Vogelfrei von lunalinn ================================================================================ Kapitel 10: Die Schuld ---------------------- Wider Erwarten schlief der Dämon die nächsten zwei Tage so gut wie durch. Er wurde nur wenige Male wach, um etwas Nahrung zu sich zu nehmen. Meistens wurde dies von einem aggressiven Knurren oder gebleckten Zähnen sowie einem drohenden Rascheln der Flügel begleitet. Dann rollte sich der Dämon wieder in die Decke und gab keinen Laut mehr von sich. Es war vollkommen widersprüchlich zu seinem bisherigen Verhalten, doch Enji nahm an, dass er seine Kräfte sammeln wollte. Vielleicht ging es ihm tatsächlich so schlecht, vielleicht war es bloß eine List, da er fürchtete, sie würden ihn sonst doch töten. Ihm ging der Blick des Dämons nicht aus dem Kopf, als er diesen endlich niedergerungen hatte. Die unverkennbare Erschöpfung und Angst, die diesen mürbe gemacht hatten. Die Worte, die er so gebrochen hervorgestoßen hatte. Er wollte nicht sterben? Warum hatte er sich dann für ihn mit dieser scheußlichen Dämonin angelegt? Das ergab keinen Sinn für ihn. Ohne das Eingreifen der Harpyie wäre diese nun nicht so zugerichtet. Nein, er würde den Dämon nicht einfach töten, nachdem dieser ihn vor dem Tode bewahrt hatte…und schon gar nicht, bevor er Antworten auf seine Fragen bekommen hatte. Alles in ihm sträubte sich, daran zu glauben, dass der Vogel dies grundlos getan hatte. Weil er ein guter Kerl war oder dergleichen. Es gab keine guten Dämonen. Diese Bestien wurden von ihren niederen Instinkten getrieben, kannten kein Erbarmen. Unweigerlich erinnerte er sich daran, mit welcher wilden Brutalität die beiden Dämonen aufeinander losgegangen waren. Wie die Harpyie der Dämonin das Gesicht zerfressen…ihr die Gedärme aus dem Leib gerissen hatte… Sein Blick ruhte während dieser grausigen Erinnerung auf dem gefiederten Jüngling, der dort neben ihm in der Höhle lag und friedlich zu schlafen schien, ging man von den gleichmäßigen Atemzügen aus. Wo er ihn so betrachtete, wirkte er regelrecht harmlos. Trügerisch harmlos. Enji seufzte innerlich, fühlte sich genervt von der ganzen Situation. Es war bereits späte Mittagszeit und die anderen beiden schon eine ganze Weile unterwegs. Toshinori hatte sich im nächsten Dorf, das einige Stunden entfernt lag, umhören wollen und den Einsiedler mitgenommen. Zunächst hatte Aizawa hier bleiben wollen, doch Enji hatte darauf bestanden, selbst über die Harpyie zu wachen. Zumal er den Dämon verhören wollte und es Aizawa zutraute, ihn einfach entkommen zu lassen, sollten die Wunden doch nicht mehr so schwerwiegend sein – was kannte er sich mit den Heilkräften dieser Kreatur aus? „…du bist unheimlich, weißt du?“ Enji zuckte zusammen, als er das Nuscheln des Dämons hörte, und sah im nächsten Moment in dessen bernsteinfarbene Augen. Müde wurde er angeblinzelt, Nase und Mund waren unter einer der Decken, in die er gewickelt war, versteckt. Was zum…? Er brauchte ein paar Sekunden, um sich zu fassen und etwas entgegnen zu können. „Ich bin unheimlich?“, knurrte er zurück, woraufhin der Dämon nickte. „Jemandem beim Schlafen so anzustarren, ist unheimlich. Ich meine, ich weiß ja, dass ich ein hübsches Kerlchen bin, und sicher hast du noch nie so leuchtend rote Flügel wie die meinen gesehen, aber es ist dennoch unanständig.“ Enjis Augenbraue begann zu zucken, während er sich fragte, ob er gerade tatsächlich von einem Dämon bezüglich gesellschaftlicher Gepflogenheiten belehrt wurde. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. „Hör auf, so zu tun, als würde ich dir nachstellen!