Cursed von Lycc ================================================================================ Kapitel 54: Die andere Hälfte der Geschichte -------------------------------------------- Tief atmete Sophie durch. Sie hatte die ganze Nacht damit verbracht unzählige fiktive Gespräche zu führen um sich auf das echte mit Lukas vorzubereiten. Sie liebte ihn und wollte ihn nicht verlieren, gleichzeitig wollte sie aber auch nicht mehr vor ihm verbergen müssen, wer und was sie war, also musste sie ehrlich zu ihm sein und darauf hoffen, dass er sie genau so sehr liebte, wie sie ihn. Zaghaft klopfte sie an die Zimmertür und wurde von einem schroffen „Was?“ begrüßt. „Ich bin´s. Sophie. Darf ich reinkommen?“ Lukas seufzte. „Ja, komm rein.“ Zügig trat sie ein und sah Lukas entschuldigend an. Er hatte tiefe, dunkle Schatten unter den Augen und wirkte erschöpft und unglücklich. „Wie geht’s dir?“ „Hab die halbe Nacht nicht geschlafen. Ich kann´s immer noch nicht fassen.“ Geschlagen vergrub er das Gesicht in den Händen. „Und du weißt das schon die ganze Zeit?“ „Nicht die ganze Zeit. Erinnerst du dich an den Tag, als du Aiden und mich am Waldrand getroffen hast? Da hatten Aiden und ich den Deal geschlossen, zusammenzuarbeiten. Wobei ich mir nicht sicher bin, dass ich das wirklich gemacht hätte, wenn ich gewusst hätte wie gefährlich es wirklich wird.“ „Aber das es Magie gibt, wusstest du schon, oder?“ „Ja. Die Gabe Auren zu spüren ist schon seit etlichen Generationen in meiner Familie. Es ist nicht direkt Hexerei, aber die Fähigkeit liegt auf einem spirituellen Level mit emotionaler Sensorik und Empfindungsmagie. Das ist also...“ Sophie hielt inne und Lukas fragend an. „Stimmt was nicht?“ „Du siehst süß aus, wenn du dich so für eine Sache begeisterst. Allerdings hab ich nicht mal die Hälfte von dem verstanden, was du grade gesagt hast.“ Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und zog die etwas perplexe Sophie neben sich aufs Bett. „Du bist mir also nicht böse?“ „Wieso sollte ich?“ „Ich hab dich auch angelogen und ich bin auch nicht normal. Ich dachte, dass ist dir alles zu abgedreht.“ Lukas konnte ein schwaches Lachen nicht unterdrücken. „Von euch dreien bist du die mit Abstand Normalste und ich bin wirklich froh, dass ich diesen ganzen Irrsinn nicht alleine, sondern mit dir zusammen durchstehen kann.“ Ein flüchtiger Kuss fand seinen Weg auf ihre Stirn. „Außerdem hab ich nicht das Gefühl, dass du dich gegen Aiden und seinen durchgeknallten Dämon hättest durchsetzten können.“ Ertappt verbarg Sophie ihre Verlegenheit hinter einem Lächeln und ließ sich von Lukas in die Arme schließen. „Aber ich muss dich trotzdem fragen: Glaubst du wirklich, dass der Magier sterben muss?“ Sophie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort, denn sie wollte Lukas' Umarmung noch ein wenig auskosten und Kraft daraus ziehen. „Ich glaube, wir haben keine andere Wahl.“ Allein die Erinnerung an die schreckliche Aura jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. „Wie gesagt: Magier mögen es nicht, wenn man sich ihnen widersetzt oder wenn man zu viel weiß. Nicht alle sind so, aber wenn jemand so weit geht, einen Rachedämon auf Aiden anzusetzen und uns mit Niederen durch die halbe Stadt zu jagen, dann ist dieser Magier zu gefährlich um ihn einfach zu ignorieren.“ „Glaubst du, du könntest den Magier sterben lassen? Egal wer es ist?“ Sophie sah ihn etwas verwirrt an. Ihr gefiel nicht in welche Richtung sich das Ganze entwickelte. „Wieso fragst du mich das? Weißt du etwas, was ich nicht weiß?“ Instinktiv konzentrierte sie sich verstärkt auf Lukas' Aura und versuchte sie zu analysieren – Besorgnis, Verwirrung, Zwiespalt, Liebe und... Hunger. Irgendwie überraschte sie das nicht. „Ich hab eine Vermutung und ich will ehrlich gesagt nicht, dass Aiden davon erfährt“, riss Lukas sie wieder aus ihrer Konzentration. „Was? Aber wie... Woher?