Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 50. Kapitel ----------- Anzu sprang fast einen Meter in die Höhe. Stöhnend hielt sie sich ihren dröhnenden Kopf. Ihr Körper bebte unter den Trommelschlägen. „Schon gut, schon gut. Ich bin doch schon wach.“ Der Trommler, ein Junge von vielleicht zehn Jahren, grinste und zog weiter. Anzu liebte das Fest der Göttin. Was sie haßte, war am Morgen darauf auf die traditionelle Weise geweckt zu werden. Anzu richtete sich auf und faßte sich gleich darauf an Bauch und Kopf. Die Welt schwankte und ihr Magen rebellierte. „Oooh…“   Neben ihr rappelte sich Mai hoch, gähnend, mit geröteten Augen und glasigem Blick. „Ah, dieser Krach…“   Anzu antwortete nichts. Sie versuchte, ihre Welt wieder ins Lot zu bringen. Ach ja, der Garten vor dem Palast. Ra war schon in die Welt der Lebenden zurückgekehrt und sein Licht tauchte die Umgebung in grelle Klarheit. Schmerzend grelle Klarheit. Anzu bedeckte ihre Augen mit einer Hand. Sie hörte die Unwilligkeit aus den Stimmen der anderen so rabiat Geweckten, die Schläfrigkeit und natürlich drangen auch derbe Flüche an ihr Ohr.   „Uh… Anzu, Liebste, geht es?“   Anzu machte ein unglückliches Geräusch. Kurz darauf wurde ihr Wasser gereicht.   „Hier, trink etwas. Dann vergeht der Kopfschmerz.“   „Danke, Mai.“ Langsam, Schluck um Schluck, saugte Anzu das köstlich kühle Naß aus dem Becher. Ebenso langsam fühlte ihr Kopf sich nicht mehr so an, als würde er gleich aus allen Nähten platzen. „Laß uns von hier verschwinden“, bat sie danach Mai, die dem gerne zustimmte. Aufeinandergestützt suchten die beiden Frauen ihren Weg in Mais Gemächer, wo auf sie bereits ein Katerfrühstück wartete.   Anzu aß den sauren Fisch, verzog ihr Gesicht, aber fühlte eine gewisse Ruhe in ihrem Bauch einkehren. Danach pflückte sie verwelkte Blumen aus Haar und Kleid, zog sich aus und stieg dann in das Badebecken. Das lauwarme Wasser wusch Schweiß und Öl hinfort und Anzu fühlte sich gleich noch besser.   Mai, die mit ihr gekommen war, lehnte sich aufatmend an den Beckenrand. Das Wasser perlte auf ihrer gebräunten Haut. „Du verträgst wirklich nicht viel“, murmelte sie.   Anzu bespritzte sie dafür mit Wasser. „Nicht jeder ist es gewöhnt, mit Soldaten zu trinken.“ Sie streckte sich aus und trat mit den Füßen Wasser. „Gestern war wirklich schön, aber auf den Kater heute kann ich verzichten.“   „Nicht nur du.“ Mai stieg aus dem Becken und trocknete sich langsam selber ab, bevor sie sich ein einfaches Kleid anzog. „Jedenfalls kenne ich keinen, der Schädelweh und Übelkeit mag.“   Anzu lächelte müde, dann kam auch sie aus dem Becken. „Können wir uns noch etwas hinlegen? Ich falle sonst heute nachmittag um, wenn ich wieder im Tempel tanzen muß.“   „Als ob uns jemand etwas verbieten könnte“, antwortete Mai und zwinkerte Anzu zu. Ebenfalls frisch angezogen folgte Anzu Mai aus dem Bad. Im Wohnbereich wartete bereits eine Dienerin auf sie, den Kopf leicht geneigt.   „Ehrenwerte Herrinnen, der Soldat Jono ist hier und wünscht, mit euch beiden zu sprechen.“   Anzu blickte überrascht zu Mai, doch diese hatte ihre Mimik gut unter Kontrolle.   „Laß ihn herein. Dann bring uns Milch und laß uns allein.“   „Natürlich, Herrin.