“, schnauzte er ihn an, woraufhin der Dämon den Kopf rasch komplett unter die Decke steckte. Was sollte das Getue jetzt wieder? Dieses freche Vieh hatte doch nie im Leben Angst vor ihm. Wollte er an sein Mitleid appellieren? Wieder kamen ihm jene Worte in den Sinn, als der Dämon vor ihm zu fliehen versucht hatte, und sie nagten an ihm, ließen ihn sich schlecht fühlen. Dabei hatte er ihm noch gar nichts angetan. „Lass den Unsinn!“, murrte er und zog an der Decke, sodass das Gesicht des Dämons wieder zum Vorschein kam. Ihm entging nicht, wie dessen Klauen zuckten und sich kurz in den Stoff bohrten, dann aber wieder locker ließen. Das Lauernde in dessen Blick verschwand nicht, wurde jedoch von einem Grinsen abgemildert; dennoch spürte Enji, wie sich sein Puls beschleunigte. Instinktiv erinnerte er sich daran, dass sein Schwert neben ihm an der Wand ruhte und der Dämon angeschlagen war. „Schrei mich doch nicht gleich so an“, brummte dieser und zog die Decke bis unters Kinn. „Schließlich bin ich verletzt und da möchte man betüddelt werden!“ Enji schnaubte verächtlich. „Gib dich damit zufrieden, dass wir dich bisher nicht in die Hölle geschickt haben“, meinte er grantig, woraufhin der Vogel eine Schnute zog. „Das wäre auch wirklich undankbar, nachdem ich mich deinetwegen mit dieser Sirene angelegt habe und fast drauf gegangen bin“, maulte er anklagend, was Enji stutzen ließ. „Sirene?“, wiederholte er. Der Dämon nickte, während er ein wenig herumrutschte, wohl eine bequemere Position zu finden versuchte. Im Endeffekt legte er sich jedoch wieder auf die Seite, wollte ihm anscheinend nicht den Rücken zuwenden. Wer konnte ihm das verdenken... „Sirenen sind Dämoninnen, die eigentlich unter Wasser leben, aber zum Jagen kommen sie an die Oberfläche. Platzieren sich irgendwo gut sichtbar und locken Männchen mit ihrem Gesang an. Es wirkt ähnlich wie…hm, wie erkläre ich das…wie ein Rausch! Als wenn du einen über den Durst getrunken hast! Sie beeinträchtigen die Wahrnehmung, erschaffen eine Illusion und würgen dich mit ihren Tentakeln zu Tode. Die meisten ihrer Opfer sterben vermutlich, ohne wach zu werden. Es sei denn, die Sirene ist besonders sadistisch – dann frisst sie dich bei lebendigem Leibe auf.“ Enji verzog das Gesicht, als er an die scharfen Zähne dachte, die sich um ein Haar in sein Fleisch geschlagen hätten. Dann kam ihm allerdings noch ein anderer Gedanke. „Du sagtest Männchen. Warum konntest du dich ihr trotz ihres…Gesangs nähern?“, wollte er wissen. „Tja, auf mich wirkt dieses Gesäusel nicht. Sirenen und Harpyien sind seit Urzeiten verfeindet. Unser Lebensraum liegt oftmals sehr nah beieinander, da ihr Zuhause das Meer oder anderes Gewässer ist und wir unsere Nester in den Klippen bauen. Sie sind überempfindlich, was unsere Schreie angeht, und wir können es unter Wasser nicht mit ihnen aufnehmen.“ Ein schiefes Lächeln überflog die Lippen des Dämons und Enji musste daran denken, wie die Ohren der Sirene zu bluten begonnen hatten, während er selbst es noch relativ gut ausgehalten hatte. „Dachte schon, das war’s, als sie mich in den See gezogen hat – aber du hast sie gut abgelenkt“, fuhr die Harpyie nachdenklich fort. „War ne richtig gute Zusammenarbeit, was?“ Alles in Enji sträubte sich dagegen, dies anzuerkennen, auch wenn es stimmte. Da er dies aber nicht aussprechen konnte, äußerte er sich nicht dazu. „Hast du deshalb eingegriffen?“, fragte er stattdessen und behielt ihn genau im Blick. „Weil ihr natürliche Feinde seid?