Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 47. Kapitel ----------- „Sehr gut. Das war ausgezeichnet.“ Die ehrenwerte Priesterin Isis lächelte. „Ihr könnt für heute hier schlußmachen.“   „Ja!“ Mokuba sprang vom sandigen Boden auf. „Wir sehen uns, Leute!“ Schon war er vom Übungsplatz verschwunden und ließ lediglich Staubwolken zurück.   „Nochmal so jung sein und sich auf sein erstes, richtiges Fest der schönen Trunkenheit freuen können.“ Honda lachte.   Yugi stand grinsend auf und klopfte sich den Sand aus seinem Schurz. „Morgen ist es schon soweit. Ich kann es kaum glauben!“ Er streckte sich. „Die Zeit ist so schnell vergangen. Ich dachte, wenn das Fest sich nähert, bin ich wahrscheinlich schon wieder daheim bei meiner Mutter.“   „Sieht so aus, als sei sie jetzt hier daheim. Oder will sie doch zurück?“ erkundigte Honda sich. Stöhnend rieb er sich dann die Schultern.   Yugi schmunzelte. „Sie will ihr Geschäft nach Waset verlegen. Auch wenn es schade ist, daß wir unser Haus verkaufen müssen, ich weiß, Vater wäre froh, zu sehen, daß wir hier ein neues Leben aufbauen.“   „Dein Vater ist sicher sehr stolz. Auch auf dich und daß du in seine Fußstapfen trittst.“ Honda gab Yugi einen sanften Klaps auf die Schulter. „Wir sehen uns dann morgen.“   „Ja, bis morgen!“ Yugi blickte Honda nach, dann sah er sich nach Mana und Jono um. Letzterer schleifte still eine der verwendeten Strohpuppen davon, damit sie für die nächsten Übungen ausgebessert werden konnte. Seit kurzem schien Jono seine Zunge verschluckt zu haben und selbst Honda hatte es aufgegeben, ihn aufzumuntern. Mana stand in Yugis Nähe, ihre Miene nachdenklich. Dann seufzte sie.   „He, ihr beiden Trauerklöße, wollen wir nicht noch etwas in die Gärten gehen?“ erkundigte Yugi sich.   Ryou ging an ihm vorbei, den Blick auf Jono gerichtet, und murmelte: „Bitte tu uns den Gefallen, ihn wieder aufzumuntern. Langsam macht er selbst mich wahnsinnig mit seiner Imitation eines stummen Fischs.“   Yugi nickte. „Ich versuchs“, antwortete er ebenso leise.   Mana kam dann zu ihm getrottet und gähnte. „Ich weiß nicht… Ich bin froh, daß ich für heute fertig bin.“ Erneut wurden ihre Kiefer auseinandergezwungen. Jono antwortete nicht mal, sondern rückte nur seinen Kopfschutz gerade, bevor er das Übungsgelände verließ.   Yugi schüttelte den Kopf. Alter Sturkopf! „Wir können uns auch nur irgendwo in den Schatten setzen. Ich würde gerne etwas mit dir reden“, wandte er sich dann an Mana.   Sie streckte sich, daß ihre Knochen knackten, dann nickte sie. „Na schön. Aber nur ein Bißchen.“   „Denk dran, morgen können wir den ganzen Tag feiern. Keine Übungen, kein Sand im Schurz, einfach nur freie Zeit, Tanz, Musik und gutes Essen und Trinken.“   Glücklich aufseufzend hängte sich Mana einfach bei Yugi ein. „Ich träume schon von gebratenem Rind, Gazelle und natürlich den ganzen Süßspeisen. Hier im Palast muß wirklich keiner darben.“   Yugi leckte sich unwillkürlich über die Lippen. „Oh, es ist schon ewig her, daß ich das letzte Mal Rind gegessen habe.“   „Die Göttin meint es gut mit uns“, erwiderte Mana.   Sie fanden im Garten schnell ein schattiges Plätzchen unter einem Baum, der vor vielen Jahrzehnten von einem Pharao von einer Reise mitgebracht worden war. Sie lehnten sich an die kühle Rinde und blinzelten hinauf in das Geäst. Durch die Blätter spitzte dann und wann ein Strahl Ras.   „Uns geht es wirklich gut“, murmelte Yugi und streckte seine Beine aus. „Aber, Mana, du wirkst in letzter Zeit etwas… niedergeschlagen.“   „Ich? Iwo!“ Lachend winkte sie ab. „Mir geht es wunderbar! Es ist so viel Gutes in letzter Zeit geschehen. Vielleicht haben wir sogar schon alle schwarzen Kreaturen gereinigt. Ach, ich hoffe, daß dieser Frieden anhält!