. Der Hekashin mochte hier irgendwo in der Gegend sein, aber wo? Und wen sollte ich danach fragen? Oder nach Meister Nekohiko? Wie hatte das der Hund genannt? Magierkatze? Katzenmagier? War das vielleicht der Name, nach dem ich fragen müsste? Nur, wen? Die Wahrscheinlichkeit nochmals an wen Freundlichen zu geraten, der mich nicht fressen oder sonst wie umbringen wollte, war mit gleich zwei Treffern in den vergangenen Tagen doch wohl rapide gesunken. Allein jedoch einen Zauberwald in einem vollkommen unbekannten Territorium zu finden erschien mir jetzt mehr als vage. Hier sah alles nach Wald aus. Vielleicht sollte ich wieder auf einen der höchsten Bäume springen und mich umsehen? Das hatte ich ja schon getan, als ich vom Dorf … Lieber nicht dran denken. Der Rückweg war mir wohl für dauernd versperrt. Da gab es schließlich keinen freundlichen, oder zumindest äußerst toleranten, Daiyōkai.   So suchte ich mir einen sehr hohen Baum, den höchsten, den ich finden konnte. Eine Zeder, glaubte ich damals, aber ich weiß es nicht genau. Jedenfalls guckte ich mich um und fand auf der einen Seite den Hoyama mit den umgebenden Einöden, wohin ich sicher nicht mehr wollte, auf der anderen schlicht dichten Wald, der sich über ganze Hügelketten erstreckte. Und wo war jetzt der Hekashin? Shin war doch eher ein lichter, kleiner Wald, das müsste man doch sehen, oder? Und nicht diesen endlos scheinenden Urwald vor mir. Wohin sollte ich armer Flohgeist nur? Ich musste mich hastig festklammern, denn die Erde bebte. Was war jetzt los? Grollte der Vulkan sogar bis hierher? Ich sah dennoch hinab und … nun ja, war froh, mehr als zwanzig Meter weiter oben zu sitzen. Der Waldboden wölbte sich auf und heraus schoss etwas Langes, Riesiges, eine Kreatur, wie ich sie mir in meinen Alpträumen kaum hässlicher hätte ausmalen können. Schleimig, mit Erde bedeckt, schrecklich viele Beine an dem flachen Körper und ein aufgerissener zähnestarrender Mund. Das Erdbeben ließ nicht nach, auch, wenn ich doch glaubte, langsam müsste der Wurm, ja, genau, das war eine Sorte Wurmyōkai, aufhören. Nein, das waren ja zwei, zwei, ineinander verschlungene Würmer, die sich ein Stück über den Boden wanden, ehe sie gemeinsam wieder verschwanden. „Wurmyōkai bei der Paarung,“ sagte jemand hinter mir und ich machte unverzüglich einen Mehr-Meter-Satz zum nächsten Baum. Als ich mich umsah, atmete ich tief durch. Eine gigantische, behaarte Spinne hatte sich an mich angeschlichen und nur den Fehler gemacht mit mir zu reden, weil sie sich meiner zu sicher gewesen war. Spinnen konnten nicht so weit springen, das war mein Glück. Und jetzt erkannte ich auch, wenngleich nur mit Mühe, die feinen Fäden, die sie zwischen den Zweigen der Zeder gespannt hatte. „Du hast mich erschreckt!“ warf ich ihr vor, war aber gleichzeitig froh entkommen zu sein. Hoffentlich. Vorsichtig blickte ich mich diesmal besser um. Sie zuckte die Schultern. „Hätten mich die Würmer nicht gestört, wäre ich schon dabei dich zu fesseln, Fliege. Oh, du bist ja ein Floh! Daher der weite Satz. Hm. So was habe ich ja noch nie gesehen. Du scheinst recht stark zu sein.