“ „Ich hab in der Eingangshalle ein Gespräch gehört und... ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll.“ „Lukas, ich flehe dich an. Sag mir, was du gehört hast und wer es war. Du hast gesehen, was in der Stadt passiert ist. Wir sind alle in Gefahr.“ „Sagst du dass, weil Aiden es dir eingeredet hat, oder weil du es wirklich weißt?“ Sophie sah ihn überrascht an und verstand die Frage nicht. „Naja, wissen wir denn, ob Aiden uns wirklich die Wahrheit sagt? Wissen wir, ob Reel ihn nicht manipuliert und ihm das eingeredet hat?“ Vorsichtig strich Lukas ihr über den Hals und vor seinem geistigen Auge blitzte wieder die Erinnerung an den Vortag auf, als der Dämon Sophie so brutal gegen den Wand gedrückt hatte. „Reel ist nicht so schlimm, wie du denkst. Er ist zwar nicht ganz einfach und nicht unbedingt Herr über seine Natur, aber seine Liebe zu Aiden ist echt. Er würde es nicht wagen, ihn anzulügen oder ihn zu Schaden kommen zu lassen.“ Sophie war sich ja nicht über viele Dinge betreffend des eigensinnigen Fluchs sicher, aber Reels Aura verriet ihn. Sophie konnte sie auch dann spüren, wenn Reel sich dessen gar nicht bewusst war, darum kannte sie inzwischen den Unterschied zwischen seiner 'echten' Aura und der Manipulation, die er Sophie so gern zum Spaß vorsetzte. „Mara“, riss Lukas sie erneut aus ihren Gedanken. „Was?“ „Ich hab Mara in der Eingangshalle mit Alina Chavon reden hören. Und anschließend noch mit der Sekretärin.“ Ratlos starrte Lukas seine Freundin an, die nun in ein seltsames, nervöses Lachen ausbrach. „Mara kann Reel nicht gerufen haben“, erklärte Sophie, als sie sich endlich wieder in den Griff bekam. „Aber du sagtest doch selbst, jeder könnte es sein.“ „Du verstehst mich nicht. Mara kann Reel nicht gerufen haben – im Sinne von 'sie ist nicht dazu in der Lage'. Sie ist zu schwach. Ihr Talent reicht dafür nicht aus.“ „Bitte was?“ „Mara ist meine beste Freundin, sie erzählt mir alles. Ich weiß, dass sie magisches Blut in sich trägt, aber es ist bei ihr dermaßen dünn geraten, dass ihre Begabung sogar noch schwächer ist als meine. Sie kann kein Ritual durchführen, dass einen Rachedämon hervorbringen könnte – schon gar keinen von Reels Kaliber. Das Risiko wäre ihr auch viel zu groß und sie würde es nie eingehen.“ Lukas starrte sie noch immer mit fassungslosem Blick an und Sophie bemerkte endlich, dass sie ja einen ganz wichtigen Punkt vergessen hatte. „Du darfst das keinem sagen. Ich hab ihr versprochen, es für mich zu behalten. Wenn irgendwer rausfindet, dass sie mir das anvertraut hat, dann ist das ihr Tod. Und meiner auch.“ „Weiß Aiden davon?“ „Nein, und er darf es auch nicht erfahren. Reel würde...“ Endlich verstand Sophie, worauf Lukas die ganze Zeit hinauswollte. „Verdammt.“ Geschlagen ließ sie sich wieder gegen ihn sinken. „Und jetzt?“ „Keine Ahnung. Vielleicht sollte ich Mara warnen. Sie ist Reel schon mal begegnet und das hat sie fast das Leben gekostet.“ Schnell umriss Sophie für Lukas, wie das Zusammentreffen abgelaufen war, das zu Maras Trennung von Aiden geführt hatte. Bisher hatte er nur gewusst, DAS es passiert ist, aber nicht wie genau. „Das erklärt so einiges“, stellte Lukas trocken fest. Er hatte die ganze Zeit über nur die halbe Geschichte gekannt und so langsam stieg er hinter all die Rätsel, die sich dadurch für ihn ergeben hatten. „Und das hat Mara dir alles erzählt? Einfach so?“ „Ihr Jungs versteht wirklich nicht, wie dieses ganze „beste Freundin“-Ding bei uns Mädchen funktioniert, oder?