“   Yugi legte den Kopf schief. „Das hoffe ich auch. Das wäre großes Glück für uns alle. Aber dennoch… Etwas beschäftigt dich und das schon seit unserer Mission. Vielleicht sogar noch länger.“   Mana knetete ihre Hände, schweigend, dann drehte sie den Kopf fort. Sie lächelte nicht mehr.   „Wenn du nicht mit mir reden willst, verstehe ich das. Aber Atem und Mahaad können dir sicher…“   „Nein“, preßte Mana hervor. Ihre Finger krallten sich ineinander. „Sie wissen Bescheid.“   „Aber warum…“   Mana fiel ihm heftig ins Wort. „Sie haben mir schon gesagt, daß alles gut ist, daß ich auf sie zählen kann. Ich muß also mit niemandem mehr reden.“ Sie wollte aufstehen, doch Yugi legte eine Hand auf ihren Arm.   „Bitte, Mana. Offenbar hat es dir nicht geholfen. Oder noch nicht.“ Sie drehte wieder den Kopf weg, doch sie blieb, wo sie war. „Vielleicht kann dir jemand anderes helfen? Vielleicht Priesterin Isis? Du magst sie doch, oder?“   „Ja, aber…“ Mana atmete schaudernd ein, dann umarmte sie sich selbst. „Es ist schwierig. Es geht um… Um meine leiblichen Eltern. Meine Erzeuger.“   Yugi lehnt sich zu ihr hinüber, die Arme um seine Knie geschlungen. „Ich dachte, du weißt nicht, wer sie sind. Daß das niemand weiß.“   „Es war eine Lüge. Ich hab auch erst vor kurzem erfahren, daß einige im Palast doch wissen, wer sie waren.“ Mana seufzte, sie sah Yugi nun abwartend an.   „Ich sage niemandem was, versprochen.“   „Ich weiß, es ist nur…“ Sie zauderte.   „Schwierig?“   „Ja.“ Mana pustete sich eine verirrte Strähne aus der Stirn, dann straffte sie ihre Schultern. „Meine Erzeuger waren Verbrecher. Furchtbare Verbrecher. Sie… sie haben Atem damals so wehgetan. Wegen ihnen mußten du und dein Vater einen Teil eurer Lebenskraft spenden.“ Sie schüttelte den Kopf, daß ihre brünetten Haare flogen. „Ich haße sie! Ich haße sie so sehr!“   Tränen spritzten auf Yugis Arme. Ohne Zögern zog er Mana an sich. Sie krallte sich schluchzend an seine Brust. „Oh, Mana…“   „Sie… sie sind böse gewesen! Sie wurden zu recht bestraft.“ Mana machte einen Laut zwischen Lachen und Schluchzen. „Aber warum? Warum haben sie das getan? Warum haben sie mich… mich im Stich gelassen? Warum? War ich ihnen nicht wichtig genug?“   „Mana…“ Yugi zuckte zusammen, als Manas Nägel schmerzhafte Spuren auf seiner Haut hinterließen. „Wenn du ihnen nicht wichtig genug warst, dann haben sie dich nicht als Kind verdient.“   „W-was?“ Mana hickste und hob ihren tränenverhangenen Blick.   „Sie haben dich nicht als Kind verdient, wenn du ihnen gleichgültig warst“, wiederholte Yugi. „Mana, du warst ein kleines Kind. Was sie getan haben, war ihre Entscheidung. Du hast damals Liebe und Sorge verdient gehabt. Du verdienst sie auch noch heute. Aber heute mußt du dich nicht mehr um die Anerkennung von Leuten kümmern, die sich nicht um die deine kümmerten. Atem erzählte mir, daß seine Eltern dich wie ihr eigenes Kind aufgezogen haben. Das zählt.“   „Meinst du?“ Mana wischte sich über die Augen. Sie klang nicht überzeugt.   Yugi dachte an ihre Reise zurück und hatte einen Einfall. „Ja, das meine ich. Und wenn du mir nicht glaubst…“ Er schloß die Augen. „Ich rufe dich, Geflügelter Drache und Hüter der Festung!“ Die Luft vor ihnen schimmerte golden. Mana starrte sie an. Dann ertönte ein aufgeregter Schrei, als die Ka-Bestie sich vor ihnen materialisiert hatte.   „Ah, mein Freund Yugi. Ich muß dir erneut danken für deine Hilfe. Du weißt gar nicht, wie gut es ist, reinen Herzens zu sein und ein Heim zu haben.“   „Ich muß dir danken. Dein Geschenk hat meinen Freund gerettet und wird sicher noch mehr Menschen helfen.