“ Die Dienerin verbeugte sich und eilte davon.   Anzu konnte sich nur einen Grund vorstellen, warum Jono sie beide aufsuchen wollte, wenn man ihr letztes Gespräch bedachte.   Kurz darauf kehrte die Dienerin mit Jono zurück. Dieser trug einen sauberen Schurz und hatte sein blondes Haar unter einem Kopftuch gebändigt. Während die Dienerin die Milch holte, verneigte er sich kurz.   „Guten Morgen, Jono“, grüßte Mai und ließ sich auf ihrer Ruheliege nieder.   Anzu hingegen wußte nicht, was sie sagen sollte und auch Jono brachte keinen Ton hervor. Erst nachdem ein Krug Milch und drei Becher auf dem Tisch standen, ließ Anzu sich auf einigen Kissen nieder und machte eine einladende Geste. Jono folgte ihr.   Während Anzu ihren Becher festhielt, musterte sie ihren schweigsamen Besucher. Die Augen waren klar, der Körper angespannt. „Hattest du heute Trommlerdienst?“   „Ich hab geholfen. Aber ich war nicht eingeteilt, ich hatte nur keine Lust, viel zu trinken“, antwortete Jono. Er zauderte und starrte in seinen Becher.   Mai nickte langsam. „Wegen unseres Gespräch letztens?“ fragte sie sanft.   Anzu strich lächelnd über Mais Beine, dann wandte sie sich wieder Jono zu. „Wir wollten dich nicht aufregen. Oder dir das Gefühl geben, wir hätten es eilig.“   „Das habt ihr nicht. Also mich gedrängt.“ Jono seufzte und trank einen Schluck Milch. Das schien seine Entschlossenheit zu stärken. „Ihr habt natürlich recht: Ihr gefallt mir beide. Früher nur habe ich das… Naja, ihr seid doch ein Paar, nicht? Ich hab nie darüber nachdenken müssen, ob ich eine von euch lieber mag.“   „Und das hast du jetzt getan. Deshalb bist du hier“, brachte Mai es auf den Punkt. Jono nickte und leckte seinen Milchbart ab. Anzu vernkiff sich ein Lachen.   „Ich weiß nicht, ob man Gefühle wirklich so abmessen kann wie Getreide, aber ich habs versucht“, fuhr Jono dann fort. „Ich… ich mag euch beide gleich. Ich kann jedenfalls nicht sagen, daß eine von euch mir weniger gefällt als die andere.“   „Aber?“ Anzu legte den Kopf schief.   „Das ist schon ziemlich seltsam. Ich mein, ihr zwei seid zusammen. Wofür braucht ihr mich? Oder wollt ihr, daß ich euch beim Kindermachen helfe oder sowas?“   Mai lachte auf, Anzu klappte der Mund auf. Daran hatte sie gar nicht gedacht. Sie hatte nur… „Ich kenne mein Herz und es hat Platz für mehr als einen Menschen, den ich als Lebenspartner lieben kann“, erklärte sie schließlich. „Womit ich nicht sagen will, daß ich nicht mit einem glücklich sein kann oder daß ich unzählige brauche. Nur habe ich in Hathors Tempel gelernt, daß Liebe nicht so einfach ist. Nicht alle haben dieselben Wünsche.“   Jono kratzte sich im Nacken. „Sowas ist mir ehrlich gesagt zu hoch. Ich dachte, nur reiche Männer haben vielleicht eine zweite Ehefrau. Und natürlich der Pharao, aber der braucht ja immer viele Kinder.“   Mai lachte. „Ja, allerdings. Aber ich suche nicht nach einer üblichen Familie. Wenn es passiert, gut, wenn nicht, auch gut.“   „Also wollt ihr keinen… Vater für eure Kinder oder sowas?“   Anzu grinste. „Also ich hätte schon gerne Kinder. Sehr viel länger werde ich meinen Platz als Erste Tänzerin sowieso nicht mehr halten können. Ich bin nicht mehr so jung und beweglich wie mit vierzehn, also warum sollte ich nicht mal darüber nachdenken? Aber wir haben dich nicht deshalb… ausgesucht oder angesprochen. Wir suchen keinen… Zuchthengst.