“ Sie wollte mich doch nicht etwa zu sich zurück locken? Ich blieb wo ich war. „Ich bin Bote,“ log ich. „Ich soll in den Hekashin zu dem Katzenmagier.“ Sie winkte ein wenig mit den Vorderbeinen – ab. „Da kommt keiner rein. Der Kater mag keine Besucher. Vielleicht macht er bei Boten eine Ausnahme. Vom Fürsten, wohl?“ Das klang wirklich nicht gut. Aber, immerhin redete sie. Vielleicht bekam ich weitere Auskünfte? Ohne zu lügen? Möglicherweise erkannte sie wie der Hundedaiyōkai Lügen? Ich blickte mich hastig noch einmal um, ehe ich fragte: „Und, wo kann ich diesen Hekashin finden?“ Die Spinne kicherte. „Schätzchen, den kann man nicht finden, nur er dich. - Aber, wenn du da Richtung Ost gehst, wo die Sonne aufgeht, da, hörte ich, soll er liegen. Aber, da leben meine Schwestern ja auch.“ Sie kicherte wieder und diesmal klang es eindeutig boshaft.   Das klang vor allem nicht sonderlich gut. Ich musste, sollte, nur unter Tageslicht reisen, um diese heimtückischen Fäden glitzern zu sehen. Und dann? Was, wenn ich wirklich nicht in den Hekashin kam? Meine Sorge diesbezüglich wuchs bei jeder Begegnung an. Nahm Meister Nekohiko wirklich keine Schüler mehr an? Wehrte er nur aufdringliche Besucher ab? „Danke für die Warnung,“ sagte ich jedoch, ehe ich mich abwandte und sehr aufmerksam weiter hinunter sprang. Den Erdboden sollte ich meiden, das hatten die Würmer bewiesen, sehr einfache, dumme Yōkai, von denen ein Flohgeist jedoch gut zehren konnte, wenn er nicht hoch entwickelteres getrunken hatte, wie eben meine Wenig… Ach, wozu das Ganze sich selbst wiederholen. Es wurde ja nicht anders dadurch. Die Wipfel der Bäume sollte ich auch meiden, dort hatten anscheinend die Spinnen ihre Netze und warteten auf unvorsichtige Insekten. Wie mich, wie ich zugeben musste. Die gewisse Erleichterung es durch die Einöden geschafft zu haben, hatte mich weniger auf der Hut sein lassen als es sinnvoll war. Nur nie mit der Wachsamkeit nachlassen! Niemals. Lieber zu früh fliehen als zu spät…. So sprang ich von Baum zu Baum weiter, nach Möglichkeit versteckte Fallen entdecken wollend, Augen, die unter Blättern lauerten und anderes. Aber ich gelangte, ob mit Vorsicht oder Glück vermochte ich nicht zu sagen, gegen Abend an den Rand des Waldes. Nun ja, Korrekter wäre wohl den Rand einer Lichtung, denn nach einer kurzen Strecke ohne Bäume ging es wieder weiter. Sollte ich die Nacht auf der Lichtung verbringen? Da war ich für allerlei Nachtgetier zu erkennen, wenn ich mich nicht gut unter dem Gras versteckte, andererseits konnte ich selbst auch besser bemerken, wer sich an mich anschlich und sogar etwas den Himmel im Auge behalten. Es gab zwar Wolken, aber es würden doch die Sterne auftauchen. Ich hüpfte mehr als vorsichtig in die Wiese, immer wieder umguckend, dann ging ich nur noch zu Fuß weiter. Irgendetwas stimmte hier nicht, da war ich sicher, mit einem Gefühl, wie ich es zeitlebens, nun ja, meines kurzen Lebens noch nie empfunden hatte. Eigenartig, nur zu fühlen, nicht zu sehen. Erneut blickte ich mich um, spürte mit allen Sinnen. Nein, immerhin kein Yōki in der Nähe, also auch keine Gefahr. Außer natürlich jeder Eidechse oder sonst etwas. Nur, was war dieses Zusätzliche? Ich fand