Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 42. Kapitel ----------- Die Standpauke Mais ließen sie am nächsten Tag klaglos über sich ergehen. Während Yugi sich wieder um die Tiere kümmern mußte, wurde Mana zum Kochen verdonnert. Eine Entscheidung, die Mai nach nur einem Tag revidierte, da Mana sich zweimal fast die Finger abschnitt und dann auch noch fast den Kessel sprengte. So half Mana nun also Yugi bei dessen Arbeit.   Die folgenden zwei Wochen zogen sich endlos lange, aber endlich zeichnete sich Waset am Horizont ab. Mokuba strahlte bei dem Gedanken an seinen Bruder und Yugi hatte jedes Mal Schmetterlinge im Bauch, wenn er an Atem dachte und an die Krone. So nah! So nah daran, Atem alles zurückzugeben, was der für ihn getan hatte. So nah daran, alles zu richten. Yugi summte ein Lied und konnte kaum mehr im Sattel sitzen.   Abends hatten sie den Palast erreicht und so einsam und still ihre Abreise gewesen war, soviel Trubel herrschte bei ihrer Rückkehr. Mokuba sprang in die Arme seines großen Bruders, auch Mai und Tausret fielen sich in die Arme. Jono wurde von einer älteren Frau und einem Mädchen fast umgeworfen. Honda hob eine dunkeläugige Schönheit auf die Arme und küßte sie. Anzu warf sich um den Hals eines alten Mannes, der sie drückte und immer wieder ausrief, daß seine einzige Tochter zu ihm zurückgekehrt war. Ryou lächelte, tätschelte den Esel und wisperte diesem in die langen Ohren. Mana tänzelte zu Meister Mahaad, stolz und strahlend, und ließ ihr Ka erscheinen.   Yugi rutschte derweil vom Sattel und wurde von zwei Paar Armen umschlungen. „Mama! Großvater!“   „Warum hast du nichts gesagt? Ich habe mich so gesorgt. Du verrückter Junge! Tadeln sollte ich dich, bis dir die Ohren qualmen.“ In Tujas Augen standen Tränen. Sie zog Yugi an sich, hielt ihn fest, als würde er ihr sonst gleich wieder entgleiten.   „Es geht mir gut, Mama, wirklich.“ Yugi lächelte und drückte sie zum Beweis.   „Wirklich? Du warst so lange fort!“   „Tuja, laß den Jungen doch erst mal ankommen. Er wird uns schon alles berichten.“ Siamun legte Yugi eine angenehm schwere Hand auf die Schulter. „Du warst sehr mutig und tapfer.“   „Nicht nur ich. Alle waren es.“ Yugi blickte lächelnd zu seinen Mitstreitern. „Hätte auch nur einer gefehlt, wir hätten es nicht geschafft.“   „Also habt ihr sie?“ erkundigte Yugis Großvater sich leise.   Yugi nickte. Dann sah er zu Meister Mahaad, der aus Mais Händen den Lederbeutel entgegennahm. Oh, wie gerne würde er den Zauberer begleiten und Atems Schwestern, leiblich oder im Geiste, die nun alle in den Palast eilten. Wie gerne dabei sein… Aber Mai hatte ihm bereits gesagt, daß mit so einem mächtigen Artefakt zu zaubern sehr gefährlich werden konnte. Besser, er blieb in Sicherheit, damit Atem bei seinem Erwachen keine schlechte Neuigkeit hören mußte.   „Gehen wir zurück in unser Haus.“ Großvater schob Yugi voran.   „J-ja.“ Der blickte sich nochmal um. Alle feierten Wiedersehen mit Freunden und Familie. Bis auf Ryou, der gerade den Esel abspannte, der daraufhin erleichtert den Kopf hängen ließ. „Ryou!“ rief Yugi. “Komm doch mit zu uns.”   Der Angesprochene hob überrascht den Kopf, dann lächelte er. „Gleich, ja? Ich mach das hier nur fertig.“   Yugi grinste und ging leichteren Herzens mit seiner Familie. Weder sein Großvater noch seine Mutter erhoben Einspruch.   Daheim stellte Yugis Mutter das Bündel ihres Sohnes auf die Bank, auf der Yugi vor so vielen Wochen seinen Abschiedsbrief zurückgelassen hatte. „Du mußt mir alles berichten, Yugi.“ Sie legte den Kopf schief und strich Yugis nun nicht mehr zurückgebundes Haar zurück. „Du hast dir Ohrlöcher stechen lassen? Früher hast du dich dagegen mit Händen und Füßen gewehrt.“   „Ich wollte diese Ohrstecker tragen“, antwortete Yugi einfach und warf seinen Reisemantel neben sein Gepäck. Lächelnd blickte er auf seinen Armreif. „Ich hab wirklich viel zu erzählen, aber zuerst will ich mich waschen.“   Das lauwarme Wasser des Badebeckens kühlte Yugi und nahm Schmutz und Staub mit sich fort. Yugi war fast fertig, als Ryou am Becken erschien. Yugis Großvater hatte ihn geschickt, um sich ebenfalls nach der langen Reise wieder sauber fühlen zu können.   Ryou trug selbst im Wasser einen Schurz. Yugi spürte, daß Ryou nicht reden wollte und hielt diesem einfach nur wortlos den Sodastein hin. Ryou nickte zum Dank, dann wusch er sich, während Yugi aus dem Becken stieg, sich danach abtrocknete und einölte. Er blickte hinüber zum Palast, aber es war nichts Ungewöhnliches zu sehen.   „Wir werden es sicher hören, wenn es Neuigkeiten gibt.“ Ryou gesellte sich zu Yugi und nahm sich ein noch trockenes Tuch.   „Wahrscheinlich“, murmelte Yugi, während er sich einen frischen, weißen Schurz umlegte. Dann sah er Ryou ins Gesicht. „Geht es dir gut?“   „Besser seit deiner Einladung“, erwiderte Ryou und zog seinen eigenen frischen, trockenen Schurz gerade. „Danke nochmal.“   „Ist das mindeste, was ich tun konnte.“   In freundschaftlicher Stille kehrten sie zurück in das Haus des Wesirs. Dort duftete es nach gebratenem Fleisch, frisch gebackenem Brot, Ta’amiya, Gemüsesuppe und Honigkuchen. Die jungen Männer folgten dem herrlichen Duft in das Speisezimmer, in dem Yugis Familie bereits auf sie wartete.   Yugi leckte sich die Lippen bei den gefüllten Wachteln, dem besten Rezept seiner Mutter und Ryou gingen die Augen über bei den prächtigen Honigkuchen. Die erste halbe Stunde verging schweigend, denn Yugi und Ryou konnten nur ans Essen denken. Nach den vergleichsweise einfachen Mahlzeiten auf ihrer Reise war das hier himmlisch.   Nachdem alle Mägen gefüllt waren, ließ Yugis Mutter frisches Bier und leichten Wein bringen. Angeregt durch den Alkohol berichtete Yugi von seinen Abenteuern und auch Ryou steuerte die eine oder andere Geschichte bei.   „Oh, Yugi! Ich bin froh, daß du so viel Gutes tun konntest zusammen mit deinen Kameraden. Dennoch…“ Yugis Mutter hob die Hand und strich über Yugis inzwischen verheiltes Gesicht, nachdem die Erzählung beendet war.   „Schön war das nicht, aber Ryou ist ein sehr fähiger Heiler. Er hat uns alle wunderbar versorgt. Ohne ihn hätten wir es nie geschafft.“ Dann wandte Yugi sich an seinen Großvater: „Ich verstehe nicht, warum Ryou lügen sollte, weshalb er… hierher kommen mußte.“   „Nein, Yugi, es war richtig.“ Ryous Stimme war fest. „Es hätte zu einer Panik kommen können. Ich wünschte nur, ich hätte nicht eins dieser Biester nach Waset geführt. Noch dazu in den Palast.“    „Das war nicht deine Schuld“, war Siamuns Antwort. „Du, Ryou, warst unglaublich tapfer und hast viel durchlitten. Wir hätten bemerken müssen, was hier vor sich geht. Der Pharao hat dich befreit, weil er wußte, daß du schuldlos bist.“   „Ja…“ Ryou lächelte kurz.   „Du hast Yugi versorgt nach dieser schrecklichen Explosion und so viele andere verdanken auch dir ihr Leben. Das alles, obwohl du selbst noch verletzt warst an Körper und Geist. Letztere Verletzung trägst du noch immer mit dir, das erzählen mir deine Augen.“   Ryou senkte den Kopf vor Siamun. „Es ist nicht einfach…“   „Das ist es nie.“ Yugis Mutter strich über Ryous Haar. „Wir alle hier haben Menschen verloren, die uns wichtig sind.“   Nickend blickte Yugi auf seinen Armreif.   „Doch wir haben noch einander. Ryou, warum erzählst du uns nicht von deiner Familie? Wie waren sie? Was habt ihr zusammen erlebt?“   Ryou räusperte sich und fing an zu erzählen. Von langen Wanderungen durch die Wüste, von Gesang und Geschichten am abendlichen Lagerfeuer. Von seiner Mutter, die sich Perlen in die Haare flocht und Ryou nachts tröstete, wenn die Schakale heulten. Von seinem Vater, der ihn die Heilkünste gelehrt und vieles erklärt hatte. Von seinem Großonkel mit dem bösen Rücken, der über Hüttensitzer schimpfte und Ryou früher immer Honigkuchen zugesteckt hatte. Von den tanzenden Mädchen und von den Plänen einiger junger Männer das Nomadenleben aufzugeben, um in Kemet seßhaft zu werden.   Dann sprach Yugi. Von seinem Vater, der ihn immer beschützt hatte, wie sehr er ihn vermisste und von seiner Angst, Atem zu verlieren.   Yugis Mutter erzählte von ihrem Mann, dem starken und sanftmütigen, der sie und ihre Schwester beschützt hatte. Von ihrer Schwester, die einen König geheiratet hatte und niemals den höfischen Intrigen zugetan gewesen war, sondern ein elternloses Mädchen adoptierte.   Yugis Großvater sprach von seinem Sohn und seiner Frau. Von Tagen voller Gelächter und Momenten des Streits, wenn seine Arbeit seine Familie in den Hintergrund gedrängt hatte.   Es war weit nach Mitternacht, als sie ihre Betten aufsuchten. Ryou wurde trotz seines Protests im Gästezimmer einquartiert.   Yugi lag schließlich da, ohne Nachricht von Atem, aber mit einer Wärme im Herzen, die ihn weinen und lächeln gleichzeitig ließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)