“ Etwas, das Enji nicht deuten konnte, flackerte in den Raubvogelaugen auf, so als würde ihm die Antwort darauf auf der Zunge liegen, doch er sprach sie nicht aus. Stattdessen druckste er merklich herum und zog die Decke wieder höher, sodass sein Mund bedeckt war. „Wenn ich das bejahe…tötest du mich dann?“, murmelte er und fixierte ihn wie schon zuvor lauernd. Enji zweifelte nicht daran, dass sich die Harpyie wehren würde, sollte er Anstalten machen, zum Schwert zu greifen. Nun, kein Wunder. Wer wollte schon sterben? „Deine Gründe ändern nichts an dem, was passiert ist“, gab er zurück und sah ihn ernst an. „Du hast mir das Leben gerettet…und zuvor meinem Sohn. Ich stehe in deiner Schuld. Es gefällt mir nicht, doch es ist eine Tatsache. Deswegen werde ich nichts unternehmen, solange diese Schuld nicht beglichen wurde.“ Scheinbar überraschten den Dämon seine Worte, denn er starrte ihn ein paar Sekunden lang nur verwirrt an. Dann wich die Spannung sichtlich aus seinem Körper und er atmete tief durch, pustete sich ein paar blonde Strähnen aus der Stirn. „Dann kann ich ja endlich aufhören, euch wie ein Köter anzuknurren“, brummte er und streckte sich gemächlich aus, sodass einer seiner krallenbesetzten Füße unter der Decke hervorlugte. „Hatte echt Schiss, dass ihr mich im Schlaf abstecht oder so. Man weiß ja nie, so aggressiv, wie du immer bist…dachte, ich lasse euch mal lieber nicht vergessen, dass ich euch ausweiden kann. Kann ich übrigens. Aber ich will nicht.“ Enji spürte schon wieder, wie der Zorn in ihm aufstieg – und das Verlangen, dem unverschämten Dämon eine Kopfnuss zu verpassen. Was fiel diesem Vieh eigentlich ein?! Das war wirklich ungeheuerlich, aber er riss sich zusammen, knirschte bloß mit den Zähnen. „Du wirst uns mit deinem Geplapper eher in den Wahnsinn treiben“, grollte er, was die Harpyie grinsen ließ. „Ach was! Ich bin bloß ein aufgewecktes Vögelchen!“ „…leider.“ „Immerhin habe ich nicht vor, euch aufzufressen“, entgegnete der Dämon viel zu gut gelaunt. „Sei einfach still…“ Zu seiner Verwunderung schmunzelte der gefiederte Jüngling bloß und kuschelte sich dann wieder in die Decke, schloss die Augen. Vielleicht war er ja doch angeschlagener, als er wirkte, wenngleich er seine Klappe nicht halten konnte. Er wurde nicht schlau aus der Kreatur… Erst, als Toshinori und Aizawa zurückkamen, regte sich der Dämon wieder, blickte aufmerksam zu den Neuankömmlingen empor, ohne sich dabei zu bewegen. „Oh, Ihr seid wach!“, kam es überrascht von Toshinori und er lächelte. „Geht es Euch besser?“ In seinen Armen lag ein zusammengefaltetes Bündel aus Stoffen, das verdächtig nach Kleidung aussah. Enji zog die Brauen zusammen, während der Dämon das Lächeln erwiderte und dabei seine spitzen Zähne zeigte. „Bin noch ein bisschen lahmgelegt, der Flügel heilt leider nur langsam – aber ansonsten fühle ich mich ganz gut.“ Aizawa maß ihn mit einem langen Blick, ehe er sich neben den Dämon kniete und ihn auffordernd ansah. Daraufhin schlug dieser die Decke zurück, sodass der Dunkelhaarige seinen Oberkörper begutachten konnte. Die Verbände hatte er in den letzten Tagen mehrfach gewechselt, damit der Vogel keine Infektion bekam – falls das bei Dämonen möglich war. Vorsichtig löste Aizawa die Verbände, was sich der andere widerstandslos gefallen ließ. „Das freut mich, Hawks“, meinte Toshinori mit einem warmen Lächeln, ehe er sich an Enji wandte. „Aizawa und ich haben uns etwas umgehört. Es kann gut sein, dass wir schon bald einen neuen Auftrag haben.