“ Yugi lächelte. „Aber heute habe ich noch eine Bitte an dich.“   „Sprich nur.“ Der Drache schien zu lächeln, obwohl das schwer zu sagen war mit seinem riesigen, mit Zähnen bewehrten Maul.   „Du sagtest, dein ursprünglicher… Träger war ein Zauberer, der den dunklen Zauberkünsten verfiel, nicht wahr?“ Auf das Nicken des Drachen hin fuhr Yugi fort: „Dies hier ist die Tochter jenes Mannes. Kannst du ihr sagen… Kannst du ihr sagen, daß ihre Eltern sie nicht ihretwegen im Stich gelassen haben?“   Mana war ganz still, sie betrachtete mit großen Augen den Drachen und der schenkte ihr nun seine ganze Aufmerksamkeit. „Ach, der kleine Schlüpfling von damals! Ich freue mich, daß du gut aufgewachsen bist, Mana.“   “Du kennst meinen Namen?“ Manas Frage war nur ein Hauch.   Der Drache senkte zustimmend den Kopf. „Du warst deines Vaters Augenstern. Selbst als er starb, galten seine Gedanken alleine dir.“   Mana brach erneut in Tränen aus. „Wenn das stimmt… Warum hat er dann diese schrecklichen Dinge getan? Warum nur?“ Yugi streichelte über ihren bebenden Rücken.   „Ich verstehe nicht viel von menschlichen Anführern, aber dein Vater dachte, er sei ein besserer als der damalige. Daß seine Taten richtig wären.“ Der Drache blies schwer Luft aus seinen Nüstern. „Er dachte, er würde obsiegen und aus dir eine kleine Prinzessin machen. An seinem Ende betete er darum, daß du gut aufwachsen würdest.“   Mana zog die Nase geräuschvoll hoch. „Also hat er mich geliebt…“   „Ja. Trotz dem die Dunkelheit sein Herz vereinnahmte, genauso wie es auch bei deiner Mutter geschah. Vielleicht… vielleicht trage ich einen Teil seiner Liebe in mir. Vielleicht konnte ich deshalb ein Bewußtsein darüber erlangen, was ich getan, was mit mir geschehen war. Vielleicht habe ich deshalb ein Menschenherz gesucht, das stark genug war, mich und meine Brüder zu versiegeln. Vielleicht konnte ich auch durch die Liebe Amunhoteps zu seiner Familie die Kraft finden, mich meinen dunklen Gelüsten zu widersetzen.“   „Nicht nur vielleicht. Ganz sicher sogar“, antwortete Yugi fest. „Du, Festungsdrache, hast über die gefährliche Dunkelheit obsiegt.“   „Nur über einen Teil.“   Mana schüttelte den Kopf. „Jeder Teil Dunkelheit, der nicht mehr gefährlich ist, ist groß. Ich danke dir.“   „Fühlst du dich jetzt besser, kleine Mana?“ Der Drache blies spielerisch seinen Atem durch ihr Haar.   Sie lachte. „Ja. Jetzt weiß ich, daß selbst in meinem leiblichen Eltern noch ein Funke Licht und Liebe brannte. Trotz ihrer Verbrechen. Ich weiß nicht, ob ich ihnen vergeben kann, aber… Ich fühle mich besser.“   Yugi drückte sie fest an sich. „Das ist gut!“   Mana erwiderte die Umarmung, dann stand sie auf und legte ihre Arme um die Schnauze des Drachen. „Lieber Drache, darf ich dich auch dann und wann rufen?“   „Sooft du willst, kleine Mana. Dein Anblick erfüllt mich mit Freude. Aber nun sollte ich gehen und deinen erschöpften Freund nicht weiter beanspruchen.“   Sie nickte, aber Yugi hatte noch eine letzte Frage. „Sag, wieviele dunkle Brüder hast du?“   „Wir waren sieben. Früher konnte ich sie fühlen, doch durch die Reinigung ist diese Verbindung gerissen. Sie werden sich wieder Wirte suchen, in denen sie sich verstecken oder ihr Unwesen treiben können. Seid achtsam, meine kleinen Freunde. Wenn ihr mich braucht, ruft mich einfach.“   Nach einer letzten Verabschiedung löste sich der Drache in Luft auf. Yugi und Mana tauschten einen erleichterten Blick aus.   „Wenn du nochmal reden willst, ich höre dir immer zu“, versprach Yugi.   Mana lächelte. Dann blickte sie hinauf zu Nut, die langsam in leuchtendes Rot-Orange getaucht wurde. „Jetzt ist wirklich alles Frieden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)