“ Jono lachte bei dieser Wortwahl auf. „Wir spüren nur beide, daß es mehr sein könnte als nur Freundschaft, die uns verbindet. Mehr als nur der Akt der körperlichen Liebe. Wenn, dann wären wir zu dritt eine Lebensgemeinschaft, mit allem, was dazugehört. Auch mit Kindern, wenn die Zeit dafür reif wäre.“   „Hm…“ Jono kratzte sich erneut im Nacken, aber seine Miene war aufgeklart. „Siehst du das auch so, Gene… Mai?“   „Ja. Auch wenn ich nicht weiß, ob ich noch Kinder austragen kann in meinem fortgeschrittenen Alter. Aber ich würde jedes Kind Anzus auch als das meine betrachten. Und dich, Jono, solltest du dich zu uns gesellen wollen, als gleichwertig und gleichberechtigt zu Anzu.“   Jono nickte langsam. „Also wenn das hier was werden soll - und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das wirklich so einfach ist – sollten wir uns noch besser kennenlernen. Oder?“   Anzu blickte zu Mai, diese zu ihr, dann wandten sie ihre Aufmerksamkeit wieder Jono zu. „Ja, natürlich. Wir wissen bisher nur, daß das Potential vorhanden ist. Nun ist die Frage, kann es zu mehr erwachsen? Und können wir uns auch gut genug verstehen, um zu dritt glücklich zu werden?“   „Ja, genau. Also… Wollen wir uns nicht was über einander erzählen?“   „Was denn?“ erkundigte sich Mai.   Jono grinste. „Was peinliches.“   Anzu lachte. „Das kann ja was werden! Aber nur, wenn du anfängst.“   Mai zuckte die Achseln. „Wenn du meinst, daß uns das in Sachen Liebe weiterbringt.“ Sie grinste.   Jono tat es ihr gleich. „Also gut! Wißt ihr, als ich so zehn war, wollte meine Mutter daß ich ihr helfe, Wäsche zu waschen. Wir sind also an den Nil und dann war da dieses riesige Nilpferd…“   Anzu lachte, während Jono seine Geschichte erzählte und sie lachte über Mai und noch mehr über sich selbst. Das hier war ein sehr schöner Anfang. Und zur Mittagszeit war der steife Beginn ihres Treffens nur mehr eine blaße Erinnerung.   ***   Als Atem am frühen Vormittag erwachte, hörte er noch in der Ferne das gedämpfte Trommeln der für diesen Tag eingeteilten Aufwecker. Aber näher war das Zwitschern der Vögel vor dem Fenster, ein fröhlicher, unbeschwerter Klang. Lächelnd blickte Atem neben sich. Yugi lag in seinem Arm, den verstrubbelten Kopf auf Atems Brust, und schlief. Atem fuhr durch die wirre Mähne seines Liebsten, dann drückte er einen Kuß auf Yugis Stirn.   Das hier, das war einfach perfekt. Ach, Yugi hatte ihm wahrhaftig das Herz gestohlen, so leicht wie Atems Brust sich anfühlte. Atem kicherte wie ein Knabe. Er wußte, bei Yugi würde es in guten, liebevollen Händen sein.   Doch während Ra seine ausgestreckten Beine wärmte, kam Atem ein ungebetener Gedanke. Einer, der sich mit spitzen Krallen in seinem Kopf verankerte und sich weigerte, zu verschwinden, solange Atem diese Sache nicht geklärt hatte. Sobald wie möglich!   Doch für diesen Moment wollte Atem noch ausruhen. Er konnte und wollte Yugi nicht allein zurücklassen. So beugte er sich hinunter, um seinen Liebsten zärtlich zu küssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)