“ Die Worte ließen Enji hellhörig werden und den Unmut darüber, dass Toshinori den Dämon so freundlich und respektvoll behandelte, in den Hintergrund treten. „Sprich weiter“, forderte er den Blonden auf, welcher sich neben ihn setzte und das Bündel Stoff auf dem Boden ablegte. Am Rande bekam er mit, wie Aizawa die Verletzung des Dämons inspizierte. Es war zumindest keine offene Wunde mehr, schien gut abzuheilen, obwohl nur so wenig Zeit vergangen war. Daran sah man mal wieder, wie sehr sich ihre Rassen voneinander unterschieden. „Die Leute meinten, dass es südlich von hier, zwei Tagesritte entfernt, ominöse Vorfälle gab. Blutleere Leichen wurden aufgefunden, zumeist handelte es sich um junge Frauen. Sie verschwinden in der Nacht, oftmals aus ihren Zimmern ohne jede Spur.“ „Klingt nach einem Dämon“, kam es spöttisch von der Harpyie, welche jedoch gleich darauf zusammenzuckte. Aizawa hatte sich seinem geschienten Bein gewidmet, dieses probeweise bewegt – scheinbar war der Bruch auch dort noch nicht geheilt. „Findest du das lustig?“, knurrte Enji ihn an, woraufhin der Dämon seufzte. „Oh ja, nichts macht mich glücklicher als tote Menschen…vorzugsweise junge Damen, möglichst unschuldig. Weil ich ja so böse bin.“ „Du wagst es-“ „Hawks. Darüber scherzt man nun wirklich nicht“, mahnte Toshinori streng, woraufhin der Dämon die bernsteinfarbenen Augen verdrehte. „Jaja, ich verstehe schon. Galgenhumor ist nicht euer Ding, huh? Schon gut, schon gut, ich bin still. Beachtet mich einfach gar nicht und – au! Pass mit dem Flügel auf! Der ist empfindlich!“, zeterte er, als Aizawa diesen vorsichtig auseinanderfaltete. Dieser hob eine Braue, ließ ihn aber direkt los, um ihm nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen. Stattdessen setzte er sich zu ihnen und warf einen Blick zu den beiden Kriegern. „Euch ist bewusst, dass wir ihn mitnehmen müssen – und dass die Menschen ihn nur zu gern verantwortlich für ihre Leichen machen werden? Ihr habt gesagt, dass er bei uns bleibt, bis seine Wunden verheilt sind. Nun, das sind sie nicht. Also solltet Ihr eine Entscheidung treffen.“ So sehr es ihm widerstrebte, dem Einsiedler Recht zu geben, musste er doch zugeben, dass dieser Recht hatte. Es stimmte, dass der Dämon ein gefundener Übeltäter für das Leid der Betroffenen sein würde. Er selbst hatte versucht, ihn für die Taten des gigantischen Wurms verantwortlich zu machen. Enji fing Toshinoris Blick auf, der ihm sagte, dass dieser ungern warten würde, da es vermutlich weitere Leben kosten würde, aber sie ebenso an sein Versprechen gebunden waren. Die anderen beiden hier zu lassen, den verletzten Dämon und den Einsiedler, barg ebenso ein Risiko. Nein, das stand ebenfalls außer Frage. „Keine Panik wegen mir“, mischte sich ihr Problemfall ein. „Nehmt mich einfach mit und bis wir da sind, bin ich wieder auf den Beinen!“ „Mit dir als Last werden wir bedeutend langsamer sein“, brummte Enji, woraufhin ihn der Dämon empört ansah. „Wie bitte?! Du bist echt gemein, Rotschopf!“ Toshinori lächelte angesichts ihres Wortwechsels schief, wandte sich dann ihm zu. „Es stimmt schon, dass wir dadurch langsamer sind, doch immerhin reisen wir zusammen. Du kannst deine Schuld ihm gegenüber nicht begleichen, wenn du ihn zurücklässt. Das wäre ebenfalls falsch…und wer weiß, vielleicht kann uns Hawks sogar helfen?“ „Genau! Toshi hat es verstanden!