“ Finster starrte die junge Hexe ihren Spiegel an, durch den sie die Flure des Internats beobachten konnte. Ihre Gedanken überschlugen sich förmlich. Ihr Anschlag in der Innenstadt war zwar nicht von Erfolg gekrönt gewesen, aber er hatte ihr einige interessante Einblicke ermöglicht. Und eine ganz bestimmte Sache ließ sie seither nicht mehr los. Wenn sie wirklich recht behielt und sich nicht irrte, dann könnte sie wohlmöglich all die Schande, die sie über die Familie gebracht hatte, mit einmal wiedergutmachen und ihre Ehre wieder herstellen. Familie und Ehre – wie auf Stichwort klingelte ihr Handy. „Schwesterherz “ prangte auf dem Bildschirm und die junge Hexe drückte geflissentlich auf den roten Hörer. „Nicht jetzt, Schwesterchen. Nichts jetzt.“ Ihr Blick glitt wieder zwischen die Seiten eines Buches, das sie sich sofort nach ihrer Rückkehr hatte aushändigen lassen. Die Biographie des Großmeisters ihres Zirkels. Der vorletzte Teil seiner Seele hatte endlich seinen Weg in die Sammlung des Zirkels gefunden und bald würden all die gesammelten Splitter nach ihrem letzten verlorenen Bruder rufen. Bedauerlicherweise konnte das so seine Zeit dauern. Das letzte Teil war der erste, den der Großmeister je von sich getrennt hatte, und er hatte ihn ganz besonders gut verborgen. Er war seine erste Lebensversicherung gewesen und entsprechend sorgfältig hatte er ihn geschützt. Wenn nun aber jemand den letzten Splitter auf eigene Faust finden und zum Zirkel zurückbringen würde,... Sie malte sich die Szene im Geiste aus. Vielleicht wurde doch noch alles gut. Sie würde bekommen was sie wollte – Respekt, Ansehen, Macht, Rache für Fiona Bellis und Sicherheit für ihre Schwester. Letzteres war zwar inzwischen weniger ein Problem gewesen, aber das auch nur, weil sie es frühzeitig aus dem Weg geräumt hatte. Das diese Aktion nun einen derartig langen Rattenschwanz nach sich ziehen würde, hatte sie ja nicht ahnen können. Wäre ihr das schon vorher bewusst gewesen, hätte sie Aiden einfach eigenhändig vor einen Bus geschubst oder ihm Zyankali in seinen dämlichen Tee gekippt. Sehnsüchtig strich sie über eine der Buchseiten, auf der sich die Kopie einer Zeichnung aus den Schriften des Großmeisters befand. Sie hatte sich nicht geirrt. Ihre Vermutung war korrekt. Ganz bestimmt. Das musste sie sein. Aber zuerst musste sie dem Internat einen weiteren Besuch abstatten, um ihre Beobachtung doch noch einmal zu bestätigen. Ärgerlich stapfte Mara nach ihrem aufbauenden Französisch-Kurs durch die Flure. Sie öffnete ihre Zimmertür, trat ein und sah sich plötzlich einem Spiegelbild von sich selbst gegenüber. Hastig schloss sie die Tür hinter sich und fuhr dann das Mädchen, dass ihre Kleidung, ihr Gesicht und ihren Körper trug wütend an. „Bist du völlig irre? Ich hab dir gesagt, du sollst das lassen! Was, wenn jemand uns beide gesehen hätte? Hätte ich nicht zufällig gehört, dass mich – als eigentlich dich – jemand in den Mädchentrakt hat laufen sehen, wäre ich in den Gemeinschaftsraum gegangen und hätte erklären müssen, wie ich mich so schnell umziehen konnte und warum ich die Haare plötzlich ganz anders trage.“ „Du hast doch gesagt, dass ich mir dein Gesicht für meine Prüfung ausleihen darf.“ „Ich hatte ja auch keine Ahnung, dass du das ständig und ohne mir Beschied zu geben machen würdest. Ich hab dich sogar an meiner Stelle auf meine Abschlussfahrt fahren lassen, obwohl ich nicht mal weiß, was genau du da angestellt hast. Hör zu, ich weiß, wie wichtig dir das Ganze ist, aber du kannst nicht einfach wann und wo du willst in meine Haut schlüpfen. Ich liebe dich und ich will dir helfen, aber denk doch auch mal an mich.“ „Ich denke an nichts anderes. Ich hab meine Prüfung gewählt, um dich zu beschützen. Damit es dir nicht wie Fibi ergeht.“ „Dann erklär´ mir doch endlich was genau du als deine Prüfung ausgesucht hast und was Fiona passiert ist. Du sagst mir immer nur, dass es kein Autounfall war, obwohl das die offizielle Erklärung ist. Was ist ihr denn passiert, dass ich Gefahr laufe, genauso zu sterben?“ Die falsche Mara seufzte schwer. „Du weißt ganz genau, dass ich das nicht darf. Und du bist mittlerweile auch nicht mehr in Gefahr, denke ich. Trotzdem muss ich das hier zu Ende bringen. Für dich, für Fibi, für mich selbst und für unsere Familie.