Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 48. Kapitel ----------- Die Hörner erklangen. Über Nuts prächtiges, hellblaues Gewand zogen Vögel, als wollten selbst sie die große Göttin ehren, die allmächtige Hathor, Gemahlin des Horus, Mutter des Harsomtus und des Ihi, Gold der Götter, Zerstörerin der Dämonen und Herrin der Trunkenheit.   Bereits am frühen Morgen hatten die Riten begonnen, um die Göttin zu preisen, zu feiern und ihr Dankbarkeit zu erweisen. Die Priester und der Pharao hatten den himmlischen Trunk gemischt, der der Göttin geopfert werden sollte. Unter großem Jubel und Musik, begleitet von Tänzerinnen und Tänzern, wurde der Krug in das Allerheiligste des Tempels der Hathor gebracht.   Anzu hatte dort ihren Tanz zuerst der Göttin, dann deren menschlichen Dienern und Verehrern dargebracht. Ihr schlanker Leib hatte sich gedreht und gewunden, ein Teil der Musik und der göttlichen Geschenke, die Hathor den Menschen gegeben hatte. Kräftige, stramme Beine hatten Anzu so hoch springen lassen, daß Yugi sie für eine Gazelle hätte halten können. Mai hatte den Tanz mit ihrem Gesang begleitet, um ihre eigene Ehrerbietung auszudrücken.   Nun war die Gesellschaft um den Pharao und die Königsfamilie in den Palast zurückgekehrt und die lauten Hörner begrüßten sie mit einem Klang der Freude. Yugi konnte sowieso schon nicht mehr aufhören, zu lächeln, aber gerade mußte er dazu noch singen. Er war nicht der Einzige.   Unter riesigen Sonnensegeln war im Garten das Festmahl vorbereitet worden. Die Tische bogen sich unter Gesottenem und Gebratenem, Breien, Ta’amiya, Fischeiern, Broten, Früchten, Gemüsen und allerlei Naschwerk. Allein der Anblick ließ Yugi das Wasser im Munde zusammenlaufen. Schon bei ihrer Ankunft spielten Musiker ihnen auf und Männer und Frauen drehten sich im Tanz.   Yugi setzte sich mit seiner Familie an einen Platz schräg gegenüber den Tischen der Königsfamilie. Mokuba strahlte, als ein Diener ihm das mit rotem Ocker gefärbte Bier einschenkte. Atems ältere Töchter streckten begehrlich kleine Hände nach Kuchen und Gebäck aus. Mit ihrer Beute liefen sie dann lachend davon, doch weder Atem noch ihre Mütter ermahnten sie. Heute durfte jeder schmausen und trinken, soviel er wollte.   Yugi trank sein erstes Bier voller Dankbarkeit an Hathors Eingreifen und ihre Hilfe. Wegen ihr lebte der Mann noch, den Yugi liebte, und dank ihr durfte auch Atem noch einmal der Liebe frönen. Yugi lächelte Atem zu und dessen Lächeln war eine so wundervolle Antwort, daß ihm das Herz aufgeregt in der Brust schlug. Atem, oh Atem! Wenn Yugi doch nur mit ihm allein sein dürfte… Plötzlich wurde ihm Wind ins Gesicht gewedelt. Blinzelnd blickte er dann zu seiner Mutter. „Ja?“   „Du solltest nicht ganz so offensichtlich starren.“ Tuja lächelte und schob Yugi die große, tönerne Platte zu, auf der mehrere saftige Stücke Rinderbraten auf den Verzehr warteten.   „Du hast recht. Aber einfach ist es nicht. Gerade heute…“ Tuja schenkte ihrem Sohn einen verstehenden Blick, bevor Yugi sich Fleisch und Brot nahm. Hunger hatte er wirklich. Dabei hatte er sich heute nicht abplagen müssen, aber Glück machte auch hungrig.   