“, pflichtete ihm die Harpyie aufgebracht bei. „Ich habe viel bessere Sinne als ihr! Ich wittere einen Dämon schon, da habt ihr noch nicht mal mit der Spurensuche angefangen! Außerdem bin ich viel schneller als ihr, ich kann fliegen und-“ „Warum solltest du dich gegen deine eigene Art stellen? Schon wieder? Und komm mir nicht mit der Todfeind-Nummer…“, unterbrach Enji ihn genervt, woraufhin es dem Dämon kurzzeitig die Sprache verschlug. Dann verengte er die Augen, presste die Lippen zusammen und zog in einem Anflug von Trotz die Decke wieder über sich, vergrub sich bis zur Nase darin. War er nun beleidigt? Das war doch wirklich…was stimmte nicht mit diesem Vogel? Schließlich war das von seiner Seite aus eine legitime Frage, oder nicht? Er tauschte einen Blick mit Toshinori, welcher schief lächelte; verstand dieser die Reaktion des Dämons etwa? „Ich denke, Hawks missfällt es, dass Ihr ihn mit allen anderen Dämonen in einen Topf werft“, bemerkte Aizawa trocken. „Wüsste nicht, was daran falsch sein sollte“, schoss Enji zurück, was den anderen Mann hörbar ausatmen ließ. Bevor dieser ihm jedoch zweifellos unschmeichelhafte Worte an den Kopf werfen konnte, mischte sich Toshinori in ihr Gespräch ein. „Genug davon!“, meinte er ernst. „Wenn Hawks uns seine Hilfe anbietet, sollten wir darauf zurückgreifen. Zumal er ja ohnehin mit uns kommen muss. Hier zu bleiben, ist in seinem Zustand zu riskant.“ Da wollte keiner widersprechen, auch wenn der Dämon immer noch angefressen wirkte. Sollte den mal einer verstehen. Was erwartete die Kreatur? Dass sie jetzt alle Freunde wurden? Lächerlich. Das hier war eine Lösung auf Zeit und danach würden sie getrennte Wege gehen. Wieder Feinde sein. „Bevor wir aufbrechen, sollten wir noch mal zum See gehen“, wandte Aizawa mit einem Blick auf den Dämon ein. „Nun, da die Wunden nicht mehr offen sind, solltest du dich gründlich waschen, bevor sich noch etwas durch die Keime entzündet.“ „Davon abgesehen, dass der Geruch schon nicht mehr angenehm ist…“, brummte Enji, was die Harpyie empört nach Luft schnappen ließ. „Willst du damit sagen, dass ich stinke?!“ Bei dem Funken sprühenden Blick wünschte Enji sich fast, er hätte es nicht laut ausgesprochen, und auch die anderen beiden sahen ihn tadelnd an. Dabei war das doch bloß die Wahrheit. Machte der Waldschrat schließlich auch ständig. Unhöflich sein und es als Wahrheit tarnen, da sollten die sich mal nicht so anstellen. „Tut mir wirklich leid, dass getrocknetes Blut und Schweiß nach drei Tagen nicht mehr nach Blumenwiese duften“, knurrte er zurück. Der Dämon setzte sich langsam auf und schlug prompt mit der gesunden Schwinge nach ihm, woraufhin Enji nach hinten auswich. „Ups…“, kam es monoton von diesem. „Ich habe wohl meinen Körper nicht unter Kontrolle…das tut mir schrecklich leid.“ Sprach er und schlug allen Ernstes noch mal nach ihm aus, erwischte ihn um ein Haar im Gesicht. Wütend malmte Enji mit dem Kiefer; anscheinend ging es dem Federvieh nicht mehr ganz so schlecht… „Beruhigt euch, beide“, meinte Toshinori diplomatisch und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Hawks, Aizawa-san hat schon Recht, dass Ihr Euch vom Blut befreien solltet, damit sich nichts entzündet oder dergleichen und…überdies haben wir Euch saubere Kleidung mitgebracht. Ein Umweg zum See wäre daher wohl sinnvoll, hm?“ Der Dämon sah seinen Freund zunächst mit einem Ausdruck an, als würde er ihn gleich ebenfalls schlagen. Dann aber entspannte sich seine Mimik langsam und er atmete hörbar aus, nickte knapp. „Na schön…von mir aus.“ „Moment mal“, mischte sich Enji ein und wischte die Hand des Blonden von seiner Schulter. „Was soll das denn heißen?! Ihr habt mein Geld für ihn verschwendet!?“ Aizawa schnaubte. „Verzeihung, dass wir ihn nicht einfach nackt mit uns reisen lassen. Aber es ist gut zu wissen, welche Vorlieben Ihr habt…“ „Schweigt sofort still!! Das ist nicht, was ich sagte, ich-“ „Oho, so ein Krieger bist du also?