etwas, das mich an einen Löwenzahn erinnerte und kroch drunter, freilich so, dass meine Beine zusammengeklappt blieben für einen weiten Sprung. Dieser Rat Meister Mikotos hatte mich in den letzten Tagen mehr als einmal gerettet. Wie es ihm wohl gehen würde, allen im Dorf? Ich musste mir selbst zugeben, dass ich sogar geheiratet hätte und Kinder großgezogen, wäre ich nur wieder zuhause. Aber das war eindeutig unmöglich und so sollte ich mich damit auch gar nicht mehr aufhalten. Was also war das nur? Es kam von dem Wald jenseits der Lichtung, oder? Was war da? Der Hekashin konnte es kaum sein, dazu war das doch viel zu dicht, kein Hain, definitiv nicht, aber… Ich musste der dämlichste Floh aller Zeiten sein und hätte mir um ein Haar alle vier Hände vor die Stirn geschlagen. Das war anscheinend ein Nebeneffekt der Tatsache, dass ich das Blut des Daiyōkai getrunken hatte. Was ich spürte war Magie, schlicht und einfach. Jemand meiner Art konnte Magie weder weben und auch nicht erkennen, aber offenbar vermochte ich sozusagen geliehen nun letzteres. Aber, wenn da Magie war, ich einen Hain suchte und Urwald sah – handelte es sich etwa um das, was man einen Bannkreis nannte? Zauber, der den Zauberwald umgab um ihn vor unerwünschten Besuchern zu schützen? Oder lag da etwas ganz anderes, eine üble Falle für unvorsichtige Reisende? Ich musste sorgsam sein und tapste mehr als ich lief in der beginnenden Nacht auf den Wald zu, den ich sah. Tatsächlich erhöhte sich der Druck dessen, was ich als Magie ansah, immer mehr. Eine Barriere sollte das wohl sein, keine Falle. Aber ich blieb immer wieder nach drei Schritten stehen, sah und hörte mich um, suchte nach Yōki oder anderen Hinweisen auf Lebewesen. Und wurde nicht fündig. So gelangte ich nach scheinbar endloser Zeit sehr nahe an den Waldrand – und prallte gegen ein unsichtbares Hindernis. Ich hatte recht gehabt. Hier war Magie, ganz erhebliche vermutlich. Ein Bannkreis, der mich abwehrte, und, nach dem, was diese Spinne gesagt hatte, nicht nur mich. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet und setzte mich erst einmal vor Schreck hin. Irgendwie war mir der Hekashin, war mir Meister Nekohiko als letzte Zuflucht erschienen, hatte mich diese Hoffnung durch getragen … und jetzt?   Ruhig Blut, Myōga, mahnte ich mich. Bannkreise waren doch angeblich zu durchqueren, wenn man sie löste oder doch wohl die entsprechenden Sprüche kannte. Kannte ich leider nicht. Und ich besaß keine Anleitung, hatte ich doch nie zuvor Magie gespürt. Wie hätte das auch Meister Mikoto? Kein Floh, der nicht das Blut eines Daiyōkai getrunken hatte, würde das vermögen. Und ich vermutete, in all den Generationen zuvor belief sich die Anzahl auf Null. Ich musste es einfach nochmal versuchen, anders. So stand ich wieder auf. „Ich möchte zu Meister Nekohiko,“ sagte ich, ehe ich erneut auf den Bannkreis zuschritt. Und mich ebenso prompt schmerzhaft gestoppt fand.   