“ „Wage es jetzt nicht, mit dem „du bist eine Schande für die Familie“-Argument zu kommen. Es reicht schon, dass Mama das immer macht. Das brauche ich nicht auch noch von dir.“ Plötzlich entgleisten die Gesichtszüge des maskierten Mädchens und sie ließ ihre Verkleidung fallen. Ihr Gesicht veränderte sich nur minimal, ihre Augen wurden heller, ihre Haare etwas glatter, ihre Statur wurde etwas schlanker und größer und ihre Stimmer klang nun weitaus weniger melodisch. „Mara, das meinte ich doch gar nicht. Ich hab dir nie einen Vorwurf wegen deiner mangelnden Begabung gemacht. Du kannst nichts dafür, dass du eben mehr von Papa als von Mama hast. Ich liebe dich und ich werde alles tun, um Mamas Ansprüchen gerecht zu werden. Dann hat sie keinen Grund, dich deswegen anzufahren.“ In Maras Augen bildeten sich verzweifelte Tränen und ihre Stimme wurde unwillkürlich lauter. „Ja, sei du einfach weiter Mamas perfekte, kleine Hexe. Die fähige Tochter und nicht die, mit der 'mangelnden Begabung'. Ich bin ja nur die Schande der Familie, die nicht zur Hexe taugt, der man nichts erzählen kann, die man überall ausschließt und auf die niemand Hoffnungen zu setzen braucht.“ „Mara! Ich denke nicht so über dich und das weißt du ganz genau!“ Tröstend nahm Sierra ihre kleine Schwester in den Arm und drückte sie beruhigend an sich. Mara weinte hemmungslos und wurde endlich ihre ganze Trauer los. Sophie war nicht für sie da, ihre Mutter konnte nichts mit ihrer unfähigen Tochter anfangen, ihr Vater war 24/7 mit der Arbeit beschäftigt und Sierra kümmerte sich um nichts anderes mehr als ihre Aufnahmeprüfung. Niemand interessierte sich für Mara und ihre Sorgen. Sie fühlte sich einsam, ignoriert und zurückgelassen. Natürlich war es unfair ihrer Schwester diese Dinge zu unterstellen. Sierra war immer für sie da gewesen, hatte sich nie etwas aus ihrer mangelnden Begabung gemacht und sie immer vor ihrer Mutter verteidigt, aber jetzt gerade wollte Mara sie einfach nur anschreien und weinen. Sie brauchte ihre Schwester und die war nicht für sie da gewesen und hatte sie am Telefon sogar weggedrückt, obwohl sie ihr immer das Gegenteil versprochen hatte. „Es wird alles gut, Schwesterchen. Alles gut. Ich werde meine Prüfung bestehen, vollwertiges Mitglied werden und Mama wird wieder bessere Laune haben. Du konzentrierst dich auf deine Schule, machst deinen Abschluss und machst Papa stolz. Ich bin zwar Mamas Liebling, aber du bist Papas und weder er noch ich werden dich unter die Räder kommen lassen.“ Etwas beruhigter nickte Mara in die Schulter ihrer großen Schwester hinein. Sie wusste, dass das Sierras Art war, sie zu trösten, und momentan war das auch genau das, was sie brauchte – etwas Aufmerksamkeit und Zuwendung ihrer großen Schwester. In Sierra brodelte es inzwischen. Diese elenden Verzögerungen machten nicht nur ihr selbst und ihrer Mutter Ärger, sondern auch Mara – und all das war nur Aidens Schuld. Als sie erfahren hatte, dass Mara sich ausgerechnet in diesen vermaledeiten Ignoranten verguckt hatte, stand für sie fest, dass sie etwas dagegen unternehmen musste. Und nach dem, was ihrer besten Freundin Fibi wegen ihm passiert war, war es keine schwere Entscheidung für Sierra gewesen, Aidens Tod zu ihrer Prüfung zu machen. Jeder junge Magier musste seine Fähigkeiten und seine Treue und Hingabe zum Zirkel beweisen, indem er oder sie entweder dem Zirkel einen Dienst erwies oder unter Beweis stellte, dass man vor nichts – nicht einmal Mord an einer Person aus der eigenen Sozialblase – zurückschreckte. So wusste der Zirkel, dass Sierra bedingungslos und skrupellos hinter ihren Leuten stand und fähig dazu war, einen Mord zu begehen ohne Spuren zu hinterlassen, die ihn mit ihr oder dem Zirkel in Verbindung brachten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)