“, stieg die Harpyie mit ein und wackelte mit den buschigen Augenbrauen. „Ich wusste ja gleich, dass es komisch ist, jemanden beim Schlafen zu beobachten…“ „Leg mir keine Wörter in den Mund! Du bist nicht mal ein Mensch!“, fuhr Enji ihn an, wovon sich der Dämon gänzlich unbeeindruckt zeigte. „Aber ich sehe annähernd menschlich aus“, behauptete er und hob kurzerhand die Decke an. „Da. Alles dran. Nicht viel anders als bei euch – gut, die kleinen Federn habt ihr nicht. Du zumindest nicht, immerhin hab ich ja einen guten Blick auf dich gehabt, während ich dich im Onsen-“ „Schweig!! Das will keiner sehen!! Kennst du keine Scham?!“, schnitt Enji ihm scharf das Wort ab, ehe ihm etwas einfiel. „Und außerdem hast du mich zuerst beim Schlafen beobachtet! Also nenn mich nicht komisch oder unheimlich!“ „Jaja, ganz ruhig…musst ja nicht sofort so ausrasten, meine Güte“, wiegelte der Dämon seine Anschuldigungen ab und wickelte sich wieder in die Decke. „So, alles wieder eingepackt.“ Sowohl Toshinori als auch Aizawa hatten dem Wortgefecht still gelauscht, sahen von einem zum anderen. Enji wollte gar nicht wissen, was die beiden nun dachten. „…ihr wart zusammen im Onsen?“, fragte Toshinori ungläubig. „Wann?“ „Ach, das war keine große Sache!“, plapperte der Dämon sofort wieder los. „Unser Rotschopf hier konnte wohl nicht schlafen, nachdem sein Spross beinahe das Zeitliche gesegnet hat. Da ist er noch mal aufgestanden, um ein Bad im Mondschein zu nehmen. Dort ist er dann doch eingedöst und ich hab mich zu ihm gesellt. Das war so schön warm…jedenfalls bis er wach geworden ist und mich rausgeworfen hat. Das war weniger nett, aber na ja…“ „Du bist praktisch in mein Haus eingebrochen!“, grollte Enji, doch die Harpyie winkte ab. „Papperlapapp! Ich hab mir bloß meine Belohnung geholt.“ „Interessant“, kam es trocken von Aizawa, der sie beide mit einem undefinierbaren Blick musterte. „Wie auch immer, wir sollten langsam los, bevor noch mehr seltsame Geschehnisse ans Licht kommen. Mir reicht dieses fürs Erste. Kannst du aufstehen, Hawks?“ Enji wollte widersprechen, besann sich dann aber eines Besseren. Nein. Er sollte sich eigentlich gar nicht mehr dazu äußern, das würde ihm bloß noch mehr Probleme machen. Zumal er nichts Falsches getan hatte. Die Harpyie war es, die sich zu bestimmten Dingen erdreistete. Dieser Vogel kannte einfach keine Zurückhaltung. Enji beobachtete, wie sich dieser in die Decke wickelte und sich aufzurichten versuchte. Sein gebrochenes Bein sowie der verletzte Flügel schienen dabei sein Gleichgewicht zu stören, sodass er wankte. Nein, dieser war noch weit davon entfernt, wieder vollständig genesen zu sein. „Das kann man ja nicht mitansehen!“, knurrte er genervt und schob Aizawa, der ihn stützen wollte, beiseite. Dann packte er den Dämon und warf ihn sich erneut über die Schulter, wobei dieser ihm die Klauen durch seine Kleidung in den Rücken rammte. „Pass doch auf, verdammt!“, blaffte er ihn an und trug ihn aus der Höhle. „Tut mir ja leid, dass ich nicht darauf vorbereitet war…“, maulte der Dämon und löste vorsichtig die Klauen aus seinem Fleisch. Enji schnaubte anstelle einer Antwort darauf und machte sich daran, den vermaledeiten Vogel irgendwie aufs Pferd zu hieven – was mit Feuersturm nicht recht klappen wollte. Sein Pferd schien den Dämon ebenso wenig ausstehen zu können wie er selbst, scheute und biss nach diesem, weswegen Toshinori es mit Morgenstern versuchte. Die Stute war generell um einiges ruhiger als sein Fuchs, sodass der Dämon schließlich über ihrem Rücken hing – auch wenn es viel gutes Zureden seitens ihres Besitzers brauchte. „Das ist unbequem“, maulte die Harpyie und sah sie anklagend an. „Meckere nicht rum!