Die Musiker wurden von einer Gruppe Gaukler abgelöst, die allerhand Kunststücke zum Besten gaben. Sie schlugen Rad, sprangen durch hölzerne Reifen, jonglierten und bauten einen menschlichen Turm. Jung und Alt bestaunten diese Akte mit offenen Mündern und großen Augen. Besonders die Kinder versuchten eifrig, alles nachzuahmen und landeten dabei mehrmals im Gras.   Mokuba inzwischen schob mit grünlichem Gesicht den Becher voller Bier von sich und ließ sich zwischen Vater und Bruder zu Boden sinken.   Yugi fühlte sich derweil angenehm berauscht und genoß seinen zweiten Honigkuchen. Honigkuchen war gut… Er grinste und blickte hinüber zu Atem, der sich an Mai gelehnt hatte und ihr etwas zuflüsterte. Diese kicherte und Tausret bewarf beide mit Granatapfelkernen. Breit grinsend, wohlgemerkt.   Yugi seufzte, dann stand er auf. Er mußte mal für kleine Bestienzähmer. Er fand seinen Weg tatsächlich unfallfrei ins Gebüsch und danach zu einem Eimer Wasser zum Händewaschen. Dort traf er auf Mana, die albern kicherte. „Was?“ erkundigte Yugi sich und sah an sich hinunter.   „N-nicht du. Guck mal!“ Sie deutete auf Meister Set, der nun unter einer kleinen Gruppe von Bäumen stand.   Yugi wurden die Augen groß, als er sah, daß Meister Set ein Mädchen küßte. Ihre langen, hellen Haare bewegten sich im Wind, während sie über Meister Sets geschorenen Kopf streichelte. Die Kopfbedeckung des sonst so würdevollen Priesters hing an einem Ast und schaukelte im Wind.   Yugi kicherte auch. „Das hätte ich nicht… nicht gedacht.“   „Wie peinlich!“ Mana kicherte noch mehr und nahm Yugi bei der Hand. „Laß uns verschwinden, bevor er uns sieht.“   „Ja.“ Yugi hatte Mühe, gleichzeitig zu lachen und zu laufen, doch es gelang ihnen, sich unbemerkt abzusetzen. Sie fanden ein Plätzchen in dem überdachten Außengang des Palastes. Hier war niemand außer ihnen. Sie lehnten sich gegen die Wand, prusteten und hielten sich die Bäuche, bis sie beide auf dem Boden landeten. Yugi wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Das war echt zum schießen!“   „Oh ja! Jetzt haben wir Erpressungsmaterial.“   „Oh, du bist so böse, Mana!“   Sie lachten erneut.   „Wieso böse? Erpressung? Was redet ihr da.“   Die beiden zuckten zusammen, doch entspannten sich sofort bei Atems Anblick.   „Was machst du hier?“ sprach Mana aus, was Yugi dachte.   „Ich wollte zu Yugi. Zu meinem süßen Yugi.“   „Oh, wollt ihr jetzt knutschen? Darf ich zusehen?“ In Manas Augen glühte unheiliges Feuer auf.   „Was? Auf keinen Fall zukucken“, protestierte Yugi. Knutschen aber ging immer, fand er.   „Langweiler!“   „Mana, du bist wirklich böse“, antwortete Atem und schüttelte lachend den Kopf. „Ich wollte Yugi was zeigen. Du kannst gerne mitkommen, Schwesterchen.“   Mana bedachte das mit einer herausgestreckten Zunge, dann aber rappelte sie sich auf.   Yugi kam ebenfalls schwankend wieder auf die Beine und fiel gegen Atem. Atem, der sehr gut duftete und nur seinen Gala-Schendit trug. Wenn man die ungefähr drei Kilo Gold nicht mitzählte, die Atem an allen möglichen und unmöglichen Stellen am Körper trug. Selbst an seinen Zehen steckten Ringe und in sein Haar waren Perlen geflochten. Yugi kicherte.   “Was, mein Herz?“   „Du hast dein Haar wie Ryous Mutter“, antwortete Yugi und kicherte erneut.   