Was sollte ich nur machen? Yōki! Ich fuhr herum und starrte die Katze, den Kater, an, der scheinbar aus dem Nichts gekommen war. Buchstäblich eine weiße Katze, wenngleich aufrecht gehend wie ein Mensch, ein sehr … nun, ich gebe zu, ich empfand es als dämliches, Grinsen um den Mund, die Augen halb geschlossen. In der rechten Pfote umkrallte er … oder sie, ergänzte ich vorsichtig geworden … einen goldenen Stab mit einem ebensolchen Kreis oben, auf den er sich lehnte. „Habe ich dich erschreckt, Flohgeist? Ich bin der Wächter des Hekashin. Wer seinen Bannkreis stört, ruft mich.“ „Ich wollte den Bannkreis ja nicht stören,“ beteuerte ich lieber eilig. Hinter mir lag immerhin dieser, der mir keinen Zugang gewährte, und vor mir stand dieser Kater, gewiss fast so hoch wie ein Mensch. „Was wolltest du dann im Hekashin?“ „Äh, ich wollte der Schüler werden von Meister Nekohiko.“ Das Grinsen wurde stärker. „Und was veranlasst dich zu der Annahme Meister Nekohiko würde ausgerechnet einen Flohgeist aufnehmen, wo ihr doch über keinerlei Magie verfügt?“ „Mein… mein eigener Lehrer, Meister Mikoto, sagte, er habe hier sehr viel gelernt. Es mag lange her sein, aber …“ „Ach herrje.“ Der Kater hob eine Hinterpfote und lehnte sie an das andere Knie, stützte sich dabei auf dem Stab ab. „Und das hast du geglaubt. Natürlich, er war ja dein Meister. Und warum bist du nicht bei ihm geblieben? Ist er tot?“ „Äh, nein, ich hoffe nicht. Wir wurden bei einem Angriff getrennt…..“ gab ich zu. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich hier lügen sollte, wenngleich vorsichtig sein. Das klang alles nicht sonderlich verheißungsvoll. „Weißt du, ich will ja auch keine Magie lernen, das können Flohgeister ja gar nicht, nur einfach mehr lernen.“ „Du hast Magie in dir, also lüge nicht.“ „Das ist nicht meine,“ protestierte ich prompt. „Ich trank das Blut eines Daiyōkai und seither … naja, seither kann ich anscheinend wenigstens Magie spüren.“ „Das Blut eines Daiyōkai.“ Er klang spöttisch. „Er schenkte es mir und rettete mir damit das Leben!“ „Blödsinn. Kein Yōkai, wie viel weniger ein Daiyōkai, schenkt Leben. Wie hieß er denn?“ Er glaubte mir nicht, seufzte ich in Gedanken. „Ich habe ihn nicht gerade nach dem Namen gefragt. Ich war dem Tode nahe und er … er rettete mich, er war ein Hund. Und er trug So´unga.“ Der Kater vor mir stellte abrupt wieder beide Hinterbeine auf die Erde. „Du weißt, was du gerade gesagt hast?“ „Das Höllenschwert, so nannte er es, ja.“ Er stieß den goldenen Stab auf den Boden und ich spürte eine Magiewelle. „Ein Flohgeist mit dem Blut des Trägers der höllischen Klinge. Nie und nimmer darfst du in den Hekashin. Und noch dazu diese Lüge mit einem Mikoto. Dreh um und verschwinde, kleiner Floh!“ Ich fasste es nicht. „Meister Mikoto sagte doch ….“ „Ja, und du hast ihm geglaubt, kleines Licht, das du bist. Wer denkst du, das du wärst, um bei dem mächtigsten Magier, den die Katzenwelt je sah, lernen zu dürfen?“ Gute Frage, dachte ich. So sagte ich nur: „Ja, ich verstehe ja. Aber, bei wem kann ich denn noch lernen?“ „Was willst du denn lernen?“ „Naja, wie die Welt ist, was es für Wesen gibt, wie sie leben ….“ Ich sah, dass das Grinsen sich vertiefte und versuchte meine bittere Enttäuschung zu verbergen „Ja, schon gut. Ich bin kein Magier, ich bin kein Daiyōkai, ich bin das letzte Glied der Nahrungskette.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)