“, brummte Enji genervt. „Sei froh, dass wir dich nicht mit einem Seil an ihrem Sattel festbinden und dich einfach hinterherschleifen lassen.“ „Du bist ein richtig fieser Mensch. Ich frag mich echt, wie die zwei das auf Dauer mit dir aushalten.“ „Ach, halt den Mund.“ Der Dämon moserte leise herum, blieb aber über Morgensterns Rücken liegen, wobei seine Gliedmaßen ohne Spannung herunterhingen. Toshinori lächelte diesen aufmunternd an, ehe sie ihre restlichen Habseligkeiten zusammenpackten und sich zum See aufmachten. „Ui, da haben die Raben wohl schon ordentlich zugelangt, was?“ Der Dämon warf einen Blick zu dem Kadaver der Sirene, auf dem tatsächlich ein paar schwarze Vögel hockten und sich gütlich taten. Widerlich. Enji zog leicht an Feuersturms Zügeln, um ihn von der Sirene wegzulenken, was wohl auch in Toshinoris Sinne war, denn er folgte ihm kommentarlos. Der See war groß genug, um sich eine freie Stelle zu suchen, an der ihnen nicht vom Verwesungsgeruch übel wurde. Es schauderte ihn, als er daran dachte, dass hier seine Leiche hätte liegen können, wenn alles anders gekommen wäre. Wie viele Männer dieses Monster wohl schon auf dem Gewissen hatte? Der Gedanke sorgte unweigerlich dafür, dass seine Abneigung gegen den vorlauten Dämon gemildert wurde. So frech dieser auch war, aufgrund seines Eingreifens lebte er noch. Todfeind hin oder her, seine Begründung änderte die Tatsache an sich nicht. Also nahm er sich zusammen und half dem Federvieh vom Rücken des Schimmels herunter – auch wenn dieses ihm daraufhin erneut die Klauen in die Haut rammte. Bei dem wütenden Blick seinerseits grinste der Dämon schief, löste behutsam Kralle für Kralle aus seiner Rippengegend. „Das ist echt keine Absicht…“ „Das wäre ja auch noch schöner“, knurrte Enji, während er diesen weiter aufrecht hielt. „Geh dich waschen.“ „Und wie soll ich das machen, wenn ich nicht mal richtig laufen und stehen kann? Bisschen Hilfe wäre schon angebracht, Großer.“ Zu allem Überfluss rutschte dem Dämon in dem Moment die Decke von den Hüften, sodass er diesen nun nackt in den Armen hielt, wobei der andere sich an ihn klammerte. Nein, das war ja gar nicht merkwürdig, ging es ihm sarkastisch durch den Kopf. „Recht hat er schon“, bemerkte Aizawa, der sich ins Gras gesetzt hatte und den Blick über den See schweifen ließ. Auch Toshinori schien ihm in den Rücken fallen zu wollen, indem er ihn anlächelte und zustimmend nickte. „Eigentlich ist ein Bad vor der Weiterreise generell keine schlechte Idee“, überlegte er und begann dann, seine Rüstung abzustreifen. Enji hob eine Braue, schüttelte den Kopf und setzte den Vogel im Gras ab, wo dieser sitzen blieb und sein gebrochenes Bein betrachtete, das immer noch von Stöcken und Bandagen geschient wurde. Da Enji kein Gegenargument einfiel, zog auch er sich aus, sah missmutig auf die kleinen, blutigen Wunden an seinen Seiten, wo sich die Krallen hineingegraben hatten. Er wandte sich wieder dem Verursacher zu, welcher ihn vollkommen ungeniert von oben bis unten interessiert musterte. Natürlich waren Blicke normal und eigentlich nichts dabei, da sie schließlich alle Männer waren, doch gehörte es sich nicht, dies so auffällig zu tun. „Hast dir alles eingeprägt?“, knurrte er den Vogel daher an, welcher die Augen nur langsam von seinem Schritt löste und dabei breit grinste. „Fast. Kann ich noch ein paar Sekunden lä-“ „Hoch mit dir!“, blaffte Enji ihn an und zerrte den Dämon an seinem Oberarm hoch, um ihn Richtung See zu schleifen. „Oi!! Nicht so – warte doch mal!