Atem verdrehte seufzend die Augen. „Diese schwere Bürde muß ich wohl tragen“, antwortete er mit der Schicksalsergebenheit eines übertriebenen Schauspielers.   Yugi hängte sich bei ihm ein. „Was willst du uns zeigen?“   „Wir haben schon gesehen, wie Set rumknutscht“, erklärte Mana mit einem breiten Grinsen.   „Ach, das ist doch nichts Neues mehr. Ich weiß was viel besseres!“ Atem grinste, nahm noch Mana an der Hand und zog sie und Yugi hinein in den Palast. Ihr Weg führte durch viele Gänge, vorbei an vielen Türen.   Yugi wußte gar nicht mehr, wo er war. Er rieb sich mit der freien Hand stöhnend die Stirn. „Mir ist komisch…“   „Das wird gleich wieder“, versprach Atem. „Da sind wir schon.“ Er zog Yugi und Mana durch eine Tür.   Yugi blinzelte, als er erkannte, wo sie sich befanden: In dem großen Raum, in dem die Magier ihre großen Zauber wirkten.   Mana stöhnte. „Hier bin ich öfter, als mir lieb ist.“ Mürrisch lehnte sie sich auf Atem.   Der wankte kurz, ächzend, dann schob er sie und dann Yugi auf eine Bank.   Yugi legte den Kopf schief. „Atem, du wackelst.“   „Komisch. Ich glaube, du hast dafür einen Zwilling.“ Atem grinste und trat etwas zurück. Er breitete die Hände aus. „Ich werde euch jetzt mal meine Kunststücke vorführen.“   „Angeber, Angeber!“ Mana zeigte erneut ihre Zunge.   Yugi fiel vor Lachen fast von der Bank.   „Banausen, alle beide!“ Atem steckte die Nase hoch in die Luft.   „Na schön… Büttöööö. Zeig uns deine toooooollen Tricks, großer Meister Atem.“ Mana klatschte sogar.   Yugi machte mit. „Ja, zeig mir alles! Äh… uns.“   „Ausziehen, ausziehen!“ johlte Mana und trat dann lachend mit ihren nackten Füßen in die Luft.   „Ja, genau“, stimmte Yugi zu, der das allerdings völlig ernst meinte. Das merkte wohl nur deshalb keiner, weil er kaum noch mit dem Kichern aufhören konnte.   „Später vielleicht“, erwiderte Atem, der dabei Yugi zublinzelte. Dieser wurde rot und verstummte. Atem breitete nun die Arme aus. „Ich werde euch jetzt zeigen, was ich vermag.“   Gebannt sah Yugi zu, wie Atem wie ein stolzer Pfau genau dreimal den Bannkreis abschritt und dabei immer wieder mal mit den ausgestreckten Armen wedelte. Dabei rezitierte er ein Gedicht, das Yugi nicht kannte und in dem es offenbar um Pflaumen ging. Und Schwerter, die in die Pflaumen eindrangen. An irgendwas erinnerte ihn das… Nur was? Dann grinste Yugi. Ach so, ja, das! Genau, das! Unanständiger Atem!   Yugi kicherte noch immer von seiner Entdeckung, da hörte er ein merkwürdiges Geräusch. Wie Stein auf Stein… Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf Atems Darbietung. Atem war inzwischen in die Mitte des Kreises getreten und ließ den Kopf kreisen, während er sich an einem Lied versuchte, das Yugi langsamer und leiser in Erinnerung hatte.   Und kann knirschte es wieder. Yugi lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er sah zu Mana, die stirnrunzelnd nach oben blickte. Also hatte er sich das nicht eingebildet. Auch Yugi hob den Kopf und überprüfte die Decke. Alles war so wie immer. Oder? Warum hatte er dann so ein komisches Gefühl? Da fiel sein Blick auf eine der großen Götterstatuen, die den Bannkreis säumten. Etwas stimmte nicht mit der Krone Ras. Sie saß… schief.   