“, entkam es diesem erschrocken und er klammerte sich nun an seinem Arm fest. Na toll. Noch mehr Kratzer. Er ignorierte Toshinori, der ihnen verdutzt nachsah, und watete mit dem Dämon ins klare Wasser. Es war zwar kalt, aber die Temperaturen mild, von daher ging es. Die Aussicht auf eine heiße Quelle war leider nur selten gegeben. „Ist das kalt!“, jammerte der Dämon, als sie sich beide bis zum Bauch im Wasser befanden, und schlug aufgebracht mit seinem gesunden Flügel. „Urgh…dein Onsen war viel angenehmer. Können wir nicht wieder dorthin zurück?“ Enji warf ihm einen ungläubigen Blick zu, ehe er den Dämon an den Schultern packte und runter in den See drückte. Da sie hier ihr eigenes Körpergewicht nicht tragen mussten, viel leichter waren, würde der andere es wohl auch allein schaffen, sich zu reinigen. „Weniger reden, mehr waschen. Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit“, meinte er mitleidlos. Der Blonde zog eine Schnute, machte sich aber daran, der Aufforderung Folge zu leisten. Nur einen Moment beobachtete Enji ihn dabei, wie er vorsichtig seinen intakten Flügel ins Wasser tauchte – der andere hing sowieso schon drin – und diesen mit den Klauen durchstreifte. Abgesehen von den riesigen roten Schwingen wirkte sein Körper tatsächlich sehr menschlich. Der schlanke, haarlose Torso eines Jünglings, dessen Arme in skurrilen, scharfen Klauen endeten. Zumindest hatte sich die Stelle, an der ihm die Dämonin das Fleisch herausgerissen hatte, geschlossen, auch wenn die Haut noch wund aussah. Enji wandte sich ab, um sich selbst zu waschen, warf vorher noch einen knappen Blick zum Ufer, wo Toshinori Aizawa wohl aufforderte, ebenfalls in den See zu springen. Huh…brachte dieser den Einsiedler etwa in Verlegenheit oder warum schaute dieser so konsequent auf seine Hände? Na gut, vielleicht musste sich sein Freund nicht gerade splitterfasernackt und breitbeinig vor den anderen Mann stellen – der war echt genauso schamlos wie der Dämon. Enji schüttelte innerlich den Kopf, tauchte dann einmal unter Wasser, um auch seine Haare zu waschen. Als er wieder hochkam, wischte er sich über das nasse Gesicht, spürte dabei abermals die bernsteinfarbenen Augen auf sich ruhen. Er konnte den Ausdruck nicht deuten und obwohl es sich unangenehm anfühlte, ließ er sich nichts anmerken. „Bist du fertig?“, fragte er daher nur, während er sich sagte, wie skurril diese ganze Situation generell war. „Ja, alles sauber – oh, und erinnere mich dran, mich mit Blümchen einzureiben, damit ich deine zarte Nase nicht wieder belästige.“ Die spöttischen Worte wurden von einem zuckersüßen Lächeln begleitet, für das er den frechen Vogel am liebsten komplett unter Wasser getaucht hätte. Er besann sich, atmete einmal durch, ehe er ihn am Arm packte und zurück zum Ufer watete, wo Aizawa es sich wohl überlegt hatte und sich nun doch entkleidete. Den musste mal einer verstehen. Er setzte den Dämon auf der Decke ab und reichte ihm dessen neue Kleidung, sowie ein Tuch, mit dem er sich trocknen konnte, ehe er dasselbe tat. Aus den Augenwinkeln fiel ihm auf, dass ihr unliebsamer Begleiter tatsächlich auch untenherum menschlich aussah. Zuvor hatte er nicht richtig hinsehen, die Anmaßungen nicht noch bestärken wollen, doch nun riskierte er einen Blick. Auch dort unten war er recht haarlos…doch an den Beckenknochen befanden sich ein paar winzige, flaumige Federn in demselben auffälligen Rotton. Seltsam. Wie so vieles an dem Dämon. Enji wandte diesem den Rücken zu und griff nach seiner Kleidung, um sich anzuziehen. Dabei ignorierte er erneut den unangenehm stechenden Blick, welchen er nicht zu deuten vermochte, in seinem Nacken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)