Yugi erblaßte, als er sah, wie die Krone ein Stück rutschte. Nach vorne, zu dem Kreis, in dem Atem stand. Diese Krone, die größer als ein Mensch war… Und tonnenschwer!   „Atem!“ Mana sprang schreiend in den Kreis und riß Atem mit sich. Yugi inzwischen preßte die Lider zusammen, konzentrierte sich… Er spürte das Ziehen, sah das Licht durch seine Lider. Als er die Augen aufschlug, sprang Marshmallon schon in den Kreis.   Der machte ein Geräusch zwischen einem Grollen und einem Gurren, dann sprang er auf die Statue Ras. Ohne zu zögern tat er, was Yugi wollte und quetschte seinen flexiblen rosa Leib in den großen Riß, der sich zwischen der Krone und dem Kopf Ras gebildet hatte. Die Stütze hielt, aber wie lange? Yugi rann der Schweiß in die Augen und über den Rücken.   Mana hatte einen betrunken protestierenden Atem inzwischen außerhalb des Bannkreises abgesetzt, dann eilte sie zurück an den Rand des Bannkreises. Goldenes Licht erglühte aus ihrer Brust und ihr Schwarzes Magiermädchen stieg zu Marshmallon empor.   Marshmallon zirpte und das Schwarze Magiermädchen schwang ihren Zauberstab. Die Krone schob sich zurück an ihren Platz, mit einem Knirschen verschloß sich der Riß, als würde Fleisch wieder zusammenwachsen. Marshmallon rutschte frech über Ras Nase hinunter zu Boden.   Yugi keuchte. Mana stützte sich an einer Säule ab. Sie starrten zu Ras Krone hinauf, während ihre Ka-Bestien sich auflösten.   „Mein Pharao, bist du verletzt?“   Yugi zuckte zusammen und blickte zu Atem, dem eben von einem älteren Mann mit edler Kleidung auf die Beine geholfen wurde.   „Ah, Gaufürst Rahotep. Ich hatte mich schon gefragt, wo du bist“, sagte Atem statt dessen und grinste.   „Oh, was für ein Schrecken, Großer Horus! Aber diese beiden jungen Bestienzähmer waren den Göttern sei Dank zur Stelle.“   Atem nickte und sah nun seinerseits hinauf zu der Statue. „Ra hat uns heute alle einer Prüfung unterzogen.“   „Wohl wahr.“ Rahotep rief nach einem Diener, dann half er Atem, bis der wieder auf eigenen Beinen stehen konnte.   Yugi und Mana kamen hinzu, schwankend, aber diesmal vor Schrecken. Yugi zitterten die Hände und Mana war so blaß, daß selbst ihre Lippen weiß waren.   „Geht es euch gut?“ erkundigte sich Gaufürst Rahotep.   Yugi hätte sich am liebsten in Atems Arme geworfen, aber er mußte sich jetzt am Riemen reißen. „Die Hauptsache ist, daß der Pharao in Sicherheit ist.“   „Genau“, stimmte Mana zu.   Rahotep wandte sich wieder an Atem. „Mein König, solcher Heldenmut sollte wahrlich belohnt werden. Solch treue und geschickte Gefolgsleute findet man sicher nicht oft.“   „Da stimme ich dir voll und ganz zu.“ Atem lächelte. Als er Yugi und Mana anblickte, waren seine Augen scharf und klar wie die eines Falken. „Und ich habe da auch schon eine Idee. Wirst du meinen Vorschlag unterstützen, Rahotep?“   „Natürlich, oh Allmächtiger. Ich bezeuge vor den Göttern und aller Welt, was ich heute sah.“ Rahotep lächelte.   Yugi starrte Atem an, dessen sicheren Stand, die ruhigen Hände. Dann Rahotep mit der geröteten Nase.   „Atem, warum hast du uns nur so erschreckt?“ erkundigte Mana sich und wischte sich über das Gesicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)